SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor


II. 3. Polnische Verdrängungstendenzen (Teil 3)

b) Die Verdrängung vom Boden (Teil 2)

Die Agrarreform

Von großer Bedeutung für das Deutschtum in Posen-Westpreußen war ferner die Agrarreform. Auf Grund des Gesetzes vom 28. 12. 1925 stand der Regierung das Recht zu, zur Verbesserung der Agrarstruktur der Republik privaten Landbesitz, soweit sich hiervon mehr als 180 ha Anbaufläche in einer Hand befanden, zwangsweise zu enteignen und dadurch neue Bauernwirtschaften zu schaffen. In Industrie- und Vorstadtbezirken konnte sogar schon der Besitz von 60 ha an zur Abgabe herangezogen werden. Trotzdem wäre in Anbetracht des in Polen überwiegenden Klein- und Zwergbauernbesitzes gegen das [121] Gesetz als solches nichts einzuwenden gewesen. Obstgärten, Wege, bebaute Plätze, Waldflächen über 30 ha, Fischteiche über 3 ha und andere Wasserflächen über 20 ha lagen nämlich laut Art. 4 des Gesetzes außerhalb der zur Parzellierung heranzuziehenden Flächen. Ferner konnte zu den oben genannten Mindestflächen von 180 ha nach Art. 5 Zuschläge erteilt werden, soweit sie für die Erhaltung bestimmter, am 1. Januar 1925 vorhanden gewesener besonderer Wirtschaftszweige notwendig waren, wie Saat- und Viehzucht, intensive Zuckerrübenwirtschaft, ferner landwirtschaftliche Industrie, z. B. Brennereien, Stärke- und Kartoffelflockenfabriken. Außerdem war durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtes vom 3. 2. 1928 den bisherigen Pächtern, Angestellten und Gutsarbeitern eines betroffenen Betriebes das Anrecht auf eine Parzelle ausdrücklich verbrieft worden.

Die Anwendung des Gesetzes war jedoch dem Ermessen der Behörden überlassen. Obwohl das Gesetz für das ganze Staatsgebiet galt, wurde es in erster Linie in Westpolen angewandt, trotz der hohen Kulturstufe der dort betriebenen Landwirtschaft und trotz intensivster Bewirtschaftung, anstatt in Ostpolen, wo riesige Flächen polnischen Magnaten gehörten und landwirtschaftlich noch nicht richtig erschlossen waren. Eine planmäßige, vom Staat betriebene Melioration des Ostens hätte einen viel größeren Nutzeffekt erzielt, da bei einer dort angewandten Agrarreform nichts zerschlagen, sondern nur vieles aufgebaut worden wäre. Durch die bei den Parzellierungen erfolgte "Bevorzugung" der Westgebiete im allgemeinen und der dortigen deutschen Betriebe im besonderen wurde ersichtlich, daß die Bodenreform als Kampfmittel gegen das Deutschtum gedacht war und als solches mit einer bemerkenswerten Zielstrebigkeit und Unbeirrtheit gehandhabt wurde. Alljährlich wurden im Februar Parzellierungslisten veröffentlicht, die die Namen der herangezogenen Großgrundbesitzer [122] enthielten, und jedes Jahr überwogen in Westpolen - denn nur dort gab es deutschen Großgrundbesitz in nennenswerter Zahl - deutsche Namen in einem unverhältnismäßig hohen Ausmaß. Die Entschädigung für die zwangsenteigneten Flächen wurde nach Sätzen berechnet, die nur 25 bis 50% des Preises in freier Hand ausmachten. Der Preis wurde ferner zeitweise bis zu 80% in staatlichen Obligationen ausgezahlt.47

