Heft 6:
[i] [Scriptorium merkt an: dieses Geleitwort steht am Anfang eines jeden Heftes der Serie, daher verweisen wir hier statt einer Wiederholung auf denselben Abschnitt in Heft 1.] [3] Vorwort "Hinter dem Stacheldraht!" Ein Blick in die Hölle, in der im 20. Jahrhundert Kriegsgefangene unter unnennbaren Qualen Jahre hindurch geschmachtet haben. Eine Anklageschrift von unwiderlegbarer Wucht gegen die Vertreter der "grande nation". Das Heft bedarf keines Vorwortes. Wer es liest, bedarf auch keiner Aufklärung! Ist er dann noch nicht sehend geworden, dann will er eben nicht sehen! Wir wollen den Stacheldraht zerreißen und der Wahrheit eine Gasse bahnen! Erreichen wir das, so haben wir reichlich Lohn für unsere Arbeit.
Zwei
Kriegsbeschädigte. [4=Trennblatt] [5] Das Vergeltungslager Souilly Unsere kriegsgefangenen Kameraden sind nach einer Leidens- und Schreckenszeit ohnegleichen aus Frankreich und England in die Heimat zurückgekehrt. Was sie über ihre Erlebnisse hinter dem Stacheldraht erzählen, ist so erschütternd in seiner unvergleichlichen Grausamkeit, daß sich die Feder fast sträubt, es wiederzugeben.
In den Berichten der Heimkehrer wird immer wieder als eine furchtbare
Stätte unmenschlicher Leiden das Vergeltungslager Souilly in der Nähe von Verdun genannt.
In besonders lebhaften Farben schildert der ehem. Kriegsgefangene Max Nees, Musketier im Res.-Inf.-Regt. Nr. 87, aus Offenbach a. M., seine Erlebnisse in jenem Lager: "Hier (in Souilly) sollten nun unsere Leiden beginnen, Leiden, von welchen niemand eine Ahnung hatte, und welche wir den Franzosen niemals zugetraut hätten. Wir alle hofften nun nach den Tagen der Unruhe und des Hungers - ich hatte z. B. am 15. 12. 16 keine Verpflegung mehr erhalten - auf eine geeignete Unterkunft und freuten uns darauf, den müden Körper ausruhen zu können. Der größte Teil der Kameraden war infolge des Gewaltmarsches, den die Franzosen mit uns machten, auch fußkrank, und bei den kurzen Rasten unterwegs blieben diese auf der Chaussee liegen und konnten nur mit großer Mühe weitertransportiert werden. Aber welche Enttäuschung sollten wir erleben! Man trieb uns in einen Stacheldraht, umgeben mit Maschinengewehren, fußhoch der Schlamm, in eine oben und unten vollständig zerrissene Zelthalle, also alles frei und offen; es begann in dieser Nacht zu frieren und wurde bitterkalt. Wie die wilden Tiere liefen wir auf und ab, nur um in Bewegung zu bleiben und keinen ernsten Schaden zu nehmen. Trotzdem gab es eine ganze Anzahl Leute mit erfrorenen Gliedmaßen. [6] Zwei Tage und zwei Nächte dauerte dieses Elend im Freien. Sodann verbrachte man uns in das nächste Zelt, welches aber schon von zirka 300 Mann belegt und so überfüllt war, daß sich keiner mehr rühren und regen konnte. Man lag nachts übereinander; was dann nachts hier vorging, ist nicht zu beschreiben. In diesen Tagen regnete es nun ohne Aufhören; durch Regen und Sturm wurde diese Halle zwei Tage später umgerissen, das Lager selbst, vorher Acker, glich einem großen Schlammbad. Die Verpflegung bestand aus Wasser und Brot, dazu ab und zu einer kleinen Büchse Rindfleisch für 4 Mann. Das Wasser wurde in einem Wiesengrund geholt und war ungenießbar. 24 Stunden gab man uns überhaupt keine Nahrung. Am 20. 12. 1916 kam dann die große Untersuchung; man nahm uns alles ab, mir z. B. Photographien, Militärpapiere, Bleistifte, Riemenzeug, Löffel usw., überhaupt alles, was man uns an der Front nicht abgenommen hatte, und was man nicht verbergen konnte. Da man nun nirgends eine geeignete Unterkunft zum Schlafen fand (das einzige war eine alte, stark überfüllte Lehmbaracke), wanderte man die ganze Nacht, schlief im Stehen oder wo man gerade lag. Denn um uns 'Schweine' bekümmerte sich niemand. Aus diesem Lager brachte man uns, etwa 160 - 180 Mann, endlich am 22. 12. 16 in eine kleine, einer Scheune ähnliche Baracke ohne Stroh oder sonstige Einrichtung, dafür aber Läuse in Hülle und Fülle. Was dann hier vorging, spottet jeder Beschreibung; jede Nacht schlug man sich um die Plätze, es gab manches blaues Auge. Die Verpflegung war auch hier die gleiche, nur das Wasser war noch ungenießbarer und wurde in einem alten Faß geholt, woraus jedermann mit einem alten Fleischbüchschen schöpfte. Die drei letzten Tage im Dezember gab man uns morgens etwas Kaffee: am 1. Januar 1917 schlug unsere Erlösungsstunde; wir wurden nach dem Hauptlager übergeführt, wo aber neue Leiden bevorstanden. Es kam zunächst die Entlausung, welche in unerhörter Weise vor sich ging: Wir mußten uns ausziehen, alles zusammenpacken, die Hosenträger kamen in einen Petroleumbehälter, der Körper mußte mit Petroleum und mit Kampferöl eingerieben werden. Aber dies alles war ja noch zu ertragen. Die Hauptsache folgte: Es ging nun nackt - wer Glück hatte, mit einem Fetzen Decke um die Schultern - mit bloßen Füßen über das Lager, meiner Schätzung nach etwa 80 bis 100 Meter weit, auf Holzrosten nach dem sogenannten Baderaum. Feuer usw. war hier Nebensache und alles halb offen und primitiv eingerichtet. Ein Stückchen Seife gab man uns, aber kein Handtuch. In diesem sogenannten Baderaum waren an der Decke zwei große viereckige Blechbüchsen angebracht, gelocht mit einem Nagel, in welche man 1 Eimer kaltes und eine Gießkanne warmes Wasser goß; darunter trieb man etwa 14 bis 15 Mann. Dann ging es mit nassem Körper den Weg zurück nach dem Entlausungsraum, welcher auf der einen Seite offen war, und in dem zwei Maschinen standen, ähnlich Lokomobilen. Hier [7] wartete man etwa ½ - ¾ Stunden, naß und zusammengedrängt, um sich zu wärmen, auf seine Lumpen, welche dann halb verbrannt in unsere Hände kamen. Erwähnen möchte ich noch, daß der Hin- und Hertransport oft mit Stockschlägen vor sich ging. Dieses unerhörte Verfahren mußte ich nochmals am 15. 1., 22. 1. und 24. 1. 1917 mitmachen, und ich wundere mich heute noch, daß ich damals keinen ernstlichen Schaden genommen habe, zumal ich noch an beiden Beinen eine Anzahl Furunkel hatte, was jedoch kaum berücksichtigt wurde. An diesem Abend gab es zum erstenmale seit 16. 12. 16 warmes Essen, und zwar saure Maccaroni. Am 2. 1. 17 arbeitete ich bereits in einem Pionier-Depot. Ich mußte mit zwei Kameraden ohne Stiefel, also in den Strümpfen, das Dach einer Autohalle (Zelthalle) mit Leinöl firnissen; die Arbeit im Regen - es war ziemlich kalt - war in den Strümpfen keine angenehme. Den 3. und 4. 1. 1917 ging ich mit etwa 300 Mann in einen Steinbruch in der Nähe von Souilly auf Arbeit; es regnete den ganzen Tag; man gab uns kaltes Büchsenfleisch und Brot, man trank schlechtes Wasser dazu, eine Unterkunft war nicht vorhanden. Die aufsichtführenden Elsässer teilten ziemlich viel Schläge aus. Abends wurden wir mit nassen Kleidern in einer Zelthalle mit nassem Stroh untergebracht, Krankheiten waren nun die nächste Folge. Durch diese Strapazen und die mangelhafte Ernährung in den letzten 14 Tagen und vor allem durch das schlechte Wasser, vor dem jetzt in dem Hauptlager gewarnt wurde, das man uns aber vorher zu trinken gab, wurden die meisten von uns darmkrank, und so mußte auch ich mich am 5. 1. 17 krank melden. Mit welchen Schikanen die Krankmeldung verbunden war, will ich hier übergehen, kurz gesagt, es mußte jeder durch eine Probe den Beweis erbringen, daß er darmkrank war. Infolge mangelhafter Behandlung starben sehr viele; die Leute kamen erst dann in ein Lazarett, wenn es zu spät war. Als sich die Krankheitsfälle mehrten, sperrte man uns Kranken von den Gesunden im Lager ab, aber alles nutzte nichts mehr: es gab zuletzt mehr als 280 Kranke im Lager, alle Darmbaracken waren überfüllt. Nun wurde das Lager gesperrt, da man von Cholera- und Typhusfällen munkelte; in einem Laboratorium untersuchte man hierauf den Kot, ich selbst machte eine dreimalige Untersuchung mit. Erwähnen möchte ich noch den französischen Sanitätskorporal, welcher angeblich 11 Monate in deutscher Gefangenschaft war und die Leute auf alle mögliche Art und Weise drangsalierte. U. a. fragte er morgens in den Baracken: Nix kaputt? Wieviel kaputt? Er hatte Glück, denn fast alle Tage lag so ein unglückliches Opfer tot auf seinem Stroh. Da man uns unsere Löffel abgenommen hatte und keine anderen gab, mußte man die Speisen mit den schmutzigen Fingern - denn Waschgelegenheit gab es nicht - aus dem Geschirr in den Mund bringen; erst meine wiederholten Vorstellungen führten dazu, daß man uns eine Zeitlang später Löffel gab. Nach meiner Überzeugung ging man in diesem Lager, das nicht umsonst [8] das Schreckenslager von Souilly genannt wurde, systematisch darauf aus, die Gesundheit der Gefangenen zu untergraben, was den Herren Franzosen auch nur zu gut gelungen ist; der dortige Friedhof legt Zeugnis davon ab. Man machte keinen Hehl daraus, daß dies alles eine Strafe sei für die Kämpfer der Kronprinzen-Armee. Das Lager verließ ich am 19. 2. 1917."
Vizefeldwebel Franz Libera vom Grenadier-Regiment Nr. 6 aus Görlitz erzählt über dasselbe Lager: "Am 15. Dezember 1916 geriet ich bei Douaumont in französische Gefangenschaft. Beim Abtransport am nächsten Tage in das Lager von Souilly machten wir in dem ersten Dorfe hinter Verdun halt, woselbst die Offiziere und einige Unteroffiziere einem Verhör unterzogen wurden. Als ein Vizewachtmeister auf Befragen, wo sich die schwere Artillerie in Stellung befinde, die Auskunft verweigerte, wurde er von einem französischen Major mehrmals mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Darauf ist er unter besondere Bewachung gestellt worden, und es wurde ihm erklärt, wenn er binnen einigen Stunden nicht die Aussage mache, werde er standrechtlich erschossen. Dies geschah alles in Gegenwart des ganzen französischen Divisionsstabes, welcher in dem Dorfe war. Da wir einige Zeit darauf weiter in Marsch gesetzt wurden, und der Kamerad dort zurückbleiben mußte, kann ich nicht angeben, welche weiteren Mißhandlungen er zu erdulden hatte. Auch im Lager von Souilly wurde versucht, die Unteroffiziere zur Aussage zu zwingen, indem sie mehrere Tage nichts zu essen bekamen. Sonst waren wir in diesem Lager den schwersten Mißhandlungen ausgesetzt. Die französischen Unteroffiziere trugen dicke Stöcke bei sich; bei dem geringsten Vergehen schlugen sie damit auf die Gefangenen ein, so daß mancher Kamerad unter den wuchtigen Schlägen blutig zusammenbrach. Auch erklärten uns die französischen Unteroffiziere, daß dies das Straflager für die Kronprinzenarmee sei, welches auf Befehl der obersten Behörden errichtet wurde, und daß sie von ihren Vorgesetzten Befehl hätten, die Gefangenen zu mißhandeln. Am 1. Weihnachtsfeiertage war Gottesdienst für beide Konfessionen angesetzt. Mitten während der Feier kamen aber die Unteroffiziere in die Zelte und trieben alle mit ihren Stöcken hinaus. Kurze Zeit darauf befanden wir uns auf dem Wege zum Steinbruch. Ausreißer wurden nach schweren Mißhandlungen, wie Schlägen, Fußtritten und dergleichen, in finstere Löcher eingesperrt und mußten täglich zwei Stunden lang mit Steinen gefüllte deutsche Tornister schleppen, deren Trageriemen entfernt und durch ganz dünnen Bindedraht ersetzt waren. Der Stabsarzt des Lagers hat schwerkranke Leute, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnten, während der Revierstunde geschlagen und hinausgeworfen, anstatt sie in Behandlung zu nehmen. Noch schwerer mißhandelte der Korporal die Leute durch Schläge und Fußtritte. Die Namen dieser beiden Peiniger sind: Stabsarzt Georg Froin, Paris, und Korporal Bureau, Lyon."
[9] Unteroffizier Hubert Hinz vom Infanterie-Regiment. Nr. 394 bestätigt die viehische Behandlung im Lager Souilly und fügt noch hinzu: "Nachdem es mir so traurig in der Kampfzone ergangen war, hoffte ich auf menschlichere Behandlung im Lager Souilly-Verdun, wohin ich am Abend durch eine amerikanische Ambulanz transportiert wurde. Aber anstatt, wie ich hoffte, etwas Erfreuliches zu sehen, ein noch größeres Elend! Die Baracken und Zelte waren überfüllt von deutschen Verwundeten. So kam es, daß ich mit vielen andern zusammen in einen Drahtverhau - unter freiem Himmel - getragen wurde. Dicht aneinander lagen wir dort, ohne Decken und Mäntel; die leichter Verwundeten und Gaskranken standen dazwischen. Noch am Abend baten wir um Erneuerung der Notverbände, jedoch schlug der Militär-Chefarzt unsere Bitte glatt ab. Auch Wassertrinken wurde nicht gestattet! Noch spät in der Nacht kam der Chefarzt - leider ist sein Name mir nicht bekannt; er trug einen schwarzen Vollbart und goldenen Kneifer - und fragte: 'Sie haben Durst?' 'Ja.' Höhnisch grinsend antwortete er: 'Warum sind Sie gekommen nach hier? Man hat Sie nicht gerufen!' Zu seinem Begleiter, anscheinend einem Elsässer, meinte er darauf: 'Voilà l'armée Boche du Kronprinz!' Eine Hilfe wurde uns nicht gewährt. Am 21. morgens hielt dieser noble Arzt seine 'Visite', die darin bestand, daß er anordnete, die Kameraden, die ihren Wunden erlegen waren, hinauszuwerfen. Er teilte uns daraufhin noch mit, daß wir noch hierblieben, weil deutsche Flieger das Lager und den Flugplatz mit Bomben beworfen hätten. Wir seien die Repressalien. Tatsächlich blieben wir noch weitere vier Tage so liegen, ohne Nahrung und Getränk, geschweige neue Verbände. Am zweiten Tage mußte ich dringend meine Bedürfnisse verrichten. Zwei leichtverwundete Kameraden schleppten mich bis zur Latrine. Da aber dort keine Sitzgelegenheit war, mußte ich als Behelfsstütze eine Bank nehmen. Dies sah ein französischer Capitain, der mit mehreren Offizieren in der Nähe stand. Sie flüsterten sich etwas zu. Darauf kam der Capitain angelaufen, versetzte mir einen Tritt in den Leib, so daß ich mitsamt meiner Bank hinschlug. Zu diesen Schmerzen kamen die der Verwundungen, ich vermochte den Schrei nicht zu unterdrücken. Der Capitain wandte sich um und schrie mir ins Gesicht: 'Ferme la geule, sale cochon!' (Halt deine Schnauze, dreckiges Schwein!) Bei den Offizieren rief das ein allgemeines Gelächter hervor - wohlwollende Behandlung durch die Offiziere der noblen Nation!"
Von dem Unteroffizier Paul Köhler aus Berlin N 58, Gleimstr. 24, hören wir über dasselbe Lager: "In diesem Schreckenslager Souilly war ich 21 Tage; den zweiten Tag wurden zwei Kameraden erschossen, und zwar auf folgende Weise: Es kamen von der Verdun-Offensive, welche am 15. Dezember 1916 begann, zirka 15 000 Gefangene. Als wir die sehr schlechten Zelte aufbauten, kamen die Kameraden hinter einen Drahtzaun; alle hatten großen Durst und reichten alte Konservenbüchsen durch den Drahtzaun durch, um das Regenwasser zu trinken, welches sich in dem Lehmboden in winzigen Mengen [10] angesammelt hatte. Hierbei wurden sie erschossen. Das sind die Kameraden, welche ewig vermißt bleiben werden: die Namen konnte ich leider nicht feststellen. Die Arbeiten wurden teils im Steinbruch, teils im Wald verrichtet; die Steinbrucharbeiter, die von früh 6 bis abends 6 Uhr arbeiteten, mußten zur Strafe noch einen großen Stein bis nach dem Lager tragen, das eine Stunde von der Arbeitsstelle entfernt war. Die Waldarbeiter mußten junge Bäume abhauen, welche die französischen Sergeanten den ganzen Tag zum Schlagen auf die Kameraden benutzten. Hiervon war ich Augenzeuge, abends beim Wassersuppeempfang, wohlbemerkt nach fünf Tagen das erstemal ¼ Liter und 300 Gramm Brot! Vorher gab es nichts als jeden Tag für sechs Mann eine Fleischbüchse, dazu ¼ Liter Wasser, kein Brot. Die sogenannte 'Treibjagd' war zusammengesetzt aus einem Sergeanten, Korporalen und der ganzen Wache; es wurde blindlings immer drauflosgeschlagen, ein Kamerad brach unter der Wucht der Schläge zusammen und war tot, wurde liegengelassen, alles ging über ihn hinweg. Nun kommen wir zu den ärztlichen Untersuchungen. Da es doch viele Ruhr- und Typhuskranke gab, welche alle in einem Zelt lagen, so mußten die Kranken des Morgens auf dem Hof in Reihen rechtsum antreten und in alten Tellern oder Kochgeschirren ihren Stuhlgang vorzeigen, was sehr schnell gehen mußte, da viele während dieses Vorganges vor Schwäche umfielen. Aus demselben Geschirr mußten sie wieder ihre Suppe genießen. Bei diesem Auftritt fragte immer wieder der berühmte Arzt, welcher mehr den Eindruck eines Apachen machte, in seinem gebrochenen Deutsch: Wieviel tot? Wenn fünf bis acht Tote waren, sagte er: 'Nicht gut, morgen mehr Tote sein.' In diesem Lager sind 19 Kameraden wahnsinnig geworden, zum Teil gestorben, zum Teil vermißt. Die ersten fünf Tage in diesem Schreckenslager standen wir Mann an Mann, durften uns weder setzen noch legen; sowie es einer wagte, bekam man in dem sogenannten Hof einen Tornister auf den Rücken, welcher mit Steinen beschwert war, und mußte so lange unter Aufsicht des Sergeanten nach deutschem Muster marschieren, bis man umfiel und dann anschließend in eine Zelle geworfen wurde. Bei dieser Qual wurde man ständig von den französischen Sergeanten geschlagen; so ging es volle drei Wochen, bis wir ganz erschöpft waren und in einer derartig verzweifelten Lage, daß sich jeder gern den Erlöser wünschte."
Bestialische Behandlung nervenkranker und geistesgestörter Offiziere Der in Gefangenschaft geratene Oberleutnant z. S. Hans Wilhelm Müller war im Jahre 1916 als Nervenkranker - und zwar angeblich als Simulant - in das Lazarett nach Dartford gebracht worden. Dort wurde er in einer Isolierbaracke unter starker Bewachung gefangen gehalten. Der englische Arzt hatte an das Sanitätspersonal den Befehl ge- [11] geben: "wenn er sich rührt, schlagt ihn nieder". Als U-Bootskommandant wurde er von den Krankenschwestern "Mörder" genannt. Wegen Steifheit im Rücken wurde er einer geradezu bestialischen Operation unterzogen, bei der er 8 Stiche in die Wirbelsäule bekam, bis der Versuch gelungen war. Vom 10. April bis 13. November 1917 weilte er im Lewisham Military Hospital, und zwar in der Abteilung für Geisteskranke. Hier waren in demselben Raum Tag und Nacht zeitweise 10 Offiziere untergebracht. Ein unglaublicher Schmutz lag in allen Ecken, der Raum wurde niemals feucht aufgewischt und nur mangelhaft gefegt. Auch die Essgeschirre waren widerlich verschmutzt. Ein Austreten war nur gestattet, wenn alle Kranken gleichzeitig austraten. Erst nachdem ein Hauptmann von Rauchhaupt Selbstmord begangen hatte, traten kleine Erleichterungen ein. Die ärztliche Behandlung war unter aller Kritik. Zunächst war alle zwei Tage Arztwechsel, dann erschien drei Monate lang überhaupt kein Arzt, trotzdem Oberleutnant Müller darum wöchentlich gebeten hatte. Über das Befinden der Kranken zog der Arzt nur bei den Ordonanzen Erkundigungen ein. Mit den Worten: "How are they going on", Wie ist ihr Befinden! Die Antwort der Ordonanzen lautete: "Thank you, allright", Alles in Ordnung. Sprach Müller den Arzt an, so war die Antwort: "That is all imagination", - Das ist alles Einbildung! - Der Arzt stand völlig unter dem Einfluß der Ordonanzen, die ihn anlogen. Diese stahlen von der Verpflegung, was sie bekommen konnten, vor allem Braten, Zucker und Kakao. Dafür gab es als Ersatz faule Eier. Als Müller sich über die dauernden Schikanen des Sanitätspersonals beim Chefarzt beschwerte, erhielt er von diesem folgende Antwort: "That is allright, you have no authority here, you are a patient and a prisoner." Oberleutnant z. S. Stobbe berichtet über dasselbe Lazarett: Geisteskranke und nervenschwache Offiziere in großem Krankenraum von 10 Betten. Öfters zwei Klaviere, 1 Grammophon, 1 Sängerin gleichzeitig hörbar. Klosett und Badezimmer müssen die Kranken mit den Wärtern teilen. Bald mußten die geisteskranken Offiziere es reinigen, da es von Schmutz starrte, z. B. mußte ich einmal das Bad von Haaren reinigen, die Krankenwärter sich im Bade geschnitten hatten. Infolge der Faulheit der Krankenträger wurde der Schmutz im Krankenzimmer unerträglich. Die Fenster waren blind und wurden nicht gereinigt. Bei Ankunft im Levisham wurde durch die Wärter eröffnet: "Wir sind alte Irrenhauswärter, Ärzte sind keine da. Wir rufen sie nur, wenn wir es für nötig halten." Kommandant der Anstalt Mr. Torgood; er ließ alle Beschwerden unbeachtet. Infolge einer Beschwerde über den schlimmsten der Wärter wurde den Kranken 3 Monate lang die Zeitung verboten. Beim Austreten mußten die Kranken den Wärter jedesmal um 3 Stückchen Papier bitten. Infolge der Faulheit und der Unachtsamkeit der Wärter war die Möglichkeit von Selbstmordversuchen leicht; so machte Hauptmann von Rauchhaupt (Verfolgungs- und religiöser Wahnsinn) 3 Selbstmordversuche, der vierte gelang. Er stürzte aus der Zimmertür und wurde blutend zurückgebracht. Ob er von Engländern [12] getötet ist oder sich den Schädel eingerannt hat, kann der Oberleutnant z. S. Stobbe nicht angeben. Der Tod wurde jedoch einen ganzen. Tag verheimlicht. Eine Aufnahme des Nachlasses durch Stobbe wurde verboten; letzterer konnte nur verhindern, daß Wertgegenstände von den Wärtern gestohlen wurden. Desgleichen wurde die Teilnahme am Begräbnis verboten. Trotz der Versicherung der Engländer, daß von Rauchhaupt ein Einzelgrab erhalten werde, ist er in ein Massengrab geworfen worden. Die Verpflegung war anfangs infolge der ununterbrochenen Diebstähle durch die Wärter so gering, daß die Kranken durch Zigarettenrauchen ihren Hunger abtöten mußten. Auch der Kommandant, Mr. Torgood, soll sich nach Aussage seines eigenen Personals am Krankenessen gütlich getan haben. Während der Spaziergänge belustigten sich die englischen Soldaten über die Kranken durch Blenden mit Spiegeln, Verspotten, Bewerfen mit Zigarettenstummeln. Mr. Torgood kümmerte sich um nichts; alle Beschwerden waren bei ihm erfolglos. Einmal bestrafte er einen geisteskranken deutschen Offizier mit 3 Stunden Gummizelle disziplinarisch wegen schlechten Benehmens. 1 Monat nach Selbstmord des Hauptmanns von Rauchhaupt erfolgte die Überführung der Kranken in ein Lazarett. Von hier aus wurden die deutschen Offiziere, darunter auch der Oberleutnant z. S. Stobbe mittels Lastautos ohne Sitze durch London hindurch nach West-Didsburg gebracht. Hier war die Behandlung die gleich schlechte wie bisher. Ein geisteskranker deutscher Offizier wurde von einem kranken Wärter angerempelt und dadurch zur Wut gereizt, worauf man ihn zwei Tage lang nur mit dem Hemd bekleidet in eine Zelle sperrte. Ein anderer Offizier wurde beim Abführen in die Zelle durch Faustschläge in die Magengegend ohnmächtig gemacht und dann in die Zelle geworfen. Diebstähle durch die Wärter waren auch hier an der Tagesordnung. Geisteskranke deutsche Mannschaften erhielten für Bettnässen Prügel, so daß sie ihre Offiziere um Hilfe baten.
Vier Jahre in französischer Gefangenschaft Aus dem Tagebuch eines Kriegsgefangenen Was wir Gefangenen an menschenunwürdiger und völkerrechtswidriger Behandlung zu erdulden hatten, zeigen nachstehende Tagebuchauszüge. Betonen möchte ich noch, daß ich auf jede Ausschmückung voll verzichtet habe. Am 16. August 1914 war meine Eskadron (2. Eskadron, 2. schweres Reiter-Regiment) als Aufklärungseskadron weit vorgestoßen. Hierbei stürzte ich so unglücklich vom Pferde, daß ich mir eine schwere Quetschung des Fußes und Kniegelenkes zuzog und zwei Rippen brach. Ich war in einem französischen Dorfe in ein Haus gebracht worden, aus dem ich mich aber gegen 12 Uhr nachts heimlich herausschleppte, um mich im nahen Walde zu verbergen. Hierbei wurde ich von einer französischen Patrouille angeschossen (Streifschuß) und gelangte mit den größten Anstrengungen wieder in das Haus zurück. Der Bürgermeister des Dorfes sollte mich am 17. August 1914 mor- [13] gens zurückbringen, was aber nicht mehr möglich war, da inzwischen die Franzosen das Dorf besetzt hatten. Trotzdem ich den Bewohnern des Hauses drohte, sie zu erschießen, falls sie mich verraten würden, teilten sie meine Anwesenheit den Franzosen mit. Am Nachmittag des 17. August 1914 drangen nun die Franzosen in mein Versteck ein. Bis zur Ankunft einiger französischer Offiziere wurde ich scharf bewacht. Bei einem eingehenden Verhör durch diese wurde ich, nachdem ich ihnen nicht die gewünschten Auskünfte gab, von einem stark angetrunkenen Capitain ins Gesicht geschlagen. Alles, mit Ausnahme einer Pistole, die ich gut versteckt hatte, wurde mir sodann abgenommen. Nachdem mich der französische Capitain noch einigemal mit seiner Feldmütze ins Gesicht geschlagen hatte, entfernten sich diese sauberen Herrn wieder. Gegen Abend des 17. August 1914 wurde ich sodann unter Puffen auf eine Tragbahre gelegt und ins Haus des Bürgermeisters gebracht. Eine blutige Matratze, auf der vor wenigen Stunden ein deutscher Kamerad sein Leben ausgehaucht hatte, diente mir als Lagerstätte. Am Morgen des 18. August 1914 wurde in einem Holzstall gewissermaßen über mich zu Gericht gesessen. Nach genauer Feststellung meiner Personalien sollten mir zwei Kürassiere mit Kettenfesseln, die sie aus ihrer Tasche nahmen, die Hände fesseln. Ich wehrte mich dagegen mit den Worten: "Ein deutscher Unteroffizier läßt sich nicht wie der gemeinste Verbrecher fesseln!" Nun erhielten zwei anwesende Infanteristen den Befehl, das Seitengewehr aufzupflanzen. Sie setzten mir dieselben auf die Brust. Trotz alledem wollte ich mich nicht fesseln lassen. Erst auf Zureden einiger Zivilisten, welche mich an meine Angehörigen erinnerten, ließ ich mich, das Aussichtslose meiner Weigerung einsehend, fesseln. Nachdem mir beide Hände eng zusammengeschlossen worden waren, wurde ich auf einen Wagen gehoben. Hinter mir nahmen zwei Kürassiere Platz, die mir während der Fahrt hinter jedes Ohr einen Pistolenlauf drückten. Ich mußte die Augen schließen. Bei Zuwiderhandlung sollte ich ohne weiteres erschossen werden. Nach kurzer Fahrt durfte ich die Äugen öffnen. Wir fuhren jetzt an Truppen vorbei, wobei ich heftig beschimpft, angespien und mit Gewehrkolben geschlagen wurde. Ein Kavallerist schlug mir mit seiner Lanze derart über den Kopf, daß ich eine blutige Wunde davontrug. Weiterhin erhielt ich durch einen Bajonettstich eine blutende Verletzung an der Hand. Endlich hatte diese qualvolle Fahrt ihr Ende erreicht. Ich wurde in einen Stall gebracht, in dem sich bereits ein deutscher Zollaufseher und zehn Zivilisten befanden. Später wurden wir in ein Schulhaus gebracht, wo wir einem eingehenden Verhör unterzogen wurden. Mir wurden die Rangabzeichen heruntergerissen und die Fesseln abgenommen. Ein französischer Sergeantmajor zeigte mir ein Bild S. M. Kaiser Wilhelm I. Die Augen des Bildes waren ausgestochen, und ich wurde gefragt, ob ich das Bild kenne. Ich sagte: "Dies ist euer Besieger von 1870", wofür ich eine Ohrfeige bekam. Dann wurde das Bild bespuckt und mit den Füßen darauf herumgetreten. Ich sollte es auch tun, hob das Bild aber auf und wischte [14] es mit meinem Rockärmel ab und legte es auf die Bank. Als Antwort dafür schlug mir der Sergeantmajor seine Pistole auf den Kopf. Die in der Schule anwesenden Gefangenen wurden nun zu je zweien mit Ketten aneinandergefesselt. Auch zum Verrichten der Notdurft wurden wir nicht auseinandergelassen. Vor unseren Augen wurde sogar ein Zivilist im Schulhofe erschossen. Wir wurden sodann auf den Bahnhof verbracht, in einen Kohlenwagen verladen und kamen nachts 1 Uhr in St. Nicola di Port an. Nach abermaligem Verhör wurden wir am Morgen des 19. August 1914 zum Hohn und Spott der Bewohner durch die Stadt geführt, obgleich es mir infolge meiner Verwundung kaum möglich war, zu gehen. Dabei stürzte sich eine Frau mit einem langen Messer auf uns. Sie konnte aber von unserer Begleitmannschaft von uns ferngehalten werden. Dagegen gelang es einem fanatischen Zivilisten, mir einen Stuhl in den Rücken zu schlagen, wodurch ich zu Boden fiel. Für mich war es wie eine Erlösung, als ich endlich in eine Arrestzelle gebracht worden war. Infolge der durchgemachten Aufregung und Körperanstrengung wie auch der Schmerzen durch meinen Unfall und die Verwundung war ich am Ende meiner Kräfte angelangt. Am 21. August 1914 erfolgte unser Weitertransport nach Nancy. Auf allen Stationen die gemeinste Behandlung und Beschimpfung. Da ich infolge meines Zustandes nicht gehen konnte, wurde ich mit Auto vom Bahnhof zur Kaserne verbracht. Diese Fahrt werde ich nie in meinem Leben vergessen. Ganz Nancy glich einem Raubtierkäfig zur Fütterungszeit. Hauptsächlich waren es Frauen, die in ihrer maßlosen Wut gegen die "Boches" mit Sonnenschirmen auf uns losschlugen und uns mit den unglaublichsten Schimpfworten bedachten. Das Ganze ein widerliches Bild, das ich nie vergessen werde. Ich habe nie gedacht, daß sich das weibliche Geschlecht so menschenunwürdig benehmen könnte. In der Kaserne angekommen, waren wir die willkommene Beute einer wilden, haltlosen französischen Soldateska. Man schlug mit allen möglichen Gegenständen sinnlos auf uns ein, ohne zu überlegen, wohin man traf, ohne die geringste Rücksicht auf Verwundung usw. Abermals wurde für mich die Arrestzelle die Erlösung aus körperlicher und seelischer Pein. Als ich einigermaßen zum Bewußtsein kam, fand ich mich mit weiteren 60 Leidensgenossen zusammengepfercht. Darunter war auch mein Eskadronleutnant Dietrich, der schwerverwundet war. Unter diesen Kameraden war ein Teil von der Sanitätskompagnie. Dem Führer, einem Leutnant, hatte man die Wange aufgeschlitzt. Mit meinem Leutnant zu sprechen, wurde mir verboten, und ich konnte dies infolge der strengen Bewachung auch nicht durchsetzen. Die bereits hier Eingesperrten nahmen sich meiner in liebenswürdiger, kameradschaftlicher Weise an und erleichterten mir Verwundeten den Aufenthalt soviel als möglich. Neben dem in der Zelle stehenden Abortkübel stand ein zweiter, in dem sich kaltes Wasser mit etwas Brot befand. So ekelerregend diese ganze Aufmachung war, so überwanden wir Gefangenen trotzdem aus Hunger allen Abscheu und genossen das schreckliche Zeug von Wasser und Brotbrocken. [15] Abends 8 Uhr wurden wir in Lastkraftwagen verladen und zur Bahn gebracht. Auf der Fahrt das gleiche Schauspiel wie am Nachmittage. Eine schreiende, gröhlende Menge umlagerte die Autos; die wütende Menge, nein Horde schlug die Fenster ein, wodurch mancher Kamerad verletzt wurde. Dies alles kümmerte aber unsere Begleitmannschaften wenig. Es schien ihnen im Gegenteil Spaß zu machen, wie wir armen Wehrlosen gequält und mißhandelt wurden. Endlich am 23. August kamen wir an unserm vorläufigen Bestimmungsort Perpignan (Südfrankreich) an und wurden hier auf einer kleinen Festung untergebracht. Ich kam mit noch einigen Kameraden in eine Baracke, in der bereits viele Kameraden waren, großenteils Verwundete aus den Kämpfen bei Mühlhausen. Uns mangelte jede Pflege, da sich kein Arzt sehen ließ. Dankbar gedenke ich unserer deutschen Sanitätsmannschaften, die all ihr Können und ihre ganze Sorgfalt uns Verwundeten zuwandten. Mit den notdürftigsten Mitteln, zerrissenen Hemden, wurden die Wunden verbunden. Schon nach wenigen Tagen wurden die Leichtverwundeten ohne vorheriges Befragen von Ärzten zur Arbeit herangezogen. Durch das schlechte Essen und Wasser, die miserablen Lagerstätten brach bald Dysenterie aus. Als ich am 7. Oktober 1914 nach der alten Festung Mont-Louis in den Pyrenäen abtransportiert wurde, hoffte ich auf Besserung meiner Lage. Doch nur zu bald sollte ich mich in meinen Hoffnungen getäuscht sehen. Naßkalte Räume mit halbverfaultem Stroh dienten uns als Lagerstellen, dazu eine dünne Decke. Zur Fristung des Lebens gewährte man uns mittags und abends etwa ¼ Liter dünner Suppe mit einem kleinen Stückchen Brot. Bei jeder Kleinigkeit wurden die strengsten Strafen ausgesprochen. Hier war wenigstens ein Arzt vorhanden, der sich in seiner Gefühlsroheit gelegentlich einer Impfung der Gefangenen äußerte: "Es hat mir Spaß gemacht, Wilhelm seine Schweine zu schinden". Wie dieser Ausspruch, so war auch sein ganzes Verhalten äußerst roh. Infolge Nachlässigkeit dieses Herrn starben auch einige unserer Mitgefangenen bald. Wir mußten hier ohne Decke auf einer Erde kampieren. Am 21. Dezember 1914 Transport von 200 Mann nach Perigan. Am 22. Dezember l 914 Transport von 250 Mann nach Bordeaux. Am 25. Dezember 1914 wurden wir mit weiteren 260 Mann ans den Dampfer Martinic verladen. Auf engstem Raume zusammengepfercht, ging die Reise durch den Atlantischen Ocean nach Marocco an der Küste Nordafrikas. Am 29. Dezember 1914 begann die Ausschiffung auf hoher See vor Casablanca. 4 Kilometer von der Küste entfernt, wurden wir immer 8 Mann in ein Packnetz zusammengepackt und mittels des Krahnes in den wartenden Leichter mit rasender Geschwindigkeit hinuntergelassen. Verschiedentlich wurden hierbei Kameraden verletzt. Stückgut konnte hierbei nicht achtloser behandelt werden als wir. War der Leichter voll beladen, wurden [16] wir durch eine Dampfpinasse an Land geschleppt, ausgeladen und in Gruppen von je 20 Mann eingehendst untersucht. Alles wurde uns dabei abgenommen, nicht nur Messer, auch Notizbücher usw. Unter starker Bedeckung marokkanischer Kavallerie wurden wir in ein Zeltlager gebracht. Hier nahm uns ein Sergeant Schmidt der Fremdenlegion mit den gröbsten Schimpfworten in Empfang. Nach der Einteilung in Zeltschaften stürzten marokkanische Soldaten auf uns zu und gaben uns ihre Zuneigung durch Handkuß zu verstehen. Da schlugen aber die Soldaten der "größten Kulturnation Frankreich" mit Gewehrkolben und Stöcken dazwischen. Wir wurden jetzt in unsere Zelte getrieben und befanden uns - natürlich nur zu unserer eigensten Sicherheit - hinter vierfachen Stacheldrahthindernissen. Hätte nur dieses Hindernis auch den französischen Soldaten den Zugang zu uns verwehrt, wie glücklich hätten wir uns da geschätzt! Am 2. Januar 1915 erneuter Weitertransport mit 40 Gefangenen nach Kenitna, wo wir am 3. 1. 1915 ankamen. Schon am 4. 1. 1915 mußten wir unsere Arbeit - Straßenbau - aufnehmen. Zu unserer Arbeitsstelle mußten wir täglich 1 Stunde Anmarsch zurücklegen und den ganzen Tag ohne Rücksicht auf die Witterung arbeiten. Die Unterernährung, das ungewohnte Klima warf viele Gefangene auf schweres Krankenlager. Fast das einzige Arzneimittel, das für alle Krankheiten gereicht wurde, war Rizinusöl und Bitterwasser. Was das bedeutet bei Entkräftung in dem Tropenklima, kann wohl nur der ermessen, der diese Zustände selbst miterlebt hat. Welche Schwächung schon bei einem normal ernährten Menschen durch diese Mittel eintritt, wird jeder bestätigen können, der sich schon einmal einer solchen Kur hat unterziehen müssen. Dazu kamen noch ganz unglaublich harte Strafen für die geringsten Vergehen. Am 4. März erhielt auch ich von einem ehemaligen Deutschen, Leutnant Stablo, unserm Kompagnie-Führer, wegen einer Kleinigkeit vier Tage Arrest, den ich in einem Erdloch von 5 Meter Tiefe abbüßen mußte. Schon am 24. März wurde ich abermals mit vier Tagen bestraft, da ich meine durch die Strapazen sehr erschöpften Kameraden nicht zu erhöhter Arbeitsleistung antreiben wollte. Gaben diese armen, gequälten Menschen doch so wie so schon ihr Letztes her. Am 9. April erfolgte meine Strafversetzung nach Media. Am 11. April Weitertransport mit weiteren 20 Mann in die Wildnis. Nach einem außerordentlich anstrengenden Marsch von 20 Klm. in glühender Sonnenhitze bei 65 Grad wurde haltgemacht und die Zelte aufgeschlagen. Diese Station wurde von uns Gefangenen später die Fieberstation genannt - Si-Bou-Rabatt. In dieser Station hatten wir ganz Unglaubliches unter der ständig zunehmenden Hitze, dem schlechten Essen, dem morastigen, stinkenden Wasser und einer Unmenge von Ungeziefer und Gewürm zu leiden. Wasser konnten wir uns nur aus einem 5 Klm. weit entferntem Erdloch holen, das angefüllt mit totem und verwesendem Gewürm war. Dieser "Brunnen" lag nahe an einem Sumpfe. Was das heißt, in dem heißen Klima Sumpfwasser trinken zu müssen, wird wohl der Leser selbst ermessen können. Daß sich dadurch der Gesundheitszustand der Gefan- [17] genen nicht bessert, ist klar. Gierig blickten wir täglich zu unseren Wächtern hin, die 2 Faß prachtvolles Wasser für den Tag erhielten. Was hätten wir gequälten Gefangenen nur für einen Trunk dieses prachtvollen Nasses gegeben. Die ständige anstrengende Arbeit, das Klima usw. hatten meine 20 Mann in kürzester Zeit auf 5 verringert. Alle waren infolge von Krankheit in das Lazarett eingeliefert worden. Von diesen armen Kerlen brachen mir in den kommenden Tagen noch zwei zusammen. Durch diese Roheiten in der Behandlung kranker, völlig entkräfteter Menschen, bis zum äußersten gereizt, hatte ich mit unserm Aufseher einen heftigen Auftritt, der an der Lage meiner mir anvertrauten Leute gar nichts änderte, mich aber erneut in den Arrest brachte. Infolge Wassermangels war es uns nicht möglich, unsere Kleider zu waschen. Diese hingen uns gar bald in Fetzen vom Leibe. Ausrüstung mit neuen Kleidern fiel den uns bewachenden Vertretern des "Kulturvolkes der Welt" gar nicht ein. Halbnackend mußten wir zur Arbeit gehen und unser tägliches Pensum herunterarbeiten. Alles Reklamieren von Kleidern, Verbesserung der Lage usw. blieb erfolglos und löste nur ein höhnisches Lachen unserer Quälgeister aus. Den bald darauf ankommenden Nachersatz für die erkrankten Kameraden im Lazarett ereilte sehr rasch deren Schicksal. Das Sumpffieber verschonte eben keinen. Die kräftigsten Naturen erlagen ihm. Am 17. Juli wurde das Lager infolge der sich stets mehrenden Krankheitsfälle - dadurch konnte ja unsere Arbeitskraft nicht mehr weiter ausgenützt werden - aufgelöst, und wir kamen nach Media zurück. Die Verlegung dorthin führe ich auch darauf zurück, daß selbst die Wärter zu kränkeln anfingen, ja, einer von ihnen war schon gestorben. Ich selbst wurde als krank ins Hauptlager nach Konitar gebracht. In dieser Zeit wurde auch unser deutscher Lagerführer, Leutnant der Reserve Zindars, mit 30 Tagen Erdloch bestraft. Leutnant Zindars hatte einen Brief an einen Kameraden durch den französischen Posten ins Hauptlager Keatra gesandt, worin er die Behandlung im Lager Media schilderte; der Brief wurde vom französischen Leutnant Stablo gelesen und brachte 30 Tage ein. Auch hier wieder die gleiche schlechte Behandlung und das miserable Essen. Eine Empörung deswegen wurde damit bestraft, daß wir 24 Stunden ohne Wasser und Essen bleiben mußten. Verschärft wurde diese Strafe mit Verbleib unter freiem Himmel bei entsetzlichster Hitze unter schärfster Bewachung. Es war dies um die Zeit der Sandstürme (Sirocco). Zum Löschen der an den verschiedensten Stellen ausbrechenden Steppenbrände wurden wir in ausgedehntestem Maße unter Ausnutzung unserer letzten Kraft herangezogen. Am 17. August erneut 4 Tage Erdloch wegen Umfallens eines Zeltes. Am 7. November wurde Leutnant Schulz mit 2 Begleitern in unserem Lager (Kenitra) eingeliefert, die an der spanisch-marokkanischen Grenze von Spahis bei einem Fluchtversuch wieder eingefangen worden waren. Diese armen Flüchtlinge waren durch die überstandenen Anstrengungen krank und gänzlich ausgehungert. Mit blutiggelaufenen Füßen wur- [18] den sie bereits am nächsten Tage wieder von berittenen Arabern weitergebracht und kurz vor dem Bestimmungsorte Rabatt heimtückisch erschossen. Von ihnen wurden wahrscheinlich nur die Köpfe eingeliefert, denn Kameraden, die an der Beerdigung teilnehmen konnten und die Leichen ansehen wollten, wurden von den Franzosen daran gehindert. Genaueres darüber wäre wohl von Feldwebel Übels (Ingenieur der Firma Krupp) zu erfahren. Ja sogar unser Kompagnie-Führer, Leutnant Stablo, gab uns zu verstehen, daß die Araber jedenfalls den Befehl zum Erschießen dieser Gefangenen bekommen hätten. Bei einer abermaligen Beschwerde über die schlechte Verpflegung äußerte der Stadtkommandant: "Die deutschen Schweinehunde sollen arbeiten bis sie umfallen und dann Kot fressen". Unsere Achtung vor der "großen französischen Kulturnation" wuchs natürlich durch solche Äußerungen ständig. Im Dezember 1915 brachte mir eine Rücksprache mit Leutnant Stablo wegen der schlechten Verpflegung, der übermäßigen Arbeitsforderungen usw. abermals 30 Tage Arrest ein, die ich zur Abwechslung im "kleinen Caporal" - einer Zelle, in der man gerade auf ebener Erde liegen konnte - verbrachte. Im Januar 1916 wurde ich mit noch einigen Kameraden wegen Fluchtverdachtes nach dem Straflager El-Boroudy, von Casablanca etwa 200 Klm. entfernt, gebracht. Von berittenen Gendarmen und Arabern begleitet, mußten wir diesen Weg zu Fuß zurücklegen. Von diesen gefühllosen, rohen Gesellen wurden wir ständig in der unglaublichsten Weise zu größter Eile angetrieben. Obwohl kurz vor unserm Eintreffen eine Schweizer Delegation im Lager gewesen war, war die Behandlung roh und gemein. Die Arbeitsleistungen mußten ins Unermeßliche gesteigert werden. Selbst der Sonntag machte keine Ausnahme. Ich will hier noch kurz einige Mißhandlungen, wie sie Kameraden angetan wurden, erwähnen. Besonders rühmlich hat sich im Lager von El-Boroudy der Lager-Kommandant hervorgetan, von uns nur der Schlägerkapitän genannt. Deutsche Kameraden wurden von Arabern einzeln auf dessen Büro gebracht und von ihm mit einem Halbblut-Offizier (Leutnant) zusammen in der gemeinsten Weise nach gewaltsamer Entkleidung und Fesselung an Händen und Füßen mit einer Nilpferdpeitsche so lange geschlagen, bis die Opfer bewußtlos zusammenbrachen. Als Schluß dieser "menschlichen" Behandlung wurden dieselben armen Opfer noch in einen 4 bis 5 Meter tiefen Silo geworfen. Als weiteres Strafmittel wurden noch 15 Tage Einzelhaft angeordnet in einer kleinen, engen Zelle, in die man vorher Steinschlag hineingebracht hatte. Der Aufenthalt hierin wurde zur unendlichen Qual, da die spitzigen Steine mit der Zeit vollständig ins Fleisch eindrangen. In dieser Zelle brachte auch ich 15 Tage zu. Ganz besonders hatten es unsere Aufsichtführenden auf die deutschen Dienstgrade abgesehen. So mußte ich einmal während der Verbüßung einer Strafe, die ja sehr leicht zu bekommen war, Tag für Tag 8 bis 10 schwere Abortkübel reinigen. Dieses Los teilten gleichzeitig mit mir Leutnant Seide- [19] mann (Grimmaer Husar), Leutnant v. d. Mülbe (so viel mir erinnerlich, vom 1. Garde-Regiment zu Fuß) und verschiedene andere Kameraden. Bei schlechtestem Essen, verschimmeltem Brot, schlechter, roher Behandlung, mußten wir die schwersten Arbeiten verrichten. Bei Weigerung trat Nahrungsentzug ein, bis man sich vom Hunger gezwungen sah, die Arbeiten wieder zu verrichten. Stiche mit dem Bajonett waren keine Seltenheit. Einem Kameraden wurde einstmals der Arm entzweigeschlagen. Auf der Flucht wieder Eingefangene wurden von den Arabern an Seile gebunden und über den Wüstensand geschleift, vom Kapitän blutig geschlagen und dann in den Silo geworfen. Weitere derartige "Heldentaten" wehrlosen Gefangenen gegenüber könnten noch angeben die Kameraden Franz Mühlstedt, Linke, Edmund Böhme. Die Forderung des Grußes der Trikolore möchte ich hier nur nebenbei erwähnen. Endlich sollten wir durch Aufhebung des Lagers von El-Boroudy aus dieser Hölle erlöst werden, und wir kamen noch Mediouna, 20 Klm. von der Küste entfernt, wo sowohl die Behandlung als auch die Verpflegung etwas besser war. Nach zweijährigem Aufenthalt in zerrissenen Zelten kam uns die jetzige Unterbringung in Baracken wie der Aufenthalt in Schlössern vor. Endlich war es der deutschen Regierung gelungen, mit ihren Vorstellungen so weit durchzudringen, daß wir alle aus Marokko nach Frankreich zurückgebracht wurden.* Am 24. September 1916 mittags 1 Uhr erfolgte unsere Verladung in Casablanca auf den Dampfer Schauja. Eingepfercht in engem Raume ohne Hängematten, nur auf dem Boden liegend, wurden wir von Casablanca an Gibraltar vorbei nach Marseille gebracht, und zwar in das Übergangslager von Carpiagne und am 20. Oktober - 400 Mann stark - nach Brest, woselbst wir zu den schwersten Hafenarbeiten herangezogen wurden. Kohlen ein- und ausladen war unser tägliches Brot. Als Nahrung bei dieser aufreibenden Arbeit erhielten wir: schlechtes, zum Teil schon mit Würmern durchsetztes Pferdefleisch, verfaulte Rüben, harte Erbsen usw. Bei übermenschlichen Arbeitsleistungen wurden die geringsten Vergehen mit den härtesten Strafen geahndet (durch Leutnant Diportal). Bei der Arbeit wurden wir von unserm Aufsichtspersonal - Sergeanten, Korporalen und Mannschaften - in der gemeinsten Weise beschimpft. Für die Arbeitskolonne von 250 - 300 Gefangenen war lediglich ein Raum von 6 Meter mit Brausen als Waschraum zur Verfügung, der aber gleichzeitig als Paketraum für diese Leute diente. Ebenso wurden dort auch Holz und Kohlen verstaut. Ratten und Mäuse hausten hier zu Haufen, die unsere Pakete schon, bevor sie in unsere Hand kamen, zum großen Teile aufgefressen hatten. Vielfach waren diese Päckchen auch gestohlen worden. So wenig Sorgfalt auf unsere Verpflegung, Unterkunft, Essen und Behandlung gelegt wurde, um so größer war die Mühe, die unsere Peiniger [20] auf die Ausstattung der Arrestzelle verwandten (Modell Leutnant Diportal). Es war dies ein enger Raum mit glattpolierter Pritsche, deren Liegefläche in der schiefen Ebene eingebaut war, so daß man ständig herunterglitt. Hier konnte ich den Genuß dieser Einrichtung mit zwölf anderen Kameraden 45 Tage auskosten. Endlich am 13. Juni 1918 schlug auch für mich die Erlösungsstunde. Ich sollte ausgetauscht werden. Im Hauptlager, wohin wir zunächst gebracht wurden, nahm man uns alle Briefe, Postabschnitte und Karten, die uns zuerst verkauft worden waren, ab. Am 17. Juni Weitertransport nach Roche-Maurice. Hier wurden wir nochmals zum Teerkohlen, wobei sich viele Gefangene die Gesichter verbrannten, verwendet. Am 15. Juli kamen wir nach Le-Mans, wo wir abermals nach allen Regeln der Kunst schikaniert wurden, z. B. fünf Uhr früh antreten, vollständig entkleiden, genaue Leibesvisitation usw. Am 25. Juli kamen wir nach Lyon. Auf dem Transport wurden wir durch die Bevölkerung in der unglaublichsten Weise beschimpft und mit Steinen beworfen. Es war noch immer das gleiche Bild wie aus meinem Transport bei meiner Gefangennahme im August 1914. Am 25. September kamen wir, 75 Mann stark, durch die Schweiz nach Konstanz. Zum Schluß noch einiges über ein Lager in Marokko, welches von einem französischen Sergeanten geführt wurde; derselbe ließ Kameraden zur Strafe fesseln und mit dem Kopfe nach unten an einen Baum aufhängen, daß die Schädeldecke gerade den glühenden Sand berührte. Hatte er einen mit Erdloch bestraft, so nahm er ein Stück Brot, welches er erst beurinierte, und warf es dann mit den Worten hinab: Wenn du Hunger hast, du deutsches Schwein, wirst du es schon fressen!
Oskar Walter, Vizefeldwebel im Kavallerie-Regiment Nr. 21, Straubing.
Erlebnisse und Eindrücke aus meiner Gefangenschaft Anfang August 1918 lagen wir in Stellung vor N. links von M. Am 8. und 9. war der Franzose rechts und links von uns einige Kilometer vorgekommen, so daß auch unsere Stellung unhaltbar war und laut eines Divisionsbefehls aufgegeben werden sollte. Die Artillerie- und Infanterie-Kompagnien zogen sich in der Nacht vom 9. bis 10. auf einen hinter uns liegenden Höhenzug zurück. Die M. G.-Kompagnie sollte zur Verschleierung bis zum folgenden Morgen in Stellung bleiben und sich erst am hellen Tage zurückziehen. Wir befürchteten gleich, daß die Sache für uns aussichtslos sei und fragten noch einmal beim Kompagnieführer an, ob der Befehl nicht geändert werden könnte, erhielten jedoch den Bescheid, daß es unmöglich sei. Um ½4 Uhr morgens setzte das feindliche Sperrfeuer ein, das auch auf unsere M. G.-Stellung gerichtet war, so daß wir schleunigst in unseren Stollen [21] Deckung suchten. Nach einer Stunde ließ das Feuer etwas nach, und als wir einen Überblick zu bekommen suchten, sahen wir den Franzosen schon auf 500 Meter Entfernung sprungweise vorgehen. Wir versuchten zu schießen, doch sofort wurde das Sperrfeuer wieder auf unseren Stand gelenkt, so daß wir Deckung suchen mußten. Als wir nach einer halben Stunde von neuem versuchten, an die Gewehre zu kommen, waren wir schon von hinten umgangen und wurden mit einer Handgranatensalve empfangen, so daß wir einsehen mußten, daß es aussichtslos war, uns noch länger zur Wehr zu setzen, und uns ergaben. Ohne irgendetwas von meinen Sachen mitnehmen zu können, wurde ich mit meinen Kameraden zusammen abtransportiert. Vor dem französischen Divisionsquartier wurde zum ersten Male haltgemacht; eine Leibesvisitation begann, bei der uns sämtliche Wertsachen abgenommen wurden. Unsere Reklamation, die wir bei einem deutschsprechenden Offizier einreichten, wurde abgewiesen mit den Worten: "Schreiben Sie an Ihren Kaiser, er wird Ihnen geben, wenn er hat, aber er hat nichts". Nicht besser erging es uns mit unserer Reklamation zwecks Verpflegung: "Haben Sie Hunger, so singen Sie: Deutschland, Deutschland über alles! Haben Sie Durst, so singen Sie: Die Wacht am Rhein." Der Transport ging weiter bis zu dem an einem Bergabhang gelegenen C., wo wir zum ersten Male nach drei Tagen Verpflegung bekamen. Sie bestand aus einem Stück Fleisch und 200 Gramm Brot, was überhaupt für die nächsten acht Tage unsere Tagesration war. Glücklicherweise hatte ich hinter der französischen Front eine Decke gefunden, die mir gute Dienste leistete, da wir jede Nacht unter freiem Himmel schlafen mußten. Eines Abends bat mich ein Kamerad, ihn mit unter meine Decke zu nehmen. Als ich morgens aufwachte, war er tot. Wasser wurde in großen Kübeln an den Lagereingang gestellt. Doch sobald wir versuchten, uns denselben zu nähern um unseren brennenden Durst zu stillen, wurden wir von den Schwarzen, die wir als Bewachung hatten, mit Kolbenstößen zurückgetrieben. Ein Elsässer, der 14 Tage vorher übergelaufen war, hatte dem Kommandanten, bei dem er Bursche war, sämtliche Karten gestohlen und den Franzosen ausgeliefert; der spielte hier den Lagerchef, und wenn etwas nicht klappte beim Appell, fuhr er mit der Reitpeitsche dazwischen. Da unser Lager dicht an einer Bahnlinie lag, wurden wir jede Nacht von unseren Bombenfliegern heimgesucht, wobei wir einmal sogar beträchtliche Verluste erlitten, indem eine Bombe im Drahtverhau krepierte. Nach 14 Tagen wurden wir abtransportiert und kamen durch die Vororte von Paris, wo wir dauernd die Türen fest verschlossen halten mußten, weil fortwährend ein Steinhagel gegen dieselben prasselte. Auf dem Bahnhof in Epinal ging ich an einem Abteil 1. Klasse vorbei; da stürzten zwei Damen der ersten Gesellschaftsklasse ans Fenster, schrien: "sale boche" und spuckten mir ins Gesicht. In Dijon wurden wir in dem vollständig dunklen Keller eines Forts untergebracht. Eine Wascheinrichtung, jedoch ohne Wasser, war vorhanden. Wer sich waschen wollte, mußte sich in seinem Kochgeschirr Wasser aus der Küche zu holen versuchen, mußte sich aber darauf gefaßt machen, von dem deutschen Sergeanten, der die Wache hatte, mit Stockschlägen wieder hinausgejagt zu werden. Dieser deutsche Sergeant, der mit uns gefangen- [22] genommen war, sagte auch einmal zu uns: "Wäret Ihr nicht übergelaufen, dann brauchtet Ihr hier keinen Kohldampf zu schieben." Nach 14 Tagen wurde ich wieder abtransportiert und kam zum zweiten Male durch die Vororte von Paris; in Rouen wurden wir in dem großen Durchgangslager untergebracht. Wegen allzugroßer Überfüllung wurden wir mit einem Transport von 2000 Mann in eine weiter entfernt liegende Artillerie-Kaserne geführt und dort in einem Pferdestall untergebracht, dessen untere Hälfte aus Mauerwerk bestand. Die obere Hälfte hatte wohl früher einmal aus Glasfenstern bestanden, von denen jetzt aber keins mehr heil war, so daß sich die ungewöhnliche Kälte der ersten Novembertage nachts sehr empfinddlich bemerkbar machte, da ich zum Schutz weder Decke noch Mantel hatte. Hier war es auch, wo ich den Waffenstillstand erlebte. Die ganze Stadt war in einem Siegestaumel! Den ganzen Tag über hörte man von den Türmen die Glocken läuten und von der Seine her das Tuten der Dampfersirenen. Auch in der Kaserne machten die Rekruten einen Umzug mit Fahnen und Gesang; schließlich machten sie vor unserem Pferdestall Halt. Einer von ihnen, der etwas Deutsch sprach, befahl uns, die Kopfbedeckung abzunehmen. Natürlich tat es keiner von uns, und nachdem sie die Marseillaise gesungen hatten, befahl er uns, in ein Hoch auf die grande nation einzustimmen. Hohnlachend wandten wir ihm den Rücken und verschwanden in unserem Pferdestall. Der Erfolg war, daß wir für den Rest des Tages keine Verpflegung mehr bekamen. Auf unsere Reklamation hin wurde die Wache alarmiert, und mit Kolbenstoßen und blinden Schüssen wurden wir wieder in unseren Pferdestall getrieben. Nach einigen Tagen wurde ich nach Dieppe transportiert, wo wir drei Tage lang nur kalte Verpflegung bekamen, und von da aus kam ich endlich wieder auf ein Arbeitskommando in eine Zuckerfabrik. Die Unterbringung war sehr gut, doch die Arbeit außerordentlich schwer. Zwölf Stunden Akkordarbeit und bei Schichtwechsel 18 Stunden ohne Unterbrechung. Da die Verpflegung in den vielen Durchgangslagern so außerordentlich schlecht war, war ich körperlich sehr heruntergekommen, so daß mir die Arbeit zuerst schwer wurde. Infolge von Zuckerdiebstählen kamen häufig Arreststrafen vor. Die Bedauernswerten wurden in eine Dunkelzelle gesperrt, in der sie sich kaum ausstrecken konnten; etwas Stroh diente als Lagerstätte, Brot und Wasser als Nahrung. Wenn der französische Sergeant ihnen das Brot brachte, warf er es in eine Ecke mit den Worten: "Hier, sale boche, friß". Wie unser Weihnachtsfest unter diesen Umständen gefeiert wurde, bedarf wohl weiter keiner Erwähnung. Da auch viele Frauen in der Fabrik arbeiteten, bekam ich zum ersten Male einen Eindruck von dem sittlichen Tiefstand der Bevölkerung. Am 1. Januar 1919 kamen wir nach Lille und wurden dort auf der Zitadelle untergebracht. Unsere Arbeit bestand hauptsächlich darin, die von den Deutschen auf ihrem Rückzuge zerstörten Brücken wieder instandzusetzen. Die Bevölkerung zeigte sich, da sie unter dem strengen deutschen Regiment wohl recht gelitten hatte, sehr gehässig. Eine Dame, die versucht hatte, einem Gefangenen Zigaretten zuzuwerfen, wurde auf offener Straße gelyncht. Auch die Passanten versuchten dauernd, uns durch Schimpfworte bei der Arbeit anzutreiben. Ein französischer Offizier versetzte einem Ge- [23] fangenen, der ihm bei der Arbeit zu lässig schien, einen derben Fußtritt. Von hier aus kam ich auf das zweitgrößte Stahlwerk Frankreichs, das wohl kaum größer ist als die kleinste Eisenfabrik im Ruhrgebiet, nach Isberg. Zuerst mußten wir Aufräumungsarbeiten machen, da die Fabrik auch unter unserer Beschießung gelitten hatte. Später wurden wir auch mit im Betriebe beschäftigt. Den ganzen Winter über mußte ich mit zerrissenen Stiefeln, ohne Unterzeug und Mantel zur Arbeit; schließlich war mein Schuhwerk derart aufgebraucht, daß ich mir selber ein Paar Holzpantoffel machen mußte, mit denen ich weitere drei Monate zur Arbeit ging. Nicht besser sah meine übrige Bekleidung aus, die ich mir mit alten, in der Fabrik gefundenen Putzlappen oder Säcken flicken mußte. Unsere Verpflegung bestand während der ganzen acht Monate aus Kartoffeln, die nur mit Wasser zu einer dünnen Suppe bereitet waren, aus dem Fleisch der alten Maulesel, das, da es zäh wie Gummi war, die beste Bereifung für ein Lastauto gewesen wäre, und aus 400 Gramm Brot. Wir hatten Südfranzosen zur Bewachung, die sich uns gegenüber viel gehässiger zeigten als die Nordfranzosen, die stark germanischen Einschlag haben. Mir passierte es, daß, als ich im Winter in der Fabrik einen Augenblick an einem Ofen stand, um mich zu wärmen, ein Posten mich mit dem Kolben von hinten derart ins Kreuz stieß, daß ich unter dem Hohngelächter der französischen Arbeiter einige Schritte vorwärtstaumelte. Ich mußte ihn erst darauf aufmerksam machen, daß gerade Pause war und ich nicht zu arbeiten brauchte. Hier erhielt ich nach 7½ Monaten die erste Briefpost aus der Heimat und nach 11 Monaten die ersten Pakete, von denen allerdings schon einige vorher entleert waren. Kleidungsstücke und Schuhwerk, das vom Depot für uns geschickt war, wurde von den Bewachungsmannschaften an die Bevölkerung verkauft. Kantinenwaren wurden, trotz unserer geringen Löhnung, zu unerhört hohen Preisen verkauft. Im September kamen wir fort und sollten zum Wiederaufbau des zerstörten Gebiets verwandt werden. Dort waren wir den ganzen Winter über in Zelten untergebracht. Eines Sonntags war ein solcher Sturm, daß, wenn wir nicht zu Hause gewesen wären, uns die Zelte überm Kopf davongeflogen wären. In Béthune, wo eine Nachbarkompagnie von uns lag, wurden zwei wieder eingefangene Flüchtlinge nachts von der Wache nackt ausgezogen, über einen Tisch gelegt und derartig verhauen, daß die Bevölkerung, von dem Schreien auf die Straßen gelockt, um Ruhe bat. Groß war die Freude, als wir endlich die heißersehnte Nachricht von dem Beginn der Auslieferung erhielten. Drei Tage vor unserem Abmarsch wurde die Arbeit eingestellt und das Lager abgebrochen. Am 21. Februar morgens 5 Uhr marschierten wir ab und wurden auf einem 15 Kilometer weit entfernten Bahnhof verladen. Auf der Fahrt durch Belgien wurden noch einige Fenster unseres Transportzuges durch Ziegelsteine zertrümmert. Bei dem vielen Schweren, was man erlebte, habe ich es doch immer wieder erfahren, wie das Zusammensein mit treuen Freunden, die Unterhaltung durch gute Bücher und vor allem die Briefe aus der Heimat das beste Mittel waren, trübe Gedanken zu bannen [24] und Mut und Hoffnung aufrechtzuerhalten. Trotz allem ist mir die Zeit der Gefangenschaft keine verlorene gewesen; denn was ich an Geduld, Willensstärke und Selbstüberwindung gelernt habe, ist ein Gewinn fürs ganze Leben.
Richard Bartels, Bordenau b. Neustadt a.
Rbg. Im Felde: Infanterie-Division 206, Reserve-Ersatz-Infanterie-Regiment 4, 1. M. G. K.
Von Lager zu Lager Der ehemalige Kriegsfreiwillige Heinrich Kramer, Infanterie-Regiment Nr. 14, 8. Kompagnie, zurzeit Freiwilliger bei der Arbeits- und Sparkameradschaft Insterburg, erzählt: "Am 1. August 1916 wurde ich von französischen Truppen beim Fort Thiaumont bei Verdun gefangen. Nachdem man mich meines Eigentums beraubt hatte (Uhr, Brieftasche, Geld usw.), wurde ich einer Gendarmeriestation in Verdun zugeführt. Dort wurde ich von einem französischen Gendarm geschlagen und dann, als ich mich wehren wollte, von der gesamten Wachmannschaft mißhandelt, bis ich zusammenbrach. Mein Kompagnieführer, Leutnant Winkler aus Pommern, wurde ebendaselbst geohrfeigt, mit Stöcken, Kolbenstößen und Fußtritten mißhandelt, weil er sich weigerte, die ihm gestellten Fragen bezüglich unserer Stellungen, Truppenstärke usw. zu beantworten. Dann wurden wir in das Lager Souilly übergeführt. Dort befanden sich nur Angehörige der damaligen Kronprinzen-Armee, und deshalb war die Behandlung seitens der Franzosen äußerst barbarisch. Wir bekamen weder Decken noch Wäsche. Wir waren in Zelten untergebracht und mußten ohne Stroh auf dem Erdboden schlafen. Die Verpflegung war in bezug auf Qualität und Quantität sehr schlecht. Bei den geringfügigsten Anlässen wurden wir mißhandelt. Es geschah dies auch in Gegenwart französischer Offiziere, ohne daß letztere eingeschritten wären. Im Oktober 1916 befand ich mich im Lager St. Genest-Serpt (Loire); dort unternahm ich am 14. Oktober 1916 einen Fluchtversuch. Der Kommandant des Lagers befahl den Posten zu feuern, ohne daß man mir das vorgeschriebene "Halt" zugerufen hätte. Als ich nach vier Tagen wieder ergriffen und ins Lager eingeliefert wurde, wurde ich, obwohl ich infolge der ausgestandenen Strapazen während meiner Fußwanderung im Gebirge heftig an Blutspucken litt und fieberte, zu dreißig Tagen strengen Arrest verurteilt und mußte die Strafe sofort antreten. Von dem Kommandanten des Lagers wurde ich mißhandelt sowie von den Posten. Etwa eine Woche später unternahmen die Gefangenen Segartz, Schüdde und ich einen Ausbruchversuch. Wir wurden abgefaßt und mit je fünfzehn Tagen strengen Arrest bestraft. Ich wurde wiederum mißhandelt. Man nahm uns die Schuhe und Röcke fort. Da wir keine Strümpfe und Westen hatten, waren wir nun schutzlos der grimmigen Kälte ausgesetzt. Unsere Zelle war nicht heizbar und wimmelte von Ungeziefer und Ratten. [25] Ich hatte im ganzen fünfundzwanzig Tage strengen Arrest ohne Strafunterbrechung zu verbüßen. Ich durfte mich während der Dauer dieser Strafe nicht waschen und bekam auch keine Gelegenheit, mein Hemd zu wechseln. Ebenso durften wir unsern Angehörigen nicht schreiben. Jeder hatte nur eine völlig zersetzte Decke und kein Stroh. Im Februar 1917 wurde ich mit fünfundzwanzig Tagen Arrest bestraft, weil ich mich gegen die Angriffe eines Franzosen verteidigen wollte. Im Juli 1917 wollte man mich zwingen, in einer Kohlengrube zu arbeiten, obwohl ich nicht Bergmann bin. Ich weigerte mich nebst einigen andern Kameraden, worauf wir eingesperrt und mittels Hungerkuren zur Arbeit gezwungen wurden. Ich selbst habe fünfunddreißig Tage unter großen Hungerqualen im Arrest verbracht, bis ich, völlig erschöpft, mich bereit erklärte, in der Kohlengrube zu arbeiten. Der Chef unseres Lagers war der Sergeant Gaffard. Wir waren in Grand-Croix bei St. Etienne und gehörten zum Hauptlager Gerzat-Chagnat (Département Puy de Dôme). Ich erkrankte bald darauf, doch wurde mir keine ärztliche Behandlung zuteil. Der Sergeant Gaffard sagte mir, er werde mich selber heilen. Ich würde entweder arbeiten oder krepieren (crèver). Mit Fußtritten und Kolbenstößen wurde ich mißhandelt. Dabei hielt er mir stets den Revolver vor das Gesicht und forderte mich dann höhnisch auf, mich doch zu verteidigen. Erst als ich im Februar 1918 lebensgefährlich erkrankte, wurde ich ins Hauptlager zurücktransportiert. Im Sommer 1918 unternahm mein Kamerad Schiewe einen Fluchtversuch. Es war dies im Lager St.-Auxis-les-Georges bei Clermont-Ferrand. Er wurde durch einen Schuß durch den Leib schwer verwundet und niedergestreckt. Dann begab sich der Gendarm, welcher Chef des betreffenden Lagers war, zu dem Schwerverwundeten und tötete ihn durch einen Revolverschuß in die Stirn. Letzteren Fall kann ich nicht beeiden, da ich nicht Augenzeuge war, sondern diese Aussage stützt sich auf die glaubwürdigen Aussagen der Kameraden, welche sich zur Zeit dort befanden. Im Lager Chagnat selbst schoß ein Posten einem Gefangenen versehentlich durch den Arm. Der Gefangene wurde erst nach vier Tagen ärztlich behandelt, und der Arm mußte dann amputiert werden, obwohl die Verwundung leicht war und bei sofortiger Behandlung bald geheilt gewesen wäre. Diese meine Aussage stützt sich auf die Berichte der deutschen Sanitätssoldaten des betreffenden Lagers. Im März 1919 wurden wir zum Wiederaufbau nach Nordfrankreich gebracht. Ich gehörte dort zur 803. Compagnie P. G. R. L., Lager Nancy. Die Behandlung war in jeder Hinsicht sehr schlecht. Der Kommandant, Leutnant Rigaund, hat persönlich Gefangene mißhandelt und den Posten das gleiche gestattet. Sein Nachfolger, der Leutnant Chevalier, gab dem Posten Befehl, wieder ergriffene Flüchtlinge zu töten. Er duldete, daß Gefangene grausam mißhandelt wurden. Am 19. August 1919 unternahmen mehrere Kameraden einen Fluchtversuch, [26] derselbe wurde jedoch von dem Posten Fernand Royer aus Avignon bei Nizza sofort vereitelt. Der Gefangene Fritz Schwalbe aus Rendsburg (Holstein) sah die Zwecklosigkeit seines Unternehmens ein und stellte sich dem Posten, indem er die Hände hochhob und um Gnade bat. Der Posten näherte sich ihm auf etwa einen Meter Entfernung und schoß ihm dann eine Kugel durch den Bauch. Nachher verhöhnte er den schwerverwundeten Schwalbe obendrein. Schwalbe starb zwei Tage später. Der Kommandant belobte den Posten und wiederholte nochmals den Befehl, jeden niederzuschießen, der wiederergriffen würde. Am 8. Oktober 1919 unternahm ich mit einem Freunde einen Fluchtversuch. Wir hatten uns in einem Neubau unter dem Fußboden verborgen. Ich hörte, wie der die Verfolgung leitende Sergeant den Posten befahl, uns sofort zu segouiller (abzumurksen), falls sie uns fänden. Die Wahrheit der hier gemachten Angaben kann ich beeiden."
Französische Offiziere als Bestien in Menschengestalt "Mit einem typischen französischen Offizier kam ich" - so berichtet Unteroffizier Hinz vom Infanterie-Regiment 394 aus Neumünster - "im Hauptlager der 13. Region, Roanne, zusammen. Katzenfreundlich und so falsch, wie eben jeder ordentliche Franzose. Leutnant Rateau, der übrigens schon von den Reklamationen seitens der deutschen Lagerverwaltung über Mißstände im Lager (Reklamationen im September - Oktober - via Schweiz Rk. 1918) der deutschen Regierung genügend bekannt sein dürfte, sei hier kurz erwähnt, und welches Mittel er mit Vorliebe anwandte, um den Kriegsgefangenen ein Geständnis abzulocken. - Eines Tages wurde in einem Schuppen des Rangierbahnhofes, in dem sich unsere Kameraden aufhielten, ein Revolver gefunden. Der Leutnant Rateau behauptete sofort, daß die Waffe den beiden 'Boches' gehörte, die dort zufällig waren. Sie leugneten, wurden aber abgeführt und traten auf besondere Anordnung des Leutnant Rateau eine Hungerkur an. Ich verließ kurze Zeit darauf das Lager und weiß also nicht, was mit den beiden P. G. geschehen. Sicher kann der deutsche Lagerführer, Offizier-Stellvertreter Tielemann-Lippe, genauere Angaben machen. Das entsetzlichste Kriegsgefangenlager, was mir je begegnet ist, war das Minen Depot P. G. St. Genest-Lerpt (Loire). Der Kommandant dieses Lagers war der Kapitän Blaché. Die Mißstände, Verpflegung und Behandlung, konnten durch ein 'offizielles' Straflager nicht mehr übertroffen werden. - Das Lager war eine ehemalige deutsche Ferme, lag abseits vom Verkehr, 1½ Stunden von St. Etienne-Loire; war also der denkbar günstigste Platz zum freien Schalten und Walten des Kommandanten Blaché, eines radikalen 'Boches-Fressers' - dem alle Mittel heilig waren, um die Kriegsgefangenen zu schikanieren. Ursprünglich waren im Lager nur die Bureaus und Prisons. Die P.-G., zwischen 6000 und 7000 Mann, arbeiteten auf den Minen-Detachements in St. Etienne selber. - Ein kurzes Wort über die Behandlung der Leute aus den Minen anschließend. - Am Herbst des Jahres 1918 kamen ungefähr 100 deutsche [27] Gradierte von der Front nach dort, und im November kam ich mit 53 anderen Kameraden, ebenfalls Chargierte, aus Roanne, dort an. Es hieß, es solle nunmehr das Depot in ein Ruhelager verwandelt werden. Empfangen wurden wir dort am Abend - es war um den 20. November 1918, also kurz nach Waffenstillstand - von dem Adjutanten des Lagers, der uns gleich eine sehr grobe und gemeine Ansprache hielt: Er sei soeben zurückgekehrt aus der 'sale Bochie', dort habe man ihm auf einer Festung einen Bauchschuß verpaßt, und nun sei für ihn der Augenblick gekommen, wo er sich rächen könne. Und bevor er einen herunterknallen würde, comme un chien (wie einen Hund), würde er sich das Vergnügen nicht nehmen lassen, dem Betreffenden den Schädel mit einem Revolver zu bearbeiten. Danach sollten wir uns verhalten! - Alle 54 Mann wurden abgeführt und eingesperrt in einem Turm. So begann der Tanz. - Der nächste Morgen brachte uns die schon erwartete Durchsuchung, welche vom Kommandanten Blaché und seinem Adjutanten geleitet wurde. - Persönliches Eigentum sowie Sachen, die die französischen Posten gebrauchen konnten, wurden glatt abgenommen oder mit den Beinen zertreten. Nachdem die Kisten und Brotbeutel durchstöbert waren, kam die Reihe an uns selbst. Unsere Mäntel, feldgraue und schwarze, gefielen dem Herrn Kapitän. - Er ordnete an, daß sämtliche Mäntel abgegeben werden müßten. Wir empfingen grüne P. G.-Mäntel. Aus unseren, teilweise eigenen Mänteln ließen sich jetzt die Franzosen Zivilanzüge machen. Nach dieser Untersuchung wurden wir auf unsere 'Zimmer' geführt. Öde Säle, keine Fensterscheibe ganz, Tische und Sitzgelegenheiten überhaupt nicht da, geschweige Pritschen. - Wir reklamierten Strohsäcke, die wir am Abend auch bekamen, d. h. ohne Stroh. - 'Stroh? Cochons brauchten kein Stroh, im Wald läge noch genug halb verfaultes Farnkraut, das sei auch weich - und es sei gut genug für uns Boches.' So blieb uns tatsächlich nichts anderes übrig, als das zu holen. Am andern Mittag wurde eine Abteilung in den Wald geschickt. Auf dem Heimmarsch merkte ein Kamerad, daß er seine gelieferte Sichel verloren hatte. Er meldete dies sofort dem Posten und dieser gab die Meldung falsch an den Adjutanten weiter: 'Er hätte die Sichel fortgeschleudert.' Eh bien, meinte darauf der Adjutant: laissez, je veux les dresser, ces boches! Ohne weiteres wurde der Betreffende eingesperrt, und wir mußten von neuem antreten. Ein deutscher Sergeant wurde herausgerufen und bekam den Befehl, 'Laufschritt' zu kommandieren. Jedoch er weigerte sich. Der Adjutant zog seinen Revolver, schoß eine Kugel in die Luft, hielt ihn dann dem Sergeanten auf die Stirn und befahl ihm zum 2. und 3. Mal, den Befehl auszuführen. So sind wir mit der Anweisung, daß er, der Adjutant, jeden übern Haufen knallen würde, der etwa abhauen würde, 2½ Stunden um den Hof gelaufen. Die tägliche Verpflegung im Lager war: 3 bis 4 Pfund Reis, ein paar Kilo Pferdekartoffeln und 2 mal wöchentlich ein kleines Stück Pferdefleisch. - Das war für 3 Mahlzeiten - morgens, mittags, abends - und für mehr als 200 Menschen! (Der deutsche Koch, Herr W. Hundenborn, Barmen, Rheinland, Moltkestr. 8, kann meine Aussagen bestätigen). [28] Wenn der Kapitän sich diese Suppe ansah, so grinste er, meinte 'bon' und machte dabei die Bewegung des Engerschnürens des Bauchriemens. - Der Unteroffizier (Off.-Asp.) Biehler versuchte einmal, eine Übersicht aufzustellen über die Calorienzahl, die uns zustand, und die, die wir tatsächlich bekamen. Der Kapitän Blaché erfuhr davon, sperrte ihn mit noch zwei Vizefeldwebeln 10 Tag ein und ließ sie elend hungern, indem er ihnen sagen ließ, daß sie jetzt Zeit genug hätten, über das Essen nachzudenken. Ich gedenke hier besonders der niederträchtlichen Behandlung der wieder eingebrachten Flüchtlinge. Körperlich vollkommen erschöpft, mußten sie ihre 60 Tage Haft in einem feuchten, lichtlosen Kellerloch verbüßen. Daß hier Krankheiten nicht ausblieben, ist selbstverständlich, aber eben so selbstverständlich war es für Herrn Blaché, keinen Arzt zu holen. - Ich sehe noch, wie ein Flüchtling nach vierwöchiger Haft eines Morgens, wie er zum Waschen geführt wurde, vor Elend und Hunger zusammenbrach! Uns wurde jede Hilfe unmöglich gemacht, selbst jedes Sprechen mit ihm war strengstens verboten! Der Adjutant lächelte hierüber, versetzte dem Unglücklichen einen derben Fußtritt und ließ ihn wieder in sein Verlies hineinschleifen. Das Innere unseres Depots war auf Anordnung des Adjutanten mit Bildern geschmückt worden. Ja, aber dieser Schmuck bestand aus den gemeinsten französischen Hetzplakaten, Bildern, die die 'Greueltaten der Barbaren' in Belgien und Nordfrankreich darstellten. Das Berühren der Bilder sollte kriegsgerichtlich bestraft werden! (Wohlgemerkt, alles nach Waffenstillstand, um uns zu zeigen, wer der Sieger sei!). Die 'Grande Nation' bedient sich solcher Maßnahmen, um zu zeigen, daß sie die Herrin ist. Sämtliche deutschen Chargen, vom Fähnrich, Offizier-Stellvertreter herunter bis zum Unteroffizier, Off.-Asp., mußten die gemeinsten Zwangsarbeiten verrichten. Wir haben gemeinsam protestiert, jedoch nur unsere Lage verschlimmert. Wer sich noch weigerte, wurde eingesperrt und dann zur Mine (Kohlenbergwerk) geschickt. - Es sei weiter nichts wie 'Lagerarbeit', so äußerte sich Kapitän Blaché, was er verlange. Solche Lagerarbeiten waren: Steinbruch, Waldkommando, Landarbeit, z. B. Ackerwalzen - 10 Mann vor einer Walze! -, Wegbauen und dann die besonderen Lagerarbeiter, wie Latrine fahren, Pferde- und Schweineställe säubern usw. Alles ohne Bezahlung und mit hungrigem Magen! Seiner gemeinen Handlungsweise hatte er, Kapitän Blaché, es zu verdanken, daß er eine 'gute Nummer' beim Regimentskommandanten in Clermont-Ferrand (13. Region) hatte und überhaupt Kapitän geworden ist. So beförderte auch er seine Posten, wenn sie die 'Boches' gut schikaniert hatten! - Als Zeugen für meine Aussagen über St. Genest Cerpt. und den Kommandanten Blaché und seinen Adjutanten (Winter 1918-1919) nenne ich: Vizefeldwebel E. Meierheurich, Waddenhausen bei Silbach-Lippe, Vizefeldwebel W. Deussen, Kiel, Beseler Allee 39, Unteroffizier H. Jöhnk, Ahrenshöft, Husum, Schl.-Holstein. Noch ein kurzes Wort über die Minen. Was die deutschen Kriegsgefangenen, die auf den Minen von St. Etienne (Loire) arbeiteten, durchgemacht haben, glaubt nur der, der es mit [29] eigenen Augen gesehen hat. Wenig geben und dann die Leute ausnutzen bis aufs Blut, bei Anwendung der gemeinsten Schikanen! Einmal täglich verpflegt mit Bohnensuppe - nur abends - und 400 bis 450 Gramm Feinbrot. Morgens früh Kaffee, Arbeitszeit von morgens früh 6 Uhr bis abends 5 Uhr. Ich weiß, daß auf dem Detachement Meons Leute wegen geringen Vergehens auf der Mine in ein feuchtkaltes Prison gesperrt sind, fast vollkommen entkleidet, ohne Decke! Zeuge hierfür: H. Wahl, Rottweil a. N., Hauptstr. 48 und Einj. Kriegsfreiw. Embers, Werne, Kreis Bochum, Rüsingstr. 2. Im Aufräumungsgebiet kam ich mit dem Leutnant Guilloteau, vom I.-R. 67 Soissons, zusammen, der dann später, Juli 1919, unser Kommandant wurde. (609. Cie. P. G. R. L., Vauxtin). Ich klage ihn an wegen seiner rücksichtslosen und brutalen Behandlung der P. G. und wegen Zugrunderichtens eines Menschenlebens! - Im Juli vorigen Jahres wurde unser Kamerad, Jul. Eckmann, Trittau-Holstein, plötzlich krank. Hohes Fieber stellte sich ein und entzündeter Hals. Unsere Sanitäter sahen Diphtheritis voraus. Dem Leutnant wurde sofort Meldung gemacht. Antwort: Oh, ce n'est rieu. (Ist ja gar nichts.) Wir baten ihn, er möge an den Arzt telephonieren. - Ja, morgen! - Die Stunden vergingen, die Krankheit wuchs! Es stellten sich Atembeschwerden ein. Stunde für Stunde bekam der Kommandant Nachricht. Antwort: Je ne m'en fiche pas mal! (Ist mir ganz schnuppe.) Morgen wolle er telephonieren. So wurde es wiederum morgen, der Arzt wurde nicht geholt, und die Folge war, unser braver Eckmann war gestorben. Nur wenige Tage nach diesem Vorfall zeigte uns Herr Leutnant Guilloteau sein wahres Gesicht. Er äußerte sich folgendermaßen: 'Ils peuveut crevo - là dedous, ces boches ça me plaît!' (Mögen die Boches hier umkommen, das macht mir Spaß!) Diesen Winter, im November - Dezember 1919, bei fußhohem Schnee, wurden die Leute ohne Schuh - und es waren ihrer recht viele, die ganz zerlumptes Schuhzeug oder gar nur schlechte Pantoffel hatten - mit Kolbenhieben zur Arbeit herausgetrieben. Zeigten die Leute schlechten Willen, so wurden sie einfach eingesperrt in einen menschenunwürdigen Blechkasten, der aus alten Blechplatten zusammengesetzt war, kalt, undicht und feucht; eine Decke wurde den Armen erlaubt. Der französische Sergeant Belleville, I. R. 67, unterstützte begeistert die gemeine Handlungsweise. Er äußerte einmal, er mißhandle die 'Boches' 'avec plaisir' (mit Vergnügen). Es ist vorgekommen, daß er unsere Kameraden mit dem Handstock schlug! Barackendurchstöberungen waren an der Tagesordnung. Die französischen Posten, ungehobelte, freche junge Burschen, bereicherten sich an dem armseligen Hab und Gut der Kriegsgefangenen. - Reklamationen wurden vom Herrn Guilloteau glatt zurückgewiesen. Persönliches Eigentum wurde nicht respektiert. 'Ein P. G. hat überhaupt keine eigenen Sachen, alles gehört dem französischen Staat - es ist Ersatz für das, was die Mordbrenner 1914-15 gestohlen!' Geringe Vergehen wurden durch 14tägigen Lohnabzug bestraft. - [30] Unter 520 Mann wurden nicht mehr als 10 Kranke geduldet!! Waren es mehr, so hielt der Leutnant selber eine Visite und warf die 'Leichtkranken', d. h. Leute, die kein 'Fieber' (40 Grad) hatten, heraus aus der Infirmerie und ließ sie arbeiten. Bei Weigerung erfolgte Prison oder Lohnabzug, ja sogar Strafkompagnie! Zeugen für die Wahrheit dieser Aussagen (Cie. 609):Gefr. Otto Kruse, Altona, Elbe, Borselstr.; Soldat H. Jutzen, Lübeck, Fleischhauer Straße 8; Soldat H. J. Menz, Kiel-Gaarden, Kieler Straße; Fähnrich Flatau, Jägerhof-Bromberg-Posen."
Flucht des Leutnants Waldemar Graf von Pfeil - Tod des Leutnants Petrich Am 26. November 1918 beschloß der Leutnant Waldemar Graf von Pfeil mit einer Anzahl anderer Kameraden, sich durch die Flucht aus einem Gefangenlager der unmenschlichen Behandlung zu entziehen. Gegen 6 Uhr nachmittags wurde die Tat ausgeführt. Durch eine etwa 60 Meter lange, halbvolle Kanalisationsröhre verschafften sich die Fliehenden die Freiheit. Leider sollte ihr Vorhaben nicht lange unentdeckt bleiben. Beim Überqueren einer Fahrstraße wurden sie durch zufällig vorbeikommende Reiter entdeckt; die sofort alarmierte französische Wache nahm die Verfolgung auf und ihr gelang es, die Flüchtlinge, 18 an der Zahl, festzunehmen. Nur vier Offizieren gelang es, zu entkommen, trotzdem am nächsten Tage mit Einwohnern und Hunden weiter gefahndet wurde. Unsagbar waren die Leiden dieser Männer, bis ihnen die Stunde der endgültigen Freiheit winkte. Einer von ihnen langte mit erfrorenen Füßen am Reiseziel an und mußte sofort Aufnahme im Lazarett Fossano finden. Unter den Flüchtlingen befand sich auch der Leutnant Petrich, Sohn eines Justizrats, vom Grenadierregiment Nr. 11. Seine Flucht war zuerst entdeckt worden. Bald war man ihm auf der Spur und am 4. Dezember war er von französischen Soldaten in der Nähe von Hansiers umzingelt. Er hatte schon bald die Aussichtslosigkeit seines Beginnens eingesehen, da ihm seine Kräfte bei der Überwindung der Strapazen im hohen Schnee ausgingen. Lediglich seine unbeugsame Willenskraft brachte ihn immer und immer wieder vorwärts. Als ihm seine Verfolger auf der Spur waren, hob er seine Hände, um sich zu ergeben. Trotzdem schoß einer der Schufte auf ihn aus einer Entfernung von 5 Schritt. Er stürzte zusammen, richtete sich noch einmal auf und rief, wohl um einen weiteren Schuß zu verhindern: "je ouis tué!" Die Kameraden sprangen herbei und riefen: "Pas tirer, il est blesse!" Daraufhin schoß der Franzose nochmals, traf aber nicht und sagte, vor der Leiche stehend: "C'est bien ca." Ein anderer französischer Soldat nahm die Leiche auf den Rücken, trug sie zum Lager und warf sie buchstäblich den entgegenkommenden deutschen Ärzten vor die Füße.
Ein deutscher Hochschulprofessor über die Gefangenenbehandlung und deren Folgen Wie schwer die unwürdige Behandlung Angehöriger der gebildeten [31] Stände des deutschen Volkes während ihrer Gefangenschaft auf der Seele des einzelnen lastete, zeigt die Darstellung des Prof. der Theologie an der Universität in Marburg, Karl Bornhausen, der als Oberleutnant d. Res. im Dragoner-Regiment Nr. 22 in französische Gefangenschaft geraten war. Bis Anfang Juni 1917 war er in Mougeres, einem für bevorzugt geltenden Offizierslager, dann bis Mitte Juli in Moulins untergebracht. Dabei ist ihm besonders die üble Lage und die traurige Behandlung der Intellektuellen und Bildungsstrebenden unter den Gefangenen aufgefallen. Ganz abgesehen davon, daß die lange Gefangenschaft die Elastizität zu geistiger Beschäftigung unablässig untergräbt, konnte man deutlich die Bemühungen der französischen Behörde erkennen, jegliche geistige Betätigung der Offiziere zu bedrücken. Während im Anfang die Zensur bereit war, rein wissenschaftliche Werke den Gefangenen auszuliefern, auch wenn sie nach 1914 gedruckt waren, machte sie 1917 hiermit Schwierigkeiten. Die Bücher wurden nach Paris geschickt und kamen in den meisten Fällen nicht wieder. Auf diese Art und Weise wurden den Gefangenen erhebliche Werte ihres Privateigentums geraubt; sie hatten ferner den Schaden, daß sie sich über den gegenwärtigen Stand der Wissenschaften nicht mehr orientieren konnten. Ein französischer Arzt nahm einem gefangenen deutschen Arzt ein neues medizinisches Werk weg, um es zu eigenen Zwecken zu benutzen, und erstattete es erst nach Monaten notgedrungener Weise zurück. Noch peinlicher wirkte die Versagung wissenschaftlicher Zeitschriften. Man pflegte in dieser Beziehung nicht alle Nummern zu konfiszieren, sondern riß einige Nummern heraus. Weder eine Ingenieurzeitung, noch eine Postfachzeitung war intakt zu erhalten. Nicht etwa das politisch Anstößige entfernte der Zensor, sondern er suchte nach den Aufsätzen, die ihn interessierten, und durch deren Übersendung in das Kriegsministerium in Paris er sich einen guten Namen zu machen glaubte. So wurden alle technischen Neuerungen den Gefangenen vorenthalten. Am meisten aber bedrückte die Intellektuellen die praktische Versagung des Schutzes des geistigen Eigentums und der in der Gefangenschaft hergestellten Arbeiten. Mit ziemlicher Willkür riß der Zensor auseinander, was ihm gefährlich erschien, wie Postkarten, Adressen französischer Gelehrter. Konfisziert wurden Stenographiebücher, griechische Klassiker und schriftliche Präparationen zu ihnen. Im übrigen wurde unter den schriftlichen Aufzeichnungen bei der Revision derart wüst gehaust, daß das Manuskript bei solcher Behandlung selbst schwer litt. Bei jedem Lagerwechsel mußte sich der Gefangene eine derartige Revision gefallen lassen. So wurde der Dolmetscher der gefährlichste Feind der gebildeten Gefangenen in Frankreich. Meist ungebildet benutzte er seine Macht, um an ihnen sein Mütchen zu kühlen, und selbst ein wohlmeinender Kommandant konnte die Gefangenen davor nicht schützen, da diese Interprätengilde in Frankreich eine Sonderorganisation bildete, die sich untereinander und außerdem die Lagerkommandanten überwachte. Vor allem erfuhr die allgemeine Geisteslage der gefangenen Offiziere durch die unabsehbare Dauer der Gefangenschaft eine starke, anhaltende Verschlechterung. Aber die französische Behörde suchte darüber hinaus den geistigen und körperlichen Verfall der Offiziere noch zu [32] fördern. Ihr wichtigster Helfer hierbei war der französische Arzt. Besonders peinlich mußte es sein, daß die französischen Ärzte bei den Untersuchungen durch Schweizer Ärzte niemals rein medizinische Gesichtspunkte gelten lassen wollten. Bei der Beurteilung über Internierungen in der Schweiz wurde immer wieder von den französischen Ärzten auf die schlechte Conduite des Gefangenen, die häufig ein Ehrenzeichen seines Charakters ist, hingewiesen. Im dem Gefangenen sah der französische Arzt nur seinen Feind. Typisch für seine Art war das Verhalten des jungen Lagerarztes in Mougeres, der in deutscher Kriegsgefangenschaft gewesen war und seine Stellung im Offizierslager als Gelegenheit zu persönlicher Rache ansah. Um die Kranken kümmerte er sich überhaupt nicht. Medikamente gab er ohne jede Anweisung des Gebrauchs. Behandlung kleiner Leiden, Anträge zu Augenuntersuchungen, Röntgenaufnahmen lehnte er grundsätzlich ab. Bei schweren Blutungen war in Mougeres weder ein französischer Arzt noch Verbandszeug zu erhalten. Schließlich lastete die weiterdauernde Nichtachtung der deutschen Sitten und religiösen Gebräuche auf den Gefangenen. Dem Prof. Bornhausen kam in Moulins der Fall zu Ohren, daß die Grabstätte der deutschen Offiziere und Mannschaften auf dem dortigen Friedhofe von den Krankenwärtern des nahegelegenen Lazaretts als Schuttablage benutzt worden sei. Auf Betreiben der deutschen Offiziere wurde die Grabstätte zwar gereinigt, aber der Stadtkommandant verbot allen Schmuck, der über den an den französischen Gräbern ortsüblichen hinausging. Da bekannterweise der Franzose seine Gräber verwahrlost, sollte auch der Deutsche dasselbe tun. So wurde nur gestattet, kleine Steintafeln mit den Namen der Toten auf die Gräber zu legen.
Anmerkung: *Wir verweisen hier auf Heft 8, Die Verbrechen unter der Tropensonne. ...zurück... |