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II. 4. Polnische Assimilierungstendenzen (Teil 5)

c) Der Kampf um die Kirche (Teil 2)

Die Kirchenwahlen und die Synode 1937/38

Demzufolge beteiligten sich die deutschen Gemeinden an den im Februar 1937 beginnenden Wahlen. Schon das Ergebnis der Senioratswahlen vom 28. 2. 1937 entsprach voll und ganz der deutschen Auffassung über die nationale Zusammensetzung des Kirchenvolkes. Entgegen den polnischen Behauptungen, daß der deutsche und der polnische Teil ungefähr gleich stark seien, wurden in den Gemeinden der vier größten Seniorate, Lodz, Kalisch, Plozk und Wolhynien, mit zusammen rund 55000 stimmberechtigten Wählern fast nur deutsche Delegierte in die Senioratsversammlungen gewählt. In den restlichen sechs kleineren Senioraten mit 22000 Stimmberechtigten hatten die Deutschen gleichfalls überall die Mehrheit der abgegebenen Stimmen für sich erzielen können, jedoch bildete in diesen Senioratsversammlungen die Minderheit der polnischen Laiendelegierten zusammen mit der polnischen Pastorenschaft eine z. T. sehr knappe Mehrheit. In dreien dieser Diözesen hatte allerdings Bursche erst durch die Aberkennung je eines deutschen Mandates und durch selbstherrliche Berufung des in der Gemeindewahl unterlegenen polnischen Kandidaten an deren Stelle das polnische Element künstlich und widerrechtlich [199] gestärkt.

Letzteres Vorgehen war ja nicht einmal im neuen Gesetz vorgesehen, dessen Härten das deutsche Kirchenvolk schon in der nächsten Phase der Kirchenwahlen in voller Schärfe zu spüren bekam. Als nämlich die Senioratsversammlungen der Diözesen Kalisch, Plozk, Wolhynien und Petrikau deutschbewusste Pastoren zu Senioren wählten, wurden diese von Bursche abgelehnt, da der Kultusminister gegen sie "Einwendungen politischer Natur" erhoben hätte. Dabei handelte es sich um in jeder Hinsicht einwandfreie Persönlichkeiten, die sich auch politisch keineswegs betätigt hatten. In Petrikau wurde daraufhin ein polnischer Pastor zum Senior gewählt, aber die Senioratsversammlungen von Kalisch, Plozk und Wolhynien weigerten sich, andere Kandidaten zu nennen, und die Lodzer Versammlung bestand auf einer Klarstellung der kirchlichen Rechtsordnung vor Eintritt in den Wahlgang. Bursche löste kurzerhand alle vier Versammlungen auf, konnte dann allerdings auch die für den Zusammentritt der Synode benötigten Wahlen der Laienvertreter in diesen Senioraten nicht durchführen. Anstelle der drei nichtbestätigten Senioren und des einen nichtgewählten Seniors setzte er polnische Geistliche kommissarisch ein. Als Bursche dann die Synode zum 22. Juni 1937 einberief, waren von den laut Gesetz vorgesehenen 54 Mitgliedern nur 24, lauter Polen, erschienen, darunter 5 von Bursche nominierte. Abgesehen von den 15 nicht gewählten Laienvertretern der vier großen Seniorate fehlten noch die gewählten 7 deutschen Laienvertreter der sechs kleinen Seniorate, die sich zusammen mit den von der Pastorenschaft gewählten 7 deutschen geistlichen Delegieren wegen der Nichtbeteiligung der anderen Seniorate von den Beratungen fernhielten. Laut Paragr. 84 des "Inneren Gesetzes" war zur Beschlussfähigkeit der Synode die Anwesenheit der Hälfte der Synodalen notwendig. Trotzdem [200] erklärte sich die Rumpfsynode, die doch nur von 44% der Delegierten besucht war, unter Zustimmung des anwesenden Vertreters des Kultusministers für beschlussfähig sowie für rechtmäßig und wählte die Kirchenbehörde. Für die durch die Wahlen erneut erwiesene überwiegende deutsche Mehrheit des Kirchenvolkes wurden im Konsistorium von 6 Sitzen nur 2, im Synodalausschuss von 4 Mitgliedern nur 1 Platz freigelassen. In dem zum größten Teil von Würdenträgern zu bildenden Bischofswahlkollegium, in das die Synode 4 Vertreter zu entsenden hatte, wurde überhaupt kein Platz für Deutsche gelassen. Dieses Kollegium, dem u. a. die von Bursche eingesetzten kommissarischen 4 Senioren angehörten, wählte dann am 3. Juli Bursche auf Lebenszeit zum Bischof.

Eine zweite Tagung der Synode, die im Dezember 1937 stattfand, war ebenso beschlussunfähig, beschloss aber eine Reihe von wichtigen Gesetzen, die u. a. die Ausübung des Wahlrechtes in der Kirche zuungunsten des deutschen Teiles einschränken sollten. Die darauffolgenden vom "Weltbund für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen" zustande gebrachten Vergleichsverhandlungen, bei denen die Deutschen die "volle Gleichberechtigung" in den kirchlichen Organen, d. h. nur die Hälfte aller Sitze forderten, obwohl sie die Mehrheit für sich hätten beanspruchen können, führten zu keinem Ergebnis, da die polnische Seite dem 82% ausmachenden deutschen Teil des Kirchenvolkes nicht einmal die 50% zubilligen wollte, und weil von 8 neuen, deutscherseits inoffiziell aufgestellten Kandidaten für die nichtbestätigten Senioren 7 wieder abgelehnt wurden. So tagte die dritte Synode im Juni 1938 erneut ohne deutsche Vertreter und besetzte auch die letzten, bisher noch für Deutsche freigehaltenen Sitze im Konsistorium und Synodalausschuss endgültig mit Polen.

[201] Für die deutsche Volksgruppe handelte es sich bei diesen Auseinandersetzungen nicht etwa um die anderswo auch vorkommenden Reibungen zwischen Staat und Kirche, auch nicht um den Kampf zweier kirchlicher Richtungen, sondern um die Abwehr der Bestrebungen polnischer Kreise, mit Unterstützung der Regierung die evangelische Kirche, deren bisherige polonisierende Wirkung durch die seit 1934 verstärkt aufgenommene Organisierung des mittelpolnischen Deutschtums aufgehoben zu sein schien, zu einem verbesserten Polonisierungsinstrument umzugestalten. Beweis dafür ist der Umstand, daß die höchsten Spitzen des polnischen Staates, an die die deutschen Beschwerden über Bursches Übergriffe und Rechtsbeugungen sowie die Fürsprachen auswärtiger Kirchenkreise herangetragen wurden, Bursche trotzdem deckten und so nicht scheuten, das Odium des Kirchenkampfes auf sich zu nehmen. Denn auch im nichtdeutschen Ausland hatte Bursches Vorgehen großes Befremden erregt. Deswegen wurde auch jede Äußerung des deutschen Widerstandes gegen die Bursche-Politik mit staatlichen Machtmitteln unterdrückt. Die deutschen Zeitungen, die zu der Entwicklung Stellung nahmen, wurden beschlagnahmt und Schriftleitung sowie Druckerei der Freien Presse in Lodz am 15. 3. 1937 sogar aus "sanitären und feuerschutzpolizeilichen" Gründen versiegelt. Da auf behördliche Weisung hin keine Lodzer Druckerei die Herstellung der Zeitung übernehmen wollte, musste die Freie Presse fast 3 Monate lang in Posen redigiert, gedruckt und allabendlich nach Lodz versandt werden. Die Kritik eines polnisch-evangelischen Senators Ewert an dem Kirchengesetz, die am 8. 11. 1936 in einer polnischen Wochenzeitschrift unbeanstandet veröffentlicht werden konnte, wurde, als sie die Freie Presse in Übersetzung brachte, hier beschlagnahmt, ebenso im Mai 1937 die sich mit den Kirchenverhältnissen in Mittelpolen beschäftigende Entschließung [202] des "Rates der Deutschen in Polen".

Die Maßnahmen der Behörden zur Sicherstellung des polnischen Einflusses in der Kirche gingen aber noch weiter. Am Tage vor Zusammentritt der dritten Tagung der Synode im Juni 1938 wurden die politischen und kirchlichen Führer sowie die Presseleute des Lodzer Deutschtums zum Sicherheitschef des Wojewodschaftsamtes beordert, der ihnen in außerordentlich scharfen Worten jeden Widerstand gegen das Kirchengesetz untersagte. Bursches von unzähligen Rechtsbrüchen begleitete ehrgeizige und rücksichtslose Politik erfolgte also nicht nur mit Billigung der Behörden, sondern allem Anschein nach im Auftrag derselben. Die errungene Machtstellung benutzte der neukreierte Bischof dazu, um jede freiheitliche, dem Deutschtum dienende Regung in der Kirche zu unterdrücken. Freie Pfarrerwahlen wurden nach den erlittenen Misserfolgen nach Möglichkeit unterbunden und statt dessen polnische Pfarrer als Administratoren in deutschen Gemeinden gegen deren Willen eingesetzt. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft deutscher Pastoren, D. Alfred Kleindienst aus Luzk, der Führer des wolhynischen Deutschtums, der schon als Senior abgelehnt worden war, wurde im September 1938 vom Konsistorium seines Amtes als Gemeindepfarrer in Luzk enthoben. Als sein Nachfolger wurde der ihm vor kurzem beigegebene polnische Vikar kommissarisch eingesetzt. Bald darauf wurde Kleindienst, dessen Familie seit 300 Jahren auf polnischem Staatsgebiet ansässig gewesen war, der selbst in Luzk geboren und dort seit 1921 ununterbrochen als Pfarrer tätig war, vom Wojewoden die polnische Staatsangehörigkeit aberkannt, obwohl ihm früher schon anstandslos polnische Reisepässe ausgestellt worden waren. Auf Grund des Grenzzonengesetzes wurde dann D. Kleindienst aus Wolhynien ausgewiesen, das er am 23. 2. 1939 verlassen musste. Dasselbe Los wurde Pastor Henke aus Rozyszcze in [203] Aussicht gestellt, der im Auftrage der deutschen Pastoren das deutsche Privatschulwesen in Wolhynien betreut hatte und der ebenfalls seit Generationen in Wolhynien beheimatet war.

So hatten schon die ersten Monate nach Einführung des neuen Kirchengesetzes gezeigt, daß es tatsächlich rücksichtslos zur Ausschaltung aller deutschtumserhaltenden Kräfte angewandt werden sollte. Daher nahmen die deutschen Kreise die Frage der nationalen Teilung der Kirche und der Gründung einer deutschen evangelischen Kirche in Polen in Angriff. Aber obwohl die Polen ihr Nichteingehen auf die bescheidenen deutschen Forderungen gewöhnlich mit der Furcht vor einer evtl. Majorisierung durch den deutschen Teil bzw. sogar vor einer Germanisierung begründet hatten und Bursche daher zugleich mit der Einführung des neuen Kirchengesetzes innerhalb deutscher Gemeinden, wie in Lodz, besondere, wenn auch zahlarme, so doch reichlich ausgestattete polnische Gemeinden gegründet hatte, so wollte man polnischerseits sogar von einer schiedlich-friedlichen Trennung nichts hören und bezeichnete dieses Projekt sofort als "antistaatlich". Da aber das Leben in der Kirche weitgehend zerstört war und die Gruppen sich in unversöhnlichem Gegensatz gegenüberstanden, verfolgten die deutschen Kirchenmänner nach dem Scheitern aller Einigungsverhandlungen diesen Plan allen Ernstes, obwohl ihre Bemühungen wenig Aussicht auf Erfolg boten, da der polnische Staat doch, wie wir schon gesehen haben, nicht einmal die seit Jahrzehnten schon bestehende deutsche Leitung der evangelisch-unierten Kirche in Posen-Westpreußen anerkannt hatte und auch in Ostoberschlesien durch staatlichen Eingriff die dortige unierte Kirchenleitung polonisiert hatte.



Die Lage in der unierten Kirche Ostoberschlesiens

Die in Ostoberschlesien bestehende evangelisch-unierte Kirche konstituierte sich nach der Teilung des Industriegebietes [204] im Jahre 1923 als eigener kleiner Kirchenkörper unter D. Hermann Voss als Kirchenpräsident und konnte als solcher auch während der Geltungsdauer des Genfer Abkommens unbeanstandet bestehen. Die Deutschen bildeten die überwiegende Mehrheit der in der Berichtszeit ca. 28000 - 30000 Seelen zählenden Kirche, bei den Wahlen zu den kirchlichen Körperschaften erhielten die deutschen Listen durchweg über 90% der Stimmen, bei den letzten Wahlen am 20. 10. 1936 waren es 14.162 deutsche und nur 1743 polnische Stimmen. Ein von Generalsuperintendent Bursche auch hier nach 1925 unternommener Versuch der Absplitterung der polnischsprachigen Gemeindeglieder zeigte keinen Erfolg, da diese ihrer alten Kirche die Treue bewahrten. Schwierigkeiten hatten sich lediglich mit den aus Mittelpolen zugewanderten evangelischen Polen (ca. 1500 Seelen) ergeben.

In Posen-Westpreußen hatten die polnischen Angehörigen der augsburgischen Kirche auf Weisung von Bursche die angeblich vorhandenen konfessionellen Unterschiede betont, waren daher nicht den dortigen unierten Gemeinden beigetreten, sondern hatten eigene augsburgische Gemeinden gebildet. In Ostoberschlesien aber wollten sie in die unierten Gemeinden aufgenommen werden, allem Anschein nach, um die Führung der Kirche an sich reißen zu können. Die Kirchenleitung lehnte aber auf Grund eines Synodalbeschlusses ihre Aufnahme unter Bezugnahme auf die in Posen-Westpreußen der unierten Kirche gegenüber geltendgemachte bekenntnismäßige Eigenart der augsburgischen Kirche ab. Zwischen den polnisch-evangelischen Vereinen und den unierten Gemeinden kam es 1934 zu offenen Auseinandersetzungen, die dann durch Verhandlungen zwischen der Warschauer und der ostoberschlesischen Kirchenleitung bereinigt wurden. Die ostoberschlesische Synode hob im April 1935 ihren vorherigen Beschluss auf, behielt sich aber das Recht vor, über die Aufnahme von [205] Mitgliedern frei bestimmen zu können. Um der polnischen Seite entgegenzukommen, wurden in fast allen Gemeinden Gottesdienste polnischer Geistlicher aus der augsburgischen Kirche zugelassen.



Das oberschlesische Kirchengesetz vom 16. 7. 1937 und seine Durchführung

Trotzdem wurde vom Schlesischen Sejm schon am ersten Tage nach Ablauf der Genfer Konvention, am 16. Juli 1937, ein "Gesetz über die vorläufige Organisation der uniert-evangelischen Kirche in Polnisch-Oberschlesien" innerhalb von 55 Sekunden in allen 3 Lesungen angenommen, das der Kirchenleitung erst 48 Stunden vorher als Entwurf zur Kenntnisnahme zugeleitet worden war. Der polnische katholische Wojewode wurde auf Grund dieses Gesetzes zum ausschlaggebenden Faktor der unierten Kirche, der alle in Ostoberschlesien wohnhaften Evangelischen angehören sollten. Die völlige Aufhebung der Selbständigkeit wurde mit angeblich erforderlicher Wiederherstellung des Rechtszustandes begründet, den die Kirche mit der Beschließung ihres Statuts im Jahre 1923 beseitigt hätte. Der katholische Wojewode maßte sich in der evangelischen Kirche dasselbe Recht an, das früher der evangelisch-unierte preußische König nicht als Staatsoberhaupt, sondern als oberster Bischof ausgeübt hatte. Weiter wurde der Kirche vorgeworfen, sie hätte eine illegale Leitung gehabt, die auf Grund eines seinerzeit nicht im Amtsblatt der interalliierten Abstimmungskommission für Oberschlesien veröffentlichten Gesetzes gewählt worden sei. Somit wäre keine rechtliche Kirchenvertretung vorhanden gewesen, mit der der Staat über den Erlass des Kirchengesetzes hätte verhandeln können. Trotzdem sah das Gesetz ein Verbleiben der bisherigen "ungesetzlichen" Organe vor.

Den Gemeinden wurde aber das Recht der freien Pfarrerwahl genommen, welches dem "Vorläufigen Oberschlesischen Kirchenrat" [206] zugebilligt wurde, der jedoch die Stellenbesetzung nur im Einvernehmen mit dem Wojewoden vornehmen durfte. In diesen vorläufigen Kirchenrat wurde der bisherige Landeskirchenrat umgewandelt, in dem ihm 2 neue Mitglieder, Polen, beigegeben wurden. Außerdem ernannte Grazynski noch für die bisherigen reichsdeutschen Mitglieder 2 weitere Polen, so daß im Kirchenrat die Deutschen (Superintendent D. Voss mit nur 2 deutschen Mitgliedern) gegenüber den 4 Polen in der Minderheit blieben. Polnische Kreise hatten zwar behauptet, die Kirche zählte 18000 polnische und nur 12000 deutsche Gemeindeglieder. Diese offenkundig falschen Angaben waren schon durch die Ergebnisse der bisherigen Kirchenwahlen widerlegt. Die oberschlesischen Vereine der evangelischen Polen hatten 3300 Mitglieder, insgesamt gab es nur 5160 evangelische Polen in Ostoberschlesien. Die Kirche zählte aber im Juli 1937 28705 Mitglieder. Selbst wenn jetzt nach Ablauf der Genfer Konvention einige Tausend evangelischer Reichsdeutscher Oberschlesien verlassen mussten, so machten die evangelischen Polen jetzt höchstens 25 bis 28% aus.112 Wäre es anders gewesen, dann hätte die Regierung Kirchenwahlen durchführen lassen.

So wurde die deutsche Mehrheit des Kirchenvolkes durch den staatlichen Eingriff entrechtet, dem Kirchenvolk auch hier eine Neuordnung aufgezwungen, ohne daß es nach seiner Meinung gefragt worden wäre. Im Gegensatz zu Mittelpolen - wohl auf Grund der dort gemachten Erfahrungen - wurden hier selbst nach Einführung des "Vorläufigen Gesetzes" keine Wahlen zugelassen. Die Pfarrer lehnten einmütig diesen Eingriff als "wider Lehre und Gewissen" gerichtet ab, aber weder den u. a. auch an den Staatspräsidenten gerichteten Einsprüchen der ostoberschlesischen Kirchenleitung noch der in London gefassten Entschließung des Exekutivkomitees des "Weltbundes für [207] internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen"113 war ein Erfolg beschieden. Das Gesetz wurde weiterhin rücksichtslos durchgeführt.

Da nur polnische Staatsangehörige Funktionen in der Kirche ausüben durften, wurden zuerst die bis dahin noch in Ostoberschlesien tätigen reichsdeutschen Pfarrer nacheinander ausgewiesen. Am 26. 10. 1937 wurde sogar D. Voss seines Amtes enthoben und zu seinem Nachfolger als Vorsitzender des "Vorläufigen Kirchenrates" ein polnischer Rechtsanwalt bestellt. Auch die deutsch-polnische Minderheitenerklärung verursachte keine Änderung im Vorgehen der Behörden. Befriedungsvorschläge der früheren Kirchenleitung blieben unberücksichtigt. Als D. Voss - bis zuletzt noch Pfarrer in Kattowitz - am 6. 5. 1938 verstarb, wurde zu seinem Nachfolger ein deutscher Pfarrer bestellt, als der sich als einziger Grazynski zur Verfügung gestellt hatte. Der Kattowitzer Gemeindekirchenrat, der dagegen Protest einlegte, wurde aufgelöst und an seiner Statt ein kommissarisches Gremium mit polnischer Mehrheit eingesetzt. Die anderen deutschen Pfarrer aber und die Gemeinden blieben ihren Gewissen treu, obwohl fast alle Pfarrer ihrer Ämter enthoben, z. T. aus ihren Wohnungen exmittiert wurden. Bis März 1939 wurden 6 reichsdeutsche Geistliche auf Grund des Grenzzonengesetzes aus ihren Gemeinden bzw. aus der Wojewodschaft Schlesien ausgewiesen. 7 volksdeutsche Geistliche wurden ihres Amtes enthoben, 3 Gemeinderäte und 1 Gemeindevertretung wurden vom Wojewoden aufgelöst.114 An die Stelle der amtenthobenen Geistlichen wurden 15 polnische oder deutschstämmige, aber polnisch gesinnte Pastoren aus Mittelpolen eingesetzt, die sich z. T. durch ihr dortiges Verhalten während des Kirchenkampfes bei ihren deutschen Gemeinden unmöglich gemacht hatten. Da auch die oberschlesischen Gemeinden diese ablehnten, musste deren [208] Einführung z. T. mit Polizei erfolgen. Aber die Gemeindeglieder zahlten keine Kirchenbeiträge mehr, beteiligten sich nicht an den Gottesdiensten der eingesetzten Pfarrer, sondern gaben ihren früheren Seelsorgern in Privathäusern Gelegenheit zur Abhaltung von Bibelstunden und Andachten. Bei Beerdigungen, die die abgesetzten Pfarrer vornahmen, versuchten manchmal polnische Geistliche, sich mit Hilfe der Polizei den Trauergemeinden aufzudrängen.115 Das Recht, in den Schulen Religionsunterricht zu erteilen, wurde den deutschen Pfarrern genommen und die Wiederzulassung als Religionslehrer von der Anerkennung des Kirchengesetzes abhängig gemacht.

Auf diese Weise wurde jeglicher deutsche Einfluss aus den ostoberschlesischen unierten Kirchen ausgeschaltet und die Polonisierung auch der dortigen Evangelischen von der Kirche her eingeleitet. Zunächst war nur ein völliges Chaos in der Kirche erreicht worden.



Die evangelische Kirche a. und h. B. in Galizien

In Galizien bestand, die "Evangelische Kirche augsburgischen und helvetischen Bekenntnisses", die 1939 rund 35000 Seelen zählte. Davon waren 31000 Deutsche, 2500 Ukrainer und nur 1500 Polen. Die überwiegend polnische Gemeinde in Krakau hatte sich schon in den zwanziger Jahren der Warschauer Kirche angeschlossen, der deutschen Minderheit von Krakau wurde die weitere Zugehörigkeit zur Galizischen Kirche unmöglich gemacht. Letztere Kirche stand seit 1924 unter der Leitung des verdienten Begründers der Stanislauer Anstalten, D. Theodor Zöckler. Ihr blieben in der Polenzeit größere Erschütterungen erspart, nur in der Lemberger evangelischen Gemeinde äußerten in der Berichtszeit die wenigen Polen ihre Unzufriedenheit mit der im Verhältnis zu den Ergebnissen der polnischen Volkszählung angeblich zu geringen Berücksichtigung des polnischen Anteils in den [209] kirchlichen Körperschaften, so daß diese von den Behörden aufgelöst wurden und der längst gewählte neue Pfarrer vom Staat nicht bestätigt wurde.116

In der polnischen Öffentlichkeit, vor allem in der Presse wurde auch hin und wieder gegen die Kirchenleitung und gegen D. Zöckler gehetzt, um so den Boden für einen staatlichen Eingriff vorzubereiten. Vor allem wurde Zöckler der Umstand vorgeworfen, daß sich in den zwanziger Jahren einige ukrainische Dörfer - bis dahin griechisch-uniert - der evangelischen Kirche angeschlossen hatten. Man erging sich in der polnischen Presse gern in Vermutungen über die "strategische Bedeutung" dieser "deutschen" Vorposten an der polnisch-slowakischen Grenze. Daß die Polonisierung auch dieser evangelischen Kirche bei den Polen bereits beschlossene, wenn auch nicht mehr durchgeführte Sache gewesen war, ist daraus zu entnehmen, daß das Warschauer Kirchengesetz u. a. auch in ganz Galizien Geltung haben sollte, obwohl dort außer Krakau keine Gemeinde der Warschauer Kirche angehörte.



Die Lage der katholischen Deutschen

Gegenüber den katholischen Deutschen kamen die eben geschilderten, die evangelischen Kirchen betreffenden Maßnahmen des Staates in Wegfall, da die katholische Kirche in Polen von bewusst polnischen Erzbischöfen und Bischöfen geführt wurde und die Deutschen in ihr keine Eigenständigkeit hatten. Zwar setzte sich der "Verband deutscher Katholiken" (VDK) für die deutsche Seelsorge und für die Erhaltung der deutschen Gottesdienste ein, aber die polnischen Behörden bereiteten auch dieser Tätigkeit Schwierigkeiten. So wurde z. B. kein Gesamtverband des VDK für ganz Polen genehmigt, und in Galizien musste der VDK in jeder Wojewodschaft rechtlich gesehen ein Eigenleben führen. Deutsche Geistliche, die sich bei ihren Gemeindegliedern besonders beliebt gemacht hatten, [210] wurden von ihren polnischen Vorgesetzten vielfach versetzt und, wenn sie Reichsdeutsche waren, von den Staatsbehörden ausgewiesen.117 Deutsche Gottesdienste wurden nach Möglichkeit auf die ungünstigsten Zeiten gelegt oder eingeschränkt, in vielen Gegenden überhaupt abgeschafft. In Galizien z. B. hatten von insgesamt 77 deutschen katholischen Siedlungen lediglich 13 ein eigenes Pfarramt (aber auch nur Polen als Geistliche), alle anderen gehörten zu polnischen Pfarreien. In diesen Siedlungen wurden in deutscher Sprache etwa 30501, in deutscher und polnischer rund 4578, nur in polnischer Sprache etwa 5000 Gemeindeglieder betreut.118

In Posen-Westpreußen sowie in Ostoberschlesien lagen die Verhältnisse etwas günstiger, in Mittelpolen dagegen noch ungünstiger. So waren die katholischen Deutschen in Polen, die insbesondere in Galizien in der Bewahrung deutschen Volksgutes im allgemeinen vielleicht beharrlicher waren und die auch eine günstigere Bevölkerungsbewegung aufwiesen, in volkstumsmäßiger Hinsicht noch gefährdeter als die evangelischen. Die Gleichsetzung "polnisch = katholisch" erleichterte die Assimilierung. Als Beweis dafür seien die sogen. "Bamberger" angeführt, deutsche Siedler aus dem früheren Bistum Bamberg, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Posenschen in einigen Dörfern angesetzt und im 19. Jahrhundert - zu preußischer Zeit - von ihren polnisch-katholischen Geistlichen sozusagen unter den Augen der deutschen Behörden polonisiert worden waren.

In Polen waren die meisten privaten oder auch öffentlichen deutschen Schulen als evangelische gekennzeichnet. Die Behörden ließen dort einen Besuch deutscher Kinder katholischen Glaubens vielfach nicht zu und schlossen im Übertretungsfall die Schule, so daß der Prozentsatz der deutschen Kinder ohne muttersprachlichen Unterricht bei den [211] Katholiken noch viel höher als bei den Evangelischen lag. So wurde von den Behörden das katholische Glaubensbekenntnis Deutscher als Mittel zur Polonisierung ausgenutzt, wie überhaupt auf kirchlichem und schulischem Gebiete polnischerseits nichts unversucht gelassen wurde, was zur Polonisierung der Deutschen geeignet schien. Abschließend sei festgestellt, daß sich die polnischen Assimilierungs- und Verdrängungstendenzen ergänzten, so daß jeder Deutschtumsbezirk auf möglichst vielen Gebieten den immer stärker und unerträglicher werdenden polnischen Druck zu spüren bekam.

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112Nation und Staat. Jg. XI, S. 387; Wien 1938. ...zurück...

113Nation und Staat. Jg. XI, Heft 5, Wien 1938. ...zurück...

114Ostland. (Hrsg.: Deutscher Ostbund) Jg. XX, S. 160, Berlin 1939 ...zurück...

115Ostland. (Hrsg.: Deutscher Ostbund) Jg. XX, S. 204, Berlin 1939. ...zurück...

116Schubert, Ernst: Die deutsche evangelische Kirche in Polen 1920 und 1939. Ein kurzer, erschütternder Vergleich. S. 14; Berlin 1939. ...zurück...

117Nation und Staat. Jg. VII, S. 337; Wien 1938. ...zurück...

118Kauder, Viktor (Hrsg.): Das Deutschtum in Polen. T. 2, S. 46 (Ein Bildband Teil 1-5.) Plauen-Leipzig 1937/39. ...zurück...

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Die deutsche Volksgruppe in Polen 1934-1939