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Deutsche helfen Amerika bauen -
und Amerikas Dank?

Teil 3: Die deutsche Volksgruppe
während der Revolution

chon vor dem Unabhängigkeitskampf der jungen Kolonien sind Deutsche in englisch-französische See- und Kolonialkriege verwickelt. Fast das gesamte königlich-amerikanische Regiment, hauptsächlich gegen Indianer eingesetzt, besteht aus Deutschen aus Pennsylvania und Maryland. Im Revolutionskrieg von 1775-1783 sind Deutsche wieder maßgeblich an den Kämpfen zwischen englischen Kolonialherren und den amerikanischen Revolutionären beteiligt. Nikolaus Herchheimer, dessen Eltern aus Heidelberg stammen, wird zum "Held des Mohawktales", wo er nach vielen verlustreichen Kämpfen für General Washington einen entscheidenden Sieg erringt. Der zum Brigadegeneral beförderte Herchheimer wird in der Schlacht am Oriskany Creek, dem Wendepunkt dieses Krieges, tödlich verwundet.

Im Dezember 1777 trifft mit dem französischen Segelschiff "La Flamande" ein Mann ein, der für das Schicksal Amerikas von fundamentaler Bedeutung werden soll: Der preußische Offizier Friedrich Wilhelm von Steuben! "Er übertrug seine preußische Generalstabserfahrung auf die amerikanische Revolutionsarmee für die taktische und operative Kriegführung gegen die englischen Truppen", heißt es im Lexikon. "Der Sieg der Amerikaner geht zum großen Teil auf ihn zurück."

Der Präsident des jungen amerikanischen Kongresses, Laurent Morris, begrüßt Steuben bei seiner Ankunft: "Wir heißen in Ihnen, Baron, einen ausgezeichneten Offizier willkommen, welcher dem siegreichen Preußenkönig nicht bloß lange gedient hat, sondern auch dessen Vertrauter gewesen ist. Wenn Sie den Staaten, der Union - deren Gesetzgeber und Regierung Sie in uns sehen - ebenso treu dienen wie Ihrem Monarchen, so werden Sie finden, daß eine Republik nicht weniger dankbar ist als ein Monarch!"

Steuben erklärt sich bereit, "einem Volke zu dienen, das einen so edlen Kampf für seine Rechte und seine Freiheit kämpft." Im Lager von Valley Forge beginnt er damit, dem bunt gewürfelten und undisziplinierten Haufen von Washingtons Rebellen die Grundbegriffe moderner Taktik beizubringen. Seine Standpauken bei dieser Tätigkeit sind in etlichen Filmen nachgezeichnet. Der ihm beigegebene Dolmetscher muß sein Fluchen ins Englische übersetzen. Steuben sieht schnell ein, daß er mit den "Hinterwäldnern" anders zu verfahren hat als mit europäischen Soldaten, die damals noch gewohnt waren, Befehle ohne Fragen auszuführen. Hier muß er seinen Leuten erklären, warum sein Exerzieren und seine Feldübungen so und nicht anders gemacht werden müssen. Steuben verfaßt im Laufe seiner Dienstzeit ein Exerzier- und Dienstreglement, das sogenannte "Blue Book", das auch für die spätere amerikanische Armee noch viele Jahrzehnte in Kraft bleiben soll.

Dank der seinen Truppen eingeimpften preußischen Disziplin, verbunden mit der in den Waldkämpfen mit Indianern erprobten Kampftechnik, gelingt es Steuben, in der Schlacht von Yorktown die Engländer zur Kapitulation zu zwingen. General Washington sagt von ihm einmal: "Der Baron soll unser erster Ordensmeister [eines mit Lafayette neu gegründeten Ordens] sein. Unsere Kinder und Enkel aber werden sich einst erinnern, wie wir in der hoffnungslosesten Kriegszeit in diesen Einöden uns unverbrüchliche Treue gelobt haben!"

An die preußische Hilfe im Unabhängigkeitskrieg erinnern noch zahlreiche Ortsnamen. Den Namen Berlin gab es vor den Änderungen im Ersten Weltkrieg allein 82mal. Der wirkliche Dank Amerikas, das so tief in Steubens Schuld steht, sieht später in der Praxis etwas anders aus als die schönen Redensarten. Es werden zwar etliche Städte der USA nach ihm benannt, aber die ihm zudotierten Ländereien in Pennsylvania und Virginien sind für ihn nutzlos, da man ihm die Mittel vorenthält, mit denen er dieses Land hätte nutzbar machen können.

Bei Steubens Entlassung aus dem Staatsdienst wird beantragt, ihm 40,000 Dollar Entschädigung zu zahlen. Der Kongreß nimmt Steubens Abschiedsgesuch an, verspricht aber nur eine Abschlagzahlung von 10,000 Dollar und einen Ehrendegen. Aber auch dieser Betrag wird ihm in langgezogenen Raten in Form von Schatzbons überwiesen, deren sinkender Wert ihn noch mal auf nur ein Drittel reduzieren! Steuben bleibt nichts andres übrig, als das ihm zugewiesene Land an Kriegsveteranen zu verschenken. "Dadurch werden Hunderte Ihrer Kriegskameraden mit ihren Familien dem Elend entrissen, eine ferne Urwildnis aber wird der Kultur erschlossen werden," rät ihm Washington.

Es beginnt Steubens traurigster Lebensabschnitt. Neben seiner wirtschaftlichen Not muß er sich sogar gegen Schmähungen verteidigen: "Alles ließ ich zurück, der Sache des Staates zu dienen, dafür läßt mich der Staat im Elend zurück!" Erst nach der Wahl George Washingtons zum ersten Präsidenten der Union, dem Steuben geholfen hatte, aus den von England ausgebeuteten Kolonien ein freies Land zu machen, bewilligt der Kongreß endlich auf dessen Druck ein festes, wenn auch bescheidenes Jahresgehalt.

Ein anderer fähiger General deutscher Herkunft ist der Bauernsohn Johann Kalb, der die amerikanischen Truppen aus Delaware und Maryland kommandiert und nebenbei noch eine wichtige Rolle bei der Gewinnung des französischen Hofes für die junge Union spielt. Kalb stirbt in South Carolina den Heldentod.

Auch eine deutsche Frau namens Maria Heis, geb. Ludwig, von den Amerikanern Molly Pitcher getauft, soll zu einer Berühmtheit, ja zum nationalen Symbol werden. Nach der Verwundung ihres Mannes greift sie "schnell wie der Blitz" in das Kampfgeschehen ein, wonach man sagen kann: "Ein Weib hat's getan, die Schlacht von Monmouth gewonnen."

Dieser Krieg zwischen England und seinen aufständischen Kolonien wurde - ein echt deutsches Schicksal - zum Bruderkrieg zwischen den Deutschen, die auf der Seite Washingtons kämpfen, und denen, die als Hilfstruppen für Judasgeld von geldgierigen deutschen Landesfürsten an England verkauft werden. So werden rund 30,000 deutsche Söldner in schmutzigem Geldhandel für 200 Pfund pro Kopf von ihren Fürsten, vor allem aus Hessen, in englische Dienste gezwungen. Der Prinz von Hessen-Kassel schrieb seinem Kommandanten: "Der englische Hof zahlt mir für meine Söldlinge, wenn sie nur verwundet werden, nicht so viel als für Tote. Ich will nicht noch einmal hören, daß meine braven Hessen in so geringer Zahl fallen!"

Allzu verständlich kommt es dort, wo Deutsche als "Feinde" aufeinanderstoßen, nicht selten zur Verbrüderung, durchweg zugunsten der Kolonien. Unverdienterweise wird danach sowohl bei Engländern wie Amerikanern das Wort "Hessen" zum Synonym für Feigheit und Desertion. Aber es waren Deutsche wie Steuben, Kalb und Mühlenberg, die als bedeutende militärische Köpfe in diesem vieljährigen blutigen Freiheitskampf der Sache Amerikas zum Sieg verhalfen! Die besten Regimenter amerikanischer Freiheitskämpfer rekrutierten sich aus deutschen Farmern. Und es war ein deutscher Pastor aus Pennsylvania, der als erster den Unabhängigkeitskampf gegen England gepredigt hatte.

Der Amts- und Wohnsitz George Washingtons wird zunächst Germantown, das 1783 von 439 Unterzeichnern einer Denkschrift als Hauptstadt der Vereinigten Staaten gewünscht wurde. Der schon erwähnte Friedrich August Mühlenberg gehört vier US-Kongressen an und ist zwei mal Sprecher des Repräsentantenhauses. Ein Michael Hillegas aus Heidelberg wird erster Finanzminister und Gründer der "Bank of North America". Deutsch ist Gerichtssprache in den Staaten New York und New Jersey. Deutsche Schulen sind in Pennsylvania noch bis 1837 mit deutscher Unterrichtssprache den englischen gleichgestellt. Der Dollar wird zur Münzeinheit des neuen Staatenbundes, genannt nach dem deutschen Thaler, von den Pennsylvaniadeutschen Daler ausgesprochen.

Johann Jakob Astor wandert nach Kriegsende aus Walldorf bei Heidelberg ein. 1810 hat er seine erste Million aus dem Pelzhandel und Grundstücksanlagen zusammen, der reichste Amerikaner seiner Zeit. Er unterstützt deutsche Einwanderer und ist, laut Brockhaus, "Stifter der Stadt Astoria, der Astor-Bibliothek in New York, des Astor-Hauses (Kinder-Altersheim) in Walldorf".

Bis zum Jahr der Reichsgründung 1871 war der deutsche Einwanderer ohne jeglichen nationalen Rückhalt. Ein deutsches Nationalgefühl war angesichts der kläglichen deutschen Zerrissenheit schwerlich bei den Einwanderern zu erwarten. Sie hatten sich lediglich eine sentimentale Heimatverehrung, meist gemischt mit kirchlichen Bindungen, bewahrt. Die Bevormundung durch die Landesfürsten, bis zur offenen Unterdrückung, hatte wesentlich zu der geringen Selbstsicherheit der Einwanderer beigetragen. Nach einem Wort von Heinrich Heine soll der unzufriedene Deutsche lieber sein Land aufgegeben und nach Amerika gezogen sein, während der Franzose es vorzog, eine Revolution zu starten!

Der deutsche Einwanderer ist politisch unmündig. Er fühlt sich nicht als Deutscher, sondern als Preuße, Pfälzer, Sachse, als Mennonit, Amisch, Herrnhuter usw. Ein schroffer Gegensatz zu den Siedlungen geschlossener deutscher Volksgruppen wie einst unter Prinz Eugen auf dem Balkan oder den von Katharina II. nach Rußland geholten Wolgadeutschen!



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Teil 4: Der Zug nach Westen

Ehrenmal
Ehrenmal für die deutschen Einwanderer, errichtet 1920 in Germantown.
nter den Deutschen, die zur Erschließung der weiter westlich gelegenen Gebiete beitragen, finden sich der Schwabe Jakob Böhm und der Schweizer Knüseli. An der industriellen Entwicklung des Westens ist der Elsässer Martin Baum beteiligt, der die erste Eisengießerei, die erste Zuckerraffinerie und in Cincinnati die erste dampfgetriebene Getreidemühle baut.

Pennsylvania bleibt der einzige Staat, in dem sich mehr oder minder geschlossene deutsche Siedlungsgebiete erhalten. Weiter westlich dagegen zerstreuen sich die Deutschen in den Weiten des neu gewonnenen Landes mehr als andere Volksgruppen. Von Gottfried Duden stammt der Ausspruch: "Wäre einmal eine kleine Stadt in dem Geiste gegründet, den Amerikadeutschen als Mittelpunkt der Kultur zu dienen, so würde man bald ein verjüngtes Germanien entstehen sehen, und die Deutschen würden dann in Amerika ebenso ein zweites Vaterland haben wie die Briten." Aber es sind die Engländer, die über Geld und weltpolitische Erfahrung verfügen. Ihre vielfach aus begüterten Familien stammenden "gentlemen adventurers" haben den meist ärmlichen Einwanderern aus deutschen Landen neben dem nötigen Selbstbewußtsein auch ein viel rücksichtsloseres Gewinnstreben voraus. "Egoismus ist der Grundzug eines gesunden Volkes," zitiert Walter von Molo in seinem Friedrich-List-Roman einen englischen Verleger, "ethische Theorien sind nur für die machtlosen Nationen da!"

In seiner Geschichte der Deutschen in Amerika von 1847 klagt Franz Löher: "Deutschland hat für seine Auswanderer nichts getan. Diese Schuld wird eine spätere Geschichtsschreibung als ein sittliches Verbrechen des Volkes in seine Bücher eintragen. Sie wird noch schwerer wiegen, wenn der Gang der Weltgeschichte den politischen Fehler, der dadurch begangen wurde, nicht wieder gut macht. Gehen nämlich die deutschen Auswanderer in fremden Völkern auf, so hat Deutschland einen ungeheuren Verlust erlitten." Womit er angesichts der Beteiligung von Millionen Deutscher auf der Feindseite in zwei Weltkriegen nur allzu recht behalten sollte!

Im Sommer 1843 treffen jede Woche rund 1,000 deutsche Immigranten ein. Das 1858 als Bundesstaat aufgenommene Minnesota verfügt in seinen Anfängen über eine Mehrheit deutscher Einwanderer. Doch gilt Wisconsin, 1848 als Staat zugelassen, als "deutschester Staat der Union". Durch die Einrichtung eines Bischofssitzes in Milwaukee wird Wisconsin auch besonders für Katholiken attraktiv. Es gilt mit seinen Brauereien, Biergärten, Theatergruppen, Turn- und Gesangvereinen als die typischste deutsche Stadt Amerikas.

Die bei der Eroberung des Westens entscheidenden neuartigen Feuerwaffen ("Witwenmacher" genannt) stammen aus den deutschen Werkstätten des Lancaster County. Die Waffenschmiede der "Frontier" sind Deutsche. Der "Prairieschoner Conestoga" mit seinen roten Rädern und weißer Plane ist aus dem deutschen Bauernwagen hervorgegangen.

Anders als namentlich die Angelsachsen, die in ihrem Drang nach Westen immer neuen Abenteuern und Reichtümern nachjagen, neigt der Deutsche dazu, auf der Scholle seßhaft zu werden, die er einmal mit seinem Schweiß fruchtbar gemacht hat. Die Deutschen sind am allerwenigsten an der von der US-Regierung betriebenen Verdrängung der Indianer, bis zu deren Ausrottung, beteiligt.

Um 1820 treffen die ersten Deutschen in Texas ein. In diesem größten US-Staat werden 1990 rund eine Million Amerikaner deutscher Abstammung gezählt. Seit 1839 versucht die in New York gegründete "Germania-Gesellschaft", in Texas einen Mittelpunkt mit einer Einheitskirche, einem deutschen Bund und einer deutschen Universität zu begründen. Ein Adliger, unter dem Namen John O. Meusebach bekannt geworden, gründet im Gillespie County die Stadt Fredericksburg, die zur "Pfirsichstadt von Texas" wird. San Antonio ist 1840 noch 100% mexikanisch, aber 10 Jahre später zur Hälfte deutsch. Auch heute noch findet man dort rund 150 deutsche Straßennamen.

Nach der Gründung des Deutschen Bundes 1815 erfolgt eine weitere Liberalisierung der Auswanderung. Deutschland wird nach und nach mit einem engen Netz von profitablen Auswandereragenturen überzogen. Eine der bekanntesten ist die Hamburger Agentur der Ballin-Familie, aus der Albert Ballin, der Gründer des Norddeutschen Lloyd und Berater Kaiser Wilhelms II. hervorgeht. Im Zuge der reaktionären Epoche des Vormärz erreichen 1816-17 ca. 20,000 Immigranten die amerikanische Küste. Nach dem Hambacher Fest 1832 und dem Frankfurter Putsch 1833 verlassen rund sieben Millionen Deutsche in Wellen ihre Heimat, im Spitzenjahr 1882 sind es 250,000! Zu den Auswanderern zählen auch jetzt noch vielfach religiöse Separatisten wie z.B. die Harmoniten, deren Kolonien in Pennsylvania zu weithin bewunderten Mustersiedlungen werden. - Von ihren christlichen Kirchen- und Sektenführern gefördert, wächst unter den Deutschen die Einstellung, daß es undankbar sei, "in einem gastlichen Lande" etwas anderes als Amerikaner zu sein! Andere Volksgruppen, ob Italiener, Polen, Ukrainer sind da etwas weniger zartfühlend - sie bewahren durchweg ohne Bedenken ihre nationale Eigenart.

Inzwischen bewirkt Metternichs Unterdrückung freiheitlicher Bestrebungen, daß sich zu den meistenteils Wirtschaftsflüchtlingen auch politische Emigranten gesellen.

Nach dem Romancier Karl Postl, der als Charles Sielsfield berühmt wird, sind "die Deutschen das Bollwerk der Freiheit... wo immer sie sich niederlassen, nimmt das Leben eine lachende Gestalt an." Aber Heinrich Heine, der wohl einen anderen Typ Auswanderer im Sinne hatte, warnt vor dem "gottverfluchten Land, in dem der widerwärtigste der Tyrannen, der Pöbel, seine rohe Herrschaft ausübt." Und der Dichter Nikolaus Lenau seufzt: "Diese Amerikaner sind Krämerseelen. Tot für alles geistige Leben, mausetot", wonach er, von vielen Illusionen geheilt, der Neuen Welt den Rücken kehrt. Friedrich Kapp, ab 1850 Chefredakteur der New Yorker Abendzeitung, äußert sich ähnlich: "Die Vereinigten Staaten sind das Land für den kleinen, unwissenden Bauern, der kein anderes Ideal kennt als täglich Speck zu fressen, und für den Geschäftsmann, der unter jeder Bedingung reich werden will."

Ein prominenter Auswanderer, der Deutsche Follen, kämpft "als guter Amerikaner, guter Deutscher und guter Christ" unentwegt für die Negerbefreiung. Da die Deutschen aus moralischen Gründen die Sklavenhaltung ablehnen, fordert die Urbarmachung des sumpfigen Landes in Missouri unter ihnen viele Todesopfer. In diesem Staat spielt der Deutsche Münch als Senator eine wichtige Rolle mit seiner 8,000 Mann zählenden Bürgerwehr der Stadt St. Louis im Sezessionskrieg auf der Seite des Nordens.

Einer der bedeutendsten deutschen Einwanderer wird der Wirtschaftsprofessor Friedrich List aus Reutlingen. Als "Aufständiger" war er unter fadenscheinigen Argumenten auf der Festung Hohenasperg eingekerkert worden und nur gegen das Versprechen, auszuwandern, von dort entlassen. List wird nach seiner Ankunft, wie so viele, zunächst Farmer, dann Schriftleiter des unparteiischen Readinger Adler. In Pennsylvania ist er erfolgreich bei der Suche nach Kohle, die dort im Tagebau gefördert werden kann. Er gründet zu ihrer Gewinnung eine Eisenbahn- und Kanalgesellschaft, wird damit, auch in seinem öffentlichen Auftreten für seinen Freund, den Präsidentschaftskandidaten Jackson, ein erfolgreicher und angesehener Mann. Doch List kann sich von seinem Heimatland, trotz aller Bitternisse, Demütigungen und Verfolgungen nicht lösen. Mit neu gewonnenen Erkenntnissen und praktischen Erfahrungen in der Neuen Welt kehrt er in die Heimat zurück, nicht ohne vorher den Amerikanern von seiner genialen Schau des Wirtschaftslebens wertvolle Ratschläge hinterlassen zu haben:

"Ihr müßt auf die Einfuhr englischer Waren Zölle legen, euch vom Ausland unabhängig machen! Ihr habt England vorne hinausgeworfen, aber es hat sich rückwärts wieder bei euch eingeschlichen." Weiter: "Die englische Theorie ist, daß jeder ein Idiot ist, der nicht glaubt, daß ewiger Friede unter allen Nationen herrscht. Warum hat dann England in den letzten Jahren zweimal Krieg mit Amerika geführt und über 20 Jahre lang mit Frankreich? Wenn England vom Weltfrieden spricht, meint es, daß sich niemand in der Welt gegen England erheben darf... Es ist sehr schlau von England, daß es von der Menschheit und ewigem Frieden redet und nur an seinen eigenen Vorteil denkt. Die Vernunft jedoch gebietet, die Beweggründe eines Staates nicht nach den Vorwänden zu beurteilen, die er erfindet, um seine Absichten zu verdunkeln."

Der Adler wird so erfolgreich, daß er von allen maßgebenden Amerikanern gelesen wird, und Andrew Jackson, der angesehenste Staatsmann Amerikas, beglückwünscht List öffentlich. Seine Dankesworte: "Herr Professor List hat uns nachgewiesen, daß ein Land nur dann gesund zu sein vermag, wenn Ackerbau und Industrie, die beiden Hauptveranlagungen des Menschen, im Wechselspiel des Gleichgewichtes stehen... Wir beschließen hiermit (ferner), Herrn Lists Aufsätze gesammelt herauszugeben und in den Bibliotheken unseres Landes zur Verteilung zu bringen."

List selbst ist sich als gesamtdeutscher Patriot darüber im klaren, daß die Massenauswanderung nach Amerika "ein die Lebenskraft des Körpers verzehrender Krebsschaden ist. Welchen gewaltigen Strom von Macht läßt Deutschland nach dem Ozean fließen!"

Mit Führernaturen wie List, Münch oder Follen, die sich für den Erhalt deutscher Sprache und Kultur einsetzen, hätte es eigentlich möglich sein müssen, ein nationales Bewußtsein unter den Einwanderern zu schaffen. Wenn dies nicht gelang, so lag das vorwiegend an denen, die es in der Neuen Welt zu etwas gebracht hatten und denen in ihrem neuen Status das Verständnis für die Pflege deutscher Art und deutschen Brauchtums abging. Man mochte noch gewisse kulturelle Bande, so die deutsche "Gemütlichkeit" weiter pflegen, aber in politischer Hinsicht sind die schon "Etablierten" allzuschnell bereit, sich an das schon angelsächsisch geprägte politische Gefüge anzupassen. Da hilft auch kein Appell wie der vom Deutschen Verein in Missouri an den deutschstämmigen Gouverneur von Pennsylvania, Ritner, den Staat offiziell zweisprachig zu machen, da "doch nur deutscher Fleiß und deutsche Biederkeit den Wohlstand Pennsylvanias begründet und die Wildnis urbar gemacht haben." Zwar kommt es 1837 zu einer Regelung, wonach Gesetze in Pennsylvania auch auf Deutsch gedruckt werden müssen. Aber in der eingesessenen deutschen Presse überwiegt nicht das politisch-nationale, sondern das geistliche Element. Es ist diese kleinkarierte Sektiererei, den Kleinstaatengeist des Mutterlandes widerspiegelnd, die die Deutschen hoffnungslos in die Arme der politisch überlegenen Yankee-Maschinerie treibt.

Die Kirche Luthers z.B., statt im neuen Land zusammenzuhalten, spaltet sich in immer neue Sprosse auf und bewirkt eine verhängnisvolle Selbstzerfleischung und damit auch politische Entmachtung der Deutschen. Ein Grund für Bismarcks Pressesekretär Moritz Busch, mit beißendem Spott über die "deutsche Ohnmacht in Amerika" zu schreiben!

Im Revolutionsjahr 1848 handeln die Deutschen der USA in ihrer "Adresse an das Deutsche Volk" einmal einheitlich: "Kein Österreicher, kein Preuße! Ein einziges Deutschland! Ein Fürst sprach's, und es blieb leerer Schall, ein Volk will es, und es wird zur That! Gott segne Deutschland!" Das klingt wie der stürmische Ruf der Mitteldeutschen vor dem Fall der Berliner Mauer: WIR SIND DAS VOLK!


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