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Bd. 6: Die Organisationen der Kriegführung, Erster Teil:
Die für den Kampf unmittelbar arbeitenden Organisationen

  Kapitel 9: Das Kartenwesen   (Forts.)
Oberstleutnant Siegfried Boelcke

4. Die Geländearbeiten.

Der Werdegang der Karte vom ersten Bleistiftsstrich des Zeichners bis zur Verteilung an die nachts von weither an die bedrohte Frontzone vorgeworfene Division wurde soeben geschildert. Ein verzweigtes Räderwerk zeigte sich mit allen seinen Federn und Verzahnungen. Aber manches Rädchen, das auch eingriff und für den stetigen, neuen Antrieb unerläßlich war, muß noch erwähnt werden. Es wurde schon gesagt, daß ohne Geländearbeiten im Stellungskriege die Leerblätter nicht laufend zu halten waren. Zeit für abgekürzte trigonometrische, topographische und Bildarbeiten, ja sogar für geologische Kartierung, fehlte nicht, und so traten denn unmittelbar hinter, z. T. in den vordersten Zonen alle Fachleute in Tätigkeit, die auch im Frieden bei Landesaufnahme und geologischer Landesanstalt wirken. Sie arbeiteten ähnlich wie dort, aber doch mehr auf einen Zweck hin, mehr Hand in Hand, neben- und durcheinander, gelöster von starren, ehrwürdig verstaubten Satzungen, hie und da mit neuen Mitteln und vor allen Dingen viel rascher. Trotzdem genügten die Leistungen vielfach selbst Friedensansprüchen voll, und das beweist, daß es auch so ging, und zwar ausgezeichnet.

Der Trigonometer hatte die Aufgabe, eine etwa vorhandene Landesvermessung (Belgien, Frankreich, Galizien, Rußland) aufzusuchen, in das Gitternetz hereinzuziehen und darauf ein recht enges Festpunktnetz aufzubauen. Wo eine Landesvermessung fehlte, wie z. B. in Mazedonien und Palästina, war ganz und gar frisch anzufangen. Überall entstanden kleine und große Holzgerüste zum Anzielen mit dem Theodolit und oft auch zur Erhöhung des Beobachterstandpunktes. Im flachen Rußland sind viele "Dreiböcke" aufgerichtet worden, die beiden Zwecken dienten und in einer Höhe bis zu 45 m über die flachen Hügel, den Wald und die Krümmung der Erdkruste hinweg die Sichten zu den Nachbarpunkten erschlossen. In der Feuerzone kamen hie und da Festpunktsbestimmungen nach senkrecht abgefeuerten Raketen vor, die gleichzeitig von mehreren Stellen aus angeschnitten wurden. Grundlinien mit dem vorzüglichen und einfachen Invardrahte wurden gemessen, Straßen, Bahnlinien, Kanalränder zum Zwecke genauer Höhenbestimmung eingewogen und unübersichtliche Waldgebiete mit dem neuen Streckenmeß-Theodolit erschlossen. Für die Artillerie erlangte die Bestimmung des magnetischen Richtungswinkels Bedeutung, weil manchmal nur die Magnetnadel zum Abstecken der Richtungen übrig blieb, sobald nämlich andere Anschlüsse fehlten. Es ist erstaunlich, daß [465] nicht einmal für Frankreich und Rußland zuverlässige Angaben über das örtliche Schwingen der Magnetnadel zur Verfügung standen. Jedenfalls mußten erst im Kriege durch zahllose Einzelmessungen die Kurven gleicher Nadelablenkung gefunden werden. Auf jedes Kartenblatt ist dann am Rande der Winkel aufgedruckt worden, den die Nadel zum Gitternetze bildete. Ohne diese Angabe, die wegen der jährlichen Änderung noch mit einer Zeitangabe versehen werden mußte, ist auch künftig keine Kriegskarte großen Maßstabes vollständig. Bei trigonometrischen Neu- oder Nachmessungen wird man es hoffentlich nirgends mehr unterlassen, den magnetischen Richtungswinkel mit abzulesen.

Die grundlegende Punktbestimmung bedurfte einer hohen Genauigkeit, weil die im Laufe der Jahre immer tiefer werdenden Dreiecksnetze festen Halt haben und der schwersten Artillerie für das Richten der weittragenden Geschütze zuverlässige Richtungswinkel gegeben werden mußten. Berücksichtigt man ferner die Widersprüche zwischen den Vermessungsnetzen der verschiedenen Staaten, die zu entwirren waren, dann werden die hohen wissenschaftlichen Anforderungen verständlich, die an die leitenden Trigonometer herantraten.

Der Topograph hatte gleichfalls im Felde trotz Luftbild und Beutekarte eine wichtige Rolle; denn es blieb noch genug aufzunehmen übrig und für das Aufzeichnen genauer Schichtlinien, wie bereits ausgeführt, leider nur selten Zeit. Der hohe Bedarf an Gerät nötigte dazu, alle greifbaren Kippregeln, Schnellmesser, Stocktische usw. zu verwenden. Der Raschheit und Feldmäßigkeit der Arbeit kam das zugute; denn nun war die Alleinherrschaft der Kippregel gebrochen und ein frischer Zug in die leicht eintönig werdende Aufnahmearbeit hineingetragen. Höhen sind aushilfsweise mit dem Wetterglase, Richtungen mit der Bussole festgestellt worden. Große Gebiete erkundeten die Topographen nur, indem sie nach der alten Urkarte die Wege begingen und alle Unstimmigkeiten, die dabei auffielen, eintrugen. Alles in allem war es eine anregende, vielseitige und biegsame Beschäftigung.

Ein weites und dankbares Gebiet eröffneten die Kriegsschauplätze für die in Deutschland früher stiefmütterlich behandelte Raumbildmessung. Im Frieden ist ihr das schroffe Gebirge vorbehalten, im Kriege war sie dort am Platz, wo unsere Stellungen die des Gegners überhöhten und Einblick hinter seine Linien erschlossen. Dann ersetzte nämlich das meßbare Lichtbild die fehlende Möglichkeit, im Gelände selbst zu vermessen oder abzuschreiten. Aus den vordersten Kampfgräben feindwärts war nur eine Punktbestimmung möglich, denn die Aufstellungsorte der Meßkammer, auf denen das Bildpaar erzeugt wurde, ergaben in ihrer Bedingtheit infolge der Feindesnähe nur ganz bestimmte Blickrichtungen, fast nie einen breiten Überblick. Aber auch schon die auf Meter genaue Ausmessung einzelner hervorstechender Erdflecke, Bäume, Haustrümmer usw. drüben beim Feinde war wichtig. Solche Merkpunkte dienten [466] der Artillerie zum Richten und Einschieben und den Bildauswertern zum Einpassen der Luftbilder.

Die aus dem Frieden stammenden Raumbildkammern waren in den Kampfgräben unverwendbar. Sie hätten ganz und gar über die Brustwehr geragt und den Aufnehmenden genötigt, den Oberkörper frei zu zeigen. Aus den Kriegsbedürfnissen heraus entstand daher eine Aufrechtkammer, bei der nur ein kleiner, unauffälliger Kopf mit Linse über die Deckung schaute und der Beobachter sowie alle umfangreichen Bild- und Meßvorrichtungen im Schutze des Grabens lagen. Als Nebenwirkung wurde noch eine starke Verlängerung der Brennweite erreicht, die deutlichere Bilder schuf.

Aber auch Gebirgsaufnahmen mit dem altgewohnten Gerät kamen vor, nämlich in dem kartographisch noch jungfräulichen Mazedonien, wo sich die deutsch-bulgarischen Kampfzonen über die wildesten Gebirgsstöcke dahinzogen. Die österreichische Karte jener Gebiete war auf alte, fremde Aufnahmen gegründet und unbrauchbar. Es sind Kartenfehler von 8 km in der Wagerechten und 1000 m nach der Höhe festgestellt worden. Dort hat die Raumbildmessung sich erneut in ihrem eigentlichen Wesen bewährt. Eine ganze Reihe von Kammern, bedient durch ausgewählte Raumbildner, war jahrelang im Betriebe. Die Platten wanderten zum Zeißwerk, später nach Berlin und wurden auf dem sinnreich konstruierten Schichtlinienzeichner von anderen, mit den mazedonischen Gebirgsverhältnissen vertrauten Beamten ausgewertet. Die entstehenden Zeichnungen konnten nicht lückenlos sein; denn die Rückseiten solcher Bergketten, hinter die der Feind die Erdsicht verwehrte, war auf raumbildlichem Wege nicht darstellbar, aber die Auswertung gab auf alle Fälle der Karte ein Rückgrat, an dem die Luftbilder Anlehnung fanden. Die Raumbilder feindlicher Zonen wurden außerdem auch zu den bereits erwähnten Rundbildern verarbeitet.

Auf und über der Erde wurde gelichtbildnert, gemessen und gezeichnet, und vielgestaltige Karten mit ergänzenden Bildern der Erdoberfläche entstanden. Damit aber nicht genug: Auch in die Tiefe drangen rastlose Forscher. Der Geologe, dessen taktische Bedeutung kein Lied, kein Heldenbuch bisher gemeldet, wurde in den Gräben und Stollen des Weltkrieges der Truppe zum segensreichen Helfer. Zuerst konnte er bei dem Fehlen aller Unterlagen für seine Gutachten nur von Fall zu Fall nach bestem Wissen beraten. Allmählich erwarb er sich dann aber vertieften Einblick in den Aufbau und die Eigenart der Erdschichten seines Gebietes, und schließlich legte er seine Wahrnehmungen in Kartenform nieder. Die Kartenblätter 1 : 25 000 mit Schichtlinien boten dafür die Grundlage; oft entsprechen die wechselnden Bodenarten dem Auf und Ab von Berg und Tal. Die fertigen Karten ersparten den Geologen viele Wege und Einzelgutachten, denn nun konnten sie Anfragen ohne örtlichen Augenschein beantworten, und - was noch mehr wert war - die Truppe selbst fand sich häufig ganz allein nach der geologischen Karte zurecht. Ihr ging das [467] Verständnis für die Eigenarten des Bodens auf, der ihr Obdach und Schutz lieh. Aus der bunten Reihe dieser Karten seien nur die Übersichts-, Grundwasser-, Minier-, Wasserversorgungs- und Rohstoffblätter erwähnt, um zu zeigen, wie sich taktische und kriegswirtschaftliche Fragen in Kartenform zusammenfassen ließen. Daß die Blätter reichlich mit Erläuterungen und Querschnitten auf Rändern und Rückseiten versehen wurden, um sie dem Laien leserlich zu gestalten, ergab sich aus ihrem Zwecke. Durch die Millionen geologischer Karten ist ein Strom reicher Belehrung in breite Volkskreise geleitet worden, der die früher in sich abgeschlossene Wissenschaft zum geistigen Besitze vieler machte.


5. Die Vermessungstruppen und ihre Leistungen.

Alle diese vielen Zweige des Kartenwesens waren innerhalb jeder Armee in einer oder mehreren Vermessungsabteilungen zusammengesetzt. Bei nur einer Abteilung im Armeeverbande war der Führer gleichzeitig Berater des Armeechefs in Kartendingen; waren es mehrere Abteilungen, dann hatte ein besonderer Stabsoffizier diese Rolle inne. Auf alle Fälle mußten die Armeekarten in sich einheitlich und an den Grenzen den Blättern der Nachbararmeen angepaßt sein. Nur von einer Zentralstelle aus war das zu erreichen.

Als Beispiel der Gliederung und Arbeitsweise an der Front sei der Fall gesetzt, daß zur X. Armee zwei Vermessungsabteilungen gehörten. Die eine versorgte die rechte, die andere die linke Hälfte der Armee zu je zwei Gruppen (Armeekorps) Nr. I - IV. Aus den geeignetsten Fachleuten beider Abteilungen hatte sich der Stabsoffizier die Armeearbeitsgruppen (Kartographen, Lichtbildner, Bildauswerter, Trigonometer, Topographen und Geologen) sowie die Armeekartendruckerei und -ausgabe gebildet. Mit ihnen bearbeitete er vor allem das Leerblätter-Kartenwerk des Armeegebietes. Dies und die aus Berlin eintreffenden Kriegskarten kleinen Maßstabes gab er an die vier Gruppenkartenstellen aus.

Sie bildeten sinngemäß, allerdings in geringerer Stärke, die Mittelpunkte der Kartenarbeit bei den Korps. Gruppenkartenstelle Nr. I und IV wurden von den beiden Hauptleuten, den Abteilungsführern, Nr. II und III von älteren Offizieren oder Beamten geleitet. Dort vollzog sich der Eindruck der fortschreitenden Lage in die Leerblätter. Die Bildauswerter bei den Gruppen entnahmen den Luftbildnern das taktische, überließen dagegen ihren Arbeitsgenossen beim Armeeoberkommando die Berichtigung des Leerblattinhaltes. Man erkennt den Grundsatz, das für die Kampftruppe Wertvolle vorn zu bearbeiten, das für sie im Augenblicke minder Wichtige in rückwärtiger Zone. Von den Gruppenkartenstellen waren die Divisionskartenstellen abhängig, die einige Bildauswerter, Artillerietrigonometer, Batterieplankleber, Zeichner, Drucker und nach Bedarf Geologen umfaßten. Leiter waren Offiziere oder [468] Beamte. Nicht alle hier erwähnten Leute befanden sich ständig vereinigt, sondern sie waren auch auf die Truppen verteilt, wie der Dienst es gerade verlangte. Für das Eindrucken der rohen, skizzenhaften taktischen Linien in die Leerblätter waren leichte Handpressen da. In ruhigen Zeiten konnten meist die Lagen- usw. Karten der Gruppenkartenstelle benutzt werden.

Eine solche geschmeidige und jedem Bedarfe angepaßte Gliederung bürgte dafür, daß die Kartenarbeit nicht an dem schlimmsten aller Kriegsübel krankte, dem "Zu spät". Freilich hatte sie den scheinbaren Nachteil, daß die Untergebenen - besonders als die Kraftwagenfahrten aufhören mußten - schwer zu beaufsichtigen waren. In Wirklichkeit war das ein Vorteil. Alle waren mit Lust und Liebe bei der Sache, und ein Mißbrauch der Selbständigkeit ist kaum vorgekommen.

Nach oben hin verengte sich die Gliederung des Kriegsvermessungswesens derart, daß für große Fronten immer ein Kommandeur der Vermessungstruppen, in Anlehnung an ein Heeresgruppenkommando, beaufsichtigend, helfend und ratend wirkte. Es gab deren drei (West-, Ost-, Südost-Front). Ihr technischer Vorgesetzter war der Chef des Kriegsvermessungswesens, der mit einem Stabe von drei Offizieren und einigen Mannschaften die Richtlinien für die Kartenarbeit des Feldheeres gab, für Ersatz an Personal und Gerät sorgte und die Verbindung mit den obersten Kommandobehörden und den technischen Dienststellen daheim und bei den Bundesgenossen aufrechterhielt.

Wenn in knappen Worten dargestellt werden soll, was die Vermessungstruppen geleistet haben, so ist es dies: An allen Kampffronten fanden Soldaten und Stäbe deutliche und für ihre Zwecke ausreichende Karten, Pläne und Einmessungen vor. Es war ihnen leicht gemacht, sich die erforderlichen Blätter und etwaige ergänzende Auskünfte zu verschaffen. Selbst bei überraschendem Wechsel der Kriegslage war vorausschauend wenigstens für die allernotwendigsten Karten gesorgt. Sonderwünschen auf Eindruck taktischer, technischer, wirtschaftlicher usw. Einzelheiten konnte dank der hohen Leistungsfähigkeit der Felddruckereien rasch und leicht entsprochen werden. Auch Vorschriften, Befehle und ähnliches vervielfältigten sie. Die Geologen gaben Aufschluß über die Eigentümlichkeit des Bodens und stellten sie faßlich dar. So waren die Vermessungsabteilungen Bearbeiter und Berater in allen Fragen der Geländegestaltung, Bodenbedeckung und -beschaffenheit - und auch in Druckereiangelegenheiten - für das Feldheer.

Die bis Kriegsende geschaffenen Kartenwerke der Kampf- und Aufmarschräume erscheinen bei vergleichendem Überblicke ein wenig bunt zusammengewürfelt. Sie erinnern in ihrer Gesamtheit an das schöne Bild des Dichters vom Teppich, dessen wirre und gegenwendige Teile sich nur vom Kenner als lebendig-einheitliches Wesen enträtseln lassen. Denn eins will stets beachtet werden: der Zweck jeder einzelnen Karte im Rahmen der großen Kriegs- [469] handlung. Er ist der Schlüssel für das Verständnis des Kartenwesens im Weltkriege.

An der Westfront waren die Kartenwerke am zahlreichsten und vollendetsten. Die Blätter 1 : 25 000 verkörperten an Genauigkeit und Deutlichkeit das Höchstmaß des im Kriege Erreichbaren. In einem bis zu 50 und mehr Kilometer breiten Streifen schlang sich das Band des von ihnen wiedergegebenen Gebietes vom Kanal bis zur Schweizer Grenze. Der Nordteil dieses Bandes war ganz, der bei Diedenhofen beginnende Südteil überwiegend neu bearbeitet worden. Zwar lagen für den Südteil die elsaß-lothringischen Meßtischblätter der preußischen Landesaufnahme vor; aber die Kampfzone griff doch recht weit nach Frankreich hinüber, und überdies stellten sich die deutschen Vogesenkarten als unzureichend heraus. Sie waren anfangs der 70er Jahre übereilt aufgenommen worden und genügten den neuen Ansprüchen nicht mehr.

Zwei Mängel freilich hafteten den Kriegsblättern an: die Schichtlinien, an denen genaue Höhenwerte abgelesen werden sollten, stimmten bisweilen nicht recht, und der Gitternetze waren zu viele. Beides erklärte sich, wie erörtert, aus den Zusammenhängen und ließ sich beim besten Willen nicht ändern. Englische und wie es nun einmal bei Deutschen so geht, mehr noch einheimische Beurteiler haben sich herb hierüber ausgesprochen. Die beliebte Schuldfrage soll hier nicht aufgerollt werden. Wo gibts im Kriege ganz Vollkommenes?

Von der engeren Kampfzone waren durch Vergrößerung Blätter 1 : 10 000 gewonnen worden, die das Grabengewirr, die Trichter, Unterstände, Hindernisse usw. verdeutlichten. Hin und wieder gab es sogar Ausschnitte 1 : 5000.

Wenn Bewegung in den starren Grabenkrieg kam, brauchte man den Überblick über größere Gebiete; auch für den Nachschub war das wichtig. Aus diesem Bedürfnisse heraus entstand die Karte 1 : 50 000, die man wohl die Generalstabskarte des beweglichen Stellungskampfes nennen kann. Die alte Generalstabskarte 1 : 100 000 war daneben auch noch im Gebrauch. Die schweren Unzuträglichkeiten der verschiedenen Maßstäbe für Deutschland, Belgien und Frankreich, von denen eingangs die Rede war, hatten dazu geführt, daß auf Veranlassung des Kriegsvermessungschefs bei der Kartographischen Abteilung auch für belgisch-französisches Kriegsgebiet Blätter 1 : 100 000 hergestellt wurden. Zusammendrucke von ihnen waren in dem die Grenzen überlagernden Etappengebiete gut am Platze.

Das Eisenbahnnetz beim Feinde verdichtete sich ständig. Die Luftbilder zeigten neue Strecken, Abstellgleise und Bahnhöfe. All das wurde zu einer Eisenbahnkarte kleinen Maßstabes verarbeitet, die in Berlin erschien.

Bei solchen Vorbereitungen, mit den vortrefflichen Geräteausrüstungen und dem sorgsam eingespielten Personal der Vermessungsabteilungen konnte weder der Großkampf in Abwehr oder Angriff noch die Bewegung vorwärts oder zurück ähnliche Verlegenheiten hervorrufen, wie der Kriegsbeginn sie [470] gebracht hatte. Zuerst waren es die Abwehrschlachten, wie die an der Somme und in Flandern, in denen sich das Kriegsvermessungswesen bewährte. Mit dem Dröhnen des Trommelfeuers, das sie einleitete, begann in den Druckereien Hochbetrieb. Fortwährende Verschiebungen der Stellungen und sonstigen taktischen Einzelheiten hatten immer wieder Neudrucke der Karten zur Folge. Frische Divisionen wurden herangeführt; sie mußten schon vor dem Einrücken mit den neuesten Karten ausgestattet werden. Tag und Nacht liefen also die Druckpressen. Für jede waren drei Arbeitsschichten vorgesehen. Betriebsstörungen durften nicht vorkommen. Daher wurden die elektrischen Antriebstellen vermehrt und daneben noch Gasbetrieb eingerichtet. Die Papierbogen mußten vorgetrocknet werden, um sie ohne Falten in die Presse zu bringen. Die Abschleifstellen für die Druckplatten wurden vermehrt. Auch die Batterieplankleber und Bildauswerter arbeiteten mit Anspannung. Von den Nachbararmeen, bisweilen sogar aus Berlin oder Rußland eilten erprobte Fachleute zur Verstärkung herbei. Die anderen Fronten traten zurück hinter dieser einen, die halten mußte. Und so arbeiteten die braven Leute wochen-, ja monatelang mit allen geistigen und Körperkräften, wenig bemerkt in ihren Sälen und Zimmern, und doch unersetzliche Glieder des ringenden Ganzen.

Anders wiederum war die bis ins kleinste durchdachte Vorbereitung eines Großangriffes. Lange bevor im März 1918 das deutsche Heer zu seinem Schlage ausholte, waren die Vermessungstruppen in fieberhafter Tätigkeit, denn drei umfangreiche Aufgaben waren zu lösen. Für den Durchbruch durch das tiefe Abwehrfeld des Feindes brauchten die Truppen Karten mit allen Einzelheiten und viele Batteriepläne. In Anbetracht der Infanterie- und Artilleriemassen, die zum Teil erst in letzter Stunde einrückten, erforderte das eigenartige Arbeiten. Die taktischen Anlagen beim Gegner konnten sich ja noch zu allerletzt ändern; es ging also nicht an, die vielen tausend Kartenpakete schon im Januar oder Februar fertig zu machen. Die Mehrzahl der Batterien ging erst kurz vor der Feuereröffnung in Stellung. Der Batterieplan galt nur für eine bestimmte Feuerstelle. In Ermangelung der Geschütze war sie durch Pfähle gekennzeichnet, die den Ort für den Aufsatz des Nullgeschützes und die Hauptrichtung andeuteten. Es kam nun darauf an, daß die Batterien auch genau auf diese Stellen rückten. Andernfalls konnten Feuerüberfall und Feuerwalze nicht gelingen. Eine schwerwiegende Verantwortung lastete da auf den Artillerietrigonometern - vielfach gewöhnlichen Soldaten -, weil nur sie die fremden Batteriebedienungen einweisen konnten. Dies beides galt lediglich dem ersten, vorbereitenden Teile der großen Kriegshandlung. Auch die Hauptsache, der Vormarsch der geballten Kräfte bis an den Kanal, war ohne Karten undenkbar. Dies konnten nun unmöglich Blätter großen Maßstabes sein, denn dazu waren die Räume zu ausgedehnt. Daher wurde die Karte 1 : 50 000 hierfür ausersehen. Millionen von Blättern sind hergestellt, verpackt und verteilt worden. Für die höheren Stäbe [471] wurden überdies Denkschriften entworfen, die die Eigenart des Landes schilderten, in das der Krieg hineingetragen werden sollte. Das war von größter Bedeutung; denn von der Beschaffenheit der Straßen, der Gangbarkeit der Felder, Wiesen und Wälder, der Zahl und Ergiebigkeit der Brunnen und der Schwierigkeit natürlicher Hindernisse hing vielleicht alles ab. So haben hier die Vermessungstruppen neben den vielen sonstigen Gebieten der Technik und Wissenschaft ein neues bestellt: das der Erdkunde. Als Lehre von der Einwirkung der Oberflächenverhältnisse auf ein groß angelegtes Unternehmen hat sie damals eine wichtige militärische Rolle gespielt.

Flüchtig und aus dem Stegreif mußten die Vermessungsabteilungen wirken, als der letzte, trübste Akt des Weltkrieges, der Rückzug vonstatten ging. Wo sollten plötzlich, in einem Augenblicke, als daheim alle Räder stillstanden, die wegweisenden Karten zurück zum Rhein und weiter nach Osten in die ersten Ruheräume herkommen? Freilich war der Kriegsvermessungschef nach Berlin entsandt, um den Armeen Übersichts- und Generalstabskarten entgegenzuschicken, aber seine Boten kamen in dem Wirrwarr eines niederbrechenden Staates vielfach nicht durch und zu spät. Da haben dann einzelne der wohlgeschulten Offiziere und Beamten der Vermessungstruppen nach eigenem Ermessen eingegriffen und mit den allereinfachsten Mitteln - die Druckmaschinen und das Gerät standen ja verlassen in Feindesland - rasch Brauchbares geschaffen. Skizzen der Marschstraßen und Orte an ihnen wurden roh entworfen, die dazugehörigen taktischen Anordnungen der Führung eingetragen und das Ganze irgendwie vervielfältigt. Das letzte Werk unserer hohen Stäbe, die Zurückführung des Westheeres in die Heimat, ist nicht ihr kleinstes Verdienst ums Vaterland. Daß auch dabei noch das wohlgeschulte Kriegsvermessungswesen helfen konnte, kurz bevor es fast spurlos vom Erdboden verschwand, kennzeichnet den stets bereiten, jeder Formel abholden Geist, in dem es wirkte.

Im Osten kamen für die Kartenbearbeitung nach Breite und Tiefe außerordentliche Räume in Betracht, die mit guten Karten gedeckt werden sollten.

Wenn auch in den Karpathen und in Galizien österreichische Vermessungstruppen neben deutschen tätig waren, fiel doch diesen auch auf österreichisch-ungarischem Boden ein wesentlicher Teil der Arbeit zu. Die vorhandenen Karpathenkarten taugten nichts, die galizischen waren besser, aber doch verbesserungsbedürftig. Dann schloß sich nordwärts das kartographisch jungfräuliche Gebiet bis zum Rigaischen Busen an, das auf deutsche Art neu zu bearbeiten war. Die Vorsorge des Oberbefehlshabers Ost hatte tiefe rückwärtige Widerstandszonen vorbereiten lassen, von denen wenigstens ein Kartengerippe zu schaffen war, so z. B. südlich und nördlich Brest-Litowsk und östlich Warschaus.

Unter solchen Umständen war im Osten die Blütenlese verschiedener Kartenarten, wie sie das Westheer hatte, ein Unding. Genug, wenn die Karte 1 : 25 000 überall fertig und in Ordnung war. Schon das hat jahrelange, zäheste [472] Arbeit gekostet, die der Kommandeur der Vermessungstruppen Ost, Major Brüning, zielbewußt, tatkräftig und sachkundig leitete. Er hatte es niemals während der ganzen Jahre leicht, denn sobald im Westen das Trommelfeuer dröhnte, war stets er es, der abgeben mußte. An Hauptbrennpunkten des Kampfes gab es schließlich auch im Osten einige Blätter 1 : 10 000. Die treffliche Generalstabskarte 1 : 100 000 war lange vor Kriegsende seitens der Kartographischen Abteilung bis weit östlich der Kampfzone fertiggestellt worden. In Galizien und Ungarn gab es die österreichische Karte 1 : 75 000, leider also auch diesmal wieder einen anderen Maßstab als den deutschen und somit etwas Uneinheitliches, das durch Abmachungen in den langen Bündnisjahren der Friedenszeit hätte beseitigt werden müssen.

Neuartige Gesichtspunkte für die Kartenherstellung tauchten auf, als sich für die Mittelmächte die Ukraine erschloß. Dort handelte es sich nicht um Kampf, sondern um wirtschaftliche Ausnutzung. Bahnen, Straßen und Brücken standen also im Vordergrunde. Lediglich Übersichtsblätter waren zu schaffen; aber das ausgedehnte Land und die unsicheren Verbindungen erschwerten selbst diese Arbeit. Lange Zeit war nicht einmal festzustellen, ob die Bahnstrecke x noch befahrbar oder die wichtige Straßenbrücke y nicht verbrannt sei. Die dort eingesetzten Vermessungsabteilungen hatten eine dankbare und anregende Aufgabe.

Die anderen Kriegsschauplätze, Italien, Rumänien, Mazedonien und Palästina, erforderten jedesmal nach der Eigenart der Kampflage und der örtlichen Verhältnisse Sondermaßnahmen. Nur am Beispiele Mazedoniens soll das erläutert werden. Dieser alte Hexenkessel der Balkankämpfe war, wie schon angedeutet, noch nie ordentlich vermessen worden. Nicht nur die unsicheren Verhältnisse, sondern auch die Hochgebirgsnatur des Landes hatten das verhindert. Wie unzuverlässig die alten Karten waren, erhellt daraus, daß ein im Wardartale nachts südwärts strebendes Luftschiff von seinem Führer nach dem Höhenmesser weit über den größten angegebenen Berghöhen gehalten wurde und beim Morgengrauen zum Schrecken der Besatzung dennoch tief unter den das Tal begleitenden Randgebirgen schwebte. Im Gegensatze zum Militärgeographischen Institute in Wien hatten die deutschen Landesaufnahmen sich im Frieden nur wenig mit Hochgebirgsaufnahmen befaßt. Nun trat diese Aufgabe unvermittelt auf. Mit Unterstützung des Zeißwerkes und Aufgebot der besten Raumbildfachleute Deutschlands ist es dann doch in kurzer Zeit gelungen, mit Hilfe von Raumbildern eine gute Schichtenkarte 1 : 25 000 zu erzeugen. Selbstverständlich gingen trigonometrische und topographische Arbeiten neben den raumbildlichen her. Die anfangs ohne jede Anlehnung ganz in sich abgeschlossenen Vermessungen wurden später mit österreichischen Ketten verbunden und haben sich dabei als richtig erwiesen. Hier ist also mit knappen Mitteln in kürzester Frist nicht nur eine militärische, sondern eine Kulturarbeit geleistet worden, an deren Durchführung im Frieden nicht zu denken war.


[473] 6. Rückblick auf das deutsche Kriegsvermessungswesen.

Bei einem Rückblicke über die vielgestaltige Tätigkeit, die der Kartendienst bedingte, schälen sich aus den Einzelheiten große, bestimmende Züge heraus. Sie sind echt deutsch. Nichts bezeichnet treffender deutsche Art als das Trachten, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun. Das gerade war der Wesenskern der Kartenarbeit im Weltkriege. Nirgends traten die Vermessungsabteilungen als geschlossene Truppe hervor. Weit zerstreut, von den vordersten Postenlöchern bis rückwärts ins Etappengebiet, wirkten ihre anspruchslosen Vertreter. Vielfach verkannt und selbst fortgewiesen, ließen sie nicht nach in dem Bestreben mit ihrem Können und Wissen den Kampftruppen, Stäben und allen anderen zu nützen und zu helfen und ihre Erzeugnisse, die Karten, zu verbreiten und zu erläutern. Klar umschrieben ist die Leistung einer Division, die trotz Übermacht, Tanks, Gas und anderer teuflischer Mittel standhält. Was das Kriegsvermessungswesen geschaffen hat, konnte in so hellem Glanze niemals strahlen, denn es bestand aus einer Unsumme zeitlich und räumlich über fast 3½ Kriegsjahre und nahezu alle Kampfgebiete verteilter Einzelleistungen. Viele, z. B. die artilleristischen Einmessungen, verwehten spurlos im Laufe der Gefechtshandlung. Andere, die Karten, Bilder, geologischen Erkundungsberichte, Erfahrungen usw. sind infolge der Auflösung des Heeres und der Ablieferung an die Feinde auf Grund der Friedensbedingungen nur zum kleinsten Teile erhalten geblieben. Könnte man sie aber zusammenfassen, wie die Steinchen eines Mosaiks, es käme ein farbenprächtiges, stolzes Bild heraus.

