Bd. 5: Der österreichisch-ungarische
Krieg
[284]
Kapitel 14: Die Sommer- und Herbstkämpfe
1916
gegen Italien
Generalmajor Anton Ritter von Pitreich1
Die Zwangslage, in der sich die Monarchie im Sommer 1916 befand, als es vor
allem galt, dem russischen Ansturm Halt zu gebieten, forderte mehr denn je,
daß an der Isonzofront mit möglichst geringen Kräften
durchgehalten werden müsse. Wohl war anzunehmen, daß der
Italiener nach seinen im Frühsommer in Tirol erlittenen Mißerfolgen
doch noch einige Zeit brauchen werde, um eine Entscheidung suchende Offensive
führen zu können. Dagegen war mit umfangreicheren Teilangriffen
in erhöhtem Maße zu rechnen; drängten doch manche triftige
Gründe die italienische Heeresleitung zu raschem und energischem
Handeln. Die in Tirol erlittene Schlappe war noch nicht verwunden, das Prestige
der Armee hatte schwer gelitten und die Stimmung im Lande mochte den
Machthabern der Kriegspartei einigermaßen bedenklich, wenn nicht gar
gefährlich dünken. Das Streben, im Rahmen der derzeitigen
Machtmittel einen greifbaren und sinnfälligen Erfolg zu schaffen, war
naheliegend. Auf einen entscheidenden Sieg brauchte es vorerst gar nicht
anzukommen; aber ein zündendes Schlagwort galt es in die Menge zu
werfen, um die gesunkene Kriegsbegeisterung zu entflammen. Und das war
"Görz"!
Dementsprechend handelt es sich zu Beginn der sechsten Isonzoschlacht zum
Unterschied von den meisten ihrer Schwestern nicht um eine
planmäßige feldzugentscheidende "Offensive", demnach auch nicht
um einen Generalangriff aufmarschierter Massen an der ganzen Schlachtfront,
sondern um die Ausnutzung einer günstigen Gelegenheit, einer
erspähten schwachen Stelle zum "Überfall", dessen Gelingen sich
immerhin zu einem unbegrenzte Möglichkeiten in sich schließenden
"Sieg" entwickeln konnte.
Dem Herzog von Aosta, Befehlshaber der mit dieser Aufgabe betrauten 3. Armee,
fiel es nicht schwer, die verhältnismäßig wenigen, für
diesen Überfall nötigen Kräfte ziemlich unauffällig in
dem beabsichtigten Hauptangriffsraum vor Görz zusammenzuziehen. Bald
waren die Vorbereitungen für den überraschenden Angriff getroffen:
die Verstärkung und Bereitstellung der nötigen artilleristischen
Angriffskraft; hierzu fürs erste nur einige wenige ausgesuchte
Angriffstruppen - auf den wichtigsten Punkten standen die
Infanterie- [285] linien ohnehin zumeist
auf Sturmdistanz einander gegenüber -; so war man rasch
sprungbereit. Tatsächlich hatte, wie sich später herausstellte, die
Angriffsfront zunächst nur eine Verstärkung um sieben Brigaden
erfahren; Hauptsache war in diesem Falle die Überraschung, und diese
gelang.
Kurz vor dem beabsichtigten Überfall auf Görz wurde am
südlichsten Teil der Isonzofront, bei Selz und Monfalcone, kräftig
demonstriert. Die Richtung war gut gewählt. Der kürzeste Weg nach
Triest sollte die Aufmerksamkeit des Verteidigers von Görz ablenken, um
ihn zu verhindern, von den Reserven und der Besatzung der Hochfläche
von Doberdo rechtzeitig Truppen gegen den Hauptangriffspunkt zu verschieben.
Als am 6. August die Maske fiel, war nichts mehr zu verheimlichen. Von diesem
Tage an rollte an frischen Truppen und Kriegsgerät in die Schlacht hinein,
was die zwei durchlaufenden Eisenbahnlinien und zahlreiche
Kraftwagenkolonnen an Verschiebungen von Westen gegen Osten leisten
konnten.
Dem beiderseitigen Kräfteverhältnis nach konnte für die
Italiener der Erfolg von Haus aus nicht zweifelhaft scheinen. Bei Schlachtbeginn
standen 17, zum Teil verstärkte, italienische
Infanteriedivisionen - in Summe 223 Bataillone mit rund 700 leichten und
240 schweren Geschützen, gegen den gewählten Angriffsraum
entsprechend massiert - insgesamt nur 9 Infanteriedivisionen der 5. Armee Generaloberst v. Boroević, mit in Summe 106 Bataillonen, 402 leichten
und 137 schweren Geschützen gegenüber. Nur mühsam
vermochte letztere die Blößen der an 80 km langen Front zu
verhüllen. Unter diesen Umständen war es nicht möglich,
mehr als eine einzige Brigade als Schlachtenreserve ausgeschieden zu halten;
diese befand sich hinter dem bedroht erscheinenden Südflügel. Auf
eine Verstärkung von anderen Fronten war nicht vor mehreren Tagen, ja
Wochen zu rechnen. Die Aussichten für den Angreifer waren demnach
diesmal die besten.
1. Die sechste Isonzoschlacht.
Der 6. August. Nach einer normal verlaufenen Nacht eröffnete der Feind
plötzlich um die siebente Morgenstunde aus allen seinen Kalibern ein
äußerst heftiges, durch mehrere Stunden ununterbrochen
währendes, sich immer mehr zum Trommelfeuer steigendes Bombardement
gegen nahezu die ganze Front der 5. Armee von Tolmein herab bis zur
Meeresküste, namentlich aber gegen den Görzer Brückenkopf
und gegen die Hochfläche von Doberdo, wobei der Monte Sabotino mit
einer Masse von Geschossen bedacht wurde, deren Einschläge ihn wie
einen feuerspeienden Berg erscheinen ließen. Nachmittags schritt die
Infanterie zum entscheidenden Angriff. Im Görzer
Brückenkopf - in 10 km langer Front, mit dem Isonzo auf
durchschnittlich 1 km im Rücken - stand die verstärkte
58. Infanteriedivision, deren bewährter Kommandant, Generalmajor Erwin
Zeidler, ehestens von seinem Urlaub herbeieilte, mit neun [286] Bataillonen in der
Front, dahinter sieben Bataillone in Reserve östlich des Isonzo; zwei
Bataillone hatten südlich des Brückenkopfes das östliche
Isonzoufer bis zur Wippach zu bewachen. Von diesen 18 Bataillonen waren nur
7 - großenteils Dalmatiner Truppen - vollwertig, 11 waren erst
vor nicht langer Zeit aus territorialem Landsturm und überzähligen
Marschformationen erstanden, so ziemlich aus allen Nationen der Monarchie
zusammengeschweißt, den Anforderungen des modernen
Großkampfes völlig fremd.
Als das verstärkte italienische VI. Korps gegen 4 Uhr nachmittags in
zahlreichen dichten Wellen anstürmte, gaben einzelne Stellen der durch das
vorausgegangene Trommelfeuer stark in Mitleidenschaft gezogenen,
schütteren Verteidigungslinie nach und wurden überrannt.
Namentlich auf dem als nördlicher Pfeiler des Brückenkopfes hoch
emporragenden Monte Sabotino hatten die angreifenden Brigaden gegen das
einsam auf der Höhe die Wacht dieses Schlüsselpunktes haltende
eine Bataillon leichtes Spiel. In einem Zuge stießen sie bis zum Ostrand
dieses Bergmassivs vor, versagten es sich aber glücklicherweise, noch an
diesem Tage in das Isonzotal hinunterzustoßen. Dafür erreichten sie
am Abend, trotz des erbittertsten Widerstandes des zähen Verteidigers
südlich hiervon, an näherer und leichter zugänglicher Stelle
den Isonzo mit ansehnlichen Kräften, während die Stellungen im
südlichsten Teile des Brückenkopfes in der Hand des Verteidigers
blieben. Nach Einbruch der Dunkelheit bedrängten die herbeigeeilten
schwachen Reserven, vier Bataillone, mit Gegenangriffen den eingedrungenen
Feind. Die ganze Nacht füllten erbitterte Kämpfe, in deren Verlauf es
sogar gelang, das Isonzotal gänzlich vom Feinde zu säubern und
über 2000 Italiener gefangen zu nehmen. Der Rest der spärlichen
Reserven war gegen den Monte Sabotino eingesetzt worden; selbst dort
glückte es, den weit überlegenen Feind in den ersten Morgenstunden
des kommenden Tages auf dem Südhange des Berges etwas
zurückzudrücken; ihn gänzlich herunterzuwerfen, erwies sich
in Anbetracht der überwältigenden feindlichen Übermacht als
unmöglich.
Jeder Angriff gegen den Brückenkopf war aussichtslos, wenn er nicht von
einem solchen gegen die Hochfläche von Doberdo, insbesondere gegen den
Monte San Michele begleitet war, der diese sowie das benachbarte Wippachtal
und hiermit auch Görz beherrscht. Die Verteidigung des Raumes um den
Monte San Michele lag in den Händen des vom General der Kavallerie
Erzherzog Josef geführten VII. Korps, dem die 17. Infanteriedivision
Feldmarschalleutnant v. Gelb und 20.
Honved-Infanteriedivision Generalmajor v. Lukachich
angehörten - lauter bewährte ungarländische Truppen,
in Summa 27 Bataillone, von denen 18 die 10 km lange Stellung besetzt
hielten, die übrigen 9 dahinter in Reserve standen.
Gleichzeitig mit dem Ansturm auf den Brückenkopf erfolgte auch jener
gegen das flach gewölbte Bergmassiv des San Michele. Während
sowohl auf [287] dem
Nord- wie Südhang der wuchtige Stoß des Feindes an der Tapferkeit
des Verteidigers zerschellte, gelang es den Italienern, auf der Höhe selbst in
die erste Linie einzudringen. Rasch waren aber trotz des mörderischen
Artilleriefeuers, das unausgesetzt gegen das Hintergelände der Stellung
gerichtet war, die Reserven zur Stelle; sie vermochten die Flügel des
Einbruchsraumes wirksam zu stützen und den Feind teilweise wieder
hinauszudrängen. Hiermit war die Kraft der auf dem Monte San Michele
kämpfenden 20. Honved-Infanteriedivision erschöpft. Erst mit Hilfe
der im Laufe der Nacht im Vallonetal angriffsbereiten Korpsreserve konnte an
eine völlige Rückeroberung des Monte San Michele gedacht werden.
Inzwischen tobten beiderseits der Einbruchsstelle nahezu längs des ganzen
Plateaurandes erbitterte Kämpfe. Immer wieder stürmten die Italiener
und wurden von den heldenmütigen Verteidigern, zumeist in wildem
Handgemenge, scharf abgewiesen. Am Abend war mit Ausnahme der kleinen
Einbuchtung auf dem Gipfel des Monte San Michele das Stellungssystem auf der
Hochfläche von Doberdo ungeschmälert in der Hand des
hartnäckigen Verteidigers, der jedoch noch keineswegs schwerer Sorge
enthoben war. Fehlte es doch schon an allen Ecken und Enden an den zur
Führung des Großkampfes nötigen Kräften und Mitteln.
Daß das unmittelbare Ziel des diesmaligen feindlichen Angriffes der Besitz
von Görz war, stand nunmehr außer jedem Zweifel. Es galt demnach,
bei äußerster Anspannung aller Kräfte mit dem wenigen
Vorhandenen so lange auszuhalten, bis tropfenweise das zur Nahrung des
Kampfes Notwendigste einlangte. Mit dem Mute der Verzweiflung ringendes,
lauteres Heldentum der Söhne aller Gaue der alten Monarchie wußte
dem Feinde die verlockend nahe Beute noch heftigst streitig zu machen.
So wurde auch am 7. August sowohl um die einzelnen Teile des Görzer
Brückenkopfes, als auch um den Monte San Michele heiß und
erbittert gerungen. In ersterem wogte der Kampf den ganzen Tag hin und her;
immer wieder folgte den ständig sich erneuernden Angriffen der Italiener
ein mit den bescheidensten Mitteln erfolgreich durchgeführter Gegenangriff
des Verteidigers. Bereits zu Mittag waren nicht weniger als zwölf
feindliche Regimenter im Kampfe gegen die wenigen Bataillone der tapferen 58.
Infanteriedivision festgestellt, und trotzdem hatten die Italiener in dem schmalen
Kampfstreifen westlich des Isonzo noch keine Entscheidung zu erringen
vermocht. Angesichts ihrer ungeheuren Übermacht und im Hinblick auf die
sich ständig verringernde Kraft des Verteidigers mußte das
Armeekommando am Abend dieses Tages auf die Wiederherstellung der Lage im
heißumstrittenen Brückenkopf verzichten. Beim Mangel an Reserven
blieb nichts anderes übrig, als die Verteidigung auf das linke Isonzoufer zu
verlegen; wuchs doch in Anbetracht dieses Mißverhältnisses an Kraft
die Gefahr, im Wippachtal durchbrochen zu werden, geradezu stündlich.
Wohl waren dem Armeekommando die 2. und die 8.
Ge- [288] birgsbrigade aus Tirol
als nächst eintreffende Verstärkung in Aussicht gestellt worden. Was
konnte aber nicht alles bereits geschehen sein, bis diese an der bedrängten
Front eintrafen? Die allgemeine Lage duldete keine Experimente. Unter allen
Umständen mußte eine Katastrophe vermieden werden.
Auch auf dem Monte San Michele war infolge mangelnder Kraft kein
völliger Umschwung herbeizuführen. Wohl zeitigte der in den
Morgenstunden von sechs Bataillonen - der letzten Kraft des VII.
Korps - unternommene Gegenangriff anfänglich einen
schönen Erfolg. Doch erzielte die erdrückende Übermacht des
Feindes bald einen Rückschlag, der zu derselben Lage führte wie am
Vortage. An den anderen Teilen der Hochfläche von Doberdo blieben die
Stellungen auch an diesem Tage trotz wiederholter heftiger Anstürme
unversehrt in der Hand ihrer tapferen, auf ihre eigene Kraft angewiesenen
Besatzung. Zu dem Mangel an lebender machte sich auch ein solcher an
materieller Kraft empfindlichst fühlbar; infolge zunehmenden
Munitionsmangels vermochten die wenigen Geschütze des Verteidigers den
in sie gesetzten Erwartungen nicht zu entsprechen.
Schweren Herzens erließ am 8. August um 2 Uhr nachts das
Armeekommando den Befehl zur Räumung des weit über Jahresfrist
zäh verteidigten Brückenkopfes Görz. Bei Tagesanbruch war
die Bewegung im allgemeinen durchgeführt. Nur ungarischer Landsturm
behauptete sich, von allen Seiten umdrängt, noch heldenmütig am
rechten Isonzoufer; erst im Laufe der kommenden Nacht entzog er sich der
drohenden Gefangennahme. Bei dieser Heftigkeit des Kampfes war die Schar der
hartnäckigen Verteidiger von Görz naturgemäß stark
zusammengeschmolzen. Insgesamt blieben kaum 5000 Feuergewehre zur
Einrichtung des ferneren Widerstandes im breit ausgedehnten Wippachtal
übrig. Und trotz allem Ungemach und ihrem erschöpften Zustand
kämpften diese Helden unentwegt weiter wie Löwen.
Zunächst wurde unmittelbar am linken Ufer des Isonzo Widerstand
geleistet. Als aber die Italiener in den ersten Nachmittagsstunden den Fluß
unterhalb des Brückenkopfes zu durchfurten vermochten, blieb nichts
übrig, als die Verteidigung in die auf dem Höhenrand unmittelbar
östlich Görz vorbereitete zweite Stellung zu verlegen. Wohl lagen
die Stadt und der Isonzo im Gewehrertrag des Verteidigers; das heiß
ersehnte Ziel "Görz" befand sich aber in der Hand des Feindes!
Auf der Hochfläche von Doberdo blieb die Lage unverändert. Alle
Anstrengungen des Feindes, namentlich auf dem Monte San Michele weiter Raum
zu gewinnen, waren vergeblich. Der Mangel an Kraft und die Ereignisse vor
Görz machten es aber unvermeidlich, zeitgerecht an eine scharfe
Verkürzung der Widerstandslinie zu denken, um bis zum Eintreffen der
Verstärkungen einen feindlichen Durchbruch verhindern zu können.
Dies führte zu dem Entschlusse, die seit Kriegsbeginn erfolgreich
verteidigte Hochfläche von Doberdo aufzugeben und die Verteidigung im
direkten Anschluß an die im Wippachtale neu bezogene [289] Stellung hinter den
Valloneabschnitt zu verlegen. Um das kostbare Kriegsmaterial bergen und den
Stellungswechsel der Artillerie durchführen zu können, durfte dieser
Entschluß nicht vor dem 10. August morgens vollzogen werden. Die
nunmehr der notwendigen artilleristischen Unterstützung immer mehr
entblößte Infanterie mußte noch weiter auf der
Karsthochfläche aufopferungsvoll standhalten.
Der 9. August wurde zu einem Tage härtester Nervenprobe für den
Verteidiger. Die Italiener, durch ihren Erstlingserfolg ermutigt, erweiterten das
Feld ihrer Tätigkeit. In der richtigen Erkenntnis, daß nur der die Stadt
Görz tatsächlich besitzt, der auch Herr der beiden Eckpfeiler, des
Monte Santo im Norden und des Monte San Michele im Süden ist,
trachteten sie, sich von Plava aus des ersteren zu bemächtigen. Dies
führte an diesem wie am nächstfolgenden Tage östlich Plava
zu den erbittertsten Kämpfen, in denen sich die beiden dort in Stellung
befindlichen Bataillone - Helden des Dalmatiner Infanterieregimentes 22
und des südungarischen Infanterieregimentes
52 - mit unvergänglichem Ruhm bedeckten. Die zum Sturm
befohlenen italienischen Brigaden machten bittere Erfahrungen und sahen ihre
Anstrengungen an dieser Stelle scheitern.
Im Becken von Görz wurde inzwischen die neu bezogene Stellung fast
völlig unbehelligt zur Verteidigung eingerichtet. Zu heftigen
Kämpfen kam es auf dem Monte San Michele. Die tapferen Honveds
bemächtigten sich aus eigener Initiative ohne Verstärkung und ohne
nennenswerte Artillerieunterstützung stürmender Hand nochmals der
heißumstrittenen Kuppe. Wohl vermochten sie sich nicht tagsüber zu
behaupten; doch erzielte ihr entschiedenes Auftreten, daß der Feind an
dieser gefährdeten Stelle nunmehr Ruhe hielt und nur südlich davon
den Verteidigern von San Martino nochmals Gelegenheit bot, ihn vor dem
unvermeidlich gewordenen Abschied die unerschütterte Kraft ihres
Widerstandes gründlichst fühlen zu lassen.
Am 10. August morgens vollzog sich auf dem Monte San Michele die
Loslösung vom Feinde ungestört und in vollster Ordnung; der
Südteil der Hochfläche sollte planmäßig erst am Morgen
des 12. August geräumt werden. Am 10. und 11. August kam es zu keinen
wesentlichen Kämpfen. Der Feind blieb sowohl in der Görzer Ebene
wie auf der Karsthochfläche glücklicherweise recht untätig;
nur mit großer Vorsicht näherte er sich den neuen Stellungen. Dies
war ein kostbares Geschenk für den Verteidiger; denn er gewann Zeit! Das
half über die Krise hinweg; auch waren endlich die ersten
Verstärkungen, 2. und 8. Gebirgsbrigade, im Eintreffen; weitere
Kräfte sollten nachfolgen.
Erst am 12. August versuchte der Feind seinen Anfangserfolg zu erweitern.
Die von der 58. Infanteriedivision gleich am Ostrande der Stadt Görz
bezogene Widerstandslinie war doch eine zu drückende Fessel, das Streben,
sich ungestört des Besitzes von Görz erfreuen zu können, nur
zu begreiflich. Sowohl jetzt, im [290] weiteren Verlaufe
dieser Schlacht, wie während der ganzen Dauer des Krieges war diesem
Streben kein Erfolg beschieden, wiewohl ihm das Blut vieler Söhne Italiens
im Laufe der Zeiten zum Opfer gebracht wurde.
Mit voller Wucht richteten die Italiener in der Zeit vom 12. bis zum 16. August
ihre Anstrengungen dahin, gegen Ost Raum zu gewinnen. Dank der beispiellosen
Hartnäckigkeit unserer Truppen verwandelte sich ihr Beginnen immer mehr
zur Niederlage. Während dieser Tage erhielten die sowohl in dieser wie in
den folgenden Schlachten so rühmlichst bekannt gewordenen
Kampfplätze von Sv. Katarina, Panowitz, San Marco und Vertojba
im Wippachtale, die Felsplatte von Nad Logem, die Orte Lokvica,
Oppacchiasella und Nova Vas, sowie die Höhen und u. a. m.
auf der Karsthochfläche in tagelangem Ringen ihre Feuertaufe. Besonders
auf dem Nordteil der Hochfläche von Comen waren die Kämpfe
schwer und verlustreich, da dort von einer "Stellung" noch keine Rede war. Es
bedurfte eines ungeheuren Aufwandes an Arbeitskraft und der mannigfachsten
Anwendung modernster Technik, um in dem undurchdringlichen Felsboden des
Karstes in notdürftigst schützende Tiefe zu gelangen. Nur in
Monaten härtester Arbeit konnte dort erreicht werden, was in lockerem
Boden binnen eines Tages mit Leichtigkeit zu bewerkstelligen ist. Geradezu
schutzlos waren daher die Verteidiger der durch Steinschlag vervielfältigten
Wirkung des feindlichen Feuers preisgegeben. Und dennoch hielten sie eisern
stand, bis die Angriffskraft des Feindes erlahmte und die Schlacht am 16. August
ihr Ende fand.
Mit einer stolzen Siegesfanfare beginnend, war die Schlacht für die
Italiener in einem Mißton ausgeklungen. Das politische Schlagwort
"Görz" hatte dem Angreifer, der schließlich 18 seiner besten
Divisionen in den Kampf geworfen hatte, über 100 000 Mann
an blutigen Verlusten und über 6000 unverwundete Gefangene gekostet.
Militärisch war auch diesmal den Italienern der "Sieg" versagt geblieben.
Zu lange war die Pause zwischen dem ersten und dem zweiten Akt des blutigen
Dramas ausgedehnt worden. Dieser Zeitverlust war dank der Kaltblütigkeit
des zähen Verteidigers uneinbringlich.
2. Die siebente
Isonzoschlacht.
Generaloberst v. Boroević war sich sofort bewußt, daß die
eingetretene Ruhe kurzfristig sein werde. Die neu erstandene militärische
Lage an der Isonzofront mußte den Italienern - trotz des theoretischen
Besitzes von Görz - auf die Dauer geradezu unhaltbar erscheinen.
Dazu kam noch das Eingreifen Rumäniens in den Krieg. Daß es
demnach im Laufe dieses Jahres noch zu schweren Kämpfen an der
Isonzofront kommen müsse, daran war nicht zu zweifeln. Ehestens wurden
die abgekämpften Teile der 5. Armee durch Einreihung von Ersätzen
aufgefrischt und im Laufe der nächsten Zeit vier
Divisionen - 48. Schützendivision, Generalmajor Fernengel, 28.
Infanteriedivision, [291] Feldmarschalleutnant
v. Schneider, und 57. Infanteriedivision, Generalmajor v. Hrozny aus
Tirol, 44. Schützendivision, Feldmarschalleutnant Nemeczek, aus dem
Nordosten - dieser Armee zugeführt, so daß deren
Kampfstand, der anfangs August vor der sechsten Schlacht nur 102 000
Feuergewehre betragen hatte, bereits anfangs September auf 148 000
Gewehre stieg. Gestützt auf diesen Kraftzuschuß und auf die in der
letzten Schlacht gemachten Erfahrungen, sah der Armeekommandant mit
Zuversicht den Ereignissen entgegen, wenn auch die neubezogene Stellung,
namentlich auf der Karsthochfläche, noch keineswegs den Anforderungen
des Großkampfes gewachsen war.
Bis gegen Ende August rechnete man geradezu von Tag zu Tag mit einer
Fortsetzung des feindlichen Stoßes, namentlich im Wippachtal.
Allmählich reifte aber die Erkenntnis, daß sich der vermeintliche
"lokale Vorstoß" zu einem neuerlichen "allgemeinen Angriff" entwickeln
würde. Über den Zeitpunkt und die Art und Weise der
Durchführung herrschte in der ersten Hälfte des Monates September
noch völlige Unklarheit.
Ersterem Zweifel machte die am 13. September neuerdings erwachende lebhafte
Artillerietätigkeit des Feindes gegen die Front und namentlich auch gegen
die dahintergelegenen Räume im Wippachtal und auf der
Karsthochfläche bald ein Ende. Insbesondere die Anmarschwege zur Front
und die vermuteten höheren Befehlsstellen standen unter schwerstem
Artilleriefeuer. Das sagte zunächst genug: die siebente Isonzoschlacht
begann.
Am 14. September fand die Artillerievorbereitung gegen den Raum von Plava, das
Wippachtal und die ganze Karsthochfläche ihre Fortsetzung. Vornehmlich
auf letzteren Abschnitt hatte es der Feind, wie sich bald zeigen sollte, abgesehen.
Immer dichter wurde der dorthin gerichtete Hagel der Geschosse, um zu Mittag in
das heftigste Trommelfeuer überzugehen. Nach nahezu
zweistündiger kräftigster Beschießung schritt die Infanterie in
an 20 km breiter Front südlich der Wippach zum Angriff. Abgesehen
von einer kleinen Einbuchtung nächst der völlig deckungslosen
Felsplatte von Nad Logem, erzielte sie trotz wiederholter Anstrengung
nicht den geringsten Erfolg. Im vollsten Maße taten die tapferen Truppen
wieder ihre Schuldigkeit. Wenn auch im Laufe dieses Tages die
Gefechtstätigkeit im Wippachtal und insbesondere bei Plava nur
demonstrativen Charakter aufwies, war es doch noch ganz ungewiß, ob der
Feind seine Anstrengungen auf die Karsthochfläche beschränken
werde. Seiner Initiative stand noch ein recht weites Gebiet der Betätigung
offen; erst die nächsten Tage konnten hierüber Klarheit bringen.
Am 15. September nahmen die Scheinangriffe nördlich der Wippach
ernsteren Charakter an; sie erstreckten sich bis zum nördlichsten Teil des
Armeebereiches und wurden gegen die Wippach zu immer bedrohlicher. Zu
einem nennenswerten Infanteriekampf nördlich der Wippach kam es jedoch
auch an diesem Tage nicht. Man gewann immer mehr den Eindruck, daß der
[292] Feind dort lediglich
bestrebt sei, Kräfte zu binden. Um so wütender wurde hingegen die
Schlacht südlich der Wippach fortgesetzt. Bereits von Morgengrauen an
brachte die feindliche Artillerie ihre ganze Kraft gegen die Karsthochfläche
zur Geltung; bald standen dort die Hauptangriffspunkte unter nahezu
beständigem Trommelfeuer. An der Einbruchsstelle bei Nad Logem
wurde schon vormittags heftigst gekämpft; ein Angriff folgte dem andern.
Um Mittag entbrannte der Kampf besonders heftig um Oppacchiasella und um die
Höhe . Wieder blieben alle feindlichen
Anstrengungen vergeblich. Um 4 Uhr nachmittags stürmten
zwischen der Wippach und der nördlichen Kammlinie des Karstplateaus
neuerdings tief gegliederte Massen, die unmittelbar südlich der Wippach in
die Widerstandslinie eindrangen und sich in den Besitz der Kirchenhöhe
San Grado di Merna setzten. Ein sofort von 4 Bataillonen
durchgeführter Gegenstoß verwehrte dem Feinde jedes weitere
Vordringen und festigte dort, wie auf der benachbarten Felsplatte von
Nad Logem, nach Überlassung eines kaum einige hundert Meter
tiefen Geländestreifens an den Feind, die Lage bald wieder völlig.
Alle weiter südlich angesetzten italienischen Massenangriffe brachen
größtenteils bereits vor dem Hindernis des Verteidigers höchst
verlustreich zusammen. Wenn auch der Feind stellenweise in die
kümmerliche Stellung einzudringen vermochte, warfen ihn die Bajonette
der nächstbefindlichen Reserven ehestens wieder zurück.
Nicht anders verliefen die Kämpfe am 16. September. Vormittags richteten
sich die Angriffe hauptsächlich gegen den Nordteil der
Karsthochfläche. Als sich dort alle Bemühungen als vergeblich
erwiesen, wurden sie nachmittags mit um so größerer Wucht gegen
den Südteil unternommen, wo Feldmarschalleutnant v. Schenk den
Befehl über die 9. Infanteriedivision und die k. u. k. 24.
Ldst.-Gebirgsbrigade führte. Bis tief in die Nacht hinein tobten um den
Besitz der Höhe erbitterte Kämpfe,
ebenso wie um jenen der südlich hiervon gelegenen Kuppe 144.
Aber nicht um Schrittbreite waren die standhaften Verteidiger zum Weichen zu
bringen.
Durch die ungemein verlustreichen Kämpfe der letzten drei Tage
klärte sich die Situation dahin, daß eine Überraschung im
nördlichen Teil des Armeebereiches wohl kaum mehr zu besorgen war. An
letzterem hatte sich die Gefechtstätigkeit bereits an diesem Tage wesentlich
abgeschwächt. Wenn auch - nach den Berechnungen des
Armeekommandos - der Feind noch über mindestens fünf
kampfbereite Divisionen hinter seiner Angriffsfront verfügte, so war doch
die Hauptkraft seiner vor der Karsthochfläche zur Schlacht bereitgestellten
Truppen schwer abgekämpft. Diese weitgehende Beanspruchung des
feindlichen Heeres gestattete den Schluß, daß Cadorna wohl noch
eine Zeitlang den Kampf durch Austausch oder Wiederauffüllung bereits
abgekämpfter Divisionen nähren, doch kein neues Unternehmen mit
weiter gesteckten Zielen an anderer Stelle der langgestreckten Front einleiten
könne. Diese Erkenntnis gab dem
General- [293] oberst
v. Boroević endlich Bewegungsfreiheit in der Verwendung seiner
spärlichen Reserven. Der Südflügel der Armee konnte
zeitgerecht einigermaßen gestützt werden, wenn auch Sparsamkeit
geboten, das Ende der Schlacht noch keineswegs abzusehen war.
Tatsächlich kam es am 17. und 18. September im Raume zwischen der
Wippach und dem Meere noch zu höchst erbitterten Kämpfen. Doch
scheiterten alle noch so kräftigen Anstrengungen des Feindes, diesmal in
der kürzesten Richtung auf Triest Raum zu gewinnen, an der
bewährten Standhaftigkeit der Verteidiger. Elf Divisionen mit über
130 Bataillonen hatte die italienische 3. Armee im Raume südlich der
Wippach gegen in Summe 62 Bataillone der 5. Armee in den Kampf geworfen,
konnte sich aber nach dem 18. September zu keinem größeren
geschlossenen Infanterieangriff mehr aufraffen. In den fünf vergangenen
Schlachttagen erreichten die Italiener nichts Wesentlicheres als einen blutigen
Verlust von mindestens 45 000 Mann und die Erkenntnis, daß der
Weg nach dem heißersehnten Triest doch noch recht weit und dornenvoll
sein dürfte.
Daß allein schon mit Rücksicht auf die allgemeine Kriegslage auch
die am 19. September an der Isonzofront eingetretene Kampfpause nur kurz
währen würde, war klar. Ebenso war vorauszusehen, daß die
Absichten des Feindes auch weiterhin unmittelbar auf Triest gerichtet sein
würden. Immer schärfer trat die Notwendigkeit zutage, das
Schwergewicht der Verteidigung auf den Südflügel der 5. Armee zu
verlegen. Tolmein, Plava, selbst der Monte Santo schienen für die
nächste Zukunft einiges an Bedeutung verloren zu haben. In der
allgemeinen Not an Mann konnte man sich dort auch fernerhin auf die
bewährten Sicherheitsbesatzungen beschränken und den Nordteil der
Armeefront zugunsten des Südteiles von höheren Reserven
völlig entblößen. Dies war um so notwendiger, als auf weiteren
Kraftzuschuß von anderen Kriegsschauplätzen um diese Zeit nicht
nur verzichtet werden mußte, sondern sogar Abgaben für den neuen
rumänischen Kriegsschauplatz zu gewärtigen waren. In der Tat
sandte die 5. Armee Ende September die kampftüchtigen 2., 8. und 10.
Gebirgsbrigaden nach Siebenbürgen ab, wofür im Oktober die 16.
Infanteriedivision, Feldmarschalleutnant v. Schariczer, von der Nordfront
eintreffen sollte. Inzwischen hatte bereits die achte Isonzoschlacht begonnen.
3. Die achte Isonzoschlacht.
Gleich zu Beginn des Monats Oktober nahm die Heftigkeit des feindlichen
Artillerie- und Minenwerferfeuers wieder wesentlich zu; sie zeigte immer mehr
den Charakter einer systematischen artilleristischen Zermürbung der Front
des Verteidigers. Grundsätzlich wurde die Kampflinie fast
ausschließlich nur mit schweren Minen, das Hintergelände bis auf
14 km Tiefe mit schwerem Geschütz bearbeitet. Nicht nur, daß
der Stellungsbau stark im Rückstand bleiben [294] mußte, waren
auch die Verluste ganz beträchtliche; sie betrugen allein in einem Zeitraum
von fünf Tagen 700 Tote und 3000 Verwundete. Es war geradezu eine
Erlösung, als am 9. Oktober das gegen die Karsthochfläche
gerichtete Artilleriefeuer die Wesensart unmittelbarster Angriffsvorbereitung
annahm. Im Laufe des Vormittags wurden einzelne voraussichtliche
Angriffspunkte zu wiederholten Malen betrommelt. Unter diesem Feuerhagel litt
die ohnehin mangelhafte Stellung des Verteidigers schwer. Bereits zu Mittag
waren alle Drahtverbindungen zusammengeschossen, Hindernisse und Deckungen
fast vollständig eingeebnet. Endlich um 5 Uhr nachmittags schritt die
feindliche Infanterie zwischen der Wippach und der Senke von Jamiano in fast
10 km breiter Front zum Angriff; sie wurde zurückgeschlagen. Das
verständnisvollste Zusammenwirken zwischen der Verteidigungsinfanterie
und der vortrefflichen Artillerie bewährten sich bestens. Der Feind
ließ aber nicht so bald locker; immer wieder erneuerte er seinen Ansturm;
stellenweise kam es zu blutigem Handgemenge. Als um 9 Uhr nachmittags
die Heftigkeit des feindlichen Feuers etwas nachließ, konnte erst der durch
das todesmutige Ausharren der Infanterie erzielte Erfolg dieses Tages festgestellt
werden: Lückenlos war die Widerstandslinie in ihrer Hand verblieben, doch
die Verteidigungsanlagen waren vollständig zusammengeschossen.
Buchstäblich mit ihren Leibern hatte die Infanterie auf dem harten Fels dem
Feinde ein unüberwindliches Hindernis entgegengestellt. Schweres
mußte diesmal trotz des günstigen Ausganges dieses ersten
Schlachttages dem Verteidiger zweifellos noch bevorstehen. Auch während
der Nacht stand der ganze Angriffsraum in ununterbrochenem heftigstem
Artilleriefeuer. Die Reserveräume bedachte der Feind mit Gasgranaten.
Trotzdem konnte die Kampflinie mit dem Nötigsten an Munition,
Verpflegung und Wasser versorgt werden - eine Meisterleistung jener
ungezählten namenlosen Helden, die keine Gefahr scheuten, wenn es galt,
durch ihre Trägerdienste den in vorderster Linie schwer kämpfenden
Kameraden das weitere Ausharren zu ermöglichen.
Am 10. Oktober steigerte sich das feindliche Feuer bereits bei Tagesanbruch
wieder zu allergrößter Heftigkeit. Der unmittelbare Angriffsraum
erweiterte sich im Wippachtal bis Görz. Bald hüllte ihn die Wucht
des nahezu ständigen Trommelfeuers in undurchdringlichen Rauch und
Staub. Im Laufe des Vormittags mehrfach versuchte Teilangriffe scheiterten im
gut geleiteten Abwehrfeuer des Verteidigers. Von 2 Uhr nachmittags an
setzte die feindliche Infanterie in etwa 18 km breiter Front in geschlossener
Masse zum entscheidenden Angriff an. Dies führte zu ungemein schweren,
blutigen Kämpfen, die stellenweise bis in die tiefe Nacht hinein
währten. Im Südteil des Wippachtales verbluteten fünf
italienische Brigaden an der Standhaftigkeit der 43. Schützendivision,
Generalmajor Fernengel. Auf der Karsthochfläche gelang es
schließlich, den bei Lokvica erfolgten Einbruch des Feindes auf eine etwa
600 m breite, [295] wohl abgeriegelte
Einbuchtung zu beschränken. Südlich hiervon, zwischen
Nova Vas und Jamiano, war die Stellung bereits gänzlich verloren,
als ein schneidiger Gegenangriff die Höhe
und die daran anschließende Kampflinie nahezu restlos wieder in die Hand
der tapferen Verteidiger brachte. Auch im Abschnitt von Jamiano bis zur
Küste vorgetragene Angriffe zerschellten. Schwer war die Einbuße
des Feindes an diesem Tage. Aber auch der Verteidiger hatte stark gelitten.
Daß eine derartige Heftigkeit der Schlacht wohl nicht von zu langer Dauer
sein könne, war der trostreichste Gedanke für die höhere
Führung am Abend dieses sorgenvollen Tages.
Am Morgen des 11. Oktober lag schwerer dichter Nebel auf dem Schlachtfelde; er
beschränkte zunächst die Kampftätigkeit. Sehr bald hob er
sich aber so weit, daß die feindlichen Geschütze und Minenwerfer
wieder mit voller Heftigkeit gegen den Kampfraum wirken konnten. Um die
Mittagszeit begann ein erneuter Ansturm feindlicher Massen; besonders die
Hochfläche von Comen war bis tief in die Nacht hinein der Schauplatz der
erbittertsten Kämpfe. Neunmal wiederholte der Feind seinen mit aller
Wucht geführten Stoß. Der ersehnte Durchbruch war ihm versagt.
Abgesehen von geringfügigem Raumgewinn - Nova Vas blieb
in italienischer Hand - war der groß angelegte Massenangriff auf der
Karsthochfläche am Heldenmute ihrer Verteidiger, unter denen sich die
Truppen der alpenländischen 44. Schützendivision,
Feldmarschalleutnant Nemeczek, hervorragend auszeichneten, wieder gescheitert.
Nicht weniger als 33 italienische Brigaden hatten sich dort während dieser
wenigen Schlachttage verblutet. Wieder war es - abgesehen von der
bewährten Standhaftigkeit der tapferen Truppen - nur das
nüchterne Kräftekalkül, das mangels weiterer Reserven der
verantwortungsvollen höheren Führung in diesen schweren Stunden
einigen Trost gewährte: Auch beim Feinde konnte dieser
Kräfteverbrauch nicht mehr von langer Dauer sein; seine noch so reichen
Munitionsbestände mußten endlich bedenkliche Lücken
aufweisen. Die Schlachtenkrise schien ihren Höhepunkt erreicht, wenn
nicht schon überschritten zu haben! Das Kalkül hat sich als richtig
erwiesen. Am 12. Oktober erlahmte die feindliche Angriffskraft bereits merklich.
Ihr letztes Aufflammen brachte den tapferen Karstverteidigern eine schöne
Gelegenheit, dem Angreifer noch eine gute Lehre mit auf den Weg zu geben.
Nach vorhergegangenen lokalen Kämpfen brach plötzlich um
5 Uhr nachmittags das Gros der italienischen 45. Infanteriedivision,
verstärkt durch Teile der 1. Bersaglieribrigade, in dichten Wellen gegen den
linken Flügel der 17. Infanteriedivision, Generalmajor Ströher,
nördlich Lokvica vor. Das vorzüglich geleitete Artilleriefeuer
riß sofort mächtige Lücken in die Reihen des kühn
vorstürmenden Angreifers, dem Maschinengewehre und wohlgezieltes
Gewehrfeuer den Rest gaben. Nur wenige Italiener kamen von diesem Angriff
unversehrt in ihre Ausgangsstellung zurück. Hiermit fand die Schlacht ihr
Ende. Zwölf der besten Divisionen waren von den Italienern [296] wieder vergeblich
geopfert worden. Dabei fiel auf, daß sie es diesmal vermieden hatten, in der
vorangegangenen Schlacht abgekämpfte Divisionen frisch aufgefüllt
ins Treffen zu führen. Es waren demnach völlig intakte Truppen, die
sich eine Einbuße von - nach vorsichtiger
Schätzung - etwa 65 000 Mann, wozu noch ein Verlust von
3000 Gefangenen kam, in kaum viertägigen Kämpfen geholt
hatten.
4. Angriffe gegen die Tiroler
Ostfront.
Während des Sommers und Winters erlebte auch das
Heeresgruppen-Kommando Erzherzog Eugen in Tirol schwere Stunden. Die Italiener hatten im Juli in zahlreichen Angriffen vergeblich getrachtet, die neuen Stellungen der 11. Armee, General der Kavallerie Rohr, auf den
Hochflächen von Vielgereuth und Lafraun zu überwinden.
Namentlich das III. Korps, Feldmarschalleutnant v. Krautwald, hatte im
Zebio-Gebiete heiße Kämpfe zu bestehen, die den Angreifern wohl
hier und da kleine örtliche Vorteile, doch nie einen durchschlagenden
Erfolg brachten. Mangels eines solchen posaunten sie einen großen Sieg in
die Welt hinaus, als es ihnen nach wochenlangen Bemühungen und
mächtigem Artillerieaufgebot am 23. Juli gelang, die der Hauptstellung auf
der Tonezzaplatte vorgelagerte Feldwache auf dem Monte Cimone, oberhalb
Arsiero, zu überwältigen. Als alle Wiedereroberungsversuche im
starken Artilleriefeuer scheiterten, das diesen lästigen italienischen Posten
dicht vor der Front unterstützte, wurde der Gipfel in langwieriger, vom
Oberleutnant Mlaker geleiteter Arbeit unterminiert. Am 13. September früh
erfolgte die Sprengung, unter deren mächtigem Eindruck sich das Bataillon
Major Schad des Salzburger Infanterieregiments Nr. 59 des Postens wieder
bemächtigte.
Im Maße als die Italiener die Vergeblichkeit ihrer vielfachen
Bemühungen auf den Hochflächen, beim
Borcola-Paß und gegen die Front zwischen Laim- und Brandtal erkannten,
wandten sie ihre Aufmerksamkeit den Fassaner Alpen zu. Diese von Natur starke
und bisher ziemlich unbehelligt gebliebene Front hatte allgemach alles, was
halbwegs für den Bewegungskrieg tauglich war, abgeben müssen.
Alte, abgebrauchte Leute hielten die Wacht in dem starke Anforderungen an die
physischen Kräfte stellenden Hochgebirge. Den Italienern blieb dies nicht
verborgen und lockend winkte ihnen die Aussicht, mit einem Durchbruch die
heißbegehrten Hochflächen unhaltbar zu machen. Am 21. Juli leiteten
sie die Kämpfe mit einem Angriff gegen den Eckpfeiler der Front
südlich des Travignolotales, den Colbricon, ein, den General der Infanterie
v. Roth anfangs Juli in die Hauptstellung einbezogen hatte, um den
vorgeschobenen Posten auf Cavallazza oberhalb des
Rolle-Passes zu stützen. Dieser Posten und der Kleine Colbricon gingen
verloren, doch scheiterten alle weiteren, bis 5. August unter mächtiger
Artilleriebegleitung geführten Angriffe im Abschnitt des
Travignolo- und Pellegrino-Tales. Nach fast drei Wochen Pause versuchten die
Italiener den Einbruch über den Rücken der Fassaner Alpen in
[297] das Fleimstal nach
Predazzo. Nach hin und her wogendem Kampfe (23. bis 28. August) setzten sie
sich in den bleibenden Besitz einer Spitze des Cauriol, womit sich ihnen die
Hoffnung eröffnete, diese Felsmauer zu überwinden. Zur selben Zeit
lächelte ihnen bei Cortina d'Ampezzo das Glück. Sie brachen in
einen Teil der Ruffredostellung ein, doch litten alle Versuche, den errungenen
Vorteil auszunutzen, Schiffbruch.
Auch zur Zeit der siebenten Isonzoschlacht wollte die italienische 4. Armee in den
Fassaner Alpen Lorbeeren einheimsen. Schon am 10. September begannen
offenbar demonstrative Angriffe gegen die 11. Armee auf den Hochflächen
und im Gebiet des Passubio. Gleichzeitig schossen sich zahlreiche Batterien auf
die Stellungen zwischen Cauriol und Coltorondo ein. Am 14. September begann
die Schlacht, der ein Wettersturz mit Schneesturm und Nebel am 18. ein Ende
machte. Der Gewinn der Italiener beschränkte sich auf die
Cauriol-Scharte östlich des Gipfels.
Sobald sich das Wetter besserte, hielt der Feind die Verteidiger durch
Bombardements und kleinere Angriffe fortwährend in Atem. Mittlerweile
rüstete er zu einem gewaltigen Schlage gegen die ganze Front von Cauriol
bis zur Marmolata. Am 5. Oktober begann die Schlacht in den Fassaner Alpen, die
den Italienern in blutigen Kämpfen keinen greifbaren Erfolg brachte, doch
alle verfügbaren Reserven des Erzherzogs Eugen aufzehrte und wenigstens
den einen Zweck erfüllte, die Abgabe von Verstärkungen an die
Isonzofront zu vereiteln. Als sie am 9. endete, begann ein Ansturm der Italiener
im Gebiet des Passubio. In dem bis 12. währenden Ringen hatten sie die
Eroberung der Cosmagon-Stellung als Gewinn zu verzeichnen. Am 17. Oktober
setzten in diesem Gebiet neue Kämpfe ein. Den
Kaiserjägerregimentern 1, 3 und 4, unter Oberst v. Ellison, wurden
im Ringen um den Monte Testo, den Roite-Rücken und namentlich um den
Passubio-Kopf schwere Proben ihres Heldenmutes auferlegt, bis am 19. die
Angriffskraft der Italiener völlig gebrochen war.
Alle Anzeichen wiesen darauf hin, daß die Italiener trotz der
vorgerückten Jahreszeit noch einen Vorstoß gegen die Front des
Generals der Infanterie v. Roth und südlich der Brenta, im Gebiete
der Sieben Gemeinden, planten. Beschießungen und Einzelangriffe konnten
als Vorboten gelten, allerlei Vorbereitungen wurden erkennbar. Tatsächlich
kam es nicht mehr zu einer neuen Schlacht, da am 9. November der Winter mit
Macht einsetzte, meterhohe Schneelagen und Lawinen jede
Gefechtstätigkeit ausschlossen.
5. Die neunte Isonzoschlacht.
Auch Generaloberst v. Boroević rechnete nach Beendigung der achten
Isonzoschlacht angesichts der vom Feinde geübten
Zermürbungstaktik auf eine baldige Wiederholung des Ansturmes gegen
die schwer geprüfte Karstfront. Trotz aller Tapferkeit und Zähigkeit
des Verteidigers hatte dessen Widerstands- [298] kraft eben auch ihre
Grenzen. Empfindlichst lastete auf ihm die allgemeine Not an Mann; eben war der
Feldzug gegen Rumänien im vollen Gange, die Lage an der russischen
Front erst notdürftig wieder hergestellt; die italienischen Teilangriffe in
Südtirol beanspruchten eine, wenn auch geringfügige Abgabe von
Truppen dorthin. Die gesamte Wehrmacht befand sich in einem Zustande
äußerster Kraftanspannung. Auch das Bewußtsein
beschränkter Bewegungsfreiheit wirkte lähmend. War auf dem
westlichen oder gar auf dem östlichen Kriegsschauplatz der Verlust eines
oder des anderen Kilometers an sich völlig bedeutungslos und ein
stellenweises Ausweichen vor der ärgsten Wucht des Stoßes ohne
jeden Schaden für die Gesamtlage möglich, so war an der Karstfront
ein solches Manöver ausgeschlossen. Die letzte der Stadt und dem Hafen
von Triest noch sicheren Schutz gewährende Stellung lag in der Linie
Hermada - Fajti hrib, die nunmehr wohl einen forcierten
Ausbau erfuhr, aber erst in Monaten Anspruch auf Verteidigungsfähigkeit
erheben konnte. Die augenblickliche Kampflinie verlief stellenweise nur mehr
3 km weiter westlich davon. Das war der ganze Spielraum, über den
die 5. Armee vor Triest noch verfügte und den sie sich allen
Anstürmen gegenüber noch ein ganzes Jahr lang zu erhalten
wußte. Unter diesen Umständen durfte es nicht wundernehmen,
daß die bewährten Karstverteidiger - lediglich auf ihre eigene,
bereits bedenklich zusammengeschmolzene physische Kraft
angewiesen - diesmal unter noch erhöhterem Druck des
Verantwortlichkeitsgefühles der nächsten feindlichen Offensive
entgegensahen. Mit zusammengebissenen Zähnen, beinahe mit dem Mute
der Verzweiflung wurde von Tag zu Tag der Beginn der neuen Schlacht
erwartet.
Im Laufe der letzten Oktoberwoche sprachen alle Anzeichen dafür,
daß der Angriffsbeginn unmittelbar bevorstehe.
Außergewöhnlich starker Verkehr hinter der feindlichen Front, rege
Arbeitstätigkeit in den Stellungen, Aussagen von Überläufern,
sowie das täglich an Heftigkeit zunehmende Feuer kündeten dies an.
Am 28. Oktober gab es bereits ein regelrechtes Bombardement. Ein um diese Zeit
plötzlich einsetzender gewaltiger Wettersturz brachte eine zweitägige
Unterbrechung der die neunte Isonzoschlacht einleitenden feindlichen
Betätigung. Am 31. Oktober, am ersten klaren Morgen nach den
Regentagen, stieg das feindliche Feuer zur größten Heftigkeit; die
Artillerieschlacht hatte begonnen. Ein immer stärker werdender Hagel von
Geschossen ging auf die Front vom Monte Santo bis zum Meere nieder. Wenn
auch von 3 Uhr nachmittags an die feindliche Infanterie stellenweise
vorfühlte, so kam es noch zu keinem nennenswerten Infanterieangriff. Die
rückwärtigen Räume der Karsthochfläche waren
nachmittags ein besonders begehrtes Ziel feindlicher Bombengeschwader. Am 1.
November mit Tagesanbruch wurden Front und im Geschützertrag stehende
Aufstellungsräume der Reserven des ganzen Wippachtales, sowie der
Karsthochfläche mit allen Kalibern kräftigst [299] weiterbearbeitet.
Rasch steigerte sich diese Vorbereitung zum Trommelfeuer. Die Stellung war bald
ein Schutt- und Trümmerhaufen. Gegen diesen legte die feindliche
Infanterie nach 11 Uhr vormittags in 20 km breiter Front in dichten
Massen zum geschlossenen Angriff los. Im Wippachtal blieben alle
Anstrengungen des Feindes gänzlich erfolglos. Das tapfere XVI. Korps,
Feldzeugmeister Wurm, bot dort an sechs Divisionen erfolgreich die Stirne. Nicht
so glatt verlief die Abwehr auf der Karsthochfläche. Um in dem
deckungslosen Gelände auf deren Nordteil nicht zu viele kostbare
Menschenleben der verheerenden Wirkung der Artillerievorbereitung
preiszugeben, war die Sicherheitsbesatzung auf das äußerste
Maß vermindert worden. Der ungeheuren Wucht des feindlichen
Stoßes vermochte die schütter besetzte erste Linie nicht zu
widerstehen; was nicht dem vorbereitenden Artilleriefeuer zum Opfer gefallen,
wurde einfach überrannt. An einzelnen Stellen griffen auf nicht mehr als
400 m Breite ganze Divisionen an, die 12 Bataillone hintereinander
gestaffelt. In etwa 4 km Breite erfolgte der Einbruch. Nur dem heroischen
Eingreifen der zumeist aus
deutsch-alpenländischen Kerntruppen bestehenden Reserven der
Stellungsdivisionen war es zu danken, daß dem Feinde bereits in etwa
2 km Tiefe Halt geboten werden konnte. An allen übrigen Teilen der
langgestreckten Angriffsfront wurde die erste Linie behauptet, oder doch nach
schwer hin und her wogendem Kampfe wiedergewonnen. Die Haltung aller
unserer Truppen war an diesem schweren Großkampftage über jedes
Lob erhaben. Noch bestand die Hoffnung, im Wege eines Gegenangriffes die auf
dem Nordteil der Karsthochfläche erlittene Scharte auswetzen zu
können.
Am Morgen des 2. November schritten die noch frischen Teile der 28.
Infanteriedivision, Feldmarschalleutnant v. Schneider, und 44.
Schützendivision, Feldmarschalleutnant Nemeczek, an deren inneren
Flügeln am Vortage der Einbruch erfolgt war, zum Gegenangriff, der
zunächst gut vorwärts kam. Schon waren wesentliche Vorteile
erzielt, als um die Mittagszeit ein nach kräftigstem Feuerüberfall
neuerlich eingeleiteter feindlicher Massenstoß die im Laufe der
Vorrückung bereits bedenklich zusammengeschmolzenen Reihen dieser
todesmutigen Bataillone nahezu vollständig zertrümmerte. Nur mehr
sehr bescheidene Reste beider Divisionen erreichten die Aufnahmestellung
Fajti hrib - Kostanjevica, die inzwischen von der 17.
Infanteriedivision besetzt worden war. Die Tapferkeit des westgalizischen
Landsturm-Infanterieregimentes 32 verhinderte eine Erweiterung des
Einbruchsraumes gegen Süd, so daß der feindliche Stoß in dem
Sacke zwischen der Wippach und der Linie
Fajti hrib - Kostanjevica - Hudilog -
Höhe aufgefangen werden konnte. Es
fehlte leider an Kraft, den Feind mit einem größer angelegten
Gegenangriff wieder völlig zu werfen; forderte doch die Kriegslage
gebieterisch die peinlichste Sparsamkeit mit Mann und Kampfmitteln.
[300] Wider Erwarten kam es
in dieser Schlacht überhaupt zu keiner größeren
Kampfhandlung mehr. Die Italiener beschränkten sich auf das bisher
Errungene. Ihren Zweck hatten sie wieder nicht erreicht. Von den in die Schlacht
geführten 16 Divisionen waren, 3000 Gefangene inbegriffen, wieder etwa
70 000 Mann geopfert worden. Freilich hatte auch der Verteidiger schwere
Verluste zu beklagen; aber seine Aufgabe hatte er erfüllt.
Hiermit fanden die Kämpfe an der italienischen Front für das Jahr
1916 ein Ende. An ihre Stelle trat beiderseits emsigste Arbeit an den Stellungen
als Vorbereitung für den weiteren Kampf mit dem Feinde, wie mit dem
Winter. Endlich erfuhr nun auch die
Isonzofront - entsprechend der günstigen Entwicklung der Ereignisse
auf den übrigen Kriegsschauplätzen - eine wesentliche
Verstärkung ihrer Kraft, so daß sie nicht nur ungebrochen, sondern
auch vertrauensvoll den im kommenden Jahre zu gewärtigenden
Kämpfen mit dem sich zu immer größerer militärischer
Machtentfaltung aufschwingenden Erbfeind der alten Monarchie entgegensehen
konnte.
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