XV. Die Angleichung
(Forts.)
[507]
Sozialpolitik und
Arbeiterschaft
Dr. Edmund Palla, Erster Sekretär der Wiener
Kammer für Arbeiter und Angestellte
Die sozialpolitische Gesetzgebung im Reich und in
Österreich Der sozialpolitische
Verwaltungsapparat Arbeitsverfassungsrecht
Arbeiterkammern Schlichtungswesen
Arbeitszeit Sozialversicherung
Arbeitslosenversicherung Arbeitsvermittlung
Der reichsdeutsche und österreichische Arbeitsmarkt
Wohnkultur und Mieterschutz Soziale Lasten
Löhne und Gehalte Gewerkschaftswesen
Tariffähigkeit Der reichsdeutsche und der
österreichische Arbeiter Seine Einstellung zum
Staatsgedanken.
Die Sozialpolitik in Deutschland und Österreich weist viele gemeinsame
Grundzüge auf, die der gleichen Geisteseinstellung und kulturellen
Entwicklung der Bevölkerung beider Staaten zu danken sind; aber die
gesetzlichen Grundlagen und der organisatorische Aufbau zeigen nicht
unbedeutende Abweichungen, die auf Verschiedenheiten der wirtschaftlichen
Voraussetzungen und historischen Entwicklung zurückzuführen
sind.
In den letzten Jahren wurden in Wien und in den größeren
Städten des Deutschen Reiches Arbeitsgemeinschaften gebildet,
die den Zweck verfolgen, das gegenseitige Verständnis zu fördern
und auf eine allmähliche Anpassung und Angleichung der Gesetzgebung in
beiden Staaten auf den verschiedensten Gebieten des öffentlichen Lebens
hinzuwirken. Der im Mai 1927 in Kassel gegründete Reichsausschuß
für soziale Fragen hat insbesondere die Aufgabe übernommen, im
Rahmen dieser Arbeitsgemeinschaften und unter Mitwirkung des
Reichsrechtsausschusses in Berlin die sozialen Verhältnisse zu untersuchen
und alle Maßnahmen zu einer gleichmäßigen und
gleichförmigen Gestaltung und Entwicklung auf diesem Gebiete zu
unterstützen. Auf Grund einer Entschließung auf der Tagung der
Frankfurter Arbeitsgemeinschaft im Oktober 1928 wurden die deutsche und
österreichische Regierung ersucht, in der Gesetzgebung auf dem Gebiete
des sozialen Rechtes und der sozialen Fürsorge Veränderungen oder
Neuschöpfungen in Zukunft nur nach vorheriger gegenseitiger
Fühlungnahme und Verständigung über eine möglichst
gleichmäßige Regelung vorzunehmen. Ein praktisches Ergebnis
haben diese gewiß wünschenswerten Bestrebungen bisher nicht
gezeitigt; nur die Reform des
Kollektivvertrags- beziehungsweise Tarifrechtes wird in gemeinsamen
Beratungen vorbereitet.
Auf einzelnen Gebieten der Sozialpolitik, so insbesondere bezüglich der
Arbeitsvermittlung, Arbeitslosenfürsorge, Inlandarbeiterschutz u. a.
wurden zwischen beiden Staaten spezielle Vereinbarungen getroffen. Seit dem
Jahre 1926 besteht auch ein Übereinkommen, demzufolge auf dem Gebiete
der Angestellten- [508] versicherung eine
Berücksichtigung der beiderseitigen Anwartschaften und Leistungen
stattfindet. Dieses Übereinkommen wurde vor kurzem durch die
vollkommene Gleichstellung der versicherungspflichtigen Stellung der
Angestellten in beiden Staaten erweitert und auch die Gleichstellung auf dem
Gebiete der Arbeiterversicherung in Aussicht gestellt, sobald das im Parlament im
Jahre 1927 bereits beschlossene, aber noch nicht in Kraft gesetzte
Arbeiterversicherungsgesetz in Österreich in Wirksamkeit getreten ist.
Dieses erweiterte Übereinkommen wurde aber bisher noch nicht ratifiziert.
Einen weiteren Fortschritt auf dem Gebiete der Angleichung und Anpassung der
sozialpolitischen Gesetzgebung beider Staaten bedeutet es, daß der
deutschen Gesandtschaft in Wien ein eigener Spezialattaché beigegeben
wurde, der die hier in Betracht kommenden Interessen wahrzunehmen hat.
Die nachfolgenden Ausführungen versuchen in gedrängter
Kürze einen allgemeinen Überblick über das
Gemeinsame und das Verschiedene in der Sozialpolitik Deutschlands und
Österreichs zu bieten.
Das deutsche Verfassungsgesetz enthält deklarative
Feststellungen über den Wert und den Schutz der wirtschaftlichen Arbeit
und über die Anerkennung des Rätewesens. Im
österreichischen Verfassungsgesetz tritt das Arbeitsrecht nur bei
Abgrenzung der Befugnisse zwischen Staat, Ländern und Gemeinden in
Erscheinung.
Die sozialpolitische Gesetzgebung fällt in Deutschland im
wesentlichen durchwegs in die Kompetenz des Reichsrates, in Österreich
kann der Nationalrat für die
Land- und Forstarbeiter nur Grundsatzgesetze beschließen, deren
Ausführungsbestimmungen der Landesgesetzgebung überlassen
sind.
Der soziale Verwaltungsapparat ist in Deutschland dezentralisiert und
systematisch besser ausgebaut. Die Kompetenz des Deutschen
Reichsarbeitsministeriums, das unserem Bundesministerium für soziale
Verwaltung entspricht, erstreckt sich auf alle sozialpolitischen Maßnahmen,
während in Österreich die sozialen Verhältnisse der
Bergarbeiter durch das Handelsministerium, jene der
Land- und Forstarbeiter durch das Landwirtschaftsministerium geregelt werden.
Die Armenfürsorge, die in Deutschland mit Hilfe leistungsfähiger
Industriegemeinden viel weiter ausgebaut ist, untersteht in Österreich dem
Bundesministerium für Inneres. In Deutschland sehen wir neben [509] der politischen
Verwaltung ein umfassendes Netz von Arbeitsämtern und
Landesarbeitsämtern, die sich mit der Arbeitslosenfürsorge und
Arbeitsvermittlung, aber auch mit einer Reihe von anderen sozialpolitischen
Agenden beschäftigen. Außerdem sehen wir die Arbeitsgerichte und
Landarbeitsgerichte mit umfassender örtlicher und sachlicher Kompetenz.
Die Sprengel der Arbeitsgerichte decken sich allerdings nicht mit jenen der
Arbeitsämter, weil für die Auswahl und Begrenzung der ersteren
vielfach noch historische Gesichtspunkte ausschlaggebend sind, während
für die letzteren die örtliche Gruppierung der Industrie
maßgebend ist. In Österreich haben wir neben der politischen
Verwaltung die Industriellen Bezirkskommissionen für die
Arbeitslosenfürsorge und Arbeitsvermittlung, für die Rechtsprechung
nur in 9 beziehungsweise 11 Industriegebieten die Gewerbegerichte und
Einigungsämter.
Auf dem Gebiete der Arbeitsgerichtsbarkeit ist hervorzuheben,
daß Deutschland seit 1927 über allgemeine Arbeitsgerichte
für das gesamte Reichsgebiet in drei Instanzen (Arbeitsgericht,
Landarbeitsgericht, Reichsarbeitsgericht) für Streitigkeiten von
Arbeitnehmern und arbeitnehmerähnlichen Personen aller Art (auch in der
Land- und Forstwirtschaft) verfügt. In Österreich dagegen
ist die Arbeitsgerichtsbarkeit aufgeteilt auf die Gewerbegerichte, denen die
richterliche Austragung von Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnisse
obliegt, und auf die Einigungsämter, die ähnlich den deutschen
Schlichtungsstellen in Form eines Schiedsspruches entscheiden, der aber nur dann
vollstreckbar ist, wenn sich ihm beide Teile unterwerfen. Für die
Anwendung und Auslegung des Betriebsrätegesetzes sind die
Einigungsämter allein zuständig. Gewerbegerichte und
Einigungsämter gibt es aber wie schon erwähnt, nur in 9
beziehungsweise 11 größeren Industriegebieten. In jenen Gebieten, in
welchen keine Gewerbegerichte und Einigungsämter bestehen, und im
Bereiche der Landwirtschaft urteilen über Streitfälle aus dem
Arbeitsrecht die normalen
Bezirks- und Landesgerichte. Durch die verschiedenartige Organisation mangelt
der Rechtsprechung auf dem Gebiete des Arbeitsrechtes in Österreich die
Einheitlichkeit, besonders deshalb, weil sie auch durch keinen einheitlichen
Instanzenzug geregelt ist, der mit Rücksicht auf die Verschiedenartigkeit
des Streitfalles, der Parteien, der Bewertung des Streitgegenstandes und der
örtlichen Zuständigkeit entweder beim Landesgericht als
gewerbliches Berufungsgericht, beim Oberlandesgericht, beim Obersten
Ge- [510] richtshof, beim
Obereinigungsamt, unter Umständen beim Verwaltungsgerichtshof
abschließen kann.
Auf dem Gebiete des Arbeitsverfassungsrechtes ist das
Betriebsrätegesetz in beiden Ländern inhaltlich ziemlich
ähnlich. In
Deutschland – nicht in
Österreich – erstreckt es sich auf die
Land- und Forstwirtschaft. Dem Betriebsrate steht in Deutschland das
Einspruchsrecht gegen jede Kündigung zu, wenn sie ohne wirtschaftliche
Notwendigkeit erfolgt. In Österreich hat der Betriebsrat dieses Recht nur
bei schikanösen Kündigungen. Die wirtschaftliche Mitarbeit der
Betriebsräte ist in Deutschland durch mehrere Ergänzungsgesetze
(Bilanzeinsichtsgesetz, Mitwirkung im Aufsichtsrat) genau geregelt, in
Österreich nur allgemein vorgesehen. In Österreich wie in
Deutschland sind die Betriebsräte gewissermaßen Unterinstanzen der
Gewerkschaften. Die Gewerkschaften sind in
Länder- und Zentralinstanzen zusammengefaßt.
In Österreich stehen den Gewerkschaften ebenfalls länderweise
gegliederte und in eine zentrale Organisation zusammengefaßte
Arbeiterkammern zur Seite, als autonome, gesetzlich gesicherte
Institutionen zur Bestreitung aller jener Aufgaben, die über den
unmittelbaren Aufgabenkreis der Gewerkschaften hinausgehen und die für
die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Arbeiter und Angestellten
irgendwie von Bedeutung sind; die Kammern werden alle fünf Jahre durch
direkte Wahl neu gebildet, ihre Erfordernisse werden durch Umlagen bestritten,
die gleichzeitig mit den Sozialversicherungsbeiträgen eingehoben werden.
Eine organisatorische Verbindung zwischen den Arbeiterkammern und
Handelskammern besteht nicht, sondern es ist beiden Stellen überlassen,
nach eigenem Ermessen getrennt oder gemeinsam zu beraten und vorzugehen.
Arbeiterkammern oder diesen ähnliche Amtsstellen gibt es in Deutschland
mit Ausnahme der Hansastädte Hamburg und Bremen nicht. Die
reichsdeutschen Gewerkschaften streben eine aus Arbeitern und Unternehmern
paritätisch zusammengesetzte wirtschaftliche Interessenvertretung an.
Diese Organisation ist aber noch nicht weit vorgeschritten. Es gibt zwar den
provisorischen Reichswirtschaftsrat, aber der Unterbau durch Arbeitskammern
und Bezirkswirtschaftsräte fehlt noch vollkommen. Wie immer man die
Frage beurteilen mag, ob es zweckmäßig sei, einseitige oder
paritätische wirtschaftliche Interessenvertretungen zu bilden, darf nicht
darauf vergessen werden, daß die Unternehmer in Deutschland in den
Handelskam- [511] mern derartige
einseitige Vertretungen bereits besitzen, während sie den Arbeitern und
Angestellten bisher nicht gewährt wurden. Der normale Entwicklungsgang
müßte nun wohl der sein, daß sich auch in Deutschland wie in
Österreich die Arbeiter und Angestellten derartige einseitige Vertretungen
ihrer Interessen erobern, erst dann kann man daran denken, in irgendeiner Form
eine gemeinsame Vertretung einzurichten. Es soll bei dieser Gelegenheit auch auf
die große internationale Bedeutung und Verbindung der Handelskammern
hingewiesen werden, der die Arbeiter und Angestellten bisher keine offiziell
anerkannte gleichwertige Einrichtung gegenüberstellen können; es
muß auch in Betracht gezogen werden, daß die Arbeiter und
Angestellten auch Interessen zu betreuen haben, die ihr Eigenleben betreffen und
die in einer mit den Unternehmern gemeinsamen Vertretung überhaupt
nicht behandelt werden könnten.
Das Arbeitsvertragsrecht ist in beiden Ländern im allgemeinen
ziemlich gleichartig durch das bürgerliche Gesetzbuch, die
Gewerbeordnung, durch Gesetze über den Gesamtarbeitsvertrag und durch
verschiedene Spezialgesetze geregelt. Tiefer geht der Unterschied im
Angestelltenrecht, das in Deutschland, insbesondere in den
Urlaubs-, Kündigungs- und Abfertigungsansprüchen, etwas
zurück ist. Österreich hat ein eigenes Angestelltengesetz und eine
Reihe von Spezialgesetzen für verschiedene Kategorien von Angestellten
(Gutsangestellte, Journalisten, Pharmazeuten, Schauspieler, Zahntechniker),
während die Rechte der Angestellten in Deutschland im
Handelsgesetzbuch, der Gewerbeordnung und in einem Gesetz über
Kündigungsfristen geregelt sind. Auch abgesehen von den Angestellten,
gibt es in Österreich eine ganze Reihe von Spezialgesetzen für
einzelne Kategorien von Arbeitnehmern (Bergarbeiter, Bäckereiarbeiter,
Regiearbeiter der Eisenbahnen, Privatkraftwagenführer, Hausgehilfen,
Hausbesorger, Landarbeiter). In Deutschland und in Österreich sind
Vorarbeiten im Gange, um zu einer systematischen Zusammenfassung des
Arbeitsvertragsrechtes zu gelangen. Diese Arbeiten sind in Deutschland weiter
vorgeschritten als in Österreich.
Dem deutschen Gesamtarbeitsvertrage, dem sogenannten Tarifvertrage, entspricht
in Österreich der Kollektivvertrag, der allgemeinen
Verbindlichkeitserklärung, die Satzungserklärung. Für die
Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist in Deutschland das
Reichsarbeitsministerium zuständig, in Österreich die
Einigungsämter und das Obereinigungsamt.
[512] Ein grundlegender
Unterschied zwischen beiden Staaten besteht darin, daß in Deutschland das
Schlichtungswesen genau geregelt ist, und daß der Schlichter bei
mangelnder Einigung der Parteien die verweigerte Zustimmung durch seinen
Machtspruch ersetzen kann. In Deutschland denkt man eher an eine Ausgestaltung
des Schlichtungswesen, in Österreich besteht in der Arbeiterschaft
vorläufig eine grundsätzliche Abneigung gegen das System der
Zwangsschlichtung.
Die Regelung der Arbeitszeit steht in Österreich auf der
gesetzlichen Basis des Achtstundentages und seiner Ausnahmsverordnungen, die
im allgemeinen strenge eingehalten und von der Arbeiterschaft kontrolliert
werden. In Deutschland besteht die Möglichkeit, durch den Tarifvertrag die
Arbeitszeit über acht Stunden täglich, beziehungsweise
48 Stunden wöchentlich, zu verlängern.
Das Arbeitsbuch ist in Österreich abgeschafft, in Deutschland
zum Teil, insbesondere für Minderjährige noch in Geltung.
Der Erholungsurlaub ist in Österreich für die Arbeiter und
Angestellten gesetzlich geregelt, in Deutschland wird diese Frage
ausschließlich in den Tarifverträgen behandelt.
Die Sozialversicherung ist in beiden Staaten in den Grundsätzen
und Leistungen ziemlich gleichartig, organisatorisch aber verschieden aufgebaut.
Deutschland hat die
Kranken-, Alters-, Invaliditäts-, Witwen- und Waisenversicherung
für alle Kategorien von Arbeitnehmern im wesentlichen bereits in den
Jahren 1883 bis 1889 geregelt. Während die
Kranken- und Unfallversicherung für Arbeiter und Angestellte in einem
gemeinsamen Gesetz behandelt wird, wird die Altersversicherung für die
Angestellten getrennt geregelt. In Österreich haben wir seit 1887/88 die
Kranken- und Unfallversicherung für die Arbeiter und Angestellten, seit
1907 die Pensionsversicherung für die Angestellten. Sämtliche
Gebiete der Sozialversicherung wurden für die Angestellten im Dezember
1926 im Angestelltenversicherungsgesetz zusammengefaßt. Die einheitliche
und umfassende Regelung für die Arbeiter, insbesondere die
Alters- und Hinterbliebenenversicherung der Arbeiter, steht gegenwärtig
noch am Papier, das Gesetz wurde am 1. April 1927 beschlossen, seine
Inkraftsetzung konnte aber mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen
Schwierigkeiten von der Regierung bisher nicht erreicht werden. Daß dieses
Gesetz in Wirksamkeit trete, gehört zu den dringendsten Forderungen der
österreichischen Arbeiterschaft. Die Versicherung der Landarbeiter [513] ist in Österreich
organisatorisch gesondert von der übrigen Arbeiterschaft aufgebaut; die
Krankenversicherung wurde erst im Jahre 1928 eingeführt, die
Altersversicherung wurde zwar gesetzlich geregelt, aber ebenfalls noch nicht in
Kraft gesetzt. Die ehemals ziemlich selbständige Versicherung der
österreichischen Bergarbeiter (Bruderladen) wird immer mehr in die
allgemeine Versicherung eingebaut. In Deutschland haben wir auf diesem Gebiete
das die gesamte Sozialversicherung umfassende, ausgezeichnete
Knappschaftsgesetz. In Österreich besteht auch ein Sondergesetz für
die
Kranken- und Unfallversicherung der Staatsangestellten. Die Höhe der
Leistungen ist auf allen Gebieten der Sozialversicherung in beiden Staaten
annähernd gleich. Auch die Vorsorge für die
Kriegsbeschädigten (Invalidenentschädigung
und ‑beschäftigung) ist in beiden Staaten ähnlich geregelt.
Die Arbeitslosenversicherung wurde in beiden Ländern nach dem
Kriegsende provisorisch eingeführt. Das im Jahre 1927 in Kraft getretene
deutsche Arbeitslosenversicherungsgesetz ist ein Musterbeispiel deutscher
Kasuistik, Gründlichkeit und Organisation. Wenn man ganz allgemein die
wichtigsten Unterschiede gegenüber dem österreichischen Gesetz
vom März 1920 und seinen 23 Novellen vermerkt, so bestehen sie
darin, daß in Deutschland bedeutend höhere Leistungen, aber
für einen mehr begrenzten Zeitraum gewährt werden. In
Österreich unterscheiden wir normale Versicherung und
Notstandsunterstützung, in Deutschland normale Versicherung,
Krisenunterstützung und kommunale Wohlfahrtspflege. Die ganze
Behördenorganisation zur Durchführung der Arbeitsvermittlung und
Arbeitslosenfürsorge trägt in Deutschland mehr autonomen
Charakter. In Deutschland haben wir eigene Landesämter und eine
Reichsanstalt als Träger der Versicherung, in Österreich haben wir
die paritätisch zusammengesetzten Verwaltungskommissionen bei den
Arbeitslosenämtern und in gleicher Weise zusammengesetzte Industrielle
Bezirkskommissionen, die in den allgemeinen Verwaltungsapparat eingegliedert
sind und in eine ministerielle Spitze, oder besser gesagt in zwei ministerielle
Spitzen, den Bundesministerien für soziale Verwaltung und für
Finanzen zusammenlaufen, denen ein paritätisch zusammengesetzter
Arbeitslosenversicherungsbeirat als beratendes Organ zur Seite steht. Die
produktive Arbeitslosenfürsorge spielt in Deutschland eine viel
größere Rolle als in Österreich. In Österreich wie in
Deutschland steht die Reform der
Arbeitslosen- [514] fürsorge, die
Bedachtnahme auf die steigende Not der Arbeitslosen, die zunehmende
Schwierigkeit der Aufbringung der erforderlichen Mittel, die Möglichkeit
der Arbeitsbeschaffung im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.
Die Arbeitsvermittlung ist in Deutschland zum Unterschied von
Österreich eingehend gesetzlich geregelt und funktioniert auch in
Anbetracht des großen und vielgestaltigen Wirtschaftsgebietes viel besser.
Die Zahl der Arbeitslosen ist, trotz der bedeutenden Erhöhung in letzter
Zeit, relativ immer noch um mehr als die Hälfte geringer als bei uns in
Österreich. Die besonderen Merkmale der Arbeitslosigkeit in
Österreich bestehen darin, daß sie sich im wesentlichen auf drei
Gruppen konzentriert: Metallarbeiter, Angestellte, ungelernte Hilfsarbeiter.
Für alle drei Gruppen sind die Aussichten auf absehbare Zeit hinaus
äußerst ungünstig. Dazu kommt, daß die Dauer der
Arbeitslosigkeit bei einer großen Zahl von Arbeitnehmern
verhältnismäßig sehr lang ist; das bringt aber, abgesehen von
dem zermürbenden Einfluß auf die Psyche der Arbeiter, auch die
Gefahr mit sich, daß diese ihrem Berufe entfremdet werden und an ihrer
Qualifikation eine Einbuße erleiden. Besonders ungünstig liegen die
Verhältnisse auch für die jugendlichen Arbeiter. Schon das
Unterkommen in einer Lehre nach Abschluß der Schulbildung ist mit
großen Schwierigkeiten verbunden und ist eigentlich nur deshalb
möglich, weil die Unternehmer die Lehrlinge als billige Arbeitskraft
ansehen, die sie gewöhnlich kurze Zeit nach Abschluß der Lehrzeit
entlassen. Dadurch leidet die Berufsausbildung, was um so bedenklicher ist, weil
der moderne Arbeitsprozeß mit seinen Rationalisierungsbestrebungen
immer höhere Anforderungen stellt.
Die volle Erschließung des deutschen Arbeitsmarktes für
Österreich würde eine zweckmäßige Anpassung und
Verteilung der produktiven Arbeitskräfte ergeben, die sich
naturgemäß um so leichter und reibungsloser gestalten wird, je
größer und mannigfaltiger das Wirtschaftsgebiet ist, auf dem sich
diese Verteilung vollzieht. Es ist natürlich nicht zu erwarten, daß
durch eine derartige Maßnahme die große Zahl unserer Arbeitslosen
aufgesaugt werden kann, aber die Aussicht auf eine bessere Zukunft ist dann nicht
mehr vollkommen verschlossen. Es wird auch dann noch viele Arbeitslose geben,
aber die Arbeitslosigkeit mit allen ihren Begleiterscheinungen wird nicht mehr so
lange dauern, sie
wird – wenn auch nur
vorübergehend – durch Beschäftigungsmöglichkeiten
unterbrochen [515] werden können,
mit einem Wort, es wird eine gewisse Bewegung in die gegenwärtig
förmlich erstarrten Verhältnisse auf unserem Arbeitsmarkte
kommen. Den Arbeitern und Angestellten Österreichs würde in
größerem Umfange Gelegenheit geboten werden, die technische
Ausrüstung, die Berufsausbildung, die Arbeitsmethoden und die
Betriebsorganisation Deutschlands kennenzulernen, sie würden das
Gelernte nach ihrer Rückkehr in die Heimat für sich, für die
Volkswirtschaft Österreichs, aber auch für die Volkswirtschaft beider
in Zukunft hoffentlich vereinigten Staaten verwerten und so eine
allmähliche Anpassung und Durchdringung beider Wirtschaftsgebiete und
ihrer Bevölkerung herbeiführen.
Wir müssen allmählich lernen, Deutschland und Österreich als
ein einheitliches Wirtschaftsgebiet anzusehen, das eine gemeinsame Entwicklung
haben wird, auf die wir uns gemeinsam vorbereiten müssen.
Ein besonderes Augenmerk wird in Österreich in der letzten Zeit der
Vorsorge für den gewerblichen Nachwuchs zugewendet: durch
die gesetzliche Regelung der Lehrlingsentschädigung, die Verpflichtung zur
Weiterbehaltung der Lehrlinge für eine bestimmte Zeit nach Beendigung
der Lehrzeit, durch die Einführung der Lehrlingsinspektion und durch die
Ausgestaltung des Fortbildungsschulwesens. In Deutschland steht ein
ausgezeichnetes Berufsausbildungsgesetz in aussichtsreicher Beratung.
Der technische Arbeiterschutz und die Arbeitsinspektion (in
Österreich: Gewerbeinspektion) sind in Deutschland und Österreich
ziemlich ähnlich geregelt, nur ist die Kompetenz der reichsdeutschen
Arbeitsinspektion umfassender und der organisatorische Aufbau umfangreicher
und dezentralisierter als in Österreich. Wie in Deutschland, so bestehen
auch in Österreich eigene Schutzgesetze für die Nachtarbeit, die
Frauenarbeit, die Kinderarbeit, die Heimarbeit und die Arbeit der Jugendlichen.
Ladenschluß und Sonntagsruhe sind in beiden Staaten ähnlich
geregelt. Besondere gesetzliche Schutzmaßnahmen für die
Auswanderer fehlen in Österreich. Der heimische
Arbeitsmarkt wird in Österreich durch das
Inlandarbeiterschutzgesetz wenigstens einigermaßen geschützt. In
Deutschland wird dieses Gebiet durch sehr wirksame administrative
Maßnahmen in den einzelnen Ländern behandelt. Interessant ist es,
daß Österreich in seiner letzten Patentgesetznovelle auch eine ganze
Reihe von Schutzbestimmungen für die Erfinder [516] aus dem Kreise der
Arbeitnehmer vorsieht, ein Gebiet, das in Deutschland nur in einzelnen
Tarifverträgen behandelt wird.
Der Mieterschutz ist in Deutschland im Laufe der Jahre weitgehend
abgebaut und der landesgesetzlichen Regelung überlassen worden, doch
erreichen die Mietzinse noch lange nicht jene Höhe, die nach Auffassung
der Unternehmer für eine wirksame Förderung der Wohnbauten
erforderlich ist. Immerhin ist doch schon eine rege gemeinnützige
Bautätigkeit mit Hilfe von Zuschüssen aus den Mitteln
öffentlicher Körperschaften festzustellen. Die Mietzinse sind hoch,
Kündigungsprozesse sind bei Arbeiterwohnungen an der Tagesordnung. In
Österreich ist der Mieterschutz bisher im wesentlichen aufrechterhalten.
Die Wohnbautätigkeit wird nahezu ausschließlich von
öffentlich-rechtlichen Körperschaften, vor allem von der Gemeinde
Wien besorgt. Das Problem des Mieterschutzes und seiner sozialen und
wirtschaftlichen Auswirkungen steht in Österreich seit Jahren im
Vordergrunde der Erwägungen. Von Bedeutung ist es festzustellen,
daß die Wohnkultur in Deutschland im allgemeinen eine weitaus
höhere ist als in Österreich.
Wie in Österreich, so bestehen auch in Deutschland Begünstigungen
des Einkommens und der Forderungen der Arbeiter und Angestellten bei der
Exekutionsführung und bei Konkursen. Das
steuerfreie Existenzminimum ist in beiden Staaten unter
Berücksichtigung der verschieden hohen Kosten der Lebenshaltung
ziemlich gleich.
Ganz allgemein ist zu sagen, daß das allgemeine Interesse der
Bevölkerung an sozialpolitischen Einrichtungen in Deutschland ein regeres
ist als in Deutschösterreich, dies zeigt sich insbesondere am Umfange und
in der Vielseitigkeit der sozialpolitischen Literatur. Hier wie dort wird von den
Unternehmern vielfach über die Höhe der sozialen Lasten
geklagt. Man kann annehmen, daß die Beitragsleistung für soziale
Erfordernisse in Deutschland und Österreich ziemlich gleich hoch ist und
durchschnittlich ungefähr bei 6 bis 7% des Wertes des Endproduktes
beträgt. Gegenüber den Klagen der Unternehmer muß man auf
die zweifellos richtigen Ausführungen in der kürzlich erschienenen
Erinnerungsschrift des deutschen Reichsarbeitsministeriums hinweisen, in der es
heißt: "Was die Wirtschaft für die Sozialpolitik aufbringt,
erhält sie von ihr an Volksgesundheit, Arbeitsvermögen und
Kaufkraft wieder zurück." Es besteht gar kein Zweifel darüber,
daß die Beitragsleistung in Österreich leichter
ge- [517] tragen werden
könnte, wenn sie sich auf eine breitere und tragfähigere Basis
stützen könnte.
Die Löhne und Gehalte sind in Deutschland gegenüber
Österreich bei einer Umrechnung in absoluten Ziffern um etwa 40 bis 50%,
wenn man die höheren Kosten der Lebenshaltung, insbesondere des
Wohnerfordernisses, in Deutschland in Betracht zieht, um etwa 15 bis 20%
höher.
Und nun noch einige Worte über den Menschenkreis, dem die Sozialpolitik
dienen soll, die Arbeiter und Angestellten.
Naturgemäß ist der Kreis der Personen, auf welchen sich die
sozialpolitische Fürsorge erstreckt, in Deutschland viel
größer – etwa zehnmal so
groß – als in Österreich. Der Organisationsgedanke
ist in Österreich, insbesondere bei den Arbeitern und Angestellten der
Industrie verhältnismäßig weit vorgeschritten.
Österreich rangiert bezüglich der Zahl seiner organisierten
Arbeitskräfte nach England und Deutschland an dritter Stelle. Von der
Gesamtzahl der in Betracht kommenden Arbeiter und Angestellten sind in
Deutschland ungefähr 60%, in Österreich ungefähr 80%
organisiert. Die Verteilung auf die einzelnen gewerkschaftlichen Richtungen ist
so, daß in Deutschland von der Gesamtzahl der Organisierten
ungefähr 78% auf die freien Gewerkschaften, 15% auf die
christlich-nationalen und 7% auf die
Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften entfallen, die der demokratischen Partei
nahestehen. Die kommunistische Bewegung ist in Deutschland im Gegensatze zu
Österreich eine verhältnismäßig sehr starke, bei der
Beurteilung der gewerkschaftlichen Organisationen zahlenmäßig aber
nur schwer faßbar. In Österreich entfallen auf die freien
Gewerkschaften ungefähr 84%, auf die christlichen Gewerkschaften 9%,
auf die deutschvölkischen Gewerkschaften 6%, auf die unpolitischen 1%.
In letzter Zeit zeigen sich in Österreich im Zusammenhange mit der
Heimwehrbewegung auch Ansätze für die Bildung von sogenannten
unabhängigen Berufsorganisationen, denen aber eine Verbindung mit den
Arbeitgebern vorgeworfen wird, so daß sie von allen anderen
Organisationen als Gewerkschaften abgelehnt werden.
In Deutschland wie in Österreich hat die sozialdemokratische
Partei die Führung in der Interessenvertretung der Arbeiter und
Angestellten im Parlamente; sie hatte in Deutschland mannigfache
Spaltungsprozesse zu überwinden, kann aber bei wichtigen
sozialpolitischen Gesetzen unter Umständen auch auf die
Un- [518] terstützung von
Arbeitervertretern in anderen Parteien rechnen; in Österreich hat die Partei
seit dem Umsturze ihre Einheit und Geschlossenheit bewahrt; bei der Behandlung
sozialpolitischer Fragen ist sie erfahrungsgemäß nahezu
ausschließlich auf sich selbst angewiesen.
Der Begriff der Tariffähigkeit, durch welchen einzelne
Gewerkschaften als geeignet und befähigt anerkannt werden, die Interessen
der Arbeiter zu vertreten, wurde in Österreich noch nicht präzisiert,
während er in Deutschland die Grundlage für die Abgrenzung der
Interessensphäre und der Auseinandersetzungen der einzelnen
gewerkschaftlichen Richtungen untereinander bildet. Während man in
Deutschland die Lösung dieser schwierigen Fragen der
naturgemäßen organischen Entwicklung überließ,
machte man in Österreich in letzter Zeit den Versuch, durch ein Gesetz
über den Schutz der
Arbeits- und Versammlungsfreiheit (der Öffentlichkeit unter dem
Schlagworte "Antiterrorgesetz" bekannt) diese Beziehungen sozusagen
zwangsweise zu regeln. Die Erfahrungen, die mit diesem Gesetze gemacht
werden, müssen erst abgewartet werden.
Und nun noch einige Worte der allgemeinen Beurteilung: Der Arbeiter
Österreichs denkt und fühlt deutsch, für ihn ist die
Zugehörigkeit zum deutschen Volke etwas Naturgegebenes,
Selbstverständliches. Aber sein hartes Dasein und die Tatsache, daß
alle Ereignisse im wirtschaftlichen und sozialen Leben für ihn mit
unmittelbaren Konsequenzen verbunden sind, bringen es mit sich, daß er
auch andere Überlegungen in den Kreis seiner Betrachtungen zieht,
daß der nationale Gedanke nicht jene befreiende und beherrschende
Wirkung ausübt wie in manchen anderen Berufsständen, sondern
daß er sie mit anderen Gedankengängen kombiniert.
Ein abschließendes Werturteil über den
österreichischen Arbeiter und seinen deutschen Arbeitskollegen abzugeben,
ist wohl kaum möglich. Man kann nur ganz im allgemeinen feststellen,
daß der reichsdeutsche Arbeiter von Natur aus nüchtern und real
veranlagt ist. Seine Ausbildung ist infolge verschiedener Einrichtungen,
Berufsausbildung, Werkschulen, Lehrwerkstätten, Berufsberatung und
Untersuchung der Berufseignung usw. eine bessere; er eignet sich mehr zur
Massenproduktion. Der österreichische Arbeiter hat eine mehr idealistische
Einstellung, er ist talentiert, hat eine leichte Auffassungsgabe und eignet sich
vielleicht mehr für die Qualitätsarbeit. Die Arbeitsintensität
dürfte im allgemeinen die gleiche sein. [519] Die vielfach behauptete
größere Leistungsfähigkeit des reichsdeutschen Arbeiters ist
durch die Größenkategorie der Betriebe, durch die bessere
Betriebsorganisation und technische Ausrüstung bedingt. Auch muß
man in Betracht ziehen, daß das Arbeitstempo und die
Arbeitsintensität unter gleichen äußeren Bedingungen
erfahrungsgemäß von Norden nach Süden abnehmen.
Der reichsdeutsche Arbeiter hat aus wirtschaftlichen, sozialen und nationalen
Gründen eine positivere Einstellung zum Staatsgedanken, er hat
ein stärkeres Staatsbewußtsein. In Österreich hat sich aus
historischen Gründen das nationale
Empfinden – wie bei der gesamten Bevölkerung so auch bei den
Arbeitern – nicht in dem Maße entwickelt und das
Staatsbewußtsein leidet bei der gesamten Bevölkerung sehr unter den
außerordentlich schwierigen Verhältnissen, unter denen
Österreich gezwungen ist, seine Selbständigkeit
aufrechtzuerhalten. Vielleicht ist das Gefühl für die
Republik Österreich von allen Bevölkerungskreisen bei der
Arbeiterschaft am stärksten. Aus diesen verschiedenen Vorbedingungen
erklärt sich auch unter anderem das Interesse der österreichischen
Arbeiterschaft für internationale Probleme und die starke Neigung zur
internationalen Arbeiterbewegung.
Zweifellos besteht zwischen den Arbeitern Deutschlands und Österreichs
eine nicht unbedeutende Verschiedenheit, die in den Jahren seit der Beendigung
des Krieges durch die Absperrung des Arbeitsmarktes vielleicht etwas
größer geworden ist und die bei internationalen Konferenzen
zweifellos zu beobachten ist. Es besteht aber wohl gar kein Zweifel
darüber, daß diese Verschiedenheit gegenüber dem
innigen Gefühl nationaler, kultureller, sozialer und wirtschaftlicher
Zusammengehörigkeit vollkommen in den Hintergrund tritt. Es soll
bei dieser Gelegenheit auch darauf hingewiesen werden, daß die erste und
bedeutungsvollste Anschlußkundgebung, die Erklärung
Österreich als Glied des Deutschen Reiches im ersten Verfassungsgesetz, in
einer Zeit zustande kam, in der führende Persönlichkeiten der
österreichischen Arbeiterschaft an verantwortungsvoller Stelle im Staate
tätig waren. Die österreichische Arbeiterschaft hat schon damals den
Anschluß an Deutschland als nationale und wirtschaftspolitische
Notwendigkeit erklärt und unverbrüchlich an dieser Auffassung
festgehalten, auch in einer Zeit, als Deutschland sich politisch und finanziell in
größter Notlage befand. [520] Diese
grundsätzliche Auffassung der österreichischen Arbeiterschaft wird
noch dadurch gestärkt, daß für andere
Möglichkeiten – Donauföderation, engerer
Zusammenschluß mit einzelnen
Nachbarstaaten – gar keine, für die vorläufig wohl mehr
utopische Paneuropabewegung nur ein geringes Verständnis besteht.
Österreich kann nur dann dauernd geholfen werden, wenn es einem
Wirtschaftsgebiete angeschlossen wird, mit dem zusammen es ein großes,
einheitliches, wirtschaftspolitisches Inland bildet, das über seine
Wirtschaftskräfte nach einheitlichen Richtlinien verfügt. Es ist
natürlich müßig, darüber zu streiten, ob und in welchem
Ausmaße ein Zusammenschluß des deutschen und
österreichischen Wirtschaftsgebietes für einzelne Industriezweige
Vorteile bieten würde. Es würde zweifellos zu einer harten
Übergangszeit kommen, aber wir Deutschösterreicher hätten
nach Apathie, Unsicherheit und Hoffnungslosigkeit wieder Glauben an die
Zukunft. Wie die Bevölkerung Deutschlands, so hätten dann auch
wir Österreicher das Gefühl, daß es uns vorübergehend
mehr oder weniger schlecht gehen könne, daß wir viele Opfer zu
bringen haben, daß aber die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit
einer besseren Zukunft besteht.
Wir können und wollen nicht mit Machtmitteln unsere Auffassung
über die Lösung des österreichischen Problems durchsetzen.
Wir müssen aber darauf bedacht sein, daß die Erkenntnis der
Notwendigkeit einer Lösung dieses Problems Gemeingut der breiten
Massen der Bevölkerung wird, auf die wir uns in Deutschland, in
Österreich und in den übrigen Staaten stützen.
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