Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Der Gaskrieg
(Forts.)
Hauptmann Hermann Geyer
2. Völkerrechtliche
Zulässigkeit.
Die Frage der Urheberschaft des Gaskrieges hat große moralische und
politische Bedeutung gewonnen, seit, wie oben erwähnt, nach dem
deutschen Erfolg bei Ypern plötzlich die schwersten Einwände gegen
die völkerrechtliche Zulässigkeit des Gaskrieges erhoben
wurden.
Die Vorschriften des Völkerrechts hatte man auf deutscher Seite vor Eintritt
in den Gaskrieg im Herbst 1914 und erneut vor der Einführung des
Blasverfahrens sorgfältig geprüft. Der deutsche Standpunkt war
hierbei als verhältnismäßig einfach erkannt worden:
War der Gaskrieg völkerrechtswidrig, so konnte Deutschland keinesfalls
dafür getadelt werden, daß es ihn auch seinerseits aufnahm; die
deutschen Maßnahmen waren eine völkerrechtlich unanfechtbare
Gegenmaßnahme. War der Gaskrieg aber nicht völkerrechtswidrig, so
entfiel selbstverständlich jedes Recht, gegen Deutschland im Namen des
Völkerrechts Anklagen zu erheben.
Daß trotz dieser klaren Sachlage der Gaskrieg eine der stärksten
Stützen des moralischen Feldzuges gegen Deutschland werden konnte, ist
nur verständlich, wenn man sich erinnert, wie rücksichtslos die
Gegner in diesem Krieg jedes Mittel der Lüge und Verleumdung gegen
Deutschland anwandten und wie wenig diese Art der Kriegführung auf
deutscher Seite verstanden wurde.
Inwiefern konnten aber überhaupt auf Grund des Völkerrechts
Einwände gegen den Gaskrieg vorgebracht werden? Es erscheint
nötig, kurz darauf einzugehen.
Die Haager Erklärung vom 28. Juli 1899 und das Haager Abkommen
betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges vom 18. Oktober
1907 sind die einschlägigen Vorschriften des internationalen Rechts. Sie
enthalten drei hier anzuführende Verbote, nämlich:
- Das Verbot der "Anwendung von Giften und vergifteten
Waffen",
- das Verbot, "solche Geschosse zu verwenden, deren einziger Zweck es ist,
giftige (erstickende oder todbringende) Gase zu verbreiten",
- das Verbot des "Gebrauchs von Waffen, Geschossen oder Stoffen, die
geeignet sind, unnötige Leiden zu schaffen".
[491] Auf
französischer wie auf deutscher Seite ist die Rechtsauffassung anerkannt,
daß das allgemeine erste Verbot die Gaskampfstoffe nicht erfaßte,
sondern lediglich die Brunnenvergiftung und Giftpfeile der wilden Völker,
sowie ähnliche durch vergiftete Geschosse, Geschoßsplitter,
Säbel, Lanzen usw. oder durch die Nahrung dem Feinde
beigebrachte Gifte treffen sollte. Die übereinstimmende Meinung der
Völkerrechtslehrer gründet sich darauf, daß das zweite Verbot
sicher nicht erlassen worden wäre, wenn das allgemeinere erste denselben
Gegenstand bereits mit erfaßt hätte.
Geht man auf eine Untersuchung des zweiten Verbots ein, so findet man,
daß seine Verletzung in keinem Falle von deutscher Seite ausgegangen ist.
Zum vollen Verständnis dieses Punktes ist der französischen
Auffassung zu gedenken, die Gaskampfstoffe mit vorwiegender Reizwirkung (im
Gegensatz zur Giftwirkung) als nicht den Bestimmungen der Haager
Abmachungen unterworfen ansieht, sondern ihre Verwendung für
völlig frei erklärt. Läßt man diese Auffassung gelten, so
sind die ersten dem Verbot widersprechenden Geschosse die französischen
Phosgengranaten im Frühjahr 1916 gewesen, weil sie erstmals einen
Gaskampfstoff mit überwiegender Giftigkeit in Geschoßform
enthielten. Erkennt man aber die doch recht künstliche Unterscheidung
zwischen erlaubten Gaskampfstoffen mit überwiegender Reizwirkung und
verbotenen mit überwiegender Giftwirkung nicht als berechtigt an, so sind
die Franzosen der Verletzung des Verbots, Gaskampfstoffe zu verwenden,
schuldig, weil sie bereits mit Gaskampfwaffen in den Krieg gezogen sind. Die
deutschen Gegenmaßnahmen waren dann völkerrechtlich erlaubt.
Für die Allgemeinheit sind diese mehr formaljuristischen Beurteilungen
niemals maßgebend gewesen. Wer den Gaskrieg und seine Urheber
verurteilte, kam im allgemeinen zu seinem Urteil auf Grund von
Gedankengängen, die an das dritte Verbot anknüpften. Man glaubte,
die Gaskampfstoffe seien besonders grausame Kampfmittel, sie seien "geeignet,
unnötige Leiden zu schaffen".
Hierzu ist folgendes zu sagen:
Gewiß sind die Leiden der Gaskranken schauerlich anzusehen. Sie sind aber
weder schwerer noch gefährlicher noch schmerzhafter als bei anderen
Kriegsverletzungen. Im Gegenteil! Die Sanitätsstatistik weist ein
wesentlich günstigeres Verhältnis zwischen Gaskranken und
Gastoten auf als zwischen anderen Verwundeten und Toten. Die Heilerfolge sind
bei Gaserkrankungen ganz wesentlich besser, dauernde Schäden
verhältnismäßig selten.
Das ist leicht erklärlich. Der Eindruck einer Neuerscheinung ist wesentlich
durch die Fremdartigkeit bestimmt. Tradition und Erziehung hatten die Truppe
gegen furchtbare Kriegswirkungen, wie z. B. gegen die Wirkung der
Brisanzgranate, abgehärtet, gegen Gasverletzungen aber empfanden viele
das Grauen der Kinder vor dem schwarzen Mann. In Wirklichkeit berechtigt
nichts dazu, den Gaskrieg für grausamer und unmenschlicher zu halten als
irgendeine andere Art der Kriegführung.
[492] Im ganzen ergibt sich
somit zur Frage der völkerrechtlichen Zulässigkeit des
Gaskrieges:
Die Verletzung formaler Bestimmungen, wenn man eine solche überhaupt
anerkennt, fällt keinesfalls Deutschland zur Last. Die im Namen der
Menschlichkeit gegen den Gaskrieg erhobenen Einwände aber sind
völlig haltlos.
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