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Bd. 5: Der österreichisch-ungarische Krieg

[559] Kapitel 23: Die österreichisch-ungarische Artillerie
in der Türkei

Oberstleutnant Walter Adam1

In dem Augenblicke, wo sich die Westmächte und Rußland zum Kampfe gegen die Zentralmächte vereinigten, gewann die Türkei infolge ihrer geographischen Lage für beide kriegführenden Parteien hohe strategische Bedeutung.

Rußland war von seinen Bundesgenossen durch neutrale und feindliche Staaten vollkommen getrennt. Der Verkehr zur See war auf die monatelang unbenutzbaren Häfen des Eismeeres gewiesen oder mußte den Umweg über den fernen Osten nehmen. Eine wechselseitige Unterstützung auf dem Schlachtfelde kam also gar nicht in Betracht. Die Kriegsindustrie der Westmächte konnte dem industriearmen Rußland nur in beschränktem Maße helfen, sowie dieses nur in beschränktem Maße seine Rohstoffe für den gemeinsamen Kriegszweck nutzbar machen konnte.

Der Besitz der Dardanellen hätte mit einem Schlage eine sichere, für Massentransporte geeignete Verbindung hergestellt. Überdies hätte sich der Ring um die Zentralmächte im Osten geschlossen, Rumänien wäre wahrscheinlich viel früher dem französisch-englischen Einflusse erlegen, und Bulgarien wäre kaum imstande gewesen, auch seine Ost- und Nordgrenze zu halten.

Es war sonach für die Kriegslage im Jahre 1914 von entscheidender Bedeutung, als die Türkei Ende Oktober auf Seite der Mittelmächte in den Krieg eintrat. Am 27. Oktober war die osmanische Flotte im Schwarzen Meer auf russische Minenleger gestoßen, die im Begriffe waren, den nördlichen Ausgang des Bosporus zu sperren. Es entwickelte sich ein kurzes Seegefecht, das mit dem Rückzug der russischen Schiffe endete. Dadurch war via facti der Kriegszustand eingetreten. Im November wurde der Heilige Krieg proklamiert.

Die türkische Heeresleitung hatte sich zu einer offensiven Kriegführung mit weit gesteckten politischen und militärischen Zielen entschlossen. Erst nach der schweren Niederlage der Kaukasusarmee im November 1914 wurden die Kriegspläne wenigstens einigermaßen dem Kräfteverhältnis und den geographischen Bedingungen der Operationsräume angepaßt.

[560] Im ganzen ergaben sich auf türkischem Boden vier völlig getrennte Kriegsschauplätze: An den Dardanellen, in Palästina, in Mesopotamien und im Kaukasus. Die österreichisch-ungarische Artillerie hat an den Kämpfen um die Dardanellen und besonders an den Aktionen in der Sinai-Wüste und in Palästina aktiven Anteil genommen. Bei den anderen Armeen waren nur einige Ausbildungskaders und Kraftfahrabteilungen eingeteilt.


1. Gallipoli.

Die Westmächte hatten zu Beginn des Krieges an den asiatischen Fronten geringes Interesse. Sie verhielten sich dort passiv und wandten ihre ganze Aufmerksamkeit den Meerengen zu. Zunächst unternahm die englisch-französische Flotte eine Reihe von Versuchen, die Dardanellen zu bezwingen, ohne die Befestigungsanlagen zu nehmen. Diese Operationen der Flotte mißlangen vollständig. Als dann am 18. März 1915 auch ein im größten Stile angelegter Durchbruchsversuch scheiterte und den verbündeten Flotten die empfindlichsten Verluste eintrug, entschloß sich der Feind, die Halbinsel Gallipoli mit Landstreitkräften anzugehen. Am 25. April landeten die ersten Staffeln der unter General Hamilton aufgestellten Gallipoli-Armee. Das Kommando über die kaiserlich osmanischen Truppen übernahm der deutsche General der Kavallerie und türkische Marschall Liman v. Sanders Pascha.

Die Kämpfe um Gallipoli dauerten bis zum Ende des Jahres 1915. Die Verteidigung dieser schmalen Landzunge zählt mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Meerengen zu den bedeutendsten Kriegshandlungen, mit Rücksicht auf die ungünstigen materiellen Verhältnisse im türkischen Heere zu den heldenmütigsten Taten des Weltkrieges.

