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Bd. 5: Der österreichisch-ungarische Krieg

  Kapitel 20: Die Zeit der Friedensschlüsse im Osten   (Forts.)
Staatsarchivar Oberstleutnant Edmund Glaise-Horstenau

4. Czernins Rücktritt.

Während sich diese Dinge hinter den Kulissen der Weltbühne begaben, hatten die Friedensverhandlungen mit Rumänien eingesetzt. Die Regierung in Jassy hatte sich auch nach dem vom russischen General Schtscherbatschew für die rumänische Front abgeschlossenen Waffenstillstand außerordentlich zurückhaltend benommen. Das Kabinett Bratianu wollte sich gegenüber den Bundesgenossen im Westen so wenig wie möglich vergeben und wurde in diesem Bestreben durch die ententefreundlichen Kreise um die Königin lebhaft unterstützt. Auch die Armee war seit den erfolgreichen Kämpfen im August 1917 von einem Kraftbewußtsein erfüllt, das mit der operativen Lage in einigem Widerspruch stand. Deutscherseits drängte vor allem die Oberste Heeresleitung angesichts ihrer großen Pläne nach einer endgültigen Bereinigung der Frage und [476] es bahnten sich zwischen der Wilhelmstraße und den deutschfreundlichen Rumänen mit Carp an der Spitze Vereinbarungen an, die auf einen Sturz der rumänischen Dynastie und des ententefreundlichen Elements in Jassy hinzielten.

Wieder marschierten die beiden Kaisermächte auf verschiedenen Linien! Denn Graf Czernin hatte den Entschluß gefaßt, nach Möglichkeit mit dem jetzigen König Frieden zu schließen. "Es herrschte damals," schreibt er später, "bereits eine gewisse Baisse in Königen auf dem Markt und ich fürchtete, die Baisse zur Deroute zu steigern, wenn wir noch weitere Könige auf den Markt warfen." Auf seinen Vorschlag sandte Kaiser Karl Anfang Februar 1918 den früheren österreichisch-ungarischen Militärattaché in Bukarest, den Generalstabsobersten Randa, ins rumänische Lager und ließ dem König mitteilen, daß sich Wien für sein Verbleiben einsetzen werde, wenn er sich friedensgeneigt zeige. Der Kaiser berief sich in seinem Handschreiben auf die Gefährdung, der der monarchische Gedanke in aller Welt durch die Revolution ausgesetzt war. Der König, der offenkundig über die Strömungen im gegnerischen Lager gut unterrichtet war, ließ zurückfragen, ob hinter dem Schritte des österreichischen Kaisers alle Vierbundsmächte stünden.

Als man deutscherseits nachträglich von der Mission Randas Kenntnis erhielt, war man darüber wenig erbaut. Namentlich Ludendorff vertrat die Anschauung, daß mit Rumänien kurzer Prozeß zu machen sei, und bereitete einen militärischen Aufmarsch vor. Minister Czernin hingegen begab sich am 22. Februar mit der strikten Versicherung des Kaisers nach Bukarest, daß er am Sereth ebensowenig wie an irgendeinem anderen Abschnitt der Ostfront den Krieg neuerlich werde aufflammen lassen. Nach einigen unverbindlichen Besprechungen mit dem neuen rumänischen Ministerpräsidenten, General Averescu, hatte Graf Czernin am 27. Februar in der moldauischen Eisenbahnstation Racaciuni eine Zusammenkunft mit dem rumänischen Könige, bei der er sich im allgemeinen darauf beschränkte, diesen in scharfer Form auf den Ernst der Lage aufmerksam zu machen.

Von den Forderungen, die Österreich-Ungarn an Rumänien stellte, fielen für dieses jene "Grenzberichtigungen" ins Gewicht, auf die Ungarn den größten Wert legte. Der rumänische Überfall im Spätsommer 1916 saß noch jedermann in Budapest und in Siebenbürgen so stark in den Gliedern, daß vor dem Wunsche nach ausgiebigen militärischen Sicherungen selbst die Besorgnis wegen der Aufnahme neuer fremdnationaler Elemente zurücktreten mußte. So forderten die Ungarn nicht bloß die Erwerbung breiter - übrigens vielfach von "Tschangomagyaren" bewohnter - Grenzstreifen, sondern auch der Städte Turnu-Severin am Ausgang des Eisernen Tores und Ocna im Moldauischen. Die Stimmung der Magyaren kam in einer Denkschrift Tiszas vom 27. Februar zum Ausdruck, in der es u. a. hieß:

[477]   "Leider kann Rumänien aus diesem Kriege nicht so geschwächt hervorgehen, wie es sowohl die Gerechtigkeit als das berechtigte Interesse der Monarchie erheischen würde. Der Verlust der Dobrudscha wird durch Territorialgewinn in Beßarabien wettgemacht, während die von uns verlangte Grenzrektifikation in keinem Verhältnisse mit der Schuld Rumäniens und seiner militärischen Lage steht. Unsere Friedensbedingungen sind derart mild, daß sie als großmütige Gabe dem besiegten Rumänien angeboten und gar nicht zum Gegenstande von Verhandlungen gemacht werden sollten..."

Gegenüber den gewiß nicht allzu schweren Forderungen der Ungarn fielen die österreichischen überhaupt unter das Maß. Österreich hatte, angesehen von kleinen Grenzberichtigungen in der "Dreiländerecke" und im Chotiner Kreis, nur den einen Wunsch, des Überflusses Rumäniens an Naturschätzen entsprechend teilhaftig zu werden.

Czernins Bestreben war durchaus von dem Gedanken geleitet, den Rumänen goldene Brücken zu bauen und auf diese Weise bei ihnen eine den Mittelmächten freundliche Gesinnung zu schaffen. Er dachte dabei sogar - gleich seinem Kaiser - an eine gegen den Bolschewismus gerichtete Allianz. Was im besonderen die deutschen wirtschaftlichen Forderungen anbelangte, so gingen sie dem österreichischen Minister auch deshalb wider den Strich, weil sie den Einfluß Deutschlands auf Rumänien allzu sehr festigen mußten und dadurch mittelbar gegen den engeren Anschluß des Königreiches an die Donaumonarchie wirkten, der nach wie vor zu seinen Lieblingsideen gehörte.

Graf Czernin zögerte trotz des magyarischen Druckes nicht lange, sich die Hälfte der geforderten Grenzberichtigungen, darunter auch die beiden Städte, abhandeln zu lassen. Er half durch dieses Entgegenkommen dem Kabinett Marghiloman in den Sattel. Den Vorfrieden von Buftea (3. März), der durch ein Ultimatum erzwungen werden mußte, hatte noch Averescu abgeschlossen. Vierzehn Tage später trat den Vierbundsministern in Marghiloman ein beträchtlich angenehmerer Verhandlungspartner entgegen.

Herr von Kühlmann stand mit seinen Anschauungen stark auf der Seite seines österreichischen Kollegen. Dies wurde ihm in manchen deutschen Kreisen als Verrat der deutschen Interessen ausgelegt und trug ihm Angriffe ein, die nicht immer sachlich ausgekämpft wurden.

Die Bukarester Verhandlungen zwischen den Bundesgenossen, namentlich zwischen Bulgarien und der Pforte, gestalteten sich nicht selten weitaus schwieriger als mit den Rumänen; sie waren noch in vollem Gange, als Graf Czernin von der Leitung der auswärtigen Politik Österreich-Ungarns zurücktrat.

An sich kam dieses Ereignis den einigermaßen mit den Verhältnissen Vertrauten keinesweg überraschend. Schon im November 1917 hatte Czernin in einem Briefe an einen Freund das offene Geheimnis berührt, daß es "zwischen [478] dem Kaiser und ihm nicht mehr gut gehe" und daß dies "die Friktionen der täglichen Arbeitsmaschine bis zur Unerträglichkeit steigere". Die Ursache für diese Differenzen war - wie in allen ähnlichen Fällen - bei beiden Teilen zu suchen. Czernin hatte im Dezember 1916 das Außenamt in der Vorstellung übernommen, nun der unbestrittene und alleinige Mentor des jungen Kaisers zu sein. Er mußte nur zu bald erkennen, daß er sich darin geirrt hatte und daß der Monarch nicht bloß bei allen möglichen Gelegenheiten seine eigenen Wege ging, sondern auch den verschiedensten, Czernin nicht erwünschten Ratgebern sein Ohr lieh. Auf der anderen Seite fühlte sich der Kaiser in seinem Vertrauen zu Czernin von Tag zu Tag mehr enttäuscht. Niemand hatte ihm im Frühjahr und Sommer 1917 die Notwendigkeit, ehestens zu einem Frieden zu gelangen, in so beredten Worten, mit so erschreckenden Perspektiven dargestellt wie Czernin. Wenn dann aber aussichtsreiche Fäden gesponnen waren, dann war es gerade wieder der Minister, der plötzlich aus dem oder jenem Bedenken seinen Kaiser im Stiche ließ und mit seiner Diplomatie gegen Freund und Feind versagte. Außerdem behagte dem Herrscher auf die Dauer die ungeduldige, schulmeisterliche, mitunter sogar respektwidrige Art nicht, in der Czernin mit ihm verkehrte und die um so mehr zur Regel wurde, je mehr die Abspannung der Nerven des Ministers zunahm. Selbstverständlich besaß der Graf auch in den Hofkreisen genug Feinde, die bemüht waren, die Abneigung des Kaisers gegen ihn zu vertiefen. Einer seiner heftigsten Gegner, Kabinettsdirektor von Polzer - inzwischen als Polzer-Hoditz in den Grafenstand erhoben - hatte wohl im November 1917 das Feld räumen müssen. Dafür aber stellte sich die weit mächtigere Gegnerschaft der Kaiserin ein, die Czernin vor allem seine übergroße Nachgiebigkeit und Schwäche gegen die "alldeutsche" Politik verübelte und den Tag herbeisehnte, an dem sich ihr Gemahl von dem ihr auch persönlich sehr unsympathisch gewordenen Manne trennte.

Dieser Tag kam nun bald. Am 2. April 1918 hielt Minister Graf Czernin vor einer Abordnung des Wiener Gemeinderates eine große politische Rede. Er erwähnte hierbei u. a., daß Clémenceau vor einiger Zeit Friedensfühler nach Österreich-Ungarn ausgestreckt habe, daß aber eine Verständigung an der strikten Weigerung der französischen Regierung, auf die "Desannexion" von Elsaß-Lothringen zu verzichten, gescheitert sei. Dem Kaiser hatte der Text der Rede, ehe sie gehalten wurde, vorgelegen, er äußerte wegen der eben erwähnten Stelle, die sich unzweifelhaft auf die Besprechungen zwischen Revertera und Armand bezog, keinerlei Bedenken.9 Aber er wie sein Minister hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Man reizte den alten Tiger Clémenceau, der sich durch Czernins Angriff in seiner politischen Stellung aufs heftigste [479] bedroht fühlte, nicht ungesühnt. Er nahm den ihm von seinem Gegner hingeworfenen Fehdehandschuh auf und enthüllte im Laufe der daraus entstehenden Kontroverse vor aller Welt das Geheimnis der an den Prinzen Sixtus gerichteten Kaiserbriefe, deren wichtigeren, den vom 24. März 1917, er schonungslos im Wortlaut veröffentlichte.

Wenn auch Czernin in das Netz, das die beiden Prinzen von Parma gesponnen hatten, nur zum Teil Einsicht hatte, so hatte er bei der genauen Kenntnis, die er von den Verhältnissen am Wiener Hofe besaß, doch schon nach den ersten Andeutungen Clémenceaus annehmen müssen, daß dessen Mitteilungen über die Worte des Kaisers nicht aus der Luft gegriffen sein konnten. Wäre das Verhältnis zwischen dem Minister und seinem höchsten Herrn ein anderes gewesen, so hätten sie sich vor allem ruhig und rückhaltlos ausgesprochen und es wäre dann Sache Czernins gewesen, das Weitere zu veranlassen und gegebenenfalls die Verantwortung ganz oder teilweise auf seine eigenen Schultern zu nehmen. So aber sah sich der Kaiser von seinem berufensten Ratgeber allsogleich mit einer Heftigkeit angefallen, die - bei der Mentalität des Monarchen - jeden vertrauensvollen Meinungsaustausch unmöglich machte. Beraten von Frauen, deren Gefühlsleben in der Formfrömmigkeit des Südens wurzelte, dem sie entstammten - überzeugt, daß mitunter Staatsräson sogar über die Heiligkeit eines Kaiserwortes zu stellen sei; anfänglich sogar von der Hoffnung erfüllt, daß man in London und Paris, gemäß den Versprechungen, die seinerzeit Poincaré und Lloyd George dem Prinzen Sixtus gegeben hatten, schließlich doch noch Rücksicht walten lassen werde, verwickelte sich der Kaiser in eine Reihe von Widersprüchen, aus denen er, von seinem Minister nur noch mehr in die Enge getrieben, nicht mehr herausfand.

Im Verlaufe der schmerzlichen Angelegenheit kam es zwischen dem übelberatenen Herrscher und Czernin zu peinlichen Auseinandersetzungen. Der Minister ging so weit, vom Kaiser zu fordern, daß er "zur Wiederherstellung seiner angegriffenen Gesundheit" für einige Zeit die Regierungsgeschäfte an Erzherzog Friedrich oder Eugen abtrete. Die Ablehnung dieses Vorschlages führte schließlich zur Verabschiedung des Ministers. Der Monarch ließ ihn leichten Herzens ziehen.

Den offiziellen Abschluß dieses zweiten, tragischen Aktes der Sixtusaffäre bildete ein am 14. April an den deutschen Kaiser abgehendes Telegramm, welches lautete: "Die Anschuldigungen Herrn Clémenceaus gegen mich sind so niedrig, daß ich nicht gesonnen bin, mit Frankreich über die Sache ferner zu diskutieren. Unsere weitere Antwort sind meine Kanonen im Westen. In treuer Freundschaft Karl."

Diese Depesche war das letzte amtliche Schriftstück, das Graf Czernin als Außenminister - wider seine innere Überzeugung - entworfen hatte.


9 [1/478]Die Darstellung folgt in ihrem historischen Teil den Publikationen von Demblin, Sixtus v. Bourbon und Cramon. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte