II. 4. Polnische Assimilierungstendenzen (Teil 2) b) Der Kampf um die Schule (Teil 2) Die Ergebnisse der polnischen Schulmaßnahmen in Mittelpolen, Wolhynien und Posen-Westpreußen Das Ergebnis der polnischen Schulpolitik in ganz Mittelpolen besagt genug. Laut den rechtzeitig eingereichten Deklarationen hätte es in Mittelpolen 291 Schulen mit deutscher, 26 mit gemischter sowie 53 mit polnischer Unterrichtssprache und mit Deutsch als Fach geben müssen. Dabei waren im Jahre 1937 tatsächlich nur vorhanden: 11 Schulen mit deutscher, 46 mit gemischter und 189 mit polnischer Unterrichtssprache und Deutsch als Fach. Bei Mitberücksichtigung der 10-13 privaten deutschen Volksschulen erhielten in den Jahren 1934/35 von den rund 50000 schulpflichtigen deutschen Kindern Mittelpolens nur 1120 (2,24%) Schulunterricht in der Muttersprache, 4641 Kinder hatten 4-12 Wochenstunden, 13470 nur 2-5 Stunden deutschen Sprachunterricht, der Rest - das sind 30769 = 61,5% - überhaupt keinen Unterricht in der Muttersprache.96 [166] In den anderen Siedlungsgebieten hatte sich das öffentliche Schulwesen mit deutscher Unterrichtssprache nicht viel besser behaupten können. In Wolhynien und Polesien bestanden für die 9200 deutschen Kinder überhaupt keine öffentlichen Schulen mit deutscher Unterrichtssprache, lediglich 33 Schulen, an denen Deutsch als Gegenstand (2 Stunden wöchentlich) unterrichtet wurde, und die 1937/38 von 3200 Schülern besucht wurden, daneben noch die schwer um ihr Dasein ringenden Privatschulen, 1935 waren es 30, 1937 27 mit ca. 2000 Schülern, 1938 nur noch 23 Schulen. In Posen-Westpreußen hatten im Schuljahr 1926/27 noch 254 selbständige öffentliche deutsche Schulen und 160 an polnischen Schulen angegliederte deutsche Klassen bestanden. Infolge des stetigen Rückganges waren es 1933/34 noch 82 Schulen und 118 Klassen, 1937/38 nur noch 60 Schulen und 92 Klassen. Allerdings war in den Westgebieten die Polonisierung der als "deutsch" bezeichneten Unterrichtsanstalten noch nicht so weit fortgeschritten wie in Mittelpolen. Jedoch wurde auch hier in 79 von den 152 deutschen öffentlichen Schulen bzw. Klassen die Mehrzahl der Fächer polnisch unterrichtet. Außerdem mussten immer mehr deutsche Volksschüler polnische Volksschulen besuchen - trotz des verhältnismäßig gut ausgebauten Privatschulnetzes (1937/38 waren es rund 100 Privatschulen). Brauchten 1926/27 nur 36,6% der deutschen Kinder polnische Schulen zu besuchen, so waren es 1933/34 schon 50,7%, im Jahre 1937/38 sogar 51,3%. Westpreußen allein war noch ungünstiger dran. Dort hatte schon das im Auftrage des Völkerbundrates handelnde Fünferkomitee auf Grund der in den Jahren 1931 und 1932 eingereichten Beschwerden der deutschen Parlamentarier aus Westpolen in seinem im April 1934 erstatteten Gutachten festgestellt, daß in 20 Städten und Kreisen nur 33% der deutschen Kinder deutschen Unterricht erhielten. In ganz [167] Posen-Westpreußen besuchten im Schuljahr 1937/38 nur 5550 (16,3%) schulpflichtige Kinder deutsche Privatschulen, 9071 (26,7%) öffentliche Schulen mit deutscher Unterrichtssprache und 4817 (14,2%) polnische Schulen mit Deutsch als Fach. 14562 (42,8%) aber genossen überhaupt keinen deutschen Sprachunterricht.99
Hier muss eingeschaltet werden,
daß selbst diejenigen staatlichen Schulen, in denen tatsächlich die
Mehrheit der Fächer deutsch unterrichtet wurde, eigentlich nicht als
deutsche Anstalten bezeichnet werden konnten. Erstens hatten sich
deutschbewusste Lehrer nur zu einem sehr geringen Teil im Staatsdienst halten
können. Die dort verbliebenen deutschstämmigen Lehrer waren
meistenteils in erster Linie bestrebt, ihre Stellung zu halten und wagten es daher
kaum, ihren Zöglingen eine bewusst deutsche Erziehung angedeihen zu
lassen. Zweitens fühlten sich die polnischen Schulbehörden gar
nicht verpflichtet, an den deutschsprachigen öffentlichen Schulen deutsche
Lehrer unterrichten zu lassen. So hatten in den Westgebieten viele sogenannte
deutsche Schulen einen polnischen Leiter oder auch einen polnischen
Deutschlehrer, der die deutsche Sprache oft gar nicht richtig beherrschte. Die von
dem Landesverband deutscher Lehrer in Zusammenarbeit mit den deutschen
Schulvereinen erstellten Schulbücher wurden z. T. nicht einmal für
die Privatschulen genehmigt, geschweige denn für die Staatsschulen.
Für letztere hatte auf Veranlassung der Behörden ein polnischer
Verlag in Lemberg Lehrbücher aus "polnischer Geschichtsauffassung"
herausgebracht, die in einem schlechten Deutsch geschrieben waren und in deren
Mittelpunkt auch bei den deutschen Sprachbüchern polenkundliche Stoffe
standen. In Wirklichkeit handelte es sich somit sogar bei den öffentlichen
Schulen mit tatsächlich deutscher Unterrichtssprache nur um
deutschsprachige polnische Anstalten.
[168] Der Schulkampf in Ostoberschlesien Die Sonderstellung, die Ostoberschlesien bis 1937 im Rahmen des polnischen Staatsverbandes dank der Genfer Konvention und der Autonomie der Wojewodschaft Schlesien genoss, betraf gleichfalls das deutsche Schulwesen. Zwar wurden auch hier für eine eigene Minderheitenklasse oder -schule 40 Kinder verlangt, aber dank der zusätzlichen Schutzvorschriften durfte eine solche Schule erst nach dreijährigem Unterschreiten dieser Zahl geschlossen werden. Es war sogar die Errichtung von öffentlichen höheren Schulen für die Minderheit vorgesehen. Die Lehrer an den Minderheitsschulen sollten grundsätzlich derselben Minderheit angehören wie die Kinder und die Minderheitssprache beherrschen. Lediglich die Erklärung der Erziehungsberechtigten sollte bestimmen, welches die Muttersprache des Kindes sei. Diese Erklärung sollte keiner Nachprüfung durch die Behörden unterliegen. Obwohl also das dortige Minderheitsschulwesen nach menschlichem Ermessen gesichert zu sein schien, tobte der Kampf um die Schule in diesem Gebiet ganz besonders heftig, besonders seitdem Grazynski im Jahre 1926 schlesischer Wojewode geworden war. Jedes Frühjahr mussten Neuanmeldungen für die Minderheitsschulen erfolgen, und besonders in der Berichtszeit entfalteten die polnischen Verbände, an deren Spitze der Westverband und die Aufständischen, jedes Frühjahr groß angelegte Werbewochen und Propagandaaktionen. Von Anfang an waren die Behörden bestrebt, recht viele Neuanmeldungen für die deutsche Schule zurückzuweisen und die Kinder polnischen Schulen zuzuführen. Die verschiedensten bereits geschilderten, im sonstigen Polen üblichen Maßnahmen zur Beeinflussung der Eltern und Lehrer wurden auch in Ostoberschlesien angewandt. Hinzu traten aber noch - ganz im Gegensatz zu der Konvention - die von polnischen Behörden [169] seit 1927 regelmäßig durchgeführten Sprachprüfungen der neuangemeldeten 6-7jährigen Kinder. Wer die deutsche Schule besuchen wollte, musste vorher eine Sprachprüfung bestehen. Da die Masse der Kinder zu Hause den oberschlesischen Dialekt sprach, wurden immer wieder viele der angemeldeten Kinder abgewiesen, die dann entgegen den ausgesprochenen Willen der Erziehungsberechtigten polnische Schulen besuchen sollten. Wenn sie es nicht taten, wurden deren Väter mit erheblichen Geldstrafen belegt und bei "Rückfall" mitunter zu mehreren Wochen Gefängnis verurteilt. Da sich die Deutschen das nicht gefallen ließen, wurde die Angelegenheit in Genf und vor dem Internationalen Gerichtshof im Haag verhandelt. Es wurde nur erreicht, daß nicht mehr rein polnische, sondern paritätisch zusammengesetzte Sprachprüfungsausschüsse bei den Minderheitsschulen die Kinder prüften. Die Propagandaaktion der deutschfeindlichen Verbände ging aber weiter und schreckte vor keinem Mittel zurück. Immer mehr polnische Organisationen stellten sich in den Dienst der "Werbung" für die polnische Schule, man versuchte die Eltern durch Hausbesuche, Versprechungen oder auch Drohungen bzw. durch materiellen Druck der deutschen Schule abspenstig zu machen. Wo das alles nichts half, wurden die Eltern, die ihre Kinder trotz alledem für die deutsche Schule angemeldet hatten, öffentlich als "Seelenverkäufer" angeprangert oder aus ihrer Arbeitsstätte entlassen. Oft konnten Zusammenhänge zwischen den Anmeldungen zur deutschen Schule und den Entlassungen in den Hütten und Bergwerken nachgewiesen werden. Dabei ereigneten sich immer wieder Terrorfälle. Entgegen den gesetzlichen Bestimmungen kam noch die zunehmende Überfremdung der Minderheitsschule durch polnische Lehrer und Schulleiter. Die laufenden Beschwerden des Volksbundes bei der Gemischten Kommission (Calonder) erreichten [170] zwar die Abstellung des einen oder anderen einzelnen Mißstandes, konnten aber Grazynski nicht von seiner Linie abbringen. Auch die Interventionen der Reichsregierung im polnischen Außenministerium und dessen versuchte Einflussnahme auf den Wojewoden führten keine Änderung der aufgezeigten Linie herbei. Die Zahl der Minderheitsschulen und der Kinder in ihnen ging daher laufend zurück. So waren zum 1. März 1923 in Ostoberschlesien für 43510 Kinder Aufnahmeanträge für deutsche Schulen gestellt worden, im Schuljahr 1927/28 waren nur noch 20331 Kinder zu den Minderheitsschulen zugelassen worden, obwohl die Anzahl der Deutschen nur um rund 35% zurückgegangen war. Diese 20331 Kinder wurden in 84 Schulen mit 309 Klassen von 292 deutschen und 56 polnischen Lehrern unterrichtet. 1933/34 waren es 54 Schulen, 235 Klassen und 11251 Schüler, 145 deutsche und 89 polnische Lehrer. Im Schuljahr 1936/37, im letzten Jahr der Geltungsdauer der Genfer Konvention, waren 40 Anstalten mit 160 Klassen übrig geblieben, die von 7629 Kindern besucht wurden. Es unterrichteten nur noch 68 deutsche, aber 92 polnische Lehrer. Die Schulleiter waren alle - bis auf 2 - Polen. Zwar war das deutsche Privatschulwesen inzwischen mehr ausgebaut worden, zum Schluss bestanden 18 deutsche Privatvolksschulen, aber die Zahl der dort eingeschulten Kinder war von 1927/28 bis 1937 nur von 1118 auf rund 2500 angestiegen. Von den 12702 in denselben Jahren aus den Minderheitsschulen verdrängten Kindern hatte also das Privatschulwesen nur 1382 auffangen können.
Nach Ablauf der Genfer
Konvention verschlimmerte sich die Lage noch mehr. Obwohl die
paritätischen Sprachprüfungsausschüsse unabhängig
von der Konvention auf Grund einer direkten
deutsch-polnischen Abmachung eingerichtet worden waren, schafften die
polnischen Behörden diese sofort nach Erlöschen der Konvention
ab, um an deren Stelle wieder rein [171] polnische Kommissionen einzusetzen, die nun
ungehindert die Mehrzahl der angemeldeten Kinder abwiesen, auch wenn deren
Eltern z. B. seit langem führende Stellungen in deutschen Organisationen
eingenommen oder die Kinder schon 2 bis 3 Jahre den deutschen Kindergarten
besucht hatten, wie in Chwallowitz, wo daraufhin ein Schulstreik ausbrach.
Senator Wiesners bei dem Kultusminister eingebrachte Beschwerde und
Berufung auf die Minderheitenerklärung sowie auf die in der Verfassung
gewährleistete
Bekenntnis- und Entscheidungsfreiheit des Einzelnen blieb ohne Wirkung. Es ist
verständlich, wenn unter diesen Umständen die Zahl der
Anmeldungen bei den Minderheitsschulen in Ostoberschlesien zurückging,
da viele Eltern entweder das Aussichtslose ihres Unternehmens, ihre Kinder in
die deutsche Schule hineinzubekommen, eingesehen hatten oder eine vielleicht
gerade mühsam errungene Beschäftigung nicht gefährden
wollten. So bestanden im Schuljahr 1938/39 nur noch 33 öffentliche
Schulen mit 4913 Kindern.100
Das deutsche Schulwesen im ehemaligen österreichischen Teilgebiet
Auch im Teschener Schlesien ging das öffentliche deutsche Schulwesen in
der Berichtszeit zurück. Von den 16 deutschen Schulen in den zwanziger
Jahren bestanden 1936 nur noch 9 öffentliche Volksschulen mit deutscher
Unterrichtssprache, und Anfang 1939 waren etwa 53% der deutschen Kinder
ohne deutsche Schule. Für die rund 7400 deutschen Kinder in Galizien
bestand eine einzige staatliche
Volksschule (1-klassig). Da aber 80 deutsche Volksschulen von der
evangelischen Kirche unterhalten wurden und der "Verband deutscher
Katholiken" Träger von 7 deutschen Schulen war, konnten 4300, d. i.
58%, deutsche Schulen besuchen. In weiteren katholischen Schulen hatte sich die
deutsche Unterrichtssprache trotz einer von den deutschen Parlamentariern am
18. 3. 1933 in Genf eingereichten [172] Petition nicht halten können, so
daß dem galizischen Deutschtum im Jahre 1937/38 außer den oben
genannten nur noch 8 gemischtsprachige Schulen mit 400 Kindern und 24
polnischsprachige Schulen mit Deutsch als Fach zur Verfügung standen.
Letztere waren von 1300 Kindern besucht, etwa 19% der galizischen deutschen
Kindern hatten überhaupt keinen Deutschunterricht.
Die Zahl der deutschen Kinder ohne Deutschunterricht Nachdem wir so die das öffentliche Schulwesen betreffenden polnischen Maßnahmen und die Schulverhältnisse in den einzelnen Siedlungsgebieten untersucht haben, können wir das vorherige, auf Grund polnischer Angaben über den Deutschunterricht zusammengestellte Ergebnis (S. 157) berichtigen. Wir tun es nur, soweit genaue deutsche Ermittlungen über den Deutschunterricht deutscher Kinder vorlagen. In nachstehender Aufstellung fassen wir in der Rubrik "mit Deutschunterricht" alle Kinder zusammen, auch diejenigen, die nur 2 Wochenstunden deutschen Sprachunterricht hatten.
In ganz Polen hatten somit nur 47,38% einen z. T. völlig ungenügenden Deutschunterricht, wogegen 52,62% ohne jeden muttersprachlichen Unterricht heranwachsen.
[173] Zum Vergleich sei hier angeführt,
daß laut Mitteilung des polnischen Neuphilologenverbandes die Jugend an
den polnischen Gymnasien und Oberschulen im Schuljahr 1938/39 zu 70% die
deutsche Sprache als Fremdsprache im Ausmaß von mindestens 3
Wochenstunden lernen konnte.101 Allerdings hatte der polnische Staat
eine Lehrerbildungsanstalt und einige Gymnasien mit deutscher
Unterrichtssprache unterhalten, die jedoch fast alle in der Berichtszeit eingingen.
Das Problem dieser Anstalten wollen wir weiter unten im Zusammenhang mit
den staatlichen Maßnahmen gegenüber dem deutschen
Privatschulwesen erörtern.
96Meisner, Adolf: "Das deutsche
Schulwesen in Mittelpolen einst und jetzt." In: Der Aufbau. Jg. I, S. 50;
Kattowitz 1938; 97 fehlt im Original. 98 fehlt im Original.
99Osteuropa. Jg. XIII S.
551f; Königsberg 1938; 100Kauder, Viktor (Hrsg.): Das Deutschtum in Polen. T. 5, S. 107 (Ein Bildband Teil 1-5.) Plauen-Leipzig 1937/39. ...zurück...
101Bierschenk, Theodor in: Der
Aufbau. Jg. II, S. 106; Kattowitz 1939. ...zurück...
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