Bd. 5: Der österreichisch-ungarische
Krieg
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Kapitel 10: Die Niederwerfung
Montenegros
Feldmarschalleutnant Theodor Konopicky
Zwischen dem 19. und 23. November hatte das Gros der 3. Armee die Linie
Novavaroš - Sjenica - Novipazar - Mitrovica
erreicht, gemischte Detachements gingen in der nächsten Zeit noch
darüber hinaus vor. Die 62. Infanteriedivision hatte am 2. Dezember Plevlje
genommen. Am äußersten linken Flügel war die 57.
Infanteriedivision im Begriffe, von Priština nach Djakova und Prizren zu
marschieren. Es erschien einfach und natürlich, die Armee aus dieser Front
in südwestlicher Richtung zur Küste vorrücken zu lassen, um
hierdurch dem montenegrinischen Heer ein ähnliches Schicksal zu bereiten,
wie es über die serbische Armee hereingebrochen war. Dem
Armee-Oberkommando Teschen scheint auch anfänglich ein solches
Verhalten der 3. Armee vor Augen geschwebt zu haben; in mittelbarem
Zusammenhang damit sollte eine relativ schwache Kraftgruppe versuchen, durch
einen kurzen, von der Bocche di Cattaro aus gehenden Vorstoß das
Lovčengebiet in Besitz zu nehmen.
Es kam anders. Die in der ersterwähnten Operationsrichtung bestehenden
besonderen Geländeschwierigkeiten, der Mangel jedweder Ressourcen, die
winterliche Jahreszeit, die große Entfernung von der Bahn und die
unausbleiblichen außerordentlichen Schwierigkeiten im Nachschube
bewirkten, daß schließlich das Schwergewicht des Angriffes auf die
Seite von Cattaro verlegt wurde, das mit dem Hinterlande durch eine Bahn
verbunden und nur 40 km von Cetinje, der Hauptstadt Montenegros,
entfernt war.
Demzufolge wurden nach und nach die Brigaden Generalmajor Schieß und
Generalmajor Streith, das XIX. Korpskommando und Gruppenkommando
Feldmarschalleutnant Sorsich, die 20. Landsturm-Gebirgsbrigade, Oberst
v. Farkas, sowie Teile der 62. Infanteriedivision aus dem Bereiche der 3.
Armee über Sarajevo in die Bocche verschoben, wohin auch die 21.
Landsturm-Gebirgsbrigade, Oberst Löbl, gelangen sollte. Schließlich
wurde der kommandierende General in Sarajevo, General der Infanterie
v. Sarkotič, mit allen gegenüber der montenegrinischen
Westfront befindlichen oder dort noch aufmarschierenden Kräften dem 3.
Armeekommando unterstellt. Zugleich erhielt General der Infanterie
v. Köveß den Auftrag, nach direkten Weisungen des
Armee-Oberkommandos den Angriff auf die in Montenegro und
Nord-Albanien befindlichen feindlichen Kräfte zu führen.
[189] Die Eroberung des die
Bocche di Cattaro krönenden Lovčengebietes spielte beim Angriffe
eine wesentliche, sogar ausschlaggebende Rolle. Die innerste Bucht des
vielgegliederten Hafens, dessen Szenerie an den Vierwaldstättersee
Unsere Marine in Feuerstellung gegen den
Lovcen.
[192a]
Der Weg auf den Lovcen.
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erinnert, wird auf der Ostseite vom 900 - 1400 m hohen
Steilabfall des den Westen Montenegros ausfüllenden Hochlandes gebildet.
Dieses trägt eine große Anzahl mannigfach und scharf geformter
Höhen, deren bedeutendste, der Lovčen, bis 1759 m aufragt,
nahe an den erwähnten Steilabfall herangeschoben und mit ihm durch einen
schmalen felsigen Abhangrücken verbunden ist. Fast alles Terrain ist
nacktes, zerrissenes Felsgestein, nur hier und da zeigt sich
Gras- und Baumwuchs oder finden sich an geschützten Stellen
anbaufähige Flächen. Die Entfernung des Lovčen von Cetinje
(Höhenlage ca. 700 m) beträgt, in Luftlinie gemessen,
10 km, jene von Cattaro 4½ km, von der Einfahrt in die
Bocche 20 - 22 km. Es gibt in dieser nur wenige Stellen, die
vom Lovčen aus nicht eingesehen werden können, und die Wirkung
der am Plateaurand aufgestellt gewesenen montenegrinischen Geschütze
reichte bis in die Mitte des Kriegshafens hinein.
Die Vorbereitungen für die Eroberung des Lovčengebietes waren von
General der Infanterie v. Sarkotić dem XIX. Korpskommando,
Feldmarschalleutnant Trollmann, übertragen und von diesem
mustergültig getroffen worden; sie konnten daher, wie sie waren, in den
Plan für die Besitznahme des ganzen Landes eingefügt werden.
Dieser findet in der Disposition, die das 3. Armeekommando am 24. Dezember
1915 ausgab, Ausdruck; sie lautete im wesentlichen:
"Für den Angriff werden
folgende Befehlsgruppen gebildet: a) kommandierender General mit allen an der
Westgrenze Montenegros befindlichen und dort noch aufmarschierenden
Kräften; b) 62. Infanteriedivision; c) VIII. Korps, bestehend
aus der 53., 59., 57. Infanteriedivision, 10. Gebirgsbrigade und Brigade
Haustein.
Aufgaben: der kommandierende General hat mit dem
Gros seiner Kräfte aus der Bocche und Krivošje1 die Linie
Virpazar - Podgorica zu gewinnen; Einleitung dieser Offensive
bildet die Besitznahme des Lovčengebietes nach den hierfür vom
Armee-Oberkommando ergangenen Direktiven. Eine Nebengruppe hat aus der
Gegend von Trebinje in den Raum von Nikšić vorzugehen, hierdurch
die Hauptkraft nach der linken Flanke zu decken. Alle entbehrlichen Teile dieser
Gruppe werden dann nach Podgorica vorzuführen sein. Die Truppen bei
Bileca (Bilek) und weiter nördlich haben die gegenüberstehenden
feindlichen Kräfte zu binden, womöglich in das feindliche Gebiet
einzufallen. Der 62. Infanteriedivision fällt die analoge Aufgabe für
das Gebiet östlich der Piva zu; ihr stark zu haltender linker Flügel hat
das Vorgehen des rechten Flügels des [190] VIII. Korps von
Mojkovac aus zu unterstützen. Das VIII. Korps hat mit allen Mitteln
anzustreben, durch mindestens drei Brigaden die Offensive möglichst weit
auf Podgorica vorzutragen. Hierzu ist zunächst bald der Raum von Berane
in Besitz zu nehmen. Es handelt sich darum, den Feind zu hindern, seine dem
Korps gegenüberstehenden Kräfte nach anderer Richtung zu
verwenden, was nur durch ständige Vorbewegung auf Podgorica erreicht
werden kann. Die 57. Infanteriedivision ist, sobald es die
Nachschubverhältnisse zulassen, nach Prizren und Djakova zu dirigieren;
sie hat alle Vorsorgen zu treffen, um von dort die Vorrückung mit
möglichst starken Teilen auf Skutari fortsetzen zu
können."
Die Kräfteverteilung der 3. Armee anfangs Januar 1916 zeigt Skizze 11.
Die Hauptangriffsgruppe - XIX. Korps und Truppen des
Feldmarschalleutnants Braun - zählte rund 30 000 Mann
Kampfstand und 300 Geschütze. Das Gros der schweren Artillerie war in
der Bocche gegenüber dem Lovčen in Stellung. Die Stärke des
montenegrinischen Heeres wurde auf 25 000 bis 30 000 Mann
geschätzt; hiervon standen ungefähr zwei Drittel an der
Westfront.
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Skizze 11: Gruppierung der 3. Armee am 5. Januar
1916.
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Die Ereignisse entwickelten sich plangemäß. Das VIII. Korps, das
eigentlich nie aufgehört hatte, zu drängen und zu drohen, holte am 5.
Januar 1916 mit drei Brigaden zu einem kräftigen Schlage aus, der am 10.
Januar zur Einnahme von Berane führte. Auch die benachbarte 205.
Landsturm-Infanteriebrigade und die 9. Gebirgsbrigade machten sich geltend. Der
Hauptzweck dieser Unternehmungen, starke Kräfte im Nordosten des
Landes festzuhalten, wurde erreicht.
In der Bocche donnerten am 8. Januar früh die Geschütze, bald
darauf trat die Infanterie zum Angriffe an. In schwierigstem Anstiege und unter
ständigen Gefechten erreichte jene der Hauptgruppe am späten
Nachmittag des zweiten Tages südöstlich Cattaro den
Höhenrand; am Abend des 10. Januar kündeten aufsteigende Raketen
an, daß der Gipfel des Lovčen erklommen sei. Langsam, doch
unaufhaltsam ging es vorwärts, am 13. Januar nachmittags rückte die
erste Truppenabteilung in Cetinje ein. Auch im Raume am Meer, dann
östlich und nördlich Risano, wie an der Grenze östlich
Trebinje war in mehrtägigem Ringen der feindliche Widerstand gebrochen
worden. Am 13. abends verlief die Front des XIX. Korps von Budua über
Cetinje nach Ubli, jene der Gruppe Braun war
8 - 10 km über die Grenze hinausgelangt.
Bald nach Besetzung von Cetinje wurde beim XIX. Korps durch einen feindlichen
Parlamentär folgende in französischer Sprache abgefaßte
Depesche übergeben:
"An Seine kaiserliche und
königliche Apostolische Majestät Franz Joseph I., Kaiser von
Österreich, Wien.
Sire! Da Ihre Truppen heute meine Hauptstadt besetzt
haben, befindet sich die montenegrinische Regierung in der Notwendigkeit, sich
an die kaiserliche [191] und königliche
Regierung zu wenden, um von ihr mit der Beendigung der Feindseligkeiten den
Frieden zwischen den Staaten Eurer kaiserlichen und königlichen
Majestät und meinem Lande zu erbitten. Die Bedingungen eines
glücklichen Siegers können streng sein; ich wende mich daher im
voraus an Eure Majestät, um Fürsprache einzulegen für einen
ehrenvollen Frieden, würdig des Ansehens eines Volkes, das sich noch vor
kurzem Ihres Wohlwollens, Ihrer Achtung und Sympathie erfreute. Ihr
großmütiges und ritterliches Herz wird ihm, so hoffe ich, keine
Demütigung auferlegen, welche es nicht verdient.
Nicola."
In einer zweiten Depesche bat die montenegrinische Regierung um Einstellung
der Feindseligkeiten und Einleitung von Friedensverhandlungen. Eigenerseits
wurde als Voraussetzung hierfür die unbedingte Waffenstreckung [192] des montenegrinischen
Heeres verlangt. Nachdem diese Forderung angenommen worden war, wurden am
17. Januar die Feindseligkeiten eingestellt. Bis dahin hatten die
k. u. k. Truppen Castelastua, dann die Gegend von Virpazar,
Rijeka,2 Čevo, Podbožur erreicht.
Nach kurzem Stillstand schob sich die Front noch bis Antivari, Virpazar,
Podgorica, Dailovgrad, Nikšić vor und vollzog die Entwaffnung des
Landes. Jene, welche die Waffen widerstandslos abgaben, durften heimkehren
und unter Aufsicht ihrer Beschäftigung nachgehen; wer sich nicht freiwillig
fügte, wurde in die Kriegsgefangenschaft abgeführt.
Da der König in plötzlicher Sinnesänderung entflohen war und
sich in den Schutz der Entente begeben hatte, die Frage aber, wer nun im Lande
die Regierungsgewalt führe, noch der Klärung bedurfte, kam es erst
am 25. Januar zu einer formellen Festsetzung der
Waffenstreckungsbestimmungen. Die Haltung des Königs wie der
Bevölkerung ließen es später zu dem in Aussicht genommenen
Friedensschluß nicht kommen, so daß das Land wie erobertes Gebiet
unter militärische Verwaltung trat.
Montenegro war bezwungen. Österreichisch-ungarische Truppen hatten
durch Tapferkeit, Ausdauer und Zähigkeit einen neuen großen Erfolg
errungen. Besonders die Eroberung des schier unbezwinglich scheinenden
Lovčen war eine Leistung ersten Ranges und muß um so höher
bewertet werden, als es fast ausschließlich Landsturmtruppen waren, die
dieses Bollwerk der montenegrinischen Verteidigungsfront dem Feinde
entrissen.
Mit der Niederwerfung Montenegros war der Siegeszug der 3. Armee noch nicht
beendet; bald wurde die Vorrückung wieder aufgenommen, dem
nächsten Ziele zu: der Eroberung von
Nord-Albanien.
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