Bd. 5: Der österreichisch-ungarische
Krieg
[141]
Kapitel 8: Der erste Isonzofeldzug1
General der Infanterie Alfred Krauß2
Als am 25. Juli 1914 der Konflikt Österreich-Ungarns mit Serbien eine
entscheidende Wendung nahm, beeilte sich die italienische Regierung, durch ihren
Vertreter in Wien die Versicherung ihrer freundschaftlichen und der
Bündnispflicht entsprechenden Haltung zum Ausdruck bringen zu lassen.
Kaum stellten jedoch die sich überstürzenden politischen Ereignisse
die Standhaftigkeit des Dreibundes auf die Probe, so entzog sich Italien am 2.
August auf Grund spitzfindiger Auslegung des Artikels III des
Bündnisvertrages seinen Verpflichtungen und erklärte seine
Neutralität. Eine gleichzeitige Depesche des Königs Viktor Emanuel
an Kaiser Franz Josef beteuerte die weitere wohlwollende Haltung, zu welcher der
Artikel IV desselben Vertrages überdies ausdrücklich
verpflichtete. Schon im selben Monat ließen verschiedene
militärische Maßnahmen ihre Spitze gegen die Monarchie deutlich
erkennen und das von der italienischen Regierung geduldete rührige
Treiben der Kriegspartei beseitigte die letzten Zweifel, wessen man sich von dem
vormaligen Verbündeten zu versehen hätte.
Noch waren indessen die Rüstungen zu sehr im Rückstand, die
finanzielle und wirtschaftliche Lage zu wenig günstig, als daß die
führenden Männer den politischen Heißspornen, die am
liebsten schon den Nationalfeiertag, 20. September, zur Entfesselung des Krieges
benützt hätten, willig Gefolgschaft geleistet hätten. Noch
schreckten sie vor der Offenkundigkeit des Treubruches zurück, erkannten
Möglichkeiten, die augenblickliche Lage zur Machterweiterung auf der
Balkanhalbinsel auszunützen und preßten
Österreich-Ungarn im Oktober zunächst das Zugeständnis ab,
die Insel Sasseno in der Bucht von Valona besetzen zu dürfen. Bald darauf
gaben Hilferufe Essad Paschas die willkommene Gelegenheit zur Festsetzung in
Valona.
Der Verlauf der Kriegsereignisse weckte indessen immer mehr Lust nach
Gebietserweiterungen auf Kosten Österreich-Ungarns, und Potioreks
zeitweilige Erfolge in Serbien schienen einen Weg zu eröffnen, auf
unblutige Art dieses Ziel zu erreichen. Unter Berufung auf Artikel VII des
Dreibundvertrages forderte der italienische Ministerpräsident Salandra
anfangs Dezember für den [142] Fall der
Machterweiterung Österreich-Ungarns auf der Balkanhalbinsel die
Abtretung österreichischen Gebietes. Wohl machte der Ausgang des ersten
serbischen Feldzuges diese Ansprüche bald gegenstandslos, doch war der
Gedanke, längst gehegte Wünsche endlich erfüllen zu
können, nun einmal in die Massen geworfen, die sich mehr und mehr gegen
Österreich-Ungarn erhitzten, was bei jedem Anlaß und namentlich
bei der Oberdank-Feier unverhüllt zutage trat.
Die schwierige Lage der Mittelmächte um die Wende zum Jahre 1915
veranlaßte den italienischen Minister des Äußeren Baron
Sonino, am 11. Januar abermals die Frage der Kompensationen aufzuwerfen.
Baron Burian, der am 13. den Grafen Berchtold auf dem Wiener Ballhausplatz
ersetzte, wies dieses Ansinnen ab, das nach dem damaligen Stande der Dinge auf
eine Erpressung hinauslief. Eine gleichzeitige Erdbebenkatastrophe in
Mittelitalien kühlte den italienischen Gebietshunger für einige Zeit
ab. Doch das schwere Ringen in den Karpathen weckte neuerlich die
Begehrlichkeit. In der Erkenntnis, daß das weitere Verharren Italiens in der
Neutralität nur mit Gebietsabtretungen erkauft werden könne,
willigte Österreich-Ungarn, gedrängt von Deutschland, am 9.
März in Verhandlungen ein.
Die am 29. März von Italien bekanntgegebenen Forderungen waren zu hoch
gespannt, als daß Österreich-Ungarn darauf hätte eingehen
können. Besonders das Verlangen nach sofortiger Abtretung weckte
Bedenken, da keinerlei Gewähr bestand, daß Italien für seine
Neutralität in Kürze nicht abermals mit Forderungen hervortreten
werde. Immerhin hoffte Deutschland, einen Vermittlungsvorschlag
durchzubringen. Während jedoch darüber noch Verhandlungen
geführt wurden, vollzog sich Italiens Anschluß an die Entente, die
ihm allerdings im Londoner Protokoll am 26. April lockende Preise zusicherte:
Südtirol bis zum Brenner, Triest, Görz und Gradiska, Istrien bis zum
Quarnero mit Einschluß von Volosca,
Nord- und Mitteldalmatien samt Trebinje in der Herzegowina und den meisten
wichtigen Adria-Inseln, Lissa mit inbegriffen, außerdem von Albanien
Valona samt Sasseno und entsprechenden Anteil an der türkischen
Beute.3
Am 4. Mai kündigte Italien den Dreibundvertrag und ließ
erklären, daß es alle bisherigen Angebote zurückziehe.
Trotzdem unternahm die Wiener Regierung, gestützt auf die zu dieser Zeit
in Galizien erfochtenen Erfolge, am 10. Mai noch einen Versuch, Italien vom
Kriege abzuhalten. Sie willigte in die Abtretung von Südtirol bis zur
Sprachengrenze, des vorwiegend von Italienern besiedelten Gebietes westlich des
Isonzo, Gewährung vollständiger Autonomie für die Freistadt
Triest, Errichtung einer italienischen Universität dortselbst, [143] Ausdehnung des
italienischen Souveränitätsrechtes auf Valona, vollkommenes
Nichtinteresse an Albanien.
Tatsächlich schien sich eine Sinnesänderung in Italien zu vollziehen.
Das Ministerium Salandra trat zurück, doch hielt sich Giolitti nur wenige
Tage. Die goldenen Argumente der Entente fielen zu schwer in die Wage.
Begreiflicherweise setzten die Westmächte alles daran, die Stimmung des
Volkes in diesem kritischen Augenblick zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Am
23. Mai, 3 Uhr 30 Min. nachmittags, überreichte der
italienische Botschafter am Wiener Ballhausplatz die Kriegserklärung.
Die immer stärker zutage tretende Absicht Italiens, die Gelegenheit zur
Eroberung der seit lange angestrebten Gebiete zu benutzen und seinem
früheren Bundesgenossen Österreich-Ungarn in den Rücken
zu fallen, wurde natürlich sowohl beim
Armee-Oberkommando Teschen als auch beim Kommando der
Balkanstreitkräfte in Peterwardein aufmerksam verfolgt.
Das Armee-Oberkommando ließ unter der Leitung des Generals der
Kavallerie Rohr an der Grenze gegen Italien alle nur möglichen
Vorbereitungen treffen. Allerdings verhinderte die Politik, die jede Reizung
Italiens vermieden wissen wollte - als ob eine solche noch nötig
gewesen wäre -, und die Beschränktheit aller Mittel, etwas
Ganzes und Gutes zu schaffen. Immerhin wurden gegen Italien aus Landsturm
und Ersatztruppen, dann aus Tiroler Standschützen neu formierte
Verbände, die Infanteriedivisionen Nr. 90 bis 94 bereitgestellt, um
die Grenzen notdürftig zu schützen und die nötigsten
Befestigungen herzustellen. 58 neu formierte Bataillone und 54
Standschützen- und Freiwilligenbataillone bildeten den Bestand dieser
fünf Divisionen.
Um Italien nicht zu reizen, mußten die Befestigungen ziemlich weit
diesseits der Grenzen angelegt werden. Es war natürlich ausgeschlossen,
dort, wo es günstig erschien, auf italienisches Gebiet vorzugreifen oder
wenigstens Vorbereitungen dafür zu treffen. Ebenso mußten alle
größeren Truppentransporte an die italienische Grenze unterbleiben,
solange die Diplomatie noch hoffte, Italien neutral erhalten zu können.
Anfang Mai, als Italien den Dreibundvertrag kündigte, war es klar
geworden, daß Italien nicht mehr zu halten sein werde, daß es nur
seine Kriegsbereitschaft, an der es fieberhaft arbeitete, abwarten wolle, um in den
Kampf einzugreifen.
Italiens Wehrmacht zählte 24 Infanteriedivisionen,4 die in 12 Korps formiert waren. Jedes
Korps sollte im Kriege eine dritte Reservedivision aufstellen, so daß bei
voller Anspannung der Kraft Italiens und bei Ausnutzung der reichlichen
Vorbereitungszeit die italienische Armee unmittelbar nach Beginn [144] des Kriegszustandes
mit 36 Infanteriedivisionen (über 500 Bataillone) auftreten konnte.
Die großen Erfolge, die gleich zu Anfang der Offensive in Galizien bei
Gorlice errungen wurden, weckten wohl bei vielen wieder die Hoffnung, Italien
neutral erhalten zu können. Sie bedachten nicht, daß die Entente
Italien jetzt um so mehr umschmeicheln werde, um sich seine so notwendig
gewordene Hilfe zu sichern. Die großen Versprechungen der Entente waren
für Italien zu verlockend.
Das Armee-Oberkommando, das die Entblößung der italienischen
Grenze nicht mehr verantworten konnte, verfügte am 11. Mai die
Verlegung der 57. Infanteriedivision - 10
Bataillone - vom Balkankriegsschauplatz an den Isonzo, so daß von
da an 6 Infanteriedivisionen den Schutz der 600 km langen Grenze
besorgten.
Gegen die gewaltige, frische Kraft Italiens konnte
Österreich-Ungarn nur weitere 50 Bataillone der 5. Armee aus Syrmien, 2
Infanteriedivisionen und 1 Schützenbrigade vom nördlichen
Kriegsschauplatz einsetzen. Mehr Kräfte heranzuziehen, war mit
Rücksicht auf die erst für Ende Mai erwartete Einnahme von
Przemysl unmöglich. Deutschland sah sich aus politischen Gründen
veranlaßt, die Kriegserklärung gegen Italien nicht aufzunehmen. Es
schob aber das Alpenkorps (1 Division) nach Tirol, beteiligte sich somit an der
Kriegshandlung.
Die anfangs den Italienern entgegengestellte Kraft war verschwindend klein. Am
24. Mai abends, also mehr als 24 Stunden nach der Kriegserklärung
Italiens, standen an den zwei wichtigsten und entscheidenden Stellen der
Isonzofront, bei Görz 11 Bataillone, bei Tolmein 12 Bataillone und an den
übrigen Teilen der Isonzofront vom Meere bis zum Krn etwa 18, in
Kärnten etwa 30 (davon die Hälfte Freiwilligenformationen) und in
Tirol über 66 Bataillone (davon 39 Standschützen).
Wenn die Italiener tatsächlich schlagbereit an den Grenzen
erschienen - die lange Vorbereitungszeit ließ dies mit Recht
erwarten - und wenn sie energisch zugriffen, mußten sie den
schwachen Verteidiger erdrücken. Nur mit Sorge sah das Kommando der
Südwestfront, das erst am 27. früh von Peterwardein nach Marburg
abgehen konnte, den täglichen Lagemeldungen der Isonzofront entgegen.
Wird der italienische Massenangriff der Kriegserklärung unmittelbar folgen
oder nicht? Es war daher ein gutes Zeichen, als der 24. und der 25. Mai vergingen,
ohne daß besondere kriegerische Handlungen der Italiener gemeldet werden
mußten. Mit jedem Tage, den die Italiener dem Verteidiger schenkten,
verstärkten sich aber die voraussichtlich entscheidende Gruppen bei Tarvis,
Tolmein und Görz.
Vom Armee-Oberkommando war das ungarische VII. Korps, Erzherzog Joseph,
aus Galizien nach Kärnten in Bewegung gesetzt worden. Das
Kom- [145] mando der
Südwestfront hatte das XV. Korps, General der Infanterie Fox, mit der 1.
Infanteriedivision, Feldmarschalleutnant Bogat, und 50. Infanteriedivision,
Feldmarschalleutnant v. Kaiser, nach Tolmein, das XVI. Korps,
Feldzeugmeister Wurm, mit der 18. Infanteriedivision, Generalmajor Böltz,
und 58. Infanteriedivision, Generalmajor Erwin Zeidler, nach Görz und mit
der 48. Infanteriedivision, Feldmarschalleutnant Gabriel, als Reserve nach
Dornberg südöstlich Görz bestimmt. Dem XV. Korps wurde
der Abschnitt vom Krn bis Canale am Isonzo, dem XVI. der Abschnitt von Canale
bis zur Wippach, dem Kommando der 57. Infanteriedivision,
Feldmarschalleutnant Heinrich Goiginger, der Raum von der Wippach bis zum
Meere zur Verteidigung zugewiesen. Die Verteidigung des Brückenkopfes
von Görz war der 58. Infanteriedivision, Generalmajor Erwin Zeidler,
übertragen.
Der Raum vom Meere bis zum Krn bildete den Befehlsbereich des 5.
Armeekommandos, General der Infanterie v. Boroević; an ihn
schloß sich im Norden der Bereich der Armeegruppe General der Kavallerie
Rohr an, der Kärnten umfaßte. In Tirol befehligte das
Landesverteidigungs-Kommando Tirol, General der Kavallerie Dankl.
Das Gelände, in dem sich der Kampf Italiens gegen die Mittelmächte
abspielen sollte, zeigte recht verschiedene Gestaltung. Die Westgrenze Tirols
begann beim Stilfser Joch italienisches Gebiet zu berühren. Von dort zog
sie sich über das in die Region des ewigen Schnees reichende Gebiet des
Ortler- und Adamello-Stockes hinunter bis zum Gardasee. Nur zwei fahrbare
Übergänge, das Stilfser Joch und der Tonalepaß,
übersetzten in bedeutender Höhe diese Gebirgsmauer. Sonst kreuzten
nur Fußpfade die Grenze. Hier war daher nur mit kleineren
Unternehmungen zu rechnen, die allerdings, wenn sie gelangen, den Feind auf
kurzem Weg in das Herz Südtirols, nach Meran und Bozen, führen
mußten und über das Reschenscheideck den Weg ins Inntal
öffneten. Feste Stützung der Front war daher dort geboten. Beim
Gardasee öffneten sich zwei bequeme Zugänge aus dem Italienischen
nach Tirol: Die Judicarien (das Tal des Chiese und der Sarca) und das Etschtal
reichten tief nach Tirol hinein, die bequemsten Zugänge schaffend. Sie
gestatteten die rasche Bewegung starker Kräfte. Die Befestigungen von
Lardaro, Riva und Trient waren bestimmt, diese Zugänge zu sperren.
Östlich vom Etschtal schlossen sich der hohe Block des Passuberspitz und
die sogenannten Hochflächen von Vielgereuth und Lafraun an. Dieses
Gebiet war insofern von Bedeutung, als drei gute Straßen von Schio
über den Pian della Fugazza nach Rovreit (Rovereto) und von Arsiero und
Asiago nach Trient führten, die allerdings von der Festung Trient
aufgefangen wurden. Die sogenannten Hochflächen bilden ein hoch
aufragendes Gebiet; ihr Oberteil besitzt aber durchaus nicht Flächenform,
sondern stellt ein sehr schwer gangbares, stark bewaldetes, Hochgebirgscharakter
tragendes Gelände dar, dessen wirr [146] aufgesetzte zahlreiche
Berggipfel und Kämme der Verteidigung ebenso viele gute
Stützpunkte bieten, als sie jede Bewegung und damit den Angriff
außerordentlich erschweren. Die Hochfläche von Asiago zeigt
überdies besonders in ihrem südlichen Teil ausgesprochenen,
bewaldeten Karstboden, der das schwerste Angriffsgelände darstellt. Dieses
Gebiet war von beiden Seiten ausgiebig mit Panzerwerken zu nachhaltigem
Widerstand ausgestattet worden.
[144a]
Hochgebirgsstellung im
Cevedale-Paß.
|
Die Hochflächen fallen mit einem scharf ausgesprochenen
Randrücken ungemein steil zum oberen Brentatal, dem Suganer Tal, ab. Es
greift wieder tief nach Tirol hinein, bis nahe an die Festung Trient heran.
Über den mächtigen Randrücken führen nur
beschwerliche Fußsteige hinab in das tiefeingebettete Suganer Tal.
Selbstverständlich war auch dieser Zugang von beiden Seiten durch
Panzerwerke gesperrt: Von Italien auf der das Tal weithin beherrschenden Cima
di Campo bei Primolano, österreichischerseits bei den Caldonazzoseen.
