Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Der
Luftkrieg (Forts.)
Major Hans Arndt
4. Die Luftwaffen im Kriege bis zu ihrer
Zusammenfassung unter Waffenvorgesetzten.
Der Bewegungskrieg.
Die Mobilmachung der 8 Feld- und 15 Festungsluftschiffer-Abteilungen vollzog
sich ohne Schwierigkeiten.
Im Westheer verfügte jede Armee über eine Abteilung. Trotz
mancher Abneigung, trotz vielfach vergeblichen Angebots haben sich die Ballone
nur allmählich zum Beobachtungsorgan der Artillerie entwickelt. Ihre
Beweglichkeit, durchschnittlich 35 km Tagesleistung, steigerte sich
wiederholt zu Höchstleistungen - die der Feldluftschiffer-Abteilung
1 am 14. August 1914 sogar auf 55 km. [551] Für rein
taktische Erkundung kam der kleine 600-cbm-Ballon wenig in Frage. Angewiesen
auf seine Gaskolonne, die in der ersten Staffel marschierte, mußte man mit
seinem Einsatz zurückhaltend sein. Einmal gefüllt, konnte er zwar
als "Ballon hoch" marschieren, verlor dann aber an Geschwindigkeit. Zwang die
Lage, ihn zu entleeren, so fiel er für längere Zeit aus. Erst beim
Kampf um die Sperrforts zwischen Verdun und Toul trat er erfolgreich in
Tätigkeit; allmählich ließ ihn der Stellungskrieg zu voller
Entfaltung kommen.
Die Ziele der Artillerie wurden der Erdbeobachtung unsichtbar. Munitionsmangel
steigerte die Bedeutung jedes einzelnen Schusses. Damit wuchs der Wert der
Ballonbeobachtung, um so mehr, als er durch Fernspruch unmittelbar an die
zuständige Artilleriestelle melden konnte, während der Flieger
für solche Aufgaben noch fast völlig ausfiel. Nur
größere Steighöhen - bisher
600 m - waren notwendig, um ihn auch gegen entfernte Ziele
Verwendung finden zu lassen. Der neue
800- und 1000-cbm-Ballon brachte mit Höhen von 1200 m Abhilfe.
Mit stetiger Vervollkommnung des Lichtbildgeräts leistete er in der
Herstellung von "Rundbildern" des Kampfgeländes der Truppe neue
Dienste. Zusehends wurde er jetzt dem Gegner gefährlicher. Das zeigten die
steigenden Versuche, ihn durch Artilleriefeuer oder Flieger zu vernichten. Die
bisherige Handwinde zur Einholung mußte durch bespannte Protze und bald
durch Motorkraftwinde ersetzt werden. An Stelle der anfangs üblichen
Abwehr feindlicher Fliegerangriffe durch die Handwaffen der
Bedienungsmannschaft traten bald Maschinengewehr und Revolverkanone.
Die ersten ernsthaften Fliegerangriffe durch gleichzeitig 6 Flugzeuge setzten in
der schweren Winterschlacht 1915 in der Champagne
ein - allerdings zunächst infolge des geschickt geleiteten Sperrfeuers
der Abwehrbatterien und noch unentwickelter Brandmunition erfolglos. Gerade in
dieser Zeit, in der die eigenen Flieger sich von ihrer Unterlegenheit zu erholen
begannen und durch tiefliegende Wolken und schlechtes Wetter wesentlich in
ihrer Leistungsfähigkeit eingeengt wurden, bewiesen die Ballone in hohem
Grade ihre Unentbehrlichkeit und fanden volle Anerkennung durch den Chef des
Generalstabs. Mit Beginn des Stellungskampfes wurden auch die
Festungsluftschiffertrupps durch Zuteilung von Gaskolonnen beweglich gemacht
und an der Front eingesetzt.
Im Osten nahm am Bewegungskrieg zunächst nur die
Feldluftschiffer-Abteilung 8 teil. Dem I. Reservekorps unterstellt,
konnte sie in der Augustschlacht
Gumbinnen - Gawaiten trotz starken feindlichen Schrapnellfeuers
treffliche Meldungen über die Bewegungen der eigenen Truppen und die
Maßnahmen des Gegners erstatten. Auch in der Schlacht von Tannenberg
zeichnete sich die Abteilung durch gute, klare Nachrichten aus. Bombenangriffe
gegen sie durch feindliche Flieger und feindlicher Artilleriebeschuß waren
weniger gefährlich als im Westen.
Den gesamten Ersatz regelte die heimatliche Inspektion der Luftschiffertruppen.
Eine zentrale Feldstelle fehlte. Die Anforderungen der Abteilungen [552] wurden nach deren
Anweisungen von den zu fünf Luftschifferersatzabteilungen
umgewandelten fünf Luftschifferbataillonen erledigt. Ballone lieferten die
Ballonfabriken Tempelhof, Bitterfeld, Harburg. Mit Verwendung der
Festungsluftschiffertrupps im Felde und Aufstellung 74 neuer
Formationen - bis Frühjahr 1915 - wurde die Schaffung einer
Zentrale immer notwendiger.
Die Heeresluftschiffahrt zu Kriegsbeginn.
Die mobilgemachten 12 Lenkluftschiffe5 unterstanden
der Obersten Heeresleitung unmittelbar und erhielten durch sie Weisungen
für Erkundungsflüge und Bombenangriffe. Außer der
kriegsmäßigen Besatzung war für jedes Schiff ein
Erkundungsoffizier des Generalstabs vorgesehen. Ihre Fahrten begannen
zunächst von den Heimatstationen aus. Erst im Oktober wurden in Belgien
Häfen bei Gonterode, Antwerpen, Brüssel und bei Maubeuge
hergerichtet, um die Anflugzeit zu verkürzen. Im Osten fanden zwei, die
übrigen Schiffe im Westen Verwendung.
Die großen Hoffnungen, die man auf die Lenkluftschiffe gesetzt hatte,
erfüllten sich nicht. Die Steighöhen waren zu gering, das Ziel zu
groß; bei verhältnismäßig geringer Wendigkeit wurden
sie leichte Beute der Erdabwehr. Wohl krachten am 6. August die
21-cm-Granaten des "Z VI" auf Lüttich. Schwer getroffen jedoch
mußte er nach Notlandung in Bonn abmontiert werden. Härteres
Schicksal erlitten "Z VII" und "VIII", die im Elsaß nach den ersten
großen Kampftagen zu Erkundungsaufträgen gegen die weichenden
Franzosen und zum Bombenwurf eingesetzt wurden. "Z VIII" wurde schon
auf dem Anflug zur Front von eigenen Truppen schwer beschädigt. Sie
kannten das deutsche Erkennungssignal - weiße
Sternpatronen - anscheinend nicht genügend; auch nervöse
Unruhe mag mitgewirkt haben. Indes führte er seinen Auftrag durch und
schleuderte noch 1600 kg Granaten auf den Feind. Bei Badonvillers
strandete er dann im Walde. Die fachmännische Besatzung hatte vor
solchem Einsatz im Morgengrauen gewarnt. Bei den zum Teil erheblichen
Bodenerhebungen im oberen Elsaß erreichte man trotz 2000 m
Steigfähigkeit stellenweise kaum eine Höhe von 1000 m
über Grund. Trotzdem befahl der an Bord des "Z VII" befindliche
Generalstabsoffizier nach erfolgter Erkundung im Morgengrauen erneute Umkehr.
So wurde das Schiff bei hellem Tage in 800 m Höhe mühelos
abgeschossen und strandete bei St. Quirin in Lothringen.
Jetzt wies man den Schiffen nur noch nächtliche Bombenziele zu; "Z IX"
und "Sachsen" konnten im September erfolgreiche Angriffe auf Antwerpen und
Ostende verzeichnen. Aber schon im Oktober wurde "Z IX" in seiner
Düsseldorfer Halle das Opfer eines kühn durchgeführten
Bombenwurfs eines englischen Fliegers. Die "Sachsen" wurde bei der sich
ständig steigernden Erdabwehr nach dem [553] Osten verlegt. Die
Abhängigkeit der großen Schiffe von Nacht und Witterung trat immer
deutlicher hervor. Man beschränkte daher ihren Einsatz auf mondarme
Nächte, sogenannte "Fahrtperioden". Ungünstiges Wetter im
November zwang zu unfreiwilliger Ruhe. Dafür konnte im Dezember
"S L II" von Trier aus einen erfolgreichen Angriff auf das befestigte
Nancy durchführen.
Die behelfsmäßige Abwurf-Granate war inzwischen durch eine den
Anforderungen der Ballistik entsprechendere Bombe ersetzt worden. Die
Friedrichshafener Zeppelinwerke
hatten den Bau eines 25 000 cbm
großen Schiffes erfolgreich beendet, das allen bisherigen Typen an
Steigfähigkeit, Geschwindigkeit und Tragfähigkeit weit
überlegen war. Höhen von 2400 m wurden erreichbar.
Die im Oktober begonnene Errichtung von Luftschiffhäfen in Belgien
wurde beendet; auf ihnen angelegte Gasanstalten machten die Schiffe
unabhängig von Gaszufuhr aus der Heimat. Neu eingeführt wurde
ein Spähkorb, mit dessen Hilfe man bei Fahrten des Schiffes über
Wolken, durch diese hindurchgelassen, aus geringer Höhe das Ziel
ansteuern und den Angriff aussichtsreicher gestalten konnte. "Z XII" griff
auf diese Weise im März 1915 Calais mit Erfolg an.
Im Osten lagen bei der geringen Erdabwehr und den weniger zahlreichen Fliegern
die Verhältnisse für die Schiffe günstiger. Der kleine
"Z IV" führte eine Reihe guter
Erkundungs- und Angriffsfahrten im August 1914 bei Insterburg, Gumbinnen und
Tilsit durch. Im September griff er Warschau erfolgreich an und konnte trotz
schwerer Beschädigung am Heck noch glatt landen. Bei einem
Bombenangriff auf Bahnhof Lyck im Februar 1915 erhielt er indes so schwere
Verletzungen, daß er aus der Front gezogen wurde und als Schulschiff
Verwendung fand. Dagegen ging "Z V" nach ausgezeichneten
Erkundungsfahrten auf Plock, Kutno, Lodz und
Plonsk - Nowogeorgiewsk bei einem Tagesbombenangriff auf
Mlawa verloren. Schwere Gasverluste zwangen ihn zur Notlandung, bei der er in
russische Hand fiel.
Die Entwicklung der Heeres-Luftschiffahrt krankte an der fehlenden
Feldzentralstelle. Während bei der Marine der Ausbau eigentlich erst mit
Kriegsbeginn einsetzte, kam die ältere des Heeres aus eigener Kraft nicht
vorwärts. Man übernahm daher meist nur die von der Marine als
brauchbar erkannten Neukonstruktionen. Die schweren Verluste vor dem Feind
und auch in der Heimat (fehlende Drehhallen) haben weiter hemmend gewirkt;
Aufwand und Erfolg standen meist im Mißverhältnis.
Die Fliegertruppe.
Als sich 1914 die Krisis auf dem Balkan zuspitzte, war eine große Zahl von
Fliegertrupps, der Kern der mobilzumachenden Feldfliegerabteilung, auf dem
Heimtransport von den Truppenübungsplätzen zu ihren
Fliegerstationen. Am Tage der österreichischen Kriegserklärung an
Serbien sah sich die Fliegertruppe noch vor großen Lücken in ihrer
Mobilmachungsvorbereitung. Material und Ersatzteile [554] fehlten allerorts.
Für die letzten planmäßig aufzustellenden Abteilungen waren
nicht einmal Flugzeuge vorhanden. Durch freihändigen Ankauf sollte in
letzter Stunde Abhilfe geschaffen werden.
Nur einige beschleunigt mobilzumachende Abteilungen der westlichen
Grenzkorps standen am Nachmittag des 3. August
flug- und marschbereit auf ihren Häfen. Schon an diesem Abend liefen aber
im Elsaß von ihnen die ersten kurzen Meldungen über feindliche
Truppenbewegungen auf den zur Grenze führenden Hauptstraßen ein.
Fieberhaft wurde an der Vervollständigung der Ausrüstung
gearbeitet, so daß mit Beginn der Bewegungen auch die 30
Fliegerverbände der Westfront marschbereit waren. Aber noch
während der zweiten Augusthälfte fielen vorübergehend einige
Abteilungen für die Aufklärung aus, da sie ihre nicht mehr
kriegsbrauchbaren "Tauben" in den Heimatstationen gegen Doppeldecker
umtauschen mußten.
Hatte man auch durch gewaltige Anstrengungen Frankreich qualitativ eingeholt,
so bestand dort doch zweifellos eine große zahlenmäßige
Überlegenheit. Nach der bisher erschienenen Kriegsliteratur scheint
Frankreich das leugnen zu wollen. Aber sicherlich hatte es bereits 1913 für
die Mobilmachung 48 Abteilungen gleicher Stärke vorgesehen. Dazu trat
die Überlegenheit der französischen
Flugzeug- und Motorenindustrie und die durch England und Belgien zu
erwartende Verstärkung. Bedenklicher dagegen war die im
Flugzeugmaschinengewehr überlegene Bewaffnung des Feindes. Schon in
den ersten Augusttagen bestätigte sich das. Man wich also nach
Möglichkeit einem Zusammentreffen in der Luft aus und vermied einen
Kampf - ähnlich wie strategische
Kavalleriepatrouillen -, um eine Meldung sicher heimzubringen. Blieb
daher der Luftkampf zunächst eine Ausnahme, so liegt doch der
Hauptgrund der sich bald geltend machenden deutschen Unterlegenheit in der
fehlenden Flugzeugbewaffnung. Der erste Beobachter fiel im Luftkampf am 26.
