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[463-464]
Schlußwort.

Die vorstehenden Uebersichten sollen nur einen ersten allgemeinen Ueberblick geben. Sie sind keineswegs erschöpfend. Die Verarbeitung des vorhandenen Gesamtmaterials würde mehrere Bände erfordern, und das Material wächst dabei noch von Tag zu Tag.

Aber auch in dieser knappen Form wird das Buch schon zur Genüge zeigen,

wie ungeheuer gesucht und einseitig die feindlichen Anklagen sind.

Die Komödie der Auslieferung und jetzt die Forderung der Aburteilung der "Kriegsverbrecher" vor einem deutschen Gericht sind nichts anderes, als der Versuch der Entente, den ungeheuerlichen Friedensvertrag mit seinen durch nichts zu begründenden brutalen Härten zu rechtfertigen. Man schaue sich, wenn man dieses Buch gelesen hat, nochmals die auf Seite VII wiedergegebene Mantelnote Clémenceaus zum Friedensvertrag an, in der Deutschland in der schändlichsten Form als alleiniger Verbrecher hingestellt wird. Man erkennt aus dieser Mantelnote die klare Absicht der Vernichtung Deutschlands mit allen Mitteln.

Man legt Deutschland im Friedensvertrag die schwersten Geld- und sonstigen Lasten auf, aber man nimmt ihm gleichzeitig jede Möglichkeit, diese Lasten aufzubringen und herauszuarbeiten.

Die von uns geforderten ungeheuren Summen – man bedenke allein an Besatzungskosten für das besetzte Gebiet im Jahr rund 3 Milliarden Mark – können nur, das wird auch der Urteilsloseste einsehen, aufgebracht werden, wenn Deutschland wirtschaftlich erstarkt, wenn seine Fabriken arbeiten, wenn seine Arbeiter kräftig ernährt werden, wenn der Verkehr fließt.

Aber die Zufuhr von Rohstoffen wird unterbunden, die Auslandsvaluta künstlich so hoch gehalten, daß der Ankauf der Rohstoffe uns fast unmöglich wird.

Die nötigen Kohlenmengen, um die Fabriken in Gang zu setzen, werden Deutschland genommen.

Die Ablieferung zahlreichen Verkehrsmaterials und neuerdings fast der gesamten Handelsflotte unterbinden fast jeden Verkehr.

[465-466] Deutschland steht vor der Hungersnot, trotzdem wird von der Entente die Lebensmittelzufuhr nicht in großzügiger Weise geregelt. Die ganze Bevölkerung hungert weiter, die Lebensmittelpreise werden unerschwinglich. Wo soll da die Arbeitsfreude herkommen, wo die Kraft zu intensiver Arbeit, ohne die die Kriegsentschädigung niemals aufzutreiben sein wird?

Man erklärt, die nötigen Kredite nur einem Deutschland gewähren zu können, in dem Ruhe, Ordnung und Stetigkeit herrscht. Aber man setzt gleichzeitig den einzigen Machtfaktor der deutschen Ordnung, die Armee, in diesen unendlich verworrenen Zeiten, in denen niederste Leidenschaften unverhüllt zutage treten, auf 100 000 Mann herab, eine Stärke, die auch nicht im entferntest ausreicht, um nur die rein polizeilichen Funktionen auszuüben.

Man zerstört dazu noch jeden Halt und die Moral dieser kleinen Truppe, auf die doch alles ankommt, indem man ihr planmäßig die Ehre abschneidet, indem man ihre Führer und Kameraden, mit denen sie 5 volle Jahre lang gemeinsam einer außerordentlichen Ueberlegenheit mannhaft widerstandet hat, als Verbrecher stempelt. Man raubt ihr die Ehre, die unerläßliche Grundlage einer Truppe.

Erkennen denn die urteilsfähigen Männer der ehemaligen Feindmächte nicht den ungeheuren Widerspruch in alledem, der kürzlich in ernstester Stunde in krassester Form in der Ruhrgebietsfrage erneut zutage trat?

Die Entente fordert dort die schnellste Beseitigung des hart an ihren Grenzen aufflammenden Bolschewismus und droht Zwangsmaßnahmen an, falls Deutschland die Gefahr nicht beseitigen kann. Zu gleicher Zeit aber verbietet sie das Einrücken der Reichswehr, zu dem die Regierung, reichlich spät, sich entschloß. Frankreich geht sogar noch weiter. Es setzt sich in rücksichtslosester Form über den Friedensvertrag hinweg, sucht die ungeheuren Schwierigkeiten der deutschen Regierung, Ordnung zu schaffen, für seine eigenen selbstsüchtigen Zwecke auszunutzen und besetzt völlig friedliche deutsche Länderstrecken und Städte.

Es unterstützt damit in krassester Weise den aufflammenden deutschen Bolschewismus, den mit allen Mitteln einzudämmen es kurz vorher in der dringendsten Form von der deutschen Regierung gefordert hatte.

Im Osten der auf dem Sprung stehende, nur die günstige Gelegenheit abwartende russische Bolschewismus, in Deutschland allenthalben in den breiten Massen gleiche Strömungen, die infolge der durch den Friedensvertrag hervorgerufenen unglücklichen, fast verzweifelten Lebens- und Arbeitslage von Tag zu Tag neue Anhänger gewinnen.

Wo sind drüben die Männer, die bei klarer Erkenntnis dieser Sachlage zur Einkehr kommen und mit rücksichtsloser Hand das Schiff der feindlichen Politik in die richtige Bahn lenken, die nur in gemeinsamem Wiederaufbau, in wirtschaftlicher und moralischer Stärkung Deutschlands bestehen kann?

[467-468] Kommt diese Erkenntnis zu spät, dann wird Deutschland rettungslos dem Bolschewismus verfallen, und wie in Deutschland wird dieser dann seinen Einzug auch in die angrenzenden Länder halten.

Bei dieser Sachlage möge man sich klar sein: In diesem Friedensvertrag, der angeblich Völkerversöhnung und Gerechtigkeit an seine Spitze stellt, in diesem Verhalten der Verbandsmächte liegt geradezu der Keim schwerster neuer Verwicklungen und neuer Kriege.

Videant consules,
ne quid detrimenti capiat
tota Europa.

An diejenigen meiner deutschen Mitbürger, die bisher wie ich annehme, im ehrlichen Ringen um die Wahrheit, aber wohl aus Unkenntnis des Wesens des Krieges und aus Mangel an Ueberblick in dieser so schwierigen Materie, die feindlichen Anklagen gegen das deutsche Volk noch unterstützen, indem sie einseitig die deutsche Schuld in der Frage der Kriegsverbrechen in ihren Veröffentlichungen unterstreichen, richte ich die inständige Bitte, mit kühl abwägenden, nüchternen und streng objektiven Augen die vorstehenden Uebersichten zu studieren. Sie sind, wie ich nochmals betone, in ehrlicher Absicht, ohne hetzerische oder parteipolitische Tendenz und aus meiner reichen persönlichen Kenntnis der tatsächlichen Vorgänge im Kriege und des Gesamtmaterials hüben und drüben zusammengestellt, lediglich zu dem Zwecke,

der Wahrheit und der Wiederherstellung der deutschen Ehre

zu dienen.

Möge das Buch auch diese Deutschen zur Einkehr und zur Selbstbeschränkung bringen, und möchten sie sich immer die Mahnung vor Augen halten, die Ausländer, die Mitglieder der englischen "Union of Democratic Control" E. D. Morel und A. Ponsonby, beide von der Independent Labour Party, in einem Gespräche mit mir und auch deutschen Korrespondenten gegenüber, dem deutschen Volke zu geben für nötig hielten:

"Mehr Nationalstolz zu beweisen."

Möchten sich die deutschen Parteiführer und Publizisten stets jener Aeußerung dieser beiden Engländer erinnern, die hier nochmals wiedergegeben werden soll:

      "Wir stoßen" – sagten jene – "in England auf große Schwierigkeiten bei der Verfolgung unserer Ziele, eine Revision des Friedensvertrages herbeizuführen, infolge des Umstandes, daß gewisse politische Richtungen in Deutschland jede Gelegenheit ergreifen, um Deutschland als den allein Schuldigen am Kriege hin- [469-470] zustellen. Diese Haltung hat nicht allein in Deutschland einen passiven und unterwürfigen Geist erzeugt, der bewirkt hat,

daß jede Deutschland angetane Ungerechtigkeit und Unwürdigkeit fast ohne Protest hingenommen wird,

sondern sie muß auch die Wirkung haben, daß die Anstrengungen der englischen Arbeiterschaft, Deutschland Gerechtigkeit zu verschaffen, geschwächt werden. Bei weiterer Fortdauer könne sie sogar die englischen Arbeiter veranlassen, kein weiteres Interesse mehr an Deutschlands Wiederaufbau zu nehmen.
      Die Theorie von Deutschlands alleiniger Schuld kann nur dazu mithelfen, die imperialistischen Pläne der verbündeten Regierungen zu stärken und diese zu ermutigen, noch weiter ein Volk zu demütigen,

das sich im Staube der Selbstverurteilung wohl fühlt."

Otto v. Stülpnagel.
Berlin, im August 1920.






Die Wahrheit über die deutschen Kriegsverbrechen:
Die Anklagen der Verbandsmächte
in Gegenüberstellung zu ihren eigenen Taten.

Otto v. Stülpnagel