Die deutsche Kolonisation
Boleslaw III. Schiefmund (1102-1139) hatte kurz vor seinem Tode das
große Reich an seine vier Söhne verteilt, die sich nach dem
Hinscheiden des Vaters um das Erbe stritten. Wladyslaw, der
älteste der Brüder, mußte flüchten und in
Deutschland Schutz suchen. Kaiser Friedrich nahm sich seiner an und
erfocht nach langjährigen Kämpfen für die drei
Söhne des inzwischen verstorbenen Wladyslaw das schlesische
Gebiet, das in drei Herzogtümer zerlegt wurde. Die drei
Fürsten aus dem Hause der Piasten hatten sich während ihres
langen Aufenthaltes in Deutschland mit deutschem Wesen befreundet.
Deutsche
Besiedlung
Schlesiens |
Sie verheirateten sich mit deutschen Fürstentöchtern und
brachten mit ihren Frauen auch deutsche Ritter und Geistliche ins
Land. Deutsche Handwerker, Kaufleute, Mönche und Bauern
folgten ihnen nach. Wladyslaws Söhne und deren Nachfolger, unter
deren Herrschaft Schlesien in weitere Teilfürstentümer zerfiel,
förderten bewußt die deutsche Ansiedlung, da sie an den
Deutschen die beste Stütze bei der Verteidigung ihrer Interessen gegen
die Ansprüche ihrer polnischen Vettern auf das schlesische Gebiet
fanden. Außerdem sahen sie, wie das [13] wirtschaftlich vernachlässigte Land
durch die Einwanderer zu hoher Blüte kam. Weite Strecken des
Landes waren seit Jahrhunderten unbebaut liegen geblieben. Durch die
Ausstattung der deutschen Ritter mit Lehen aus Kronland wurde das Gebiet
der Bebauung erschlossen.
Deutsche
als Kulturbringer
in den von den Tataren
verwüsteten Gebieten |
Nach dem Einfalle der Tataren (1241) waren es
wiederum deutsche Geistliche, städtische und bäuerliche
Ansiedler, die auch andere Teile des polnischen Reiches in
kulturelle und wirtschaftliche Pflege nahmen. Nun wurden immer mehr
deutsche Städte und Dörfer gegründet. Nicht als
unwillkommene Eindringlinge kamen die Deutschen, sondern als gerufene
und mit verschiedenen Gerechtsamen ausgestattete Kulturbringer.
Ein
polnisches Urteil
über die Erfolge
der deutschen Kolonisten |
Über ihre Rolle sagt der polnische Rechtshistoriker
Bobrzynski: "Nachdem die Mongolen Polen geräumt hatten
und in ihre Sitze zurückgekehrt waren, sahen sich Fürsten und
Volk Polens von einer Wüste umgeben. Es mangelte an Menschen, um
dieselbe zu bevölkern, es fehlte an Geist und Kapital, um ein neues
Leben zu beginnen und die Arbeit des Volkes von neuem in Bewegung zu
setzen. Die partikularistischen Interessen der verschiedenen Provinzen
wucherten üppiger als sonst und machten die Sammlung der im Volke
noch vorhandenen, aber auseinandergesprengten Kräfte
unmöglich. Es blieb nur ein einziger Ausweg, nämlich der, vom
Auslande Bevölkerung, Kapital und Arbeit nach Polen
herbeizuführen. Was man einst ausnahmsweise versucht hatte, das
ergriff man jetzt als allgemeines Rettungsmittel und führte es in der
größten Ausdehnung durch. Eine massenhafte Kolonisation
des Landes durch fremde Einwanderer gelang vortrefflich. In kurzer
Zeit wurden die eingeäscherten Städte aufgebaut und
bevölkert, Industrie und Handel erhoben sich mächtig, und
unter ihrem Schutz kehrte auch das Landvolk zu seiner gewöhnlichen,
aber viel intensiveren Arbeit zurück."1
Die
Form deutscher
bäuerlicher Ansiedlung |
Sowohl in Schlesien wie auch später in
Groß- und Kleinpolen überließen die Grundbesitzer das
zur Anlage eines deutschen Dorfes bestimmte Land einem
Unternehmer (Lokator), der die Besiedlung gegen besondere
Vergünstigungen durchführte. Sie zerlegten die Dorfmark in
"Hufen", so daß jeder Ansiedler ein genügend großes
Grundstück für Hofraum, Garten und Acker zugemessen
bekam, um nicht nur eine Familie zu ernähren, sondern ihm auch zu
ermöglichen, die verlangten Steuern und Dienstleistungen zu tragen.
Der jeder Familie zugewiesene Acker war gerade so groß, daß die
Arbeitskraft einer Familie zu seiner Bewirtschaftung ausreichte. Er zog sich
entweder, so bei den "Straßendörfern", als langer
zusammenhängender Streifen von der Rückseite des
Gehöftes durch die Flur, oder lag im Gemenge, was bei den
"Haufendörfern" der Fall war. Jeder Ansiedler bekam dann in allen
Schlägen der Feldmark seinen bestimmten Anteil. An die
Ackerstücke der Einzelhöfe schlossen sich Weide und Wald an,
die Gemeinbesitz des Dorfes waren.
Aufgabe des Lokators war es, Ansiedler zu gewinnen, ihnen nach ihrer
Ankunft ihre Landstücke zuzuweisen und, falls sie unbemittelt waren,
Saatkorn, Vieh und Geräte vorzuschießen. Ferner mußte
er den auf das [14] gesamte Dorf
fallenden Steuerbetrag für den Grund- oder Landesherrn und die
Zehnten für die Kirche auf die einzelnen Wirtschaften verteilen. Um
den Bau der Gebäude mußten sich die Ansiedler selbst
kümmern.
Nach erfolgter Gründung des Dorfes übernahm der Lokator
das Schulzenamt oder übertrug es einem der Ansiedler, der zur
Einziehung der Abgaben und Leistungen verpflichtet war. Er mußte
auch die niedere Gerichtsbarkeit ausüben und als leichter Reiter zu
Felde ziehen. Als Entschädigung für seine Mühewaltung
erhielt der Schulz zu seinem Hofe einige Hufen, die
zins- und zehntfrei waren, und manchmal auch noch die
Mühlen-, Krug- und Bäckereigerechtigkeit. Auch die zwei
Hufen, die in jeder größeren Ansiedlung der Pfarre zugewiesen
wurden, waren abgabenfrei. - Der Preis für die
Grundstücke wurde von den Bauern durch ihre
Zins- und Naturalleistungen, also in Form ewiger und unablösbarer
Renten, an die Besitzer entrichtet.
Die
Fürsten
als Städtegründer |
Gleich den Askaniern in der Mark und den Wettinern
in Sachsen haben sich auch die Piasten gern mit
Städtegründungen abgegeben. "Eine lohnendere
Verwendung für ihren Grundbesitz konnten sie ja aber auch gar nicht
finden, als wenn sie ein Stück davon für eine neue Stadt
abstecken ließen und nun hier auf eng umgrenztem Raum eine
unverhältnismäßig dichtere Bevölkerung ansetzten
als bei offener Dorfsiedlung.
Die
wirtschaftlichen
Vorteile des
Städtewesens |
Denn einmal war der städtische Bodenzins, d. h. die
jährliche Abgabe oder Rente für das Recht, innerhalb der
städtischen Mauern ein Stück Boden dauernd zu benutzen,
naturgemäß sehr viel höher als der von Bauerngrund
fließende, da eben die städtische Wohnweise mit ihrer
Menschenanhäufung, ihren Märkten, ihrem sicheren Schutz
eine viel nachhaltigere, nämlich gewerbliche Ausnutzung des Grund
und Bodens ermöglichte. Dazu kamen ferner die hohen Summen, die
sich die Fürsten von ihren neuen Bürgern für die
Gewährung der üblichen Stadtfreiheiten und Privilegien, vor
allem für das Markt- und Stapelrecht, zahlen ließen, und endlich
die reichen ständigen Einnahmen der Stadtkasse aus den
Zöllen, die der durch die Stadtgründung erst ins Leben
gerufene oder doch mindestens außerordentlich gesteigerte
Handelsverkehr tragen konnte und mußte. So war die städtische
Kolonisation ein überaus gewinnbringendes Unternehmen für
die Fürsten, sowohl als Grund- wie als Landesherren."2
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