[8=leer] [9]
Die erste deutsche
Einwanderung
Germanische
Urbevölkerung
Polens |
Schon in vorgeschichtlicher Zeit lassen sich Spuren germanischer
Ansiedlung in dem Gebiet verfolgen, das wir heute unter der Bezeichnung
Kongreßpolen kennen. Die Annahme der Geschichtsforscher,
daß Polen germanische Urbewohner hatte, ist durch
Gräberfunde in der Nähe von Lodz und an der Weichsel
bestätigt worden. Professor Schuchardt, der 1916 die Funde
prüfte, kommt zu dem (damals von allen Zeitungen
veröffentlichten) Schluß: "In
Russisch-Polen ist die ganze vorgeschichtliche Kultur von der Steinzeit an bis
in die römische Kaiserzeit von Ostgermanien abhängig gewesen.
Offenbar haben die ostgermanischen Stämme selbst bis mindestens
zur Weichsel gesessen. Von hier haben sie dann leicht den Durchgang zum
Dnjepr und Dnjestr und an das Schwarze Meer gefunden, wo wir in der
Kaiserzeit ein gotisches Reich blühen sehen."
Tacitus erwähnt in seiner Völkertafel, daß um
das Jahr 100 in der Weichselebene der Stamm der Vandilier, in den
Warthegegenden die Burgunder, und weiter nach Osten die
Goten, alle drei germanische Stämme, saßen. Wenige
Jahrzehnte später, bei Beginn der Völkerwanderung, setzten
sich alle östlichen Germanenstämme in Bewegung: die Goten
drangen bis zum Schwarzen Meer vor, die Vandilier (Vandalen)
bevölkerten die ungarischen Ebenen und die Burgunder setzten sich
am mittleren Rhein fest und gründeten dort in der Nähe von
Worms ihr sagenberühmtes Reich. Als 375 die Hunnen Osteuropa
überschwemmen, kommen die ostgermanischen Stämme noch
einmal in Bewegung; sie brechen wie eine Sturmflut über das
mürbe gewordene Römische Reich und gründen in
Italien, Gallien, Spanien und Nordafrika eigene Reiche, die aber keinen
langen Bestand haben, da ihre Leiter der römischen Feldherrnkunst
nicht gewachsen und durch inneren Zwist geschwächt sind. Die weite
Entfernung von ihren früheren Sitzen ermöglicht keinen
Nachschub zur Anfüllung der durch dauernde Kämpfe
gelichteten Schlachtreihen.
Eindringen
slawischer Stämme
in das heutige Polen |
In den nächsten Jahrhunderten wurden die
von ihren Bewohnern entblößten Gegenden östlich der
Elbe von nachrückenden Slawen in Besitz genommen, wobei sie die
noch vorhandenen dünnen germanischen Bevölkerungsteile
ausrotteten oder sich unterwarfen und in sich aufnahmen. Um das Jahr
600 n. Chr. waren die slawischen Stämme der Wenden und Sorben
bis in die Gegend von Bamberg und zum Thüringer Wald [10] gedrungen. Auch die ursprüngliche
Heimat der Goten, Vandalen und Burgunder wurde von westslawischen
Stämmen besiedelt. Am Ausgang des ersten Jahrtausends wohnten
zwischen Warthe und Netze die Polanen (Feldbewohner), die
Gründer des polnischen Staates, die allmählich die
benachbarten und verwandten Stämme der Lentschanen
(Wiesenbewohner) an der Pilica, die Kujawier
(Dünenbewohner) an der unteren, der Masowier
(Sumpfbewohner) an der mittleren und der Wislanen (Kleinpolen)
an der oberen Weichsel in ihren Herrschaftsbereich einzogen.
Während der höchsten Blüte des polnischen Staates
konnten zahlreiche kleinere slawische Gruppen, deren Heimatgebiete ohne
natürliche Grenzen waren, dem polnischen Drang nach Angliederung
nicht widerstehen, so daß sich das Gebiet der polnischen Geschichte
von den Abhängen der Sudeten und Karpathen bis an die Küste
der Ostsee und von der Oder im Westen bis an die Gestade des Schwarzen
Meeres erstreckte.
Polens Eintritt
in die Geschichte
und in den
deutschen Kulturkreis |
Erst mit dem Jahre 960 treten die Polen in die
europäische Geschichte und gleichzeitig auch in den deutschen
Kulturkreis ein. Dem Stamm der Polanen mit seinem Heerführer
Mieszko war es gelungen, die anderen polnischen Stämme zu
unterwerfen. Mit Mieszko gelangte das Geschlecht der Piasten zur
Herrschaft, das sich in Polen bis 1370 und in Masowien sogar bis ins
16. Jahrhundert behauptete. Mieszkos Reich erstreckte sich im Westen bis an
die Oder. Veranlaßt durch seine Frau Dubrawka, Tochter des
böhmischen Herzogs Boleslaw, und aus Furcht, daß er ohne
Anschluß an das Christentum seine Eroberungen nicht sichern
könne, gab Mieszko sein Heidentum auf.
Deutsche
Glaubensboten,
deutsche Fürstinnen
und deutsche Ritter
kommen ins Land |
Deutsche Sendboten der Kirche waren bereits nach
Großpolen vorgedrungen und hatten das vom Erzbistum Magdeburg
abhängige Bistum Posen begründet, das nun den Polen als
selbständiges Bistum überlassen wurde. Sein erster Bischof war
ein Deutscher, Jordan. Seitdem waren ungezählte Scharen deutscher
Geistlicher und Mönche ins Land gekommen.
Für den Anschluß an den deutschen Zweig der römischen
Kirche waren starke politische Gründe mitbestimmend gewesen.
Schon damals hatte sich ein starker Gegensatz zwischen Polen und Russen
entwickelt. Da die Russen das griechische Christentum annahmen, so war die
Bevorzugung der römisch-deutschen Kirche durch den polnischen
Herzog ganz natürlich. Mit den kirchlichen wurden auch politische
Fäden mit Deutschland angeknüpft. Im Jahre 973 erscheint
Mieszko auf dem Hoftage in Quedlinburg, wo Kaiser Otto II. seinen
Grenzstreit mit dem deutschen Markgrafen Gero an der Oder schlichtet.
Später finden wir Mieszko als Verbündeten Heinrichs des
Zänkers von Bayern in dessen Kampf gegen den deutschen
König. Zusammen mit dem deutschen Kriegsheer kämpft er
einige Jahre später gegen die aufständischen Elbeslawen.
Mieszkos zweite Frau, Oda, Tochter des Markgrafen Dietrich, war eine
Deutsche. Mit ihr und anderen deutschen Fürstentöchtern, die
die späteren polnischen Herrscher sich als Frauen holten, kamen
deutsche Hofleute ins Land. Sie verpflanzten deutsches Rittertum nach
Polen.
Der wachsende
deutsche Einfluß
am Hofe |
Der polnische Adel besteht, wie es jedes
polnische Adelslexikon unbewußt nachweist, zu einem nicht
unbedeutenden Teil aus Nachkommen der mit den deutschen
Fürstinnen und bei späteren Gelegenheiten eingewanderten
Ritter, die sich rasch assimilierten und auch [11] ihre Namen polonisierten. In der
Hartknochschen Chronik Alt- und Neues Preußen, die 1648
erschien, wird uns von der Unterdrückung deutschen Wesens
während der Regierungszeit Kasimirs des Großen erzählt
und über die
Rasche
Entnationalisierung
des Adels |
Entnationalisierung der
deutschen Adelsgeschlechter berichtet: "So weit ist es gekommen, daß,
obgleich noch viel von den alten Teutschen Geschlechtern im Lande
übrig seyn, man dieselbe nunmehro weder auß den
äusserlichen Sitten, Kleidung und Sprachen, noch auß dem
Namen von den anderen polnischen Geschlechtern unterscheiden kan. Denn
wenn sich ein jedes Land nach seines Herrn Sitten richtet, so hat auch in
diesem Pohlnischen Preußen die Ritterschaft meistentheils pohlnische
Kleidung, Sprachen und Nahmen angenommen. Exempelweise etwas
anzuführen, so hat Stolinski vohrmals geheißen von Kalkstein,
Zakrzewski und auch Wipscinski - von Felden,
Trczinski - von Canden,
Goluchowski - von Gluchaw (Gluchau),
Bonkowski - von Nostiz, Elzanowski - von Elsenau,
Kanarski - von Schleiwiz, Krokowski - von Krokau,
Dombrowski - von Damerau, Powalski - von Lechwald,
Pleminski - von Schaffenburg, Dorpowski - von Dorpusch,
Prebendowski - von Prevendau. Von Heidenstein setzten den Soleszius
ihrem Namen nach. Die von Konopat werden Conopacki genannt. Aus Polen
kam unter Sigismund III. (1587 bis 1632) Johannes Zawadzki nach
Preußen, ein Geschlecht, das vor Zeiten in Deutschland den Namen
Bieberstein führte. Das Jus indigenatus in Preußen
bekam Andreas Mornin, ein ebenfalls aus Deutschland kommendes
Geschlecht, früher Mondstern, nach ihrem uralten Wappen."
Den deutschen Kaufleuten und Rittern folgten deutsche
Handwerker und Kaufleute. Zwischen Regensburg und
Polen entwickelte sich schon im 10. Jahrhundert ein reger
Handelsverkehr.
Kampf des
einheimischen Adels
gegen die
deutschen Hofleute |
Gegen den um sich greifenden deutschen
Einfluß machte sich gar bald ein feindlicher Gegensatz des
einheimischen Gefolges der Herrscher geltend. Schon Mieszkos Sohn,
Boleslaw Chrobry (der Glorreiche,
992-1025), vertrieb seine Stiefmutter und ihre Söhne. Zwar leistete er
noch Otto III. den Lehnseid, aber er suchte gleichzeitig
Anschluß an Rußland. Sein Erobererdrang führte ihn im
Norden bis an die Ostsee und im Süden bis an die Donau.
Otto III. stiftete ihm das Erzbistum Gnesen und machte so Polen
kirchlich unabhängig von Deutschland. Nach Ottos Tode suchte
Boleslaw sich auch politisch unabhängig vom Deutschen Reich zu
machen. Er erhob sich gegen den neuen Kaiser Heinrich II., riß
die Lausitz und Meißen an sich und setzte sich nach dem Tode
Heinrich II. (1025) die Königskrone auf. Auch Boleslaw hatte
eine Deutsche, Oda, Tochter des Markgrafen Ekkehard von Meißen,
zur Frau.
Boleslaws Eroberungen gingen während der Regierungszeit seines
Sohnes Mieszko II. (1025-1034) verloren. Den
äußeren Kämpfen folgten innere, die auch nach Mieszkos
Tode fortdauerten. Die Böhmen unternahmen Beutezüge
durchs Land. Erst als die deutsche Partei erstarkte und geschlossen
für die Königinwitwe Rixa, Tochter des Pfalzgrafen am Rhein,
eintrat, die für Mieszkos minderjährigen Sohn Kasimir
regierte, und die deutschen Herrscher Konrad II. und Heinrich III.
eingriffen, kehrten wieder leidliche Verhältnisse
ein. Der vertriebene Kasimir (1040-1058) kam, von 500 deutschen Rittern
begleitet, nach Polen zurück [12] und brachte mit deutscher Hilfe wieder
Ordnung in die zerfahrenen Verhältnisse.
Kasimirs Sohn, Boleslaw II. der Kühne (1058-1079),
verschaffte sich durch neue Eroberungen auf Kosten Rußlands
Geltung und Ansehen. Er setzte sich als zweiter polnischer Herrscher die
Königskrone auf. Während seiner Auseinandersetzungen mit
dem einheimischen Adel und dem Klerus, denen er zu stark geworden war,
tötete er den Bischof Stanislaus am Altar. Boleslaw sah sich
genötigt, das Land zu verlassen.
Unter Boleslaws Bruder, Wladyslaw Hermann (1079 bis 1102), der
eine deutsche Erziehung genossen hatte, verstärkte sich wieder der
deutsche Einfluß. Sein Beichtvater, der Schwabe Otto, der
spätere Bischof von Bamberg und Apostel der Pommern, vermittelte
seine Ehe mit Jutta, Schwester Heinrich IV. Der deutschfeindliche
Teil des einheimischen Adels gewann Wladyslaws Söhne Zbigniew
und Boleslaw III. Schiefmund, die in offener Fehde gegen den Vater
Teile des Reiches an sich brachten.
Thronstreitigkeiten kennzeichnen die Regierung der Nachfolger des
Herrschers. Das Reich reifte seinem Verfall entgegen. Wiederholt waren die
deutschen Kaiser Heinrich V., Konrad III. und Friedrich
Barbarossa genötigt, als Lehnsherren in die inneren
Verhältnisse des Landes einzugreifen.
|