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Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung, Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des Heeres

[198] Kapitel 3: Die Etappe
Oberstleutnant Karl Schroeder

1. Einleitung.

"Die Etappe", ein viel umstrittenes Gebiet, für das in weiten Kreisen während des Krieges und nach demselben mehr Tadel wie Lob zu hören war, dessen Erwähnung bei vielen auch heute noch ein gelindes Gruseln verursacht oder sogar wildes Schimpfen hervorruft. Die absolute Verständnislosigkeit der Heimat und das unvollständige Verständnis der Fronttruppen für Wesen und Wirken der Etappe, schon zu Anfang des Krieges vorhanden, haben sich trotz großartiger Leistungen der Etappe nicht ausrotten lassen. Das hat unendlich geschadet; es wurde zunächst den Männern in der Etappe sehr schwer, die für ihren aufreibenden Dienst notwendige Freudigkeit sich gegenüber dauernder Nichtachtung, vielfach sogar gegen Verleumdung zu bewahren; es wurde aber auch das unbedingt notwendige Zusammenarbeiten von Front und Etappe erschwert und dadurch der Front geschadet. Das falsche Urteil der Heimat war meist gegründet auf die Erzählungen von Soldaten, die in raschem Zuge das Etappengebiet durcheilten und kaum Zeit zum genauen Beobachten und zu gerechter Beurteilung fanden, oder die nie in der Etappe waren und, nur gedankenlos anderen nachplappernd, jeden Mangel, den sie einmal leiden mußten, der Schlechtigkeit der Etappe zuschrieben, oder vielleicht ihre eigenen Fehler durch Erzählung von Etappenschandtaten zu verdecken suchten.

Unkenntnis und falsche Beobachtung, unbedachtes Nachschwatzen und absichtliche Verleumdung haben den wenig günstigen Ruf der Etappe geschaffen. Schon zu Beginn war die Fronttruppe schlecht auf die Etappe zu sprechen. Da bei dem beispiellos raschen Vormarsch unmöglich alle Bedürfnisse schnell genug dem Heere nachgeschafft werden konnten, kam der Kämpfer, dem Munition oder gar Genußmittel fehlten, leicht auf den Gedanken, "die hinten haben das alles im Überfluß, aber sie schaffen nichts zu uns vor," ohne zu ahnen, wie die Männer hinter der Front arbeiten mußten, um nur das Nötigste vorzubringen, und wie streng darauf gehalten wurde, daß nichts für die Truppe Bestimmtes in der Etappe hängen blieb.

Für die in der Front herrschenden Anschauungen zwei Beweisstücke aus dem Anfang und dem Ende des Krieges:

[199] Im September 1914 trat ein junger Frontleutnant um 9 Uhr morgens in einen Saal in Sedan, in dem ein großer Teil der Offiziere und Schreiber der Etappeninspektion 4 arbeitete, um eine Bitte an den Chef vorzubringen. "Na, hier in der Etappe schläft wohl alles noch ruhig," sagt der junge Krieger scherzend zu der Ordonnanz, die ihm den Weg zeigt, und war sehr erstaunt, als der Generalstabsmajor, der dies zufällig hörte, ihm klarmachte, daß weder er noch einer seiner Mitarbeiter diese oder eine der vorhergehenden Nächte zum Schlafen gekommen seien, sondern nur auf einer Matratze im Bureau in den etwas ruhigen Mittagstunden einen Augenblick ausruhen konnten. Der Leutnant hatte wirklich geglaubt, in der Etappe brauchte niemand vor 9 Uhr morgens aufzustehen.

Als im April 1918 bei dem siegreichen Vorstoß der 6. Armee nach Armentières die Truppen sich an den langentbehrten Genüssen gütlich taten, die in ihre Hände fielen, wurden viele über den augenblicklichen Bedarf hinausreichende Vorräte verschleudert. Auf den Vorhalt eines Offiziers entgegnete ein wackerer Streiter: "Das schadet nichts; was wir nicht fressen, kriegt doch nur die Etappe!" Der arme Teufel begriff auch da noch nicht, daß die Etappe alle Beute lediglich für die Front sammelte, und daß er nur sich und seine Frontkameraden schädigte, wenn er die erbeuteten Lebens- und Genußmittel lieber verderben ließ, als sie der Etappe zu belassen.

Am meisten wurde aber auf die Etappe geschimpft, wenn nicht jede Anforderung sofort erfüllt wurde. Und was wurde alles von der Etappe angefordert und in welchen ungeheuren Mengen!

Nicht selten kam es vor, daß bei einer Etappeninspektion von irgendeiner Ware mehr angefordert wurde, als in ganz Deutschland überhaupt vorhanden war. Wurde es deshalb nicht geliefert, dann war die Etappe schuld; oder vermochte die Eisenbahn aus irgendeinem Grunde (Truppenverschiebungen, Bahnzerstörungen) das rechtzeitige Heranschaffen des Nachschubs nicht zu bewirken, so daß das von der Etappe längst in pflichtmäßiger Voraussicht Bestellte nicht eintraf, so war wiederum schuld - die Etappe.

Bedeutend erschwert wurde die Tätigkeit der Etappenbehörden aber auch durch manche an sich unwesentlich erscheinende Nachlässigkeit der anfordernden Truppen. Sehr viele Wünsche kamen unter "Eilt" im letzten Augenblick, die bei rechtzeitiger Anmeldung leichter und besser hätten erledigt werden können. Häufig wurden auch Sachen unter Betonung äußerster Dringlichkeit angefordert: "Die Truppe ist nicht gefechtsfähig, wenn sie dies und das nicht in drei Tagen hat!" Und wenn dann mit Aufgebot aller Kraft unter Hintansetzen anderer wichtiger Arbeiten die "dringenden Bedürfnisse" wirklich in drei Tagen bereitstanden, wurden sie - gar nicht abgeholt. Und schließlich sei noch eine belanglos erscheinende Kleinigkeit erwähnt, die aber viel unnütze Arbeit veranlaßte und schließlich in ihrer hundertfachen Wiederholung beson- [200] deres Personal zur Bearbeitung verlangte. Alle möglichen Anforderungen der verschiedensten Art kamen von der Truppe auf einem Zettel und mußten zur Erledigung durch besondere Schreiber nach den Verwaltungsstellen getrennt werden. Jedermann weiß, daß er im großen Warenhause nicht Heringe, Kinderstrümpfe und Photographenapparate in derselben Abteilung bekommt; aber daß bei einer Etappeninspektion, die für die Bedürfnisse von Hunderttausenden zu sorgen hat, nicht ein und dieselbe Stelle Munition, Verpflegung, Baumaterial und Bekleidung liefern kann, das ist bis zum Schluß manchem Fronttruppenführer nicht klar geworden.

Wie wenig selbst höhere Führer der Fronttruppen über die Anforderungen orientiert waren, die an die Arbeitskraft der Etappenangehörigen gestellt wurden, geht aus dem klassischen Zeugnis hervor, das ein Divisionskommandeur einem Offizier ausstellte, in dem es etwa hieß: "Er ist so nervös, daß er ohne Beaufsichtigung durch andere keinerlei Dienst tun kann. Dürfte nur zum Dienst in der Etappe geeignet sein!"

Sogar bei den höheren und höchsten Kommandostellen, Armee-Oberkommando und Oberste Heeresleitung, hätte manchmal das Verständnis für die Sorgen der Etappe und die Berücksichtigung ihrer Forderungen gegenüber denen der Fronttruppen größer sein dürfen. "Die Anforderungen der Front gehen denen der Etappe unter allen Umständen vor," das war der Grundsatz; und das ist so selbstverständlich, daß man es einem deutschen Soldaten gar nicht erst zu sagen braucht. Aber wenn man nach diesem Grundsatz der Etappeninspektion alle Kolonnen nahm, um sie einem nicht ganz vollständig ausgerüsteten Armeekorps zu geben, und die Etappe dann nicht imstande war, den Nachschub für jenes Korps richtig vorzuschaffen, wer litt dann, die Front oder die Etappe? "Die Anforderungen der Front gehen denen der Etappe unter allen Umständen vor," aber die Etappe forderte doch lediglich für die Front an!

Besonders bitter wurde es von den verantwortlichen Stellen des Etappendienstes empfunden, wenn bei der Vorbereitung zu einer großen Offensive die den einzelnen Armeeteilen beim Eisenbahnaufmarsch zustehenden Züge verteilt wurden und für die Etappe so gut wie nichts übrig blieb. Dabei mußte aber doch die Armee weiter ernährt und bekleidet, es mußten für die neu zum Zweck der Offensive der Armee zugeteilten Truppenmassen Verpflegung, Bekleidung, Ausrüstung und Unterkunft beschafft, es mußten für die in der Schlacht zu erwartenden Verwundeten umfangreiche Lazaretteinrichtungen vorbereitet werden. Truppen und Munition, dafür waren Eisenbahnzüge in Menge vorhanden; bei allem anderen hieß es: "Etappe schaffe es - aber Züge zum Transport bekommst du nicht."

Merkwürdigerweise war für die Anforderungen der Heimat stets mehr Verständnis vorhanden. Für Kohlenförderung, U-Bootsbau, Hindenburgprogramm und Eisenbahnwerkstätten wurden für die Heimat rücksichtslos die [201] nötigen Leute aus Front und Etappe herausgeholt, aber daß auch die Etappe Fachleute brauchte, die dort Besseres leisteten als an der Front, das wurde nicht anerkannt. Dauernd mußte die Etappe mit ungenügenden Kräften arbeiten. Selbstverständlich galt es an Menschenmaterial zu sparen; aber die riesig sich steigernden Aufgaben der Etappe verlangten naturgemäß eine Vermehrung des Personals, und diese unbedingte Notwendigkeit konnte durch alles Sträuben nicht aus der Welt geschafft werden. Wie stiefmütterlich die Etappe oft behandelt wurde, geht daraus hervor, daß viele Einrichtungen, die sie geschaffen und für deren Aufstellung sie vergeblich um Bewilligung einiger kümmerlichen Stellen gekämpft hatte, in dem Augenblicke, wo sie unmittelbar den Armee-Oberkommandos unterstellt wurden, groß ausgestattete Etats bekamen.

Wenn so die Front und sogar die hohen Kommandostellen nur geringes Verständnis aufbrachten, so kann es nicht wundernehmen, daß die Heimat sich völlig unorientiert zeigte über alles, was im Etappengebiet vorging. War den meisten Leuten doch sogar gänzlich unklar, was überhaupt zur Etappe gehörte. Besonders häufig konnte (und kann man immer noch) hören, daß die Generalgouvernements mit der Etappe verwechselt oder zu ihr gerechnet werden. Es sei deshalb zunächst kurz erwähnt, daß die Etappeninspektionen einen Bestandteil der Armeen bildeten und den Oberkommandos unterstanden. Sie sorgten für Nachschub und verwalteten einen Teil des feindlichen Landes hinter dem sogenannten Operationsgebiet der Armee, das in unmittelbarer Verwaltung der Fronttruppe (der Generalkommandos) stand. Sie waren also rein militärische Behörden, während die Generalgouvernements, deren es zwei - Belgien und Warschau - gab, militärisch-politische waren, bei denen das zivile Verwaltungselement eine bedeutend größere Rolle spielte. Ihre Gebiete lagen zwischen dem Etappengebiet und der Heimat. Die Militärverwaltung Rumänien war eine durch manche Rechte und Pflichten eines Generalgouvernements über den Rahmen einer solchen hinausgehobene Etappeninspektion.

Vor allem war (und ist heute noch) dem Volke nicht bekannt, wie groß die Arbeit auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet ist, die von der Etappe geleistet wurde. Ganz erstaunt horchen die Leute auf, wenn von Industrie und Landwirtschaft, Forstwesen und Bergbau, Banken und Theatern, Büchereien und Schulen in der Etappe die Rede ist. Als Ende 1914 ein süddeutscher Sozialdemokrat, der eine Zeitlang bei der 4. Armee sich aufhielt, die Etappeneinrichtungen dieser Armee zu sehen bekam, äußerte er voll Bewunderung: hier sehe man, welche Arbeitskraft im deutschen Volke steckt, und mußte zugeben, daß gerade unter militärischer Leitung in der Etappe diese Kraft Großartiges geleistet habe. Und die Hochschulprofessoren, die aus allen Gauen des Vaterlandes zu den Kursen der Etappeninspektion 6 im Jahre 1918 nach Tournai kamen, waren überrascht von der Fülle des im Etappengebiet Geleisteten; [202] wieder und wieder erklärten sie, daß man in der Heimat keine blasse Ahnung habe von der Mannigfaltigkeit und der Schwierigkeit des Etappendienstes, von dem Umfang seiner Arbeit und seinem Nutzen für die Allgemeinheit. Aber diese wenigen Stimmen verhallten in der Heimat ohne Verständnis. Die Etappe blieb unentbehrlich, sie leistete Außerordentliches und war doch stets der unnütze Knecht, dessen Dienste keine Achtung wert sind.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte