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Geleitwort
Nur den wenigsten Reichsdeutschen war es vor dem Kriege bekannt, daß in
Kongreßpolen, nahe an Deutschlands östlicher Grenze, dichte
deutsche Siedlungsgebiete entstanden waren, die, in Fortsetzung der
früheren Aufgaben der deutschen Kolonisation in Polen, bis in die
jüngste Zeit das polnische kulturelle und wirtschaftliche Leben
durchdrangen, so daß die Grundlagen der geistigen Strömungen in
Polen und aller Zweige des polnischen Wirtschaftswesens beträchtliche
deutsche Bestandteile enthalten.
Wille und Entschlossenheit, zu handeln und Spuren eines schöpferischen
Daseins zu hinterlassen, zeichneten zu allen Zeiten die deutschen Pioniere des
Ostens aus.
Immer weiter östlich ging die deutsche bäuerliche Einwanderung, die
ihre Ursprünge schon lange nicht mehr aus der alten Heimat holte, sondern
aus sich selbst entnahm und sich durch Gründung von Tochterkolonien
fortzeugte. Noch in den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden
weite Teile der später zu weltgeschichtlicher Bedeutung gelangten
Cholmschen Urwaldgebiete durch deutsche Waldbauer der Kultur erschlossen.
Mit ihren in Polen verwurzelten Vorfahren konnten sie den Männern auf
dem Rütli nachsprechen: "Wir haben diesen Boden uns erschaffen durch
unserer Hände Fleiß, den alten Wald, der sonst der Bären wilde
Wohnung war, zu einem Sitz für Menschen umgewandelt."
Aber nicht nur das polnische Agrarwesen hat zahlreiche deutsche Züge,
auch die Entwicklung der Städte im 19. Jahrhundert stand ebenso wie im
Mittelalter unter starkem deutschen Einfluß. Polen hat sich in den letzten
Jahrzehnten nur durch seine deutschen Bewohner zum Industriestaat entwickeln
können. Überall in den weniger vernachlässigten
Städten und Städtchen finden sich Spuren deutschen
werktätigen Lebens.
Aus der alten Heimat flossen dem Deutschtum in Polen immer wieder neue
Kulturgüter zu. Mit den Stammesgenossen im Reich unterhielt es aber nur
Kulturgemeinschaft - niemals eine irgendwie geartete politische
Verbindung. Es war übrigens immer der Nehmende gewesen. Die
Wechselwirkung im Austausch geistiger Güter oder ihrer Erzeuger, wie sie
vor dem Kriege zwischen dem Reiche und den Deutschbalten bestand, hat sich in
den noch geistig spröden deutschen Siedlungsgebieten in
Kongreßpolen nicht ermöglichen lassen, da die in ihrem Boden
gewurzelten Menschen der Auswirkung im unruhigen Tatleben zustrebten.
Schon lange ist unter den Deutschen in Polen der Wunsch nach ihrer eigenen
Geschichte rege gewesen. Sie verübelten es den Verwaltern der
Wissenschaft im Reiche, daß sie, die mit Erfolg alle untergegangenen
Welten durch Erforschung wiederbelebten und sie dem Wissen ihrer Zeitgenossen
zuführten, dem Deutschtum in Polen mit seiner ehrenvollen Vergangenheit
auswichen. Aus ihren eigenen Reihen erstanden nur Verfasser von [4] Gelegenheitsschriften. Eine
zusammenhängende Schilderung und Würdigung der deutschen
Arbeit in Polen fehlte.
Anfang 1918 beschloß die "Landeskundliche Kommission beim
Generalgouvernement Warschau", der bereits eine Reihe von
Veröffentlichungen über die Erfolge der wissenschaftlichen
Erkundung Kongreßpolens zu verdanken war, ihrer Bücherreihe ein
Sammelwerk über das Deutschtum in Polen anzugliedern, zu dessen
Redaktion sie mich berief. Das Werk sollte Ende 1918 erscheinen. Das
Manuskript war bereits fertig, es erforderte nur noch die ergänzende und
feilende Hand, als der Umsturz und die mit ihm kommenden neuen
Verhältnisse und Arbeiten das Interesse von ihm ablenkten.
Willkürliche Eingriffe der polnischen Polizei bei einer Haussuchung, bei
der auch zwei handschriftliche Beiträge von Mitarbeitern verloren gingen,
brachten mich um den Ertrag einer mühsamen Arbeit. Als ich mich in
Deutschland zur neuen Niederschrift des Werkes niedersetzte, fehlten mir die
reichen Quellenschätze meiner eigenen Sammlung von
einschlägigen, selten gewordenen Werken und die unersetzbaren Mappen
mit Ausschnitten und alten Urkunden, die langjähriger Sammlerfleiß
zusammengebracht hatte. Der Ersatz an Quellenschriften war dürftig;
dementsprechend ist auch die Ausbeute. Die Fertigstellung des Werkes war nur
denkbar unter Mitverwendung meiner schon früher geschriebenen
geschichtlichen Rückblicke in der Deutschen Post und anderen
Zeitschriften und Broschüren, die ich mir von reichsdeutschen Freunden
ausleihen konnte.
Mit dem Abschluß der ersten zusammenhängenden geschichtlichen
Schilderung des Deutschtums in Polen glaubte ich im Hinblick auf die
Entwicklungen und die traurige Lage meiner Landsleute in Polen nicht
länger warten zu dürfen. Wieder wird unter unerhörtem Druck
von den Polen versucht, ihre deutschen Lehrmeister rückgratlos zu machen
und sie zu breiigem Kulturdünger zu zerquetschen. Das vorliegende Buch
soll den Deutschen in Polen helfen, die bittere Gegenwart im Vergleich mit der
Vergangenheit zu würdigen, damit sie sich von dem Schweren, das ihnen
jetzt beschieden ist, nicht beugen lassen. Seinen Wert wird das Buch aber auch
gewinnen, wenn es ihm gelingt, weite reichsdeutsche Kreise für das
Schicksal ihrer in hartem Ringen befindlichen Volksgenossen in Polen zu
erwärmen.
Carlshof bei Rastenburg (Ostpreußen), am 15. November
1919.
Der Verfasser.
Die Auflösung der Landeskundlichen Kommission beim
Generalgouvernement Warschau und die Übernahme der Verlagsrechte
durch das Deutsche
Ausland-Institut in Stuttgart hat eine Verzögerung in der
Veröffentlichung des Buches verursacht, das nun erst im Sommer 1921
erscheinen kann.
Von Umarbeiten oder Ergänzungen der letzten Abschnitte konnte ich
absehen, da die letzten beiden Jahre eine Änderung in der Behandlung der
Deutschen in Polen nicht gebracht haben und eine Besserung der
Zukunftsaussichten nicht eingetreten ist.
Allenstein (Ostpreußen), am 1. Juni 1921.
Adolf Eichler,
z. Zt. Hauptgeschäftsführer des ostdeutschen Heimatdienstes
Allenstein.
[Scriptorium merkt an: im Original erscheint an dieser
Stelle, d. h. auf Seiten 5 bis 7, die Inhaltsübersicht, die wir in diesem
online-Nachdruck hier wiedergegeben
haben.]
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