Bd. 8: Die Organisationen der Kriegführung,
Dritter Teil:
Die Organisationen für das geistige Leben im
Heere
[389]
Kapitel 8: Aufgaben und
Arbeiten
des Kunstschutzes im Weltkriege
Paul Clemen
1. Einleitung.
Die Worte "Kunstschutz im Kriege" und "Kriegsdenkmalpflege" sind sprachlich
neue Prägungen, die nicht über das Jahr 1914 zurückdatieren,
und auch die Begriffe sind in dieser Fassung und dieser Ausdeutung etwas Neues.
Wenn im Gefolge früherer kriegerischer Aktionen irgendwo
Gelehrtenexpeditionen ausgerüstet wurden, so hatten sie den Zweck, das
eben besetzte fremde Land zugunsten der Heimat zu durchdringen und zu
durchforschen, und die Museumsagenten und beamteten Kunstfreunde, die etwa
den Armeen des großen Napoleon beigegeben waren, hatten ganz
gewiß nicht die Aufgabe, für das eroberte und besiegte Land zu
sorgen; ihr Auftrag lautete vielmehr dahin, dies zugunsten des siegenden Landes
auszuplündern. Man darf ohne Überhebung am Eingang dieser
Darlegung betonen, daß in diesem Weltkrieg zum erstenmal konsequent der
Versuch unternommen worden ist, auf feindlichem Boden für die Erhaltung
der Denkmäler und Kunstschätze einer fremden Kultur zugunsten
dieser fremden Kultur sich einzusetzen. Das Neue dieser ganzen Bestrebungen hat
es mit sich gebracht, daß dieses Unternehmen ein vielfach unvollkommenes
sein mußte, daß es oft bei dem Versuch bleiben mußte.
Während für alle möglichen Zweige der Verwaltung in den
besetzten Gebieten von langer Hand vorgedacht war, war die Frage einer
Kunstpflege in den Vorarbeiten für die Mobilmachung außer acht
gelassen worden. Die zur Ausübung des Kunstschutzes berufenen
Persönlichkeiten standen unvorbereitet der Fülle der schwierigen
Aufgaben gegenüber; das ließ vor allem die Vertreter der
militärischen Interessen zunächst vielfach mit Zurückhaltung,
gelegentlich auch mit Mißtrauen auf eine ihnen unbekannte und für
sie scheinbar störende Betätigung sehen.
Die öffentliche Erörterung über Zerstörung und Schutz
der Kunstdenkmäler in Feindesland setzte nach dem doppelten
Unglück von Löwen und Reims in der ganzen Welt ein. Es galt
damals gegenüber den ins Unmögliche gehenden
Übertreibungen und gegen die vom Haß diktierten Entstellungen und
Erfindungen den Tatbestand möglichst einwandfrei und klar festzustellen,
und die Vergiftung der öffentlichen Meinung durch falsche Zeugnisse trieb
Deutschland ganz von selbst in eine Abwehrstellung, die an sich mit dieser Arbeit
nichts zu tun hatte.
[390] Unmittelbar nach dem
Krieg ist dann im Frühjahr 1919 auf Grund des amtlichen Materials von
den Vertretern der deutschen und österreichischen Denkmalpflege, die
während des Krieges im Heeresdienst oder im Auftrage der heimischen
Regierungen an den Fronten auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen mit
der Aufgabe eines Schutzes und einer Beaufsichtigung der Kunstdenkmäler
betraut waren, ein zweibändiges Werk veröffentlicht worden, das
unter dem Namen Kunstschutz im Kriege allgemeine Erörterungen
über die Möglichkeiten und die Begrenzung einer Pflege der
Denkmäler und der Kunstwerke im Kriege brachte, pragmatisch
Rechenschaft ablegte und Berichte über die Organisation, über die
Absichten der Heeresleitung, eine Darstellung des Zustandes der Kunstwerke im
Kriegsgebiet, eine Schilderung der Maßnahmen zur Sicherung, Erhaltung
und Erforschung bot. Die hier vereinigten unabhängigen 22
Denkmalfreunde aus den Ländern der deutschen Zunge und der deutschen
Kultur wollten in diesen Aufsätzen, die unter der ausdrücklichen
Verantwortung der einzelnen Verfasser geschrieben sind, Zeugnis ablegen von
dem strengen Ernst und von der Gewissenhaftigkeit, mit der die
militärischen Behörden noch zwischen den Schlachten die Aufgaben
einer friedlichen Kultur ergriffen haben. Der Text mußte damals, in einer
Zeit, die noch in solchem Maße mit Erregung und Haß erfüllt
war, vielfach einen apologetischen Charakter tragen. Es mußte hier manches
gesagt und unterstrichen werden, was heute auszuführen nicht mehr
notwendig erscheint. Bei der größeren Distanz zu den Ergebnissen ist
für manchen die Skepsis gewachsen. Wir sehen heute auch über
Versäumtes klarer, wie wir in der eigenen Kriegführung nur
allzusehr für die gemachten technischen und taktischen Fehler einen
scharfen und bösen Blick bekommen haben. Eine Darstellung dieser ganzen
Bestrebungen im Rahmen einer Veröffentlichung, die einen
dokumentarischen Wert haben soll, darf heute auf diese Verteidigungsstellung
von einst verzichten und an jenes Wort von Carlyle denken: "Tatsachen
übertreffen alles Denken - neben ihnen sind Worte ein bloßes
Stammeln und Stottern."
Die ausgleichende Gerechtigkeit, die wir in jener Veröffentlichung von
1919 angerufen hatten, ist uns noch immer nicht zuteil geworden. Wir sind bereit,
bei dem Rückzug der Russen im Jahre 1915 und bei der systematischen
Zerstörung des deutschen Landes ostwärts von der Weichsel den
Grundsatz der militärischen Notwendigkeit bei den Handlungen unserer
Gegner anzuerkennen, wollen uns das Verantwortungsgefühl ihrer
Anführer vergegenwärtigen, für die bei jedem Abschnitt die
Aufgabe vorlag, sich vom Feind zu lösen, und die das nur
ermöglichen zu können glaubten, indem sie ihm das
Nachdrängen auf jede Weise erschwerten. Wir erkennen an, daß die
Orte, die im südlichen Elsaß die französische Artillerie
zerstört hat, eben auch unter solchem eisernen militärischen
Muß zerstört worden sind. Aber wir verlangen und fordern diese
gleiche Anerkennung und Gerechtigkeit für uns und für die seitens
der deutschen [391] Heeresleitung nach
sorgfältiger und gewissenhaftester Prüfung der militärischen
Notwendigkeit angeordneten und verursachten Zerstörungen. Wir haben als
die ersten die in vielem vorbildlichen systematischen Bergungsarbeiten an den
italienischen Kunstwerken, die klug ausgedachten, fast raffinierten
Schutzmaßregeln anerkannt, die die italienische Regierung den
gefährdet geglaubten italienischen Kunstschätzen gegenüber in
solchem Umfange hat eintreten lassen. Wir haben die umsichtige und
gewissenhafte Bergungsarbeit hinter der Front verfolgt, die bei den Franzosen
freilich erst sehr spät, aber dann höchst umfassend eingesetzt hat.
Wir müssen voller Anerkennung konstatieren, wie selbst die
Rumänen bei ihrem Vorgehen nach Siebenbürgen sich sofort der
Kunstschätze fürsorglich angenommen haben. Aber wir
müssen die gleiche Anerkennung für uns und unsere
Verbündeten verlangen, die gleiche gerechte Wertung unserer sachlichen
pflichtgemäßen Arbeit, unserer Bemühungen um die
Denkmäler wie um die Sicherung der Kunstschätze auf fremdem
Boden, unserer Maßnahmen zum Schutz, zur Erforschung, zur
Veröffentlichung.
Der Krieg ist auf dem feindlichen Boden geführt und beendet worden, so
liegen auch dort die Schlachtfelder, auf denen beide Teile gerungen haben, so
liegen die Stätten der Zerstörung, an der beide kriegführenden
Parteien gleichmäßigen Anteil haben, auf gegnerischem Boden, und
der Gegner ist es, den dieser Verlust schwer hat treffen müssen, der
darüber zu klagen hat. Hätte es die Vorsehung anders gefügt,
so lägen diese Kampfplätze auf deutschem Boden, zögen sich
dieselben Zonen von durch den Krieg verursachten Zerstörungen durch
Deutschland, und Deutschland würde in genau derselben Weise das
leidende, das klagende, das anklagende sein, wie es tatsächlich in
Ostpreußen gelitten hat. Und sind nicht in Galizien, in der Bukowina weite
Gebiete der alten österreichisch-ungarischen Monarchie durch die Russen
verwüstet - ist nicht durch die Italiener Görz in
Trümmer geschossen, das Isonzogebiet in eine Einöde
verwandelt -, sind nicht selbst auf neutralem Boden in Persien durch die
Russen, auf dem Balkan durch die Franzosen, ehrwürdige Denkmäler
der Kunst oder des Kultus zerstört oder ausgeraubt worden? Freilich, in
diesen Fällen, wo nur Deutschland und seine Verbündeten oder
Neutrale die Betroffenen waren, hat sich das Gewissen der Welt nicht weiter
beunruhigt. [Scriptorium merkt an: auch 20 Jahre später
nicht.] Der ganze weltgeschichtliche Irrtum in all den
damals ergangenen Anklagen war: die Kriegführung oder einer der
Kriegführenden ward
angeklagt - und es dürfte doch nur der Krieg selbst angeklagt
werden. Nun ist dieser Krieg in seinen Kampfmitteln und in seinen Folgen ein so
entsetzlicher geworden durch die rücksichtslose Einführung der
vernichtenden Luftangriffe, durch die tausendfache Erhöhung und
Steigerung des Artilleriefeuers, durch die unerhörte Zusammenziehung
unübersehbarer Truppenmassen auf unmöglich engem Raum, die
durch ihr bloßes Expansionsbestreben alles um sich zerstören
mußten, daß, wie die Verluste an kostbaren Menschenleben ins
Ungeheuerliche gesteigert sind gegenüber allen früheren [392] Kriegen zusammen,
auch die Zerstörung des Landes eine ungleich fürchterlichere werden
mußte. Haben denn lang andauernde Kriege nicht immer in der Geschichte
die Vernichtung von Werken von Menschenhand ganz automatisch nach sich
gezogen? Und wenn man den Krieg auch nur als eine historische
Möglichkeit zugibt, ist je ein Krieg, der nicht nur wie eine Flamme
über ein Land hinzuckte, gewesen, der nicht mit Menschenleben auch
Menschenwerk zerstörte? Perioden geflissentlicher, gewissermaßen
programmatischer Zerstörungen kannte die europäische Geschichte
der neuen Zeit nur zwei: Die eine ist die des Bildersturms in den Niederlanden in
den Jahren 1566 - 1568, der eine große unerhört reiche
Kunstperiode fast ausgelöscht hat, die andere die der großen
französischen Revolution, für die damals (von dem Bischof Gregoire
von Blois im Konvent im Jahre 1794) das Wort von dem Vandalisme,
aber dem Vandalisme jacobin geprägt wurde. Der
Dreißigjährige Krieg hat in Deutschland auf einem geschlossenen
Gebiet nicht so radikale Zerstörungen gebracht, wie die Pfalz sie 1678 im
dritten Eroberungskriege Ludwigs XIV. zu erleiden hatte, in dem
Mélac, der schon in Holland furchtbar gehaust, das blühende Land
systematisch verheerte. Und schließlich ist noch größer als das
Schicksal der belgischen Städte im 16. Jahrhundert das
Unglück, das 1695 Brüssel traf. Die Franzosen verhängten
damals unter Villeroi jenes Bombardement über die unschuldige Stadt, das
bis auf die St. Gudule und das Rathaus die ganze mittelalterliche City
zerstörte.
Der Historiker der Kriegsgeschichtsschreibung hätte heute festzustellen,
daß mehr als bei anderen Themen bei der Schilderung der
Kriegshandlungen seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts sich mit
stereotyper Treue die Berichte von namenlosen Greueln wiederholen, seit den
desastros de la guerra, in denen Goyas aufgepeitschte Phantasie sich
erschöpft hatte, über die Schilderung der
französisch-algerischen Expedition von
Ault-Dumesnil, der indisch-englischen Kämpfe durch Kaye und Malleson,
des Krimkrieges durch Bogdanovitch, des
Russisch-Türkischen Krieges durch Kuropatkin, bis zu den letzten
Orient- und Balkankriegen, den spanischen und italienischen Kämpfen in
Nordafrika. Was zuerst als Klage gegen die Franzosen erhoben und erfunden
wurde, wird dann gegen die Engländer, die Russen, die Türken, die
Italiener vorgebracht. Es gibt eine Reihe von Legenden, die immer wieder
auftauchen als Fälle von Kriegshysterie, wie es psychologisch und
physiologisch Krankheitsformen gibt, die nur in Verbindung mit dem Krieg
auftreten und möglich erscheinen - Legenden, die in den ersten
aufgeregten Berichten erscheinen, für die in einer dem Kriminalisten nur
allzu bekannten Psychose Zeugen und Zeugnisse beigebracht werden, die schon
der Chronist, noch mehr der nachdenkliche Geschichtsforscher
zurückweist, eben weil er die Klischees kennt. Auf die von der
einen Partei vorgebrachten Anschuldigungen wegen Verübung von Greueln
und völkerrechtswidrigen Handlungen antwortet die andere Partei mit den
gleichen Klagen, [393] dem gleichen Material,
den gleichen Details. Es ist nicht gesagt, daß das Recht auf der Seite des am
lautesten Protestierenden ist. Nach dem Balkankriege
1912 - 1913 hat die Carnegiekommission festgestellt, daß
gerade die am heftigsten angefeindeten bulgarischen Truppen sich als die relativ
einwandfreiesten erwiesen hatten.
Der Krieg hat nicht nur die wilden Urinstinkte der Menschheit aufgeweckt, die
vier Jahre unablässiger Kriegführung haben sie entwickelt und
gepflegt bei allen Parteien. 25 Millionen Menschen standen auf
den Schlachtfeldern einander in Waffen und Haß
gegenüber - und wieviel Individuen mit Neigung zu Roheitsakten, zu
Eigentumsverbrechen muß man nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf
jede Million ansetzen - bei allen Kriegführenden. Bei
allen Kriegführenden hatte sich in der Heimat die
Kriminalität verringert, weil von den Männern zwischen 20 bis 45
Jahren die kräftigsten, die kühnsten, die waghalsigsten draußen
waren, und es ist nicht schwer, nach der Kriminalstatistik aller beteiligten
Länder sich vorzustellen, wieviel zweifelhafte Elemente dabei rechnerisch
auf die Front- und Etappentruppen kommen mußten. Dem Zwang dieser
Verhältnisrechnung wird sich niemand und wird sich keine Seite der
Kriegführenden entziehen wollen und entziehen dürfen. Es wird aber
auch niemand irgendwelche Vergehen und Verfehlungen, mögen sie
begangen sein von wem sie wollen, in Schutz nehmen können, niemand ist
da, der diese verteidigen, beschönigen möchte. Seit dem letzten
Kriegsfrühling 1918 hatten sich auf der Seite der Mittelmächte in
manchen Verbänden, zumal in den Etappen, die Bande gefahrdrohend zu
lockern begonnen. Pflichtbewußtsein und moralisches Gefühl waren
mitunter abgestumpft. Der dumpfe Druck der Kriegsjahre hat auch manche
sittliche Persönlichkeit zerbrochen, und seit die
Rückwärtsbewegung im letzten Kriegssommer einsetzte, wurde
wieder an einzelnen Stellen dieser Defekt offenbar. Die Vorboten des moralischen
und des sozialen Zusammenbruchs warfen ihre Schatten voraus. Es war eine
dreifach schwere Aufgabe in dieser Welt der Zermürbung und
Ermattung - Ermattung in jeder Beziehung - noch die Aufgaben
eines Kunstschutzes durchzuführen.
Vieles, was durch Jahre geschont geblieben ist, ist zuletzt bei der ungeheuren
Konzentration der Truppen, dem raschen Stellungswechsel und dem dadurch
bedingten fortgesetzten Quartierwechsel bei der am Schluß einsetzenden
Verwirrung langsam zugrunde gegangen. Manche der Schlösser an der
Westfront haben dreißig-, andere mehr als fünfzigmal die Belegung
gewechselt. Wenn in einem Raum, der leidlich 30 Menschen faßt,
plötzlich 300 zusammengedrängt werden, wenn todmüde
Truppen nach langen Märschen, oder Kampftruppen, die aus der Front
kommen, hier zusammengepreßt werden, wird die Ausstattung der
Räume scheinbar automatisch in den Boden und in die Wände
hineingedrückt. Zweimal rückten die deutschen Truppen durch ein
verwüstetes und ausgeleertes Land vor, wobei sie für jedes Quartier,
jede Baracke, jedes [394] Lazarett das Mobiliar
mitbringen mußten. Für 1000 Feld- und Kriegslazarette und
Erholungsheime und für die Unterkunft und die Unterstände von vier
Millionen mußte durch vier Kriegsjahre die Ausstattung beschafft und
erneuert werden. Es ist schwer festzustellen, ob hier die Grenze des
Nötigen eingehalten worden ist, ob hier schwere Verfehlungen
vorliegen.
Mit allem Ernst, allem Nachdruck und aller Feierlichkeit muß auch noch
einmal an dieser Stelle, wie in allen deutschen früheren
Veröffentlichungen über dieses Thema, konstatiert werden:
daß bei den Zerstörungen der Ortschaften und der Verwüstung
der Landschaft innerhalb der eigentlichen Kampfzone, zumal auf den
großen Schlachtfeldern der flandrischen Kämpfe, der
Sommeschlacht, der Kämpfe in der Champagne und um Verdun durch die
schwere und leichte Artillerie sich für jeden logisch denkenden Menschen
die Urheberschaft zunächst gleichmäßig auf die beiden Gegner
verteilt. In den letzten Monaten haben die Alliierten ihre artilleristische
Überlegenheit mit der größten Munitionsverschwendung in der
rücksichtslosesten Weise ausgenutzt. Nur der einfachen logischen
Konsequenz, daß von den Zerstörungen auf den Kampfplätzen
durch die um ein Vielfaches überlegene feindliche Artillerie notwendig
auch ein Vielfaches auf den Gegner kommen muß, der auf dieses Resultat ja
doch stolz sein kann, haben sich Deutschlands Feinde konsequent zu entziehen
gesucht. Wenn die Franzosen im eigenen Land eine ihrer großen
denkmälerreichen Städte wie Reims, das 1870 noch eine offene Stadt
war, seitdem erst - und ohne einen Widerspruch in Frankreich oder in der
internationalen Kunstwelt zu finden - zur Festung umgewandelt worden ist,
nun zum Stützpunkt der Front und darüber hinaus zum Ausfallstor
für die große Champagne-Frühjahrsschlacht von 1917
machten, so hatten sie uns damit gezwungen, diese Stadt zu beschießen und
den Gegner aus ihr zu verdrängen zu versuchen, genau so, wie dies in dem
nördlichen Teil der Front dem von den Engländern gehaltenen Ypern
gegenüber galt. Aber umgekehrt hat die englische und französische
Artillerie ihrerseits keine Bedenken getragen, unter der gleichen
militärischen Notwendigkeit mit voller Kaltblütigkeit und wohl
wissend, was sie damit tat, die Stadt St. Quentin, auf die von deutscher
Seite nicht eine Granate gefallen war, zu beschießen und sie
völlig zu zermürben und zu vernichten, und auf Noyon war bis zum
letzten August 1918 auch nicht eine einzige Granate von deutscher Seite gefallen.
Die Stadt ist einem konzentrierten zumal auf dem Zentrum der Stadt liegenden
französischen Feuer aus allen Kalibern zum Opfer gefallen. Wir erkennen
ruhig den Heroismus an, der in solchem kühlen Rechnen, in solchem
bewußten Aufopfern ganzer Städte zum Zwecke des
militärischen Endsieges liegt. Es braucht hier nicht noch einmal gesagt zu
werden, daß die Masse der durch unsere Feinde dem Boden
gleichgemachten Ortschaften, der zerschossenen Kirchen und Schlösser so
gewaltig ist, daß sie der Zahl der durch unsere Kriegshandlungen
vernichteten Orte längst schon die Wage hält. Unsere Gegner haben
[395] auch nicht einen
Augenblick gezögert, wenn es die militärische Notwendigkeit
verlangte, ganze Städte und Dörfer zu zerstören. Dem
Heldentum, das in diesem bewußten Vorgehen liegt, das die eigene Heimat
und ihre kostbarsten Schätze dem militärischen Zweck zum Opfer
bringt, dem Maß an Hingebung, das bei unseren Gegnern zu solchem
Entschluß gehört hat, wird man sich gewiß beugen: warum aber
die Tat und Bedeutung eines solchen Opfers verkleinern, indem man die
Handlung nun nachträglich auf das Konto des Gegners zu setzen sucht?1 In einer großen Rede vor der
französischen Kammer im November 1922 hat endlich Poincaré auf
das Maß der Zerstörungen der französischen Ortschaften durch
die Artillerie der Verbündeten ausdrücklich hingewiesen. Dies
Eingeständnis von etwas an sich Selbstverständlichem ist von
entscheidender Wichtigkeit für die ganze Frage der inneren Verpflichtung
zum Wiederaufbau.
Die Oberste Heeresleitung hat den Bestrebungen für den Kunstschutz und
der Fürsorge für die historischen Denkmäler in der Kriegszone
wie in dem besetzten Gebiet ein weitgehendes Wohlwollen entgegengebracht und
hat allen Anträgen und Wünschen gegenüber tunlichstes
Entgegenkommen bewiesen. Daß sie zu einer Zeit, wo es sich um
Deutschlands Sein und Nichtsein handelte, nicht mehr hierfür tun konnte,
wird niemand ihr zum Vorwurf machen können. Als es sich um den
Rückzug auf die Siegfriedstellung handelte, und um das Schicksal des
Schlosses Coucy, hat die höchste militärische Instanz der Obersten
Heeresleitung persönlich eine letzte Besichtigung des Schlosses
vorgenommen, um noch einmal die Vorstellungen der Denkmalpfleger an Ort und
Stelle zu prüfen. Bei den Führern der Armeen im Westen wie im
Osten und Süden und den Generalgouverneuren von Belgien und Warschau
fanden die Versuche und Anregungen des Kunstschutzes und die Arbeiten der
Denkmälerforschung die weitestgehende Unterstützung in weiser
Würdigung der Wichtigkeit und Bedeutung dieser Bestrebungen. Das
Maß des Verständnisses, des Entgegenkommens der weiteren
militärischen Stellen, zumal bei den unteren Behörden, war
naturgemäß verschieden. Man muß ruhig zugestehen, daß
es Behörden gab, die weder Verständnis für die ideelle und
politische Bedeutung dieser Imponderabilien, noch für den Wert der
Kunstdenkmäler an sich in ihren Bereichen und für die ihnen hierbei
obliegenden Verpflichtungen besaßen. Es ist auch begreiflich, daß
von Stellen, die aus der Enge eines beschränkten Abschnittes unter
ungünstigen äußeren Verhältnissen urteilen
mußten, die selbst im Kampf mit vielfachem Unverständnis gelitten
hatten, falsche generelle Schlüsse gezogen werden konnten. Wenn man die
Kriegsgeschichte nur wie die deutsche Politik im letzten Menschenalter als eine
Geschichte der verpaßten Gelegenheiten auffassen will, wird man mit
einiger Resignation konstatieren müssen, daß vor allem die
zusammenfassende Organisation des Kunstschutzes der beweglichen [396] Kunstwerke an der
Westfront zu spät eingesetzt hat, daß zu spät den einzelnen
Armeen in der Gestalt geeigneter Sachverständiger förmliche
Kunstoffiziere beigegeben worden sind, und daß nicht schon bei dem ersten
Vorrücken der Armeen sachverständige Berater bei den großen
Stäben mit einer dienstlichen Funktion ausgestattet vorhanden waren, die
im voraus, vor den Angriffen, vor der Besetzung, vor den Operationen auf die
Bedeutung der ganz großen Baudenkmäler und Kunstschätze,
auf die Notwendigkeit, wenigstens nach Mitteln zu suchen, sie sofort zu
schützen, hinweisen konnten. Voll Dankbarkeit und mit gebührender
Ehrfurcht muß endlich an dieser Stelle bekannt werden, welch
persönliches Interesse der Oberste Kriegsherr an all diesen Arbeiten und
Unternehmungen genommen hat, wie er seinen Traditionen getreu auch im Felde
sich immer für den Schutz und die Freihaltung der großen
Monumente eingesetzt hat, wie er ganz persönlich sowohl vor Reims wie
vor Ypern wieder bei wichtigen Schloßbauten wie Coucy, Pinon, Marchais
und Thugny die Schonung durchzusetzen versucht hat, solange es die
militärischen Möglichkeiten
gestatteten - wie auch die Aufnahme der Kunstdenkmäler in Belgien,
auf dem Balkan und auf den asiatischen Kriegsschauplätzen sich immer
seiner ganz besonderen Fürsorge erfreuen durften. In seinem
Erinnerungsbuche hat sich der Kaiser selbst ganz ausdrücklich zu der
Initiative auf diesem Gebiet des Schutzes der Kunstdenkmäler bekannt.2
Schon in den ersten Kriegsmonaten hatte es sich erwiesen, daß die
internationalen Abkommen und die Bestimmungen des Völkerrechts, vor
allem das Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des
Landkrieges vom 18. Oktober 1907, in keiner Weise ausreichten. Die in den
Paragraphen vorgesehenen Vorkehrungen bei Belagerung und Beschießung,
um die dem Gottesdienst, der Kunst, der Wissenschaft und der
Wohltätigkeit gewidmeten Gebäude soviel wie möglich zu
schonen, die dem Belagerten auferlegte Pflicht, sie mit einem deutlichen
besonderen Zeichen zu versehen und dieses dem Belagerer vorher
bekanntzugeben, erwiesen sich praktisch als ganz undurchführbar. Die
Voraussetzung, daß sie nicht gleichzeitig zu einem militärischen
Zweck Verwendung fanden, konnte in den seltensten Fällen aufrecht
gehalten werden. Seit jener Wortlaut im Jahre 1899 zuerst fixiert wurde, hat die
moderne Kriegführung völlig neue, damals noch nicht zu
übersehende Bedingungen geschaffen. Das Schießen aus ungeheuren
Entfernungen, der ganze Flugkrieg war noch nicht berücksichtigt. Gerade
die Angriffe wegen der Beschießung von Reims, die gegen die deutsche
Heeresleitung erhoben wurden, die öffentlichen Erörterungen, die
sich daran geknüpft haben, haben die Unzulänglichkeit dieser
Bestimmungen gezeigt und es dringend erwünscht scheinen lassen, nach
Mitteln zu suchen, um doch wenigstens die wichtigsten Denkmäler in
irgendeiner Weise zu schützen. Verhandlungen, die hierüber schon
während des Winters 1915 seitens der
Ver- [397] treter der deutschen
und österreichischen Denkmalpflege mit neutralen Denkmalfreunden
gepflogen waren, führten dazu, daß die Möglichkeit einer
neutralen Vereinbarung beraten ward, der auch die Staaten der Entente beitreten
sollten. Dieser Versuch stieß aber auf unvermeidliche Schwierigkeiten, vor
allem auf die Unmöglichkeit einer Verständigung mit der Entente, da
alle geistigen Führer dort in der Klarheit ihres Blickes geblendet schienen.
So wurde zunächst im kleineren Kreise am 18. August 1915 unter dem
Protektorat und der Mitwirkung des Generalgouverneurs in Belgien und unter der
Leitung von Adolf von Oechelhaeuser, dem bewährten Vorsitzenden
des Tages für Denkmalpflege, eine Kriegstagung für Denkmalpflege
nach Brüssel berufen, an der außer den Vertretern der deutschen
Bundesstaaten, Österreich-Ungarns und der Schweiz auch höhere
Offiziere teilnahmen, mit denen in langen Sitzungen über die
Möglichkeit eines intensiveren Schutzes wenigstens der hervorragendsten
nationalen Baudenkmäler beraten wurde. Aber weder die von Cornelius
Gurlitt (Dresden) vorgeschlagene Kennzeichnung durch ein internationales
weithin sichtbares Kennzeichen, noch die von Ferdinand Vetter (Bern) in
Vorschlag gebrachte Gründung eines goldenen Kreuzes für die
Denkmäler, nach dem Beispiel des Roten Kreuzes, noch endlich das
Programm für ein völkerrechtliches Abkommen, das Ernst Zitelmann
(Bonn) vorlegte, mit den Entwürfen für ein internationales Bureau
für Denkmalschutz im Kriege, das in Bern ständig tätig sein
sollte, erwiesen sich praktisch als durchführbar. Man konnte wohl erwarten,
daß die angerufene neutrale Hilfe und Vermittlung von den Neutralen
gewährt werden würde, man konnte aber nicht erwarten, daß
sich die kriegführenden Mächte der bedingten Aufsicht und
Kontrolle der Neutralen unterwerfen würden. Die Möglichkeiten
bleiben immerhin übrig, daß man einige ganz wenige hervorragende
Monumente herausheben würde, die durch Vereinbarung unter dem
gemeinsamen Schutz stehen würden. Durch Funkspruch oder durch
neutrale Vermittlung konnte theoretisch eine Verständigung erreicht
werden, solche hervorragende Denkmäler in keiner Weise zu
militärischen Zwecken zu verwenden; aber die Erfahrungen dieses Krieges
haben gezeigt, daß das militärische Interesse selbst bei dem guten
Willen zu solchen Vereinbarungen überwiegt. Die Franzosen haben das
deutsche Anerbieten, französische Wiederherstellungsarbeiten an der Kathedrale von Reims gegen entsprechende Garantien zu gestatten, abgelehnt. In
dem Endkampfe, wo es sich um Sein oder Nichtsein einer ganzen Nation und um
die Zukunft von Europa handelte, haben diese Rücksichten
regelmäßig versagt.
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