Das Kriegsvermessungswesen war ferner recht eigentlich ein Kind jener weltumstürzenden Jahre. Die Mischung soldatischen Wesens mit bürgerlich-technischem Können ist ihr Kennzeichen. Darauf beruhte auch das Kartenwesen ganz und gar. Ohne die vorzüglich geschulten Landmesser, Ingenieure, Geologen und wie die Fachleute alle heißen, die neben die wenigen Offiziere und Beamten der Landesaufnahme traten, wäre es nicht denkbar gewesen. Aber eins tat not: Sie mußten umlernen. Das Militärische hatten sie sich nicht nur als äußere Form anzueignen, sondern es mußte ihr ganzes Denken und Trachten durchdringen. Zuschneiden des Erlernten auf den knapp umschriebenen, soldatischen Kriegszweck, so lautete ihr Stichwort. Es hat große Mühe gekostet, diese Geistesrichtung den vielen Tausenden anzuerziehen, und nachher sind denn auch Stimmen laut geworden, die alles lieber viel technischer und weniger militärisch gewünscht hätten. Aber nur wer selbst dabei war und Einblick in das Kriegsgetriebe mit seinen vielfach kleinlichen Begleiterscheinungen gewonnen hat, darf hier mitsprechen. Ein als technisches Landmesserbüro angelegtes Kriegsvermessungswesen wäre jedenfalls im Keime verdorrt.

Erst wenn eine Reihe von Jahren verstrichen ist, wird es zutage liegen, daß dieser Krieg nicht nur zerstört, sondern doch auch manches aufgebaut hat: [474] Nicht tote Werte, denn die hat er mit Gründlichkeit in den Orkus gesandt, wohl aber geistige. Man kann nicht bestreiten, daß, wie überall, auch im Kartenwesen eine Stockung eingetreten war. Immer mehr Einzelheiten, und diese noch dazu übergenau, sollten vermessen, aufgenommen und in die Karte gebracht werden. Darüber war der große Zug, der freie, unbefangene Blick verlorengegangen. Wie ein Sturmwind hat der Krieg mit dem Kleinkram aufgeräumt. Das Kartenwesen mit allen seinen Verzweigungen und die Geologie, früher schwarze Künste weniger, von den Laien scheu angesehener Fachleute, hat er Millionen von Menschen nahegebracht und aller Geheimnisse entkleidet. Und siehe da, es war nichts Außerordentliches dabei. Jeder konnte leicht verstehen, wie eine Karte heranwächst, wie sie zu lesen und zu bewerten ist und wie ein Urteil über den Grund und Boden gewonnen wird.

Nur vorübergehend hat die staatliche Umwälzung in Deutschland das geistige, bahnbrechende Werk des Kriegsvermessungswesens verschütten können. Schon sind wissenschaftliche und technische Kreise am Werke, auf den Leistungen des deutschen Kriegsvermessungswesens weiterzubauen. Nur zwei solcher Gebiete, ein militärisches und ein wirtschaftliches, seien gestreift.

Die artilleristischen Vermessungen hatten im März 1918 wesentlich zum Überraschungserfolge der großen Durchbruchsschlacht beigetragen. Und doch litten sie unter dem Mangel an geeignetem Personal und Gerät und an Verständnis seitens der Artillerie. Künftig wird keine Artillerietruppe als kriegsbereit gelten, die nicht den Einheitstheodolit usw. sicher handhabt. Die Artillerietaktik wird in vielen Fällen darin gipfeln, daß zur Auswahl eine Anzahl von Aufmarschstellen vermessen, die anfangs zurückgehaltene Waffe selbst aber erst in letzter Stunde eingefahren wird. Die Herstellung der leichten Vermessungsgeräte hat seit dem Kriege in Deutschland große Fortschritte gemacht.

Die Luftbildmessung verspricht eine hohe wirtschaftliche Bedeutung zu gewinnen. Im Zeißwerk sind seit dem Kriege Auswertegeräte für Luftmeßbilder gebaut worden, mit denen genaue Schichtenkarten gezeichnet werden. Entlegene, schätzereiche Gebiete können künftig aus der Luft in wenigen Wochen genauer und sicherer vermessen und danach kartographisch dargestellt werden, als es früher mit teuren Expeditionen in Jahren möglich war. Was das und was die Möglichkeit bedeutet, unzugängliche Landstriche zu vermessen, liegt auf der Hand. Hierzu kommt noch, daß die gewonnenen Karten im Wenschowverfahren zu naturgetreuen Reliefs verarbeitet werden können. Dies ist ein stolzer Erfolg deutscher Arbeit.

Die maßgebenden Anregungen aber zu diesen und anderen Fortschritten entstammen der Kriegsvermessung und -kartographie. So wird das Kriegsvermessungswesen, obwohl vernichtet, doch weiterleben.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte