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Bd. 5: Der österreichisch-ungarische Krieg

  Kapitel 25: Der Zusammenbruch   (Forts.)
Staatsarchivar Oberstleutnant Edmund Glaise-Horstenau

5. Vor dem letzten Waffengang.

Die Armee hatte unter den Nachwirkungen der unglücklichen Junischlacht schwer gelitten, und sie litt nicht weniger unter dem politischen und wirtschaftlichen Niedergang der Heimat, die dem Heere nicht nur jeden moralischen Kraftzufluß versagte, sondern auch in materieller Beziehung ihre Pflichten nicht mehr erfüllte, nicht mehr zu erfüllen vermochte.

Juli und August waren für die Front wahre Hungermonate. Viele Tage sahen die Truppen keinen Bissen Fleisch, kein Gramm Fett. Nach der Ernte trat eine kleine Besserung ein, es gab wenigstens etwas mehr Brot. Trotzdem konnte es geschehen, daß ganze Abteilungen in voller Ausrüstung in die vorderste Linie "desertierten", weil man dort um ein paar Gramm mehr zu essen bekam als im Ausbildungsraum. Im Schützengraben des ruhmreichen Szekler Regiments Nr. 82 fand man eines Morgens einen von Überläufern zurückgelassenen Zettel: "Von uns ist bisher noch niemand durchgegangen, aber jetzt halten wir es vor Hunger nicht mehr aus." Die Etappe wurde von ungezählten "Selbstverpflegern" durchzogen und unsicher gemacht. Eine Dienststelle berechnete das Durchschnittsgewicht ihrer untergebenen Mannschaften mit 50 kg!

Noch jämmerlicher sah es mit der Bekleidung aus. Der Besitz einer ganzen Garnitur Wäsche war ein Zeichen besonderen Wohlstandes. Leute mit Hemden ohne Ärmel oder Rückenteil, mit halben Unterhosen gehörten zu den alltäglichen Erscheinungen. Schwer fiebernde Malariakranke mußten nackt und zitternd im Freien stehen, bis ihr einziges, eben gewaschenes Hemd getrocknet war. Uniformen und Schuhe waren aus schlechtem Stoff und zerfielen wie Papier. Ende Oktober fand mitten in der Schlacht ein Generalstabsoffizier in einer Gebirgskaverne unmittelbar hinter der Front eine nur mit Unterwäsche bekleidete Abteilung. Sie stand im Bereitschaftsdienst, Uniformen waren aber nur für die vorderste Front genug vorhanden! Ein [619] Dalmatiner Infanterist sagte wehmütig zu einem Offizier: "Wir sind nicht Helden, sondern Bettler."15 Offiziere, die über keinen Friedensvorrat an Uniformen verfügten, mußten sich, wenn sie auf Urlaub gingen, von besser gestellten Kameraden Kleidungsstücke ausleihen. Man kann sich vorstellen, mit welcher Verbitterung solche Männer den Luxus mitansahen, den der neue Reichtum, namentlich in den Großstädten, inmitten furchtbarsten Elends entfaltete!

Die Ersatzgestellung kam dem Bedarf der Truppe nicht nach. Die unterernährte Mannschaft war für Erkrankungen naturgemäß viel empfänglicher als gut verpflegte. An der unteren Piave griff überdies die Malaria um sich und dezimierte die Abteilungen. Später trat noch die spanische Grippe hinzu. Kompagnien zu hundert Mann zählten zu den glücklichen Ausnahmen. Halb so starke waren die Regel.

Daß ein so blutleerer Körper psychischen Einwirkungen leicht unterliegen mußte, war klar. An solchen fehlte es nicht. Die Ersatzkörper der Heimat wurden von Tag zu Tag mehr in die Netze der nationalen und sozialen Verschwörungen verstrickt. Tschechen, Polen und Südslawen bereiteten ihre nationalen Heere vor. Daher der stets wiederkehrende Wunsch der Nationalräte nach Heimberufung der in deutsche und magyarische Gegenden verlegten Ersatztruppen. Noch stärker scheint bei den ungarischen Truppen die Karolyipartei Eingang in die Kasernen gefunden zu haben; besonders die Budapester Garnison wurde unausgesetzt im revolutionären Sinne bearbeitet.

Auch in Deutschösterreich machte, zum Mißbehagen Viktor Adlers, ein junger Sozialdemokrat, der als Landsturmleutnant in der Wirtschaftsabteilung des Kriegsministeriums eine Vertrauensstellung innehatte, den Versuch, eine revolutionäre Soldatenorganisation zu schaffen. Ob diese - wenigstens vor den letzten Oktoberwochen - besonders tief griff, ist fraglich.

Daß die Unterwühlung der Heimattruppen nicht ohne Rückwirkung auf die Front blieb, die doch unausgesetzt von ihnen gespeist wurde, bedarf keiner näheren Erläuterung. Zum wenigsten herrschte eine große Kriegsmüdigkeit, die bei den Mannschaften und noch mehr bei den Offizieren - alle Berichte kommen darauf zurück - durch die schmerzlichen Nachrichten von der Westfront noch mächtig gesteigert wurde. Wenn nicht einmal mehr Deutschland standhielt, wozu führte man weiter Krieg? fragte sich alles, ganz so wie in der Heimat. Trotzdem war der Geist der Kampftruppen auch anfangs Oktober noch zufriedenstellend. Das erweist sich nicht nur aus den Berichten der Kommandanten, sondern in weit eindringlicherem Maße aus dem tatkräftigen Widerstande, den der Feind im August und September bei verschiedenen, räumlich begrenzten, [620] aber mit verhältnismäßig beträchtlichem Kräfteaufgebot ausgeführten Unternehmen an der venetianischen Gebirgsfront und im Tonalegebiet gefunden hatte. Es waren bei diesen Vorstößen nicht bloß Italiener aufgetreten, denen sich der österreichisch-ungarische Soldat bis zur letzten Stunde bedingungslos überlegen fühlte, sondern - im August bei Asiago - auch Engländer und Franzosen. Kämpfer aller Völker des Donaureiches hatten unter den schwersten Bedingungen noch ihren Mann gestellt.

Die durch das Friedensangebot vom 4. Oktober hervorgerufene innere Umwälzung erfüllte das Armee-Oberkommando Baden mit der größten Besorgnis, da sich gleichzeitig die Nachrichten über einen bald bevorstehenden Hauptangriff gegen die venetianische Front verdichteten. Schon die Waffenstillstandsbitte an sich mußte die Kampfkraft lähmen, da es nicht jedermanns Sache ist, sich heute noch erschießen zu lassen, wenn morgen schon abgeblasen wird. Bei den Berufsmilitärs kam noch die Sorge um die Zukunft hinzu, die infolge der Zustimmung zur Weltabrüstung - 4. Punkt Wilsons - für diese Männer ja wirklich im dunklen lag. Aber diese Nachteile wogen federleicht gegenüber den furchtbaren Rückwirkungen, die die innerpolitische Entwicklung früher oder später mit sich bringen mußte.

Die Heeresleitung war bemüht, zu verhindern, daß die Armee in den Wirbel der Geschehnisse hineingerissen wurde. Zwei Wochen hindurch vermochte die Kunde von dem, was sich im Innern begab, nur gedämpft bis in den Schützengraben vorzudringen. Da platzte das kaiserliche Manifest wie eine Bombe hinein. Der Chef des Generalstabes hatte es nicht unterlassen, auf die gefährlichen Folgen hinzuweisen, die sich aus der im Manifest enthaltenen Verabschiedung der Polen, aus der Verkündung schrankenlosen Selbstbestimmungsrechtes und aus der unglückseligen Behandlung der Südslawenfrage für die Armee ergeben mußten. Seine Bedenken wurden innerpolitischen Erwägungen geopfert. So enthüllte denn das Manifest, das übrigens von den höheren Befehlsstellen mitunter durch mehrere Tage der Truppe vorenthalten wurde, dem Heere, namentlich den Offizieren, schonungslos Dinge, von deren Werden man in der Front bisher nur eine sehr verschwommene Vorstellung hatte. Es wurde allgemein als Zeichen einer Revolution von oben angesehen, deren Auswirkung auf die Truppe zu bekämpfen, ein beinahe aussichtsloses Beginnen zu sein schien. Seine Wirkung wurde durch Wilsons Antwort übertroffen.

Noch härter griffen freilich die Einflüsse aus Ungarn an den Lebensnerv des Heeres. Da war es vor allem der verhängnisvolle Ruf Tiszas, daß der Krieg verloren sei - der sich in der ganzen Armee mit Windeseile verbreitete und dessen verderbliche Wirkung sich an tausend Stellen schon nach Stunden fühlbar machte. Insonderheit bei den Magyaren gab es jetzt für die Aufnahme aller von der Karolyipartei kommenden Schlagworte keine Hemmung mehr. Friede, nationale Armee, nationale Verteidigung, Heimkehr waren [621] die Gedanken, die immer stärker und zwingender die Köpfe nicht bloß der einfachen magyarischen Kämpfer beherrschten.

Das Armee-Oberkommando wurde sich von Tag zu Tag klarer: dieses Heer begann den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ein verhältnismäßig geringer Anstoß konnte eine Lawine ins Rollen bringen, deren verheerende Wirkung gerade die deutschen Erblande am Schwersten treffen mußte!

Unter solchen Verhältnissen geboten politische Erwägungen und Menschenpflicht gleicherweise, die Schlacht, wenn möglich, noch in letzter Stunde zu verhindern. Als Wilsons erste Antwort an Deutschland die Räumung der besetzten Gebiete in die Diskussion warf und sich die maßgebenden Männer der österreichischen Heeresleitung mit dieser Frage befaßten, kam allgemein die Besorgnis zum Ausdruck, daß die einmal aus ihren Stellungen genommene Armee an der Reichsgrenze nicht mehr aufzuhalten sein werde. Angesichts dieser Erwägung und wegen der allgemeinen Armut an Transportmitteln wäre es nicht einmal ratsam gewesen, die Front dem sich zusammenziehenden Ungewitter durch Preisgabe des unmittelbaren Gefechtsfeldes zu entziehen und so den Feind zu einem zweiten zeitraubenden Artillerieaufmarsch zu zwingen.

Um doch ein übriges zu tun, bat Kaiser Karl den Papst um Intervention bei der italienischen Regierung. Das Ansuchen kam erst nach Rom, als die Schlacht bereits entbrannt war. Auch andernfalls wäre das Eingreifen des Heiligen Vaters, wenn er sich überhaupt in seiner heiklen politischen Lage dazu entschlossen hätte, von Haus aus zu einem vollen Mißerfolg verurteilt gewesen. Die Italiener konnten des Sieges, der ihnen nun, nach zwölf schweren Niederlagen, dank der Zersetzung des Habsburgerreiches und seines Heeres winkte, auf keinen Fall entbehren. Ihre Aspirationen waren sehr groß und berührten nicht bloß die Interessen der alten Monarchie, sondern auch der im großserbischen Reich aufgehenden Südslawen. Da durften sie nicht mit leeren Händen an den Friedenstisch treten. Die gran battaglia mußte geschlagen werden! Nicht einmal die vollständige Waffenstreckung des Gegners hätte - wie sich später zeigen sollte - den italienischen Siegesdurst zu löschen vermocht!

Um den 20. Oktober sandte die Heeresleitung Generalsstabsoffiziere nach Prag, Krakau, Laibach und Agram, um die Unterstützung der Nationalräte im Kampf gegen die bei der Armee etwa ausbrechende Anarchie zu gewinnen. Man fand einiges Gehör. Aber diese Vertretungen der der Entente bereits "assoziierten" jungen Staaten durften naturgemäß - mochten dabei auch Tausende eigener Volksgenossen an Leben und Gut Schaden erleiden - nicht an Maßnahmen mitwirken, die letzten Endes den Sieg ihrer neuen Bundesgenossen schmälern mußten.

So kam denn der 24. Oktober 1918 heran, der Jahrestag von Karfreit - Tolmein. In den Sieben Gemeinden, in den Gebirgen östlich der Brenta [622] und an der Piave gingen Italiener, Franzosen und Engländer zum Angriff über. Zum letztenmal am Ausgang einer dreihundertjährigen ehrenvollen Geschichte traten Habsburgs Völker in Waffen zur Schlacht an. Die Welt hatte dergleichen vorher nie gesehen: ein auf Leben und Tod ringendes Volksheer ohne Vaterland.


6. Die Schlacht in den venetianischen Bergen.

Nach der Junischlacht in Venetien gingen die Italiener zunächst daran, in den Sieben Gemeinden von langer Hand einen großen Angriff vorzubereiten.16 Bald aber änderten sie ihre Absichten, indem sie den Bruchpunkt zwischen der Gebirgs- und der Piavefront zum Ausgangspunkt ihrer Offensive wählten. Von hier aus sollte ein Keil in die gegnerischen Linien getrieben und die beiden dadurch voneinander getrennten österreichischen Heeresteile aus den Flanken her aufgerollt werden. Mit der Ausführung des Planes ließen sich die Italiener wohlweislich Zeit. "Es handelte sich darum," schreibt General Diaz, "einen überlegenen und festgefügten Gegner in sehr starken, wohl vorbereiteten Stellungen anzugreifen... Man mußte zunächst die Lage wachsam verfolgen und beim ersten Anzeichen günstiger Wendung ohne Verzug handeln..." Diese erwünschte günstige Wendung stellte sich für die Italiener verhältnismäßig spät ein. Der Umschwung im Westen genügte ihnen nicht. Noch mußte Bulgarien zusammenbrechen, ehe sich Diaz am 25. September entschloß, die ersten Befehle für die Bildung der Stoßgruppe zu erteilen.

Die Feindfront zählte 51 italienische, 3 englische, 2 französische und eine tschechoslowakische Division, dazu 1 amerikanisches Regiment - zusammen etwa 850 Bataillone. Die Durchbruchsmasse wurde aus 22 Divisionen erster Linie gebildet, denen über 2000 Geschütze zugeführt wurden. Sie sammelte sich zwischen Treviso-Oderzo und Bassano in 4 Armeen: 10. Armee, britischer General Cavan, 8. Armee General Caviglia, 12. Armee französischer General Graziani, 4. Armee General Giardino. Im zweiten und dritten Treffen standen 19 italienische Divisionen und die Tschechoslowaken als Manövriermasse; sechs dieser Divisionen waren zu einer 9. Armee, General Morrone, zusammengezogen.

Das österreichisch-ungarische Heer stand in derselben Linie wie zu Anfang Juli. An der Kriegsgliederung hatte sich nur geändert, daß Anfang September die zwischen Brenta und Piave stehenden Streitkräfte zu einer dem Feldmarschall v. Boroević unmittelbar unterstehenden "Armeegruppe Belluno", [623] Feldzeugmeister v. Goglia, zusammengefaßt worden waren. Mitte Oktober umfaßte das k. u. k. Südwestheer insgesamt 57½ Divisionen mit einem Feuergewehrstand, der zwischen 250 000 und 350 000 Mann schwankte, und einem Verpflegstand von 1½ Millionen. Da die Division durchschnittlich bloß 10 - 11 statt der vorgeschriebenen 13 Bataillone zählte, blieb der Verteidiger gegenüber dem Angreifer um 200 Bataillone zurück, mit welcher Zahl sich die Hinweise der Italiener auf die numerische Überlegenheit der Österreicher von selbst erledigen.

Im Angriffsraum standen den 42 feindlichen 31½ k. u. k. Divisionen gegenüber, von denen 18 die erste Linie bildeten. Diese allein sollten die Träger des Abwehrkampfes sein!

Der Angriff der Alliierten war zuerst für den 16. Oktober geplant. Fünf Tage vorher, am 11., hatten Italiener und Franzosen in den Sieben Gemeinden ein groß angelegtes Sturmtruppunternehmen versucht, um die Aufmerksamkeit von der in Aussicht genommenen Durchbruchsstelle abzulenken. Infanterie und Artillerie der Verteidiger waren voll auf dem Platze. Der Feind wurde überall abgewiesen, der vorübergehend an die Franzosen verlorene Sisemol im Gegenstoß zurückgewonnen. Deutsche, Magyaren, Slowenen und Italiener hatten an dem Gefecht teilgenommen.

Gleichzeitig mit diesem moralisch sicherlich wertvollen Erfolg konnte der österreichisch-ungarische Generalstab melden, daß am 8., 9. und 10. Oktober und dann wieder am 12. die k. u. k. 1. Division unter ihrem ausgezeichneten Führer General Metzger an den Abwehrkämpfen bei Beaumont ruhmvoll mitgewirkt habe. "Die ungarischen Infanterieregimenter Nr. 5 und 112 wetteiferten an Tapferkeit mit den Feldjägerbataillonen Nr. 17 (Judenburg), 25 (Brünn) und 31 (Agram)."

Alsbald öffnete der Himmel über den oberitalienischen Gefilden erneut seine Schleusen. Die Flüsse führten Hochwasser. Damit leistete der Wettergott den Italienern mittelbar wertvolle Schützenhilfe. Er zwang sie, den Angriff um jene Woche zu verschieben, in der dem österreichischen Heere das Manifest, die Antwort Wilsons und der Sieg Karolyis in Ungarn beschert wurde. Die Italiener hatten "die Lage wachsam verfolgt" und die "günstige Wendung" richtig wahrgenommen!

Um dem Hauptstoß auf Vittorio entsprechende Sicherheit gegen Norden zu verschaffen, wollten die Alliierten den Gegner zunächst aus seinen drohenden Gebirgsstellungen zwischen Brenta und Piave gegen Fonzaso zurückdrücken. Diesen Angriff, der der 4. und dem linken Flügel der 12. Armee zufiel, hatte die in den Sieben Gemeinden stehende 6. Armee durch Scheinangriffe zu begleiten.

Am 24. Oktober um 4 Uhr früh setzte das Artilleriefeuer der Alliierten ein, nach 7 Uhr begann der Infanterieangriff.

Voll schwerster Besorgnis harrten auf österreichischer Seite die höheren Führer der ersten Meldungen vom Schlachtfeld. Nur ein Wunder Gottes [624] konnte die Lage retten. Und siehe: Es schien, als sollte dieses Wunder geschehen.

Soweit die Sieben Gemeinden in Frage kamen, war es bald klar, daß es sich hier nur um eine Demonstration handle. Aber auch die Abwehr dieser durfte als günstiges Zeichen gebucht werden. Bloß der Monte Sisemol war wieder für einige Stunden an die Franzosen verloren worden. Er wurde diesen am 25. früh wieder entrissen.

Ungleich gewaltiger waren freilich die Kampfhandlungen, zu denen es in den Gebirgen zwischen der Brenta und der Piave kam. Hier entbrannte ein vier Tage währendes Ringen, das an Heftigkeit den großen Schlachten des Weltkrieges in nichts nachstand und zur furchtbarsten Tragödie der Kriegsgeschichte wurde.

Noch einmal sind der Asolone, der Monte Pertica, der Solarola, die Felswand der Spinuccia von den Blutwogen des männermordenden Krieges umbrandet. Die Kunde, die von der Walstatt kommt, ist so unfaßbar, daß sie in der Heimat nicht geglaubt wird. Und doch ist sie entsetzlich, ergreifend wahr! Deutsche und Magyaren, Polen und Tschechen, Kroaten und Serben, Slowenen und Slowaken - sie alle stehen noch einmal in opfermutiger Waffenbrüderschaft zusammen. Um jeden Felsblock, um jede Höhle, um jeden Stollen wird mit namenloser Erbitterung gerauft. Der Kampf wogt hin und her. Der Asolone und der Monte Pertica, die als Bastionen weit gegen Mittag vorspringen, gehen einmal, zweimal, zum drittenmal verloren. Das Heer ohne Vaterland findet immer wieder wackere Bataillone - nein, keine Bataillone, zerfetzte, keuchende Haufen - die diese Bollwerke zurücknehmen - um nichts, als um ihre Ehre. Beim Asolone sind es das eine Mal Galizianer, das andere Mal Niederösterreicher und Mährer; beim Monte Pertica Steirer, Kärntner, Kroaten und Slawonier. Der Pertica geht dann am 27. doch wieder in Feindeshand über. Er bleibt aber auch der einzige "Siegespreis", dessen sich die Italiener am Ende der Gebirgsschlacht rühmen dürfen.

Und was das besonders Erhebende und zugleich Furchtbare dieser Kämpfe ist: wenn die Feinde in einem nachkonstruierten Berichte vorgeben, daß es ihnen bei ihren erfolglosen Anstürmen gegen die Gebirgsmauer gelungen sei, die Österreicher zum Einsatz aller verfügbaren Reserven zu zwingen, so ist dies nur ein eitel Trugbild. Durch 96 Stunden hatten fast überall dieselben Bataillone, dieselben Mannschaften, dieselben Offiziere ohne einen Augenblick des Aufatmens, ohne Rast und Ruh den harten Strauß ausgefochten. Wohl richteten sie oft sehnsuchtsvoll den Blick die engen Gebirgssteige hinab, auf denen Verstärkung und Ablösung nahen sollte. Aber unter den namhaften Reserven, die unten im Tale standen, fand sich vergleichsweise kaum eine Handvoll Leute bereit, den Kameraden an der Front zu Hilfe zu kommen.

Schon zwei Tage vor der Schlacht war die 83. Honvedbrigade der kroatischen (42.) "Domobranzendivision" mit schlechtem Beispiel vorangegangen. [625] Sie hatte sich geweigert, die in der Front stehenden Regimenter der Division abzulösen. Wenige Stunden später versagten - ebenfalls bei der Armeegruppe Belluno - Bosniaken den Gehorsam; sie wurden durch Abteilungen des Kärntner Regiments Nr. 7 entwaffnet. Diese Meutereien fielen auf die Stunde mit den Ereignissen in Fiume und mit großen nationalen Demonstrationen in Agram zusammen.17

Ähnliches wie im Bereich von Belluno begab sich sehr bald westlich der Brenta. Am 24. Oktober abends weigerten sich Abteilungen des überwiegend magyarischen Infanterieregiments Nr. 25 - 27. Division - und des Honvedregiments Nr. 22 - siebenbürgische 38. Honveddivision - in die Front von Asiago einzurücken. Die Meuterer erklärten, daß sie nicht mehr für Österreich kämpfen, sondern zur Verteidigung Ungarns in die Heimat abgehen wollten. Der Geist des Ungehorsams griff sehr rasch auf alle hinter der Front stehenden Teile der beiden Divisionen über, und es war eine Frage von Stunden, wann auch die Frontbrigaden von ihm erfaßt würden. Erzherzog Josef, der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe, eilte, vom Kaiser schon dringend nach Wien berufen, noch herbei, um Ordnung zu stiften. Die 25er ließen ihn überhaupt nicht heran, sondern machten Miene, ihn hinter Barrikaden mit Handgranaten zu empfangen. Die Siebenbürger Honveds passierten stramm Revue, beharrten aber bei ihrer Absicht, sich nur mehr zur Verteidigung ihrer nun wieder wie 1916 bedrohten, engeren Heimat verwenden zu lassen. Der Erzherzog, für alle magyarischen Wünsche außerordentlich empfänglich, riet dem Monarchen, der Truppe ihren Willen zu tun und sie nach Ungarn abzuschieben. Der Kaiser stimmte zu. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, erhitzte die magyarischen Gemüter und entnervte auch die Kämpfer anderer Stammeszugehörigkeit. Ein Ansuchen der Heeresleitung an das schon in Demission befindliche Kabinett Wekerle, die ungarischen Truppen durch einen Aufruf zu beruhigen, wurde als unerfüllbar abgewiesen.

Von den beiden meuternden Divisionen war die 27. seit sechs Wochen in der Etappe, die 38. monatelang im Hinterland gewesen. Die Beobachtung, daß die dem Kampf seit längerer Zeit entrückten, dafür Einflüssen der Politik mehr ausgesetzten Truppen in ihrem Gefüge viel leichter litten als die Besatzungen der vordersten Linien, bestätigte sich bald auch anderwärts. "Es ist dies ein Beweis," folgert ein hoher Generalsstabsoffizier in seinem Bericht über den Zusammenbruch, "daß wir mit einer planmäßigen Propaganda zu tun hatten, die sich an der Front noch nicht durchsetzen konnte, die außerhalb der Kampffront befindlichen Truppen jedoch bereits völlig verseucht hatte..."


15 [1/619]Vgl. darüber die überaus aufschlußreiche Quellensammlung Der Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Wehrmacht im Herbst 1918 von Generalmajor Hugo Kerchnawe, München 1921. ...zurück...

16 [1/622]Siehe den amtlichen italienischen Bericht über die Schußoffensive gegen Österreich-Ungarn bei Kerchnawe, a. a. O. S. 182 ff. - Dieser übrigens für publizistische Zwecke bestimmte und daher sehr schönfärberische Bericht weiß mitzuteilen, daß Italien schon im Mai 1918 im Abschnitt Pasubio-Brenta eine Offensive vorbereitet, diesen Plan aber dann wegen des österreichischen Angriffes aufgegeben habe. ...zurück...

17 [1/625]Vgl. außer Kerchnawe a. a. O. auch Horsetzky, Die vier letzten Kriegswochen, Wien 1920, S. 16 ff. - General v. Horsetzky befehligte bei Kriegsschluß das am Westflügel der Armeegruppe Belluno stehende XXVI. Korps. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte