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Bd. 5: Der österreichisch-ungarische Krieg

[497] Kapitel 21: Die Junischlacht 1918 in Venetien1
Staatsarchivar Oberstleutnant Edmund Glaise-Horstenau

1. Vorgeschichte.

Im Kriegsjahre 1917 glichen die Heere der Mittelmächte der Besatzung einer belagerten Festung, deren Schicksal vom Ergebnis einer außerhalb des Platzes geschlagenen Entsatzschlacht abhing. Die Rolle der Entsatztruppen fiel den kühnen deutschen Unterseebooten auf hoher See, in der Atlantis und den großbritannischen Meeren, zu. Das Besatzungsheer bewies durch glänzende Ausfälle seinen ungebrochenen Kampfesmut, doch die Vernichtung des Feindes war nicht ihm zugedacht, sondern eben den Kämpfern auf See. Diese wirkten trefflich, fügten dem Feinde schwersten Schaden zu. Aber es vergingen die verhießenen drei, sechs, neun Monate, ohne daß der Ring der Belagerer wirklich durchbrochen und in den Rücken gefaßt war. Allmählich, nach Wochen und Monden schwerster Sorge im Lager der Entente, ergab sich auch wieder das alte Spiel: die Abwehr holte einen Teil des Vorsprunges ein, den die Angriffswaffe besessen hatte, und raubte dieser dadurch das Allerbedrängendste der Wirkung. Als das Jahr 1917 zur Neige ging, da war es der Obersten Kriegsleitung klar: die Unterseeboote hatten Großes geleistet, aber die Entscheidung mußte doch auf dem Schlachtfelde gesucht werden! Ernster Bedrängnis im Osten ledig, entschloß sie sich, im Frühjahr 1918 im Westen den großen Schlag zu führen, von dem das Schicksal der Völker abhängen sollte.

Damit trat wieder - wie um die Jahreswende 1915/1916 - die Frage der Verwendung österreichisch-ungarischer Verbände auf der französischen Walstatt in den Vordergrund der Erwägungen. Die erste grundsätzliche Übereinstimmung im bejahenden Sinne wurde bei den Besprechungen erzielt, die General v. Waldstätten am 3. November 1917 in Berlin mit den führenden Persönlichkeiten der Obersten Heeresleitung hatte.2 Am 23. Dezember - drei Wochen, nachdem die italienische Offensive aufgegeben worden war - befragte Ludendorff das Armee-Oberkommando schriftlich ob seiner Neigung, im Westen [498] mitzuwirken, und ob seiner sonstigen Absichten. General v. Arz antwortete am 28. Dezember, daß auch er den von Ludendorff geplanten Schlag im Westen für den entscheidenden halte und vom Kaiser Karl ermächtigt sei, einer Teilnahme österreichisch-ungarischer Streitkräfte an diesen Kämpfen zuzustimmen, wobei die Truppenstärke vom Verlauf der Verhandlungen mit Rußland abzuhängen hätte. General v. Waldstätten wäre Anfang Januar bereit, sich zu mündlichen Besprechungen nach Berlin zu begeben. Im Südosten sei die Einnahme Valonas geplant; größere Operationen gegen Italien kamen nur bei einem Überschuß an Kräften in Betracht.

General Ludendorff dankte tags darauf für dieses Entgegenkommen, wollte jedoch eine nähere Vereinbarung und auch den Besuch Waldstättens bis zu dem Zeitpunkt aufgeschoben wissen, in welchem man die Entwicklung im Osten klarer übersehen konnte. Das grundsätzliche Übereinkommen war aber jedenfalls getroffen, wie sich aus den Versicherungen ergab, die Graf Czernin in Brest-Litowsk den deutschen Staatsmännern über eine österreichische Waffenhilfe im Westen zukommen ließ.3 Inzwischen wurden aber - zunächst in Österreich - entgegenwirkende Kräfte fühlbar. Es spannen sich aufs neue die schon bekannten Fäden zu den Kabinetten in London, Washington und Paris, Fäden, die - nach der immer wiederkehrenden Versicherung französischer und englischer Unterhändler - in dem Augenblicke abreißen mußten, als k. u. k. Divisionen auf dem französischen Hauptkriegsschauplatz auftauchten. Bei allen Besprechungen dieser Art wurde der Donaumonarchie zum Vorwurf gemacht, daß sie bereits eine Satrapie Preußen-Deutschlands geworden sei; Wilson hatte sogar damit seine Kriegserklärung an die Wiener Regierung begründet. Die pazifistischen und antipreußischen Ratgeber am Wiener Hofe fanden leichtes Spiel, das Bedenken auszulösen, daß die Entente die Mitwirkung österreichisch-ungarischer Heereskörper am Westkriege als eine völlige Unterwerfung der Habsburger unter die Hohenzollern betrachten werde.

Diese Ratgeber konnten sich auch auf bedeutende Strömungen in den immer mehr Gehör erlangenden Massen stützen: ebensosehr auf die Abneigung, die die slawischen Völker gegen den Plan erfüllte, als auch auf den Widerstand, den ihm die linken Fraktionen des Budapester Parlaments und die deutsch-österreichischen Sozialdemokraten entgegensetzten.

Cramon erzählt, daß er, als er anfangs 1918 auf Befehl des ersten Generalquartiermeisters vom Armee-Oberkommando bindende Erklärungen wegen der Teilnahme von Divisionen im Westen verlangte, mit dem Hinweis auf die Verhältnisse im Osten eine ausweichende Antwort erhielt, daß ihm jedoch die Mitwirkung von Artillerie angeboten wurde. Nach einem längeren Hin und Her von Verhandlungen eröffnete ihm zuletzt General v. Arz "ganz vertraulich, [499] daß die Entsendung österreichischer Infanterie nach dem Westen an Allerhöchster Stelle nicht genehm sei."

