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II. 4. Polnische Assimilierungstendenzen (Teil 4)

c) Der Kampf um die Kirche

Die polnischen Assimilierungstendenzen wirkten sich auch in der Kirche aus, da die polnischen maßgeblichen Kreise aus eigener Erfahrung wussten, was für eine große Bedeutung die Kirche im Volkstumskampf spielen kann, besonders dann, wenn die unterdrückte Volksgruppe sich konfessionsmässig vom Staatsvolk unterscheidet. Zur Zeit der polnischen Unfreiheit hatte die von bewussten Polen geführte katholische Kirche sowohl im damaligen preußischen als auch im russischen Teilgebiet ein Hort des Polentums dargestellt. Da sich die deutsche Volksgruppe in neuen Polen zu über 70% von dem Glauben des Staatsvolkes unterschied und der Volksmund im allgemeinen polnisch mit katholisch und deutsch mit evangelisch gleichsetzte, war man polnischerseits von Anfang an bestrebt, sich einen bestimmten Einfluss auf die evangelische Kirche zu sichern, nicht nur, um sie zu keinem Hort des Deutschtums werden zu lassen, sondern auch, um sie nach Möglichkeit als Polonisierungsinstrument einschalten zu können. Tatsächlich spielte die evangelische Kirche in allen deutschen Siedlungsgebieten eine überaus große Rolle. So haben wir sie bereits als Träger des deutschen Privatschulwesens in Galizien und Wolhynien kennengelernt.


[187]
Die Lage der unierten Kirchen in Posen-Westpreußen

Sogar in Posen-Westpreußen, in einem Gebiet, in dem die Deutschen über verschiedene kulturelle und wirtschaftliche Organisationen verfügten, war die Tätigkeit der evangelisch-unierten Kirche auch für die Volkstumserhaltung von großer Bedeutung. Sie war fast rein deutsch, die wenigen ihr angehörenden Polnischsprachigen im Soldauer Gebiet und in der Schildberg-Kempener Gegend hatten vollkommenes Vertrauen zu ihren zwar deutschen, aber zweisprachigen Pastoren, so daß von dieser Seite her keine Komplikationen drohten. Nur die rechtliche Lage der Kirche war nicht geklärt, da die beiden Konsistorialbezirke Posen und Westpreußen der Altpreußischen Union angehört hatten und dem Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin unterstellt gewesen waren. Die beiden Bezirke hatten sich sofort nach der Abtrennung zu einem einheitlichen Landessynodalverband unter dem Posener Generalsuperintendenten D. Paul Blum zusammengeschlossen. Die polnischen Behörden wollten nun dieser Kirche eine Verfassung aufdrängen, laut welcher der Präsident des Konsistoriums und die Mitglieder desselben auf Antrag vom Staatsoberhaupt ernannt und bestätigt werden sollten. Die Geistlichen sollten nur noch an der Warschauer theologischen Fakultät ausgebildet werden und dem polnischen Staat den Treueid leisten.

Da die Kirche diese Versuche einer polnischen Einflussnahme standhaft und geschlossen ablehnte, blieb ihre rechtliche Lage in der Schwebe. 1928/29 hatte zwar die Synode einen Verfassungsentwurf ausgearbeitet und denselben der Regierung zugeleitet, die aber keine Stellung dazu nahm. Daraufhin nahm die Synodalversammlung am 24. 2. 1938 eine überarbeitete neue Kirchenordnung an, aber auch hierzu äußerte sich der Staat nicht. Dieser Schwebezustand wäre unhaltbar geworden, wenn die Spitze der Kirche hätte neugebildet werden müssen. Damit es nicht dazu käme und kein [188] Pole evtl. kommissarisch eingesetzt würde, blieb der greise, 1862 geborene D. Blum immer noch im Amt, obwohl er schon längst in den Ruhestand hätte treten können. Auf diese Weise brauchte diese Kirche im Gegensatz zu Ostoberschlesien und Mittelpolen keinen staatlichen Eingriff zu erleiden. Jedoch brachte der Schwebezustand Nachteile mit sich, da die Behörden die Kirche übersahen und ihre Wünsche mit Schweigen übergingen. Die Innere Mission dieser Kirche war sehr ausgebaut und unterhielt viele Anstalten, wodurch sich oft Reibungen ergaben, als z. B. die polnischen Behörden Kirchenbesitz als von der Ansiedlungskommission herrührend liquidierten und dergl. mehr.

Nach 1934/35 wurde in Thorn der Diakonissen-Krankenhausverein wegen angeblicher Formfehler aufgelöst und das ihm gehörende Krankenhausgebäude dem Kreis übereignet. In Obornik wurde in derselben Zeit die alte, seit 1820 evangelische Kirche als ehemaliger Dominikanerbesitz der katholischen (polnischen) Gemeinde übertragen, aber erst, nachdem die nichtsahnenden deutsch-evangelische Gemeinde die Kirche unter erheblichen Geldaufwand gründlich renoviert hatte. Weitere Schwierigkeiten ergaben sich beim Pfarrerstand. Die meisten reichsdeutschen Geistlichen wurden schon in den zwanziger Jahren ausgewiesen. Zwecks Sicherung des Nachwuchses war nach Abtrennung des Gebietes in Posen zur Fortführung der im Reich absolvierten Studien ein Predigerseminar eingerichtet worden, das allmählich zu einer Theologischen Schule erweitert werden musste, da die Behörden den Theologiestudenten im Hinblick auf das Vorhandensein der Warschauer Fakultät keine Studienpässe und in den letzten Jahren überhaupt keine Ausreisegenehmigung ins Reich erteilen wollten. Vor allem aber wurde der Konfirmandenunterricht und der Kindergottesdienst von den Behörden mit Argwohn betrachtet, da die Pfarrer und ihre Helfer im Laufe der Zeit mit Kindern [189] zu tun bekamen, denen erst im Gebrauch der deutschen Sprache nachgeholfen werden musste, bevor mit der religiösen Unterweisung begonnen werden konnte. Die deswegen gegen Diakone und Pastoren eingeleiteten Strafverfahren wegen "illegalen" Unterrichts wurden erst durch eine Anfang 1934 getroffene Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichtes hinfällig, da letzteres die Ausgestaltung der Kindergottesdienste nicht beanstandete. Trotzdem wurden immer wieder Gemeindehelfer von der Polizei schikaniert. Nach einer am 5. 12. 1938 stattgefundenen Visitation eines Gemeindehelferkurses in Langenolingen wurden sogar der leitende Pfarrer und seine Mitarbeiter am 19. 6. 1939 vom Bezirksgericht Gnesen wegen "unerlaubten Privatunterrichtes" zu hohen Geldstrafen (von 800 bis 2000 Zl.) rechtskräftig verurteilt. Im Jahre 1938 hatten 11 kirchliche Helfer und Helferinnen Strafverfügungen erhalten, 14 weitere Fälle schwebten in derselben Zeit vor dem Verwaltungsgericht.

Für die Posener Kirche war ihre Aufgeschlossenheit gegenüber allen Nöten in der gesamten Volksgruppe ohne Rücksicht auf Konfession und Siedlungsgebiet kennzeichnend. Sie war lange Jahre Hauptträger des interkonfessionellen "Deutschen Wohlfahrtsdienstes", Posen und an dessen "Winterhilfe" beteiligt, sie hatte die ursprünglich nur für das abgetretene Gebiet bestimmte Ferienkinderverschickung ins Reich auf das Lodzer Gebiet ausgedehnt und die 1926 gegründete "Wolhynienhilfe" veranlasst. Der rege "Evangelische Pressverband" gab einen eigenen Zeitungsdienst heraus, der der ganzen Volksgruppe galt. Dieses einwandfrei deutschen Charakters und der deutschen Haltung wegen war die Kirche den Polen ein Dorn im Auge. So wurden die Kirchentagungen von der polnischen Presse gern als "Heerschauen des Deutschtums" bezeichnet. Die unierten Geistlichen wurden - da sie durchweg Deutsche waren - nicht nur im Verhältnis zum katholischen, so gut wie reinpolnischen [190] Klerus benachteiligt, da die katholische Kirche schon nach der Verfassung die erste Rolle unter den gleichberechtigten Konfessionen spielte, sondern auch im Verhältnis zu der bewusst polnischen Leitung der evangelisch-augsburgischen Kirche. Obwohl ein gutes Drittel aller Evangelischen in Polen einer unierten Kirche angehörte, wurden als Militärpfarrer und auch sonst bei offiziellen Anlässen von den Behörden nur polnische Angehörige der ausgburgischen Kirche herangezogen.



Der Charakter der augsburgischen Kirche

Diese evangelisch-augsburgische Kirche war bei weitem die größte der sechs evangelischen Kirchen in Polen, ihr gehörten über 50% aller Evangelischen an. Im Leben des mittelpolnischen Deutschtums spielte sie eine noch größere Rolle als z. B. die Kirche in den Westgebieten. Da außerdem bei dem nun zu schildernden staatlichen Eingriff in diese Kirche die polnischen Assimilierungstendenzen ganz unverhüllt zu Tage traten, ist eine eingehendere Darstellung der dortigen Verhältnisse angezeigt, um so mehr als sich in Mittelpolen in dieser Hinsicht Besonderheiten entwickelt hatten, die z. B. die vom Reich abgetrennten Gebiete nicht kannten.

Sitz der Kirchenleitung war Warschau. Die Kirche umfasste die Evangelischen Mittelpolens, Wolhyniens, der Nordostwojewodschaften, des Teschener Schlesiens, ferner die Gemeinde Krakau sowie einige kleinere Gemeinden in Posen-Westpreußen, die in den ersten Nachkriegsjahren in den größeren Städten von nach dorthin verzogenen Angehörigen dieser Kirche gegründet worden waren. Dem Volkstum nach waren 81,6% deutsch, 18,4% polnisch,110 die Kirchenleitung aber war zu 100% polnisch. Das ländliche Deutschtum Mittelpolens, des Hauptgebietes dieser Kirche, war zwar im Kern deutsch geblieben, aber ein an sich kleiner Teil, vor allem die [191] städtische Intelligenz dieses Gebietes, besonders soweit sie in völkischer Zerstreuung - also außerhalb des Lodzer Industriegebietes - lebte, hatte sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts zum Teil polonisiert. Gerade die Pastoren, die auf Grund der von russischen Zaren 1894 erlassenen Verfassung dieser Kirche nicht in Deutschland, sondern nur in Dorpat (Baltikum) studiert haben durften und dort auf landsmannschaftlicher Basis mit polnischen Studenten zusammengelebt hatten, fanden auch während ihrer beruflichen Tätigkeit in den Städten Anschluss an die polnische Intelligenz, da sie sonst nur den deutschen Bauern oder den russischen Beamten zur Auswahl hatten. Da die Verfassung der Kirche die staatskirchlich und konsistorial gehalten war, hatte seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts polnisch gewordene Kirchenleitung einen starken Einfluss. Sie benutzte ihn, um die Pastorenschaft im polnischen Sinne zu beeinflussen. Die polonisierten Kreise schwärmten vom polnischen "Evangelizismus" und vertraten die Meinung, die evangelische Kirche müsste in Polen missionierend wirken. Um aber den Polen zusagen zu können, müsste sie sich ihres deutschen Charakters entkleiden, als polnisch gewordene Kirche würde sie die Polen für den evangelischen Glauben gewinnen können.

Dieser von den volksbewussten Kreisen innerhalb der an sich deutschgebliebenen Kirche auf das schärfste abgelehnte Standpunkt war aber auch kirchlich nicht haltbar, da die im Polentum aufgegangenen kleinen Stadtgemeinden keinen Polen für die evangelische Kirche gewannen, wohl aber ihre Glieder an den Katholizismus verloren. Der prominenteste Vertreter des polnischen "Evangelizismus" wurde Generalsuperintendent Julius Bursche, seit 1905 Oberhaupt der augsburgischen Kirche. Auch er war deutscher Abstammung, aber schon im polnischen Geiste groß geworden und bestrebt, den "Makel" der deutschen Abstammung durch [192] desto eifrigeren Einsatz für die polnische Sache wettzumachen. Da das ländliche Deutschtum Mittelpolens damals so gut wie keine volksbewusste Intelligenz hatte und über keine Organisationen wirtschaftlicher oder kultureller Art verfügte, war der Einfluss der Kirche und der Pastoren desto größer. So waren auch die Dorfschulen, die sogen. Kantoratsschulen bis zum ersten Weltkrieg halbkirchliche Einrichtungen gewesen und den Pastoren unterstellt.

Auch im neuen Polen hatten die Pastoren Einflussmöglichkeiten auf das Schulwesen. Dort, wo auf dem flachen Land der deutsche Charakter der öffentlichen Schulen am längsten gewahrt blieb, wie z. B. im Kreise Lipno oder bei Grodziec, oder wo eine deutsche Privatschule gegründet worden war, z. B. in Sompolno, war es das Verdienst eines der wenigen deutschen Pastoren. Wo aber die deutschen Volksschulen am schnellsten polnisiert worden waren, hatten polnisch eingestellte Pfarrer ihre Hand mit im Spiel gehabt, z. B. in Tomaschow und in Zdunska Wola. Bursche, ein guter Diplomat und Menschenkenner, verstand es nun, seine Pastoren je nach Eignung in solche Gemeinden anzusetzen, wo sie den Assimilierungsprozess am erfolgreichsten vorwärtszutreiben imstande waren, wo sie erst polnische Predigten einführten oder schon deutsche Gottesdienste abschaffen konnten.

Da das Kirchengesetz von 1849 ganz auf die Verhältnisse im zaristischen Russland zugeschnitten und auch sonst veraltet war, sollte es durch ein neues ersetzt werden. Bereits 1922/23 hatte eine verfassungsgebende Synode getagt, die nach schweren Kämpfen einen Gesetzesentwurf über das Verhältnis der Kirche zum Staate sowie den Entwurf einer Kirchenverfassung angenommen hatte. Schon bei den Wahlen zu dieser Synode hatte es sich gezeigt, daß das Kirchenvolk trotz der jahrzehntelangen polonisierenden Tätigkeit der meisten Pastoren deutsch geblieben war. Die gewählten Laienvertreter [193] hatten daher zusammen mit den wenigen deutschgebliebenen älteren Pastoren und mit einigen hinzugekommenen jüngeren, die während des Krieges im Reich studiert hatten, bei den Gesetzesberatungen durchzusetzen verstanden, daß dem Laienelement, das in der zaristischen Kirchenverfassung überhaupt keine Rolle gespielt hatte, der ihm gebührende Einfluss eingeräumt wurde, was nun Bursche überhaupt nicht zusagte. Darüber hinaus waren die Einflussmöglichkeiten des Staates auf die innerkirchlichen Dinge im freiheitlichen Sinne gehalten. Obwohl dieser Gesetzesentwurf einstimmig angenommen worden war und eine damit beauftragte Synodalkommission von vier Deutschen, vier Polen und Bursche als Vorsitzender eine baldige Bestätigung dieser Entwürfe durch die Regierung betreiben sollte, kam es nie zur Verhandlungen über diesen Entwurf, was nur an Bursche gelegen haben kann, da er bei der Regierung persona grata war. Während seiner zwanzigjährigen Tätigkeit hatte er sich schon wiederholt allseits anerkannte Verdienste um die polnische Sache erworben. So war er bei den Versailler Friedensvertragsverhandlungen als Sprecher für die kongresspolnischen evangelischen Deutschen und als Kronzeuge für die vielgerühmte polnische Toleranz aufgetreten, um so den Alliierten die Abtretung der deutschen Gebiete schmackhaft zu machen. U. a. war es auch ihm zuzuschreiben, daß die Bestimmungen des Minderheitenschutzvertrages betreffend das öffentliche Schulwesen nur für das ehemalige preußische Teilgebiet galten, da er erklärt hatte, daß die in Kongresspolen lebenden Deutschen diese Schutzbestimmungen nicht für erforderlich hielten. Während des Abstimmungskampfes in Ostpreußen hatte er im April 1919 in Aufrufen an die evangelischen Masuren diese für den polnischen Staat zu gewinnen versucht. Im neuen Polen hatte er gegen deutsche Wahllisten und gegen deutsche Genossenschaftsgründungen "evangelische" [194] Konkurrenzunternehmungen aufzuziehen versucht und später deutschfeindliche Aufrufe des Westverbandes mitunterzeichnet. Auf Grund dieser Betätigung war Bursche auch der Orden "Polonia restituta" verliehen worden.

Die Gesetzesentwürfe waren am 10. April 1923 beschlossen worden, aber innerhalb der darauffolgenden zehn Jahre hatte die Synodalkommission noch nicht ein einziges Mal im Ministerium über die Entwürfe verhandeln können. Für die Verzögerung wurden immer andere Ausflüchte außen- und innenpolitischer Art gefunden. In Wirklichkeit wartete Bursche ab. Er hatte wohl wie viele andere Polen gehofft, daß die Polonisierung seiner Glaubensgenossen im polnischen Staat rasche Fortschritte machen würde und daß die deutsche Haltung des Kirchenvolkes als angebliches Überbleibsel der deutschen Besatzung während des Weltkrieges mit der Zeit verfliegen würde. Aber diese Hoffnungen erwiesen sich als trügerisch. Hatten sich bei der ersten Volkszählung in Mittelpolen nur 168000 zum deutschen Volkstum bekannt, so waren es 1931 immerhin 262000. Der polnische Druck hatte wohl den Deutschen erst recht ihre Eigenart zum Bewusstsein gebracht. Obwohl alle neuen Pastoren an der neugegründeten, im polnischen Geiste geführten evangelischen Fakultät in Warschau studiert haben mussten, war der Pastorennachwuchs zum Teil deutsch. Die Gemeinden fingen an, "bewährte" polnisch gesinnte Pastoren abzulehnen und ihnen junge, unbekannte, aber deutsche Pfarrer vorzuziehen, von denen sie wussten, daß sie während ihres Studiums in Warschau dem "Verein Deutscher Hochschüler" angehört hatten.

All das und die im Jahre 1933 verstärkte deutschfeindliche Haltung in der polnischen Öffentlichkeit dürften dazu beigetragen haben, daß sich Bursche und seine Gesinnungsgenossen in der Regierung jetzt zum Handeln entschlossen. Im Herbst 1933 wurden nun durch eine Indiskretion neue im [195] Kulturministerium und im Konsistorium ausgearbeitete Gesetzesentwürfe bekannt, die sich von denen, die die Synode beschlossen hatte, wesentlich unterscheiden. Vor allem wurde die Einmischung des Staates auch in Personalangelegenheiten sehr verstärkt, die Stellung des Bischofs ausgebaut und die des Laienelements zurückgedrängt. In weiten Kreisen der Kirche entstand Beunruhigung, so daß Bursche die Gesetzesentwürfe am 6./7. Februar 1934 einer Pastorensynode zur Begutachtung vorlegen musste. Die inzwischen zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossenen deutschen Pastoren (etwa 68) machten viele, auch polnischerseits nicht von der Hand zu weisende Bedenken gegen den Entwurf geltend, so daß der Generalsuperintendent neue Beratungen in Aussicht stellte. Aber er verzichtete nicht auf seine Pläne, er bzw. die Regierung konnte sich jedoch damals noch nicht - vielleicht unter dem Eindruck des eben abgeschlossenen deutsch-polnischen Nichtangriffspaktes - zu einem rigorosen Vorgehen entschließen. Erst als im Laufe des Jahres 1935 der autoritäre Charakter Polens mehr ausgebaut worden war und im Sommer 1936 Sejm und Senat den Staatspräsidenten ermächtigten, eine Anzahl von Gesetzen ohne weitere parlamentarische Beratung zu erlassen, wurde darunter auch ein Entwurf über das Verhältnis der augsburgischen Kirche zum Staat mit aufgeführt.



Das Kirchengesetz vom 25. 11. 1936

Dieser Entwurf, den die Mitglieder der Synodalkommission erst im Oktober desselben Jahres erhielten, war noch schärfer als der des Jahres 1933. Die deutschen Mitglieder der Kommission mit Senator Utta als Wortführer mussten ihn schon deswegen ablehnen, weil diese Kommission nur mit der Verhandlung über den seinerzeit beschlossenen Gesetzesentwurf beauftragt war, aber kein Recht hatte, zu einem vollkommen neuen Stellung zu nehmen. Dem Verlangen der Deutschen, daher [196] die verfassungsgebende Synode wieder einzuberufen, wurde aber nicht entsprochen, so daß die Deutschen den Beratungen der Kommission fernblieben. Obwohl dann von den neuen gewählten Kommissionsmitgliedern nur noch vier ihre Zustimmung zu dem neu vorgelegten Entwurf gaben - ein polnisches Mitglied war in diesen Tagen sterbenskrank -, wurde dieser Entwurf über das Verhältnis der Kirche zum Staat in Dekretform am 25. November 1936 vom Staatspräsidenten erlassen. Er trat am 27. Dezember in Kraft, vier Tage darauf wurde das mit Beschluss des Ministerrates vom 17. 12. 36 anerkannte "Innere Grundgesetz der Evangelisch-augsburgischen Kirche" veröffentlicht ohne daß es vorher überhaupt einmal dem deutschen Teil der Synodalkommission zur Kenntnis gebracht worden wäre. Auf diese Weise zwang der vom Zaren ernannte polnische Generalsuperintendent gemeinsam mit der polnisch-katholischen Regierung der evangelischen, zu 82% deutschen Kirche ohne und gegen den Willen ihrer rechtmäßigen Vertretung, der verfassungsgebenden Synode, eine neue Kirchenverfassung auf, obwohl sich die Kirchen laut Staatsverfassung nach eigenen Gesetzen regieren sollten.

Diese Kirchenverfassung war unter fast völligem Ausschluss der kirchlichen Öffentlichkeit zustande gekommen, da die Regierung jede Erörterung in der Presse unterband. Die Lodzer Freie Presse wurde in diesem Zusammenhang in 3 Wochen 11 mal beschlagnahmt. Alle Proteste der Gemeinde, Kirchenkollegien und der deutschen Pastorenschaft selbst bei den höchsten Staatsstellen gegen die Vergewaltigung des Kirchenvolkes verhallten ungehört. Die Gesetze wären ohne diesen Druck auch von keiner kirchlichen Körperschaft angenommen worden. Sogar eine beachtliche polnisch-evangelische Richtung lehnte sie ab. Das "Äußere Gesetz", das das Verhältnis des Staates zur Kirche regelte, gestand der Regierung nämlich so weitgehende Einmischungsrechte, auch in die inneren Angelegenheiten der [197] Kirche zu, wie sie in der Staatsverfassung gar nicht vorgesehen waren. Sämtliche Berufungen bzw. Wahlen von Pfarrern, Senioren und Konsistorialräten unterlagen dem Einspruchsrecht des Wojewoden oder des Kultusministers, die auch die Amtsenthebung eines jeden Pfarrers verlangen konnten, so daß ein Pole (Jakub Sawicki) dazu feststellen konnte, "daß der Staat ein höchst vollkommenes System ausgebaut habe, das mit ganz geringen Ausnahmen jede Personalveränderung der kirchlichen Behörden der Kontrolle und der Ingerenz des Staates unterwerfe".111 Ferner bedurften auch innerkirchliche Gesetze der Genehmigung des Kultusministers, und die Kirchengemeinden durften über ihr Vermögen nur mit Zustimmung des Wojewoden verfügen. (Durch diese Bestimmung konnte die Errichtung deutscher Volksschulen durch evangelische Kirchengemeinden unterbunden werden.) Die Amtssprache der Kirche war polnisch. Das "Innere Grundgesetz" war ganz auf die ehrgeizige Persönlichkeit Bursches zugeschnitten. Der Oberhirte führte nun den Titel "Bischof" und war zugleich Präses der Synode sowie Präsident des Konsistoriums. Er hatte somit fast diktatorische Vollmachten. Auch konnte er von den 54 Mitgliedern der Synode 5 von sich aus ernennen und wurde selbst nicht von der Synode gewählt, sondern von einem Wahlausschuss, der sich überwiegend aus kirchlichen Würdenträgern zusammensetzte, die zuvor in ihrem Amt von der Regierung bestätigt worden waren. Das Laienelement war in der Synode schwächer vertreten, als es in den vorigen Entwürfen vorgesehen war, aber immerhin sollten von den Gemeinden innerhalb der 10 Diözesen 30 Laiendelegierte gewählt und in die Synode entsandt werden. Durch die im Gesetz neu vorgenommene Einteilung der Diözesen und die willkürliche Stimmenverteilung war die polnische Minderheit in der Kirche künstlich gestärkt worden. [198]

Diese Bestimmungen und vor allem auch die Art und Weise der Einführung der neuen Kirchenordnung hatten in den deutschen Gemeinden den schon 1922 ausgesprochenen Wunsch nach völliger Trennung von dem polnischen Kirchenteil wieder aufkommen lassen. Man war sich aber darüber klar, daß die Regierung es nie dazu würde kommen lassen, weil dann die Mehrzahl der polnischen Pastoren ohne Gemeinden geblieben wäre. Daher setzte sich im deutschen Kirchenvolk der Gedanke durch, die in dem Gesetz noch vorhandenen, wenigstens zum Teil demokratischen Möglichkeiten auszunutzen und dadurch dem deutschen Element in den neuzubildenden kirchlichen Körperschaften eine möglichst starke Vertretung zu sichern.

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110von Bierschenk, Theodor nachgewiesen in: Deutsche Monatshefte in Polen. Jg. V S. 4-14; Leipzig 1939/40. ...zurück...

111Osteuropa. Jg. XIII S. 721ff; Königsberg 1938. ...zurück...

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Die deutsche Volksgruppe in Polen 1934-1939