Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
Kapitel 7: Der Krieg im Osten 1917/18
(Forts.)
Oberstleutnant Hans Garcke
3. Die russische Revolution.
Der Durchbruchsversuch an der Aa war die letzte größere
Kraftanstrengung des kaiserlichen Rußland gegen die deutsche Ostfront.
Trotz zunehmender Kriegsunlust im russischen Volk und Heer wurden im Laufe
der nächsten Wochen die Grabenkämpfe in der üblichen
Weise fortgesetzt, doch traten nirgends wesentliche Änderungen in den
beiderseitigen Stellungen ein.
Mitte März brach, überraschend für die deutsche
Heeresleitung, in Rußland die Revolution aus. Die
Zaren-Herrschaft hörte auf zu bestehen.
Einen durchgreifenden Einfluß auf die Stimmung des russischen Heeres
übte die Umwälzung zunächst noch nicht aus. Die neue
Regierung, aus bürgerlichen und rechtssozialistischen Elementen
zusammengesetzt und von der Entente nachdrücklich unterstützt,
wünschte zwar einen Frieden "ohne Annexionen und
Entschädigungen", aber auch einen Frieden "ohne Niederlage" und
verkündete daher [297] die Fortsetzung des
Krieges mit aller Energie als nationale Pflicht der russischen Republik.
Die Führer behielten ihre Truppen noch in der Hand. Dies zeigte sich in
zahlreichen russischen Patrouillenunternehmungen und in der regen
Tätigkeit der Artillerie. Die Bildung neuer Divisionen durch Herabsetzung
der Infanterie-Regimentsstärken von vier auf drei Bataillone, die vor
einigen Monaten im Heere des Zaren begonnen hatte, wurde
planmäßig fortgesetzt. Eine größere Zahl von ihnen
löste alte Divisionen in der Front ab und ermöglichte dadurch die
Bildung von stärkeren Heeresreserven.
Eine sofortige Erleichterung für die deutsche Ostfront wurde also mit dem
Ausbruch der Revolution nicht fühlbar. Allmählich mußte aber
doch eine Schwächung des allgemeinen Kampfwertes bei der russischen
Armee mit Naturnotwendigkeit eintreten, seitdem die anerkannte Autorität
des Zaren nicht mehr vorhanden war.
Deutscherseits unterließ man den Versuch, jetzt durch einen kraftvollen
Stoß unter Heranführung von Reserven anderer
Kriegsschauplätze die russische Front zum Zusammenbruch zu bringen;
man befürchtete, dadurch die innere Zersetzung Rußlands
aufzuhalten und seinen nationalen Willen neu zu beleben. Man zog es vor, sich
auf die Abwehr zu beschränken und durch eifrige Propaganda die
Friedenssehnsucht beim Gegner zu stärken. Größere Angriffe
waren überdies seit Ende März in vielen Frontabschnitten durch das
infolge der Schneeschmelze eingetretene Hochwasser ausgeschlossen.
Bei der Heeresgruppe Linsingen
aber wurde am 3. April von deutschen und
österreichisch-ungarischen Truppen nach sorgfältiger Vorbereitung
in glänzend durchgeführtem Stoß noch der Brückenkopf
von Toboly am Stochod genommen, der seit den Kämpfen des Jahres 1916
in russischer Hand geblieben war. Da der aus den Ufern getretene Stochod die
zahlreichen Brücken zerstört hatte, gelang es bei dem schnellen
Vorgehen des Angreifers den Russen nicht, Menschen und Gerät rechtzeitig
zurückzubringen. 130 Offiziere und über 9500 Mann wurden
gefangen, während die Verluste der Deutschen und ihrer
Verbündeten nur gering waren. - Mit Rücksicht auf die
politischen Ziele der deutschen Regierung wurde auf ihren besonderen Wunsch in
der Presse diese für die beteiligten Truppen so ruhmvolle Unternehmung
möglichst wenig erwähnt.
Allmählich schlief nun in einzelnen Frontabschnitten die
Kampftätigkeit ein. Bei der feindlichen Infanterie trat das Bestreben hervor,
mit den Truppen der Mittelmächte Verhandlungen von Graben zu Graben
anzuknüpfen. Die russische Artillerie allerdings, bei der die Disziplin am
festesten blieb, suchte durch rücksichtsloses Feuer auf die eigenen Truppen
die Annäherungsversuche zu vereiteln.
Mitte April hatten die zwischen den beiderseitigen Truppen geführten
Verhandlungen an vielen Stellen schon eine stillschweigende Waffenruhe
ergeben. Von den Entente-Mächten, die zahlreiche Offiziere, zum Teil in
russischen Uni- [298] formen, zum russischen
Heere kommandiert hatten, und von den von ihnen gewonnenen höheren
russischen Führern wurde den Verbrüderungsversuchen mit allen
Mitteln entgegengearbeitet. Es gelang der Führung im Lauf des Monats Mai
allmählich, die Truppen wieder mehr in die Hand zu bekommen. Die
Artillerietätigkeit erreichte im allgemeinen wieder den früheren
Umfang. Die Infanterie nahm in vielen Abschnitten wieder eine feindliche
Haltung an. Ihre Kampfleistungen beschränkten sich allerdings
vorläufig auf vereinzelte Vorstöße kleiner Abteilungen; Ende
Mai und im Lauf des Juni aber gewann man deutscherseits immer mehr den
Eindruck, daß in verschiedenen Frontabschnitten größere
feindliche Angriffe vorbereitet würden.
Der Revolutionsheld Kerenski, zum Kriegsminister mit diktatorischer Vollmacht
ernannt, war mit Feuereifer daran gegangen, das Heer aus der Untätigkeit
aufzurütteln und zum entscheidenden Kampfe gegen den
äußeren Feind aufzurufen. Monarchistische und revolutionäre
Offiziere wetteiferten in den Vorbereitungen zum neuen
Angriff - die einen in der Hoffnung, nach dem Kriege die
Zaren-Herrschaft wiederaufzurichten, die andern in der Überzeugung,
daß der Sieg die Revolution befestigen würde. Zum Oberbefehlshaber
der gesamten Streitkräfte wurde Anfang Juli der durch seine
glänzenden Erfolge im Sommer 1916 volkstümlich gewordene
General Brussilow ernannt.
|