Leider war man auch in der deutschen Obersten Heeresleitung in der Frage der Mitwirkung Österreichs nicht eines Sinnes. Die Eignung der k. u. k. Divisionen für den Westkampf wurde - nicht zu Recht, wie später die bis zum Zusammenbruch bei Verdun fechtenden Truppen bewiesen - von maßgebenden Persönlichkeiten allzu gering bewertet. Von einem durch die Verhältnisse gerechtfertigten Kraftbewußtsein erfüllt, glaubte man schließlich, auf eine Hilfe von solch problematischem Werte verzichten zu können.

General v. Waldstätten, der - ebenso wie der Chef des Generalstabes - diese Entwicklung aufrichtig bedauerte, hoffte bei den Berliner Besprechungen zu Anfang Februar, daß Ludendorff aus eigenen Stücken auf die Mitwirkung österreichischer Verbände im Westen zu sprechen kommen werde. Aber es wurde nur mehr über die Beistellung von Artillerie verhandelt. Waldstätten konnte 50 Batterien schweren und mittleren Kalibers zur Verfügung stellen.

Bei dem kurz darauf folgenden Kaiserbesuche in Homburg (22. Februar) dankte der Generalquartiermeister dem österreichischen Generalstabschef für diese Aushilfe; auf eine Infanterieentsendung kam er nicht mehr zurück.

General v. Cramon bedauert, daß man in Kreuznach so leichten Herzens auf die österreichischen Divisionen verzichtet habe. Zehn derselben wären, meint er, sicher frei zu bekommen gewesen, wenn sich die Oberste Heeresleitung ernstlich eingesetzt hätte. Das wäre nicht nur ein wenigstens für die Verwendung an ruhigen Fronten wertvoller Kraftzuschuß gewesen, sondern Kreuznach hätte damit auch besser, als es dann geschah, gerade in der entscheidenden Phase des Krieges die Oberleitung der Operationen in der Hand behalten können.

Inzwischen nahmen die Verhandlungen des Vierbundes im Osten, mit Rußland und Rumänien, einen den militärischen Wünschen entsprechenden Verlauf. Am 23. März 1918 genehmigte der Kaiser Karl den Entschluß des Generalobersten v. Arz, eine Offensive gegen Italien vorbereiten zu lassen. Vier Tage später erhielt die Oberste Heeresleitung Mitteilung darüber. Arz schrieb, daß er als Resultat dieser Operation, die Ende Mai losgehen und bis an die Etsch führen solle, den militärischen Niederbruch Italiens erwarte.

Die sogenannte "Piave-Offensive", die sich aus diesem Entschluß ergab, wurde später immer - in beiden Heeren - als "Extratour" nach dem Beispiele von 1916 empfunden. Die Antwort, die Hindenburg dem k. u. k. Armee-Oberkommando auf dessen erste Mitteilung gab, lautet nicht in diesem Geiste: [500] "Ich glaube, daß die von Eurer Exzellenz in Aussicht genommene Offensive gegen Italien der Gesamtlage sehr zugute kommen wird, und zwar um so mehr, je eher die Operationen beginnen." Noch schärfer wendet sich Ludendorff in seinem Buche Kriegführung und Politik gegen den Vorwurf der Extratour. Die Verhältnisse wären 1918 ganz anders gewesen wie 1916. "Damals fehlte der einheitliche Gedanke und vertrauensvolle Gedankenaustausch und auch die zeitliche Übereinstimmung, die 1918 angestrebt wurde. Der Angriff auf Verdun hatte bereits lange seine Schwungkraft verloren, als im Mai 1916 die österreichisch-ungarische Armee in Italien aus Tirol angriff. 1918 waren die Fronten in Italien und Frankreich für Deutschland und Österreich-Ungarn ganz ausgesprochen eine einzige Front..."

Noch ehe das Armee-Oberkommando Baden den Entschluß zur Offensive in Italien gefaßt hatte, war Feldmarschall Conrad von Bozen aus mit dem Vorschlag hervorgetreten, den Hauptstoß zwischen den Tälern des Astico und der Piave, also aus den vicentinischen Bergen zu führen und ihn durch Nebenaktionen auf Treviso und im Etschtal begleiten zu lassen. Diesem Gedanken stand von Anbeginn die Auffassung des zweiten Heeresgruppenkommandanten, des Feldmarschalls Boroević, entgegen, der ursprünglich jedem Angriff abgeneigt war, um die Kräfte für den Friedensschluß zu erhalten. Als aber der Angriff beschlossen war, betonte er, daß er nur den Hauptstoß in der Ebene, also von seiner Front aus, als wirklich erfolgversprechend betrachte. Ein dritter General, Alfred Krauß, der damals noch im Grappagebiet kommandierte, gab in einer von ihm abverlangten Denkschrift zwar dem Operationsplan Conrads gegenüber dem des Marschalls Boroević den Vorzug, erblickte aber weder in dem einen noch in dem anderen den Ausdruck eines wirklichen Vernichtungswillens, sondern nur in einem Angriff aus dem Raume beiderseits des Gardasees.

General v. Arz erkannte dem Frontalstoß über die Piave nur beschränkte Wirkungsmöglichkeit zu; doch widerstrebten ihm auf der anderen Seite Angriffshandlungen, bei denen die angreifenden Truppen - wie beim Stoße über Asiago - allzu tiefe Gebirgszonen zu durchstoßen hatten. Naturgemäß spielten auch die Versammlungs- und Nachschubfragen eine entscheidende Rolle; je länger man von dem sehr wenig leistenden Tiroler Bahnstrang allein abhing, um so mehr war die Ausnutzung eines Anfangserfolges gefährdet. Daher trat Arz für einen beiderseits der Brentaschlucht mit starkem Ostflügel zu führenden Hauptangriff ein, der die Piavefront der Italiener auch noch in der Flanke traf, aber schon im ersten Anlauf in die Ebene führen mußte. Boroević sollte diesen Angriff durch einen Stoß beiderseits der Bahn Oderzo - Treviso begleiten, so daß die Zangenwirkung gesichert war.

Die persönlichen Besprechungen, die Mitte April zwischen Conrad und Arz in Gegenwart des Kaisers geführt wurden, brachten aber der Anschauung des [501] Bozener Marschalls schließlich doch das Übergewicht. Die Hauptlast des Stoßes wurde auf die von mehreren Bergketten durchzogene, waldbedeckte Hochfläche von Asiago (Sieben Gemeinden) verlegt, freilich ohne daß man deshalb auf die Erfolgsmöglichkeiten im Gebirge östlich der Brenta verzichten wollte. Mitgewirkt hatten an diesem Wandel der Entschlüsse die großen Schwierigkeiten, die einer Versammlung starker Kräfte in der vom Armee-Oberkommando vorgeschlagenen Hauptangriffsrichtung entgegenstanden.

Der Kampfraum zwischen Etsch und Piave.
[Beilage zu Bd. 5]      Der Kampfraum zwischen Etsch und Piave.      [Vergrößern]

Die Diversion beiderseits der Bahn Oderzo - Treviso blieb aufrecht. Boroević seinerseits ordnete, um den Flußübergang in diesem Raume zu erleichtern, noch einen demonstrativen Angriff an der unteren Piave, bei San Dona, an. Außerdem wurde alsbald beschlossen, auch den dem Südflügel der 6. Armee gegenüberliegenden Montello nehmen zu lassen und dadurch die gegen Treviso und das Grappagebiet angesetzten Aktionen zu fördern. Der Wunsch hierzu kam aus der mittleren Führung. General Goiginger, dessen XXIV. Korps dem Montello gegenüberstand, unterstützte ihn. Der ebenso tatkräftige, wie unternehmende Befehlshaber der 6. Armee Erzherzog Joseph hielt es für seine Pflicht, sich der Anregung nicht zu verschließen. Boroević erstattete am 3. Mai dem Kaiser und seinem Generalstabschef über den Antrag des Erzherzogs Bericht. Dieser wurde ohne Einwendung entgegengenommen. Später erhob dann freilich - der Angriffsbeginn war inzwischen auf den 7. Juni und dann auf den 15. verschoben worden - das Armee-Oberkommando Baden Bedenken gegen den Montelloangriff; es war mehr als fraglich, ob genügende Truppen und Kampfmittel zur Verfügung standen. Das Heeresgruppenkommando Boroević entschloß sich daraufhin in letzter Stunde, das Unternehmen abzusagen. Aber die Befehlshaber der 6. und der Isonzoarmee wendeten dagegen ein, daß die Vorbereitungen schon zu weit gediehen seien. So kam es doch zum Vorstoß gegen den Montello.

Die zwischen dem Astico und dem Meere breit angelegte Angriffshandlung sollte noch - einige Tage, bevor sie ins Rollen kam - durch eine weitere Diversion an der Tiroler Westfront, im Tonalegebiet, eingeleitet werden. Die 1. Infanteriedivision Feldmarschalleutnant Metzger hatte hier, gefolgt von der Grazer 22. Schützendivision, nach Edolo ins Veltlin vorzustoßen und in dieser für die Italiener sicher sehr empfindlichen Richtung die Aufmerksamkeit vom Hauptangriff abzulenken.

Die Vorbereitung der Offensive ging nicht ohne beträchtliche Hemmnisse vor sich. Die Hauptangriffsgruppe hing einzig an der schmalspurigen Suganertal-Bahn, von der man bis an die Front noch ein bis drei Tagemärsche zurücklegen und Höhenunterschiede von 1500 m und darüber überwinden mußte. Die Verbindung zwischen den Ausladestationen und den Sammelräumen stellten Kraftwagen, Seilbahn und Trägertransport her.

[502] Das Kräfteverhältnis zwischen den österreichisch-ungarischen und den feindlichen Truppen war für jene günstig wie nie früher auf diesem Kriegsschauplatz. Es standen

Österreicher     Italiener und Alliierte
An der Tiroler West- und Südfront.
10. Armee Krobatin mit 8 Infanteriedivisionen. 7. und 1. Armee mit 18 Infanteriedivisionen.
Im Hauptangriffsraum zwischen Astico und Piave.
11. Armee Scheuchenstuel mit 21 Infanterie- und 3 Kavalleriedivisionen. 6. und 4. Armee mit 20 Infanteriedivisionen, hierunter engl. XIV. und franz. XII. Korps, beide bei Asiago eingesetzt.
An der Piave.
Heeresgruppe Boroević (6. und Isonzoarmee) mit 15½ Infanterie- und 4 Kavalleriedivisionen. 8. und 3. Armee mit 16½ Divisionen.
Heeresreserven.
4 Infanteriedivisionen. 2 Armeekorps.

Aus diesen Zahlen erhellt, daß im Angriffsraum zwischen dem Asticotal und der Adria glücklich das Verhältnis 1 : 1 erreicht worden war. Leider ermöglichten es die vielfältigen Ziele, die sich die Führung gesetzt hatte, nicht, die zur Verfügung stehenden Kräfte an den entscheidenden Punkten zu ausschlaggebender Überlegenheit zusammenzufassen.

