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Vorwort

Als es zur Gewißheit geworden war, daß infolge des Vertrages von Versailles Danzig als freie Stadt unter dem Schutz des Völkerbundes begründet werden und damit aus dem Verband des Deutschen Reiches ausscheiden sollte, trat die alte Hansestadt in den Vordergrund des allgemeinen Interesses.

Ich hielt es für nützlich, zu untersuchen, in welchem Maße der Fortbestand Danzigs als selbständige Handelsstadt bedroht sei, und welche Faktoren dazu beitragen könnten, Danzig als einen Haupthandelsplatz des Ostens zu erhalten.

Stand mir für den ersten Teil dieser Arbeit, der historisch einen Überblick über die Vorgänge im handelspolitischen Leben Danzigs vor dem Kriege geben soll, reichlich Material zur Verfügung, so mußte ich mich beim zweiten Teil, der die Stellung Danzigs nach dem Friedensvertrag beleuchtet, fast ausschließlich auf eigene Anschauung und das Ergebnis persönlicher Rücksprachen mit berufenen Vertretern des Danziger Wirtschaftslebens beschränken.

Zu besonderem Dank bin ich Herrn Oberbürgermeister Sahm verpflichtet, ferner den Herren Dr. Heinemann, Syndikus der Handelskammer zu Danzig, Dr. Fehrmann, Vorsteher des Vorsteheramts der Kaufmannschaft zu Danzig, Dr. Dembrowski, Direktor des statistischen Amts, und dem Direktor der Danziger Schrauben- und Nietenfabrik Wönckhaus.

Greifswald, den 15. November 1920                   Der Verfasser.



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Einleitung

"Die Stadt Danzig, zusammen mit dem Gebiet, das im Art. 100 bezeichnet ist, bildet eine freie Stadt und wird unter den Schutz des Völkerbundes gestellt".1 Der Vertrag von Versailles hat somit Danzig, die alte Hochburg des Deutschtums im Osten, die von alters her eng mit Deutschlands, besonders Ostdeutschlands, Handel und Industrie verknüpft war, aus dem Verbande des Deutschen Staates herausgerissen. Danzigs wirtschaftliche Handlungsfähigkeit ist nunmehr schweren Beschränkungen unterworfen.

Danzigs Entwicklung und seiner Bedeutung als Handelsstadt während seiner nahezu 130 Jahre langen Zugehörigkeit zu unserem Vaterlande - 1793 bei der zweiten Teilung Polens wurde Danzig von Preußen erworben - ist der erste Abschnitt dieser Arbeit gewidmet, während in einem zweiten Abschnitt Danzigs jetzige wirtschaftliche Stellung und künftige Entwicklungsmöglichkeiten beleuchtet werden.

Geographisch betrachtet verdankt Danzig seine Bedeutung als Handelsstadt dem Umstand, daß es an der Mündung der Weichsel liegt und Jahrhunderte hindurch die Aus- und Einfuhr des Hinterlandes dieses Stromes beherrscht hat, das tief hinein nach Rußland, nach Galizien und Ungarn reicht.2 Danzig ist die einzige Wasserstraße Polens zur See. Eine solche Stadt, die dank ihrer günstigen Verkehrslage von allen Seiten her leicht erreicht werden kann und ein kaufkräftiges und aufnahmefähiges Hinterland besitzt, eignet sich am besten zu einem Sammelpunkt für den Handel.3 Danzig war und [5] ist der Endpunkt einer von Süden nach Norden gerichteten Lebensader, von dem aus der größte Teil der Erzeugnisse seines weiten Hinterlandes in den Welthandel gelangt. Vor dem Jahre 1391 hat Danzig kaum irgendwelchen Handel mit seinem Hinterlande getrieben. Seine erste Blütezeit erlebte Danzig unter der Herrschaft des deutschen Ritterordens.4 1366 erscheint Danzig zum erstenmal als Mitglied der Hanse. Bereits damals war Danzig im Hafenbau allen anderen Ostseestädten voraus. Durch die Machthaber des deutschen Ordens mancherlei Bedrückungen ausgesetzt, stellte sich die Stadt nach vielen Kämpfen unter die Oberhoheit des Königs von Polen, der ihr durch den zweiten Thorner Frieden vom 19. Oktober 1466 die Stellung einer deutschen Reichsstadt verlieh. Danzig besaß Zollfreiheit, Münzrecht und richtete nach eigenem Recht, der "Danziger Willkür".5 Sehr viel freier und erfolgreicher noch als in seinen Beziehungen zu Preußen und Polen entwickelte sich der Handel Danzigs mit dem Auslande in den ersten Jahrzehnten nach Abschüttelung der Ordensherrschaft. Erst der Außenhandel gestattete ja die volle Ausnutzung aller durch die Verhältnisse der Natur und der Bevölkerung gegebenen Produktionsvorteile. Allein der auswärtige Handel gibt einem Volk die Möglichkeit, sich auf diejenigen Zweige der wirtschaftlichen Tätigkeit zu konzentrieren, welche der Natur des Landes am meisten entsprechen, in welchen die nationale Arbeit den höchsten Ertrag zu erzielen und den Volkswohlstand am meisten zu heben vermag. Die Grundlage für Danzigs Handel mit dem Auslande bot ihm seine Zugehörigkeit zum mächtigen Hansabunde. Danzig führte Getreide und Waldprodukte besonders nach England aus, und führte dafür Zinn, Tuche und Leinewand nach Preußen ein. Sehr rege war der Seehandel mit Südeuropa, Frankreich, Spanien, Portugal, Italien. Der Getreidehandel war so entwickelt, daß Danzig damals geradezu als die Kornkammer [6] Europas angesehen werden konnte. Bedeutsam war ferner der Handelsverkehr Danzigs mit den benachbarten deutschen Hansestädten wie Hamburg, Lübeck, Bremen, Rostock, Stralsund.

Bezüglich seiner Einwohnerzahl haben wir uns Danzig im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts als eine Stadt von ungefähr 20 000 Einwohnern vorzustellen; darunter ungefähr 1080 selbständige Handwerker.6 Nach Schmoller erreichte Danzig durch seinen Seehandel und die Weichselverbindung nach Polen um die Mitte des 17. Jahrhunderts ca. 60-70 000 Einwohner.7 1793 sank die Zahl allerdings wieder auf 36 000.8 Je nach seiner Bedeutung als Handelsstadt stieg oder sank die Einwohnerzahl Danzigs.

Mit dem Jahre 1793 beginnt für Danzigs Geschichte die moderne Zeit. Durch die zweite Teilung Polens hatte Danzig sein Hinterland wieder erhalten, von dem es seit 1772 getrennt war, und als 1795 durch die dritte Teilung Polens noch ein größeres Stück von Polen an Preußen fiel, verschwanden auch die letzten Zollschranken, die bisher landeinwärts den Handel bis Warschau beengt hatten. Eine weitere günstige Entwicklung des Danziger Handels wurde in der Zeit von 1802-1813 durch Preußens politischen Niedergang, die Kämpfe mit Bonaparte, die Invasion des französischen Heeres verhindert.9 Besonders die rücksichtslos durchgeführte Continentalsperre legte dem Seeverkehr die größten Beschränkungen auf. Der Danziger Handel lebte erst wieder in den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts auf. Wie überhaupt der Beginn der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts eine Zeit des Aufschwungs für ganz Deutschland bedeutete. Es fand in der Hauptsache eine Befruchtung aller Wirtschaftsgebiete [7] mit Kapital statt, wozu hauptsächlich die Banken beitrugen.10 In Danzig war es besonders die Ende des Jahres 1856 von der Danziger Kaufmannschaft gegründete "Danziger Privat-Aktienbank", die auch vom Staate das Recht bekam, Noten auszugeben. Durch den Abschluß von Meistbegünstigungsverträgen zwischen England, Frankreich und Preußen wurde der Danziger Handel ebenfalls zeitweise günstig beeinflußt. Immerhin machte sich aber doch die oft unberechenbare Zollpolitik Rußlands unangenehm auf den Handel Danzigs bemerkbar.11 Die Ausfuhr, die im Durchschnitt der Jahre 1871 bis 1876 36 000 t betrug, ging 1877-1882 bereits auf ca. 22 000 t zurück. Dadurch, daß Rußland im Jahre 1887 die indirekte Zufuhr ausländischer Erzeugnisse über Land mit höherem Zoll belegte, als die direkte auf dem Seeweg in die eigenen Häfen, hörte die Danziger Ausfuhr fast völlig auf. Ferner gab der Ausbau des Eisenbahnnetzes der russischen Regierung ein Mittel in die Hand, durch Tarifmaßregeln die Ausfuhr aller wertvollen Artikel, vom Getreide angefangen, möglichst von den deutschen Häfen abzulenken und nach den eigenen Häfen zu leiten. Nur Holz, für welches die Wasserfracht unentbehrlich ist, blieb Danzig als Ausfuhrartikel ganz erhalten. Die russische Zollpolitik führte im Jahre 1893-94 zum Zollkrieg, der 1894 durch den für Danzig günstigen deutsch-russischen Handelsvertrag beendet wurde. Er enthielt die Bestimmungen über die Privat-Transit-Lager für Holz und Getreide, wodurch diese wichtigen Handelszweige den Ostseehäfen nicht verloren gingen. Ferner wurden die Eisenbahntarife geregelt und der Identitätsnachweis für Getreide aufgehoben. Eine Neubelebung des Ausfuhrhandels setzte dann mit Beginn des 20. Jahrhunderts ein.

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1Friedensvertrag 11. Abschnitt Art. 100-102. ...zurück...

2A. Hirsch, Über die geographische Lage und Entwicklung Danzigs, Königsberg 1912, S. 11. ...zurück...

3K. Hassert, Die Städte geographisch betrachtet. Natur und Geisteswelt Band 163, Leipzig 1907, S. 40. ...zurück...

4Th. Hirsch, Handelsgeschichte von Danzig unter der Herrschaft des deutschen Ordens, Leipzig 1858, S. 172 f. ...zurück...

5P. Simson, Geschichte der Stadt Danzig, Band 1, Danzig 1905-13, S. 255 f. ...zurück...

6Simson, a. a. O., S. 165 Abs. 2. ...zurück...

7G. Schmoller, "Festschrift für Gierke," Die Bevölkerungsbewegung der deutschen Städte, Weimar 1911, S. 209. ...zurück...

81819 waren es 15 818 Einwohner, 1871 = 90 141, 1905 = 159 648. ...zurück...

9O. Münsterberg, Der Handel Danzigs, Volkswirtschaftliche Zeitfragen, Berlin 1906, S. 7 f. ...zurück...

10W. Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert, 4. Aufl., Berlin 1919, S. 84 f. ...zurück...

11H. Thomsen, Danzig als Handelshafen, Danzig 1918, S. 75 f. ...zurück...

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Danzig als Handelsstadt
Unter besonderer Berücksichtigung der
durch den Frieden von Versailles geschaffenen Lage

Kurt Heimrich