August. Trotz dieser Mängel wurden die wenigen Fliegerverbände
des Westheeres ihren Aufgaben im Bewegungskrieg in vollstem Maße
gerecht.
Wenn von einem Versagen der Luftaufklärung gesprochen wird, so liegt
das nur daran, daß ihre schnelle und zweckmäßige Auswertung
durch die Kommandostellen unvollkommen blieb. Im Rahmen der großen
Aufklärung genügen Meldungen eines einzelnen Flugzeuges nicht
mehr. Ergebnisse nicht nur innerhalb einer Armee, oder benachbarter Heeresteile,
sondern selbst entgegengesetzter Flügel müssen das Gesamtbild
schaffen. Es sachgemäß auszudeuten, fehlten aber die Zentralen bei
den höchsten Kommandostellen. Auch im Ansatz der Flugzeuge verfuhr
man fehlerhaft; man dachte nicht an gegenseitige Ergänzung und zeitliche
Verteilung der schwachen Kräfte. Im allgemeinen erkundeten die
Verbände der Generalkommandos innerhalb deren Gefechtsstreifen bis zu
zwei Tagesmarschtiefen; darüber hinaus die der Armeen auf den
Flügeln und vor ihrer Gesamtfront. Aber die
Aufklärungsräume überdeckten sich nicht
sachgemäß. Die [555] Reservekorps waren
überdies fliegerlos. Man glaubte den Fliegermeldungen gegenüber
zunächst auch eine gewisse Vorsicht beobachten und die Bestätigung
durch Kavallerie abwarten zu müssen. Trotzdem blieben sie zum Teil
grundlegend für die operativen Maßnahmen der Armeen.
Frühzeitig waren z. B. die Befestigung des linken Maasufers zwischen
Namur und Givet, sowie die "Position von Nancy" erkundet. Bereits am 14.
August war die Stellung der Belgier an der
Gette- und Demer-Linie im wesentlichen festgelegt, und die 1. Armee
wußte seit dem 17. August um den Anmarsch einer französischen
Heeresgruppe von Charleroi auf Gembloux. Ebenso waren für die
Entschlüsse der Führung grundlegend ihre Meldungen
während der Tage von Mons und Maubeuge, wenngleich hier durch einen
"persönlichen Eindruck" eines Beobachters (angeblicher Rückzug
der Engländer auf Maubeuge) für Stunden Unklarheit geschaffen
war. Im übrigen wurde der Rückzug der Engländer und
Franzosen aus Belgien nach Süden und Südwesten in allen
Einzelheiten erkannt und namentlich vor der 2. und 3. Armee als
planmäßig und geordnet, nicht, wie man gern glaubte, als Flucht und
Auflösung bezeichnet.
Daß der Angriff des V. Korps (5. Armee) auf die
Othain-Stellung beiderseits Marville so mühelos glückte, ist zum
großen Teil der ausgezeichneten Luftaufklärung zu danken. Und die
Worte des Armeeführers - des damaligen deutschen Kronprinzen:
"Ohne meine Flieger und Funker hätte ich die Schlachten bei Longwy und
am Othain-Bach nicht gewonnen", sind nicht übertriebenes Lob, sondern
nur Zeichen vollster Erkenntnis der Bedeutung der jüngsten Waffe.
Bayrische Flieger der 6. Armee meldeten im letzten Augustdrittel einwandfrei die
Schwächung des Gegners vor ihrer Front bei gleichzeitiger Verschiebung
nach Westen und die der 7. Armee Abtransporte der Franzosen von Toul und
Epinal nach Paris. Selbst der hierfür nicht ausgerüstete Park der 7.
Armee und die Fliegerschule Straßburg griffen unterstützend in die
Aufklärung ein. Und am 24. August abends faßte der damalige
Parkführer (der spätere Inspekteur) Major Siegert, der in richtiger
Erkenntnis der Unhaltbarkeit der bisherigen Zersplitterung der Kräfte die
provisorische Fliegerzentrale der Armee bildete, das Ergebnis aller in letzter Zeit
erstatteten Meldungen in den Worten zusammen: "Die Franzosen sind fort." Wohl
drastisch - an Klarheit aber einwandfrei!
Wenn bereits am 3. September Vm. durch Flugzeuge der 1. Armee die Lage vor
dem IV. Reservekorps (Schutz des rechten Heeresflügels) in Gegend
Senlis - Nanteuil völlig geklärt und nach Meldungen
vom 3. und 4. September mit Anmarsch weiterer Kräfte aus Paris gegen die
rechte Heeresflanke mit Sicherheit zu rechnen war, dann dürften
ausreichende und rechtzeitige Grundlagen für neue Entschlüsse der
Obersten Heeresleitung oder der 1. Armee vorhanden gewesen sein.
Wurde trotzdem vor Beginn der Schlacht an der Marne die Lage bei Paris
für ungeklärt gehalten, so bedarf das einer Untersuchung; und das
"Versagen der Luftaufklärung" wird zu einem "Versagen der höheren
Führung".
[556] So zeigten sich
Mängel in der Frontorganisation auf
taktisch-strategischem Gebiet nur zu früh! Das Bedürfnis nach einer
fachmännischen Stelle, die den Einsatz regelte, überwachte,
zweckdienliche Vorschläge machte und eine Zentrale für Verwertung
der einzelnen Erkundungsergebnisse wurde, machte sich jetzt mit Nachdruck
geltend. Schon Ende August 1914 telegraphierte auf Antrag des Inspekteurs der
Kriegsminister an das Kriegsministerium in Berlin: "Baldige Ernennung von
Kommandeuren der Flieger bei jedem
Armee-Oberkommando erwünscht." Auch die technischen Schwierigkeiten
des Nachschubs hätten die Genehmigung der Eingabe beschleunigen
müssen. - Eine bindende Entscheidung vom Kriegsministerium
erfolgte jedoch nicht. Es veranlaßte nur auf dessen Antrag die
vorübergehende Mobilisierung des Inspekteurs der Fliegertruppen, damit er
sich an Ort und Stelle über die notwendigen Maßnahmen unterrichten
könne. Diese Anordnung entzog ihn aber den immer umfangreicher
werdenden Heimatsaufgaben. - Mit einer Ausnahme hatten sich indes alle
Armeen von der Notwendigkeit einer zentralen Fliegerdienststelle
überzeugt und richteten sie im Oktober provisorisch ein. Die Ereignisse
drängten über bürokratische Erwägungen des
Kriegsministeriums hinweg: denn der Krieg zeigte ein neues Gewand.
Das Marne-Drama war vorüber. Des Feindes Umklammerung blieb
fruchtlos. An der Aisne hielt man und rang nach Atem. Auf beiden Seiten reichte
er zum Sturm nicht mehr aus. Vergeblich opferte sich noch deutsche Jugend bei
Ypern. - Der Lauf war zu Ende. Die Front wurde starr von der Küste
bis zur Schweiz. Der neue Kampf kürzte die
Aufklärungsräume. Der strategische Fernflug verlor an Bedeutung,
taktische Nah- und Kleinerkundung wurde wichtiger. Deutsche Angriffe, wie bei
Soissons und in den Argonnen, blieben Teilerscheinungen. In fruchtlosen
Durchbruchsstößen nagte der Feind vergeblich an dem deutschen
Damme. - So entwickelten sich für die Flieger neue Aufgaben:
Frontüberwachung, Artillerieschußbeobachtung und beginnender
Bombenkrieg. Ihre Durchführung und die Abwehr der gleichen Versuche
des Gegners führten bald zu dem vorgeahnten Luftkampf. Das Neue voll zu
lösen, gelang nur unvollkommen, da die Grundlagen zum
überlegenen Kampf in der Luft fehlten. Die Schwäche wuchs und
führte schnell zur Unterlegenheit. Auch blieben trotz Vervielfachung der
Aufgaben die Kräfte unverstärkt.
Anfangs glückte die Frontüberwachung. Stellungen und
Annäherungswege, Batterien,
Munitions-, Material- und Ruhelager, wie sie die neue Kampfesform in
ungekannter Form schuf, wurden bis ins einzelne erforscht.
Wege- und Bahnnetz blieb unter ständiger Aufsicht, um aus dem regeren
Verkehr Anzeichen für Angriffsabsichten oder zu eigenen
Teilvorstößen geeignete Blößen des Feindes zu
erkennen. Hier versagte aber das menschliche Auge unter der Fülle der
Eindrücke; es wurde durch die Linse der Lichtbildkamera in ungeahnter
Vollkommenheit ersetzt. Die Lichtbilderkundung feierte von Monat zu Monat
größere Triumphe.
Dagegen gelang es nicht, den französischen Vorsprung in der
Artillerie- [557]
schußbeobachtung einzuholen. Von Tag zu Tag mehrten sich die
Fälle, wo feindliche Flugzeuge mit anscheinend dazu bereitgestellten
Batterien den Stellungen, Reserven und Ablösungen hart zusetzten. Die
Truppe rief nach Abhilfe. Aber die eigene
Artillerie - abgesehen von dem immer spürbarer werdenden
Munitionsmangel - war selbst machtlos, da ihre Beobachtungsstellen in die
versteckten feindlichen Batterien keinen Einblick hatten. Die Fesselballone
genügten für schwierige Ziele nicht. So forderte die Lage
gebieterisch die Lösung durch das Flugzeug. Aber die Vorbedingung,
schnelle, genaue und zuverlässige Übermittlung der
Schußlagen, fehlte. Das F. T.-Gerät kam erst im
nächsten Frühjahr zur endgültigen Einführung. Noch
immer stand nur die Leuchtpistole zur Verfügung. Das Verfahren war
mühselig, zeitraubend, versagte bei ungünstigen Verhältnissen
leicht und forderte überdies sorgsames Eingespieltsein der Besatzungen mit
der Artilleriestelle. Der Wunsch, diese Aufgaben möglichst mit
gleichbleibendem Personal durchzuführen, wies schon jetzt auf besondere
Artilleriefliegertrupps.
Auch der Bombenangriff kam vorerst nicht zu nennenswerter Entwicklung.
Besondere Verbände fehlten hierfür. So blieb der Wurf
zunächst der Neigung einzelner Besatzungen vorbehalten. Das Flugzeug
war nicht auf Mitnahme größerer Lasten berechnet. Die Kaliber der
Bomben wurden zwar bald auf 10 kg erhöht, aber der vereinzelte
Wurf geringer Mengen konnte keine wesentliche Wirkung bringen. Immerhin
wird auch hier und da tatsächlicher neben moralischem Erfolg erzielt
worden sein, besonders wenn man aus den Ergebnissen der vermehrten
feindlichen Bombenangriffe Rückschlüsse zieht.
Die ersten größeren Angriffe zusammengestellter Geschwader fanden
bei der 2. Armee im November 1914 auf Amiens, bei der 5. Armee auf Verdun
statt. Einzelangriffe auf Luneville am 3. August und auf Paris am 23. August
haben mehr geschadet, als Nutzen gebracht, da sie dem Feind willkommener
Anlaß waren, der deutschen Heeresleitung
völkerrechtsverletzende Angriffe auf offene Städte bei den
Neutralen vorzuwerfen. Die rechtliche Zulässigkeit des deutschen
Verhaltens wurde natürlich verschwiegen.
Die Gründung des ersten lediglich zum Bombenwurf bestimmten
Verbandes im September 1914 unter Major Siegert in Charleville wird
verschieden beurteilt. Dieses "Fliegerkorps der Obersten Heeresleitung" sollte
nach der erhofften Einnahme von Calais im Verein mit den Lenkluftschiffen der
Armee einen planmäßigen Luftbombenkrieg gegen England
beginnen. Die Ereignisse überholten den Plan. Das Fliegerkorps blieb in
Gistel (nahe Ostende) liegen und erhielt wegen zu großer Entfernung des
eigentlichen Ziels andere Aufgaben. Wohl unternahm es eine Reihe wirksamer
Angriffe auf Dover, Dünkirchen, Furnes, La Panne und Nieuport,
von Metz aus auch gegen Verdun, bis seine Tätigkeit durch die
überlegenen feindlichen Kräfte unmöglich und seine
Verlegung nach dem Osten, wo die Gegenwirkung geringer war, notwendig
wurde. Mit unzulänglichen [558] Mitteln und vorzeitig
begonnen, hat dieser Versuch zweifellos zur frühen Durchführung
einer starken Flugabwehr in England beigetragen. Immerhin ging der dortige
Einsatz zahlreicher Abwehrmittel auf Kosten der Front in Frankreich.
Schlimmer war jedoch, daß auch der eigentliche Kampf in der Luft und
damit die Verhinderung gleicher Aufgaben der feindlichen Flugzeuge, nicht
durchführbar war. Weder angriffs- noch abwehrweise war der damalige
Flugzeugtyp in der Lage, die feindlichen Späher und Bombenwerfer
fernzuhalten. Da die eigene Flugabwehr noch nicht taktisch organisiert war und
technisch nicht rasch genug sich den schnell auf 3000 m gestiegenen
Flughöhen anpassen konnte, versuchte man durch eine Art
Sperr- und Polizeiflug den feindlichen Flugzeugen den Weg zu verlegen. Dieser
Ausweg brachte aber nur Verluste, da sich der Feind seine Bahn mit
Maschinengewehrfeuer erkämpfen konnte. Im ungleichen Kampf
entwickelte sich so das Gefecht in der Luft. Der "Bauernschreck", ein in der
Gegend von Verdun und an der Aisne im Spätherbst 1914 auftauchender,
mit Maschinengewehren bewaffneter, bombenwerfender Farman war
gewissermaßen das erste Zeichen dieser neuen Entwicklung.
Zudem traten die Mängel der Organisation und die Unterlassung einer
Mobilisierung der heimatlichen Flugzeugindustrie jetzt augenfällig hervor,
als eine Auffrischung der Verbände und, mit dem Aufstellen weiterer
Korps, auch neue Feldfliegerabteilungen erforderlich wurden. Der Inspektion
fehlte Entfaltungsfreiheit. Die Front war bei fehlender Zentralstelle nicht in der
Lage, der Heimat klare Wünsche für die notwendige Entwicklung
des Materials und den planmäßigen Ausbau der Waffe als Unterlagen
zu geben. Bei vorübergehender Anwesenheit im Felde konnte der
Inspekteur unmöglich die notwendigen Eindrücke für Neubau
und Neuorganisation sammeln. Wohl hatte er jetzt die Einstellung der
Flugzeugindustrie auf den großen Krieg in die Wege geleitet,
Bauaufsichtsoffiziere und Abnahmekommissionen eingesetzt und die
Zurückstellung der notwendigen Ingenieure und Facharbeiter vom
Waffendienst angeordnet. Zu den bekannten Fabriken wie L. V. G.,
Albatros, Rumpler, Aviatik, Fokker, D. F. W.,
A. E. G., die man zu höchster Leistung anspornte, traten neue
Firmen wie Gotha, Otto, Ago, Pfalz. Trotzdem überstieg die Produktion
aller Fabriken 50 bis 60 Flugzeuge monatlich nicht. Auch die Motorenfabriken
von Benz, Daimler, Argus,
Ober-Ursel konnten zahlenmäßig den
Forderungen nicht gerecht werden. Überdies krankte die Versorgung der
Feldverbände an den noch fehlenden Zentralen und der Zwitterstellung der
Parks; eigenmächtige Bestellungen durch die Führer bei den
Fabriken in Deutschland störten den ordnungsmäßigen Ersatz.
Front, Heimat und Etappe arbeiteten durch- und gegeneinander, so daß um
die Jahreswende eine gefährliche Stockung im Nachschub unausbleiblich
war.
Die fehlende Bewaffnung hatte - neben anderen technischen
Mängeln - die eigenen Flieger wehrlos gemacht. So wird es
verständlich, daß die Führung zeitweilig über die
feindlichen Absichten nicht unterrichtet werden konnte. Die [559] fliegerische
Unterstützung während der Winterkämpfe in Flandern, bei
Lille, Lens, Loos, Arras und Albert, an der Aisne und in der Champagne war
daher gering. Daß es bei Verdun und Belfort gelang, rechtzeitig
genügende Lichtbilderkundung durchzuführen, daß bei den
Kämpfen um die Combreshöhe und an der Grande Tranchée
de Calonne Artillerieerkundung und zeitweise deren erfolgreiche
Bekämpfung glückte, ändert das Gesamtbild nicht wesentlich.
Noch die Februar-Kämpfe in der Champagne offenbarten schmerzlich die
deutsche fliegerische Unterlegenheit. Wohl trat um diese Zeit durch
regelmäßigeren Nachschub und durch behelfsmäßigen
Einbau erbeuteter leichter Maschinengewehre an einigen Stellen der Front
Besserung ein; auch erkannten Flieger der 5. Armee rechtzeitig die feindlichen
Abschnürungsversuche bei St. Mihiel. Aber der Glaube an den Wert
der Fliegererkundung, der gerade in dieser Zeit so bitter not tat, war merklich
erschüttert. Das zeigten in besonderem Maße die Kämpfe um
den Hartmannsweiler Kopf. Stärkeres Vertrauen zu seinen Fliegern
hätten dem Oberkommando die harten Verluste der 8. bayerischen Division
in den Kämpfen vom 7. bis 19. März 1915 erspart.
Die Mittel zur Behebung der Mißstände waren erkannt: Ein
kampffähiges Beobachtungsflugzeug, technisch dem feindlichen
gleichwertig oder überlegen, Einführung von F. T.
Gerät im Flugzeug zur einwandfreien Übermittlung der
Artillerieschußbeobachtung, ein für den Bombenkrieg gebautes und
entsprechend ausgerüstetes, schließlich und dringlichst ein lediglich
für Angriffszwecke in der Luft geschaffenes Flugzeug. Es galt, diese
Aufgaben durch straffe Organisation der Front und Heimat zu lösen und die
Flugzeugindustrie zu höchster Leistung anzuspannen, um den Nachschub
für die bestehenden und das Material für neue Verbände zu
sichern.
Zuvor noch einen Blick ostwärts. - Von Tannenberg und der
Masurenschlacht fällt goldener Glanz auch auf die wenigen
Fliegerverbände der 8. Armee. Für die gesamte Ostfront standen nur
vier Abteilungen (14 bis 17) zur Verfügung, die in den vier
Festungsflieger-Abteilungen des Ostens nur teilweise Unterstützung
fanden, da zwei (Königsberg und Graudenz) nur mit kriegsunbrauchbaren
Flugzeugen ausgerüstet waren. Doch in restlosester Hingabe konnten sie
den hohen Anforderungen der Führung gerecht werden.
Der dichte Reiterschleier vor den sich heranwälzenden Russenmassen
verwehrte frühzeitig der eigenen Kavallerie jeden Einblick und machte die
jüngste Waffe unentbehrlich. Bald war durch sie ein Bild über den
strategischen Aufmarsch des Gegners gewonnen; am 6. August meldete
Flieger-Abteilung 16 die ersten über die ostpreußische Grenze
tastenden russischen Vorhuten. Weitere Nachrichten gaben dem Oberkommando
schon am 15. August die Überzeugung, daß Rennenkampf den
Aufmarsch beendet und seinen Vormarsch aus der Linie
Kowno - Grodno nördlich der Seenenge auf Königsberg
angetreten habe. Das nördliche Polen war frei vom Feind.
[560] Hierauf baute sich der
Entschluß des Armeeführers auf, den Russen nördlich der
masurischen Seenplatte entgegenzutreten. Er führte am 19. August zur
Schlacht von Gumbinnen - Gawaiten. Schon deutete die doppelte
Umfassung gegen die russischen Flügel auf örtlichen Sieg, als
Flieger am 20. August den Anmarsch der Narew-Armee meldeten. Von
Warschau - Pultusk - Ostrolenka wälzten sich neue
Massen gegen die offene rechte Flanke der in noch unentschiedenem Kampfe
ringenden 8. Armee. Naher Sieg entglitt des Führers Hand; ein
Rückzug angesichts des konzentrischen Vormarsches zweier
überlegener russischer Armeen war notwendig, Ostpreußen aufs
schwerste bedroht. Trotz notwendiger Rückverlegung der Flughäfen
erlitt die Erkundung keine Unterbrechung. Am 24. August meldeten die
nördlich eingesetzten Verbände, daß der Gegner von
Gumbinnen nur zögernd auf Königsberg vorrückte, die
südlich angesetzte Abteilung 16, bereits vom 19. ab, daß die
Narew-Armee aus südöstlicher Richtung über die Grenze
dränge. - So setzte sich bei dem neueingetroffenen Oberkommando
Hindenburg die Ansicht durch, daß zwischen beiden Armeen nur ein loser
strategischer Zusammenhang bestände, und der Entschluß, dies durch
einen überraschenden Schlag gegen die
Narew-Armee ausnutzen.
Die Fliegermeldungen ergaben ein klares Bild über deren Bewegung. Die
Hauptmasse rückte beiderseits Soldau gegen die Bahn
Allenstein - Deutsch-Eylau vor. Von Ortelsburg auf Bischofsburg
sicherte eine rechte Flankendeckung, den linken Armeeflügel ein starkes
Kavalleriekorps. Die Grundlagen für die Umfassungsoperation von
Tannenberg waren durch Flieger gegeben, die ebenso zu ihrem Gelingen
beitrugen. Sie unterrichteten die Kommandostellen durch Kartenabwurf
über Stellung und Bewegung von Truppen und Batterien und
überwachten den eigenen Vormarsch.
Drei- bis viermal flogen einzelne Flugzeuge tagsüber.
Die Umklammerung begann sich bald abzuzeichnen. Auf Grund der Meldungen
der Flieger-Abteilung 14 über die Verhältnisse auf dem linken,
reservelosen Russenflügel konnte Hindenburg dem I. Armeekorps am 27.
August den Befehl zum unverzüglichen Vorgehen gegen Flanke und
Rücken des Gegners geben. Durch Flieger wurde eine gleiche Weisung
dem I. Reservekorps übermittelt; im Flugzeug sandte das XVII.
Armeekorps einen Generalstabsoffizier zur Meldung über den
planmäßigen Verlauf der Operationen über den Feind hinweg
zum Oberbefehlshaber, und durch ein Flugzeug wurde der eingeschlossenen Feste
Boyen der Befehl zur sofortigen Teilnahme am Angriff gegen den bereits
zurückflutenden Feind überbracht. Gegen Ende der Kesselschlacht
meldete am 29. August Abteilung 14 den Anmarsch der Hauptreserve von
Warschau gegen den Rücken des I. Armeekorps. In richtiger Erkenntnis der
Lage hatte der Beobachter diese Meldung sofort bei diesem abgeworfen, das unter
Zusammenraffung der letzten Kräfte zu einer Abwehrfront die drohende
Gefahr bannte.
Für die nunmehr beginnende neue Operation gegen die
Njemen-Armee [561] brachten wiederum die
Flieger die erforderlichen Unterlagen. Abteilung 16 meldete
rückgängige Bewegungen vorgeschobener Sicherungen und eifrige
Schanzarbeiten bei Angerburg, Neidenburg, Gerdauen und Allenstein.
Festungsflieger-Abteilung Königsberg berichtete über russische
Verteidigungsanlagen östlich der Deime und vom Pregel bis zum
Kurischen Haff und ergänzte so den Gesamteindruck, daß die
russische Njemen-Armee einen deutschen Angriff in der Linie
Deime-Mündung - Wehlau -
Gerdauen - Neidenburg - Angerburg erwarte. Auch über die
Bedrohung des rechten Umfassungsflügels durch russische Kräfte bei
Ossowiec - Augustowo konnten sie dauernd das Oberkommando
unterrichten.
Die hervorragenden Leistungen der schwachen Fliegerkräfte finden in den
ehrenden Worten des Generals v. Hindenburg: "Ohne Flieger kein
Tannenberg!" vollste Würdigung.
Die Bewegungen der 9. Armee in Polen zeigen den Einfluß der
Luftaufklärung auf die großen Operationen besonders
augenfällig. Schon lagen die nordwestlichen Forts von Iwangorod unter
deutschem, zum Teil von Fliegern in geringer Höhe mit Leuchtpistole
geleitetem Artilleriefeuer, schon war der Angriff auf die
Brückenköpfe westlich der Weichsel eingeleitet, als sich Mitte
Oktober die Lage völlig änderte. Die Russen setzten zum
umfassenden Gegenangriff aus Warschau heraus an. In der Überwachung
der Transporte aus Galizien und der Angriffsbewegungen wurde Hervorragendes
geleistet. Die entscheidende Nachricht von der über
Warschau - Blonje gegen den deutschen Rücken angesetzten, sich klar
abzeichnenden großen Umfassungsbewegung brachten wiederum
Flieger.
Langsam folgte der Russe schwerfällig den Deutschen durch Polen auf
Schlesien. Schon am 12. November trat ihm die im Raume um Thorn und Gnesen
neugruppierte 9. Armee wieder kraftvoll entgegen, warf ihn tief nach Polen
zurück, bis bei Lodz sich das Blatt wandte. In letzter Stunde klärten
zwei Flugzeuge der Flieger-Abteilung 15 die Lage des XX. Armeekorps und
gaben ihm die Möglichkeit, sich der Vernichtung durch einen beispiellosen
Durchbruch zu entziehen. Mit Lodz - Lowicz hatte sich der
große Schwung der Bewegungen beiderseits totgelaufen. Lodz wurde den
Russen noch entrissen, hinter dem
Bzura - Rawka- und Oliza-Abschnitt jedoch hielt er. Auch im Osten
war die Front erstarrt.
Flugabwehr.
Die wenigen Ballonabwehr-Kanonen auf Kraftwagen traten während des
Bewegungskrieges kaum in Erscheinung.
Was man von ihnen forderte, Schutz der Truppe während des Vormarsches
und Gefechtes - namentlich der Artillerie - gegen Erkundung und
Angriff feindlicher Luftfahrzeuge, war bei ihrer ungenügenden Zahl (6)
schlechterdings eine Unmöglichkeit. Auch ihr Etat (1 Unteroffizier, 5
Mann, 2 Kraftfahrer) mußte sie auf bescheidenste Aufgaben
beschränken.
[562] Daß es ihnen an
gutem Willen nicht fehlte, beweist ihr öfteres Eingreifen in den Erdkampf.
Die zunehmende Zahl von Fliegerangriffen erzwang ihre weitere Vermehrung.
Doch war nur die Kraftwagen-Ballonabwehrkanone so weit durchkonstruiert,
daß eine beschleunigte Herstellung bei Krupp und Ehrhart möglich
wurde. Im übrigen mußte man sich auf Umarbeitung von
Beutematerial beschränken. Den Weg hierfür gefunden zu haben, ist
Verdienst des Kriegsministeriums, das auch Vorschriften über
Bekämpfung von Luftfahrzeugen an die Truppe erließ. Freilich
betrafen sie zunächst nur schießtechnische Fragen. Aus der
bisherigen Verwendung ergab sich, daß der Einsatz der Luftabwehrmittel
durch die Truppenführung erfolgen mußte. Man unterstellte sie daher
den Armeen, die sie selbständigen Truppenkörpern zuteilten. Der
erste, noch unbewußte Schritt der Loslösung von der Artillerie war
somit getan. April 1915 war die Zahl der Ballonabwehrkanonen auf 138
gestiegen. Das anzustrebende Ziel, Bildung einer geschlossenen Flugabwehrlinie
an den Armeefronten, ermöglichte freilich auch diese Zahl noch
nicht. - Zur Steigerung der Wirkung an einzelnen wichtigen Stellen zog
man die Ballonabwehrkanonen zu Zügen und Batterien zusammen.
Entstehende Lücken versuchte man durch häufigeren
Stellungswechsel und befehlsmäßig hergerichtete
Feldgeschütze zu schließen.
Einheitliche Richtlinien, jetzt von der Obersten Heeresleitung herausgegeben,
regelten ihre Verwendung im Stellungskampf. Von einem Flugmeldedienst war
noch nichts erwähnt. Die Front hatte ihn aber inzwischen selbst als
notwendig erkannt. Mit eigenen Fernsprechlinien sicherte man die schnelle
Weitergabe der Beobachtungen an die Abwehrkanonen. Durch Anschluß
der Fliegerabteilungen an dieses Flugmeldenetz machte man den ersten Schritt
zum praktischen Zusammenarbeiten zwischen
Luftkampf- und Abwehrmitteln.
Ihre ständige Vermehrung bedingte nunmehr grundsätzlichen Einsatz
durch einen Fachmann. Anfang Juli 1915 wurde diese Stelle bei den Armeen der
Westfront planmäßig - allerdings mit zu geringem
Etat - aufgestellt.
Dieser Stabsoffizier der Flugabwehrkanonen überwachte die Ausbildung,
sammelte Erfahrungen für Fortentwicklung der Schießtechnik und
des Geräts und hatte Fühlung mit den Fliegerstellen
aufrechtzuerhalten. So ergab sich von selbst, daß er die Sammelstelle des
Flugmeldedienstes wurde. Gleichzeitig wurde der Obersten Heeresleitung
für die Bearbeitung der gleichen Fragen ein Inspekteur der
Ballonabwehrkanonen zugeteilt, der in enger Fühlung mit dem inzwischen
ernannten Feldflugchef die Gesichtspunkte für eine Weiterentwicklung der
gesamten Flugabwehr zu bearbeiten hatte. Ein
"Schießausbildungskommando" in Ostende und eine
Entfernungsmesserschule im Bereich der 7. Armee brachten bald gute
Erfolge.
[563] Entwicklung
des Heimatluftschutzes.
Bald zeigte sich, daß man die Möglichkeit feindlicher Luftangriffe
auf das Heimatgebiet unterschätzt und die hierfür nötigen
Abwehrmaßnahmen nur ungenügend entwickelt hatte. Vorweg sei
jedoch eins betont:
"Eine völlige Verhinderung
feindlicher Luftangriffe ist selbst durch die stärkste und technisch
vollkommenste Abwehr nie und nimmer erreichbar."
Am klarsten beweisen das die eigenen Angriffe auf die Festungen Paris und
London. Obgleich überwältigende Kräfte an
Flugabwehrmitteln und -formationen selbst auf Kosten der Front zu ihrem
Schutz eingesetzt waren, konnten sie diese Unternehmungen nicht
unterbinden.
Nur abschwächen kann man ihre Wirkung, indem man durch gut liegendes
Feuer den feindlichen Flieger höher und höher treibt und die
Treffwahrscheinlichkeit seiner Bomben verringert. Dann bleibt der Erfolg mehr
und mehr dem Zufall überlassen.
Der Schutz der Heimat gegen Luftangriffe lag den stellvertretenden
Generalkommandos ob. Zunächst war der Westen zu sichern, da hier das
feindliche Luftfahrwesen besonders stark entwickelt war. Später erst kamen
der Osten und die Küste in Frage. Hier hatten
Heeres- und Marine-Verwaltungen gemeinsame Aufgaben. Aber die Mittel waren
unzulänglich. Erst die Umarbeitung der Beutegeschütze milderte die
gröbsten Mängel. Man erkannte bald, daß der Flugmeldedienst
Grundlage zum rechtzeitigen Einsatz der Abmehrmittel war. Einzelne
stellvertretende Generalkommandos richteten daher besondere Meldezentralen
ein. Eine über das gesamte gefährdete Gebiet sich erstreckende
einheitliche Organisation fehlte indes noch lange. So stießen die feindlichen
Bombenwürfe in der Heimat anfänglich auf geringe Abwehr. Das
offene, ungeschützte Mülheim in Baden war am 23. August das erste
Opfer solch völkerrechtswidriger Angriffe.
Seit Dezember 1914 war eine gewisse Planmäßigkeit der feindlichen
Maßnahmen erkennbar. Der April 1915 brachte die ersten nächtlichen
Angriffe und beeinflußte die Entwicklung der Abwehrmaßnahmen
wesentlich. Die Mitte des Jahres aber bedeutete einen Wendepunkt in der
bisherigen feindlichen Taktik. Vom Wurf einzelner oder weniger Flugzeuge war
man zu dem geschlossener Geschwader übergegangen. Eine Schmach in
der Geschichte der feindlichen Flieger wird ewig der ruchlose Angriff auf die
Stadt Karlsruhe am Fronleichnamstage (15. Juni 1915) bleiben, dem 30 Tote und
68 Verwundete, in überwiegender Mehrzahl Kinder und Frauen, zum Opfer
fielen!
Die unhaltbar gewordenen Verhältnisse drängten zu einheitlicher
Zusammenfassung. Die Frage fand ihre Lösung in der Ernennung eines
Inspekteurs der Ballonabwehrkanonen im Heimatsgebiet im September 1915.
Eine einheitliche Zusammenfassung aller Mittel in einer Hand und die Regelung
des Einsatzes von dieser Stelle aus wurde aber auch jetzt noch nicht
gewonnen.
[564]
Wetterdienst.
Die fehlende Mobilisation der Wetterdienstformationen machte sich schon vor
Übergang zum Stellungskrieg fühlbar. Die Oberste Heeresleitung
ließ daher im September die im Frieden erprobten fahrbaren
Wetterstationen aufstellen. Die Besetzung Belgiens gestattete die dringend
gewordene Verschiebung der Basis für die Wetterbeobachtungen weit nach
Westen. Das Observatorium von Brüssel wurde der Mittelpunkt eines sich
immer weiter und feiner gliedernden Netzes meteorologischer Stellen. Eine
besondere Drachenstation wurde ihm angegliedert. Der bayerische
Luftschiffertrupp gründete die feste Wetterstation Maubeuge, die
Operationsabteilung der Obersten Heeresleitung eine gleiche in Ostende und eine
weitere sogar für ihre eigenen Zwecke. Damit war das Rückgrat
für die Entwicklung des Wetterdienstes geschaffen. Aber die Versorgung
der Feldstationen aus der Heimat wurde schwierig; die großen
räumlichen Entfernungen, besonders im Osten, lockerten den
Zusammenhang mit der heimatlichen Zentrale.
Anfang 1915 eröffnete sich dem Wetterdienst ein neues, weites
Arbeitsgebiet. Die Verwendung giftiger Gase als Kampfmittel war besonders von
Witterungseinflüssen und Windrichtungen abhängig. Für
Versuchszwecke wurde die Feldwetterstation 2 des Armeeoberkommandos 4
freigemacht, der von anderen Verbänden die notwendigen
Fachmänner und Instrumente gestellt wurden. Die ersten gelungenen
Gasangriffe sind nicht zum geringen Teil Erfolge des Wetterdienstes.
Bis Februar 1915 waren 14 Stationen geschaffen. Die letzten
Neugründungen trugen besonders den klimatologischen
Verhältnissen in den Vogesen bei den Armeegruppen Gaede und
Falkenhausen Rechnung. Die fortdauernde Entwicklung verlangte auch hier
Zusammenfassung in einer Hand an der Front.
Neuorganisation der Flieger-,
Luftschiffer- und Wetterdienstformationen.
Die bei allen Teilwaffen der Luftstreitkräfte aufgetretenen Mängel
suchte man Anfang 1915 durch Schaffung einer zentralen Feldstelle zu beseitigen.
Eile tat not, da das feindliche Übergewicht auszugleichen war. Doch
verstrichen kostbare zweieinhalb Monate, ehe der entsprechende Antrag der
Obersten Heeresleitung vom Kriegsministerium in die Tat umgesetzt war. Am 11.
März trat an die Spitze des gesamten Flieger- und Luftschifferwesens ein
Feldflugchef. Nur die Flugabwehrformationen standen noch mit einem eigenen
Front- und Heimatinspekteur außerhalb dieses Rahmens. Gleichzeitig
erfolgte auch die notwendige Trennung der beiden
Luftfahrt-Inspektionen von der der Verkehrstruppen.
Mit starker Hand und klarem Willen griff der neuernannte Feldflugchef, Major
Thomsen, jetzt in den Lauf der Dinge ein. Der spätere Inspekteur der
Flieger schrieb hierüber nach Kriegsende: "Improvisation wich planvollem
Auf- [565] bau. Unklare
Zukunftsabsichten wurden in ein durchdachtes Programm festgefügt, ohne
indes organisatorische Entwicklungsmöglichkeiten und die Technik zu
hemmen." Die der Lösung harrenden Aufgaben waren in der Tat schwer
und umfangreich. Organisatorisch galt es, das lose Frontgefüge zu festigen
und mit der Heimat in reibungslosen Zusammenhang zu bringen. Taktisch waren
die Fragen des Einsatzes und der sachgemäßen Verwendung der
wenigen Verbände zu klären unter Verarbeitung bisher gemachter
Fronterfahrungen. Technisch waren die Mittel zu finden, namentlich die Flieger
auf die vom Gegner erreichte Höhe zu bringen. Diese vielseitigen Aufgaben
gipfelten in den Worten: Kampfflugzeug,6
Kampfeinsitzer, F. T.-Gerät zur Nachrichtenübermittlung,
Bewaffnung, Nachschub, Bauprogramm.
Die Festigung der Front und die taktischen Einsatzfragen waren durch die bisher
bei den meisten Armeeoberkommandos provisorisch geschaffene Stelle eines
Stabsoffiziers der Fliegertruppen schon vorbereitet. Sie wurden im März
etatisiert und grundsätzlich jeder Armee zugeteilt. Ihre Berichte liefen nun
zu der Zentralstelle, wo sie die Grundlagen für neue Richtlinien des
Einsatzes, Ausbaus und der Versorgung bilden konnten. Die geregelte
Zuführung aus der Heimat, die nun einen Überblick über den
Bedarf gewann, und sorgsame, der Kriegslage entsprechende Verteilung von
Personal und Gerät auf die Front waren damit gewährleistet.
Die technischen Forderungen mußte die Inspektion in engstem
Zusammenarbeiten mit der heimischen Industrie und Wissenschaft lösen.
Der Erfolg zeigte sich bald: In der Konstruktion eines brauchbaren,
kampfkräftigen Beobachtungs-(C)Flugzeuges, in der
Einführung funkentelegraphischen Geräts, eines leichten,
luftgekühlten Maschinengewehrs, in der Vervollkommnung von
Abwurfmunition, Abwurf- und Zielvorrichtungen, in einer ungeahnten
Entwicklung des Lichtbildwesens und im Bau eines lediglich für
Luftkampfzwecke bestimmten Einsitzers, schließlich in der Bereitstellung
des genügenden Personals und Materials zur Ergänzung der
bestehenden und Aufstellung neuer Verbände. Es mindert die Leistungen
des neuernannten Feldflugchefs nicht, daß die Lösung dieser
riesenhaften Aufgaben zum guten Teil der bisherigen heimatlichen Inspektion
zuzuerkennen ist, deren rastlose Tätigkeit sich erst jetzt, trefflich von der
Fachindustrie unterstützt, auszuwirken begann.
Im Luftschiffer- und Wetterdienst trat zunächst keine wesentliche
Änderung ein. Abteilungen und Stationen fanden in dem entsprechenden
Referenten des Feldflugchefs die Feldzentralen, die ihre Bedürfnisse und
rechtzeitige Belieferung sicherstellten. Eine ähnliche Organisation, wie sie
für die Fliegertruppe skizziert ist, sollte auch später im
Flugabwehrdienst und Heimatluftschutz notwendig werden.
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