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XV. Die Angleichung   (Forts.)

 
Wirtschaft
Handelskammersekretär Dr. Erich Gebert (Salzburg)

Wirtschaft und Angleichung • Interessen und Opfer • Die Zukunft gehört den großen Wirtschaftsgebieten • Deutschlands Reparationsverpflichtungen und der Anschluß • Ausgleichung der direkten und indirekten Besteuerung • Die Monopolfrage • Ausbau des österreichischen und deutschen Reiseverkehrs • Güterverkehrspolitik • Der reichsdeutsche Reiseverkehr in Österreich • Der österreichische Reiseverkehr in Deutschland • Die psychologische Bedeutung des österreichisch-deutschen Reiseverkehrs • Die österreichisch-deutsche Elektrizitätswirtschaft • Die Kohlenwirtschaft • Die Aufnahmefähigkeit des deutschen Wirtschaftsgebietes für elektrische Energie • Rechtsangleichung auf dem Gebiete des Elektrizitätswegerechtes.

Es ist außerordentlich interessant zu beobachten, wie sich in den Kreisen der österreichischen Wirtschaft bei aller Anerkennung der Tatsache, daß sich die großen wirtschaftlichen Interessentenorganisationen gleichwie der Großteil der österreichischen Bevölkerung im allgemeinen restlos auf dem Boden des Anschlußgedankens gefunden haben, doch das pro und contra des Anschlusses stärker [521] akzentuiert wird, je nachdem im einzelnen Zeitpunkt die jeweilige Gesamtsituation der österreichischen Wirtschaft rein gefühlsmäßig die Hoffnung auf eine selbständige Bestandsmöglichkeit des österreichischen Wirtschaftsgebietes mehr oder weniger aussichtsreich erscheinen läßt. Diese Wahrnehmungen gehen nicht auf ein grundsätzliches Bevorzugen eines künftigen Sonderbestandes der österreichischen Wirtschaft zurück, sondern auf das instinktmäßige Gefühl, daß die "Angleichung" praktisch doch in vielen Belangen eine recht gründliche "Umstellung" der Gesamtwirtschaft – ein Emporblühen auf der einen und ein Versinken auf der anderen Seite – zwangsläufig mit sich bringt: daß gerade ein nicht allzusehr gefestigter Wirtschaftskörper die Erschütterungen der Gesamtwirtschaft, die mit jeder Umgruppierung verbunden sind, fürchten muß, ist nicht wunderzunehmen, da der normale tägliche Kampf alle Kraft in Anspruch nimmt und für die Paralysierung außerordentlicher Erschütterungen und Wendungen wenig Kraft überschüssig scheint. Dazu kommt noch ein psychologisches Moment: es ist einmal nicht zu verhindern, daß mit großen Umgruppierungen, wie sie die Eingliederung eines Wirtschaftskörpers in einen bisher gesondert arbeitenden großen Apparat darstellt, immer der Untergang eines Teiles dieses früher selbständigen Wirtschaftskörpers verbunden ist, da eine grundsätzliche Neuorientierung in weitem Maße grundsätzlich geänderte Produktions- und Absatzbedingungen schafft; man ist nun natürlich zu leicht geneigt, wehmütig zu betrachten, wie der eine oder andere Wirtschaftsbetrieb oder wie größere Wirtschaftsgruppen verfallen, nicht aber gleichzeitig anzuerkennen und zuzugeben, daß anderen Wirtschaftsgruppen dafür die dauernde Bestands- und Erweiterungsmöglichkeit geschaffen wird, die ansonst – zusammen mit den ersterwähnten – langsamem, aber sicherem weiteren Niedergang ausgesetzt gewesen wären: die Bilanz wird immer unter Zugrundelegung von Voraussetzungen gezogen, die in einem späteren Zeitpunkt bei weitem nicht mehr gegeben sein würden!

Bringt unleugbar diese große Neuorientierung, die mit der Eingliederung in einen engeren wirtschafts- und zollpolitischen Organismus verbunden ist, Erschütterungen mit sich, so sind sicherlich die Befürchtungen über das Ausmaß weitaus übertrieben – nicht nur, weil man eben die neu gegebenen Voraussetzungen für die künftige Schaffung von Aktivwerten der neugruppierten Wirtschaft nicht ins Kalkül zieht, sondern vor allem deshalb, weil die Schwierigkeiten [522] sichtlich überschätzt werden, weil ein Großteil der österreichischen Wirtschaft – vollkommen unrichtig – im deutschen Wirtschaftskörper an sich einen Koloß erblickt, mit dem der Kampf in wenigen seiner Wirtschaftszweige wird erfolgreich aufgenommen werden können; man hat zu Unrecht vielfach das Gefühl des Erdrücktwerdens!

Nicht nur, daß für einen wichtigen Teil der Wirtschaftsbetriebe schon vorher die gegenseitigen Produktions- und Absatzbedingungen durch privatwirtschaftliche Interessentenverträge geregelt werden können, daß wirtschaftliche Bindungen internationalen Charakters für einen Teil der Betriebe jene befürchteten Formen des künftig verschärften Existenzkampfes innerhalb eines großen Wirtschaftsgebietes ausschließen, es werden von österreichischer Seite vielmehr die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen für die Zusammenarbeit auf dem restlichen Wirtschaftskampffeld vielfach zu ungünstig beurteilt: es ist nicht abzuleugnen, daß sich der österreichische Mensch im deutschen Tempo sehr wohl macht! Es ist eine Erfahrung, die man immer wiederum machen kann, daß sich der österreichische Mensch im Eiltempo des durchschnittlichen deutschen Wirtschaftsbetriebes gut bewährt, und daß es eben eines gewissen "Eingespanntseins" bedarf, um – herausgerissen aus einem mehr oder minder beschaulichen, durch Not getrübten Alltag – zu wirtschaftlichen Höchstleistungen zu kommen; und das, was sich im einzelnen Falle vollzieht, läßt sich binnen kürzester Zeit am ganzen Volke vollziehen; das österreichische Volk wird sich auch vom Standpunkte wirtschaftlich schaffender Arbeit außerordentlich gut bewähren, froh, dauernder Existenzsicherung nähergekommen zu sein!

Und die sachlichen Voraussetzungen? ... Die eine entscheidende Gewißheit gibt die Betrachtung der deutschen Wirtschaftslage im Zusammenhalt mit der Betrachtung der weltwirtschaftlichen Entwicklungslinien: die Zukunft gehört den großen Wirtschaftsgebieten, die als wirtschaftliche Machtfaktoren nach außen hin wirken und ihre Stellung verteidigen können, die aber auch als Machtfaktoren den großen Binnenmarkt haben, der wesentlich andere Widerstandskräfte zeigt und wesentlich günstigere Möglichkeiten eines innerwirtschaftlichen Ausgleiches und notwendiger Kräfteverschiebungen in Zeiten außenwirtschaftlicher Krisen hat. Dem großen Flächenhaften gehört die wirtschaftliche Zukunft; kleine Wirtschaftskörper werden dann, wenn [523] sie in jahrhundertlangem, gesichertem organischem Wachstum aufgebaut sind und über reiche Substanz verfügen, für einige Zeit noch mitkommen können, Wirtschaftskörper, die lediglich politischem Übelwollen oder Dilettantismus und wirtschaftlicher Ignoranz Dritter ihr Dasein verdanken, werden namentlich dann, wenn sie bei vollständigem Mangel an wirtschaftlichen Rücklagen ständig von der Hand in den Mund leben, eingekeilt zwischen fortlaufendem außenwirtschaftlichen Druck und innerwirtschaftlicher Erschöpfung nur unter Preisgabe ihres Kulturniveaus, bei andauernder Senkung des Lebenshaltungsstandards, ein Scheindasein führen können.

Diese Entwicklung liegt für jeden klar, der die Gestaltung der Welthandels- und Zollpolitik der Nachkriegszeit und ganz besonders der allerletzten Jahre überprüft, sie liegt für jeden klar, der die Verluste wirtschaftspotentieller und vor allem auch kultureller Natur nachrechnet, die künstlich geschaffene kleine Wirtschaftsgebilde wie Österreich auf sich nehmen mußten; die Zwangsgestaltung der Lage wird außerdem erst recht klar, wenn man die Wege und Möglichkeiten eines administrativen Protektionismus verfolgt, die großen Wirtschaftskörpern auf der einen Seite und kleinen auf der anderen Seite zur Verfügung stehen: das Format der großen deutschen Wirtschaft, ihre Bedeutung und letztlich auch schon das hinter ihr stehende politische Gewicht reicht eben noch aus, um mit einigem Erfolg diese sich von Tag zu Tag mehrenden Schwierigkeiten jedes um den Export kämpfenden Landes zu überwinden (dies zeigt ja schon die dauernd starke Steigerung der Ausfuhr trotz hoher Vorbelastung der Produktion durch Friedensvertragslasten), wirtschaftliche Gebilde wie Österreich werden solchem Protektionismus mächtiger Wirtschaftsgebilde hilflos gegenüberstehen.

Das Format der deutschen Wirtschaft reicht aber auch eben noch hin, um wenigstens in den weltwirtschaftlich maßgebenden Produktionszweigen die Produktion auf dem Hintergrund eines entsprechend großen Inlandsmarktes so rationalisieren zu können, daß die Weltkonkurrenz aufgenommen werden kann, Zwerghaftigkeit wird auch aus diesem Gesichtspunkte täglich dazu zwingen, ungünstigere Positionen im Weltwirtschaftskampfe zu beziehen.

Rechtfertigen also alle diese Entwicklungslinien, die im werdenden System der Weltwirtschaft fest verankert sind, aus nackter wirtschaftlicher Erwägung heraus immer wiederum die nachdrückliche Forderung nach Eingliederung in den größten mittel- [524] europäischen Wirtschaftskörper, in das deutsche Wirtschaftsgebiet, so werden auch die Schwierigkeiten meist insofern überschätzt, als man vollkommen übersieht, daß ja auch das heutige deutsche Wirtschaftsgebiet Gebiete ganz verschiedenen wirtschaftlichen Reichtums und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit in sich vereinigt und daß trotz größter Unterschiede doch ein Nebeneinanderwirtschaften (ohne Vernichtung irgendeines nach mancher Richtung hin schwächer scheinenden Teiles) möglich ist.

Wenn dabei umgekehrt auf gewisse erhöhte Schwierigkeiten verwiesen wird, welche der österreichischen Wirtschaft als schwächerem Körper aus der Tatsache der Vereinigung mit einem Wirtschaftskörper erwachsen müßten, der durch schwerste Reparationsverpflichtungen auf Jahrzehnte hinaus in seiner natürlichen Entwicklungsfähigkeit gehemmt sein wird, wogegen Österreich dank den Bemühungen des Bundeskanzlers Dr. Schober für immer der drohenden Gefahren irgendwelcher Reparationsverpflichtungen enthoben ist, so ist dem entgegenzuhalten, daß über die Dauer der Reparationszahlungen und ihre endgültige Höhe noch immer nicht das letzte Wort gesprochen, daß sehr wohl mit starken weiteren Herabsetzungen in der Zukunft zu rechnen ist, daß sich aber unabhängig davon jedenfalls ein großes geschlossenes Wirtschaftsgebiet wie das Deutsche Reich der ganzen Entwicklungslage der Weltwirtschaft nach trotz Reparationsverpflichtungen noch immer leichter im Kampfe durchsetzen wird als ein konstruktiv verpfuschtes, unorganisches, kleines Wirtschaftsgebilde; im übrigen würde es sicherlich nicht schwer sein, die Eingliederungsmöglichkeiten Österreichs durch gewisse "Schonfristen" dadurch zu erleichtern, daß man Österreich – eben mit Rücksicht auf seine Freiheit von Reparationsverpflichtungen – gewisse steuerliche Mehranteile an irgendwelchen Reichssteuern beziehungsweise steuerliche Rückvergütungen gewährte.

Damit ist das Problem der Angleichung der direkten und indirekten Besteuerung angeschnitten, auf welches man gleichfalls vielfach dann verweist, wenn man von unüberbrückbaren Schwierigkeiten auf dem Wege des Ineinanderfließens der beiden Wirtschaftsgebiete sprechen zu dürfen glaubt; es kann in diesem Rahmen nicht auf die Einzelheiten jener Wege eingegangen werden, welche eine auf ein gemeinsames Wirtschaftsgebiet zugeschnittene und einem solchen einheitlichen Gebiet dienende Steuerpolitik zu gehen haben wird, eines ist dabei aber sicher: die Überschätzung [525] der Schwierigkeiten einer solchen mit dem Ziel des Anschlusses aufzubauenden Steuerpolitik erhellt am besten, wenn man überlegt und nachprüft, welch unverhältnismäßig größere Verschiedenheiten sowohl hinsichtlich Steuerpolitik, Steuerhöhe (Steuerdruck), steuerlicher Leistungsfähigkeit und Lastenverteilung innerhalb des heutigen "einheitlichen" deutschen Wirtschaftsgebietes, das heißt innerhalb der einzelnen Staaten innerhalb des Deutschen Reiches bestehen als solche Verschiedenheiten im Verhältnis zwischen dem Deutschen Reiche und dem heutigen Österreich gegeben sind. Zudem weist die ganze Entwicklung der Wirtschaft beider Gebiete gleichmäßig Wege einer künftigen Steuerpolitik, die unschwer vereinheitlicht werden können, und wenn man heute im Deutschen Reich daran geht, ernsthaft die Umwandlung der reichsdeutschen Warenumsatzsteuer nach österreichischem Muster in Angriff zu nehmen, so ist das nur ein Beispiel, wie doch der Wille zur Vereinheitlichung und praktische Erfordernisse der Steuerpolitik sehr bald Wege eröffnen werden, um die nicht unüberbrückbaren Schwierigkeiten im System zu überwinden; die Frage nach der Höhe ist dabei eine sekundäre Frage und hängt innig mit den durch den Zusammenschluß gegebenen Entwicklungsmöglichkeiten zusammen.

Auch die Monopolfrage wird sich unschwer lösen lassen, was ja z. B. an den immer wieder auftauchenden Plänen zur Schaffung eines reichsdeutschen Tabakmonopols nach österreichischem Muster ersehen werden kann.

Nicht anders liegt es auf anderen Verwaltungsgebieten, vor allem auf dem Gebiete der sozialen Verwaltung, der Unterrichts- und Gerichtsverwaltung, der Heeresverwaltung u. dgl., Fragen, über welche ja in gesonderten Abhandlungen Näheres zu finden ist.

Nach Erörterung dieser vielfach als unüberwindbar bezeichneten Schwierigkeiten soll aber doch noch zweier Wirtschaftskomplexe eingehend gedacht werden, innerhalb deren eine organische Zusammenarbeit außerordentlich leicht möglich und unleugbar zu um so größeren wirtschaftlichen Erfolgen für beide Teile führen kann, als hier Ergänzungsvoraussetzungen gegeben sind, die es möglich machen, daß vorhandene wirtschaftliche Potenzen des österreichischen Teiles innerhalb des Gesamtwirtschaftsgebietes zum Vorteile des Gesamtkomplexes wirksam werden können; es sind dies die Gebiete des Fremdenverkehrs und der Elektrizitätswirtschaft.


[526] Zunächst zur Frage der nationalpolitischen Bedeutung des Ausbaues der österreichisch-deutschen Fremdenverkehrsbeziehungen:

Kann auf dem Wege der Güterverkehrspolitik eine Vereinheitlichung im Sinne der Erzielung von Vorteilen für die gesamte deutsch-österreichische Wirtschaftsbilanz nicht erwartet werden, insolange uns nicht die Möglichkeit des Abschlusses nationaler Meistbegünstigungsverträge beziehungsweise einer Zoll- und Wirtschaftsunion gegeben wird, so steht diese Möglichkeit auf einem Wirtschaftszweige, der in den nächsten Jahrzehnten gerade für Österreich und Deutschland wirtschafts- und weltpolitisch besonders bedeutsam werden wird, auf dem Gebiete des Personenverkehrs, offen. Hier handelt es sich nicht nur darum, das Ziel der gemeinsamen Kulturannäherung durch das Sichkennen-, Sichverstehen- und Entdeckenlernen, das durch den Reiseverkehr überhaupt und unter allen Verhältnissen auch zwischen fremden Völkern herbeigeführt wird, zu erreichen, sondern um die Erzielung entscheidender wirtschaftlicher Vorteile unter Voraussetzungen, in welchen Mißgunst und Ränkesucht der gemeinsamen Gegner auf dem Gebiete der Handelspolitik kaum oder überhaupt nicht hemmend eingreifen können: hier gibt es nicht die Fessel der Meistbegünstigung, welche den Ausbau speziell der österreichisch-deutschen Verkehrsbeziehungen verhindern könnte, hier gibt es vor allem nicht jene Fülle psychologischer Hemmungen, welchen der Güterverkehr begegnet, dem streng nationale Produktions- und Konsumptionspolitik oberstes Ziel geworden ist, statt in weltwirtschaftlicher Wechselwirkung die wirtschaftlichen Entwicklungslinien zu erkennen.

Eines ist dabei gewiß: daß auf dem Gebiete des Personenverkehrs die wirtschaftliche Wirksamkeit des Gefühls nationaler und kultureller Zusammengehörigkeit eine erhebliche Aktivrolle zu spielen vermag und daß daher auch von diesem Gesichtspunkte dem Ausbau gerade der österreichisch-deutschen Fremdenverkehrsbeziehungen sowohl im Interesse der wirtschaftspolitischen Entwicklung Österreichs wie auch vom Gesichtspunkte einer gemeinsamen Wirtschaftsbilanz immer entscheidendere Bedeutung zukommen kann und muß.

Für die Frage der wirtschaftlichen Wirkungsmöglichkeiten eines Ausbaues der österreichisch-deutschen Fremdenverkehrsbeziehungen sind nun naturgemäß die Ziffern über die beiderseitige Fremden- [527] verkehrsfrequenz von Wichtigkeit; danach stellte das Deutsche Reich in den Jahren:

Gemeldete Fremde in Österreich (in Tausenden):
1922 % 1923 % 1924 % 1925 % 1926 % 1927 % 1928 % 1929 %
Gesamt-
meldungen
2501 100 2600 104 2807 112 3249 128 3215 128 3580 143 4184 166 4203 168
Davon
Reichs-
deutsche
300 320 568 556 620 808 1125 1024
Prozent. An-
teil d. Reichs-
deutschen
%12 100 %12 100 %13 108 %17 141 %19 160 %22 183 %27 225 %24 200

Das bedeutet bei einer Steigerung der Fremdenziffern um 40% eine Steigerung des Anteiles der Reichsdeutschen um 83%.

Gemeldete Fremde in Wien (in Tausenden):
1922 % 1923 % 1924 % 1925 % 1926 % 1927 % 1928 % 1929 %
Gesamt-
meldungen
439 100 418 95 559 130 533 121 535 122 561 130 745 169 632 144
Davon
Reichs-
deutsche
22 30 58 64 77 87 201 99
Prozent. An-
teil d. Reichs-
deutschen
%5 100 %7 140 %10 200 %12 240 %14 280 %15 300 %27 540 %16 320

Diese Ziffern zeigen, daß der Anteil der Reichsdeutschen nicht nur absolut, sondern auch relativ stark und erfreulich anwächst; anderseits aber zeigt die Berechnung nach der Einwohnerzahl, wie wenig ausgeschöpft das Reservoir des deutschen 60-Millionen-Volkes ist, wie ungeheuer die Reserven sind, die bei geschickter und zielbewußter, nicht vom wirtschaftlichen Standpunkte des einzelnen, [528] sondern vom Gesichtspunkte gemeinsamer Wirtschafts- und Kulturarbeit geleiteten Ausbautätigkeit auszuschöpfen sind; danach stellte das Deutsche Reich 1926 pro Million seiner Einwohner in ganz Österreich nicht einmal ganze 1000 Reisende, während z. B. die Tschechoslowakei 1270, Ungarn 2000, Italien 1000, Frankreich und England immer noch 640 Reisende brachten.

Noch viel ungünstiger liegen nach dieser Berechnungsmethode die Ziffern für Wien; auf je 1 Million Einwohner des einzelnen Herkunftslandes entfallen auf Österreich (außer Wien) 40.500 Ungarn, 7420 Tschechen, 5530 Jugoslawen, 1390 Schweizer, 1230 Reichsdeutsche, während zu gleicher Zeit auf die Schweiz 6750, also die sechsfache Anzahl, entfällt.

Gerade Österreich müht sich ab, durch teuere Reklame aus Amerika und England Fremde heranzuziehen, während es vor seinen Toren das ungeheure Menschenreservoir hat, das noch dazu eine überdurchschnittlich reiselustige Bevölkerung in sich birgt; sieht man auf der einen Seite die ungeheuren Beträge, die reichsdeutsche Reisende im Auslande anlegen (im Jahre 1926 nach den Berechnungen des Konjunkturforschungsinstituts rund 350 Millionen Schilling, also das Doppelte der errechneten gesamten Fremdenverkehrseinnahmen Österreichs) und auf der anderen Seite die Tatsache, daß davon ein immer noch verhältnismäßig kleiner Teil auf Österreich entfällt, während doch die Voraussetzungen für einen Aufenthalt in Österreich sicherlich nicht als ungünstig bezeichnet werden können, so wird sich schnell und unfehlbar der Blick für die Erweiterungsmöglichkeiten dieses Verkehrs ergeben. Daß dabei Österreich nicht etwa ein ganz einseitiges, größtenteils auf seine Vorteile abgestelltes Geschäft zu betreiben sucht, geht aus der reichsdeutschen Statistik über den Fremdenverkehr an neun großen Plätzen hervor: danach übertraf im Jahre 1925 Österreich mit einer Fremdenleistung von nahezu 54.000 sogar das volksreiche Amerika; 1926 tritt es allerdings der absoluten Ziffer nach gegenüber Amerika zurück, relativ aber (seiner Volkszählung nach) marschiert Österreich mit seinen 6,5 Millionen Einwohnern weitaus an der Spitze, obwohl dabei – wie erwähnt – nicht etwa zur Hauptsache Orte an der Grenze berücksichtigt sind, sondern im Gegenteil Hauptplätze, die für den Fremdenzuzug aus anderen Staaten geographisch wesentlich günstiger lägen.

Das sehr interessante Bild ergibt z. B. auf 1,000.000 Einwohner des Herkunftslandes folgende Ziffern:
[529]

    1925     1926
    Österreich 8321 8388
    Niederlande 5355 6094
    Großbritannien 710 839
    Tschechoslowakei 1920 1914
    Schweiz 5800 6756
    Dänemark 5300 7289
    Ungarn 1600 2830
    Polen 1000 760
    Schweden 3600 3283
    Rußland 130 110
    Balkanstaaten 530 509
    Frankreich 300 290
    Vereinigte Staaten       274 660

Die Durchschnittsleistung Österreichs beläuft sich also schon innerhalb dieser neun Plätze auf 1300 auf je 1 Million der österreichischen Bevölkerung.

Eines kann sicherlich beiden Ziffernreihen entnommen werden: daß die gegenseitigen Verkehrsbeziehungen schon heute sehr dicht sind, ehe noch eine zielbewußte Propagandaarbeit gerade in der Richtung tätig geworden ist, dem Ausbau dieser gegenseitigen Beziehungen aus kulturellen und wirtschaftlichen Interessen ganz besondere Sorgfalt zuzuwenden.

Die Bemühungen um den Ausbau und die Verdichtung der österreichisch-deutschen Verkehrsbeziehungen und um die beabsichtigte Erzielung gemeinsamer wirtschaftlicher Vorteile müssen zwei Seiten beobachten; es sind fürs erste die geeignetsten Formen dafür zu finden, wie dem Österreicher Deutschland und dem Reichsdeutschen Österreich als Reiseland nahegebracht werden kann, und zweitens die gemeinsamen Bestrebungen dahin zu lenken, die Angehörigen dritter Staaten, die einmal österreichischen oder reichsdeutschen Boden betreten haben, nicht nur dem anderen Teile dieses Reiselandzweibundes zuzuführen, ehe sie dritte Länder bereisen, sondern vor allem auch die psychologischen Wirkungen einer unauffällig geführten Gemeinschaftsarbeit auf die übrige Welt geschickt auszunützen.

Im Rahmen dieser Gesamtdarstellung der Anschlußfragen wurde schon wiederholt darauf verwiesen, daß Hand in Hand mit den Bestrebungen nach wirtschaftlich engerer Verflechtung auch das Be- [530] mühen gehen muß, die beiden heute noch getrennten Volksteile kulturell und ethisch einander näher zu bringen, denn es wurde ja schon der ungeahnten Bedeutung des Sängerbundfestes Erwähnung getan – erst bei enger persönlicher Fühlungnahme läßt sich über kleinliche wirtschaftliche Bedenken hinweg die Zusammenschlußsache zur Volkssache machen, zu jener Volkssache, gegen deren unwiderstehliche Willensgewalt das Ausland vergebens anrennt –, darum eben das Zittern in jener Presse, die die Anschlußfrage so gerne zur Frage der Einigung einiger böser führender Geister machen möchte, um sie dadurch ihres sittlichen Charakters zu entkleiden.

Gerade nach dieser Richtung hat der Fremdenverkehr sicherlich eine noch kaum gewürdigte Mission in ethischer Hinsicht für die große Welt; wenn aber etwas geeignet ist, zwischen den beiden Volksteilen Deutschland und Österreich zu vermitteln und die letzten Kanten abzuschleifen, Brücken vollen Verständnisses zu bauen, so ist dies der Fremdenverkehr, eben als Mittel zum Kennenlernen des Artcharakters und der Kulturwerte. Sicherlich klagt man nicht mit Unrecht, daß es an diesem Verständnis, an der Anerkennung der vollen Werte beider Teile – ausgeprägt in Sonderwerten jedes der beiden Teile – mangelt, sicher aber ist, daß diesem Mangel wiederum nichts besser abhelfen kann als die Schaffung tausendfältiger persönlicher Anknüpfungs- und Berührungspunkte, wie sie in allen Bestrebungen zum Ausdruck kommen, die der Fremdenverkehr im weiteren Sinne seiner Bedeutung umfaßt.

Die Erreichung des Zieles: Förderung der kulturell-geistigen Vollverständigung ist nun glücklicherweise um so leichter, als ja unbestreitbar die typischen österreichischen Charaktereigenschaften scharf auf die Voraussetzungen, die ein auf die Fremdenindustrie abgestelltes Land unerläßlich braucht, zugeschnitten sind.

Darüber hinaus wird erst die persönliche Berührung dem Reichsdeutschen den Einblick in die kulturelle Bedeutung dieses Volksstammes, in die Bedeutung seiner Mission für die gesamtdeutsche Kulturentwicklung öffnen können, und der Sommer 1928 hat ja weitgehend dieses Ziel erreicht: die Bilanz des Sängerbundesfestes allein gewinnt ja, über alle Fragen der wirtschaftlichen Auswirkungen und der Fremdenverkehrspropaganda weit hinausgehend, ihre Bedeutung, und ihren inneren Wert erst in der durch dieses Fest gesicherten Anerkennung der Vollwertigkeit Österreichs, in der Erkenntnis, daß Österreich nicht nur gemütlich, sondern tüchtig und leistungsfähig und [531] alles andere als "schlapp" ist. Wenn irgend etwas den moralischen Kredit Österreichs mit einem Schlage in wesentlich günstigeres Licht hob, so war es – um es wirtschaftlich etwas gröber auszudrücken – der Massenzuschub von Reichsdeutschen, die Verdichtung der Wege und Möglichkeiten persönlicher Verständigung und ethisch-kultureller Höherwertung.

Der Österreicher umgekehrt lernt, je mehr er in Verbindung mit dem deutschen Stammvolk kommt, die nimmermüde Tatkraft, die entschiedene Vereinigung aller Energien im Interesse des Aufbaues der Volkswirtschaft eines Gebildes, das man dort Vaterland und gewollten Staat nennen darf, das dem Österreicher aber leider – nicht aus eigener Schuld! – fehlt; es stärkt aber jeder Schritt im deutschen Heimatland Einsichtsvollen das Bewußtsein, daß eben jene österreichischen Kultur- und Menschheitswerte – könnten sie auf der festen Basis eines gewollten Heimatstaates fußen – ganz andere Höchstleistungen zu vollbringen imstande wären als dies unter den gegebenen Verhältnissen überhaupt möglich sein könnte.

Wenn es sich nun noch darum handelt, die Wege und Mittel festzustellen, auf denen das Ziel dieser Vereinheitlichung der Fremdenverkehrswirtschaft und deren Abstellung auf das Ziel der einheitlichen "kulturellen und wirtschaftlichen Zahlungsbilanz" zu erreichen ist, so ist sicher, daß zunächst die Staatsgewalt, die auf diesem Gebiete weitaus nicht den strengen Bindungen unterliegt, wie auf dem Gebiete der Güterverkehrspolitik, alle jene Wege der Vereinheitlichung der gesamten Verkehrspolitik gehen muß, die sich auf dem Gebiete des Eisenbahn-, Straßen- und Automobil-, Schiffahrts-, Luftschiffahrtsverkehres u. dgl. bei einigem gutem Willen erreichen lassen; hieher gehören auch die Bemühungen um die Abschaffung des Paßzwanges, nicht minder aber die Forderung nach wohlwollender Behandlung der Propagandafragen (zollrechtliche Behandlung für Propagandamaterial, polizeiliche Vorschriften für die Verteilung von Propagandamaterial u. dgl.).

Zusammenfassend kann also festgestellt werden, daß es hier ein Feld wirtschaftlicher Tätigkeit gibt, das beiden Teilen Erfolg bringen und eine gesamtinnenwirtschaftliche Kräftigung herbeiführen helfen kann, ein Tätigkeitsgebiet, auf dem die Entfaltung reicher Arbeit auch bei weitem nicht jenen internationalen Hindernissen begegnet, als dies auf dem Gebiete des Güterverkehres zutrifft.


[532] Und nun noch zur Frage der Elektrizitätswirtschaft und der Bedeutung ihrer zielsicheren Zusammenarbeit in Österreich-Deutschland.

Die Betreuung der Elektrizitätswirtschaftsfragen ist für Österreich an sich deshalb bedeutungsvoll, da Österreich ja kaum ½% der Kohlenvorkommen der alten Monarchie blieben, während an die Tschechoslowakei 37%, an Polen 54% fielen, wogegen Österreich 20% der alten österreichischen Kesselheizfläche erbte; es war klar, daß bei dieser Sachlage ein wichtiger Ersatz zunächst für die österreichische Wirtschaft (unabhängig von den Fragen einer großdeutschen Verbund-Wirtschaft) die reichlich ausbaufähigen Wasserkräfte der Alpenländer bilden, die auf etwa 3½ Millionen Pferdestärken Jahresmittelleistung veranschlagt werden und bei vollständiger Ausnützung wenigstens den Ersatz von zwei Dritteln der eingeführten Kohle ermöglichen würden, wenngleich eine rationelle Verwertung dieser Energien in dem heutigen Österreich, das zwar ein Drittel der Industrien der Monarchie, aber nur ein Achtel seiner Käufer übernahm, in absehbarer Zeit nicht möglich sein wird. Um so wichtiger ist eine planwirtschaftliche Auswertung dieser wertvollen Energien innerhalb einer großen deutschen Wirtschaft, zumal sich hier im Verhältnis zum deutschen Wirtschaftsgebiet wertvolle Ergänzungsmöglichkeiten und Möglichkeiten zu erfolgversprechender Verbundwirtschaft ergeben, und zwar aus der Gegenüberstellung der weitreichenden Ausbau- und Entwicklungsmöglichkeiten der österreichischen Überschußerzeugung an elektrischer Energie in Österreich einerseits und den Kohlenproduktions- und Kohlenbesitzverhältnissen in Deutschland anderseits.

Bei voller Ausnutzung der im Kalkül überschüssigen Hälfte des österreichischen Großwasserkraftvorkommens, das seinerseits erst die Hälfte des Gesamtwasserkraftvorkommens ausmacht, wäre es möglich, eine Ausfuhr von 5 Milliarden Kilowattstunden zu erzielen, wodurch in erster Linie die in deutschen Steinkohlenkraftwerken erzeugte gleich große Jahresarbeit vollen Ersatz finden und die sohin ersparte Steinkohle im Gewichte von wenigstens 5 Millionen Tonnen im Deutschen Reich zu anderer, vorteilhafterer Verwendung frei würde, ohne daß dabei noch in der Braunkohlenwirtschaft Deutschlands an irgendeine Änderung gedacht werden müßte.

Wenn Deutschland sowie die meisten Steinkohlen produzierenden Staaten zunächst an einem starken Produktionsüberschuß an [533] Steinkohle zu leiden scheinen, so ist doch sicher, daß eine neue Epoche anbricht, in welcher die unmittelbare Verbrennung von Steinkohle sicherlich kaum mehr in Betracht kommen wird.

Daneben ist noch eine offene Frage, wie groß der Kohlenbedarf Deutschlands bei immer durchgreifenderer Industrialisierung sein wird, die immer neue Verwertungsmöglichkeiten für Steinkohle zur Folge hat, und notwendig sein wird, um die verlorene Stellung auf dem Weltmarkt friedlich zurückzuerobern.

Aber nicht nur auf der Menge der Kohlenproduktion, sondern auch auf der Menge des Kohlenbesitzes, auf dem Ausmaß der Kohlenbasis beruht heute die wirtschaftliche Weltmachtstellung. Der Kohlenbesitz Deutschlands bedarf nun einmal nach den furchtbaren Einbußen durch den Unglücksfrieden von Versailles besonderer Schonung. Anderseits dringt die Erkenntnis, daß der Elektrizität als Kraft- und Lichtquelle für die deutsche Wirtschaft stetig wachsende Bedeutung zukommt, im Deutschen Reiche immer mehr durch.

Wie aufnahmsfähig gerade das deutsche Wirtschaftsgebiet für elektrische Energie ist und wie sehr es dadurch der natürliche Abnehmer für die überschüssige – und dazu auch ihrer ganzen räumlichen Lage nach für den Export nach Deutschland bestimmte – elektrische Energieerzeugung werden muß, geht aus folgenden Ziffern hervor:

Während der Verbrauch an elektrischer Energie in Deutschland pro Kopf der Bevölkerung 162 Kilowattstunden im Jahre beträgt und nur in den dichtesten Verbrauchszentren Westdeutschlands auf 334 Kilowattstunden steigt, kann die Gesamtstromproduktion in Österreich bei mittleren Absatz- und Wasserverhältnissen zu 2 Milliarden Kilowattstunden eingeschätzt werden, wovon etwa ein Drittel durch Wärmekraft, zwei Drittel durch Wasserkraft erzeugt werden. Hieraus ergibt sich eine Kopfquote von rund 300 Kilowattstunden. Dagegen war schon vor Jahresfrist die Kopfziffer für

    die Schweiz 700 Kilowattstunden
    für Kanada 612 Kilowattstunden
    für Norwegen 493 Kilowattstunden
    für die Vereinigten Staaten     473 Kilowattstunden
    für Schweden 364 Kilowattstunden

[534] Allein aus diesen Zahlen erhellt, welche enorme Aufwärtsbewegung der deutschen und österreichischen Elektrizitätsversorgungsindustrie für die nächsten Jahre bevorsteht, bis der durch Not und Rückschläge der Kriegs- und Nachkriegszeit stark zurückgedrängte Bedarf eingeholt und gesättigt ist.

Es wäre nun absolut verfehlt, sich der Auffassung hinzugeben, als würde Deutschland unbedingt unsere "weiße Kohle" abnehmen müssen, als würde es hier irgendwelche Konkurrenz nicht geben und als könnten wir uns sorglich der Zukunft anvertrauen. Im Gegenteil! – Nicht nur, daß die obere Grenze des Preises der für den Export bestimmten "weißen Kohle" (mit etwa 3,6 g unter der Voraussetzung ganzjähriger Lieferung und der Abnahme der gesamten überschüssigen Wasserkraftenergie an Sonn- und Feiertagen) bedingt ist durch die Gestehungskosten der an der Grube gelegenen deutschen Braunkohlenwerke und daher günstige Ausbauvoraussetzungen (hinsichtlich Kapitalbeschaffung, technischer Bauvoraussetzungen und Lage der Wasseranfallverhältnisse) verlangt, ist die Konkurrenzierung durch andere Stromexportländer allmählich so stark gewachsen, daß eben nur sorglichste Betreuung auch des Rohstoffes "weiße Kohle" deren wirtschaftlich wertvolle Verwendung gewährleisten kann. Aber gerade nach dieser Richtung hin sind eben die Produktions- beziehungsweise Absatzbedingungen in weitem Maße günstig zueinander abgestellt.

Die Linienführung der Grenzen und die schmale und langgestreckte Form des österreichischen Bundesgebietes westlich von Salzburg beeinträchtigt jedes der dort vorhandenen Grenzkraftwerke in der rationellen Ausnutzung seiner überreichen Energiedarbietung dadurch, daß die für den Inlandskonsum erzeugten Strommengen in einer Richtung und auf unverhältnismäßige Distanzen transportiert werden müßten. Die unumstößliche Tatsache, daß nur eine zentrale Lage der Stromerzeugungsstätten innerhalb des zugehörigen Versorgungsgebietes eine wirtschaftlich einwandfreie Ausnutzung gewährleistet, muß naturnotwendigerweise zu einem Übergreifen der Aktionsradien jedes einzelnen Großkraftwerkes des oberösterreichisch-salzburgisch-tirolisch-vorarlbergischen Großwasserkraftreviers über die Bundesgrenzen nach Deutschland führen.

Dabei kommt der österreichischen Produktion die Tatsache zugute, daß in Deutschland die Energieabsatzfrage dadurch vielfach schon gelöst ist, als es seine Industrien so ziemlich über das ganze [535] Reichsgebiet verteilt und bereits vielfach auf elektrischen Antrieb eingestellt hat.

Außerdem könnte eine einheitliche Bewirtschaftung der natürlichen Wasserkraftdarbietungen im Alpen- und Mittelgebirgsgebiete diesseits und jenseits der deutsch-österreichischen Grenze durch Ausnutzung der hydrologischen Verschiedenheiten eine sehr wertvolle gegenseitige Ergänzungs- und Rationalisierungsmöglichkeit für die gesamte Wasserkraftwirtschaft bringen, dies namentlich auch bei systematischer Zusammenarbeit mit dem Braunkohlenstrom; dadurch könnte auch überschüssiger Alpenstrom aus der Sphäre des Abfallstromes hinausgehoben und einer wirtschaftlich höherwertigen Verwendung zugeführt werden.

All diese Vorteile ließen sich noch erhöhen, wenn namentlich in Hinblick auf die künftige Einheitlichkeit des Wirtschaftsgebietes die Standorte neuer Industrieunternehmungen (namentlich solcher, die große Energieansprüche stellen) in die unmittelbare Nähe der Wasserkraftanlagen verlegt werden.

Das gesamtdeutsche Hochspannungsnetz.
[535]      Das gesamtdeutsche Hochspannungsnetz.

[536] Allerdings wäre Voraussetzung für ein planvolles, wirtschaftlich wertvolles Zusammenarbeiten nicht nur die Lösung der rein technischen Fragen – Ausbau der Werke und eines großen, planwirtschaftlichen Erwägungen entsprechenden Sammelschienensystems –, sondern auch eine Angleichung der wirtschaftlich-rechtlichen Voraussetzungen, vor allem eine Rechtsangleichung auf dem Gebiete des Elektrizitätswegerechtes mit seinen Enteignungs- und Zwangsrechts-Erfolgs- und Schadenshaftungsbestimmungen und auf dem Gebiete des Stromtarifrechtes. Die Angleichung müßte sich aber auch erstrecken auf die rechtliche Stellung von Stromlieferungsunternehmungen und industriellen Eigenanlagen für sich und in ihrem gegenseitigen Verhältnis, auf die Genehmigungspflicht und das staatliche Betriebsaufsichtsrecht, auf die Sicherheitsvorschriften einschließlich des Verhältnisses von Starkstromleitungen zu Telegraphenlinien und und Eisenbahnen, auf das Normenwesen, das Berechtigungswesen und auf schiedsgerichtliche Vorschriften. Hand in Hand damit müßten zwischenstaatliche Vereinbarungen auch erfolgen bezüglich der Steuern, Gebühren und Abgaben zur Verhütung von Doppelbelastungen.

Also auch auf dem Gebiete der gemeinsamen Elektrizitätswirtschaft eine Fülle erheblicher Schwierigkeiten und die noch in der Zukunft liegende Schaffung von Voraussetzungen technischer und rechtlicher Natur! – Aber die Tatsache bleibt bestehen, daß sich bei gewissenhafter Betreuung auf diesem Felde gemeinsamer, zielbewußter, wirtschaftlicher Tätigkeit aus den vorhandenen Wirtschaftsreserven sehr viel zum Nutzen beider Wirtschaftsgebiete herausholen läßt, wo ansonst – bei Verzicht auf eine planvolle, dem Gedanken späterer, absolut geschlossener Zusammenarbeit bereits vorbauender Energiewirtschaft – vorhandene Kräfte verfallen oder doch zumindest unrationell ausgenützt und vergeudet werden würden; es wird möglich, ja unerläßlich sein, ein reibungsloses, systematisches Ineinanderspielen der natürlichen Wasserkraft, der Dampfgeneratoren sowie der Hochofengichtgasmotoren für die elektrische Energiegewinnung einerseits und der Kraftquellen der Schwarz- und Braunkohle anderseits sicherzustellen, soll nicht nur im Interesse der gesamten deutschen Wirtschaft eine fühlbare Verbilligung der Energiequellen und ihrer Leistungen, sondern auch eine im nationalwirtschaftlichen Interesse liegende rationelle Ausnützung der nicht unbeschränkten nationalen Energiequellen gewährleistet werden.


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Die Anschlußfrage
in ihrer kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bedeutung

Friedrich F. G. Kleinwaechter & Heinz von Paller