[605] XVII. Die
Organisationen für den
österreichisch-deutschen
Zusammenschluß
Generaldirektor Dr. Ing. Hermann Neubacher
(Wien)
Entstehung der organisierten Anschlußbewegung
Die
französisch-belgische Presse und die Entwicklung der
Anschlußbewegung Die Bewegung für den
Zusammenschluß ist vor allem eine österreichische
Bewegung Die
Österreichisch-deutsche Arbeitsgemeinschaft Die
Deutsch-österreichische Arbeitsgemeinschaft Der
Österreichisch-deutsche Volksbund Berlin Der
Österreichisch-deutsche Volksbund Wien Die
Delegation für den
österreichisch-deutschen
Wirtschaftszusammenschluß.
Ein kurzer Überblick über die Geschichte des bisherigen Kampfes
um den
deutsch-österreichischen Zusammenschluß und über die
Wandlungen des Zusammenschlußgedankens sowohl im politischen und
wirtschaftlichen Denken der Deutschen im Reich und in Österreich als auch
der öffentlichen Meinung Europas ist für das Verstehen des Werdens
und der Wirksamkeit der sogenannten
"Anschluß-Organisationen" wohl unentbehrlich.
Der Gedanke des deutsch-österreichischen Zusammenschlusses ist heute
zwölf Jahre alt; die Geschichte der Anschlußbewegung fällt in
eine der wechselvollsten und schmerzlichsten Epochen Europas, die
Erfüllung der Zusammenschlußforderung wird unweigerlich mit der
Selbstbesinnung des neuen Europa kommen. Wir stehen unmittelbar vor dieser
Selbstbesinnung der ihre zwangsläufige Solidarität langsam
erkennenden
Europäer – oder: dieses Europa
hat – ohne daß der Geist der Geschichte zwischen Siegern und
Besiegten unterscheiden
wird – seine Weltstellung dem fernen Osten und Westen, Rußland,
Asien und Amerika als Kampfpreis abzutreten.
Die machtpolitische Verhinderung der Ausübung des nationalen
Selbstbestimmungsrechtes der Deutschen Österreichs ist von 1918 bis
heute die trostloseste Erscheinung in unserer schwer bedrohten alten Welt. Mit der
machtpolitischen Verhinderung des
deutsch-österreichischen Zusammenschlusses beginnt die Geschichte der
organisierten Anschlußbewegung.
Als das große Unheil über die sogenannten Zentralmächte
hereinbrach und die
Österreichisch-ungarische Monarchie von nicht
über- [606] mäßig
großen Europäern des Westens liquidiert
wurde – "der Rest heißt
Österreich" –, war der
deutsch-österreichische Zusammenschluß im Reich und noch viel
mehr in Deutschösterreich eine
Selbstverständlichkeit, – es war der Blitzschlag der Katastrophe, der
die Gehirne erleuchtete. Der Zusammenschluß wurde durch die
Friedensverträge gewalttätig verhindert.
Dann kommen für das Reich und Deutschösterreich die Jahre des
wirtschaftlichen Zusammenbruches, der Inflation, der erschütternden
wirtschaftlichen und politischen Krisen. In diesem zweiten Abschnitte der
Geschichte des Zusammenschlusses, der alle wirtschaftliche und politische Sorge
für die Not des Tages, ja der Stunde in Anspruch nahm und das Denken in
Zeit und Raum einengte, wurde es recht stille um die größte nationale
Sache der Deutschen.
Der dritte Abschnitt beginnt um das Jahr 1925. Die wirtschaftlichen
Maßstäbe, im Chaos der Inflation und der Sanierungskrisen
verlorengegangen, kehrten wieder, das wirtschaftliche und politische Denken
wurde über das
individuell-lokale hinaus wieder
allgemein-geographisch. Die Auseinandersetzung über die
Anschlußfrage, die Anschlußbewegung setzte lebhaft ein, die
Zusammenschlußforderung wird, programmatisch begründet und
organisiert, ein wichtiger Faktor im politischen Denken aller europäischen
Kabinette. Die machtvollen Kundgebungen für Großdeutschland
erreichen im Jahre 1928 (Deutsches Sängerbundfest, Wien) einen
Höhepunkt. Eine monatelange internationale Pressediskussion über
die damaligen Kundgebungen der deutschen Sänger und des
österreichisch-deutschen Volksbundes Wien leitet einen neuen Abschnitt
der Geschichte der Anschlußbewegung ein, der durch eine erfolgreiche
Angleichungsarbeit im Innern (Großdeutschland) und mühsam
errungene neueuropäische Erkenntnisse über die Dringlichkeit eines
wirtschaftlich geschlossenen Europa gekennzeichnet ist, in welchem der
deutsch-österreichische Zusammenschluß allmählich als
natürlicher Beginn erscheinen muß.
Solange die Weltmeinung nicht durch wohlorganisierte überparteiliche
Volkskundgebungen in Österreich aufgerufen
wurde – von 1918 bis 1925, mit Ausnahme der durch Hungerdrohung der
alliierten Mächte unterbrochenen Länderabstimmungen in
Österreich im Jahre
1921 –, begnügte sich die westliche, insbesondere französische
Presse [607] damit, die Existenz
einer österreichischen Anschlußbewegung zu leugnen. Gelegentliche
politische Kundgebungen wurden, wenn sie von nationaler Seite kamen, als
Äußerungen unbedeutender "pangermanistischer Grüppchen",
wenn sie von sozialdemokratischer Seite kamen, als Oppositionsmanöver
gegen die christlichsoziale Regierung abgetan. Reichsdeutsche
Äußerungen für den Zusammenschluß wurden als
Annexionsdrohungen angeprangert, gegen die das notorisch
preußenfeindliche Österreich zu schützen sei. Daß
Österreich von einem Anschluß an das Reich nichts wissen wolle,
war die stets wiederkehrende Behauptung der
französisch-belgischen Presse bis zum Hervortreten der
"Deutsch-österreichischen Arbeitsgemeinschaft" und des
"Österreichisch-deutschen Volksbundes Wien" im Jahre 1925. Das starke
Auftreten der organisierten Anschlußbewegung in Österreich
verursachte in der öffentlichen Meinung Europas eine gewaltige
Aufregung. Frankreich entdeckte die "Latinität" der österreichischen
Seele, verlangte für Österreich Hilfe, warnte, pries unsere
Lebensfähigkeit, drohte mit Krieg; in dem aufgeregt protestierenden
Dr. Benesch und seiner tschechischen Presse erwuchs ihm ein rabiater
Sekundant. Briand wollte die 10% Österreicher, die sogar nach seiner
Meinung gegen den Zusammenschluß sein könnten, gegen die
sicheren 90% Selbstmörder retten (1929); Benesch rechnete uns durch
Abzählen der Signatarmächte von Versailles und St. Germain
die Anzahl der unvermeidlichen Kriegserklärungen vor. Zahllose
europäische
Pressestimmen – darunter auch
französische – traten unter dem Eindrucke leidenschaftlicher
österreichischer Volkskundgebungen für das österreichische
Selbstbestimmungsrecht ein. In der Weltmeinung über die
österreichische Forderung nach Zusammenschluß mit dem Deutschen
Reiche ist seit 1918 eine gewaltige Wandlung eingetreten: die organisierte
Bewegung für den
deutsch-österreichischen Zusammenschluß in Österreich und
im Reiche hat diese geschichtliche bedeutsame Wandlung erkämpft.
Die Bewegung für den deutsch-österreichischen
Zusammenschluß ist vor allem eine österreichische Bewegung,
die – ganz im Gegensatze zur beliebten französischen
Annexionsthese – nicht vom Reich aus in Gang gehalten wird, sondern im Reich um
Zustimmung, Anhang und realpolitische Inangriffnahme wirbt. Diese
nie genug zu betonende Tatsache findet schon im Aufbau der großen
Organisationen, des
Österreichisch-deutschen Volksbundes Berlin und Wien, seinen
überaus bezeichnenden Ausdruck. Der Volksbund im Reiche verdankt
[608] vornehmlich im Reiche
lebenden Österreichern seine Entstehung, seine Untergruppen sind
hauptsächlich landsmannschaftliche Österreichervereine in
Schlesien,
Mittel- und Westdeutschland. Die österreichische Volksbundorganisation
paßt sich der verfassungsmäßigen Gliederung des
österreichischen Bundesstaates an und erfaßt planmäßig
die Berufsorganisationen aller politischen Richtungen. Für das Organ der
Reichsorganisationen,
Österreich-Deutschland, ist die Propaganda österreichischer
Stammeseigenart, Baukunst und Literatur besonders charakteristisch, ebenso das
Eintreten für eine Inländerbehandlung der im Reiche lebenden
Österreicher; die Zeitschrift der österreichischen Organisation
Der Anschluß stellt die tagespolitischen und wirtschaftlichen Fragen
in den Vordergrund, nimmt zu allen irgendwie belangreichen Auslandsstimmen
Stellung und dient in besonderem Maße der Auslandspropaganda.
Was nun die "Arbeitsgemeinschaften" anbelangt, deren Betätigung weniger
propagandistischer als vielmehr wissenschaftlicher Natur ist, so hat diese
Bewegung in Österreich ihren Ausgang genommen. Die
"Arbeitsgemeinschaft" im Reich ist erheblich später als notwendige
Korrespondenzstelle für die Auseinandersetzung über die
vielgestaltigen Probleme der Angleichung entstanden. Die "Delegation für
den
österreichisch-deutschen Wirtschaftszusammenschluß" in Wien
hat – leider – auch heute noch keine reichsdeutsche Gegenstelle
ähnlichen Aufbaues.
Der in der französischen Presse ständig wiederkehrenden Redensart
von der reichsdeutschen Anschlußpropaganda in Österreich
können wir nur in aller Sachlichkeit entgegenhalten: Die organisierte
Zusammenschlußbewegung ist vor allem eine
österreichische Bewegung,
die – oft genug mit
Ungeduld – im Reiche um tatkräftiges Verständnis wirbt; diese
Bewegung wäre in ihrer Kraft und Zuversicht unvorstellbar, wenn sie von
der angeblichen Förderung und Ermutigung aus Berlin leben
müßte; diese österreichische Volksbewegung, die im
Augenblicke der Entscheidung alles mitreißen wird, fühlt sich in
Wahrheit seit Jahren durch die Ablenkung der politischen Aufmerksamkeit der
Reichsregierung auf die Westfragen bedrückt und neigt sehr dazu, der
offiziellen Reichspolitik mangelndes Verständnis für die
national-politische und wirtschaftliche Bedeutung des Zusammenschlusses
vorzuwerfen. Das ist die nüchterne Wahrheit über den wirklichen
Charakter der Anschlußbewegung, die, wenn sie nur Berliner "Mache"
wäre, längst aufgehört [609] hätte, durch
immer wiederkehrende kraftvolle Äußerungen die
Zusammenschlußgegner Europas zu beunruhigen oder zu bekehren.
Die Zusammenschlußbewegung verfügt über besondere
Organisationen, welche verschiedene Arbeitsbereiche betreuen. Während
die durch ihr häufiges öffentliches Hervortreten und ihre gewaltige
Mitgliederzahl besonders bekannten
"Volksbund"-Organisationen im Reich und in Österreich
hauptsächlich der Propaganda des Zusammenschlußgedankens vor
der europäischen Öffentlichkeit dienen, betreiben die
"Arbeitsgemeinschaften" in Österreich und im Reiche das Studium und die
Beeinflussung der wechselseitigen Angleichungsarbeit im Rahmen einer
zahlenmäßig beschränkten fachkundigen Mitarbeiterschaft. Die
"Delegation" beschränkt sich ausschließlich auf die Frage des
wirtschaftlichen Zusammenschlusses auf der Grundlage einer umfassenden
Vereinigung der Wirtschaftsverbände in Österreich. Die
Anfänge der
"Österreichisch-deutschen Arbeitsgemeinschaft" reichen zeitlich am
weitesten zurück.
I. Die Arbeitsgemeinschaften
Die Anfänge der österreichisch-deutschen Arbeitsgemeinschaft Wien
reichen in die Kriegszeit zurück. Bei den Salzburger
Wirtschaftsverhandlungen im Jahre 1917 wurde angeregt, dem wirtschaftlichen
Zusammenschluß eine möglichst weite Angleichung auf allen
Gebieten der öffentlichen Verwaltung folgen zu lassen. Einer der
Hauptträger dieser Idee war der seinerzeitige Justizminister und
international berühmte Rechtslehrer Dr. Franz Klein.
Nach dem Zusammenbruche begründete er mit einem Kreise hochstehender
Politiker und Männer der Wirtschaft, unter ihnen Hofrat Professor
Wettstein und unser erster Gesandter in Berlin Professor Dr. Ludo
Hartmann, die
österreichisch-deutsche Arbeitsgemeinschaft.
Durch den Tod Ludo Hartmanns im Jahre 1920 und den leidenden Zustand
Dr. Franz Kleins, der im Jahre 1924 starb, waren die Arbeiten in der
Arbeitsgemeinschaft über die ersten Ansätze kaum
hinausgekommen.
[610] Im Frühjahre
1925, im Zeichen der Donauföderationspläne und der
Völkerbundexpertisen, wurde die Arbeit zielbewußt wieder
aufgenommen und die
österreichisch-deutsche Arbeitsgemeinschaft auf breiterer Grundlage und
im allgemeinen in ihrer heutigen Gestalt neu aufgebaut und der
Öffentlichkeit des
In- und Auslandes vorgestellt. Diese Arbeitsgemeinschaft ist eine lose, streng
überparteiliche Vereinigung. Sie zählt in Österreich derzeit
420 Mitglieder. Die Mitgliedschaft kann nur mit Zustimmung des
Hauptausschusses erworben werden. Im Leitungsausschusse sind alle
parlamentarischen Parteien durch offizielle Delegierte vertreten.
Die Österreichisch-deutsche Arbeitsgemeinschaft steht unter dem Vorsitze
des um die Sache des Zusammenschlusses hochverdienten
Universitätsprofessors Hofrat Dr. Richard Wettstein,
Vizepräsidenten der Wiener Akademie der Wissenschaften, ehemaligem
Mitgliede des österreichischen Herrenhauses. Vorsitzenderstellvertreter ist
Unterstaatssekretär a. D. Ingenieur Bruno Enderes. Die
Österreichisch-deutsche Arbeitsgemeinschaft gliedert sich in die
Fachausschüsse für Kunst und Kultur mit den
Unterausschüssen für Musik, Schrifttum, Archive und Bibliotheken;
Unterricht mit den Unterausschüssen für Angleichung des
Hochschulwesens, Mittelschulwesens, Volksschulwesens; Recht mit 7
Unterausschüssen; Wirtschaft mit den Unterausschüssen für
Industrie, Forstwirtschaft, Landwirtschaft und Verkehr. Die
Österreichisch-deutsche Arbeitsgemeinschaft unterhält eine eigene
Monatsschrift, Deutsche Einheit.
Ihre Tätigkeit vollzieht sich in einem kleinen Kreise von Fachleuten und
Politikern ohne besonderes öffentliches Hervortreten. Sie kann auf dem
Gebiete der
Rechts-, Verkehrs- und Wirtschaftsangleichung auf schöne Erfolge
hinweisen, die von der anschlußfeindlichen Presse Europas mit großer
Aufmerksamkeit bedacht wurden. Zur Aufklärung über Fragen der
Angleichung sind bis Mitte des Jahres 1930 eine Reihe von Schriften erschienen:
Das österreichische Wirtschaftsproblem, Eisenbahn und Schiffahrt,
Anschluß und Energiewirtschaft, Doppelte Staatsbürgerschaft,
Eherechtsangleichung, Die nächsten Aufgaben. In Kürze werden
erscheinen: Steuerrechtsangleichung, Rechtsangleichung und
Unterrichtsangleichung.
Im Jahre 1925 wurde als deutsche Schwesterorganisation die
"Deutsch-österreichische Arbeitsgemeinschaft" in München durch
Dr. Gerhard Frh. v. Branca gegründet, der bis zum Jahre 1927
erster Vorsitzender des geschäftsführenden Vorstandes war. Diese
Münchner [611] Gründung wurde
bald zu der
"Deutsch-österreichischen Arbeitsgemeinschaft für das Reich"
ausgestaltet und teilt sich in die Landesgruppen: Berlin, Bayern,
Hessen-Nassau, Niedersachsen,
Rheinland-Westfalen,
Sachsen-Thüringen und Württemberg. Den österreichischen
Fachausschüssen samt Unterausschüssen entsprechen die
Reichsfachausschüsse: Für Recht in Berlin; Unterricht in Berlin;
Hygiene in Dresden;
Jugend- und Studentenarbeit in München; soziale Fragen in Frankfurt;
Leibesübungen und Wandern in München; Propaganda in Stuttgart;
Wirtschaft in Düsseldorf; Forstwirtschaft in München;
Landwirtschaft für Norddeutschland in Berlin; Landwirtschaft
für Süddeutschland in München. Außerdem bestehen
zur Bearbeitung mehr regionaler Aufgaben noch Landesausschüsse
für Wissenschaft, Kunst, Kultur, Unterricht, Handwerk und Gewerbe,
Handel, Industrie und Verkehrswesen. Für Energiewirtschaft besteht ein
gemeinsamer
bayrisch-württembergischer Fachausschuß. Alle diese
Fachausschüsse stehen miteinander in engster Verbindung. Den Vorsitz
führt seit der Reorganisierung im Jahre 1927 Reichsminister a. D.
Emminger.
Die Arbeitsgemeinschaft in Österreich tritt mit der deutschen
Schwesterorganisation zu gemeinsamen jährlichen Tagungen
zusammen.
Die Deutsch-österreichische Arbeitsgemeinschaft für das Reich hat
neben ihren verschiedenen Veröffentlichungen durch den
Reichspropagandaausschuß der
Deutsch-österreichischen Arbeitsgemeinschaft in Stuttgart auch die
Schriften von Dr. Herbert Kniesche: Der
österreichisch-deutsche Wirtschaftszusammenschluß, und von
Dr. Friedrich F. G. Kleinwächter: Selbstbestimmungsrecht
für Österreich!, herausgegeben und eine englische Ausgabe der
Kleinwächterschen Schrift unter dem Titel
Self-Determination for Austria durch den Verlag George Allen &
Unwin in London 1929 veranlaßt. Die
Deutsch-österreichische Arbeitsgemeinschaft hat außer ihren
Veröffentlichungen durch die Veranstaltung zahlreicher Tagungen,
Abhaltung von Vorträgen und Enqueten, durch eine Fülle sachlicher
Kleinarbeit auf den verschiedensten Gebieten der Angleichung der
großdeutschen Sache mit Erfolg gedient.
Die Veranstaltung einer "Österreichischen Woche", die erstmalig im Jahre
1929 in Frankfurt am Main stattfand, wird zu einer ständigen Einrichtung
gemacht werden. Der kulturpolitische Ausschuß der
österreichisch-deutschen Arbeitsgemeinschaft in Klagenfurt
ver- [612] anstaltet im Herbst
jeden Jahres gemeinsam mit der
Deutsch-österreichischen Arbeitsgemeinschaft München eine
"Deutsche Hochschulwoche" in Klagenfurt.
II. Der Österreichisch-deutsche Volksbund
Berlin
Schon in den Novembertagen des Jahres 1918 hatte sich in Berlin ein
"Österreichisch-deutscher Arbeitsausschuß" gebildet, der als Beirat
der deutschen Regierung in allen Fragen des Zusammenschlusses wirken wollte.
Er setzte sich als Hauptaufgabe, dafür zu wirken, daß die Vorarbeiten
für den Zusammenschluß hüben und drüben in
Fluß gebracht werden. Es waren im Reiche lebende Österreicher, die
diesen Arbeitsausschuß begründeten, es war der erste Gesandte
Deutschösterreichs, Ludo Hartmann, der die weitere Entwicklung der
Zusammenschlußarbeit in Berlin unermüdlich und entscheidend
beeinflußte.
Aus diesem "Österreichisch-deutschen Arbeitsausschuß" entstand der
"Österreichisch-deutsche Volksbund Berlin", der sich auf eine breite
überparteiliche Grundlage stellte und maßgebliche Vertreter der
wichtigsten Reichstagsparteien in seinen Vorstand berief, an dessen Spitze seit
März 1921 der Präsident des deutschen Reichstages Paul Löbe
steht. So wahr es ist, daß die Zusammenschlußbewegung vor allem
eine österreichische Volksbewegung ist, die aus dem
österreichischen Schicksale ihre unzerstörbare Kraft bezieht, so wahr
ist es, daß Paul Löbe in Europa der bekannteste Kämpfer
für Großdeutschland geworden ist. Sein überparteiliches
Ansehen, seine gewinnenden persönlichen Eigenschaften, seine
hervorragende Rednergabe, sein erfrischender Mut, der Welt in der
Zusammenschlußfrage unbeirrt durch angebliche außenpolitische
Rücksichten die Wahrheit zu sagen, dies alles hat Paul Löbe zu dem
weithinragenden Führer gemacht, als welcher er in die Geschichte der
deutschen Einheitsbewegung eingehen wird.
Der Österreichisch-deutsche Arbeitsausschuß, aus dem sich der
"Österreichisch-deutsche Volksbund Berlin" entwickelte, ist als erste
Organisation für den Zusammenschluß an die große
Öffentlichkeit getreten. (Öffentliche Versammlung in der Hochschule
für Musik, Berlin, am 17. November 1918.) Die Bewegung, von
Österreichern begonnen, breitete sich, insbesondere auf der Grundlage
vorhandener [613] landsmannschaftlicher
Österreichervereine, im Reiche rasch aus; einem Landesverband in
Frankfurt a. M. folgte bald die Gründung eines Gauverbandes
Rheinland-Westfalen in Essen. In zahllosen öffentlichen Kundgebungen,
Versammlungen, Vorträgen, durch Ausstellungen und Reiseveranstaltungen
entfaltete der Volksbund Berlin in den Jahren seines Bestandes eine reiche
Aufklärungs- und Werbetätigkeit, die, insbesondere durch das
weithin gehörte Wort Paul Löbes, der internationalen
Auseinandersetzung über die Anschlußfrage immer wieder Nahrung
gab. Die reichsdeutsche Volksbundorganisation, die ja lange vor den
reichsdeutschen "Arbeitsgemeinschaften" ihre Tätigkeit begann,
beschäftigte sich auch mit Fragen der Angleichung (Schulausschuß,
Wirtschaftsausschuß, Rechtsausschuß) und übergab einige
für die Anschlußbewegung wichtige Schriften der
Öffentlichkeit: Österreichs Weg zum Anschluß von
G. Höper u. a. Die offizielle Zeitschrift des
Österreichisch-deutschen Volksbundes Berlin ist seit 1923
Österreich-Deutschland, die sich, wie wir schon einleitend
bemerkten, seit Jahren erfolgreich mit der Propaganda österreichischer
Landschaft, Kunst und Literatur im Reiche befaßt. Diese Zeitschrift wurde
und wird vornehmlich von Österreichern geschrieben.
III. Der Österreichisch-deutsche Volksbund
Wien
Diese Organisation wurde, bald nachdem die
"Österreichisch-deutsche Arbeitsgemeinschaft Wien" den Weg in die
Öffentlichkeit beschritten hatte, im Einvernehmen über die
Arbeitsteilung mit dieser, am 4. Juni 1925 gegründet, und zwar
zuerst im Rahmen der Volksbundorganisation des Reiches als Ortsgruppe Wien.
Die Gründung erfolgte auf streng überparteilicher Grundlage durch
Beschickung des Vorstandes von seiten der parlamentarischen Parteien. Diese
Ortsgruppe Wien entwickelte sich in der Folge zu einer selbständigen
österreichischen Organisation, die innerhalb weniger Jahre eine im
In- und Auslande viel bemerkte Ausdehnung erreichte. An der Spitze der
österreichischen Volksbundorganisation steht seit ihrer Gründung als
Obmann Generaldirektor Dr. Ing. Hermann Neubacher. Die rasch
aufeinanderfolgenden überparteilichen Massenkundgebungen des
"Österreichisch-deutschen Volksbundes Wien" haben die internationale
Auseinandersetzung über die
Zusammenschluß- [614] frage heftig in
Bewegung gesetzt und vor allem mit der bequemen These, Österreich wolle
keinen Zusammenschluß mit dem Reiche, in kurzer Zeit aufgeräumt.
Die Wiener Kundgebungen vom 24. Juni 1925, anfangs September 1925
(die "Löbe-Reise"), die
"Rhein-Donau"-Kundgebung vom Mai 1926 brachten zehntausende
Österreicher ohne Unterschied der Partei auf die Straße und fanden
ihren Widerhall in der ganzen europäischen Presse. Diese Kundgebungen,
neben welchen eine umfangreiche Organisationsarbeit geleistet wurde, steigerten
sich zu dem Höhepunkte des Zehnten deutschen Sängerbundfestes in
Wien im Juli 1928. Die gewaltige Kundgebung in der großen
Sängerhalle am 19. Juli 1928, bei der der Bundesobmann vor nahezu
hunderttausend Deutschen aus allen Teilen der Erde sprechen konnte, die
Massenkundgebung des Volksbundes in Graz (23. Juli), an der
ungefähr 30.000 Menschen teilnahmen, die Volksbundfahrt durchs
Burgenland mit Paul Löbe und reichsdeutschen Politikern aller Parteien
machten den tiefsten Eindruck in der europäischen Öffentlichkeit. In
den Jahren 1929 und 1930 folgten öffentliche Kundgebungen in anderen
Landeshauptstädten, insbesondere in Klagenfurt (Mai 1929, Juni 1930).
Der "Österreichisch-deutsche Volksbund Wien" hat seine Organisation
über ganz Österreich ausgedehnt; es entstanden in rascher Folge die
Landesgruppen in Linz, Graz, Eisenstadt, Salzburg, Innsbruck, Klagenfurt. Die
Zusammensetzung der Landesgruppenleitungen, an deren Spitze in der Regel die
Bürgermeister der Landeshauptstädte stehen, ist ebenso wie die des
Bundesvorstandes streng überparteilich. Mitglieder des Volksbundes
können Einzelmitglieder und Körperschaften sein. Im Juli 1930
umfaßte diese Organisation 320 Körperschaften aller Berufe und
Parteirichtungen. Darunter 114 Gewerkschaften, 130
Fach- und Kulturverbände. Es seien nur einige der größten
Verbände hier angeführt: Niederösterreichischer Bauernbund
(120.000 Mitglieder), Österreichischer Metallarbeiterverband (120.000),
Oberösterreichischer Bauernbund (80.000), Eisenbahnergewerkschaft
(94.000), Österreichische Baugewerkschaft (63.000), Zentralkommission
der christlichen Gewerkschaften (107.000), Freier Gewerkschaftsbund (45.000),
Deutscher Beamtenverband (8000) usw. (alle Lehrerverbände).
Von den Fach- und Kulturverbänden seien genannt: Vereinigung
österreichischer Richter, Wiener juristische Gesellschaft,
Österreichischer
Ingenieur- und Architektenverein, Deutscher Schulverein
"Süd- [615] mark",
Ostmärkischer Sängerbund (über 600 Zweigvereine),
Deutscher Klub, Österreichischer Notarenverein usw.
Von parteipolitischen Verbänden: Österreichischer Landbund,
Sozialdemokratische Partei Salzburg, Christlichsozialer Volksverband für
Niederösterreich usw.
Auf Grund einer besonderen Werbeaktion treten in letzter Zeit zahlreiche
Gemeinden durch Gemeinderatsbeschluß als körperschaftliche
Mitglieder bei.
Von den vielen anschlußpolitischen Aktionen des Volksbundes sei auf eine,
die im
In- und Auslande großes Aufsehen erregte, besonders hingewiesen.
Anläßlich der zehnten Wiederkehr des Tages der November-Verfassung 1918 ("Deutschösterreich ist ein Bestandteil der
deutschen Republik") gelang es dem Volksbund innerhalb kürzester Zeit,
die Unterschriften von mehr als zwei Dritteln der Mitglieder des
National- und Bundesrates für folgendes Treuegelöbnis zu gewinnen:
"Deutschösterreich ist ein Bestandteil der deutschen
Republik – heute, zehn Jahre nach dem 12. November 1918, und
immerdar halten wir in Treue fest an diesem Beschluß und
bekräftigen ihn durch unsere Unterschrift!" Hunderte von führenden
Männern der öffentlichen Verwaltung und Rechtsprechung, der
Wissenschaft, Kunst und Wirtschaft haben dieses Gelöbnis unterschrieben.
Das Organ des
"Österreichisch-deutschen Volksbundes Wien" ist die Halbmonatsschrift
Der Anschluß, die auch an tausende Auslandsstellen verschickt
wird. Der
"Österreichisch-deutsche Volksbund" hat vor der ganzen
Weltöffentlichkeit den Beweis erbracht, daß der
Zusammenschlußwille von der erdrückenden Mehrheit der
Österreicher ohne Unterschied der parteipolitischen Richtung getragen
wird, daß dieser Wille machtvoll und seines endlichen Sieges sicher ist.
IV. Die Delegation für den
österreichisch-deutschen
Wirtschaftszusammenschluß
Für den Entwicklungsabschnitt der Zusammenschlußbewegung von
1925 bis 1928 ist die Tatsache besonders charakteristisch, daß die
österreichische Wirtschaft, in deren Denken die angeblich vernichtende
reichsdeutsche Konkurrenz früher eine ziemliche Rolle spielte, beinahe
geschlossen für den
deutsch-österreichischen Wirtschaftszusammenschluß, für das
einzig mögliche "größere
Wirt- [616] schaftsgebiet" eintritt.
Diese Tatsache findet neben zahlreichen Kundgebungen der maßgeblichen
Wirtschaftsorganisationen (Handelskammern) und Wirtschaftsführer in der
Gründung einer neuen österreichischen Organisation für den
Zusammenschluß ihren Ausdruck.
Die "Delegation für den
österreichisch-deutschen Wirtschaftszusammenschluß" wurde im
Herbste 1927 ins Leben gerufen; ihr Ziel ist die Organisation der
österreichischen Wirtschaft für den Kampf um den wirtschaftlichen
Zusammenschluß mit dem Reiche. Ihren Leitungsvorstand bilden die
Delegierten großer Wirtschaftsverbände
und – im Interesse der ständigen Fühlung mit den
gesetzgebenden
Körperschaften – aktive Politiker als Vertreter der parlamentarischen
Parteien.
Den Vorsitz führt seit der Gründung Kammerrat Hermann
Kandl.
Innerhalb kurzer Zeit haben sich über hundert Verbände der
Industrie, des Handels und des Gewerbes sowie große Berufsorganisationen
dieser Delegation als körperschaftliche Mitglieder angeschlossen. So gibt es
beispielsweise in Wien und Niederösterreich keinen protokollierten
Kaufmann mehr, der nicht durch seine Spitzenorganisation der "Delegation"
angehören würde; auf demselben Weg erscheinen sämtliche
gewerblichen Betriebe des Burgenlandes erfaßt und überhaupt alle
gewerblichen Betriebe, die Mitglieder des "Gewerbebundes", des "Deutschen
Handels- und Gewerbebundes" und des "Verbandes der sozialdemokratischen
Gewerbetreibenden" sind. Die Liste der gewerblichen Fachvereinigungen
erfaßt nahezu alle Gewerbezweige. Es wäre vielleicht noch
anzuführen, daß auch die zwei größten Arbeiterkammern
Österreichs, dann die Wiener Börsekammer, der Reichsverband
Deutscher Sparkassen, der Deutschösterreichische
Städtebund usw. Mitglieder der "Delegation" geworden sind.
So ist der "Delegation" innerhalb kurzer Zeit der Nachweis gelungen, daß
die österreichische Wirtschaft auf dem Boden des wirtschaftlichen
Zusammenschlusses mit dem Reiche steht. Im Jahre 1928 veranstaltete die
"Delegation" eine Rundfrage bei den Wirtschaftsverbänden über die
Zusammenschlußfrage, deren sehr interessantes, absolut positives Ergebnis
im November 1929 in Form eines Berichtes der Öffentlichkeit
übergeben wurde. In allerletzter Zeit hat die "Delegation" mit der Werbung
von Einzelfirmen als Mitglieder begonnen.
[617] Somit ist die
Aufzählung und Beschreibung der sogenannten
"Anschlußorganisationen" beendet.
Alle diese Körperschaften, die seit Jahren mit den bescheidensten
materiellen Mitteln, aber mit Zustimmung der übergroßen Mehrheit
des deutschen Volkes in Österreich und im Reiche dem Zusammenschlusse
dienen, sind wichtige Faktoren der öffentlichen Meinung geworden; die
bewußte Einseitigkeit ihres nationalpolitischen Programms und
strenge Überparteilichkeit bewahrten sie bis heute vor
Erschütterungen.
Sie werden, wenn einmal das große Ziel erreicht ist, ehrenvoll in die
Geschichte deutscher Einheitsbewegung eingehen.
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