Es bedarf nicht vieler Worte. Dem Angreifer stand der Seeweg nahezu unbehindert offen. Der Verteidiger war auf sich allein angewiesen, da die Verbindung mit den Mittelmächten erst im Spätherbst 1915, nach Feldmarschall Mackensens serbischer Offensive, hergestellt werden konnte. Es kam so weit, daß türkische Batterien oft mit Exerzierpatronen schießen mußten, um bei der Infanterie wenigstens die Illusion einer Artillerieunterstützung zu erwecken.

Ein halbes Jahr lang hatten sich die türkischen Truppen mit fanatischer Fähigkeit gehalten. Nun war aber ihre Widerstandskraft infolge des Mangels an Material und Munition dem Ende nahe. Da traf am 15. November 1915 die k. u. k. 24-cm-Mörserbatterie Nr. 9 in der Türkei ein. Sie war am 2. November in zerlegtem Zustande auf dem Donauwege von Orsova abgegangen, wurde in Rustschuk auf die Bahn umgeladen und nach Konstantinopel gebracht. Liman v. Sanders Pascha setzte diese Batterie eiligst an der meistbedrohten Anaforta-Front ein und wies ihr hauptsächlich solche Ziele zu, die mangels schwerer Steilfeuergeschütze bisher ziemlich unbehelligt geblieben waren. Vier [561] Wochen später traf auch die k. u. k. 15-cm-Haubitzbatterie Nr. 36 auf Gallipoli ein und ging sofort in Stellung.

Bald nach dem Auftreten der k. u. k. Batterien nahm der Gallipolifeldzug ein rasches und unerwartetes Ende. In den letzten Tagen des Jahres 1915 räumten die Engländer in aller Hast ihre Stellungen und verließen unter dem Schutze der Schiffskanonen die hartumstrittene Landzunge. Die Gründe für das plötzliche Abbrechen des Kampfes sind noch nicht vollkommen geklärt. Die Erwägung, daß zu allen bisherigen Schwierigkeiten nunmehr auch noch mit der österreichisch-ungarischen Artillerie zu rechnen sein wird, dürfte die Entschließungen der britischen Heeresleitung entscheidend beeinflußt haben. Wenn es also den k. u. k. Batterien auch nicht mehr vergönnt war, an den Hauptschlachten auf Gallipoli teilzunehmen, so ist ihrer Wirkung doch ein guter Teil des glücklichen Enderfolges zuzuschreiben. Liman v. Sanders Pascha und die türkische Oberste Heeresleitung haben beide Batterien wiederholt durch Dank und Anerkennung ausgezeichnet.

Österreichische schwere Haubitzenbatterie auf dem Marsche
über die neue Brücke in Konstantinopel. 1916.
[560a]      Österreichische schwere Haubitzenbatterie
auf dem Marsche über die neue Brücke in Konstantinopel. 1916.

Nach dem Abzug der Engländer verblieb die k. u. k. Haubitzbatterie noch bis Juni 1916 auf Gallipoli. Hierauf wurde sie zur Küstensicherung in die Gegend von Smyrna verlegt. Dort übergab sie im August 1916 ihr gesamtes Material an eine türkische Batterie und rückte dann mit dem Personal nach Konstantinopel ein. Mit neuen Geschützen ausgerüstet, marschierte sie im November 1916 über Rustschuk zur Armee Mackensen und kämpfte bis Februar 1917 auf dem rumänischen Kriegsschauplatze. Mitte März kehrte sie in die Türkei zurück. Sie wurde an der Küste gegenüber der Insel Tenedos in Stellung gebracht und verblieb dort bis zum Kriegsende.

Auch die 24-cm-Mörserbatterie wurde nach Beendigung der Dardanellenkämpfe zunächst im Küstenabschnitt bei Smyrna verwendet und dann der Armee Mackensen überstellt. Im Februar 1917 rückte sie wieder nach Konstantinopel ein und wurde hier in zwei Teile geteilt, eine zweipiècige 24-cm-Mörserbatterie (Nr. 9) und eine zweipiècige 10,4-cm-Kanonenbatterie (Nr. 20). Von dem weiteren Schicksal dieser Batterie wird später die Rede sein.


2. Der Feldzug gegen den Suezkanal.

Nach dem glücklichen Abschluß der Kämpfe auf Gallipoli rüstete sich die türkische Heeresleitung zu einem neuerlichen Vorstoß gegen den Suezkanal.

