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Bd. 5: Der österreichisch-ungarische Krieg

[188] Kapitel 10: Die Niederwerfung Montenegros
Feldmarschalleutnant Theodor Konopicky

Zwischen dem 19. und 23. November hatte das Gros der 3. Armee die Linie Novavaroš - Sjenica - Novipazar - Mitrovica erreicht, gemischte Detachements gingen in der nächsten Zeit noch darüber hinaus vor. Die 62. Infanteriedivision hatte am 2. Dezember Plevlje genommen. Am äußersten linken Flügel war die 57. Infanteriedivision im Begriffe, von Priština nach Djakova und Prizren zu marschieren. Es erschien einfach und natürlich, die Armee aus dieser Front in südwestlicher Richtung zur Küste vorrücken zu lassen, um hierdurch dem montenegrinischen Heer ein ähnliches Schicksal zu bereiten, wie es über die serbische Armee hereingebrochen war. Dem Armee-Oberkommando Teschen scheint auch anfänglich ein solches Verhalten der 3. Armee vor Augen geschwebt zu haben; in mittelbarem Zusammenhang damit sollte eine relativ schwache Kraftgruppe versuchen, durch einen kurzen, von der Bocche di Cattaro aus gehenden Vorstoß das Lovčengebiet in Besitz zu nehmen.

Es kam anders. Die in der ersterwähnten Operationsrichtung bestehenden besonderen Geländeschwierigkeiten, der Mangel jedweder Ressourcen, die winterliche Jahreszeit, die große Entfernung von der Bahn und die unausbleiblichen außerordentlichen Schwierigkeiten im Nachschube bewirkten, daß schließlich das Schwergewicht des Angriffes auf die Seite von Cattaro verlegt wurde, das mit dem Hinterlande durch eine Bahn verbunden und nur 40 km von Cetinje, der Hauptstadt Montenegros, entfernt war.

Demzufolge wurden nach und nach die Brigaden Generalmajor Schieß und Generalmajor Streith, das XIX. Korpskommando und Gruppenkommando Feldmarschalleutnant Sorsich, die 20. Landsturm-Gebirgsbrigade, Oberst v. Farkas, sowie Teile der 62. Infanteriedivision aus dem Bereiche der 3. Armee über Sarajevo in die Bocche verschoben, wohin auch die 21. Landsturm-Gebirgsbrigade, Oberst Löbl, gelangen sollte. Schließlich wurde der kommandierende General in Sarajevo, General der Infanterie v. Sarkotič, mit allen gegenüber der montenegrinischen Westfront befindlichen oder dort noch aufmarschierenden Kräften dem 3. Armeekommando unterstellt. Zugleich erhielt General der Infanterie v. Köveß den Auftrag, nach direkten Weisungen des Armee-Oberkommandos den Angriff auf die in Montenegro und Nord-Albanien befindlichen feindlichen Kräfte zu führen.

[189] Die Eroberung des die Bocche di Cattaro krönenden Lovčengebietes spielte beim Angriffe eine wesentliche, sogar ausschlaggebende Rolle. Die innerste Bucht des vielgegliederten Hafens, dessen Szenerie an den Vierwaldstättersee
Unsere Marine in Feuerstellung gegen den Lovcen.

Unsere Marine in Feuerstellung gegen den Lovcen.

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Der Weg auf den Lovcen.

Der Weg auf den Lovcen.
erinnert, wird auf der Ostseite vom 900 - 1400 m hohen Steilabfall des den Westen Montenegros ausfüllenden Hochlandes gebildet. Dieses trägt eine große Anzahl mannigfach und scharf geformter Höhen, deren bedeutendste, der Lovčen, bis 1759 m aufragt, nahe an den erwähnten Steilabfall herangeschoben und mit ihm durch einen schmalen felsigen Abhangrücken verbunden ist. Fast alles Terrain ist nacktes, zerrissenes Felsgestein, nur hier und da zeigt sich Gras- und Baumwuchs oder finden sich an geschützten Stellen anbaufähige Flächen. Die Entfernung des Lovčen von Cetinje (Höhenlage ca. 700 m) beträgt, in Luftlinie gemessen, 10 km, jene von Cattaro 4½ km, von der Einfahrt in die Bocche 20 - 22 km. Es gibt in dieser nur wenige Stellen, die vom Lovčen aus nicht eingesehen werden können, und die Wirkung der am Plateaurand aufgestellt gewesenen montenegrinischen Geschütze reichte bis in die Mitte des Kriegshafens hinein.

Die Vorbereitungen für die Eroberung des Lovčengebietes waren von General der Infanterie v. Sarkotić dem XIX. Korpskommando, Feldmarschalleutnant Trollmann, übertragen und von diesem mustergültig getroffen worden; sie konnten daher, wie sie waren, in den Plan für die Besitznahme des ganzen Landes eingefügt werden. Dieser findet in der Disposition, die das 3. Armeekommando am 24. Dezember 1915 ausgab, Ausdruck; sie lautete im wesentlichen:

      "Für den Angriff werden folgende Befehlsgruppen gebildet: a) kommandierender General mit allen an der Westgrenze Montenegros befindlichen und dort noch aufmarschierenden Kräften; b) 62. Infanteriedivision; c) VIII. Korps, bestehend aus der 53., 59., 57. Infanteriedivision, 10. Gebirgsbrigade und Brigade Haustein.
      Aufgaben: der kommandierende General hat mit dem Gros seiner Kräfte aus der Bocche und Krivošje1 die Linie Virpazar - Podgorica zu gewinnen; Einleitung dieser Offensive bildet die Besitznahme des Lovčengebietes nach den hierfür vom Armee-Oberkommando ergangenen Direktiven. Eine Nebengruppe hat aus der Gegend von Trebinje in den Raum von Nikšić vorzugehen, hierdurch die Hauptkraft nach der linken Flanke zu decken. Alle entbehrlichen Teile dieser Gruppe werden dann nach Podgorica vorzuführen sein. Die Truppen bei Bileca (Bilek) und weiter nördlich haben die gegenüberstehenden feindlichen Kräfte zu binden, womöglich in das feindliche Gebiet einzufallen. Der 62. Infanteriedivision fällt die analoge Aufgabe für das Gebiet östlich der Piva zu; ihr stark zu haltender linker Flügel hat das Vorgehen des rechten Flügels des [190] VIII. Korps von Mojkovac aus zu unterstützen. Das VIII. Korps hat mit allen Mitteln anzustreben, durch mindestens drei Brigaden die Offensive möglichst weit auf Podgorica vorzutragen. Hierzu ist zunächst bald der Raum von Berane in Besitz zu nehmen. Es handelt sich darum, den Feind zu hindern, seine dem Korps gegenüberstehenden Kräfte nach anderer Richtung zu verwenden, was nur durch ständige Vorbewegung auf Podgorica erreicht werden kann. Die 57. Infanteriedivision ist, sobald es die Nachschubverhältnisse zulassen, nach Prizren und Djakova zu dirigieren; sie hat alle Vorsorgen zu treffen, um von dort die Vorrückung mit möglichst starken Teilen auf Skutari fortsetzen zu können."

Die Kräfteverteilung der 3. Armee anfangs Januar 1916 zeigt Skizze 11. Die Hauptangriffsgruppe - XIX. Korps und Truppen des Feldmarschalleutnants Braun - zählte rund 30 000 Mann Kampfstand und 300 Geschütze. Das Gros der schweren Artillerie war in der Bocche gegenüber dem Lovčen in Stellung. Die Stärke des montenegrinischen Heeres wurde auf 25 000 bis 30 000 Mann geschätzt; hiervon standen ungefähr zwei Drittel an der Westfront.

Gruppierung der 3. Armee am 5. Januar 1916.
[191]      Skizze 11: Gruppierung der 3. Armee am 5. Januar 1916.

Die Ereignisse entwickelten sich plangemäß. Das VIII. Korps, das eigentlich nie aufgehört hatte, zu drängen und zu drohen, holte am 5. Januar 1916 mit drei Brigaden zu einem kräftigen Schlage aus, der am 10. Januar zur Einnahme von Berane führte. Auch die benachbarte 205. Landsturm-Infanteriebrigade und die 9. Gebirgsbrigade machten sich geltend. Der Hauptzweck dieser Unternehmungen, starke Kräfte im Nordosten des Landes festzuhalten, wurde erreicht.

In der Bocche donnerten am 8. Januar früh die Geschütze, bald darauf trat die Infanterie zum Angriffe an. In schwierigstem Anstiege und unter ständigen Gefechten erreichte jene der Hauptgruppe am späten Nachmittag des zweiten Tages südöstlich Cattaro den Höhenrand; am Abend des 10. Januar kündeten aufsteigende Raketen an, daß der Gipfel des Lovčen erklommen sei. Langsam, doch unaufhaltsam ging es vorwärts, am 13. Januar nachmittags rückte die erste Truppenabteilung in Cetinje ein. Auch im Raume am Meer, dann östlich und nördlich Risano, wie an der Grenze östlich Trebinje war in mehrtägigem Ringen der feindliche Widerstand gebrochen worden. Am 13. abends verlief die Front des XIX. Korps von Budua über Cetinje nach Ubli, jene der Gruppe Braun war 8 - 10 km über die Grenze hinausgelangt.

Bald nach Besetzung von Cetinje wurde beim XIX. Korps durch einen feindlichen Parlamentär folgende in französischer Sprache abgefaßte Depesche übergeben:

      "An Seine kaiserliche und königliche Apostolische Majestät Franz Joseph I., Kaiser von Österreich, Wien.
      Sire! Da Ihre Truppen heute meine Hauptstadt besetzt haben, befindet sich die montenegrinische Regierung in der Notwendigkeit, sich an die kaiserliche [191] und königliche Regierung zu wenden, um von ihr mit der Beendigung der Feindseligkeiten den Frieden zwischen den Staaten Eurer kaiserlichen und königlichen Majestät und meinem Lande zu erbitten. Die Bedingungen eines glücklichen Siegers können streng sein; ich wende mich daher im voraus an Eure Majestät, um Fürsprache einzulegen für einen ehrenvollen Frieden, würdig des Ansehens eines Volkes, das sich noch vor kurzem Ihres Wohlwollens, Ihrer Achtung und Sympathie erfreute. Ihr großmütiges und ritterliches Herz wird ihm, so hoffe ich, keine Demütigung auferlegen, welche es nicht verdient. Nicola."

In einer zweiten Depesche bat die montenegrinische Regierung um Einstellung der Feindseligkeiten und Einleitung von Friedensverhandlungen. Eigenerseits wurde als Voraussetzung hierfür die unbedingte Waffenstreckung [192] des montenegrinischen Heeres verlangt. Nachdem diese Forderung angenommen worden war, wurden am 17. Januar die Feindseligkeiten eingestellt. Bis dahin hatten die k. u. k. Truppen Castelastua, dann die Gegend von Virpazar, Rijeka,2 Čevo, Podbožur erreicht. Nach kurzem Stillstand schob sich die Front noch bis Antivari, Virpazar, Podgorica, Dailovgrad, Nikšić vor und vollzog die Entwaffnung des Landes. Jene, welche die Waffen widerstandslos abgaben, durften heimkehren und unter Aufsicht ihrer Beschäftigung nachgehen; wer sich nicht freiwillig fügte, wurde in die Kriegsgefangenschaft abgeführt.

Da der König in plötzlicher Sinnesänderung entflohen war und sich in den Schutz der Entente begeben hatte, die Frage aber, wer nun im Lande die Regierungsgewalt führe, noch der Klärung bedurfte, kam es erst am 25. Januar zu einer formellen Festsetzung der Waffenstreckungsbestimmungen. Die Haltung des Königs wie der Bevölkerung ließen es später zu dem in Aussicht genommenen Friedensschluß nicht kommen, so daß das Land wie erobertes Gebiet unter militärische Verwaltung trat.

Montenegro war bezwungen. Österreichisch-ungarische Truppen hatten durch Tapferkeit, Ausdauer und Zähigkeit einen neuen großen Erfolg errungen. Besonders die Eroberung des schier unbezwinglich scheinenden Lovčen war eine Leistung ersten Ranges und muß um so höher bewertet werden, als es fast ausschließlich Landsturmtruppen waren, die dieses Bollwerk der montenegrinischen Verteidigungsfront dem Feinde entrissen.

Mit der Niederwerfung Montenegros war der Siegeszug der 3. Armee noch nicht beendet; bald wurde die Vorrückung wieder aufgenommen, dem nächsten Ziele zu: der Eroberung von Nord-Albanien.


1 [1/189]Raum nordwestlich Risano. ...zurück...

2 [1/192]10 km südöstlich von Cetinje. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte