[8] I. Der Handel Danzigs bis zum Kriege 1. Ausfuhrhandel In dem Bilde des wirtschaftlichen Lebens vor dem Kriege wurden für die Verkehrs- und Handelsbedeutung eines Hafens Konsum- und Produktionsfähigkeit seines Hinterlandes maßgebend. Auch auf Danzigs Ausfuhrhandel war die Produktionsfähigkeit seines engeren und weiteren Hinterlandes von größtem Einfluß. Der Danziger Exporthandel war vornehmlichst Eigenhandel. Der Danziger Kaufmann trat als Aufkauf- und Verteilungshändler auf.12 Besonders Getreide und Holz hatten in Danzigs Ausfuhrhandel schon zur Zeit der Ordensritter einen sehr großen Umfang angenommen. 1649 hatte Danzig eine Getreideausfuhr von 99 808 Lasten zu verzeichnen, 1770 eine solche von 62 871 Lasten, 1802 = 85 181 Lasten. Der nächste größere Aufschwung zeigte sich erst wieder in den Jahren 1860-65. 1865 betrug die Ausfuhr 266 144 t.13 In den Jahren 1866-76 trat infolge der ungünstigen politischen Lage wieder ein Rückgang ein. 1875 betrug die Ausfuhr 161 097 t. Infolge der Eröffnung der Bahn Kowel-Mlawa- Danzig trat dann in den Jahren 1877-79 wieder eine Steigerung ein. 1880-1881 fand infolge schwerer Mißernten ein gewisser Rückgang statt. 1884-87 machte sich die ungünstige Einwirkung von veränderten Getreidetarifen unangenehm bemerkbar. Erst 1894 nach Abschluß des deutsch-russischen Handelsvertrages bewegte sich der Ausfuhrhandel wieder aufwärts. 1894 wurden 88 985 t ausgeführt, 1895 91 863 t, 1896 106 139 t und dann steigend bis 1913 auf 336 714 t. Ein anderer wichtiger Zweig des Danziger Ausfuhrhandels ist seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts der Zuckerhandel. Die ersten Angaben über den Export von Zucker finden sich im Jahre 1879 und zwar in Höhe von 1208 t. 1880 vermehrte sich die Ausfuhr bereits auf 4842 t und ist von da [9] an in fast ununterbrochener Aufwärtsbewegung geblieben. 1913 betrug die Zuckerausfuhr 225 170 t. Seiner Struktur nach war der Danziger Zuckerhandel Eigenhandel, nur beim russischen Zucker und der Melasse war die Spedition beteiligt. Als dritter und bedeutendster Faktor des Danziger Exports ist der Holzhandel zu nennen. Ein Handelszweig, der sich seit nahezu 500 Jahren in seinem Betrieb kaum geändert hat. Die größte Masse der Danziger Holzzufuhren kam aus Rußland und Polen. Hatte der Danziger Getreideexport unter einer mehr oder weniger starken Konkurrenz der anderen deutschen Ostseehäfen zu leiden, so war dies beim Danziger Holzexport in dem Maße nicht der Fall. Bis zum Kriege stand Danzig als Exporthafen für Holz an erster Stelle. Im Durchschnitt der Jahre 1895-1901 z. B. exportierte Danzig für 26 896 000 Mark Holz, Memel für 19 473 131 Mark. Zugeführt wurden Danzig 1913 365 057 fm Holz, ausgeführt 211 713 t.
Der Einfuhrhandel Danzigs hatte hauptsächlich Güter des täglichen Bedarfs in Stadt und Hinterland zum Gegenstand, wie Kaffee, Reis, Heringe, Kohlen, Salz, Harz, Soda, Petroleum, Chemikalien aller Art, künstliche Düngemittel usw. Die Bedeutung des Einfuhrhandels für Danzig war bis zum Kriege u. a. besonders in seiner Eigenart als Speditionshandel begründet. An der Spitze stand die Einfuhr von Steinkohle, hauptsächlich englischer. Ein bedeutender Stapelplatz ist Danzig ferner für Petroleum gewesen, in der Hauptsache für amerikanisches. Fünf große Tankgesellschaften hatten vor dem Kriege in Danzig ihren Sitz. An Heringen sind nach Danzig in den letzten Jahren vor dem Kriege durchschnittlich etwa 300 000 t eingeführt worden, die t im Gewicht von rund 159 kg. Die seewärtige Einfuhr von Kolonialwaren über Danzig betrug an Kakao 1,9 %, Reis 2,1 %, Tabak 1,5 %, Petroleum 2,6 %, Baumwolle 0,2 %, Wolle 0,1 % und Eisenerzen 1,4 % der gesamten Einfuhr. Der Speditionshandel, der mit seinen Fäden die ganze [10] Welt umspannt, war für Danzig von größter Bedeutung. Viele Sendungen, die bis zum Kriege als Speditionsgut im Durchfuhrhandel versandt wurden, waren noch um die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts Gegenstand des Eigengroßhandels, dessen Stellung zwischen Erzeugern und Verbrauchern immer mehr eingeschränkt wurde. Den einzelnen Häfen führt der Speditionshandel Transporte zu, wodurch Mengen von Arbeitern lohnenden Verdienst finden; aber auch den See- und Flußschiffen und der Eisenbahn sichert er einen beträchtlichen Güterversand. Zum Beispiel verdankt die Schleppschiffahrt dem Speditionshandel ihre Entstehung. Entsprechend dem Wachsen der Industrie im Danziger Hinterland und einer gesteigerten Kapitalsbildung zeigte sich ein Zunehmen des Speditionsverkehrs. 1868 passierten ungefähr 50 000 t Güter speditionsweise Danzig. Im Durchschnitt der Jahre 1894 bis 1902 machte der Speditionshandel dagegen schon 1/3 der gesamten Einfuhr aus. Für die Größe des Anteils, den Danzig am Welthandel hatte, war von jeher sein Reedereibetrieb von grundlegender Bedeutung. Leider hat die Danziger Schiffahrt nicht die Entwicklung genommen, wie es im Interesse der Stadt zu wünschen gewesen wäre. Eine Küste ist immer zum großen Teil auf das ihr politisch zugehörige Hinterland angewiesen.14 Eine Küste also, die ein ihr politisch nicht zugehöriges Hinterland besitzt, wird von demselben durch Zollschranken abgetrennt sein. Für Waren bedeutet aber ein Passieren von Zollschranken eine Verteuerung und damit geringere Absatzfähigkeit. Das war und ist der Nachteil des Danziger Hafens gegenüber den Nordseehäfen, die über ein selten export- und importfähiges, ihnen politisch zugehöriges Hinterland verfügen. Die Reisen der Danziger Seeschiffe gingen außer nach [11] den deutschen Ost- und Nordseehäfen nach Rußland und Finnland, Schweden und Norwegen, Dänemark, Niederlande und Belgien, Großbritannien und Irland, Frankreich, Spanien, Portugal und Nordafrika. Was allerdings die Hafenverhältnisse anbelangt, so verfügt Danzig unter den deutschen Ostseehäfen über die besten seiner Art. Durch einen im Herbst 1913 erfolgten Umbau ist den Ansprüchen des modernen Handels im weiten Umfange Rechnung getragen worden. Danzigs Industrie wird heute mehr denn je das Rückgrat des Danziger Handels zu bilden haben. Wo Handel und Verkehr blühen, da sind auch in der Regel die Voraussetzungen für eine entwicklungsfähige Industrie gegeben, während andererseits eine leistungsfähige Industrie dem Handel die nötigen Ausfuhrprodukte zuführt und so denselben fördert. Der industriellen Tätigkeit Danzigs hatte schon frühzeitig der Schiffsbau einen starken Impuls verliehen. Die weitere bodenständige Industrie beschäftigte sich bis zum Kriege in der Hauptsache mit der Verarbeitung von Erzeugnissen der Land- und Forstwirtschaft. Der Danziger Holzhandel bildete die Grundlage für eine stark entwickelte Holzindustrie. Von alters her wird die Bearbeitung von Bernstein in Danzig betrieben. Erwähnt sei noch die Likörfabrikation, die von eingewanderten Holländern Ende des 16. Jahrhunderts eingeführt worden ist.
Neben dem Seeweg sind es Binnenschiffahrt und Eisenbahn, die dem Handel Danzigs als Weg dienen. Es bedeutet für die Volkswirtschaft eines Landes einen großen Vorteil, wenn in ihm jene Einrichtungen entwickelt und gut aufgebaut sind, die die natürlichen Wasserläufe als Verkehrswege benutzen. Leider spielte die Weichsel bisher trotz ihrer Größe, ihrer Wasserfülle und ihres ausgedehnten Stromgebiets nicht die Rolle, die ihr eigentlich zukommt. Schuld daran ist die [12] Verwahrlosung der nichtdeutschen Teile der Weichsel.15 Für Danzig würde eine neue Blütezeit eintreten, wenn die Weichsel in ihren außerdeutschen Teilen ebenso reguliert würde, wie es auf deutscher Seite der Fall ist. Infolge des verwilderten Zustandes der Weichsel unterlag der Verkehr auf derselben bald der Konkurrenz der Schienenwege, obwohl zunächst die Entwicklung der Eisenbahnverkehrsverhältnisse in Westpreußen einen für Danzig ungünstigen Verlauf nahm. Die erste Bahn im Osten wurde im Jahre 1854 erbaut. Sie führte von Berlin über Dirschau nach Königsberg. Danzig konnte nur durch eine Zweigbahn von Dirschau aus erreicht werden, was natürlich dem Handel Danzigs weniger dienlich war. Die zweite große Bahnlinie im Osten, Bromberg-Thorn-Lowicz, schuf zwar einen Schienenweg Danzig-Dirschau-Thorn-Warschau-Petersburg, aber der Weg von Stettin aus war erheblich kürzer und so konnte Stettin als Konkurrenz im Handel mit Polen auftreten. Ein solcher Danzigs Interessen als Hafen- und Handelsstadt benachteiligender Ausbau des Eisenbahnnetzes ließ in keiner Weise das Prinzip der Wirtschaftlichkeit zur Anwendung gelangen. Der Staat sollte in seiner Eisenbahnpolitik Vergünstigungen gegenüber den allgemeinen Normen nur da gewähren, wo es gilt, Unterschiede der Natur auszugleichen. Es widerspricht der Einheitlichkeit des Staatsgedankens, wenn der eine Zweig der Staatsverwaltung durch Maßnahmen der Eisenbahnpolitik durchkreuzt, was ein anderer Zweig auf dem Gebiete der Außenhandelspolitik erstrebt.16 1871 wurde die Bahn Danzig-Köslin dem Verkehr übergeben; ferner die Bahn Bromberg-Posen. Im Jahre 1877 fand endlich die Eröffnung der Bahn Marienburg-Mlawa-Warschau statt. Danzig gewann damit Anschluß an die russischen Weichselbahnen und das Gebiet der russischen Südwestbahnen. Erst der Eröffnung dieser Bahn verdankte Danzig einen umfangreichen Handel mit seinem Hinterlande [13] Polen. Das Jahr 1876 z. B. brachte nur 28 000 t Getreide auf dem Bahnwege nach Danzig, 1878 dagegen schon 124 000 t. Der Staat kann auf den Export nur steigernd einwirken durch eine allen Wirtschaftsinteressen entsprechende Verkehrspolitik. Die Verkehrsmittel, wie der Handel, müssen der nationalen Wirtschaft dienen, nicht ihr entgegenarbeiten. In dieser Beschränkung nur können sie ihre wichtige Funktion in der Wirtschaft des Volkes erfüllen.
13H. Thomsen, a. a. O. S. 103 f. ...zurück... 14R. Reinhardt, "Die wichtigsten deutschen Seehandelsstädte", Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, Band 13, Stuttgart 1901, S. 438 f. ...zurück... 15H. Wunderlich, Handbuch von Polen, 2. Auflage, Berlin 1918, S. 493. ...zurück... 16K. Wiedenfeld, Die nordwesteuropäischen Welthäfen in ihrer Verkehrs- und Handelsbedeutung, Berlin 1903, S. 316. ...zurück...
Danzig als Handelsstadt Unter besonderer Berücksichtigung der durch den Frieden von Versailles geschaffenen Lage Kurt Heimrich |