Hier, bei den Seen, mußten sich Heeresmassen durchzwängen, die
aus dem Suganertal ins Innere Tirols wollten; denn der zusammenhängende
Felskamm der Fassaner Alpen, der nebst der Bergstraße des Rollepasses nur
von Saum- und Fußsteigen durchquert wurde, trennt das Suganer Tal vom
Fleimser Tal und vom Fassatal. Schwache Kräfte konnten genügen,
diese Felsmauer zu verteidigen.
Weiter im Osten fehlen bis zum Kreuzberg südlich Sexten
zusammenhängende Berglinien. Aus einzelnen mächtigen, wie
willkürlich hingestellten Gebirgsstöcken bestehend, um welche die
Täler weit herumgreifend sich gegenseitig an hohen Bergpässen nahe
kommen, stellt das ganze Gebiet ein kaum verständliches Gewirre von in
die Wolken ragenden Felsriesen, tiefen, wilden, schluchtartigen Tälern und
von hohen Gebirgspässen dar, so daß hier die Verteidigung allerdings
gute Einzelabschnitte findet, der findige Angreifer aber das ganze
Verteidigungsgebäude durch einen Durchstoß um einen solchen
Gebirgsklotz herum zum Zusammenbruch bringen konnte. Ganz im Osten von
Tirol, bei Schluderbach und Landro und bei Sexten tritt die italienische Grenze
am nächsten - 12 km - an das große, Tirol und
Kärnten durchquerende Pustertal (das Tal der Rienz und der Drau mit dem
über 1200 m hoch gelegenen Verbindungsglied des Toblacher
Feldes), das mit seiner Eisenbahn die Grundlage jeder Verteidigung
Südtirols bildete. Auch hier war die Verteidigung durch Befestigungen,
allerdings nur durch unbedeutende und veraltete, gestützt. Diesen
[288a]
Geschütz im Eisstollen auf der Marmolata.
|
Verhältnissen entsprechend verlief die Verteidigungslinie in Tirol an der
Westgrenze vom Stilfser Joch über das Ortlergebiet und über den
Tonalepaß ins Adamellogebiet, dann, das Daonetal vor die Front nehmend,
über Creto an das Val di Ledro, Tal und See vor sich nehmend, bis an den
Gardasee. Vom Gardasee zog die Verteidigungslinie über Mori an die
Etsch, die sie den Rovreit querte, hinauf auf die Hochfläche von
Vielgereuth, um dort der Fortlinie (Serrada, S. Sebastiano, Lusern,
Vezzena) zu folgen. Im Suganer Tal [147] lag die
Verteidigungslinie auf dem Rücken, der vom Caldonazzosee hinaufzieht
zur Kreuzspitze in den Fassaner Alpen. Sie folgte dann dem Kamm der Fassaner
Alpen, lief über die Eisfelder der Marmolata und dann nördlich der
Dolomitenstraße über den Col di Lana, die Tofana und über
den Nordteil des Cristallo-Stockes zum Monte Piano und durch das
Dreizinnengebiet zum Kreuzberg.
Vom Kreuzberg bis zum Fellatal bietet wieder eine zusammenhängende
Felsmauer, der Kamm der Karnischen Alpen, eine ausgesprochene
Verteidigungslinie, welche im Gailtal eine knapp dahinter liegende
Verschiebungslinie hatte. Allerdings mußte der Kamm gehalten werden;
einmal bis ins Gailtal durchbrochen, war die ganze Linie verloren.
|
Den östlichsten Teil der Karnischen Alpen bildet der Gebirgsstock des
Mittagskogels und des Wischberges, der zwischen dem Kanaltal (oberes Fellatal,
Talsattel von Saifnitz und Gailitztal) und der Talfurche Raccolanatal,
Neveasattel - Seetal liegt. Beide Täler bieten leichte
Zugänge nach Kärnten. Sie waren daher durch unsere Werke bei
Malborghet und am Raibler See gesperrt. Von diesem Raum und von dem Gebiet
der oberen Save durch den zusammenhängenden, das obere Isonzotal in
weitem Bogen umschließenden Kamm der Julischen Alpen, des Mangart,
Triglav, Kal und Kuk getrennt, liegt, bis an das Meer reichend, das zum
entscheidenden Kampfraum gewordene Flußgebiet des Isonzo. Tief
eingebettet zwischen Felsmauern liegt im Norden das Flitscher Becken, aus dem
nur zwei beschwerliche Gebirgsstraßen über den durch ein Fort
gesperrten Predil und über den Mojstrovka-Paß (erst im Kriege
gebaut) hinüberführten zur Bahn Tarvis - Laibach.
Südlich des Flitscher Beckens ist der Isonzo nur dort ein bedeutendes
Hindernis, wo er im schluchtartigen Tale fließt, also zwischen Saga und
Karfreit und zwischen Santa Lucia und Salcano. Dort ist aber das Tal das
Hindernis, und nicht der unbedeutende Fluß. Abwärts Salcano
durchfließt der Isonzo das Görzer Becken und dann die Ebene. Er ist
hier bei Niederwasser kein schweres militärisches Hindernis. Bei
Hochwasser ist der Isonzo überall, im Gebirge und in der Ebene, nur sehr
schwer zu überschreiten. Die ungünstige Gestalt seines
Unterlaufes - ein weit nach Westen vorspringender
Bogen - ließ es vorteilhaft erscheinen, die Verteidigung in der Ebene
nicht am Flußlauf zu führen, sondern sie bei Görz zum Schutze
der Stadt auf die Höhen westlich des Isonzo, südlich der Wippach
auf den Rand der Hochfläche südlich Gradiska und östlich
Monfalcone zu verlegen.
Nördlich von Salcano zog die Verteidigungslinie am Ostrande des
Isonzotales über Plava und Auzza bis Log, um dort auf das westliche Ufer
vorzugreifen, wo sie als Tolmeiner Brückenkopf von Selo und
östlich Woltschach zur Isonzobrücke westlich Tolmein verlief. Von
der Isonzobrücke zog die Verteidigungslinie über den
Gebirgsrücken des Mrzli vrh hinauf zum wilden Felsklotz des
[148] Krn (2246) und
über den Felsgrat Vrata - Vrsić an den Ostrand des
Beckens. Von Flitsch aus überquerte sie die Felsmasse des Rombon, senkte
sich hinab zum Seebach östlich des Sattels von Nevea, um dann durch die
Westhänge des Wischberges und östlich des schon am 24. Mai von
den Italienern besetzten Mittagskofels hinüberzuziehen zum Karnischen
Kamm.
Am Südende der Hochfläche von Doberdo schloß die
Verteidigungslinie beim Schloß Duino an die Verteidigung des Golfes von
Triest an.
Die zur Verteidigung hergerichtete österreichische Grenze umschloß
somit vom Gardasee bis zum Meere in einem tiefen Bogen die italienische
Provinz Venezien.
Ein italienischer Angriff gegen Tirol traf auf schwierigstes Gebirgsland,
mußte langwierig sein und war nicht entscheidend, weil er nur gegen das
weit nach Westen vorspringende Tirol gerichtet blieb. Wollten die Italiener, wie
sie es erhofften, rasch und mit wenig Opfern entscheidende Erfolge erringen und
große Beute machen, dann mußten sie ihre Hauptkraft am Isonzo, an
der Ostgrenze des tiefen venezianischen Sackes ansetzen, um von dort auf dem
kürzesten und offensten Wege Wien und Budapest bedrohen und vielleicht
erreichen zu können. Sie mußten damit allerdings die Gefahr in Kauf
nehmen, aus Tirol und von Kärnten her umfaßt und sogar im
Rücken gepackt zu werden. Das schwierige Gebirgsland ließ
vielleicht glauben, daß dort große Heermassen weder bereitgestellt
noch bewegt und ernährt werden konnten, daß somit große,
gefährliche Angriffe aus Tirol und Kärnten heraus nicht
möglich seien. Dieser Glaube war, wie der Krieg bewiesen hat, falsch. Er
wirkte aber doch auf beiden Seiten soweit ein, daß die Gunst und Ungunst
dieser geographischen Lage nicht durch entsprechende kriegerische Ereignisse
klar und augenfällig bewiesen worden ist. Immerhin nötigte diese
Gestaltung des Grenzraumes die Italiener, für eine verläßliche
Sicherung der Grenze vom Stilfser Joch bis zum Flitscher Becken zu sorgen,
bevor sie am Isonzo mit großen Massen auftraten.
Die politische Haltung der Mittelmächte in den ersten Monaten 1915 hatte
klar erwiesen, daß sie alles daran setzten, das Eingreifen Italiens zu
verhindern. Italien durfte daher sicher sein, daß es alle Vorbereitungen in
Ruhe treffen konnte. Es konnte unter dem Schutze des von den
Mittelmächten ängstlich gehüteten Friedens an der Grenze
Tirols und Kärntens die Sicherung verläßlich organisieren und
seine zum Hauptangriff bestimmten Armeen an der Ostgrenze Veneziens
bereitstellen, um dann mit einem ersten wuchtigen Schlag die Verteidigung des
Isonzo zu zertrümmern und sich den Weg nach Wien zu bahnen.
Italien hat, wie die Schilderung zeigen wird, nicht so gehandelt. Es war auch am
28. Mai, als es den Krieg erklärte, noch nicht kriegsbereit. Es hatte weder
die Hauptkraft in Friaul bereitgestellt, noch hatte es die Sicherung der [149] Flanken und des
Rückens dieser Hauptarmee verläßlich sichergestellt. Der
Kriegsbeginn erfolgte daher von Italien nicht, der ganzen
politisch-strategischen Lage entsprechend, als rascher, wuchtiger Schlag, sondern
als zaghaftes, vorsichtiges Abtasten der österreichischen Grenzen.
Am 24. Mai gingen gegen alle Grenzpässe Tirols italienische Abteilungen
vor. Die Grenze wurde nirgends überschritten. In Kärnten wurde das
Grenzfort Malborghet von schwerer italienischer Artillerie beschossen. Am
Isonzo zeigten sich kleine italienische Abteilungen auf dem Grenzrücken
westlich des Isonzo. In der Ebene rückte italienische Kavallerie in
Strassoldo, südlich von Palmanova, ein.
Am 25. Mai tasteten sich italienische Abteilungen vorsichtig an die Stellungen
heran. In Westtirol drang italienische Infanterie bis Condino im Chiesetal vor; in
Osttirol besetzte italienische Kavallerie Cortina d'Ampezzo, das nur 5 km
von der offenen Grenze entfernt war. In Kärnten entspannen sich
Artilleriekämpfe. Die Lage wurde dort sicherer, weil bereits einige
Bataillone des VII. Korps bei Villach eingetroffen waren. Am Isonzo besetzten die
Italiener den Stol, der das Flitscher Becken beherrscht. Weiter südlich
gingen aber nur Patrouillen vorsichtig an den Isonzo heran.
Erst der 26. Mai zeigte ein festeres Zugreifen der Italiener. In Südtirol
wurde an diesem Tage die Beschießung der Werke mit schwerster Artillerie
begonnen. Besonders das vorderste Werk, Lusern, wurde kräftigst
beschossen. Über 600 Bomben wurden am ersten Tage dem Werk
zugedacht, über 100 davon waren Treffer im Werk. An der Kärntner
Straße gingen die Italiener zum Angriff gegen den Plöckenpaß
vor. Sie wurden abgewiesen. Am Isonzo wurde Karfreit von einem Bataillon
besetzt; gegen die Isonzostrecke Tolmein - Salcano gingen mehrere
kleine Kolonnen vor. Der Brückenkopf von Görz wurde angegriffen.
Vorerst beschoß feindliche Artillerie den rechten
Flügelstützpunkt, den Monte Sabotino; dann ging feindliche
Infanterie heran.
Am 27. Mai rückte starker Feind ins Primör ein. Die
Beschießung der Werke auf den Hochflächen wurde eifrig
fortgesetzt. Starke Kolonnen waren im Anmarsch gegen Görz und gegen
Plava, nördlich von Görz am Isonzo. Schwerste Artillerie trat gegen
den Monte Sabotino in Tätigkeit. Die italienische Infanterie begann sich an
den Brückenkopf heranzuschieben. Die österreichischen Truppen
erhielten das erstemal im Kriege dieses schwerste Artilleriefeuer, das in dem
spröden Kalkfelsen seine Wirkung durch Steintrümmer
vervielfältigte und zu den schwersten Verwundungen führte. Die
Meldungen, die das Kommando der Südwestfront, Generaloberst Erzherzog
Eugen, noch in Peterwardein und auf der Fahrt nach Marburg erhielt, ließen
fürchten, daß die Verteidiger des Brückenkopfes diesem Feuer
nicht standhalten würden. Damit wäre Görz verloren gewesen.
Der im Kommando eingeteilte Oberstleutnant des Artilleriestabes
v. Körner erhielt daher den Befehl, sofort nach [150] Görz
weiterzufahren und die gesamte schwere Artillerie des Abschnittes zur Abwehr
des Angriffes einzusetzen.
Am 29. Mai konnte Oberstleutnant v. Körner eine dreißiger
Mörserbatterie ins Feuer bringen. Die ersten vor den Monte Sabotino
gelegten Bomben nahmen den Italienern alle Angriffslust. Görz war
gerettet.
Am 28. und 29. Mai setzten die Italiener ihren vorsichtigen Vormarsch fort. In
Tirol gingen sie im Chiesetal über Condino, im Etschtal bis Ala vor. Im
Suganer Tal besetzten sie Grigno. Sie hatten inzwischen die Gelegenheit
versäumt, durch rasches Zugreifen große Erfolge zu erzielen. Denn
am 29. Mai standen in Kärnten bereits über 50, am Isonzo
über 80 Bataillone zur Abwehr bereit. Das Vortasten der Italiener
führte in den letzten Tagen des Mai und anfangs Juni an der ganzen Front
zu kleinen Gefechten, in denen die Italiener überall abgewiesen
wurden.
Energischer griffen sie in diesen Tagen von Karfreit aus vor. Sie gingen mit ihren
Gebirgstruppen, den Alpini, gegen den Krn und gegen den
Vrata - Vrsić-Rücken an, drängten die dortigen
schwachen Vortruppen zurück und nahmen am 1. Juni den Felskamm
Vrata - Vrsić in Besitz. In der nächsten Zeit wurde in
diesem öden Felsgebiet erbittert gekämpft. Es gelang aber nicht
mehr, den Felskamm den Italienern zu entreißen. Diese nahmen Mitte Juni
auch den höchsten Gipfel dieses Kammes, den Krn, in Besitz. Alle ihre
weiteren Anstrengungen, in diesem Felsgebiet Raum zu gewinnen, blieben
für immer erfolglos. Sie schoben sich im Flitscher Becken und auf dem
Rombon an die besetzten Stellungen heran.
In der Isonzostrecke Tolmein - Monfalcone ließ sich im Juni immer mehr
und mehr das Herannahen eines entscheidenden Angriffes erkennen. Am 8. Juni
setzte eine heftige Beschießung des Görzer Brückenkopfes ein,
der ein starker Infanterieangriff folgte. Dieser Angriff, sowie auch die am 9.
folgenden Angriffe gegen den Monte Sabotino wurden abgewiesen. Auch in der
Ebene hatten sich die Italiener während dieser Zeit an die Stellung am
Rande der Hochfläche herangeschoben. Die am Isonzobogen stehenden
schwachen Vortruppen hatten ihre Aufgabe, den Vormarsch der Italiener zu
verzögern, in glänzender Weise gelöst. Einem
Landsturmbataillon war es z. B. an der Isonzobrücke bei Pieris
gelungen, die Italiener zu verleiten, ihr ganzes VII. Korps und zwei
Kavalleriedivisionen zur Erzwingung des Überganges einzusetzen und in
ihren Berichten von der "Schlacht am Isonzo" zu sprechen.
Am 7. Juni begannen die Italiener die Stellung auf der Hochfläche unter
langsames Artilleriefeuer zu nehmen; 14 Tage hatten sie gebraucht, um den
unteren Isonzo und den Raum bis an die Stellung zu überwinden. Am 9.
Juni wurde ein Isonzoübergang des italienischen XI. Korps oberhalb
Sagrado vereitelt. Mitte Juni standen die österreichischen Vortruppen bei
Sagrado und Gradiska noch am Isonzo. In der Nacht zum 15. Juni wehrten diese
Vortruppen [151] zwei Stürme
gegen die Brücke von Sagrado ab, welcher Ort, von einer Kompagnie
verteidigt, ein heißbegehrtes Ziel der Italiener bildete, um die dortige
Schleuse in Besitz zu bekommen und die dem Westrande der Hochfläche
vorgelegte Überschwemmung beheben zu können. Während
sich nun bis zum 22. Juni gegen den Brückenkopf von Görz und
gegen die Hochfläche von Doberdo nur Artilleriefeuer wechselnder
Stärke und zahlreiche kleinere, bei Tag und Nacht geführte Angriffe
richteten, spielten sich im nördlichen Isonzoabschnitte schwere
Kämpfe ab.
Die Italiener wollten allem Anschein nach den Brückenkopf von
Görz umgehen, den Übergang über den Isonzo oberhalb
Görz erzwingen. Darum richteten sie ihre nächsten Angriffe gegen
Plava. Am 11. Juni versuchten starke Kräfte den Isonzo bei Plava zu
überschreiten. Ein über den Fluß gekommenes Bataillon wurde
unter schweren Verlusten zurückgeworfen. Der 12. brachte sehr schwere
Kämpfe bei Plava. Der starke Feind drang über den Isonzo vor, nahm
die erste Stellung ein, wurde aber von den zähen Verteidigern unter
Führung des Brigadiers, Generalmajor v. Novak, wieder
hinausgeworfen. Am 13. und 14. richtete der Feind neue Angriffe gegen die
Höhe 383 oberhalb Plava und gleichzeitig auch gegen den
Brückenkopf von Tolmein. Alle Angriffe, die meist zum Handgemenge
führten, wurden von den heldenmütigen Verteidigern abgeschlagen.
Am 16. und 17. Juni setzten die Italiener ihre Anstrengungen bei Plava fort. Da
ihnen am Tage kein Glück blühte, versuchten sie es mit
Nachtangriffen. Der Erfolg war der gleiche. Der Feind wurde überall, wo er
in die Stellung eingedrungen war, im erbitterten Handgemenge geworfen. Am 20.
und 21. Juni unternahmen die Italiener fünf starke Angriffe bei Plava und
wiederholten sie am 22. und 23. Juni. Die schweren Kämpfe, zu denen sie
immer wieder neue Kräfte heranführten, wurden mit allen Waffen,
vom schweren Geschütz und vom Minenwerfer bis zum Stein und zu den
Zähnen, durchgefochten. Der tapfere Brigadier wurde schwer verwundet,
aber der Feind mußte wieder zurück. Gegen den Italiener
kämpften alle Nationen der Monarchie in gleicher Begeisterung. Hier waren
es besonders Dalmatiner, die den Italienern hart mitspielten.
Gleichzeitig tobten auch im Krngebiet, am rechten Flügel des XV. Korps,
heftige Kämpfe, die den Italienern keinen Gewinn brachten. In Tirol
versuchten die Italiener nördlich von Cortina d'Ampezzo gegen
Schluderbach vorzukommen. Ihre am 14. und 15. Juni geführten Angriffe
blieben erfolglos. Auch ein am 17. Juni gegen alle Scharten der Fassaner Alpen
gleichzeitig geführter Angriff kleiner Gruppen hatte kein besseres
Schicksal. Dagegen gelang es den schwachen Truppen der 180. Infanteriebrigade
auf der Hochfläche von Vielgereuth, den auf italienischem Gebiet
liegenden Monte Custon den Italienern zu entreißen und diese Vorstellung
gegen alle Wiedereroberungsversuche des Feindes zu halten.
[152] Die Plateauwerke,
deren Beschießung die ganze Zeit angedauert hatte, waren sehr stark
hergenommen, aber immer noch kampffähig. 5000 schwerste
Schüsse hatten etwa 1700 Treffer erzielt. Die Schäden waren aber
immer wieder ausgebessert worden. Die Umgebung eines Werkes sah, von einem
überhöhenden Punkte besehen, wie ein pockennarbiges Gesicht aus:
Trichter lag neben Trichter. Mitten drin lag das kleine Werk, das von wenigen
Menschen gehalten und wirksam gehalten wurde. Moralische Widerstandskraft,
zähe Ausdauer, unermüdliche Kampfesfreude und Arbeitskraft
mußten in diesem Kampfe zwischen dem schwersten Geschütz und
der Befestigung in höchstem Maße betätigt werden. Nur der
äußersten menschlichen Tatkraft konnte es gelingen, die
natürliche Überlegenheit des zerstörenden, daher angreifenden
Geschützes über die abwehrende Widerstandskraft des toten
Materials, der Befestigung, aufzuheben. Eiserne Herzen in Erdwerken sind
stärker als Hasenherzen hinter Panzern. Die Werke der Tiroler
Hochflächen, das Kärntner Werk Malborghet und alle anderen
bekämpften Werke haben ihre Aufgabe, Stützung der Verteidigung,
dank der Ausdauer ihrer Besatzungen bis zum Ende des Krieges in
mustergültiger Weise erfüllt. Ehre sei diesen Männern mit
eisernen Herzen!
An der Kärntner Grenze wurde am 14. Juni im Plöckengebiet der
Kleine Pal von den k. u. k. Truppen erstürmt. Damit
begann auch in dieser Gegend eine Reihe von kleineren, aber ernsten
Kämpfen. Alle Anstrengungen der Italiener, hier die Verteidigungslinie
einzudrücken, um ins Gailtal hinabzusteigen, blieben erfolglos.
So vergingen vier Wochen seit Beginn des Kriegszustandes, ohne daß der
entscheidende, auf Vernichtung abzielende Schlag der weit überlegenen
Macht der Italiener erfolgt wäre. Für das Oberkommando war die
Zeit der höchsten Spannung und Gefahr, für die Italiener die Zeit
leichter entscheidender Erfolge vorüber. Die Kämpfe der ersten vier
Kriegswochen hatten durchaus das Gepräge von zusammenhanglosen
Einleitungskämpfen, hervorgegangen aus dem vorsichtigen Heranschieben
der italienischen Massen. Dort aber, wo die Kämpfe entscheidend waren,
wie bei Plava, dort hatte sich die Überlegenheit der k. u. k.
Truppen, die diesen in den weiteren Kämpfen treu blieb, gezeigt: Alle zur
Entscheidung getriebenen Kämpfe führten zu erbittertem
Handgemenge, in dem die weit überlegene Widerstandskraft,
Zähigkeit und Stoßkraft der österreichischen Truppen voll zur
Geltung kam. Schneidig und todesverachtend stürmten die Italiener oft
zehnmal heran und bis in die Gräben, immer neue Bataillone in den Kampf
werfend, aber immer wieder brach sich die Kampfkraft dieser Braven an der
Kampfwut der prächtigen Leute aller Nationen, die selbst nach den
heftigsten Kämpfen gar nicht abgelöst sein wollten, sondern sich auf
den nächsten Angriffsstoß des alten Feindes freuten.
[152a]
Artilleriebeobachter an der Tiroler
Westfront.
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Um die Mitte Juni hatte sich die Lage der Verteidiger wesentlich gebessert. Nach
der Schätzung des Kommandos der Südwestfront standen von den
[153] Italienern am Isonzo
210 000 Gewehre mit etwa 820 Feldgeschützen, gegen 70 000
Gewehre mit 280 Feldgeschützen, gegen die Südgrenze Tirols bis
zum Gardasee 110 000 Gewehre und 430 Feldgeschütze und gegen
die Westgrenze Tirols 70 000 Gewehre mit 280 Feldgeschützen.
Über 6 bis 8 Infanteriedivisionen (100 000 Gewehre und 450
Geschütze) fehlten noch Nachrichten. An schwerster Artillerie wurde mit
200 Geschützen gerechnet.
Diesen Massen standen jetzt schon alle zur Verteidigung bestimmten Truppen
versammelt gegenüber. Nicht nur, daß das
Armee-Oberkommando schon weitere Verstärkungen - die 44.
Schützendivision, das 4. Schützenregiment, das 4. Tiroler
Jägerregiment und Artillerie - zugewiesen hatte, nicht nur, daß
das deutsche Alpenkorps, General Krafft v. Delmensingen, schon
vollzählig in Tirol eingetroffen war; die Verteidiger hatten ihre Abschnitte
in straffer Organisation besetzt, sich dort vollkommen zurechtgefunden und
eingenistet, die Verteidigung planmäßig festgelegt und die
Befestigungen weiter ausgebaut und verstärkt, die Artillerie
zweckmäßig verteilt, ihre Aufgaben festgestellt, die Beobachtung und
Verbindung verläßlich eingerichtet,
kurz - statt einer überhastet und stückweise besetzten und
daher nicht fest geleiteten Kampffront, wie sie in den ersten zwei Wochen des
Krieges unvermeidlich gewesen wäre, stand eine festgefügte, vom
Willen des unbedingten Widerstandes erfüllte Verteidigungslinie, deren
Besatzung keinen Schritt des geliebten Heimatbodens preisgeben wollte. In
diesem Willen vereinten sich alle Truppen, welcher Nation sie auch entstammten,
ob sie in der glühenden Hitze des Görzer Landes oder im
Hochgebirge in Eis und Schnee ihr Vaterland verteidigten.
Die Italiener traten zum Glück schlecht vorbereitet und mit schlechtem Plan
in den Krieg, ganz so wie die Mittelmächte. Nur daß Deutschland
und die Donaumonarchie ihre Rüstungen und Vorbereitungen zur Erhaltung
des Friedens auf das Nötigste beschränkt hatten, und daher doch
unfertig waren, als ihnen der Krieg durch eine hinterhältige Politik der
Feinde aufgezwungen wurde, wogegen sich die Italiener seit Beginn des
Weltkrieges auf ihr Eintreten in den Krieg vorbereiteten und ganz nach ihrem
Belieben dann eingreifen konnten, wenn sie zum entscheidenden Schlag bereit
waren.
Die Habgier einer unaufrichtigen und unehrlichen Politik trübte aber den
führenden Italienern den ohnedies kurzsichtigen Blick, was das italienische
Volk mit furchtbaren Blutopfern bezahlen mußte. Denn diese Einleitung des
Krieges führte Italien nicht zu dem erhofften glänzenden, Ruhm und
Erfolg bringenden leichten Siege, sondern zu einer wohlverdienten, schweren
militärischen Niederlage, aus der nur der Zusammenbruch der von einer
Welt von beutegierigen Feinden materiell erdrückten Mittelmächte
hinüberrettete zu einem Scheinsiege, der auch dann nicht zu einem
wirklichen Siege verwandelt werden kann, wenn er laut und prahlerisch als Sieg
gepriesen wird und wenn die übermütigen "Sieger" auch noch so toll
und verwegen die augenblickliche [154] Schwäche des
deutschen Volkes zu seiner Ausbeutung und Knebelung mißbrauchen. Die
Wahrheit läßt sich nicht erdrücken! Sie wird noch siegreich
durchdringen und mit ihr wird der Tag einer furchtbaren Abrechnung des
Schicksals kommen und das Wort wahrmachen: Wehe den wirklich
Besiegten.
Als endlich am 23. Juni die Italiener antraten, um in mächtigem
Stoße, in einer Schlacht, Österreich den Todesstoß zu
versetzen, führte sie der Kriegsgott nicht nach Wien, sondern zur
Perlenkette der elf schweren, für die alte Armee siegreichen
Isonzoschlachten, an die sich als blitzende Brillantschließe die gemeinsam
mit den deutschen Truppen geschlagene zwölfte Schlacht, die die Front
vom Isonzo an die Piave vortrug, als glänzendste Leistung des Krieges
anschloß.
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