Bd. 6: Die Organisationen der Kriegführung,
Erster Teil:
Die für den Kampf unmittelbar arbeitenden
Organisationen
Kapitel 7: Das
Feldkraftfahrwesen (Forts.)
Hauptmann Walter Sußdorf
5. Der Winter 1916/17.
Der zunehmenden Bedeutung des Kraftfahrzeuges für die
Kriegführung entsprechend, wurde im Winter 1916/17 eine grundlegende
Neuordnung des Feldkraftfahrwesens vorgenommen. Die ursprüngliche
Organisation genügte nicht mehr, hatte sich doch das Kraftfahrwesen
inzwischen weit über seinen ursprünglichen Rahmen hinaus
entwickelt und war es vorauszusehen, daß sich die Ansprüche auf
diesem Gebiete noch erheblich steigern würden. Demgegenüber
waren aber die Hilfsmittel der Heimat immer beschränktere geworden und
eine befriedigende Lösung der bevorstehenden großen Aufgaben
daher nur zu erwarten, wenn alle mit dem Kraftfahrwesen des Feldheeres
zusammenhängenden Fragen bei einer waffentechnischen Zentralstelle
zusammengefaßt wurden. Dieser Stelle mußten auch die in Frage
kommenden Heimatbehörden mit unterstellt werden, wenn volle
Einheitlichkeit im Ausbau der Truppe und in der Bereitstellung des zahlreichen
Geräts gesichert sein sollte. Auf Veranlassung des Chefs des Generalstabes
des Feldheeres wurde daher durch Allerhöchste
Kabinetts-Ordre vom 8. 12. 16 das gesamte militärische
Kraftfahrwesen in Feld und Heimat einem "Chef des Feldkraftfahrwesens" im
Großen Hauptquartier unterstellt und dieser zum obersten
Waffenvorgesetzten für die mobile und immobile Kraftfahrtruppe
bestimmt.
Damit war der Grundstein für den neuen Aufbau gelegt. Aufgabe der neuen
Zentralstelle war es, alle Angelegenheiten des Kraftfahrwesens nach den
Weisungen der Obersten Heeresleitung zu bearbeiten und enge Fühlung mit
den übrigen Waffenchefs und dem Kriegsministerium zu halten. Man
hätte damals noch einen Schritt weitergehen und den Feldkraftfahrchef
anstatt dem Generalquartiermeister gleich dem Chef des Generalstabs des
Feldheeres unmittelbar unterstellen sollen; die Heranziehung der Kraftfahrtruppe
zu operativen Aufgaben (Truppenverschiebungen usw.) sowie die
Entwicklung des Kraftfahrzeugs zum Kampfmittel (Tank), wie sie sich
später ergaben, wären dann wohl von vornherein besser vorbereitet
worden.
Durch die genannte Allerhöchste Kabinetts-Ordre wurde noch eine weitere
grundlegende Änderung getroffen, nämlich die Einreihung
sämtlicher Kraftfahrverbände unter die Armeetruppen. Die
Entwicklung war ja schon längst so gelaufen, daß die
Kraftfahrformationen fast nur noch im Operationsgebiet zum Einsatz kamen. Der
Kommandeur der Kraftfahrtruppen wurde nunmehr dem
Armee-Oberkommando unmittelbar unterstellt und dort die bearbeitende Stelle
für alle Kraftfahrangelegenheiten der Armee. Ihm unterstanden die
innerhalb des Armeebereichs befindlichen Kraftfahrverbände, über
[366] welche er die
Disziplinargewalt eines selbständigen Bataillonskommandeurs erhielt.
Außerdem fiel ihm, wie bisher, die technische Aufsicht über
sämtliche sonstigen Kraftfahrzeuge der Armee zu, deren Instandhaltung
und Versorgung mit Betriebsstoff und Gummi er zu veranlassen hatte;
außerdem hatte er bei Ausfällen die Gestellung von Ersatz an
Kraftfahrpersonal und -material zu regeln. Man sieht, eine vielseitige, aber auch
dankbare Tätigkeit, der sich die Stelleninhaber jederzeit mit
größter Hingebung gewidmet haben.
Einen weiteren wichtigen Fortschritt in der Organisation stellte es dar, daß
der Einsatz aller Kraftwagenkolonnen auf Vorschlag des Kommandeurs der
Kraftfahrtruppen grundsätzlich nur noch von einer Stelle, dem
Armee-Oberkommando (Oberquartiermeister) aus vorgenommen und damit ihre
bestmögliche Ausnutzung für die verschiedenen Aufgaben je nach
der Kampf- und Nachschublage der Armee sichergestellt wurde. Das
Armee-Oberkommando hatte außerdem die Ermächtigung, auch
über die Kraftfahrzeuge bei Stäben und Sonderwaffen zu
verfügen und daraus für dringende Aufgaben
behelfsmäßige Formationen unter Kraftfahroffizieren
zusammenzustellen. Eine derartige Maßnahme konnte
naturgemäß nur in Ausnahmefällen in Frage kommen; auch
mußte den Stäben und Truppen bei Verschiebungen von einer Armee
zur anderen jeweils die volle Kraftwagenausrüstung mitgegeben
werden.
Um die Kraftwagenkolonnen zur Erfüllung der an sie herantretenden
Anforderungen gleich gut zu befähigen, wurden die inzwischen
entstandenen verschiedenartigen Kolonnen
(Kavallerie-, Jäger-, Fußartillerie-, Etappen-,
Munitionskolonnen usw.) einheitlich als "Armeekraftwagenkolonnen"
gleicher Stärke und Zusammensetzung formiert. Je nach Art des
verwendeten Fahrzeugtyps unterschied man dabei schwere Kolonnen mit
4 t- und mittlere mit 3 t-Lastkraftwagen; die
Gesamtnutzlast - 54 t - war bei beiden Arten dieselbe.
Innerhalb der Kolonnen einer Armee suchte man durch Vereinigung von
Fahrzeugen der gleichen Fabrikmarke und desselben
Wagentyps - sogenannte "Rassereinheit" - eine möglichst
gleichmäßige Fahrleistung und vereinfachte Instandhaltung
(Austausch der Teile untereinander) zu erzielen. Bei dem dauernden Wechsel der
Verbände in der Armeezugehörigkeit ist es allerdings nicht immer
leicht gewesen, ihnen bei Ausfällen die zur Rassereinheit passenden
Ersatzwagen aus dem jeweils zuständigen
Armee-Kraftwagenpark zuzuführen. Im übrigen bestanden die
Kolonnen, soweit es sich um die zur Aufnahme des Ladegutes bestimmten
Fahrzeuge handelte, jetzt nur noch aus Motorwagen; auf die
Mitbeförderung von Anhängern hatte man schon früher
verzichten müssen, da sie die Beweglichkeit der Kolonne auf der
Straße und an den Ladestellen zu stark beeinträchtigten. Leichte
Kolonnen mit 2 t-Lastkraftwagen, die besonders schnell und
leistungsfähig gewesen wären, konnte man sich wegen des Mangels
an Gummibereifung, die für den Betrieb dieser leichten Wagen
Voraus- [367] setzung war, nicht
leisten; nur ausnahmsweise fanden solche Wagen für besondere Aufgaben
im Hochgebirge gelegentlich Verwendung.
Um den Divisionen die Möglichkeit zu geben, über eigene
Transportmittel für kleinere Truppenbedürfnisse zu verfügen,
stattete man jede Division - unter Auflösung der
Korps-Kraftwagenkolonnen - mit einer besonderen
Divisions-Kraftwagenkolonne aus, die in die Kriegsgliederung der Division
aufgenommen und ihr auch bei Verschiebungen auf der Eisenbahn mitgegeben
wurde. Hierdurch kam auch die wünschenswerte engere Verbindung
zwischen der Kraftfahrtruppe und der fechtenden Truppe zustande, die sich aufs
beste bewährt hat. Ein weiteres Bindeglied zwischen beiden waren die
Sanitätskraftwagenzüge, die jeweils an den Brennpunkten der
Kampffront eingesetzt wurden. Sie sind, soweit es die Wegeverhältnisse
zuließen, unbeirrt durch das auf die Anmarschstraßen gerichtete
feindliche Artilleriefeuer bis zu den Truppenverbandplätzen vorgefahren
und haben dabei selbst wiederholt erhebliche Verluste erlitten. Diese aufopfernde
Tätigkeit zum Besten ihrer verwundeten Kameraden, von denen viele nur
der schnellen Rückbeförderung im Kraftwagen die Erhaltung ihres
Lebens verdanken, wird den Sanitätskraftfahrern unvergessen bleiben.
Die Unmöglichkeit, den außerordentlichen Bedarf des Feldheeres an
Pferden zu decken und die zu ihrer Ernährung erforderlichen Futtermittel
aufzubringen, hatte im Laufe des Jahres 1916, abgesehen von der Vermehrung der
Kraftfahrverbände, auch die Motorisierung der übrigen Waffen
beschleunigt. Im besonderen war die Zahl der Motorbatterien erheblich vermehrt
und daneben bei jeder Armee für Zwecke der schweren Artillerie ein
besonderer Kraftzugpark aufgestellt worden, der mit Motorzugmaschinen und
Kraftschleppern verschiedener Bauart und Stärke ausgestattet wurde. Die
Fußartillerie entwickelte konstruktiv ihr Kraftfahrgerät selbst; es
wäre angebracht gewesen, wenn man diese Aufgabe derselben
Stelle - nämlich der Kraftfahrtruppe - übertragen
hätte, der auch die Weiterentwicklung der sonstigen
Gelände-Kraftwagen zufiel, da für beide Arten von Kraftfahrzeugen
im wesentlichen die gleichen Eigenschaften erforderlich waren. Außerdem
handelte es sich meist um dieselben Kraftfahrzeug- und Motorenfabriken in der
Heimat, die schon mit der Fertigung der gewöhnlichen Kraftfahrzeuge
befaßt waren.
Während der Sommeschlacht waren die Engländer im September
1916 zum erstenmal mit einer neuartigen Kriegsmaschine, einem gepanzerten
Kampfkraftwagen - Tank - auf dem Plan erschienen, nachdem sein
Bau vorher streng geheim gehalten war. Die Fortbewegung dieses Kampfwagens
im Angriffsgelände geschah mit Hilfe von "Raupenketten", die seine
schwere Last gleichmäßig auf eine große Auflagefläche
verteilten und dadurch das Einsinken in den weichen Boden verhinderten; ihre
Länge gestattete ein Überbrücken der Granattrichter und
Schützengräben, sowie ein Überklettern kleinerer Hindernisse,
die dann unter dem Gewicht des Fahrzeuges zusammenbrachen.
Draht- [368] verhaue und
ähnliche Sperren wurden von diesen Fahrzeugen ohne weiteres
niedergewalzt, auch schwächere Bäume, die sich in den Weg stellten,
geknickt und umgelegt. Der Raupenantrieb war in Amerika bereits vor dem
Kriege bei landwirtschaftlichen Maschinen angewendet und auch in Deutschland
bekannt geworden, hier aber praktisch noch nicht zur Ausführung
gekommen. Wenn auch die ersten Versuche des Feindes mit der Verwendung des
Tanks noch nicht sehr erfolgversprechend waren, da das Fahrzeug, noch zu
schwerfällig in seinen Bewegungen, meist eine Beute der deutschen
Artillerie wurde, so hatte man doch sofort erkannt, daß auch deutscherseits
ein solches Kampfmittel erprobt werden müsse. Auf Veranlassung des
Chefs des Generalstabs fanden hierüber bereits im Oktober des Jahres
(1916) Besprechungen der Heimatdienststellen mit der Automobilindustrie statt.
Durch einen aus maßgebenden Fachleuten zusammengestellten technischen
Sonderausschuß wurden die Konstruktionszeichnungen
verhältnismäßig rasch fertiggestellt; aber ihre praktische
Ausführung zögerte sich von Monat zu Monat hin, woran
hauptsächlich der Mangel an Rohstoffen und Kohle, sowie das Fehlen
geeigneten Fachpersonals in der Heimat schuld waren. Als dann endlich ein
Versuchsfahrzeug fertiggestellt war, wies dieses, wie es bei einer
waffen- und kraftfahrtechnisch so schwierigen Erstlingsarbeit nicht anders zu
erwarten war, zunächst zahlreiche Mängel auf, deren Beseitigung
außerordentlich viel Zeit kostete. Die Probefahrten des Versuchswagens und
die Fertigstellung der übrigen neun
Panzerwagen - es waren zunächst nur zehn in Bestellung gegeben, da
man ihre Bewährung erst einmal feststellen
wollte - zog sich aus den erwähnten Schwierigkeiten über das
ganze Jahr 1917 hin. Zu ihrer abwartenden Haltung in der Tankfrage wurde die
deutsche Kriegsleitung im besonderen dadurch veranlaßt, daß die
einschlägige Industrie auf Grund der Anforderungen des
Hindenburgprogramms zu jener Zeit bereits auf das äußerste mit der
Herstellung von Lastkraftwagen, Flug- und Unterseeboot-Motoren in Anspruch
genommen war. Hier zugunsten von Kampfwagen Abstriche zu machen, glaubte
man mit Rücksicht auf die Erfordernisse der Kriegführung nicht
verantworten zu können, und konnte sich auch nicht dazu
entschließen, sonstige Fabriken und Maschinenbauanstalten für den
Tankbau in Anspruch zu nehmen, da dann wieder anderes wichtiges
Kriegsgerät, wie Geschütze und Munition, hätte
zurückgestellt werden müssen. Schließlich wurde vielleicht
auch die Bedeutung dieser neuen Waffe des Stellungskrieges noch nicht voll
gewürdigt. Der Feindbund erhielt infolgedessen einen erheblichen
Vorsprung in der Entwicklung des Kampfwagens, der deutscherseits nicht mehr
einzuholen war; er mußte sich allerdings schon wegen des in Deutschland
herrschenden Mangels an Rohstoffen und Arbeitskräften von Jahr zu Jahr,
ja von Monat zu Monat vergrößern.
Die im weiteren Verlauf des Krieges angestrebte Motorisierung des Feldheeres
fand im übrigen ihre Grenze auch in der Möglichkeit, das
hierfür be- [369] nötigte
sachverständige Personal aufzubringen. In den ersten Monaten des Krieges
war verabsäumt worden, diejenigen Mannschaften, die sich bereits von
Friedenszeiten her im Besitz eines Führerscheins für Kraftfahrzeuge
befanden, aus den anderen Waffengattungen, auch aus der fechtenden Truppe,
herauszuziehen und sie der Kraftfahrtruppe zuzuteilen. Diese Maßnahme
hätte sich bei der Bedeutung einer sachgemäßen Behandlung
für die Erhaltung dieses komplizierten technischen Kriegswerkzeugs, wie
es der Kraftwagen nun einmal darstellte, sicherlich bezahlt gemacht. Ein
übermäßiger Verschleiß an Gerät, das doch nur
mit Aufwand erheblicher Arbeit und kostbarer Rohstoffe zu ersetzen war,
mußte die Folge sein, wenn man das Steuer eines Kraftfahrzeugs
unerfahrenen Personen anvertraute. Durch Einrichtung von Fahrschulen und
Ausbildungskursen in Feld und Heimat suchte man dem Mangel an
Kraftwagenführern nach Möglichkeit abzuhelfen; aber allein schon
geeignetes Ausbildungspersonal war schwer zu beschaffen.
Im Felde half man sich dadurch, daß man den jungen angehenden Fahrer
erst einmal mehrere Wochen auf den Wagen als Begleitmann neben den
eigentlichen Wagenführer setzte und ihm auf diese Weise am besten die
richtigen Handgriffe beim Fahren, die Behandlung der Maschine vor und nach der
Fahrt, sowie die sonstigen praktischen Fertigkeiten für den Betrieb
beibrachte. Aber auch in den Werkstätten brauchte man geschultes
Personal, zumal in ihnen die verschiedensten Fahrzeugtypen zusammenkamen,
deren Instandsetzung bei den vielen Eigenheiten der einzelnen Fabrikerzeugnisse
besondere Sachkenntnis verlangte. Für die einfacheren Arbeiten reichten Kriegsgefangene und einheimische Zivilarbeiter aus; unter letzteren fanden sich
oft auch im Kraftfahrzeugbau bewanderte Fachleute, die dann mit Erfolg bei
Montagearbeiten und an den Werkzeugmaschinen angestellt werden konnten. Als
aus den Werkstätten mit Rücksicht auf die allgemeine Ersatzlage
allmählich die kriegsverwendungsfähigen Mannschaften zwecks
Versetzung zur fechtenden Truppe oder zur Verwendung im Fahrdienst an der
Front herausgezogen und durch garnisonverwendungsfähige aus der Heimat
ersetzt wurden, waren diese, da sie meist nicht über die gleichen
Fachkenntnisse verfügten, oft nur ein unvollkommener Ersatz. Auch durch
die zur Unterstützung der Heimatindustrie angeordnete Abgabe bestimmter,
namentlich bezeichneter Facharbeiter wurden die mobilen Werkstätten hart
betroffen und in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt.
Die gleiche Schwierigkeit, für die zahlreichen Neuaufstellungen
sachverständiges Personal aufzubringen, bestand auch in der Frage des
Ersatzes an Offizieren. Zwar wurde der Nachwuchs aus der Truppe mit allen
Mitteln gefördert, aber er allein reichte nicht aus; wiederholt mußten
von anderen Waffen geeignete, auf dem Gebiete der Motorentechnik fachlich
vorgebildete Offiziere herangeholt und zur Kraftfahrtruppe versetzt werden. Im
Motorenbau be- [370] sonders erfahrene
Ingenieure wurden beim Armeekraftwagenpark und den sonstigen
größeren Werkstätten verwendet; sie haben dort
Ausgezeichnetes geleistet. Ferner wurden Kraftfahroffiziere den Motorbatterien
und Kraftzugparks der Artillerie beigegeben.
Außer der Personalfrage galt es auch die Materialfrage zu lösen. Der
dringende Bedarf des Feldheeres an leistungsfähigen Transportmitteln
verlangte eine außerordentliche Steigerung der heimischen
Kraftwagen-Neuerzeugung. Hierbei stand der Bau von
Lastkraftwagen - für diese wurde allein ein Vielfaches der
ursprünglichen Friedensproduktion
gefordert - im Vordergrund: daneben wurden noch
Sanitätskraftwagen und kleinere Personenwagen sowie Krafträder
benötigt. Die Durchführung auch dieses Teiles des
Hindenburg-Programms erforderte die höchste Kraftanspannung der
Heimat, zumal sich der Mangel an gewissen Rohstoffen, wie Kupfer, Zinn,
Messing, Leder usw. immer mehr bemerkbar machte. Die Fabriken waren
gezwungen, den Gehalt an Edelmetallen herabzusetzen oder ganz zu Ersatzstoffen
zu greifen, die immer nur einen Notbehelf darstellen konnten. Zugunsten einer
ungestörten Neuproduktion befreite man die heimische Industrie im
übrigen möglichst von Arbeiten zur Instandsetzung
fahrunfähig gewordener Fahrzeuge, indem man die
Kraftwagen-Werkstätten hinter der Front und in den Gebieten der
Generalgouvernements vergrößerte. Konnte die Instandsetzung des
Kraftfahrgeräts der Armeen gleich im Felde ausgeführt werden, so
erreichte man mit dieser Maßnahme auch noch eine sehr wesentliche
Entlastung der bereits über Gebühr in Anspruch genommenen
Eisenbahn und verkürzte den Zeitraum, innerhalb dessen die Fahrzeuge
wieder verwendungsbereit an der Front standen.
Betrachtet man demgegenüber die Lage der Entente auf dem Gebiet des
Kraftfahrwesens, so war diese auch hierin den Mittelmächten in vielfacher
Hinsicht überlegen. Ihr standen ja nicht nur die Hilfsmittel der eigenen
Industrie, sondern auch diejenigen der Vereinigten Staaten von Nordamerika, ja
man kann sagen der ganzen Welt, zur Verfügung. Vor allem litt sie nicht
entfernt so unter dem Mangel an Betriebsstoffen wie Deutschland, wenn ihr auch
die Frage des Benzintransports von Amerika nach Frankreich gewiß viel
Kopfzerbrechen machte, besonders als im weiteren Verlauf des Krieges die
deutschen Unterseeboote so manchen Tankdampfer mit seiner kostbaren Ladung
auf den Meeresgrund beförderten. Gummi stand dem Gegner in ganz
anderen Mengen zur Verfügung; er rechnete jährlich nicht mit
wenigen Hunderten wie Deutschland, sondern mit vielen Tausenden von Tonnen
Rohkautschuk für die Verarbeitung, so daß er alle seine
Kraftfahrzeuge gummibereift laufen lassen konnte. Hierdurch wurden trotz des
stärkeren Verkehrs auch seine Straßen nicht entfernt so abgenutzt, als
es auf deutscher Seite infolge der Eisenbereifung der Lastkraftwagen geschah.
Dabei konnte er es sich leisten, hinter seiner Front ständig eine große
Zahl Arbeitstruppen - meist Farbige - in der Wegeunterhaltung und
zum Ausbau [371] des
Straßennetzes zu beschäftigen. Hält man sich alle diese
Umstände vor Augen, so wird man es erklärlich finden, daß
auf der Gegenseite in viel größerem Umfang, als auf der deutschen,
vom Kraftfahrzeug Gebrauch gemacht wurde. Der Feind hatte schon wiederholt
ganze Divisionen mit Hilfe besonderer, eigens für diesen Zweck
bereitgehaltener Kraftwagenkolonnen längs der Front ohne Zuhilfenahme
der Eisenbahn verschoben. Aber auch im gewöhnlichen Stellungskrieg
konnte er Truppen aus rückliegenden Unterkünften mittels
Kraftwagen regelmäßig auf das Schlachtfeld heranfahren und
abgekämpfte von dort zurückführen, wodurch seine Infanterie
für die eigentlichen Kampfzwecke außerordentlich geschont
wurde.
In diesem bedeutsamen Winterhalbjahr kam zu den vielen Sorgen der deutschen
Heeresleitung noch eine neue, nämlich die bedrohliche Verkehrslage in der
Heimat. In Berlin und anderen Großstädten machte sich immer mehr
ein Mangel an Transportmitteln aller Art fühlbar, da diese ja fast alle
für mobile Zwecke in Anspruch genommen waren. Die Folge davon war
ein Stocken in der Abfuhr der Frachtgüter und Lebensmittelsendungen von
den Bahnhöfen, wodurch wieder Störungen für den
durchgehenden Eisenbahnverkehr hervorgerufen wurden. Auch die
Abbeförderung der Postpakete war in Mitleidenschaft gezogen. Die
Zustände verschlimmerten sich bald derart, daß im Interesse des
Wirtschaftslebens der Großstädte schnell Abhilfe getroffen werden
mußte. Zunächst wurden aushilfsweise mobile Kraftwagenkolonnen
und Einzellastkraftwagen aus dem Osten an die Heimat abgegeben; später
stellte man für die genannte Aufgabe aus nicht mehr
frontverwendungsfähigen Lastkraftwagen und garnisondienstfähigem
Personal immobile Kraftwagenkolonnen auf, deren Zahl im Laufe der Zeit bis auf
110 erhöht werden mußte. Diese Kolonnen wurden in
Ergänzung der Eisenbahn während der Erntemonate auch auf dem
flachen Lande zum Transport von Getreide, Kartoffeln, Rüben usw.
verwendet; außerdem fiel ihnen die Beförderung von Rohstoffen,
Halbfabrikaten und Brennmaterial bei den mit Heereslieferungen
beschäftigten Fabriken zu. Sie haben während der beiden letzten
Kriegsjahre für die heimische Volksernährung und Volkswirtschaft
wertvolle Dienste geleistet; aber ihr Betrieb verschlang auch große Mengen
Betriebsstoff, der damit für die unmittelbaren Zwecke des Feldheeres
verlorenging.
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