Bei der materiellen Vorbereitung machten sich die wirtschaftliche Lage der Heimat, die stark verminderte Leistungsfähigkeit der Werkstätten und wieder Zuschubschwierigkeiten fühlbar. Trotzdem ist zahlenmäßig nachzuweisen, daß das k. u. k. Heer weder bei der Offensive 1916 noch in der 12. Isonzoschlacht über annähernd so starkes Geschützmaterial und soviel Kriegsmittel aller Art verfügte wie diesmal. Der Feind freilich konnte seine Ausrüstung aus allen Werkstätten der Welt beziehen und hatte den Österreichern dadurch einen uneinholbaren Vorsprung abgewonnen, der sich - wie schon bemerkt - nirgends niederschmetternder äußerte als in der nach den Tanks modernsten Waffe, im Fliegerwesen. Außerdem war es abermals die Zerpflückung der Angriffshandlung, die die k. u. k. Heeresleitung zwang, die zur Verfügung stehenden Angriffsmittel an einer langen Front in verhältnismäßig geringer Dichte aufzuteilen.

Ein besonderes Problem bildete die Verpflegung. Prinz Windischgrätz bewirkte das Wunder, daß den Fronttruppen in den letzten zwei Wochen vor [503] dem Angriff ½ kg Brot und 120 g Fleisch pro Mann und Tag verabreicht werden konnte. Selbstverständlich mußte im Gebirge, im Bereich der Hauptangriffsgruppe, auch unmittelbar hinter der Front Mundvorrat für ein paar Tage aufgestapelt werden. Es war überaus bezeichnend für die Verhältnisse, daß, als knapp vor dem 15. Juni von verschiedenen Befehlsstellen ein weiteres Hinausschieben der Angriffsfrist gefordert wurde, ein solcher Wunsch schon im Hinblick auf die karg bemessenen Reservevorräte bei der Stoßarmee unerfüllt bleiben mußte. Diese wäre nach wenigen Tagen ohne Nahrung dagestanden und ohne daß man rechtzeitig für ausreichenden Nachschub hätte vorsorgen können.

Der Feind hatte schon vor dem Beginn der Angriffsvorbereitungen Beweise wiedergewonnener Kampffähigkeit gegeben. Von Mitte Januar bis Mitte Februar waren die Höhenstellungen beiderseits der Brenta der Schauplatz zahlreicher italienischer Stoßtruppunternehmen gewesen, die den Angreifern freilich nur vorübergehende örtliche Vorteile brachten. Am 13. März beantworteten die Österreicher die Herausforderungen des Feindes mit der Sprengung der seit der Offensive von 1916 heiß umstrittenen Pasuber Spitze. Von Mitte Mai an entfaltete dann der Italiener eine besonders lebhafte Tätigkeit, die zweifellos mit den österreichisch-ungarischen Angriffsvorbereitungen zusammenhing. Seine kurz nacheinander unternommenen Überfälle auf den Monte Corno im Pasuber Gebiet und auf die Zugna Torta östlich des Etschtales scheiterten im Handgemenge. Dagegen trug ihm ein größer angelegtes Unternehmen am 25. Mai den Gewinn einer Gratstellung auf dem Presena-Gletscher im Tonalegebiet ein. Einen Tag darauf durfte er auch am entgegengesetzten Ende der Front, im Piavedelta, einen bescheidenen örtlichen Erfolg über eine eben von der Ostfront herangeführte k. u. k. Kavalleriedivision buchen. Diese zwei Geschehnisse fielen naturgemäß unters Maß. Mochte immerhin die Rüstung des k. u. k. Heeres im Vergleich zum Feind schon vielerlei zu wünschen übriglassen, jeder Mann vom höchsten Führer bis zum jüngsten, am Vorabend der Schlacht eingesetzten Rekruten fühlte sich den Italienern doch unbedingt überlegen.


2. Der Verlauf der Kämpfe.

Am 13. Juni wurde an der Tiroler Westfront, auf dem Tonalepaß, der unter dem Deckwort "Lawine" vorbereitete Teilangriff der 1. Infanteriedivision Feldmarschalleutnant Metzger losgelassen. Auf der Sattelhöhe selbst hatte der Stoß anfänglich Erfolg. Seine Fortsetzung mußte unterbleiben, da die Höhengruppen, durch Schnee und Eis gehemmt, in starker feindlicher Gegenwirkung steckenblieben.

Am 15. Juni setzte zwischen dem Asticotal und dem Meere der Hauptangriff ein. Nach mehrstündiger Artillerievorbereitung ging bei Conrad um 7 Uhr, bei Boroević um 8 Uhr die Infanterie zum Sturme vor. "Der Angriffsgeist [504] der Truppen war," schreibt General v. Cramon, "wie nur von allen Seiten bestätigt wurde, der beste. Offiziere und Mannschaften brannten wie in den ersten Kriegsmonaten darauf, sich wieder mit den Welschen zu messen. Wenn dabei auch ein wenig die Hoffnung mitsprach, die kargen eigenen Lebensmittelvorräte wie im Herbst 1917 durch reiche Beute zu vermehren, so darf dies weder verübelt werden noch die Bewunderung schmälern, die man am Ende des vierten Kriegsjahres der k. u. k. Armee wegen ihres unter den gegebenen Verhältnissen noch staunenswert guten Geistes zollen mußte."

Auf der Hochfläche der Sieben Gemeinden, wo der entscheidende Schlag geführt werden sollte, lag schwerer Nebel, der selbst im Bereiche der niedersten Führung jegliche Übersicht benahm. Aber die Drahtmeldungen, die in den Vormittagsstunden einliefen, lauteten durchwegs hoffnungsvoll. Die drei Korps westlich der Brenta, III. General v. Martiny, XIII. Csanady, VI. Kletter, drangen südwestlich und südöstlich von Asiago überall mehrere Kilometer tief in das englische, französische und italienische Stellungssystem ein. Gewaltigen Bergriesen, wie dem Monte Eccher und dem Monte Melago, rückte man erfolgversprechend an den Leib. Gleich günstige Nachrichten kamen aus dem Bereich östlich der Brentaschlucht. Vom XXVI. Korps General v. Horsetzky stieß die 27. Division General Sallagar unmittelbar neben der Talschlucht über den Col Moschin bis zum Monte Raniero durch; sie stand knapp oberhalb von Bassano, wo die Brenta das Gebirge verläßt. Weniger Raumgewinn, aber doch auch beträchtliche Vorteile erstritten die Generale Kosak und Scotti mit dem I. und XV. Korps in der blutgedüngten Felswelt nördlich des Grappa-Massivs.

Beim Feldmarschall in Bozen, im kaiserlichen Hofzug, der, um die Transportbewegung nicht zu stören, in das obere Vintschgau verlegt worden war, und in Belluno, wo der Stellvertreter des Generalobersten v. Arz, General v. Waldstätten, mit einem kleinen Operationsstabe weilte, hatte man überall den Eindruck, daß ein großer, durchschlagender Erfolg heranreife. Da trat - um Mittag - die tückische Wendung ein. Der Angriff in den Sieben Gemeinden war den Alliierten nicht überraschend gekommen. Sie hatten ihn, dank einem guten Abhorchverfahren und den Mitteilungen von Überläufern, auf die Minute genau vorausgewußt und alle Vorbereitungen getroffen. Die Gasmasken waren aufgenommen, das Grabennetz vorne in einer breiten Zone geräumt oder doch nur schütter besetzt gehalten. Die österreichische Artillerie hatte vielfach Stellungen bestrichen, in denen bloß ein paar Horchposten verblieben waren. Dagegen stand die eigentliche Geschützfront des Feindes unberührt hinter den dritten und vierten Linien. Gleichzeitig ballte sich für die k. u. k. Truppen in den Wäldern südlich von Asiago ein gewaltiges Ungewitter zusammen. Ein starker Gegenangriff der Alliierten stieß in die im Nebel vordringenden, vielfach der Einklanges entbehrenden Angreifer hinein. Der erste Stoß traf zwei siebenbürgische Divisionen, die mit großer Wucht in ihre Ausgangsstellungen zurück- [505] geworfen wurden. Bald darauf setzte auch an den Flügeln der in diesen kritischen Stunden jeglicher Artillerieunterstützung fast entbehrenden Front der Gegenschlag der Alliierten ein. Gegen Abend sahen sich die k. u. k. Truppen fast überall in ihre ursprünglichen Linien zurückgeworfen. Nur im Gebiete des Col del Rosso hielten die deutscherbländischen Kämpfer der Edelweißdivision v. Wieden die erkämpfte Walstatt gegen alle Anstürme.

Auch östlich der Brenta war das Schicksal den Kaiserlichen nicht wohlgesinnt. Für das Niederhalten der Grappa-Artillerie war österreichischerseits nicht ausreichend vorgesorgt worden. Das rächte sich. Die weit nach Süden vorspringende Front der 27. Division wurde auf den Höhen bei Bassano plötzlich von der Grappa her in die Ostflanke genommen; italienisches Sperrfeuer schnitt sie überdies von ihren Reserven ab. Während einzelne Abteilungen ruhig ausharrten und erst, als sie sich verlassen sahen, umkehrten, wurden andere von einer Panik erfaßt und stürmten unter gewaltigen Verlusten nach Norden zurück. Gleichzeitig setzten im ganzen Abschnitt zwischen Brenta und Piave italienische Gegenstöße ein, die freilich nur teilweise Erfolg hatten. Aber der große Zweck des Tages, im ersten Anlauf die Ebene zu erreichen, war unerfüllt geblieben. Der Angriff war auch da mißglückt!

Wesentlich günstiger und nachhaltiger war der inzwischen bei der Heeresgruppe Feldmarschall v. Boroević erzielte Erfolg, obgleich sich hier zu allen anderen Angriffsschwierigkeiten noch die Überwindung des seit einigen Tagen schon ziemlich hochgehenden Piaveflusses gesellte. Mit peinlichster Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit hatten die braven Pioniere alle Vorbereitungen zur Überschiffung getroffen. Es war eine technische Meisterleistung, die Sturmstaffel der Infanterie bei vollem Tageslicht über den hochgehenden Fluß hinüber unmittelbar in die vom Feinde besetzte Uferstellung hineinzuwerfen und ihr zeitgerecht Verstärkungen zuzuführen. Dieses schwierige Unternehmen glückte in einer Ausdehnung von 30 km. Schon um die Mittagszeit war die Infanterie des XXIV. Korps Ludwig Goiginger in den Besitz der östlichen Hälfte der Montellokarstfläche gelangt. Im Bereiche der Isonzoarmee ging es wohl weniger glatt, doch wurde auch hier das Westufer in ganzer Ausdehnung gewonnen. Alle vier Korps, das XVI., das IV., dessen Führer General Fürst Schönburg an der Übergangsstelle schwer verwundet wurde, das VII. und das XXIII. standen mit ihren Vortruppen jenseits der Piave. Aber auch in der Ebene mußte der Angreifer bald ähnliche Erfahrungen machen wie im Gebirge. Die Überraschung des Feindes war nicht im ausreichenden Maße geglückt.4 Auch die Artillerievorbereitung ließ allenthalben zu wünschen übrig. Das Gasschießen [506] wirkte ebenso wenig wie bei Asiago. Trotzdem gewannen die Angreifer nicht bloß auf dem Montello, sondern auch am Südflügel, bei San Dona, wo General v. Csicserics befehligte, noch wesentlich an Raum, wobei über 7000 Gefangene und 100 Geschütze eingebracht wurden. Auf dem Montello richteten die k. u. k. Truppen die erbeuteten Geschütze sofort gegen den Feind. Der Brückenbau wurde ehestens begonnen, vermochte aber wegen der gewaltigen Wirkung der feindlichen Artillerie- und Fliegermassen bis in die Nacht hinein nicht vorwärts zu kommen, so daß man den ganzen Tag über auf den Verkehr mittels der Pontons angewiesen blieb. Obwohl auf diese Art die ganze Angriffshandlung sehr bald des erwünschten Schwunges entbehren mußte und sich in zähe, von der Eigenart der italienischen Kultur noch besonders beeinflußte Teilkämpfe auflöste, entschloß sich Generaloberst Freiherr v. Wurm, der Befehlshaber der Isonzoarmee, doch, des anderen Morgens seinen Südflügel - XXIII. und VII. Korps - den Angriff fortsetzen zu lassen. Dagegen wurde noch am 15. abends der nördliche Flügel, der trotz der ausgezeichneten Leistungen seiner Truppen, vor allem des neuen westungarischen Infanterieregiments 106 unter Oberst Lehar, in eine sehr schwierige Lage geraten war, auf das Ostufer der Piave zurückgenommen. Zwei Divisionen konnten aus diesem Kampfabschnitt an den Südflügel verschoben werden. Im Laufe des Tages war nach einem schönen sonnigen Morgen wieder zunehmende Bewölkung eingetreten, die am späten Nachmittag Regen brachte.

Der Heeresgruppenkommandant Feldmarschall v. Boroević, der sich nach Oderzo begeben hatte, glaubte in dem Ergebnis des Tages vor allem eine Bestätigung seiner Ansicht erblicken zu dürfen, daß die große Offensive, wenn sie schon unternommen werden mußte, nicht im Gebirge, sondern an der Piave anzusetzen gewesen wäre. Sein Vorschlag ging dahin, nunmehr weitere Versuche bei der Heeresgruppe Conrad zu unterlassen und den Angriff nach erneuter sorgfältiger Vorbereitung, mit Einsatz aller verfügbaren Kräfte und Kampfmittel, im Bereiche seiner Truppen fortzusetzen. Bis zum Abschluß der Vorbereitungen sollten sich, um ihnen den nochmaligen Übergang zu ersparen, die Divisionen westlich des Flusses nach Möglichkeit behaupten, ohne sich jedoch in nutzlosen Angriffen zu erschöpfen. General Waldstätten in Belluno vermochte sich der Auffassung des Feldmarschalls nur teilweise anzuschließen. Seiner Ansicht nach war der Angriff bei Asiago, dessen Ausführung ihm seit jeher nicht zugesagt hatte, keinesfalls mehr zu wiederholen, dafür aber auf die ursprüngliche Idee des Armee-Oberkommandos, östlich der Brenta den Austritt in die Ebene zu erzwingen, zurückzugreifen - freilich nicht sofort, sondern erst nach einer etwa vier Wochen beanspruchenden Vorbereitung. Für den Augenblick wären alle in Tirol verfügbaren Kräfte und die Reserven des Armee-Oberkommandos dem Feldmarschall Boroević zur Verfügung zu stellen, der den Druck auf dem Montello und an der unteren Piave fortzusetzen hätte.

[507] Diesen Vorschlägen an Generaloberst v. Arz gesellte sich im Laufe des 16. noch ein weiterer des Generals Ludendorff bei. Der Erste Generalquartiermeister ließ sagen, daß seiner Meinung nach ein durchschlagender Erfolg gegen die Italiener nicht mehr zu erwarten sei, daß diese bald stark an der Westfront auftreten würden und daher auch die Entsendung aller freien k. u. k. Truppen an diese Front dringend wünschenswert sei.

Persönliche Besprechungen des Kaisers mit Feldmarschall Conrad ergaben, daß an eine Wiederaufnahme des Angriffes von Asiago nicht mehr gedacht werden konnte. Kein günstigeres Bild empfing man von der Lage zwischen Brenta und Piave. Dort wie hier waren die Truppen körperlich und moralisch schwer mitgenommen und samt einem großen Teil der Reserven verbraucht und erholungsbedürftig. Das Notwendige ergab sich unter solchen Verhältnissen von selbst. Dagegen vermochte sich die Heeresleitung hinsichtlich der an der Piave kämpfenden Streitkräfte - nicht zuletzt aus politischen Gründen, in der Sorge ob des niederschmetternden Eindruckes, den die Heimat empfangen mußte - noch nicht zu dem Entschlusse durchzuringen, auch hier die Sache aufzugeben. Boroević sollte alle Divisionen, die man hinter den Fronten zusammenraffen konnte, als Verstärkung erhalten und hatte zu trachten, mit ihnen entweder auf dem Montello oder an der unteren Piave oder an beiden Punkten die am 15. errungenen Vorteile auszubauen.

In der Tat erkämpften die Flügel der Heeresgruppe Boroević am 16. und 17. noch einige schöne Angriffserfolge. Die brückenkopfartige Stellung im Montellogebiet wurde namentlich in der Südflanke, bei Nervesa, erweitert, wo die 41. Honveddivision Schamschula die Italiener über die Bahn zurückwarf. An der unteren Piave gelangte das Korps Csicserics 4 - 6 km über den Fluß hinaus. Boroević gab die Meldungen über diesen Raumgewinn nicht ohne die erneute Warnung weiter, von vorzeitigen Angriffen mit ungenügenden, unterernährten Kräften abzusehen.

Der Feind hatte unterdessen die Gunst der Lage nicht vorübergehen lassen. Er versuchte, die Aufmerksamkeit der österreichischen Gebirgsfront durch Vorstöße bei Riva, Asiago und beiderseits der Brenta zu fesseln, warf aber unterdessen zahlreiche Reserven an die Piavefront hinüber. Die auf dem Westufer des Flusses kämpfenden k. u. k. Truppen erwehrten sich der Angriffe dieser frischen Divisionen um so schwerer, als sie vom anderen Ufer her Verstärkungen an Infanterie und Artillerie und Ergänzung an Schießbedarf, Kampfmitteln und Verpflegung nur tropfenweise erhalten konnten. Denn auch in ihrem Rücken war inzwischen ein Gegner aufgetreten, dem die technischen Truppen trotz aufopferndster Pflichterfüllung nicht beizukommen vermochten: ein reißendes Hochwasser, dem keine einzige Brücke nur auf Stunden widerstand. Und gelang es einmal, einen schwankenden Übergang kurze Zeit intakt zu erhalten, dann waren es nur unzureichend bekämpfte feindliche Flugzeuggeschwader, die den [508] Verkehr völlig unterbanden. So war es am Südflügel dem Korps Csicserics bis zum 20. abends erst geglückt, eine einzige Feldartilleriebrigade über den Fluß zu bringen und den Tapferen auf dem Montello5 spielte das Schicksal noch übler mit. Am 20. Juni standen den rund 14 k. u. k. Divisionen, die westlich der Piave kämpften, schon 28 italienische Infanterie- und 2 Kavalleriedivisionen gegenüber.

Am 19. nachmittags waren der Kaiser, der Chef des Generalstabes und dessen Stellvertreter beim Heeresgruppenkommando in Udine eingetroffen. Dem Feldmarschall Boroević, der schon vormittags im Hofzug zu Spilimbergo Gelegenheit gefunden hatte, seine Auffassung über die Lage zu erörtern und namentlich vor einer Wiederholung des Gebirgsangriffes zu warnen, lag eben eine Meldung vor, in der der Befehlshaber der 6. Armee Erzherzog Josef erklärte, daß der Montello nur durch den Zuschub von neuen frischen Divisionen zu halten sei; stünden solche nicht zur Verfügung, so wäre es besser, die Truppen zeitgerecht auf das Ostufer der Piave zurückzunehmen. Nachrichten über den Feind ließen zudem keinen Zweifel darüber, daß dieser einen gewaltigen Angriff gegen die österreichischen Linien auf dem Montello vorbereite. Am 20. früh legte Feldmarschall v. Boroević dem Chef des Generalstabes seine Auffassung über die Lage schriftlich dar:

      "Das Versagen der 11. Armee und die geringen Fortschritte der eigenen Heeresgruppe, welche in erster Linie durch Entkräftung des Menschenmaterials infolge monatelanger Unterernährung hervorgerufen sind, bieten dermalen der Fortsetzung der Offensive gegen die Brenta wenig Aussicht. Der Raumgewinn, den die Isonzo- und die 6. Armee bisher erzielten, ist so klein, daß infolge der Nähe der tückischen Piave und des Umstandes, daß Gegner täglich stärker, wir immer schwächer werden, die Armeen, welche keine Reserven haben, bei den geringsten Zwischenfällen in Katastrophen verwickelt werden können. Dieser Zustand kann um so weniger aufrechterhalten werden, als nach gestrigen Mitteilungen eine Besserung der materiellen Situation in den nächsten Wochen ausgeschlossen ist. Da die Monarchie durch die jetzt aufgenommene Offensive in loyalster Weise ihren Bündnispflichten entsprach und nicht riskieren kann, durch Fortsetzung der Offensive vielleicht wehrlos zu werden und an Gewicht zu verlieren, stelle ich den Antrag, die Isonzo- und die 6. Armee hinter die Piave zu nehmen und das bisherige Faustpfand zu sichern, bis die Situation sich derart bessert, daß ein neuer Angriff Aussicht auf Erfolg hat."

Die Bemerkung des Feldmarschalls über die materielle Lage bezog sich auf die Berichte, die Oberst v. Zeynek als oberster Quartiermeister und Oberst Pflug als Referent der Heeresleitung in Artillerie- und Munitionsangelegenheiten erstattet hatten. Zeynek und Pflug waren tags vorher in [509] Udine eingetroffen und vermochten beide nur das Ungünstigste zu melden. Ungarn, auf dessen Kornfrucht allein die Armee angewiesen war, konnte vor dem 1. Juli nicht einen Waggon ausführen. Wien stand wieder einmal vor einer Ernährungskatastrophe, die nur durch einen erneuten Bittgang nach Deutschland gebannt werden konnte. Auch der herbeigerufene ungarische Ernährungsminister Windischgrätz bestätigte diese entmutigenden Berichte.

Nicht besser sah es auf dem Gebiete der Kriegsindustrie aus, und der Kriegsminister Freiherr v. Stöger-Steiner, an den man wegen Abgabe der letzten Heimatdivisionen herangetreten war, ergänzte das düstere Bild durch die Meldung: In Wien und Budapest große Streiks, in Böhmen, Galizien und im Süden gewaltige politische Gärung!

In rein militärischer Hinsicht sprachen alle Umstände dafür, den Vorschlag des Feldmarschalls Boroević anzunehmen. Trotzdem rangen der Kaiser und seine verantwortlichen Ratgeber den ganzen Tag über schwer mit dem Entschluß. Auch das war begreiflich. Die ernsten politischen Folgen, [die] die einem Eingeständnis der Niederlage gleichkommende Räumung des westlichen Piaveufers im In- und Ausland zeitigen mußte, standen über jedem Zweifel. Erst nach 12 Stunden, um 7 Uhr abends, erhielt Boroević die Weisung: "Die Truppen der Heeresgruppe sind auf das linke Piaveufer zurückzunehmen."

Der Rückzug über den noch immer Hochwasser führenden Fluß war kein leichtes Manöver. Er glückte im Montellogebiet so gut, daß der Feind noch einen Tag hindurch die schon verlassenen österreichischen Gräben beschoß, ehe er sich mit Patrouillen an die Piave heranwagte. Am Südflügel ging der Ufer-Wechsel unter starkem italienischen Druck vor sich. Die österreichisch-ungarischen Nachhuten gaben bei der Abwehr heftiger Angriffe Beweise ihrer gegenüber diesem Feind trotz aller Unbill noch ungebrochenen Kampfkraft. Am 24. war der Rückzug, ohne daß dabei wesentliche Einbuße an Mannschaften und Kriegsmaterial zu melden gewesen wäre, planmäßig durchgeführt. Die Italiener stießen an der ganzen Front nach und versuchten an zahlreichen Stellen, ohne daß irgendwie ernstere Absichten zu erkennen gewesen wären, das Ostufer der Piave zu betreten. Im äußersten Süden gelang es ihnen in der ersten Juliwoche, die k. u. k. Truppen aus dem Piavedelta zu verdrängen und sie zum Zurückgehen hinter den Hauptarm zu zwingen. Sonst wurde der Feind überall abgeschlagen.

Auch an der Gebirgsfront war nach dem 20. Juni der Kampf aufs neue heftig aufgeflammt. Während bei Asiago und zwischen Brenta und Piave alle französischen, englischen und italienischen Vorstöße scheiterten, war ihnen im Bereiche des Col del Rosso schließlich ein Erfolg beschieden. Hier hatte sich die Edelweißdivision zusammen mit anderen Truppen in den am 15. Juni erkämpften Stellungen tagelang gegen die heftigsten Anstürme behauptet. Aber auch der Widerstandskraft dieser alpenländischen Kerntruppen, die seit zwei [510] Wochen nicht eine Stunde hindurch stärkster feindlicher Feuerwirkung entzogen waren, fand schließlich ihre Grenzen. Ende des Monats mußten die Braven trotz zugeführter Verstärkungen die mit großen Blutopfern errungenen und behaupteten Stellungen wieder preisgeben. Als nach der Ablösung der Kommandant des oberösterreichischen Infanterieregiments Großherzog v. Hessen Nr. 14 die Schar der Übriggebliebenen musterte, zählte er insgesamt 580 Köpfe. In Bataillonen von höchstens hundert Mann Stärke rückte die Edelweißdivision aus der Hölle von Asiago in ihre Erholungsquartiere südlich von Bozen ab.

Der österreichische Heeresbericht vom 25. Juni hatte als Ergebnis der Piave-Offensive insgesamt 50 000 Gefangene gemeldet und den blutigen Verlust des Feindes dreimal so hoch eingeschätzt. Die eigene Einbuße an Mannschaften und Offizieren war wohl nicht viel geringer.

Das k. u. k. Heer von Italien sah sich nach Vernichtung großer Hoffnungen in die strikte Verteidigung zurückgeworfen. Entsprechend dem Wunsche der Obersten Kriegsleitung erklärte sich Generaloberst v. Arz mit kaiserlicher Bewilligung bereit, im Laufe der nächsten Wochen sechs österreichisch-ungarische Divisionen für den Westen zur Verfügung zu stellen. Im Juli rollten die ersten zwei, die 1. Division Feldmarschalleutnant Metzger und die 35. Feldmarschalleutnant v. Podhoranszky, nach Frankreich ab.

Die für den Westen bestimmten k. u. k. Divisionen gingen auch dort schweren Tagen der Schicksalswende entgegen. Die Sonne der Kaisermächte war im Sinken. Es wollte Abend werden...


1 [1/497]Tafel II, Skizze K. [Scriptorium merkt an: der Einfachheit halber von uns verkleinert oben im Text eingefügt; durch Mausclick zu vergrößern!] ...zurück...

2 [2/497]Förster spricht in seinem trefflichen, grundlegenden Werk Graf Schlieffen und der Weltkrieg, III. Teil, S. 66, irrtümlicherweise von einer Anwesenheit des Generals v. Arz. ...zurück...

3 [1/498]Vgl. über diese Verhandlungen die drei Werke Ludendorffs, dann Cramon, Förster u. a. ...zurück...

4 [1/505]An der unteren Piave war wenige Tage zuvor ein tschechischer Leutnant übergegangen, der, wie aus erbeuteten Protokollen hervorging, dank seiner gründlichen militärischen Ausbildung dem Feinde manchen wertvollen Fingerzeig zu geben vermochte, freilich nur für den schmalen Frontteil, den er übersehen hatte. ...zurück...

5 [1/508]Es fochten dort 11. Honvedkavalleriedivision Generalmajor Hegedüs, ungarische 31. Division General Lieb, 13. Schützendivision - Deutsche und Tschechen - General Kindl, ungarische 17. Division Ströher, 41. Honveddivision Schamschula. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte