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II. 4. Polnische Assimilierungstendenzen (Teil 3)

b) Der Kampf um die Schule (Teil 3)

Die polnischen Maßnahmen gegen das Privatschulwesen

Der Umstand, daß dem Deutschtum in Polen viel zu wenig öffentliche muttersprachliche Schulen zur Verfügung standen, wäre längst nicht so verhängnisvoll gewesen, wenn sich an deren Stelle das Privatschulwesen ungehindert hätte entfalten können. Wie schon aus den bisher gebrachten Zahlenangaben über die Einschulung deutscher Kinder (die die Privatschulen besuchenden schulpflichtigen Kinder sind in der Tabelle oben mitenthalten) zu entnehmen war, spielten die Privatschulen im Verhältnis zur Masse der schulpflichtigen Kinder nur in einigen Siedlungsgebieten eine gewisse, in den anderen jedoch zahlenmäßig nur eine sehr bescheidene Rolle. Das lag aber nicht an der Volksgruppe, da in jedem Siedlungsgebiet immer wieder Anstrengungen unternommen worden waren, um das Privatschulwesen auszubauen. Es hat auch niemals an dem notwendigen Opferwillen der Eltern gefehlt. Wir müssen daran erinnern, daß die Gründung und Erhaltung von fremdsprachigen Privatschulen sowohl in dem für das ganze Staatsgebiet geltenden Art. 8 des Minderheitenschutzvertrages als auch im Art. 110 der polnische Verfassung sichergestellt war. Von besonderer Wichtigkeit hätte [174] auch Art. 109 der Staatsverfassung werden können, da die darin vorgesehenen "autonomen Minderheitenverbände" die Träger eines Privatschulwesens hätte werden können. Aber gerade die Nichteinlösung dieses Versprechens und die Nichtzulassung eines Gesamtschulvereines für Posen-Westpreußen oder für Mittelpolen, geschweige denn eines solchen für das ganze Staatsgebiet, stellten schon ein gewichtiges Hemmnis dar. Jede örtliche Stelle, sei es ein Schul- oder Elternverein, eine evangelische Kirchengemeinde oder eine Privatperson, musste für sich allein das Recht erkämpfen, eine Schule errichten, bauen, fortführen oder ausbauen zu können. Die Konzession zur Führung einer Privatschule wurde immer wieder verweigert, bestritten, entzogen, widerrufen oder nur von Jahr zu Jahr gewährt, ebenso die Genehmigung zur Leitung und die Unterrichtserlaubnis. Die Schulgebäude wurden beinahe alljährlich beanstandet.

Diesen in Mittelpolen schon von 1919 an gemachten Schwierigkeiten waren bereits in den ersten Jahren 4 von 6 außerhalb von Lodz gelegene, während des 1. Weltkrieges von ansässiger deutscher Seite gegründete höhere Privatschulen erlegen. In Posen-Westpreußen kümmerten sich die Behörden in den ersten Jahren weniger um die deutschen Privatschulen (weil deren Hauptaugenmerk damals auf die Polonisierung der staatlichen gerichtet gewesen war), so daß dort deren Zahl von 53 im Jahre 1920 auf 117 im Jahre 1926 hatte ansteigen können. Aber am 25. 1. 1927 hatte das Posener Schulkuratorium in einem Rundschreiben gegen die "unerwünschte Ausbreitung des Privatschulwesens" Stellung genommen und den Kreisschulräten aufgetragen, nach Gründen zur Schließung der Schulen zu suchen.102

Die Absicht des Bromberger Schulvereins, den Verlust von geschlossenen Schulen durch Neugründungen wettzumachen, ließ sich nur z. T. verwirklichen. Besonders in Westpreußen wiesen die Kreisschulräte die Anträge auf Eröffnung [175] von deutschen Privatschulen immer wieder ab, so daß dort schon in den ersten 12 Jahren von 23 wohlvorbereiteten Schulgründungen nur 5 genehmigt wurden. War also die polnische Schulpolitik in dieser Hinsicht in den zwanziger Jahren mehr von gebietlichen Gesichtspunkten her bestimmt, so änderte sich das, als am 11. März 1932 von den Warschauer Zentralbehörden ein neues Privatschulgesetz erlassen wurde, das zwar einheitliche Richtlinien für das ganze Staatsgebiet brachte, das aber anstelle fixierter Rechtsgrundsätze nahezu unbegrenzte Ermessensvollmachten an die Unterrichtsbehörden enthielt. So hatten diese laut Art. IV dieses Gesetzes das Recht, jede Privatschule zu schließen, wenn der behördliche Meinung nach der Unterricht oder die Erziehung der Jugend in einem illoyalen Sinne erfolgten. Dazu hatte der Unterrichtsminister am 23. 1. 1933 im Haushaltsausschuss des Sejm erklärt, daß er "von den Minderheitenschulen nicht nur eine äußere Loyalität, sondern direkt ein positives Verhältnis zum polnischen Staatsmann" verlange. Die Auslegung dieser Richtlinie blieb den unteren Behörden überlassen. Im Art. 5 des Gesetzes wurde von den Privatschulen mit nichtpolnischer Unterrichtssprache verlangt, daß "die Unterrichtsgegenstände in dieser Sprache (polnisch) ein solches Ganzes bilden, daß die Jugend die genaue Kenntnis der Staatssprache erwerben kann". Auf Grund dieser Paragraphen wurde den deutschen Privatschulen am 30. 5. 1933 aufgetragen, für Geschichte und Erdkunde die polnische Unterrichtssprache einzuführen. Als das Fünferkomitee des Völkerbundrates im April 1934 zu der Eingabe polendeutscher Parlamentarier vom 5. 5. 1932 betreffend die Verwaltungspraxis gegenüber dem Privatschulwesen Stellung nahm, wurde u. a. diese polnische Maßnahme nicht gebilligt, so daß der Unterrichtsminister die entsprechende Verfügung zurückziehen musste. Da jedoch [176] die Schulbehörden weiterhin auf dieser Forderung bestanden, blieb bei den Privatschulen in Mittelpolen und Galizien, wo die deutschen Kinder im allgemeinen über bessere polnische Sprachkenntnisse verfügten als in Posen-Westpreußen, für Erdkunde und Geschichte Polnisch als Unterrichtssprache.103

Auf Grund des neuen Gesetzes konnte von jedem, der eine Privatschule eröffnen oder auch nur an einer solchen unterrichten wollte, das sogen. Loyalitätszeugnis verlangt werden. Wenn der dafür zuständige Starost (Landrat) das Zeugnis verweigerte, dann gab es keine Unterrichtserlaubnis, bzw. schon deswegen keine Genehmigung zur Eröffnung der Schule. Sehr viele Lehrer, die sich dem Staate gegenüber nie etwas hatten zuschulden kommen lassen, wurden auf diese Weise brotlos gemacht, um so mehr als die Verweigerung des Loyalitätszeugnisses nicht einmal begründet zu werden brauchte. Auch dieser Umstand wurde von dem Fünferkomitee beanstandet, das jeweils eine Begründung für erforderlich hielt und dabei festlegte, daß die Betätigung für die Minderheit nicht als illoyal gelten dürfte, doch blieb auch dieser Genfer Hinweis ohne praktische Bedeutung. Die Unterrichtserlaubnis und die Genehmigung zur Leitung konnten nämlich auch aus "pädagogischen Gründen" verweigert oder entzogen werden. Die Schulinspektoren hatten jedes Jahr ein Urteil über das "Niveau" einer Privatschule abzugeben, und zwar "auf breiter, allgemeinstaatlicher, politischer Basis". Von diesem Gesichtspunkt aus konnte jedem Privatschullehrer nicht nur eine evtl. deutschtumserhaltende Tätigkeit zum Verhängnis werden, sondern auch die deutsche Haltung seiner Zöglinge, wurde doch bei den Inspektionen immer wieder nach "Ergebnissen" der staatsbürgerlichen Erziehung im polnischen Geiste geforscht, die gefährdet zu sein schien, wenn z. B. deutsche Landkarten oder Atlanten mit den Reichsgrenzen von 1914 u.ä. bei den Kindern gefunden wurden. Glaubte der [177] Schulinspektor, ungenügende Leistungen in einer Schule feststellen zu müssen, dann konnte diese geschlossen werden.

Da, wie gesagt, von dem Schulkonzessionär ein Loyalitätszeugnis verlangt werden konnte, erschienen den Behörden juristische Personen als Schulträger nicht geeignet. Obwohl das erwähnte Fünferkomitee diesen Standpunkt nicht anerkannte, wurden weiterhin Konzessionen zur Eröffnung, die seit 1935 überhaupt nicht mehr gewährt wurden, und zur Weiterführung von Privatschulen nur noch an Privatpersonen, am liebsten an den Leiter oder an einen Lehrer erteilt. Die Registrierung von Schulvereinen auf Grund des neuen, gleichfalls im Jahre 1932 erlassenen Vereinsgesetzes wurde sogar als dem "Staatsinteresse widersprechend" abgelehnt. Wo die örtlichen Schulvereine noch bestanden, waren sie nur noch "Eigentümer" des Schulgrundstückes und hatten keinerlei Einflussmöglichkeiten mehr auf den Schulbetrieb, da der Konzessionär von den Behörden für alle mit der Schule zusammenhängenden Fragen verantwortlich gemacht wurde. Selbst evangelische Kirchengemeinden von Lodz und Umgebung, die in der Berichtszeit unter Vorantritt ihrer um die Erhaltung des Deutschtums bemühten Pastoren die Eröffnung von Privatvolksschulen versuchten, erhielten keine Eröffnungserlaubnis mehr, obwohl polnische evangelische Kirchengemeinden Privatschulen unterhalten und gründen konnten und das gesamte neue Privatschulwesen in Wolhynien bis 1935 von den dortigen evangelischen Kirchengemeinden aufgebaut worden war.

Von einschneidender Bedeutung war ferner die Bestimmung des Privatschulgesetzes, daß die Eignung der Schulgebäude im Sinne der polnischen Schulbauordnung 1925/26 nachgewiesen werden musste. Diesen modernen und großzügig gedachten Richtlinien entsprach verständlicherweise kaum eine vorher erbaute polnische Schule, in denen aber ruhig weiter unterrichtet wurde. Lediglich bei den Privatschulen der Volkgruppen [178] kamen diese Vorschriften zur Anwendung, indem ein deutsches Schulgebäude nach dem anderen als ungeeignet erklärt und dadurch das Weiterbestehen der Anstalt in Frage gestellt wurde. Verschiedene deutsche Privatschulen wurden tatsächlich aus diesem Grunde geschlossen, die Eröffnung anderer jahrelang verzögert oder überhaupt nicht genehmigt. Dem daraufhin vom Bromberger Schulverein für Posen-Westpreußen eingeleiteten Bauprogramm wurden laufend Schwierigkeiten gemacht. Eingereichte Baupläne wurden unter den verschiedensten Begründungen verworfen, die Weiterführung genehmigter Bauten wurde wegen winziger Abweichungen vom Bauplan untersagt. Die fertiggestellten Bauten wurden oft nicht freigegeben und standen in mehreren Fällen sowohl im Posenschen als auch in Wolhynien jahrelang leer, so daß der Schulbetrieb nicht aufgenommen werden konnte. Die Kinder wurden auf diese Weise gezwungen, das - nebenbei bemerkt schlechtere - polnische Schulgebäude zu besuchen und dort ausschließlich polnischen Unterricht zu genießen. Denn Polen war ein schularmes Land. Trotz einer großen Volksschulbauaktion konnten noch im Schuljahr 1935/36 in Polen nur 89% der schulpflichtigen Kinder eingeschult werden, in den Ostgebieten waren es nur 74,7%. Im ganzen Staatsgebiet fehlten wegen Geldmangels Schulen für rund eine halbe Million Kinder, aber die deutschen Schulbauten wurden immer wieder beanstandet und aus nichtigen Gründen nicht freigegeben. Wenn deutsche Schulvereine unter diesen Umständen z. T. prachtvolle Bauten erstellen mussten, dann hatten polnische Zeitungen und polnische Verbände wieder einen Vorwand, um die "Provozierung" der polnischen Öffentlichkeit durch die "luxuriöse" Ausführung deutscher Schulbauten anprangern und so den Hass gegen die deutsche Volksgruppe schüren zu können.

Wenn auch die Weiterführung eines Schulbetriebes in einem nicht neuen, aber umgebauten Gebäude einmal gestattet worden [179] war, so war damit die Existenz der Schule noch nicht gesichert, da nach einer gewissen Zeit wieder andere Beanstandungen erfolgen bzw. neue Richtlinien (Luftschutzkeller u.ä) herausgekommen sein konnten. Oft lösten sich auch verschiedene Behörden - Verwaltung, Schulbehörde, Bau- und Gesundheitspolizei - in den Verboten nacheinander ab, bzw. sie schoben sich gegenseitig die Verantwortung für ein ergangenes Verbot bzw. die Zuständigkeit für eine Aufhebung desselben zu, wie es z. B. die Albrecht-Dürer-Schule in Bromberg erfahren musste, deren Fertigstellung auf Grund jeweils neuer Vorwände immer wieder hinausgeschoben wurde.

Wie wirkungsvoll alle diese Maßnahmen waren, kann daraus ersehen werden, daß z. B. in Posen-Westpreußen von 1933 bis 1937 19 deutsche Privatschulen geschlossen wurden und in der Zwischenzeit, d. h. nur bis 1935, lediglich 5 neue eröffnet werden durften. Im Jahre 1938 wurden 4 weitere Schulen endgültig geschlossen, für den September 1939 war die Schließung von 12 weiteren offiziell angekündigt worden.104 In Wolhynien waren durch das neue Privatschulgesetz 80 alte Kontoratsschulen geschlossen worden, von den 40 neubeantragten, von denen schließlich 30 genehmigt wurden, konnten sich bis 1938/39 nur 23 behaupten. Vielfach gingen diese Schulschließungen nicht glatt vor sich. Der Beschwerdeweg wurde in fast allen Fällen beschritten, in verschiedenen Orten, z. B. in Neutomischel bei Posen, in Luzk (Wolhynien) und in Emmagrube (Ostoberschlesien), kam es zu Schulstreiks, weil die Eltern sich trotz erhaltener Strafmandate, die sie z. T. absitzen mussten, weigerten, ihre Kinder in die polnische Schule zu schicken, da sie doch gerade, z. T. unter großen Opfern, eine eigene deutsche Schule erbaut hatten, die wegen der ausstehenden Eignungsbescheinigungen nicht bezogen werden durfte.

[180] Das oberschlesische Privatschulwesen war durch das nach dem Erlöschen der Genfer Konvention vom Schlesischen Sejm im August 1937 angenommene Schulgesetz noch besonders stark bedroht. Das gesamtpolnische Gebiet wurde nämlich auf die Wojewodschaft Schlesien mit einigen Änderungen ausgedehnt, denen zufolge bei Beantragung der Genehmigung zur Errichtung von Privatschulen die Behörden erst die Bedürfnisfrage zu klären hatten. Ferner sollten nur solche Kinder eine Privatschule besuchen dürfen, die höchstens 3 km von dem betreffenden Schulgebäude entfernt wohnten. Die Durchführung dieser Bestimmungen hätte somit einen unerhört schweren Schlag für die dortigen Privatschulen bedeutet, so daß die Reichsregierung die schon für September 1937 vorgesehen gewesene Verkündung der Minderheitenerklärung verschob.105 Auf Grund dieser Reaktion wurden beide Bestimmungen dann nicht angewandt, sie charakterisieren aber die polnischen Tendenzen zur Unterbindung des deutschen Schulwesens mit allen Mitteln.



Die Maßnahmen gegen das höhere Schulwesen

Das höhere Schulwesen, das zuerst im Aufbau z. T. dem seinerzeitigen deutschen entsprochen hatte, wurde seit 1932 von Grund auf neu organisiert. Grundschule war nun die 7-klassige Volksschule. Wer das Abitur machen wollte, musste zuerst 6 Volksschulklassen, danach ein 4-klassiges humanistisches Gymnasium (Sekundarreife) und schließlich entweder ein humanistisches oder ein mathematisch-naturwissenschaftliches Lyzeum absolvieren. Vom Standpunkt der Nationalitätenpolitik aus war gegen diese Grundsätze natürlich nichts einzuwenden, wohl aber gegen deren Anwendung. Bei der Umorganisierung wurden nämlich von jeder Anstalt dieselben Formalitäten wie bei einer Neugründung verlangt. Die Behörden forderten ferner für jede Schulabteilung getrennte, reich ausgestattete Einrichtungen und ließen bei Nichtvollanstalten [181] keinen Aufbau, sondern nur einen Abbau zu. In Posen-Westpreußen z. B. hatten bisher, d. i. im Schuljahr 1931/32, vier Vollgymnasien, sechs 4- oder 6-klassige Gymnasien und vier Mittelschulen bestanden. Nach vollzogener Reorganisierung waren 1937/38 nur drei Vollanstalten (Volksschule, Gymnasium und Lyzeum) und ein Gymnasium neuen Typs übriggeblieben. Alle anderen Anstalten wurden in 7-klassige Volksschulen umgewandelt. Von den zwei höheren in Mittelpolen außerhalb von Lodz bestehenden Anstalten konnte sich das 8-klassige Vollgymnasium in Pabianitz nur als 4-klassiges Neugymnasium und das 6-klassige Gymnasium in Sompolno nur noch als 7-klassige Volksschule behaupten. Lediglich die drei Gymnasien in Lodz blieben Vollanstalten, hatten das aber z. T. nur dem Umstande zu verdanken, daß der dortige Schulverein polnische Schulmänner, die in nationaler Hinsicht vorurteilsfrei und aufgeschlossen waren, als Direktoren angestellt hatte. Unter letzteren konnten sich die deutschen Gymnasien übrigens ungehinderter entfalten, als unter den letzten deutschen Leitern, da sich die Behörde nach Bestallung eines polnischen Leiters weniger um den inneren Betrieb der Anstalt zu kümmern pflegten.

Von den zwei Gymnasien in Galizien erhielt nur Lemberg ein Lyzeum. In Ostoberschlesien hatten 1932 sieben höhere Privatschulen bestanden, im Schuljahr 1938/39 waren es nur noch zwei, Königshütte als Vollanstalt, Pless als 4-klassiges Gymnasium neuen Typs. Aber auch die bestätigten Anstalten hatten noch einen schweren Kampf um die sogen. Öffentlichkeitsrechte zu führen, die zeitweise sogar Gegenstand offizieller Besprechungen zwischen dem Reich und Polen waren. Abgangszeugnisse der Schulen ohne diese Rechte wurden nämlich nicht anerkannt, und nicht nur das Abitur, sondern zeitweise auch die Abschlussprüfungen am "Gymnasium" neuen Typs, sozusagen das "Kleinabitur", mussten an polnischen Anstalten vor fremden [182] Prüfungskommissionen abgelegt werden, die manchmal bis 66% der Prüflinge durchfallen ließen. Die in Polen für alle Gymnasiasten üblichen Bahnermäßigungen von 50% fielen gleichfalls weg. Daher war es für alle höheren Privatschulen eine Lebensfrage, die Öffentlichkeitsrechte zu erhalten, die aber gegebenenfalls bei deutschen Anstalten oft nur für ein Jahr erteilt wurden. Von der Gesamtzahl der im Schuljahr 1935/36 in Polen vorhanden gewesenen 408 höheren Privatschulen hatten 292 (71,6%) Öffentlichkeitsrechte, von den 15 deutschen, im selben Jahre bestehenden Anstalten aber nur 3 (20%). Manche deutsche Anstalten erhielten diese Rechte nur teilweise, und das nur hin und wieder, lediglich für eine bestimmte - die abgehende - Klasse. Zur Verweigerung der Rechte fand sich leicht ein Grund, um so mehr als die Frage des amtlichen Lehrplanes noch nicht geklärt und die der Lehrbücher umstritten war. Im Reich erschienene deutschkundliche Bücher (auch die vor 1933) durften nicht benutzt werden, die vom polnischen Verlag in Lemberg herausgebrachten waren für deutsche Anstalten nicht zu gebrauchen, die Genehmigung der von der Volksgruppe vorgelegten Schulbücher wurde immer wieder hinausgeschoben, so daß leicht Meinungsverschiedenheiten über den durchzunehmenden Stoff aufkommen konnten.

Im Zuge der Reorganisation des höheren Schulwesens wurden auch die staatlichen bzw. kommunalen Gymnasien mit deutscher Unterrichtssprache abgebaut. Im Schuljahr 1932/33 hatten noch acht in der Wojewodschaft Schlesien und eins in Thorn bestanden. Da die Leitungen und die Lehrerschaft dieser Anstalten laufend polonisiert wurden - zuletzt unterrichteten fast nur noch polnische Lehrer -, handelte es sich meistens nur noch um eine Parallelabteilung oder gar um Parallelklassen bei einem polnischen Gymnasium. Da unter diesen Umständen auch die Schülerzahl immer mehr zurückging, war die Schließung leicht zu bewerkstelligen. Am längsten bestand [183] als selbständige Anstalt das 1860 begründete Gymnasium in Bielitz, dessen Auflösung der Schlesische Sejm im März 1938 beschloss,106 wogegen die deutsche Parallelabteilung am polnischen Gymnasium in Thorn bis zum Sommer 1939 geführt wurde.

Die letzten Lehrerbildungsanstalten, das staatliche evangelische Lehrerseminar mit "deutscher" Unterrichtssprache in Lodz und das private evangelische deutsche in Bielitz, hatten die Schulreform nicht überstanden. 1936 wurde die letzte Klasse des Lodzer Seminars, 1937 die des Bielitzer geschlossen. Die Bemühungen deutscher Pastoren aus Mittelpolen, die Genehmigung zur Errichtung eines privaten pädagogischen Lyzeums zu erlangen, blieben erfolglos.107 Dafür waren schon seit den zwanziger Jahren die polnischen evangelischen Seminare in Soldau und Schildberg sehr gefördert worden, damit im einwandfrei polnischen Gebiet erzogene deutschstämmige Lehrer die deutsch-evangelischen Schulen übernehmen und polonisieren konnten.



Polnische "Vergeltungsmaßnahmen"

Diese Maßnahmen der an sich unpopulären polnischen Regierung fanden weitgehenden Anklang in der polnischen Presse und bei den deutschfeindlichen Verbänden, die es höchstens "unerhört" fanden, daß die Deutschen in Polen überhaupt noch eigene Schulen haben durften und die z. B. die Einführung deutscher Kinder in das deutsche Kulturgut als "polenfeindliche Aktion" hinstellten. Die polnische Öffentlichkeit wurde immer wieder mit Meldungen über angebliche Unterdrückung des polnischen Schulwesens im Deutschen Reich und mit Forderungen nach "Vergeltungsmaßnahmen" den deutschen Schulen in Polen gegenüber alarmiert. Diese Vergeltungsmaßnahmen wurden polnischerseits tatsächlich, und das im vervielfachten Maße, angewandt, so z. B. im November 1936, als im polnischen Minderheitsgymnasium in Beuthen/OS, 13 ohne [184] Aufnahmeprüfung in die Untertertia eingereihte Volksschüler die Anstalt wieder verlassen mussten und die Genehmigung für eine ohne Wissen der deutschen Behörden eingerichtete realgymnasiale Abteilung bis zur Erfüllung der notwendigen Formalitäten zurückgestellt wurde.108 Daraufhin wurden am 9. 11. 1936 dem Schillergymnasium in Posen die Öffentlichkeitsrechte entzogen und am 16. 11. der Goetheschule in Graudenz das Öffentlichkeitsrecht eingeschränkt. Erst als nach der deutsch-polnischen Minderheitenerklärung den Polen ein neues Gymnasium in Marienwerder genehmigt worden war, erhielt die Schillerschule fünf Monate danach als Gegenleistung das nicht volle Öffentlichkeitsrecht wieder zurück, aber nur für die oberste, in einem Vierteljahr abgehende Klasse. Wenn sich die Polen auch über die geringe Zahl polnischer Schulen im Reich beklagten, so waren doch die im Schuljahr 1934/35 im Reich bestehenden 69 Volksschulen durchschnittlich nur von je 25 Kindern besucht, wogegen im gleichen Zeitraum die 490 deutschen Volksschulen in Polen im Durchschnitt je 114 Kinder aufwiesen. Während der Polenbundführer im Reich, Dr. Kaczmarek, am 6. 3. 1938 auf dem 1. Kongress der Polen in Berlin von mehreren neuerrichteten polnischen Schulen berichten konnte, konnten die Deutschtumsführer in Polen seit 1935 nur noch von dem fast aussichtslosen Kampf um geschlossene oder von der Schließung bedrohte Anstalten sprechen.



Die "Elternhilfe" und die "Wanderlehrer"

Weil in Polen so viele Zehntausende deutsche Kinder, die die deutsche Schule besuchen wollten, nicht die Möglichkeit dazu hatten, wurde sowohl seit 1927 von Bromberg aus als auch seit 1934 von Lodz aus die "Elternhilfe" aufgebaut, besuchten Wanderlehrer deutsche Familien in verlassenen Dörfer auf deren ausdrücklichen Wunsch immer wieder, obwohl sich auch die Eltern dadurch polizeilichen Schikanen aussetzten. Von der Einrichtung der "Elternhilfe" in Posen und Westpreußen, [185] die nach polnischen Gesetzen nicht verboten werden konnte, hatten die deutschen Stellen die zuständigen Wojewodschafts- und Regierungsstellen in Kenntnis gesetzt und um ausdrückliche Genehmigung gebeten. Eine Stellungnahme der Zentralbehörden war nie ergangen, aber die untersten Verwaltungsorgane belegten die Wanderlehrer wiederholt mit Strafmandaten, so daß kein einziger von ihnen unbehelligt geblieben war. Da die Arbeit trotzdem weitergeführt wurde, begannen die Behörden ab 1933, die rührigsten Wanderlehrer, die nebenbei auch Angaben über die Einschulung der deutschen Kinder zu sammeln hatten, der Spionage zu verdächtigen, in Untersuchungshaft zu nehmen und vor Gericht zu bringen. Dagegen wurde der Leiter der Schulabteilung der Deutschen Vereinigung, der - was den Behörden bekannt war - die Angaben verlangt hatte, nicht zur Verantwortung gezogen.109 Obwohl sich also die polnischen Behörden der Legalität dieser deutschen Einrichtungen bewusst waren, wurde diese trotzdem nach Kräften und mit allen Mitteln unterbunden, um den deutschen Kindern die letzte Möglichkeit eines muttersprachlichen Unterrichts zu nehmen. Daß auch evangelischen Pfarrern und deren Laienhelfern wegen angeblich illegalen Deutschunterrichts große Schwierigkeiten gemacht wurden, wird im nächsten Abschnitt zur Sprache kommen.



Schlussbetrachtung zum Schulkampf

So wurden in Polen entgegen den gesetzlichen und vertraglichen Zusicherungen die der deutschen Volksgruppe zustehenden staatlichen Schulen zum größten Teil sowohl der Unterrichtssprache als auch dem Geist nach polnisiert, teilweise deutschen Kinder vorenthalten. Die Gründung deutscher Privatschulen wurde in der Berichtszeit unmöglich gemacht. Das vorhandene Privatschulwesen wurde in seiner Entwicklung gehemmt, ihm laufend die größten Schwierigkeiten bereitet, der Bestand von Jahr zu Jahr verringert.

[186] Hatten wir diesem Abschnitt über den Kampf um die Schule die zahlenmäßige Entwicklung der deutschen Volksschulen insgesamt vorangestellt, so soll er mit den Zahlen über das Privatschulwesen abgeschlossen werden. Im Jahre 1932 verfügten die Deutschen im ganzen Staatsgebiet über 28 höhere Privatschulen und 302 Volksschulen, Anfang 1939 waren es nur noch 12 höhere Lehranstalten und 230 Privatvolksschulen. Das Ende der deutschen Schulen in Polen wäre somit auch ohne die im Laufe des Jahres 1939 eingetretene Verschärfung des deutsch-polnischen Verhältnisses abzusehen gewesen.

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102Martin, Gottfried (Hrsg.): Brennende Wunden. Tatsachenberichte über die Notlage der evangelischen Deutschen in Polen. S. 70; Berlin 1931 (1. Aufl.). ...zurück...

103s. auch S. 154/55 und S. 164. ...zurück...

104Schönbeck, Otto (Hrsg.): Dennoch. Erinnerungsheft für die deutschen Lehrer in Polen 1919-1939. S. 19; Bromberg 1940. ...zurück...

105Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges. Nr. 2 (DWB II) Dok. 96, S. 99 und Dok. 97, S. 100. Hrsg. vom Auswärtigen Amt; Berlin 1939. ...zurück...

106Osteuropa. Jg. XIII S. 550f; Königsberg 1938. ...zurück...

107Nation und Staat. Jg. IX, S. 715ff; Wien 1936. ...zurück...

108Nation und Staat. Jg. X, Heft 2/3; Wien 1937;
Heidelck, Friedrich: Der Kampf um den deutschen Volksboden im Weichsel- und Wartheland von 1919 bis 1939. S. 378f; abgeschl. Breslau 1943. ...zurück...

109Heidelck, Friedrich: Der Kampf um den deutschen Volksboden im Weichsel- und Wartheland von 1919 bis 1939. S. 358f; abgeschl. Breslau 1943. ...zurück...

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Die deutsche Volksgruppe in Polen 1934-1939