Durch die Agrarreform wurden aber nicht nur die Großgrundbesitzer betroffen. Da gerade das Deutschtum in Posen-Westpreußen einen auf sich angewiesenen, sich gut ergänzenden Wirtschaftskörper darstellte, wie im Teil I dargelegt wurde, traf eine so weitgehende Schmälerung des deutschen Großgrundbesitzes die ganze Volksgruppe, das Genossenschafts- und Wirtschaftsleben sowie deutsche Handwerker, die schon keine staatlichen und kommunalen Aufträge erhielten. Sie traf ferner die deutschen Kaufleute und nicht zuletzt die auf dem Gutsbetrieb beschäftigten Angestellten und Arbeiter. Trotz der dahingehenden gerichtlichen Entscheidung wurden nämlich letztere, soweit sie Deutsche waren, in den allerseltensten Fällen bei der Vergebung von Parzellen berücksichtigt. [Scriptorium merkt an: man vergleiche die entsprechenden Maßnahmen zur Enteignung der volksdeutschen Minderheit in der Tschechoslowakei!] Aber selbst polnische Landarbeiter des deutschen Gutes protestierten oft genug gegen die Parzellierung, weil sie einerseits eine gute Brotstelle verloren und andererseits vom Staat so gut wie kein Geld erhielten, um auf der ihnen zugewiesenen Parzelle einen landwirtschaftlichen Hof aufbauen zu können. Die aus Mittel- und Kleinpolen zuziehenden Polen, die Parzellen erwarben, siedelten auf diesen ganz einfach in Baracken und Lehmhütten, womit sich aber der auf einem höheren Lebensstandard stehende Posener Pole nicht zufrieden geben wollte. In Anbetracht dieser Umstände waren schon in den Jahren 1926 und 1930 deutsche Eingaben an den Völkerbund ergangen, [123] der nicht umhin konnte, den deutschen Standpunkt grundsätzlich gutzuheißen. Das Dreierkomitee hatte Richtlinien festgelegt, die die polnische Regierung auch zu beachten versprach. Sie wurden aber bald vergessen, so daß die Reichsregierung sich veranlasst sah, die Angelegenheit am 18. 5. 1932 erneut vor den Völkerbund zu bringen. Am 1. Februar 1933 wurde sogar eine Dringlichkeitsbeschwerde vor den Ständigen Internationalen Gerichtshof im Haag gebracht, die aber nach Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund und im Hinblick auf die deutsch-polnischen Nichtangriffspaktverhandlungen am 27. 10. 1933 zurückgezogen wurde. Der Völkerbundrat schloss die Prüfung der bei ihm eingereichten Beschwerde am 30. 9. 1935 mit einer an Polen gerichteten Erklärung ab, in der festgestellt wurde, daß Polen nach dem Minderheitenschutzvertrag verpflichtet sei, diese mit dem Vertrag in Widerspruch stehende ungleiche Behandlung der Minderheitenangehörigen zu beheben. Die Aufforderung des Rates lautet:

"1. Durch die normale Anwendung der Agrarreform soll das Missverhältnis, das z. Zt. zwischen der Heranziehung des zu der deutschen Minderheit gehörenden Grundbesitzes zur Agrarreform besteht, nach und nach berichtigt werden. Es muss nach Ansicht des Völkerbundrats als selbstverständlich angesehen werden, daß die Polnische Regierung erforderlichenfalls nicht verfehlen würde, die notwendigen Maßnahmen zur Sicherstellung dieser Berichtigung zu ergreifen.

2. Die Neuverteilung des Grund und Boden entsprechend dem Agrarreformproblem wird ausschließlich auf Grund sozialer und wirtschaftlicher Erwägungen vollzogen werden, ohne Rücksicht auf die Volkszugehörigkeit der Personen, denen sie etwa zugute kommt".48

Aber auch dieser Wink bewirkte nur für zwei Jahre, daß das Missverhältnis zwischen deutschen und polnischen Namen auf der Parzellierungsliste nicht gar zu groß war. Statt [124] 68 und 70% der Fläche stellten die Deutschen 1935 und 1936 "nur" 55 und 53%. Diese kein genaues und kein richtiges Bild gebenden Zahlen werden unten noch beleuchtet.

Inzwischen hatten die Sprecher des Deutschtums nach dem 26. Januar 1934 erneut Vorstöße bei den Warschauer Stellen unternommen und dem Ministerpräsidenten mehrere Denkschriften und Eingaben unterbreitet, in denen sie sich nicht etwa grundsätzlich gegen die Heranziehung von Deutschen zur Agrarreform aussprachen, sondern auf verschiedene Mißstände bei der Handhabung derselben eingingen, wie z. B. Nichtgewährung der Zuschläge oder Entziehung der früher erteilten Zuschläge nach Art. 3 des Gesetztes, Anwendung der Entschädigungsgrundsätze, Zerschlagung von Mustergütern, wiederholte Parzellierungen bei denselben Besitzern u. a. mehr. Vor allem aber mussten sie immer wieder darauf hinweisen, daß durch die Heranziehung der Deutschen in so überaus starkem Maße und durch die Nichtberücksichtigung deutscher Bewerber bei der Parzellenvergebung dem gesamten Deutschtum ein Unrecht geschah, für das es weder eine wirtschaftliche noch eine staatspolitische Begründung gab. Aber alle deutschen Bitten und Forderungen nach Abänderung des Systems blieben erfolglos. Der Nichtangriffspakt hatte keine Änderung gebracht, und auch die deutsch-polnische Minderheitenerklärung vom 5. 11. 1937, die in Punkt 5 den Minderheiten ausdrücklich die gleichen Rechte wie den Angehörigen des Staatsvolkes hinsichtlich des Besitzes oder Erwerbes von Grundstücken zubilligte, brachte nicht die geringste Erleichterung. Zur Erhärtung des Gesagten lassen wir nun eine Aufstellung der zwischen 1926 und 1939 in Posen-Westpreußen für die Bodenreform angeforderten Flächen folgen:

[125]

          deutsch                  polnisch     
ha % ha %
1926 10800   92 950   8
1927 9813   69 4397   31
1928 3975   54 3451   46
1929 7302   93 570    7
1930 10655   73 3965   27
1931 ---   --- ---   ---
1932 7700   53 6933   47
1933 1415   68 660   32
1934 1032   70 443   30
1935 6197   55 5054   45
1936 8444   53 7450   47
1937 10325   72 7896   28
1938 22254   61 14035   39
1939 22732   65 11988   35

122644   66 67792   3449

Diese Aufstellung besagt schon sehr viel. Eine weitere Aufhellung erbringen aber die Angaben über die für die Bodenreform in Frage kommenden Flächen, den sogenannten "Landvorrat". Die zu parzellierende Bodenfläche deutscher Besitzer belief sich nämlich im Jahre 1926 auf 262110 ha, d. i. 38,6% des gesamten Landvorrates, jener der polnischen Besitzer auf 417237 ha, d. i. auf 61,4%. Der deutsche Anteil an Landvorrat ging aber seit 1926 nicht nur durch die Agrarreform zurück, sondern auch infolge freiwilliger Parzellierungen und freihändigen Verkaufs ganzer Betriebe in Polen. Nach Veröffentlichung der Parzellierungslisten im Februar 1939 war der deutsche Landvorrat insgesamt auf 94316 ha = 21,8% zusammengeschmolzen, wogegen der polnische Landvorrat noch 337564 ha = 78,2% ausmachte. Im Jahre 1926 hatte der deutsche Großgrundbesitz 514992 ha = 40,9% des Gesamtgroßgrundbesitzes [126] und der polnische 742916 ha. = 59,1% betragen. 1939 waren dem deutschen Großgrundbesitz aber nur noch 316615 ha geblieben, so daß er nur noch 32,2% des gesamten Großgrundbesitzes ausmachte und 38,5% seines Bestandes verloren hatte. Der polnische Großgrundbesitz dagegen verfügte 1939 noch über 664772 ha. = 67,8%, er hatte lediglich 11,1% verloren.50

Das oft in polnischen Versammlungen und in der polnischen Presse geforderte Ziel der Zurückdrängung des deutschen wirtschaftlichen Einflusses in den Westgebieten und der Zerschlagung des deutschen Grundbesitzes war von den Behörden in diesen dreizehn Jahren zu einem großen Teil erreicht worden. Allerdings nur zu einem großen Teil, denn das oft proklamierte Bestreben der polnischen Stellen ging dahin, der deutschen Volksgruppe höchstens diese wirtschaftlichen Lebensmöglichkeiten zu gönnen, die ihr im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl zustünden. In Posen-Westpreußen machte die deutsche Bevölkerung in der Berichtszeit nur 9-10% der Gesamtbevölkerung aus. Daher wollten die Polen den Deutschen auch nur 9% der gesamten Landfläche gönnen und ließen ganz außer acht, daß doch den Deutschen verschiedene Erwerbsmöglichkeiten, wie z. B. der öffentliche Dienst, vollkommen verschlossen waren und daß 68,1% der Deutschen hauptberuflich in der Landwirtschaft arbeiteten, wogegen die Gesamtbevölkerung in der Wojewodschaft Posen nur zu 47,1%, in Pommerellen zu 51,5% in der Landwirtschaft beschäftigt war. Allem Anschein nach nahm man Anstoß daran, daß sich die Deutschen in Polen dank ihres Kulturstandes im allgemeinen auf einem etwas höheren wirtschaftlichen Niveau befanden und wollte der Volksgruppe nur denselben Lebensstandard zubilligen, wie ihn die Gesamtbevölkerung aufwies, die nach der Volkszählung von 1931 zu 23,1% aus Analphabeten bestand. Was für ein Unrecht man bei einer völligen [127] Verwirklichung dieser Absichten der deutschen Volksgruppe angetan hätte, liegt auf der Hand.



Das Grenzzonengesetz

Aber all diese bisher behandelten Maßnahmen der Verwaltungs- und Agrarbehörden, die rigorose Anwendung aller in Frage kommenden Bodengesetze, die dahin abzielten, deutsche Bauern zu enteignen oder ihre Seßhaftmachung zu verhindern, schienen den polnischen Regierungskreisen noch nicht ausreichend zu sein, um die restlose Entdeutschung Posen-Westpreußens mit der erwünschten Schnelligkeit durchzuführen. Es musste daher noch ein besonderes Gesetz geschaffen werden, das ebenso wie die anderen in seinem Wortlaut keine einzige die Minderheiten diskriminierende Bestimmung enthielt, das aber den Behörden noch viel mehr Möglichkeiten in die Hand gab, gegen die deutsche Volksgruppe vorzugehen, deren Lebensmöglichkeiten immer mehr einzuengen und einzuschnüren. Es war dies das Grenzzonengesetz. Seit jeher schon unterlagen die Rechtsverhältnisse der Bevölkerung an den Staatsgrenzen besonderen Vorschriften und Bestimmungen, die aus Gründen der Verteidigung und Kontrolle der Staatsgrenzen notwendig wurden. In Polen galt seit dem 23. 12. 1927 eine Verordnung des Staatspräsidenten, die der Grenzbevölkerung hinsichtlich des Aufenthalts sowie hinsichtlich des Erwerbes von Grundstücken weitgehende Einschränkungen auferlegte. Da das Gesetz jedoch zuerst nicht mit voller Schärfe zur Anwendung gekommen war, führte es nur zu unwesentlichen Benachteiligungen der an der Westgrenze Polens ansässigen deutschen Bevölkerung. Das änderte sich jedoch grundlegend, als am 22. 1. 1937 diese Verordnung zusammen mit Ausführungsbestimmungen in einer Neufassung veröffentlicht wurde, die recht erhebliche Änderung des bisherigen Rechtszustandes vorsah und vor allem verschärfte Vorschriften bezüglich des Erwerbes und Besitzes von Grundstücken einführte.

[128] Unter dem Grenzgebiet verstand das Gesetz zunächst
1. einen Grenzwegstreifen von ca. 15 m entlang der Grenzlinie,
2. einen Grenzstreifen von ca. 2-6 km Breite (die sogen. kleine Grenzzone),
3. eine Grenzzone von 30 km (die sogen. große Grenzzone).

Jedoch waren der Innenminister und die Wojewoden berechtigt, das Gesetz in territorialer und sachlicher Hinsicht auszudehnen. Die Wojewoden von Posen, Pommerellen, Schlesien und Wolhynien, deren Gebiete zum großen Teil schon von Gesetzes wegen zur Grenzzone gehörten, machten von dieser Ermächtigung recht bald Gebrauch, so daß z. B. in Pommerellen sämtliche Kreise bis auf Thorn zum Grenzzonengebiet gehörten (ca. 90%), während es von der Wojewodschaft Posen 66% waren.51 In der kleinen Grenzzone, also im Grenzstreifen, konnten Grundstücke für Zwecke des Grenzschutzes gegen eine Entschädigung zwangsenteignet werden, ferner konnte der Wojewode jeglichen Aufenthalt für genehmigungspflichtig erklären. In dieser Zone galten scharfe Vorschriften hinsichtlich des Aufenthaltes, der Niederlassung und des Meldewesens, des Besitzes von Schusswaffen, photographischen Apparaten, Einrichtungen des Fernmeldewesens sowie der Benutzung von Wagen, Grenzgewässern, Registrierung von Tieren und dgl. mehr. In der großen Grenzzone konnte ein Grundstück nur noch mit Genehmigung des Wojewoden erworben werden, und zwar nicht nur, wenn es sich um einen Kauf- oder Übernahmevertrag handelte, sondern auch für den Fall eines Erbüberganges. Zwar sollte eine Genehmigung nicht erforderlich sein, wenn eine Erbschaft von Gesetzes wegen vorlag, diese Bestimmung wurde aber so eng ausgelegt, daß sogar gesetzliche Erben um Genehmigung nachzusuchen hatten, wenn ihnen nämlich testamentarisch mehr als das gesetzliche Erbteil vermacht wurde oder [129] wenn Erbengemeinschaften eine Erbauseinandersetzung vorzunehmen hatten. Von der Möglichkeit, bestimmte Personengruppen von dem Genehmigungszwang zu befreien, wie es fast alle Wojewoden bei den Erben erster und zweiter Ordnung taten, machten die Wojewoden der Westgebiete keinen Gebrauch. Erst kurz vor Kriegsausbruch entschied das Oberlandesgericht in Posen, daß ein zum Kreis der gesetzlichen Erben Gehörenden keiner besonderen Genehmigung auch bei Übernahme des ganzen Besitzes bedurfte.52 Darüber hinaus war laut Gesetz noch die Pachtung, Nutznießung und Verwaltung eines in der Grenzzone gelegenen Grundstücks genehmigungspflichtig. Der Wojewode konnte auch die Ausübung von Handel und Gewerbe einschränken, die Beschäftigung von Arbeitern untersagen und Vereine, Genossenschaften usw. auflösen, wenn er dieses mit Rücksicht auf den Schutz der Grenzzone für erforderlich hielt. Für den Fall, daß den Erben die Übernahme eines Grundstückes verweigert wurde, waren dieselben gehalten, das Grundstück innerhalb von 12 Monaten an eine den Behörden genehme Person zu verkaufen, widrigenfalls innerhalb von weiteren 12 Monaten Zwangsversteigerung erfolgte.

Diese weitgehenden Ausnahmebestimmungen, denen über ein Sechstel der Gesamtfläche Polens unterlag, hatten besonders für die Minderheiten im allgemeinen und für die deutsche Volksgruppe im besonderen die nachteiligsten Folgen, da die Behörden sämtliche in ihr Ermessen gestellten Bestimmungen zuungunsten der Deutschen anwandten. Da das Grenzzonengesetz erst am 1. Juli 1937 in Kraft trat, versuchte ein großer Teil der deutschen Bauern in den betroffenen Gebieten ihr Grundstück den Erben bald nach Veröffentlichung des Gesetzes (22. 1. 37) im Wege eines Überlassungsvertrages zu übertragen. Die Eintragungen im Grundbuch waren jedoch - ohne Verschulden der Antragsteller - vielfach am 1. 7. 37 noch nicht vollzogen, und das Posener Appellationsgericht [130] erklärte all diese noch nicht eingetragenen Überlassungsverträge für genehmigungspflichtig, obwohl sie an sich rechtzeitig - vor Inkrafttreten des Gesetzes - abgeschlossen waren. Genehmigungen an Deutsche wurden aber grundsätzlich nicht erteilt, selbst wenn es sich um Erben erster und zweiter Ordnung handelte. Senator Wiesner musste bereits im Dezember 1937 die Auswirkung dieses Gesetzes zum Gegenstand einer Eingabe an den Justizminister und einer im Februar 1938 eingebrachten Interpellation im Senat machen. Dem Ministerpräsidenten überreichte er Mitte August 1939 eine Denkschrift, in der er 513 Fälle namentlich aufführte, in denen Deutsche vom Erwerb von Grund und Boden ausgeschlossen wurden.53 Die Deutsche Vereinigung (DV) wiederum konnte bis Ende 1938 allein für Posen-Westpreußen in insgesamt 566 Fällen nachweisen, daß das Grenzzonengesetz zuungunsten der Deutschen angewandt wurde. Davon wurde in 102 Fällen der Verkauf von Grundstücken unterbunden, 392 Überlassungsverträge an Verwandte ersten und zweiten Grade wurden nicht genehmigt und nur in 6 Fällen wurde die Genehmigung erteilt. Der Abschluss von 29 Pachtverträgen wurde unmöglich gemacht. 9 Personen wurde die Zuzugsgenehmigung in den Grenzstreifen versagt, 27 Deutsche wurden aus dem Grenzstreifen bzw. aus der Grenzzone ausgewiesen, 5 Deutschen wurde die Ausübung der Jagd im Grenzstreifen, 2 die hypothekarische Eintragung zugunsten von Reichsdeutschen untersagt.54 Unter den abgelehnten Überlassungs- bzw. Kaufverträgen befanden sich einige, die erst kurz vor Erlass des Gesetzes abgeschlossen worden waren, weil die seinerzeit eingeleiteten Wiederkaufs- bzw. Vorkaufsverfahren nach langem Rechtsstreit zugunsten des deutschen Beschwerdeführers ausgegangen waren. Die nach dem günstigen Ausgang beantragten Grundbucheintragungen wurden nun auf Grund des Grenzzonengesetzes abgelehnt.

[131] Zu den von der DV für die Zeit von September 1937 bis November 1938 gesammelten 566 Fällen traten noch die Zwangsmaßnahmen gegen 160 Helaer Fischerfamilien, d. h. nahezu alle deutschen Bewohner dieser Halbinsel, die Ende 1937 auf Grund des Grenzzonengesetzes in Verbindung mit dem Gesetz über die Anlage von Befestigungen zur entschädigungslosen Aufgabe ihres angestammten Wohnsitzes gezwungen wurden, derentwegen Senator Hasbach eine besondere Eingabe an den Ministerpräsidenten richtete und Botschafter von Moltke bei Außenminister Beck am 11. 12. 1937 intervenierte. 55 Bis 1939 waren der DV über 1000 Ablehnungen allein des Eigentumsüberganges bekannt geworden.56

Der ganze Grundstücksverkehr im Deutschtum Westpolens wurde somit lahm gelegt, Pachtverträge konnten nicht abgeschlossen oder erneuert werden, alt gewordene Bauern konnten ihre Höfe nicht übergeben und dergl. mehr. Sämtliche deutschen Eingaben, Vorstellungen, Berufungen auf das deutsch-polnische Minderheitenabkommen usw. blieben erfolglos. Das Vorgehen der polnischen Behörden ließ allzu deutlich erkennen, daß sie es darauf abgesehen hatten, durch eine rücksichtslose, aber zielbewusste Handhabung des Grenzzonengesetzes ebenso wie auch der anderen Möglichkeiten, den deutschen Grundbesitz in Posen-Westpreußen möglichst spätestens im Laufe einer Generation in polnische Hände zu überführen.


[132]
Gesamtverlust in Posen-Westpreußen

Von der 1918 in privaten deutschen Händen befindlichen Landfläche von 1535400 ha waren doch

schon bis 1929 ohne Agrarreform verloren gegangen 499318 ha
dazu kam der Verlust durch die Agrarreform 1926/3857 109912 ha
durch freiwillige Parzellierung unter Einfluß der Agrarreform   29224 ha
sonstige Verkäufe aus dem Großgrundbesitz
      infolge des Druckes und der Wirtschaftslage
36437 ha
durch Exmission von Ansiedlern und
      durch Druck bewirkte Verkäufe bäuerlichen Besitzes
10667 ha

insgesamt Landverlust 1919-1939 685558 ha58

Wenn das 1937 eingeschlagene Tempo beibehalten worden wäre, dann wäre der deutsche Besitzstand "schon in den nächsten Jahrzehnten auf rund 240000 ha zusammengeschmolzen".59 Das Tempo vor 1937 war den maßgebenden Faktoren der polnischen Öffentlichkeit viel zu langsam gewesen. Auf jeder Tagung der bereits genannten Verbände und Institute wurden Resolutionen gefasst, in denen die Regierung aufgefordert wurde, endlich mit der angeblichen Nachsicht und mit der ebenso angeblichen übergroßen Rücksichtnahme den Deutschen gegenüber Schluss zu machen und diese radikal zu entfernen. Noch im Jahre 1947 haben polnische Universitätsprofessoren - Zygmunt Wojciechowski und Jozef Feldman - in ihrem Werk Poland's Place in Europe mit Bedauern festgestellt, daß Polen so großzügig auf die Einziehung von 50000 ha und 700 Stadtgrundstücken in den Westgebieten verzichtet habe.60 Ohne dadurch diese Zahlen anzuerkennen, sei [133] darauf hingewiesen, daß sich Polen zu diesem Verzicht im deutsch-polnischen Liquidationsabkommen 1929 erst dann bereiterklärt hatte, als Deutschland seinerseits alle Entschädigungsansprüche aus den bereits durchgeführten Liquidationsfällen aufgegeben hatte. Unter letzteren befand sich auch das Stickstoffwerk in Chorzow. Allein die Deutschland dafür zustehende Entschädigung hätte mehr ausgemacht, als der Wert der in diesem Abkommen den Deutschen gelassenen, von der Liquidation bedroht gewesenen Objekte.61 Liquidiert waren aber bis 1929 außer Chorzow schon rund 155000 ha. 1700 städtische Objekte und 274 Handels- und Industrieunternehmungen, für welche bis Ende 1925 schon Entschädigungsansprüche auf etwa 200 Millionen Schweizer Franken eingereicht werden mussten.



Der Kampf um die Scholle in Mittelpolen und Wolhynien

Dieser in Posen-Westpreußen am härtesten ausgeprägte, dem Deutschtum aufgezwungene Kampf um den Boden machte sich auch in den anderen Siedlungsgebieten bemerkbar. Die Agrarreform in Oberschlesien behandeln wir im nächsten Abschnitt. Wenn die Deutschen in Mittelpolen und Galizien im allgemeinen keinen Kampf um den Boden zu führen hatten, so ist das nicht auf eine anders geartete Haltung der dortigen Behörden zurückzuführen, sondern auf den Umstand, daß der deutsche Großgrundbesitz in diesen Siedlungsgebieten einerseits zahlenmässig überhaupt keine Rolle spielte und andererseits die Besitzer zum großen Teil - besonders in Mittelpolen - im Begriff waren, im Polentum aufzugehen. Ferner herrschten bei den Deutschen beider Siedlungsgebiete einwandfrei geklärte Besitzverhältnisse, Rentengüter lagen gar nicht, Pachtungen fast gar nicht vor, so daß der dortige deutsche landwirtschaftliche Besitz keine Angriffspunkte bot. [134] Trotzdem sah das Agrarreformprogramm für 1939 Parzellierungen deutschen Besitzes in den Wojewodschaften Warschau (206 ha) und Lodz (1232 ha) vor.62

Daß die polnischen Behörden auch im ehemals russischen Teilgebiet gewillt waren, gegen den deutschen Bauern vorzugehen, sobald sie irgendeine Möglichkeit dazu hatten, obwohl hier der deutsche Anteil am Boden den deutschen Hundertsatz in der Bevölkerung kaum überschritt, ist aber vor allem aus dem "Schicksalsweg der Wolhyniendeutschen" zu ersehen.63 Dabei konnte jenes zahlenmäßig so geringe und vom Mutterland so weit entfernte Deutschtum auf ukrainischem Volksboden überhaupt keine Gefahr für das Polentum darstellen. Da aber die dortigen Ukrainer im allgemeinen friedlicher und weniger volksbewußt waren als die ostgalizischen, hatten allem Anschein nach emporstrebende polnische Beamte dieser Wojewodschaft Zeit und Gelegenheit, sich ihre Sporen bei der Unterdrückung bzw. Verdrängung der wenigen deutschen "Kolonisten" zu verdienen. Da letztere bei ihrer Ansiedlung in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts fast durchweg als Pächter angesetzt worden waren, schon während des 1. Weltkrieges am 31. 7. 1915 von den Russen vertrieben wurden und drei bis vier Jahre im Inneren Russlands hatten zubringen müssen, ergaben sich nach ihrer Rückkehr Schwierigkeiten bei dem Wiederbezug der von ihnen verlassenen Höfe. Das schließlich im Jahre 1924 erlassene Übereignungsgesetz, das den Pächtern eine käufliche Übernahme des bisher gepachteten Landes ermöglichen sollte, enthielt nämlich die Bedingung, daß der Pächter dem Besitz nicht länger als ein Jahr ferngeblieben sein durfte. Da für die Überschreitung dieser Frist schon die Russen gesorgt hatten, mussten viele deutsche Siedler trotz langwieriger Prozesse die von ihnen bzw. ihren Vätern überhaupt erst landwirtschaftlich erschlossene Scholle aufgeben und nach Ostpreußen oder nach [135] Amerika auswandern, bevor noch eine 1928 beschlossene Novelle die Härte des Übereignungsgesetzes milderte.

Aber auch noch danach konnten sich viele Wolhyniendeutsche ihres Besitzes nicht in Frieden erfreuen. So wurde im Januar 1934 sämtlichen "Kolonisten" der deutschen Kolonie Bludow, Kreis Horochow, durch Entscheid des Obersten Verwaltungsgerichtes in Warschau das Eigentumsrecht an ihrem Landbesitz abgesprochen, obwohl sie vorher einen langwierigen Prozess gegen den Gutsbesitzer gewonnen hatten, der ihnen im Jahre 1921 197 ha verkauft hatte. Aber das Hauptlandamt in Luzk ließ die grundbuchliche Übereignung unter nichtigen Vorwänden nicht zu; es beanstandete die Nichtvorlage von Bescheinigungen über die Bauernfähigkeit und über die polnische Staatsangehörigkeit der deutschen Bauern. Als diese Unterlagen beigebracht worden waren, wurde den Deutschen das Besitzrecht aus Gründen der "rationalen Landwirtschaft" abgesprochen, da sich in der betreffenden Gegend viele Landlose befänden und einer der Deutschen die behördlicherseits vorgeschriebene Besitzhöchstgrenze mit drei ha überschritten hatte. Die dahingehende Entscheidung des Landwirtschaftsministeriums wurde nun gerichtlich bestätigt, so daß auch hier Bauern, die das Land vor 13 Jahren rechtmäßig erworben und es die ganze Zeit hindurch bebaut hatten, landlos gemacht wurden.64 Ferner wurden im April 1937 aus dem wolhynischen Dorf Lidawka 20 deutsche Kolonistenfamilien zwangsweise ausgesiedelt, die ihre Höfe schon jahrzehntelang bewirtschaftet hatten, denen aber die Übereignung versagt geblieben war. Sie mussten sogar ihre nach dem Krieg mühsam wieder errichteten Häuser niederreißen. Das freigewordene Siedlungsland wurde dann infolge Fehlens von polnischen Bewerbern ukrainischen Siedlern zugewiesen.65

[136] Die polnischen Behörden versuchten also im ganzen Staatsgebiet, wo sich ihnen nur eine Handhabe dazu bot, die deutschen Bauern von der Scholle zu verdrängen - ungeachtet des deutsch-polnischen Nichtangriffpaktes, ungeachtet der deutsch-polnischen Minderheitenerklärung.

Seite zurückInhaltsübersichtSeite vor



47Heidelck, Friedrich: Der Kampf um den deutschen Volksboden im Weichsel- und Wartheland von 1919 bis 1939. S. 464; abgeschl. Breslau 1943;
Eingabensammlung der deutschen Volksgruppe in Westpolen. 1936, S. 43. Hrsg. von der Deutschen Vereinigung; Bromberg 1936. ...zurück...

48Die Frage des Besitzes und Erwerbes von Grundstücken durch Angehörige der deutschen Volksgruppe in Westpolen. S. 7. Hrsg. von der Deutschen Vereinigung; Bromberg 1938. ...zurück...

49Kohnert, Hans in: Nation und Staat. Jg. XII, S. 617f; Wien 1939. ...zurück...

50Kohnert, Hans in: Nation und Staat. Jg. XII, S. 618-622; Wien 1939;
Die Frage des Besitzes und Erwerbes von Grundstücken durch Angehörige der deutschen Volksgruppe in Westpolen. S. 218f. Hrsg. von der Deutschen Vereinigung; Bromberg 1938. ...zurück...

51Karzel, Karl: Die Posener deutsche Landwirtschaft während der polnischen Herrschaft. S. 190, abgeschl. Posen 1943. ...zurück...

52ebenda. ...zurück...

53Nation und Staat. Jg. XI, S. 534 u. S. 728; Wien 1938;
Osteuropa. Jg. XIV S. 45f; Königsberg 1939. ...zurück...

54Die Frage des Besitzes und Erwerbes von Grundstücken durch Angehörige der deut. Volksgruppe in Westpolen. S. 132-173. Hrsg. von der Deutschen Vereinigung; Bromberg 1938. ...zurück...

55Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges. (DWB II) Dok. 109, S. 107. Hrsg. vom Auswärtigen Amt; Berlin 1939. ...zurück...

56Heidelck, Friedrich: Der Kampf um den deutschen Volksboden im Weichsel- und Wartheland von 1919 bis 1939. S. 497; abgeschl. Breslau 1943. ...zurück...

57Zur Parzellierung der 1939 angeforderten Fläche war es nicht mehr gekommen. ...zurück...

58Loesch, Karl C. von: Die Verluste des Deutschtums in Polen. S. 35f; Berlin 1940. ...zurück...

59Heidelck, Friedrich: Der Kampf um den deutschen Volksboden im Weichsel- und Wartheland von 1919 bis 1939. S. 498; abgeschl. Breslau 1943. ...zurück...

60Wojciechowsi Zygmunt (Hrsg.): Poland's Place in Europe. S. 379; Posen 1947. ...zurück...

61Perdelwitz, Richard: "20 Jahre polnische Minderheitenpolitik gegen die Deutschen." S. 29, in: Grenzmärkische Heimatblätter. XVI. Jg. S. 24-56; Schneidemühl 1940. ...zurück...

62Osteuropa. Jg. XIV S. 464f; Königsberg 1939. ...zurück...

63Kleindienst, Alfred - Lück, Kurt: Die Wolhyniendeutschen kehren heim ins Reich (Der Schicksalsweg der Wolhyniendeutschen). Posen 1939/40. ...zurück...

64Eingabensammlung der deutschen Volksgruppe in Westpolen 1936, S. 8. Hrsg. von der Deutschen Vereinigung; Bromberg 1936;
Nation und Staat. Jg. VII, S. 343ff; Wien 1934. ...zurück...

65Nation und Staat. Jg. X, S. 616f; Wien 1937;
Landwirtschaftlicher Kalender für Polen. S. 17; Posen 1938. ...zurück...

Seite zurückInhaltsübersichtSeite vor


Die deutsche Volksgruppe in Polen 1934-1939