Schon im Februar 1915 war ein starkes Detachement unter Führung des Obersten Frhr. v. Kreß bis an den Kanal vorgedrungen. Die Engländer wurden damals völlig überrascht, so daß es einzelnen türkischen Abteilungen sogar gelang, den Kanal zu überschreiten. Nach diesem Erfolge mußte sich aber Kreß wieder in die Wüste zurückziehen, und es trat auf diesem Kriegsschauplatz ein Operationsstillstand ein.

[562] Im Februar 1916 schien nun der türkischen Heeresleitung der Zeitpunkt für eine Wiederholung des Unternehmens gekommen. Das k. u. k. Armee-Oberkommando stellte für die Expedition eine Gebirgshaubitzdivision unter Kommando des Majors v. Marno zur Verfügung. Sie wurde gleich nach ihrem Eintreffen in der Türkei dem Korps Kreß zugewiesen und nach Bir Seba verlegt, wo sie sich durch besondere Übungen für die Eigenheiten des Kriegsschauplatzes sorgfältig vorbereitete.

Mit dem Eintreffen der Haubitzdivision v. Marno standen nun vier k. u. k. Batterien auf türkischem Gebiete.

Die große Entfernung vom Heimatlande und die eigenartigen türkischen Etappenverhältnisse ergaben die Notwendigkeit, für den Mannschaftsersatz, den Munitionsnachschub und die materielle Versorgung der Truppen besondere Einrichtungen zu schaffen und ein einheitliches Kommando herzustellen. Zu diesem Zwecke wurde der k. u. k. Oberst des Artilleriestabes Chevalier Hervay-Kirchberg im März 1916 zum Kommandanten der österreichisch-ungarischen Artillerie in der Türkei ernannt. Er hatte zunächst die Ersatzabteilungen, Instruktionsabteilungen und Etappeneinrichtungen aufzustellen und zu organisieren und den einheitlichen Befehl über diese Formationen zu führen. Aber auch die österreichisch-ungarischen Batterien, Kraftfahrabteilungen und Sanitätsanstalten an der Front wurden in Personal- und Materialangelegenheiten an seine Befehle gewiesen. Oberst Chevalier Hervay hat mit verhältnismäßig bescheidenen Mitteln und unter Schwierigkeiten, die nur ein Kenner der Türkei zu würdigen vermag, eine mustergültige und ganz eigenartige Organisation geschaffen, die sich in allen Wechselfällen des Krieges vortrefflich bewährte.

Besondere Obsorge verlangte der komplizierte Etappendienst. Munition und Kriegsgerät aller Art mußten von Wien aus zugeschoben werden. Die Güter kamen mit der Bahn in Konstantinopel an, gingen dann über den Bosporus nach Haidar Pascha und von dort mit der anatolischen Bahn bis an den Fuß des Taurus. Da die Taurusbahn noch nicht fertiggestellt war, mußten in Bozanti alle Güter auf Autos verladen und auf der Südseite des Gebirges wieder auf die Bahn umgeladen werden. Von dort erfolgte der Weitertransport mit der Bagdadbahn, dann wieder mit Schmalspurbahn und endlich mit Autos und landesüblichen Transportmitteln bis zur Truppe. Diese schwierige Etappenlinie war die einzige zur Versorgung aller Truppen in Palästina. Auf der Strecke von Konstantinopel bis Aleppo hatte sie auch alle Transporte für die Front in Mesopotamien zu bewältigen. Die Bahnen standen in türkischem Betriebe. Sie litten ständig unter Kohlenmangel und mußten - besonders südlich des Taurus - zumeist mit Holz geheizt werden, das aus den umliegenden Wäldern geholt wurde. Nicht selten ereignete es sich, daß Züge auf der Strecke stehen- [563] blieben und die Transportmannschaft Brennholz herbeischaffen mußte, um die Lokomotive wieder in Gang zu setzen.

Neben der Leitung des Etappenwesens war die Ausbildung der türkischen Artilleriemannschaft eine der wichtigsten Aufgaben des k. u. k. Artilleriekommandos. Aus einem kleinen Instruktionskader entwickelte sich allmählich eine starke Abteilung in Konstantinopel mit mehreren detachierten Unterabteilungen an allen Fronten. Die zahlreichen von Österreich-Ungarn gelieferten Materialbatterien wurden von der Instruktionsabteilung übernommen, mit türkischer Mannschaft besetzt und bis zur vollen Verwendungsfähigkeit ausgebildet. Nach diesem System wurden nach und nach ungefähr 50 Batterien mit österreichisch-ungarischem Material und türkischer Bedienung ins Feld gesandt. Sie haben sich nahezu ausnahmslos vortrefflich bewährt.

Mitte Juli 1916 begann Oberst Kreß aus dem Raume um El Arisch den Vormarsch längs der Küste gegen den Kanal. Am 23. Juli erreichte die k. u. k. Haubitzdivision Bir el Abd. Sie hatte die 200 km in fünf Tagmärschen zurückgelegt.

Die Engländer waren diesmal auf den Angriff vorbereitet und stellten sich bei Bir Romani, etwa 50 km östlich der Bahnlinie nach Port Said, zur Verteidigung. Am 4. August schritt das Expeditionskorps zum Angriff. Dank der ausgezeichneten Unterstützung durch die deutsche und österreichisch-ungarische Artillerie kam die türkische Infanterie bis an die feindliche Hauptstellung heran. Im weiteren Angriffe versagte sie aber. Als am 5. August fünf bis sechs englische Kavalleriebrigaden und australische Infanterie zum Gegenstoß ansetzten, mußte das Korps Kreß zurückweichen.

Die Hauptlast dieses Gegenstoßes fiel auf die k. u. k. Batterien. Es gelang ihnen, durch präzises Schnellfeuer den Engländern schwerste Verluste beizubringen und sie zum Rückzug zu zwingen, der im Verfolgungsfeuer zur Flucht ausartete. Dennoch mußte das Korps Kreß angesichts der bedeutenden Übermacht den Rückmarsch fortsetzen. Am 8. August griff der Feind bei Bir el Abd neuerdings an. Wieder war es der tapferen Haltung der k. u. k. Batterien zu danken, daß sich die Infanterie von den Verfolgern loslösen konnte.

Oberst v. Kreß hat den Anteil der österreichisch-ungarischen Artillerie an diesen Kämpfen in der Wüste in besonders auszeichnenden Worten anerkannt. Ausbildung, Geist und Disziplin der österreichischen Armee hatten sich auch auf diesem entlegenen, eigenartigen Kriegsschauplatz in hohem Maße bewährt.

Nach Abschluß der zweiten Suezexpedition zog die türkische Heeresleitung alle Streitkräfte aus der Sinai-Wüste zurück und beschränkte sich fortan auf die Verteidigung Palästinas. Die k. u. k. Gebirgshaubitzdivision wurde Ende Oktober 1916 zur Retablierung in Bethlehem vereinigt.


[564] 3. Die Kämpfe in Palästina.

Die Engländer waren 1916 langsam in den Raum von El Arisch gefolgt und verschanzten sich dort. Sie zogen auf dem Seewege Verstärkungen heran, und um die Jahreswende 1916/17 wurden Angriffsvorbereitungen deutlich erkennbar.

Die türkische Armee hatte zwischen Gaza (am Mittelmeer) und dem Toten Meer eine Verteidigungsstellung bezogen. Die k. u. k. Gebirgshaubitzdivision war auf dem rechten Flügel der Front, in der unmittelbaren Umgebung von Gaza eingesetzt.

Schon zu Ende des Monats März 1917 entwickelten sich dort überaus heftige Kämpfe, die als "Erste Gazaschlacht" bezeichnet werden.

Am 26. März griffen drei englische Kavalleriedivisionen und eine Infanteriedivision die flüchtig befestigten Höhen südlich Gaza an. Während feindliche Kavallerie die Stadt von Osten und Norden einschloß, ging die Infanterie in dichten, tiefgegliederten Massen von Südosten her zum Angriff. Die türkische Infanterie focht sehr tapfer, mußte aber schließlich der Übermacht weichen. Die k. u. k. Haubitzbatterie Nr. 2/4 hielt stand, bis die letzte Kartätsche verfeuert war. Dann griff die Mannschaft zum Karabiner und kämpfte weiter. Erst als die Engländer in die Protzenstellung eindrangen, zog sich die Geschützbedienung unter Mitnahme der Verschlüsse zurück. Der Batteriekommandant, Oberleutnant Koposz, gab aber den Kampf nicht auf. Er sammelte seine Kanoniere und schritt zum Gegenangriff mit dem Karabiner. Der erste Versuch mißlang. In der Nacht aber, als die Engländer schon in Gaza eingedrungen waren, griff Oberleutnant Koposz zum zweiten Male an. Es gelingt ihm, die Geschütze zurückzuerobern, sie zu bergen und kurz danach westlich von Gaza wieder feuerbereit zu machen.

Auch der Divisionskommandant, k. u. k. Hauptmann v. Truszkowski, harrte bis zum letzten Augenblick bei der Infanterie aus. Da drangen englische Soldaten unter Führung eines Offiziers in seinen Beobachtungsstand. Truszkowski ergab sich nicht. Er streckte einige Engländer mit der Pistole nieder und fiel dann, von vier Schüssen durchbohrt. Er liegt am Berge Sion in Jerusalem begraben.

Am 27. Mai ging der Kampf weiter. Beide Batterien standen den ganzen Tag über, von drei Seiten bedroht, in der kritischesten Lage, feuerten aber ununterbrochen in den Angreifer. Schon neigte sich die Widerstandskraft der Front dem Ende zu, als durch einen geschickt und kühn geführten türkischen Gegenangriff aus nordöstlicher Richtung (Dschamamme) eine Wendung eintrat. Die Engländer - Elitetruppen aus London und Wales - zogen sich zurück, gerieten in eine Panik und verließen flüchtend das Schlachtfeld.

[565] Die k. u. k. Haubitzbatterie hatte 7 Offiziere und 43 Mann verloren.. Gefangene englische Offiziere sagten aus, daß die Wirkung der Haubitzen für den Verlauf der Schlacht entscheidend war.

Wenige Wochen später erfolgte an gleicher Stelle eine neue Serie von Kämpfen - die zweite Gazaschlacht.

Abermals hielt die Artillerie in den Stellungen aus, als schon Teile der eigenen Linien verloren waren. Sie überschüttete die Einbruchsstellen mit einem Hagel von Geschossen und verhinderte so jedes weitere Vordringen des Feindes. Nach viertägigen, wechselvollen Kämpfen gab er den Angriff auf und verschanzte sich außerhalb des Geschützertrages.

Der Sommer 1917 verlief unter Artillerie- und Fliegerkämpfen kleinen Stiles. Im Juni traf die aus der Umformierung der 24-cm-Mörserbatterie hervorgegangene 10-cm-Kanonenbatterie am Kriegsschauplatze ein und wurde gleich den Haubitzbatterien bei Gaza eingesetzt.

Den Kämpfen, die noch vor Eintritt der Regenperiode zu erwarten waren, sah man mit Besorgnis entgegen. Die Verpflegslage wurde von Tag zu Tag ungünstiger, die Desertionen bei den türkischen Truppen nahmen einen bedenklichen Umfang an und die mit englischem Gelde bestochenen Araber wurden allerorts unruhig. Die Tiere litten unter Hunger und Seuchen, so daß die Marschfähigkeit der Truppenkörper in Frage gestellt wurde. Unseren Batterien wurde als Ersatz für umgestandene Zugtiere die k. u. k. Autokolonne Türkei Nr. 1 zudisponiert. Dieser tüchtigen Kolonne war es zu danken, daß die Batterien auch noch in den späteren Rückzugsgefechten mobil und gefechtsfähig blieben.

Gegen Ende Oktober wurden die englischen Angriffsvorbereitungen immer offenkundiger, und am 1. November erfolgte ein gewaltsamer Vorstoß gegen den linken Flügel der Palästinafront bei Birseba, während aufständische Araber aus dem Ostjordanland die Rückzugslinie bedrohten. Am 2. November entspann sich die dritte und letzte Schlacht bei Gaza. Die k. u. k. Batterien waren vier Tage lang abermals die Hauptstütze der Verteidigung. Wieder mußten die braven Kanoniere zum Karabiner greifen, um den vordringenden Feind von den Geschützen fernzuhalten. Da gelang es englischer Kavallerie, östlich von Gaza durchzubrechen und die türkische Front im Rücken zu fassen. So wurde der Rückzug unvermeidlich.

Am 12. November waren die k. u. k. Batterien in Nablus (auf halbem Wege zwischen Jerusalem und Nazareth) gesammelt. Dank der tapferen Haltung und mustergültigen Disziplin konnten alle Geschütze zurückgebracht werden. [566] Gegen Jahresende wurden die Batterien zur Umbewaffnung und gründlichen Retablierung nach Damaskus verlegt. Die Haubitzdivision gab das Gebirgsmaterial ab und wurde mit neuen 10-cm-Feldhaubitzen Mod. 14 ausgerüstet.


4. Kämpfe in Ostjordanland.

Im letzten Kriegsjahre war der k. u. k. Artillerie in der Türkei noch einmal ein großer Erfolg beschieden.

Die Batterie 2 der Haubitzdivision und eine 10-cm-Kanone wurden zum türkischen VIII. Korps im Ostjordanland eingeteilt. Der Divisionskommandant, Major v. Arenstorff, wurde Artilleriekommandant des Korps.

Am 20. April versuchte eine englische Kavalleriebrigade von Jericho her einen Vorstoß über den Jordan gegen Es Salt. Sie geriet aber in unser Artilleriefeuer und mußte unter schweren Verlusten zurückweichen.

Zehn Tage später wurde das Unternehmen wiederholt. (Zweite Ostjordanschlacht.) Durch ein weit nach Norden ausgreifendes Umgehungsmanöver nahm feindliche Kavallerie Es Salt und gelangte so in den Rücken der türkischen Front. Die Lage schien verzweifelt. Alle Verbindungen waren abgeschnitten. Nur noch die drahtlose Station funktionierte. Die Munition war bis auf den letzten Schuß aufgebraucht. Der Feind drängte von vorn und im Rücken. Die 10-cm-Kanone ging verloren und wurde im Handgemenge zurückerobert. Schon mußte sich die Mannschaft nach allen Seiten wehren. Selbst der Arzt der Batterie ging mit einigen Kanonieren und einem eroberten englischen Maschinengewehr in die Kampflinie.

Da kam in zwölfter Stunde die Rettung. Eine türkische Infanteriedivision und eine Kavalleriedivision hatten weit nördlich des Schlachtfeldes den Jordan überschritten und faßten nun die Engländer in Flanke und Rücken. Das entschied die Schlacht. Im Laufe des 6. April gingen die englischen Truppen in höchster Eile auf das Westufer des Jordan zurück. Nur der Munitionsmangel der k. u. k. Artillerie bewahrte sie vor einer Katastrophe.

Die heldenmütige Haltung der k. u. k. Artillerie fand auch in diesen Kämpfen bei allen Vorgesetzten, insbesondere beim Korpskommandanten Fuad Pascha, höchste Würdigung.


5. Das Ende.

In den Kämpfen bei Es Salt war die Kampfkraft des türkischen Heeres zum letzten Male aufgeflammt. Nun ging es rasch dem Ende zu.

Auch Liman v. Sanders Pascha, der als Nachfolger Djemals das Kommando in Palästina übernommen hatte, konnte die Dinge nicht mehr zum Besseren wenden. In den kleinen Kämpfen im Juli/August 1918 zeigte sich deutlich, daß die Widerstandskraft der Front gebrochen war. Hunger, Krankheiten und Entbehrungen aller Art unterwühlten die Truppen. Der ganze Etappenbereich [567] war mit Deserteuren überfüllt, die, vom Hunger getrieben, auf Raub ausgingen. Die aufrührerischen Araber wurden immer dreister und bedrohten ernsthaft die einzige Bahnlinie. Verpflegung war im Lande kaum mehr aufzutreiben, und der Nachschub konnte die Bedürfnisse der Front längst nicht mehr bewältigen.

Der Schlußakt verdient kaum mehr den Namen Schlacht.

Am 19. September griff der Feind an der ganzen Front an, und schon am 20. früh drang er mit Kavallerie in Nazareth, dem Standort des Heeres-Gruppenkommandos, ein. Der Stab mußte sich bereits den Rückzug nach Damaskus erkämpfen. Große Teile der Front lösten sich vollkommen auf oder gerieten in Gefangenschaft. Unter diesen Verhältnissen mußte auch ein beträchtlicher Teil des österreichisch-ungarischen Artilleriematerials zurückgelassen werden.

Der Rückzug der Trümmer der türkischen Armee wurde bis hinter das Amanusgebirge, in die Ebene von Adana, fortgesetzt. Dort bereitete der Abschluß des Waffenstillstandes den weiteren Kämpfen ein Ende.

Nach den Bestimmungen des Waffenstillstandvertrages hatten die österreichisch-ungarischen Truppen bis Ende November 1918 die Türkei zu räumen.

Es wurden daher die in Konstantinopel befindlichen Mannschaften, hauptsächlich Instruktionspersonal und Ersatzmannschaften, so rasch als möglich über das Schwarze Meer heimgesandt, so lange die Transportwege über Rumänien und die Ukraine offen standen. Die Fronttruppen hatten ihre Geschütze, Pferde, Autos und sonstiges Material an die türkischen Kommandos zu übergeben und sich dann in Konstantinopel zu sammeln.

Im Laufe des Monats November war der größte Teil der österreichisch-ungarischen Mannschaften in der türkischen Hauptstadt eingetroffen. Bis dahin waren aber auch alle Wege in die Heimat in den Händen der Entente. Am 13. November früh erschien die Mittelmeerflotte vor dem Goldenen Horn, und bald darauf übernahmen die Hochkommissäre der Ententemächte die effektive Regierungsgewalt. Der österreichisch-ungarische Militärbevollmächtigte, Feldmarschalleutnant Pomiankowski, bemühte sich zunächst vergebens, von den Alliierten den notwendigen Schiffsraum zum Abtransport zu erhalten. So wurde die vertragsmäßige Frist zum Verlassen der Türkei überschritten, und die österreichisch-ungarischen Truppen mußten in den ersten Dezembertagen das europäische Ufer räumen. Sie bezogen auf kleinasiatischer Seite bei Moda und auf der großen Prinzeninsel ein Kantonierungslager und durften einen enggezogenen Rayon nicht mehr überschreiten.

Inzwischen war der Zerfall der Monarchie in mehr oder weniger glaubwürdiger Form bekannt geworden. Diese Nachrichten konnten ihre Wirkung auf das österreichisch-ungarische Kontingent nicht verfehlen. Die tschechischen [568] Mannschaften unter dem Befehl eines gewählten Reserveoffiziers sagten sich als erste vom k. u. k. Kommando los und unterstellten sich dem französischen General, der sie auf einem französischen Kreuzer abtransportierte. In der Folge wurden die italienischen und südslawischen Mannschaften und zum Schlusse auch die Rumänen von den konnationalen Ententevertretern übernommen und abgeschoben. So blieben nur mehr Deutsche, Ungarn und Polen, im ganzen etwa 1800 Mann, übrig. Aus disziplinären Gründen wurden die kleinen Formationen aufgelöst und das ganze Detachement in Kompagnien und Bataillone formiert. Unter dem Eindruck der verworrenen und oft recht phantastischen Nachrichten aus der Heimat, sowie infolge der Sorgen um die nächste Zukunft hatte sich die Disziplin der Truppen erheblich gelockert. Zu ernsten Ausschreitungen oder gar Meutereien ist es jedoch nirgends gekommen.

Nach langen Bemühungen wurde Ende Dezember 1918 der türkische Transportdampfer "Reschid Pascha" für die ehemals k. u. k. Truppen zur Verfügung gestellt. Die Einrichtung des Schiffes für einen Massentransport, der den normalen Fassungsraum um ein Mehrfaches überstieg, dauerte 14 Tage. Am 6. Januar 1919 verließ der Dampfer mit der Route nach Triest den Hafen von Konstantinopel. Damit endete die Kriegsfahrt der österreichisch-ungarischen Soldaten in der Türkei.

Ende Januar traf das Detachement ohne Zwischenfall und unbehelligt in Wien ein.

An den Riesenschlachten auf anderen Kriegsschauplätzen gemessen, erscheinen die Kämpfe in der Türkei gering. Aber es war das erste- und letztemal in der Geschichte, daß österreichisch-ungarische Landtruppen auf asiatischem Boden kämpften. Ihre Bedeutung lag nicht in ihrer Stärke, und sie konnten das Schicksal des türkischen Heeres nicht wenden. Aber sie waren in allen Stücken der alten k. u. k. Armee würdig und haben ihren Ruhm in weite Fernen getragen.

Daher schien es wert, ihrer besonders zu gedenken.


1 [1/559]1918 im Stabe des k. u. k. Militärbevollmächtigten in der Türkei. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte