Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
Kapitel 7: Der Krieg im
Osten 1917/18 (Forts.)
Oberstleutnant Hans Garcke
12. Die Ereignisse im Sommer und Herbst
1918.
Durch die Besetzung der Ukraine und der baltischen Provinzen sowie durch die
deutsche Stellung in Finnland war die Macht der
Sowjet-Regierung erheblich geschwächt. Im Laufe des Sommers wurde ihre
Lage immer schwieriger. Gleichzeitig mit dem Verfall im Innern Rußlands
riß sich ein Landesteil nach dem anderen von dem Riesenreiche los, teils
aus eigenem Entschluß, teils unter fremdem Einfluß. Im Norden, an
der Murman-Bahn und dann auch an der Dwina, südlich Archangelsk,
bildete sich allmählich eine Art Kolonie der Entente. [342] Im Süden
erklärten sich weite Gebiete am Don und beiderseits des Kaukasus
selbständig. Die Don-Kosaken, die in ihrem Kampf gegen die
Sowjet-Truppen jetzt von General Krasnow geführt wurden, unterhielten
Beziehungen zu den Deutschen. Weiter südlich kämpfte die unter
englischem Einfluß stehende Freiwilligen-Armee des Generals Alexejew
ebenfalls gegen die Bolschewisten. Von Persien her gingen die Engländer
nach Norden vor und nahmen Anfang August Baku, in das später Nouri,
der Bruder Envers, mit türkischen Truppen eindrang. Tiflis, die Hauptstadt
der georgischen Republik, sowie die Bahn
Batum - Tiflis - Baku wurden von deutschen Abteilungen
besetzt, die die wirtschaftliche Nutzbarmachung des Landes sicherzustellen
hatten. In Sibirien verlor die Petersburger Regierung jede Macht. Japaner,
Amerikaner und Engländer drangen vom Fernen Osten nach dem
europäischen Rußland vor und brachten die sibirische Bahn in ihre
Hand. Die tschecho-slowakischen Truppenverbände, die die Entente aus
österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen gebildet hatte, sollten
eigentlich über Sibirien abbefördert und auf den französischen
Kriegsschauplatz gebracht werden. Als die Ententemächte aber erkannten,
daß sie mit der russischen Räte-Regierung nicht zusammenarbeiten
konnten, nahmen sie offen gegen sie Stellung, hielten die
Tschecho-Slowaken an und ließen sie vom Ural her über Samara in
Richtung auf Moskau vorgehen. So geschwächt und von allen Seiten
bedrängt, war Groß-Rußland in absehbarer Zeit nicht in der
Lage, die Waffen gegen Deutschland wieder zu ergreifen.
Rumänien hatte am 7. Mai 1918 den Friedensvertrag von Bukarest
unterschrieben, nach dem es acht Divisionen auflösen und einen Teil
seines Kriegsgeräts den deutschen und verbündeten Truppen zur
Bewachung übergeben mußte. Der Ratifikation wich es aus. Solange
aber die anderen Fronten der Mittelmächte gehalten wurden, war es ihm
unmöglich, den Kampf gegen sie wiederaufzunehmen.
Durch die deutschen Siege war also die Blockade im Osten durchbrochen; die
Sorge, daß eine neue feindliche Front sich dort bildete, war gebannt.
Trotzdem blieb Rußland für die Mittelmächte ein unheilvoller
Feind. Die bolschewistischen Ideen, die von ihm aus in unermüdlicher
Hetzarbeit verbreitet wurden, fanden Eingang bei den in den weiten Gebieten
zerstreuten deutschen und verbündeten Truppen, in den Gefangenenlagern
Sibiriens und des europäischen Rußlands, in der Heimat und in den
Etappengebieten und untergruben schließlich den Kampfwillen und die
Widerstandskraft von Volk und Heer.
Nach dem Zusammenbruch der bulgarischen Front wurde das Oberkommando Scholtz nach Rumänien verlegt, um unter der Heeresgruppe Mackensen den
Donau-Schutz zu leiten. Aus dem Kaukasus und der Ukraine kamen
Verstärkungen dorthin. Es machte sich jetzt aber fühlbar, daß
erhebliche Teile des rumänischen Heeres bestehen geblieben und nicht
entwaffnet worden waren. Als die Entente im November, kurz vor dem
Waffenstillstand, Truppen von Bul- [343] garien her über
die Donau gehen ließ, trat Rumänien wieder offen auf ihre Seite und
stellte dem Oberkommando Mackensen ein kurzfristiges Ultimatum zur
Räumung der Walachei. Es wurde nicht beantwortet, hatte aber zur Folge,
daß der für den 12. November beschlossene Abmarsch bereits am 10.
abends angetreten wurde.
Der Ausbruch der Revolution in Deutschland untergrub bei den vielfach bereits
bolschewistisch verseuchten Truppen derart die Manneszucht, daß es nicht
gelang, nach Eintritt des Waffenstillstandes das Ostheer aus den weiten, besetzten
Gebieten glatt und ordnungsmäßig zurückzuführen.
Teile der am Schwarzen Meer liegenden Verbände kamen auf den
ukrainischen Bahnen, deren Sicherungen den Angriffen feindlicher Banden nicht
standhielten, nicht fort. Sie schifften sich in Nikolajew und in Odessa ein, wurden
in Konstantinopel von der Entente festgehalten und völkerrechtswidrig in
das Gefangenenlager von Saloniki geführt.
Bei den düsteren Bildern des Zusammenbruchs und des Rückzuges
darf der Deutsche in seinen Erinnerungen aber nicht stehenbleiben. Trotz dem
unglücklichen Ende muß er mit Stolz auf die ruhmvollen vier
Kriegsjahre zurückblicken, in denen es der Tapferkeit und der Hingabe der
Osttruppen und der Umsicht ihrer Führer gelang, sich gegen die
zahlenmäßig vielfach überlegenen Russen und ihre
Verbündeten siegreich zu behaupten, das stärkste Heer der Welt
durch fortgesetzte Schläge zur Auflösung zu bringen und ihre
Waffen bis an die östlichen Gestade des Schwarzen Meeres, an den Don,
weit über Kiew hinaus, nach Narwa und zur Unterstützung von
Finnlands Freiheitskampf nach Helsingfors und weiter nach Osten und Norden zu
tragen.
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