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XV. Die Angleichung   (Forts.)

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Verkehrswesen
Unterstaatssekretär a. D. Ing. Bruno v. Enderes (Wien)

Der Anschluß als Verkehrsfrage • Die Bedeutung der Verkehrsfrage für die Volkwerdung der Deutschen • Nicht allein Verbindung, sondern Verflechtung der österreichisch-deutschen Wirtschaft • Österreichs Siedlungsraum • Österreichs Verkehrswege • Die Lage Wiens • Steigerung des Verkehrs im großdeutschen Raum • Tschechoslowakei • Schweiz • Entwicklung des Verkehrswesens in Mitteleuropa • Wirtschaftspolitische Interessengemeinschaft großdeutscher Verkehrspolitik • Post, Telegraph und Fernsprecher • Eisenbahnwesen • Binnenschiffahrt • Donau • Rhein-Main-Donaukanal • Luftverkehrswesen • Straßenwesen.

So wichtig die Anschlußfrage vom politischen, nationalen und kulturellen Gesichtspunkt aus betrachtet ist, so ist doch ihre wirtschaftliche Seite insoferne noch wichtiger, als sie einerseits den mächtigsten Hebel zur Verwirklichung des Anschlusses liefert und anderseits die vielseitigste praktische Arbeit bei seiner Vorbereitung und Durchführung erfordert. Dazu kommt noch, daß viele Vorteile, die der politische Anschluß gewährleistet, schon dann erzielt werden könnten, wenn vorläufig nur ein wirtschaftlicher Anschluß erreichbar sein sollte. Wir können also mit Recht die Anschlußfrage als wirtschaftliche Frage bezeichnen.

Ja, wir können den Gegenstand noch enger begrenzen und den Anschluß als Verkehrsfrage betrachten. Dazu berechtigen uns zunächst rein wirtschaftliche Erwägungen. Die gesamte neuzeitliche Wirtschaft beruht auf der Entwicklung, die der Verkehr seit etwas mehr als hundert Jahren genommen hat. Ohne Eisenbahn und Dampfschiffahrt wäre die heutige Großindustrie undenkbar; Arbeitsteilung, Spezialisierung, Reihenerzeugung und die daraus fließende Verbesserung und Verbilligung aller Erzeugnisse, die Hebung der Landwirtschaft durch Einführung der Maschinen und des Kunstdüngers beruhen auf ihr; ebenso die Verbesserung und Beschleunigung der Nachrichtenübermittlung und des Reiseverkehres, die die Wirksamkeit der öffentlichen Verwaltung, die Bekämpfung von Seuchen und Naturereignissen, die Belehrung, Erholung und Ertüchtigung der Bevölkerung unermeßlich gesteigert haben. Die Verschmelzung der beiden Wirtschaften zu einer großdeutschen ist nur auf dem Wege der Verschmelzung des österreichischen mit dem reichsdeutschen Verkehrswesen möglich.

Aber noch in einem weiteren Sinn ist die Anschlußfrage eine Verkehrsfrage. Wir dürfen uns nicht verhehlen, daß wir Deutschen noch lange nicht in so weitem Maß wie etwa die Italiener, die Engländer oder gar die Franzosen ein Volk sind. Wie viele Wiener sind sich der Albernheit ihres Verhaltens bewußt, wenn sie über die "S‑prache" des Hamburgers, wie viele Hamburger, wenn sie über die "Sch‑prache" des Wieners lächeln? In vieljähriger Zusammen- [538] arbeit mit Fachgenossen im Verein Deutscher Eisenbahnverwaltungen habe ich die Erfahrung gemacht, daß uns häufiges Zusammentreffen und die daraus fließende Erkenntnis der überragenden Menge und Bedeutung des Gemeinsamen und Verbindenden gegenüber der Geringfügigkeit des Abweichenden und Trennenden ein viel lebhafteres Gefühl für deutsche Einheit eingepflanzt hat, als es Volksgenossen empfinden, die sich immer nur im engen Kreis des eigenen Stammes bewegen, denen an Deutschen anderen Stammes alles auffällt, was ein wenig anders ist, und die dieses Andere stets als minderwertig zu empfinden geneigt sind. Je häufiger Deutsche verschiedener Stämme sich treffen, je inniger ihre beruflichen, geistigen und materiellen Beziehungen werden, desto lebhafter wird ihr Volksgefühl sich gestalten. Dessen kräftige Entfaltung ist also auch eine Verkehrsfrage.

Gerade vom nationalen Gesichtspunkt aus kann man sich nicht damit zufrieden geben, daß die Wirtschaft Österreichs mit der des Reiches lose verbunden wird. Nur ihre innige Verflechtung kann uns befriedigen; sie wird der kräftigste Riegel gegen etwaige künftige "separatistische" Bewegungen sein – siehe Rheinland und Pfalz. Eine Verflechtung der österreichischen mit der reichsdeutschen Wirtschaft zu einer einzigen großdeutschen erfordert aber die kräftigste Mitwirkung des Verkehres. Diese einzuleiten und in jedem Einzelfall zweckmäßig zu gestalten, ist Aufgabe einer großdeutschen Verkehrspolitik. Bisher sind leider oft genug peinliche Dinge zutage gekommen, wie z. B. der letzte mehrjährige Tarifkrieg zwischen den Reichsbahnen und den Bundesbahnen, bei dem sich Italien und die Tschechoslowakei in der Rolle des lachenden Dritten befanden. So etwas sollte nie wieder vorkommen. Und es wird auch nicht vorkommen, wenn unsere Verantwortlichen nur erst einmal erkennen, daß sie sich in den Augen der Allgemeinheit durch "Departement-Tüchtigkeit" kein Verdienst erwerben. Reichsdeutsche Verkehrspolitik strebt nur Vorteile für das Reich, österreichische nur für Österreich an. Großdeutsche Verkehrspolitik richtet sich auf den gemeinsamen Vorteil beider und verbietet die Verfolgung von Sonderzwecken, wenn daraus dem anderen Teilhaber unverhältnismäßiger Schaden entsteht.

Um uns darüber klar zu werden, welche verkehrspolitischen Aufgaben einer großdeutschen Lösung harren, müssen wir ihre Voraussetzungen prüfen. Diese sind teils von der Natur gegeben, teils aus geschichtlicher Entwicklung entstanden.

[539] Von der Natur gegeben sind vor allem der Siedlungsraum und seine Beschaffenheit. Österreich zieht sich in seinem westlichen Teil als schmaler in der Nordsüdrichtung nirgends mehr als 90 km breiter Landstreifen mehr als 250 km weit längs der Südgrenze des Reiches vom Bodensee bis zum Berchtesgadener Ländchen hin; dort wendet sich die Grenze in die Südnordrichtung und deckt bis zur tschechischen Grenze im Böhmerwald nicht viel mehr als 150 km Luftlinie. Östlich davon liegt der Ostteil Österreichs, der reichlich drei Viertel seines Gebietes und neun Zehntel seiner Bevölkerung umfaßt. Der Westteil ist durchwegs Hochgebirgsland, von nur 30 Menschen auf 1 km2 bewohnt, die hauptsächlich von Forstwirtschaft, Viehzucht und Fremdenverkehr leben. Der Ostteil ist etwa zur Hälfte echtes Hochgebirge, Voralpenland und Mittelgebirge, zur Hälfte Hügel- und Flachland. Hier hat sich bedeutende Industrie angesiedelt. Das Burgenland, Niederösterreich (ohne Wien) und Oberösterreich haben fast 75 Bewohner auf 1 km2 und beherbergen einschließlich der Hauptstadt Wien auf 44 v. H. des Bundesgebietes 69 v. H. seiner Bevölkerung. Im Westteil trennt eine Westostfurche, das Inntal, die Hauptkette der Alpen von ihrer Nordkette und bestimmt eine Hauptverkehrslinie West–Ost mit der Eisenbahn Bodensee–Innsbruck–Salzburg; nur an drei Stellen hängt diese mit dem Eisenbahnnetz des Reiches zusammen: am Bodensee, bei Mittenwald und Kufstein; ein halbes Dutzend Übergänge besteht zwischen den beiderseitigen Straßennetzen. Schiffahrtswege fehlen.

Der Ostteil Österreichs hängt mit dem reichsdeutschen Eisenbahnnetz an drei Punkten zusammen: Salzburg, Simbach und Passau. Salzburg verbindet die Bahnen Süddeutschlands nach Süden mit Italien und Südslawien, nach Osten mit den wirtschaftlich hochentwickelten Gebieten Österreichs und mit dessen östlichen Nachbarn, Ungarn und Südslawien, weiterhin mit den Balkanländern; für beide Richtungen stehen Doppelgleise zur Verfügung. Passau verbindet die Eisenbahnen Mittel-, Nordwest- und Norddeutschlands mit der Haupt-Westostlinie in Österreich, aber nur durch einen eingleisigen Strang, der sich bei Wels an die doppelgleisige Linie Salzburg–Wien anschließt. Simbach liegt zwischen den beiden erwähnten Übergängen und ist von geringerer Bedeutung, solange diese beiden nicht beträchtlicher Entlastung bedürfen. Auch als Straßenübergänge sind Salzburg und Passau wichtig. Ein Schiffahrtsweg steht zur Verfügung, die Donau.

[540] Dagegen hat Österreich gegenüber der Tschechoslowakei eine in der Luftlinie von West nach Ost 230 km lange Grenze, an die sich in Nordsüdrichtung weitere 70 km anschließen. Darin finden sich 6 Übergänge von Haupt- und 4 von Nebenbahnen. Die Grenze gegen Ungarn, 160 km Luftlinie, hat 3 Haupt- und 5 Nebenbahnübergänge, diejenige gegenüber Südslawien, 190 km, 3 Haupt-, 2 Nebenbahnanschlüsse, diejenige gegen Italien, 260 km, 3 Hauptbahnübergänge. Alle diese Grenzen liegen auf ehemals österreichisch-ungarischem Gebiet und sind in günstigem Gelände von vielen Straßenzügen durchschnitten.

Von besonderer Bedeutung für die Anschlußfrage ist die Tatsache, daß eine Jahrtausende alte Hauptverkehrsstraße, die Donausenke, von Passau bis unterhalb Wien die wirtschaftlich höchst entwickelten Teile Österreichs durchzieht und im Donaustrom die einzige Binnenschiffahrtsstraße Österreichs bietet.

Aus diesen naturgegebenen Verhältnissen haben sich im Laufe einer tausendjährigen, höchst folgerichtigen politischen und wirtschaftlichen Entwicklung gewisse Hauptverkehrsbeziehungen herausgebildet, die für die Beurteilung der Verkehrsfragen im Rahmen der Anschlußfrage wichtig sind. Wien lag fast im geographischen Mittelpunkt der Habsburgermonarchie, genau an der Kreuzung zweier höchst wichtiger Verkehrswege, des westöstlichen Donauweges und des Nordsüdweges aus Italien durch die Einsattelung zwischen Sudeten und Karpathen nach Schlesien, Nordost-Deutschland, Polen und Rußland. Wien war der südöstlichste Ausläufer west- und mitteleuropäischer Handels- und Gewerbetätigkeit, es war der Brennpunkt des gesamten Verkehres zwischen Südosteuropa und Mitteleuropa; über Wien ging ein großer Teil des Verkehres Polens und Rußlands nach dem Süden und Westen. Wien war für Österreich-Ungarn "die" Stadt; neben Wien spielten die Landeshauptstädte, ja selbst Ofen-Pest, eine bescheidene Rolle. Es ist klar, daß sich das wirtschaftliche Antlitz Wiens und damit Österreichs nach jenem Südosten wandte, für den es die "Welt" war, der nächst erreichbare Sitz alles Reichtums, aller Bildung.

Wiens Stellung in Altösterreich und Altösterreichs Stellung zum Südosten Europas wirken noch heute, nach dem Zerfall der Donaumonarchie, nach. Trotz aller handelspolitischen Schikanen, trotz alles unverhüllten, politisch und wirtschaftlich leider erfolgreichen Strebens der Nachfolgestaaten, sich von Wien und Österreich unabhängig zu [541] machen, ist deren Verkehr mit den Staatsgenossen und den Nachbarn von ehedem noch immer sehr lebhaft und überwiegt in der Gesamtsumme bei weitem denjenigen mit dem Deutschen Reich. Hat doch 1929 die Einfuhr Österreichs aus der Tschechoslowakei, Polen, Ungarn, Rumänien und Südslawien 44,4 v. H. der Gesamteinfuhr, diejenige aus dem Reich 21 v. H. betragen, seine Ausfuhr gar 38,9 gegen 15,9; aus den erstgenannten Staaten kamen 232.074 Gäste nach Wien, aus dem Reich 99.756.

Eine Tatsache von größter Wichtigkeit bedarf aber noch einer Erwähnung: Von der alten Grenze zwischen dem Reich und Österreich-Ungarn sind nämlich fast zwei Drittel in eine reichsdeutsch-tschechische verwandelt worden. Dadurch sind die wichtigsten Eisenbahnübergänge aus dem wirtschaftlichen Kernland Österreichs mit Wien nach Nord- und Nordost-Deutschland, Bodenbach, Tetschen und Oderberg, die z. B. den gesamten Personenverkehr Wiens mit Berlin besorgt hatten, Eger und viele andere verloren gegangen. Wien und das Industriegebiet seiner Umgebung sind von Sachsen und Preußen und den Nordseehäfen durch einen dritten Staat getrennt. Daraus erst hat sich der heutige Zustand entwickelt, daß Passau trotz der größeren Weglänge zum wichtigsten Übergangspunkt für den Verkehr Berlin–Wien wurde. Die Zwischenlagerung eines so großen fremdstaatlichen Gebietes ist verkehrspolitisch zweifellos ein Nachteil. Das Deutsche Reich hat das ja schon früher am eigenen Leib gespürt. Die Wirtschaftsbeziehungen Bayerns mit dem kohlengesegneten Oberschlesien wären viel inniger, wenn sie nicht durch die über die Luftlinie Oderberg–Passau weit nach Nordwesten vorspringende Halbinsel Böhmen voneinander getrennt wären. Wir müssen mit der Tatsache rechnen, daß nach dem Anschluß Österreichs an das Reich die Tschechoslowakei wie ein riesiger Keil in das großdeutsche Gebiet hineinragt. Ein großer Teil des Verkehres zwischen Österreich und Norddeutschland wird also nur künstlich oder vielleicht überhaupt nicht für rein großdeutsche Verkehrswege gewonnen werden können, sondern nach wie vor als Durchzugsverkehr durch die Tschechoslowakei gehen müssen. Denn schließlich kommt man um die Tatsache nicht herum, daß der Verkehr sich den tarifarisch günstigsten Weg sucht, das heißt den billigsten und das ist unter sonst gleichen Verhältnissen stets der kürzeste.

Das hat nun nicht viel zu sagen, solange die Tschechoslowakei sich gegenüber dem Reich friedlich verhält. Noch weniger Bedeutung [542] käme der Sache zu, wenn die mit dem Anschlußgedanken nicht in Widerspruch stehenden, eigentlich nur seine Fortbildung bedeutenden "mitteleuropäischen" Gedankengänge, wie sie bei der Tagung am 1. März 1930 in Breslau entwickelt worden sind, zu greifbaren Erfolgen führen sollten. Aber im Fall weniger friedlicher Beziehungen zur Tschechoslowakei könnte diese Verkehrsabschnürung doch für die großdeutsche Wirtschaft unangenehm werden.

Nach diesen Erwägungen können wir nun dazu übergehen, die Beziehungen zwischen Anschluß und Verkehr im einzelnen zu besprechen. Dabei müssen wir uns vor Augen halten, daß einerseits der Vollzug des Anschlusses auf den Verkehr einwirken, daß aber anderseits auch der Verkehr den Erfolg des Anschlusses sehr stark beeinflussen wird. Es handelt sich also um eine Wechselwirkung.

Die Wirkungen des Anschlusses auf den Verkehr lassen sich in der Hauptsache folgendermaßen kennzeichnen:

Wie jede Vergrößerung eines Wirtschaftsgebietes, so wird auch der Anschluß eine beträchtliche Steigerung des gesamten Verkehrs nach sich ziehen. Der innere Markt für alle großdeutschen Erzeugnisse wird vergrößert, deren Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Einfuhr hebt sich. Die Kaufkraft der Bevölkerung steigt und mit ihr der Verbrauch an Gütern. Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit steigert die Ausfuhr an Enderzeugnissen. Die Einfuhr an fremden Rohstoffen wird noch mehr steigen, da sie den Bedarf sowohl für den erhöhten eigenen Verbrauch als auch für die gesteigerte Ausfuhr decken muß. Die Erweiterung des Wirtschaftsgebietes nötigt die großgewerbliche Erzeugung zu Arbeitsteilung und Spezialisierung, die Landwirtschaft zu Intensivierung. Beides muß zu einer Verlängerung der von den Gütern zurückgelegten Gesamtwege, also auch zu gesteigertem Güterverkehr, führen.

Im allgemeinen steigt der Personenverkehr gleichlaufend mit dem Güterverkehr. Ebenso wird fortschreitende Rationalisierung, Arbeitsteilung und Spezialisierung den Personenverkehr verstärken. Zu einer Quelle bedeutender Verkehrssteigerung wird aber die Erschließung derjenigen Landesteile Österreichs für den Fremdenverkehr werden, die heute außerhalb Österreichs noch völlig unbekannt und doch als Reiseziele höchst geeignet sind.

Der Wegfall der heutigen Zoll-, Wirtschafts- und Verkehrsgrenzen bringt Ersparnisse an Arbeit, Zeit und Geld für alle Verkehrsanstalten. Deren innere Wirtschaft gewinnt ferner durch Ver- [543] einfachung des Dienstes, Erleichterung des Ausgleiches von Spitzenleistungen, Verbilligung der Beschaffung der Bau- und Betriebsstoffe, der Erhaltung der Betriebsmittel und der Personalwirtschaft. Ein sehr großer Vorteil erwächst daraus, daß die großdeutschen Verkehrsanstalten, z. B. die Eisenbahnen, den gleichartigen ausländischen Anstalten gegenüber vereint, eine viel stärkere Stellung innehaben werden, als jetzt getrennt.

Der Anschluß wird aber auch noch einige mittelbare Wirkungen auf den künftigen großdeutschen Verkehr ausüben.

Das Deutsche Reich gewinnt dadurch neue Grenzen mit Italien, Südslawien und Ungarn. Sein Verkehr mit diesen Ländern verwandelt sich aus einem internationalen in einen Nachbarverkehr. Alle einschlägigen Verkehrsbeziehungen, in denen jetzt die Schweiz, Österreich und die Tschechoslowakei als Zwischenglieder wirken, werden durch deren Wegfall vereinfacht. Die Tschechoslowakei und die Schweiz werden sich bemühen müssen, den Verkehrsbedürfnissen der großdeutschen Wirtschaft aufs äußerste entgegenzukommen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, den Anteil am großdeutschen Verkehr zu verlieren, der ihnen nach den gegebenen verkehrsgeographischen Verhältnissen zufallen kann.

Und nun können wir uns der Besprechung des Einflusses zuwenden, den eine zielbewußte großdeutsche Verkehrspolitik auf die Entwicklung der Anschlußfrage nehmen kann und nehmen muß. Um die Unwiderstehlichkeit des Zwanges recht zu verstehen, den die gegebenen Verhältnisse in dieser Richtung üben, empfiehlt es sich, einen flüchtigen Blick auf die Wirtschaftsgeschichte der letzten hundert Jahre zu werfen. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war zerfallen. Ein paar Dutzend deutsche Staaten standen völlig unabhängig nebeneinander. Die größte Sorge der Machthaber galt der Aufrechterhaltung dieser Unabhängigkeit; daher stellten sie sich aufs feindlichste allen Bestrebungen entgegen, die auf eine deutsche staatliche Einheitlichkeit hinausliefen. Der Mann, der, seiner Zeit weit vorauseilend, die unabweislichen Bedürfnisse der deutschen Wirtschaft klar erkannte und tatkräftig verfocht, Friedrich List, war Gegenstand gehässigen Mißtrauens und endete enttäuscht und zu Tode gehetzt durch Selbstmord.

Aber alle Feindschaft der Regierenden gegen die deutschen Einheitsbestrebungen und alle ihre Rücksichtslosigkeit in der Verfolgung der eigenen kleinstaatlichen Ziele mußten zurücktreten gegen- [544] über den Naturnotwendigkeiten. Die geschworenen Feinde des großdeutschen Gedankens mußten großdeutsche Wirtschaftspolitik treiben. Freilich dauerte es ein halbes Jahrhundert, bis aus den ersten kleinen Anfängen der Zollverein entstand, aber er entstand, und aus ihm das Deutsche Reich von 1871. In den einzelnen deutschen Staaten trat seit 1848 die allgemeine deutsche Wechselordnung, seit 1861 das allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch in Kraft. Daneben trug eine großdeutsche Verkehrspolitik reiche Früchte. 1850 verwandelten der deutsch-österreichische Postverein und der deutsch-österreichische Telegraphenverein das Gebiet von 16 gesonderten Verwaltungen in ein so gut wie einheitlich verwaltetes Post- und Telegraphengebiet. 1846 gründeten 10 preußische Eisenbahnverwaltungen einen Verband, der sich unverzüglich zum "Verein Deutscher Eisenbahnverwaltungen" ausweitete. Er hat in rastloser, über jedes Lob erhabener Arbeit das gesamte Eisenbahnnetz Deutschlands, Österreich-Ungarns, der Niederlande und Rumäniens zu einem verkehrstechnisch einheitlichen Gebiet gemacht. Trotz seiner rein privatrechtlichen Gestalt hat er alle Grundlagen geschaffen, auf denen das Eisenbahnverkehrsrecht der mitteleuropäischen Staaten, ja auch das internationale ("Berner") Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtenverkehr aufgebaut sind. Und so mächtig war der Leitgedanke dieser großdeutschen Verkehrspolitik, daß er sogar den Zerfall des Deutschen Bundes überlebte. Handels- und Wechselrecht, Post-, Telegraphen- und Eisenbahneinheit haben die politische Trennung Österreichs von Großdeutschland überdauert.

Ein Rückschlag kam erst unmittelbar nach dem Weltkrieg. Bis zu dessen Beginn war die wirtschaftliche Entwicklung Österreich-Ungarns mit der des Reiches völlig parallel verlaufen, wenn auch nicht in so glänzendem Schrittmaß. Die Zertrümmerung der Donaumonarchie brachte in die Wirtschaft Österreichs eine solche Verwirrung, daß der bisherige Parallelismus zerstört wurde. Aber ehe noch die daraus sich ergebende verschieden gerichtete Entwicklung ernsten Schaden stiften konnte, besann man sich beiderseits und lenkte in die alten Wege ein. Die Angleichung des Eisenbahnverkehrsrechtes, die innige Zusammenarbeit des Reiches und Österreichs bei der Schaffung des neuen Fernkabelnetzes, das Wiedererstarken des durch den Krieg gefährdeten Vereines Deutscher Eisenbahnverwaltungen, die Arbeitsgemeinschaft im Luftverkehr sind schöne Früchte dieser Bemühungen.

[545] Nun liegen klar die Schlüsse vor uns, die wir aus all dem für die großdeutsche Verkehrspolitik zu ziehen haben.

Das Reich und Österreich müssen sich darüber verständigen, im Rahmen einer wirtschaftspolitischen Interessengemeinschaft großdeutsche Verkehrspolitik zu treiben. Stets und überall müssen sie sich nach außen hin gegenseitig unterstützen; nie darf ein Teil dem anderen einen Vorteil mit fremder Hilfe abringen. Nach innen hin muß diese Interessengemeinschaft dadurch zum Ausdruck kommen, daß jeder Wettbewerb untereinander aufhört. Hand in Hand damit muß zielbewußte Angleichung aller technischen und Verwaltungseinrichtungen gehen. Insbesondere ist auch völlige Übereinstimmung im Tarifwesen, in förmlicher und sachlicher Beziehung anzustreben und langsam herbeizuführen. Die Verkehrsmittel des Reiches und Österreichs müssen auch ihren Benutzern wie einheitliche Unternehmungen erscheinen.

Das ist schon jetzt als Vorbereitungsarbeit für den Anschluß nötig; denn es wird sehr wesentlich dazu beitragen, die Erzeugungsbedingungen innerhalb der großdeutschen Wirtschaft bis auf so geringe Unterschiede anzugleichen, wie sie auch innerhalb eines einheitlichen Wirtschaftsgebietes noch erträglich sind. Daß eine solche Angleichung praktisch schon vor der Durchführung des politischen Anschlusses möglich ist, beweist z. B. die Geschichte der reichsdeutschen Eisenbahnen, die bis vor wenig Jahren in gliedstaatlicher Verwaltung standen und doch gegenüber den Benutzern wie ein großes einheitliches Netz auftraten. Somit ist zur Erreichung des angestrebten Zweckes zunächst eine völlige Verschmelzung der beiderseitigen Verkehrsmittel nicht nötig; möglich allerdings wäre sie wohl trotz der "Friedensverträge".

Im einzelnen wäre noch bezüglich der verschiedenen Arten der Verkehrsmittel folgendes zu sagen:

Post, Telegraph und Fernsprecher sind in der Angleichung und Annäherung so weit gediehen, daß fast nur mehr eine Angleichung der Gebührensätze fehlt. Sie ist bei der verschiedenen Kaufkraft der Währungen und bei der Verschiedenheit der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht sofort möglich; gerade darum aber muß man schon jetzt diesem Ziel vorsichtig zustreben. Sie wird gleichlaufend mit den übrigen Maßnahmen zur Angleichung der Erzeugungsbedingungen (Steuerwesen, Sozialgesetzgebung, Aktienrecht usw.) durchführbar sein.

[546] Im Eisenbahnwesen ist vollkommene Angleichung aller technischen und Verwaltungseinrichtungen so weit zu treiben, als es gegebene zwingende Verhältnisse (Klima, Bodengestalt, Besiedlungsdichte usw.) gestatten. Im Tarifwesen ist völlige formale Übereinstimmung herbeizuführen, der dann auch die Gleichstellung der Gebühren in jenem Schrittmaß zu folgen hat, das von der Angleichung der gesamten wirtschaftlichen Lebensbedingungen angegeben wird. Die großdeutschen Bahnen haben alle Transporte auf dem wirtschaftlichsten Weg zu fahren und die daraus erfließenden Gesamtersparnisse gerecht zu teilen. Sie müssen sich gegenseitig unterstützen, wo es gilt, Verkehre von fremden Bahnen für die eigenen zu gewinnen, z. B. vom Weg Salzburg–Buchs–Basel für den Weg Salzburg–Kehl. Sie müssen ferner das möglichste tun, um den österreichischen Überseeverkehr für deutsche Seehäfen zu gewinnen.

Eine Frage besonderer Wichtigkeit ist die der Binnenschiffahrt, für die zunächst nur die Donau in Betracht kommt. Heute ist die Donau, der einzige Schiffahrtsweg in Österreich, fast nur als Verbindung Wiens mit dem Osten anzusehen; die Donau ist von Wien stromaufwärts für Großverkehr wenig geeignet. Großdeutsche Verkehrspolitik zwingt dazu, die Donau zu einem Großschiffahrtsweg auch zwischen Wien und dem Reich zu machen.

Wir haben gesehen, daß der Hauptteil von Österreich mit dem industriell so hochentwickelten Nordwesten des Reiches nur durch drei Eisenbahnübergänge zwischen Passau und Salzburg verbunden ist und daß ihn die zwischengelagerte Tschechoslowakei verkehrstechnisch vom Norden und Osten des Reiches scheidet. Es ist von höchster Wichtigkeit, diese Abtrennung dadurch zu mildern, daß Österreich mit dem Reich durch ein Verkehrsmittel verbunden wird, dessen Billigkeit den Umweg wenigstens teilweise auszugleichen vermag. Ein solches Verkehrsmittel ist eine Binnenwasserstraße, in unserem Fall nur die Donau. Soll diese aber wirklich ein wirksames Werkzeug für den Großverkehr werden, so ist zweierlei nötig: erstens ihr Ausbau von Wien stromaufwärts bis nach Bayern, und zweitens ihre Verbindung mit dem nordwestdeutschen Wasserstraßennetz und durch dieses mit dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet. Diese Verbindung wird der Rhein-Main-Donau-Kanal herstellen.

Für den Anschluß ist die Fertigstellung dieses Kanals und der Ausbau der Donau von Kelheim bis Wien unerläßlich. Dabei sollte für letztere ebenso wie es für den Rhein-Donau-Kanal geschehen ist, [547] das 1500-t-Schiff angenommen werden. Der Ausbau der österreichischen Strecke übersteigt Österreichs Finanzkraft; er wird nur als gemeinschaftliche Aufgabe lösbar sein.

Im Luftfahrtwesen ist nichts erforderlich als die zielbewußte Fortführung der bisherigen Verkehrspolitik.

Sie ist so sehr vom Geist der Interessengemeinschaft geleitet, daß beide Regierungen im Sommer 1930 gemeinsam ausgearbeitete Luftverkehrsverordnungen erlassen haben, die am 1. Oktober 1930 in Kraft getreten sind. Beide Verordnungen stimmen sachlich und wörtlich vollkommen überein, soweit nicht gewisse noch bestehende Verschiedenheiten der allgemeinen Gesetze, der verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Verhältnisse Abweichungen nötig gemacht haben.

Im Straßenwesen ist durch das neue österreichische Straßengesetz der ärgste Stein des Anstoßes beseitigt: die Verschiedenheit der Fahrtrichtung auf reichsdeutschen (rechts) und österreichischen Straßen (links); soeben wird der Übergang vom Links- auf das Rechtsfahren vollzogen.


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Die Anschlußfrage
in ihrer kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bedeutung

Friedrich F. G. Kleinwaechter & Heinz von Paller