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Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg

Abschnitt: Der Gaskrieg   (Forts.)
Hauptmann Hermann Geyer

3. Allgemeines über Entwicklung und Wesen.

Die heftigen Einwände gegen den Gaskrieg aus angeblich moralischen und völkerrechtlichen Gründen haben auf seine Entwicklung zweifellos schädigend gewirkt. Die rein materielle Wirkung der Gaskampfstoffe war in mancher Beziehung geringer als die anderer Kampfmittel. Daß der Gaskrieg trotzdem sich so weitgehend durchsetzte, beweist seine große militärische Bedeutung.

In der Tat ließ sich vieles durch Gas mit Einsatz geringerer Mittel, mit geringeren Verlusten und oft rascher erreichen, als bei Verwendung anderer Kampfmittel, wenn auch übertriebene Hoffnungen von Phantasten und Unkundigen natürlich scheitern mußten. Freilich hat sich diese Erkenntnis nur langsam angebahnt. Die Widerstände, die allem Neuen und Fremdartigen entgegengebracht zu werden pflegen, hat auch das Gas als Kampfmittel in vollem Umfange zu überwinden gehabt, um so mehr, als es keineswegs als fertiges Kriegsmittel an die Front gebracht werden konnte.

In den Jahren 1914 und 1915 trat das Gas als völlige Neuerscheinung in das Bewußtsein der Kämpfenden. Seine Handhabung im Angriff wie die Abwehr mußten ganz neu erlernt werden. Auch das Mittel selbst war fortgesetzten Änderungen unterworfen. Allerlei Kinderkrankheiten waren zu überwinden.

Man hat daraus gefolgert, daß es besser gewesen wäre, das neue Mittel zuerst genauer zu erproben, ehe es an die Front gebracht wurde, und es dann erst mit voller Energie einzusetzen.

Es mag sein, daß da und dort längere Erprobung in der Heimat oder hinter der Front nützlich gewesen wäre. Man darf aber nicht übersehen, daß manche Erfahrungen nur durch die Truppe, die das Gas handhaben und ausnutzen sollte, und am Feinde selbst gemacht werden konnten. Volle Verwertung des neuen Mittels konnte nur erwartet werden, wenn Truppe und Führung in sein Wesen eingedrungen waren und Verständnis und Vertrauen dafür gewonnen hatten. Dazu genügten Erprobungen hinter der Front nicht. Schwieriger noch als die Erprobung des Mittels war die Erziehung der Truppe zu seinem Gebrauch. Man hat alles versucht, um die Kenntnis des Gaskrieges im Heere auszubreiten. Da man aber nicht das ganze Heer auf Übungsplätze schicken konnte, um ihn zu erlernen, dauerte dies länger, als erwünscht war.

Vor allem aber darf man nicht verkennen, daß das Wesen des neuen Mittels einen Abschluß der Anwendungsform nicht gestattete. Denn der Gaskrieg bestand [493] eben in dem fortgesetzten Suchen und Finden neuer Kampfstoffe, in fortgesetzter Änderung der technischen und taktischen Methoden. Er war ein immer wechselnder Kampf zwischen Kampfstoff und Schutzmittel, ähnlich wie er zwischen Geschoß und Beton oder Panzer sich abspielt. Nur daß die Bilder schneller wechselten, der Überraschung mehr Gelegenheit gegeben war. Was heute gut war, konnte morgen fast wertlos sein. Es galt, schnell zuzufassen und zu pflücken, was reif war. Richtige Beurteilung und Anwendung des Gases erforderte hervorragende militärische Eigenschaften: Große Anpassungsfähigkeit, schnellen Entschluß, Abkehr vom Schema.

Durch schriftliche und mündliche Anweisungen und Belehrungen, Vorträge, Lehrkurse und Übungen ist bei allen Heeren versucht worden, das richtige Verständnis für den Gaskrieg zu verbreiten, um den vollen Nutzen aus dem neuen Kampfmittel herauszuholen und Schaden abzuwehren. Trotzdem muß festgestellt werden, daß der Charakter des Gaskrieges vielfach nicht schnell genug erkannt worden ist. Mancher mögliche Erfolg blieb ungenutzt, mancher vermeidbare Schaden trat ein. Falsch aber wäre es, daraus zu weit gehende, absprechende Urteile ableiten zu wollen. Der Krieg ist nun einmal das Gebiet der Fehler. Das theoretisch Mögliche pflegt in ihm am wenigsten erreicht zu werden. Das deutsche Heer, Führer wie Truppe, darf trotz allem den Anspruch erheben, in der Anwendung der Gaswaffe wie in der Gasabwehr dem Gegner dauernd überlegen gewesen zu sein.

Auf deutscher Seile gebührt das überragende Verdienst für die Entwicklung des Gaskrieges der erst im Kriege gebildeten Chemischen Abteilung des Preußischen Kriegsministeriums unter Leitung des Geheimen Regierungsrats und Hauptmanns der Landwehr Haber, der stets in vorbildlicher Fühlung mit der Obersten Heeresleitung und der Truppe wie mit allen Heimatsstellen stand und die Bedürfnisse des Feldheeres ebenso richtig zu erkennen wußte wie die Möglichkeiten, die die Heimat bot. Die Chemische Abteilung war unermüdlich in Versuchen und immer anregend mit neuen technischen und taktischen Vorschlägen für Gasverwendung wie für Gasabwehr. Auch dadurch, daß sie die zu erwartenden feindlichen Maßnahmen stets richtig vorausschauend beurteilte und Gegenmittel rechtzeitig bereitstellte, hat sie dem deutschen Heere außerordentlich genützt.

Von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der deutschen Maßnahmen auf dem Gebiete des Gaskrieges war, daß der Chemischen Abteilung des Preußischen Kriegsministeriums in allen Gasfragen an der Front wie in der Heimat eine maßgebende technische Stimme gewährt, diese Abteilung selbst aber auf einem kleinen Personenstand erhalten wurde. Dadurch entstand bei erheblicher Freiheit der beteiligten anderen Dienststellen in Einzelheiten ein großer, einheitlicher Zug im Gaswesen, der Bedürfnis und Erfindungsarbeit, Anforderung und Bereitstellung, Kampf- und Abwehrfortschritte, wissenschaftliche Kenntnis der Stoffe und militärische Vorschriften für ihren Gebrauch auf das richtige Schrittmaß abstimmte. [494] Darauf beruhte der Gewinn des zeitlichen Vorsprungs gegenüber den Gegnern, die in allen Rohstofffragen und in vielen Fabrikationszweigen ungleich freier sich bewegen konnten.

Die ersten deutschen Gasversuche im Oktober 1914 hatten auf unmittelbare Anregung der Obersten Heeresleitung in Wahn stattgefunden. Nach Bildung der Chemischen Abteilung wurden sie auf Plätze verlegt, die der Zentrale näher lagen. In der letzten Zeit des Krieges wurde ein eigener Gasübungsplatz bei Breloh eingerichtet.

Welche gewaltige Rolle die Gasfertigung am Ende des Krieges spielte, sei nur an einer Zahl dargetan. Ende des Krieges wurde mehr als ein Viertel der gesamten deutschen Artilleriemunition als Gasmunition hergestellt. Die Forderungen der Front konnten selbst damit noch nicht voll befriedigt werden. Danebenher ging noch der übrige Gasbedarf z. B. für Gaswerfer, der auch nicht unbeträchtlich war.

Der Weltkrieg hat verschiedene Formen des Gaskrieges zur Entwicklung gebracht. Zum Abschuß ist keine gelangt. Einige allgemeine Bemerkungen über das Wesen des Gaskrieges erscheinen daher angebracht.

Gaswirkung wurde erstrebt, indem man entweder aus Geschützen, Minenwerfern, Gaswerfern und dgl. eine entsprechende Menge von Geschossen verfeuerte, die am Ziel die für den Zweck nötige Gaswolke erzeugen sollten, oder indem man aus irgendwelchen Gefäßen (Flaschen) von der eigenen Stellung aus das Gas ausblasen und mit dem Wind über die feindliche Stellung treiben ließ. In beiden Fällen wollte man nicht mit unmittelbaren Treffern gegen ein naturgemäß meist sehr kleines Ziel wirken, sondern mit einer Wolke, die einen weit größeren Raum erfüllte. Die Wirkung war nicht begrenzt auf die kurzen Augenblicke der Detonation, sondern erhielt mit der Bildung der Wolke eine gewisse Dauer, so lange nämlich, als die Wolke dicht genug blieb.

Der Beginn der Wirkung konnte entweder überfallartig erstrebt werden, indem man das Ziel überraschend mit einer genügenden Menge von Gas überflutete, oder sie konnte allmählich erzeugt und für eine gewisse Dauer erhalten werden, indem man das Ziel fortlaufend unter Gas hielt.

Für das Gasschießen selbst war wichtig, daß in der Regel geringere Treffgenauigkeit als beim Splitterschießen erfordert wurde, da man kein eng begrenztes Ziel unmittelbar treffen wollte, sondern eine Fläche von einer gewissen Ausdehnung zu vergasen hatte. Das vereinfachte das Schießverfahren.

Anfänglich, solange der Gegner keinen oder nur schlechten Gasschutz hatte, genügten verhältnismäßig geringe Gasmengen zur Wirkung. Auch die Schärfe und Dichte des Gases konnte gering sein. Oft wirkte schon der moralische Eindruck.

Allmählich aber lernte man die Abwehr. Der Gasschutz vervollkommnete [495] sich, der Schrecken verlor sich. Mehr und stärkeres Gas mußte angewendet, verwickeltere technische und taktische Verfahren eingeführt werden.

Dies stellte erhöhte Ansprüche an Führung und Truppe und trug nicht zur Beliebtheit des Gaskrieges bei. Man bewegte sich lieber in gewohnten Gleisen.

Es ergab sich aber mit zwingender Notwendigkeit aus der Natur des Gaskrieges: Blieb man aus Schwerfälligkeit, aus Abneigung oder aus anderen Gründen zurück, so ließ man sich entweder Erfolge entgehen oder lief Gefahr, überraschend Schaden zu erleiden. Der Stein war im Rollen. Wer führte, hatte die besseren Aussichten.

Die im Kriege verwendeten Gase wirkten teils auf die Augen, indem sie Tränen verursachten, teils auf Nasen- und Rachenschleimhäute, indem sie zum Niesen und Husten reizten. Andere griffen auch die Lungen an und riefen Gefühle der Schwäche und Beklemmung hervor. Der 1917 eingeführte deutsche Gelbkreuzstoff2 wirkte sogar auf alle nicht geschützten Teile der Haut, selbst durch Kleider und Stiefel hindurch, ein und führte mehr oder weniger schwere Gewebezerstörungen, ja sogar vorübergehende Blindheit durch Angriff gegen die Hornhaut des Auges herbei.

War das Gas leicht wahrnehmbar, so war die Abwehr im Grundsatz verhältnismäßig einfach. Zweckmäßige Durchführung der Gasabwehr stellte allerdings in der Praxis ganz erhebliche Anforderungen. Je weniger diesen entsprochen wurde, desto größere Erfolge erzielte das Gas.

Schwieriger wurde die Abwehr, wenn das Gas gar nicht oder kaum wahrnehmbar war. Der erste kaum wahrnehmbare Gaskampfstoff war der deutsche Gelbkreuzstoff. Die Entwicklung von Angriff und Abwehr bei Verwendung solcher Stoffe steckte beim Abschluß des Krieges noch in den Anfängen.

Für die Wirkung eines Gasbeschusses spielte ferner die Flüchtigkeit des Gases eine große Rolle. Es gab Gase, die tagelang im Gelände oder in den Kleidern oder in geschlossenen Räumen (Unterständen) nachwirkten, und andere, deren Wirkungsdauer auf Minuten beschränkt war. Einzelne Gase verloren ihre Wirkung durch Regen, andere durch Sonnenbestrahlung oder durch Kälte. Wieder andere entwickelten ihre volle Wirkung nur bei bestimmter Temperatur und gewissen Feuchtigkeitsgraden der Luft. Dazu kamen Einflüsse des Geländes (geneigtes oder ebenes Gelände), der Bodenbewachsung (Wald, Gras, Sand usw.), des Windes (horizontale und vertikale Luftströmung). Auch die Tageszeit war zu beachten.

Über alle diese theoretischen Gesichtspunkte mußte man sich ein Bild machen, wenn man ein Gasunternehmen anlegte. Für die praktische Verwendung am [496] lästigsten war die starke Abhängigkeit des Gases von Wind und Wetter. Außerdem waren natürlich Feststellung und Beurteilung des Zieles und des Zielraumes nötig.

Die Wirkung hing letzten Endes davon ab, ob es gelang, zur rechten Zeit die erforderliche Gasdichte am Ziel zu erzeugen. Die Berechnung der Gasdichte am Ziel war somit bei allen Gasunternehmungen das entscheidende Problem.

Diese Berechnung war natürlich je nach den Verhältnissen sehr verschieden. Sie erschien oft umständlich und für den Laien verwirrend, obwohl sie in Wirklichkeit gar nicht so schwierig war. Aber der Soldat gibt sich, seiner ganzen Geistesrichtung nach, nicht gern mit solchen angeblich gelehrten Dingen ab.

Man versteht, daß auch diese Momente dazu beitrugen, daß der Gaskrieg nur langsam sich Anerkennung erwerben konnte. So sehr auch die für die taktischen Vorschriften der Gasverwendung verantwortlichen Stellen sich mühen mochten, alles auf möglichst einfache und leicht verständliche Bedingungen für die praktische Anwendung zurückzuführen, eine gewisse Schwerfälligkeit mußte der Gasverwendung zunächst anhaften. Immerhin konnte auf deutscher Seite der Erfolg gebucht werden, daß gegen Ende des Krieges das Verständnis für den Gaskrieg ernstlich erwacht war und daß durch planvolle, zweckmäßige Anwendung schließlich an vielen Stellen nennenswerte Erfolge erzielt waren, die des Aufwandes wert waren, während die feindlichen Gaserfolge sich in engen Grenzen hielten.


2 [1/495]Die Bezeichnung "Gelbkreuz" ist von den äußeren Merkmalen der Geschosse abgeleitet, ebenso wie "Blaukreuz" und "Grünkreuz". Die entsprechenden Stoffe werden nachstehend im allgemeinen ohne nähere Angabe ihrer chemischen Zusammensetzung einfach als Gelbkreuz usw. bezeichnet werden. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte