Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
Kapitel 5: Der deutsch-österreichische
Feldzug
in Italien (12. Isonzo-Schlacht) (Forts.)
Oberst Theodor Jochim
[249] 3. Die Krisis am
Tagliamento.
Von vornherein hatte sich das Armee-Oberkommando 14 nicht mit dem eng
gesteckten Ziele der österreichischen Heeresleitung befreunden
können, weil es eine wirksame Abhilfe der italienischen Gefahr nicht
bedeuten konnte. Der Feind mußte vielmehr vernichtet oder doch
wenigstens so geschwächt werden, daß er fürs erste
außerstande war, wieder anzugreifen. Gelang der Durchbruch über
den Isonzo, so mußte man, mit dem rechten Flügel längs des
Nordrandes der Ebene, in unablässiger Verfolgung weit über den
Tagliamento nachstoßen. Dann rollte man nicht nur die gegen
Kärnten und Tirol stehende italienische Nordfront auf und schnitt sie
größtenteils ab, sondern kam auch in überholender Verfolgung
der im Süden vor den beiden k. u. k.
Isonzo-Armeen zurückweichenden italienischen 3. Armee in dem sich nach
Treviso zu verengenden Gelände zwischen dem Gebirge und der
lagunenreichen Küste zuvor, stellte ihre unter dem Einfluß des eiligen
Rückzugs in Unordnung geratenen Verbände und vernichtete sie
oder warf sie ins Meer. Drängten die Österreicher kräftig nach,
faßten sie fest zu und ließen sie dem Feinde keine Zeit, so war ein
ungeheurer Erfolg sicher. Von vornherein hatten daher General v. Below
und sein Generalstabschef, General Krafft v. Dellmensingen, die Operationen auf
dieser weit vorausschauenden Grundlage aufgebaut. Bei dem jetzt eingetretenen,
über alle Erwartung großen Erfolge wußten beide, daß
die deutsche Oberste Heeresleitung ihnen in der Ausführung ihrer
Pläne keine Hindernisse in den Weg legen würde. Die Armee
erließ daher bereits am 27. Oktober die Befehle zur Gewinnung der
Übergänge über das starke, namentlich in seinem Oberlaufe
viel verästelte Hindernis des Tagliamento. Es galt, den
zurückflutenden Feind noch vor dem Strome zu fassen und zu vernichten
oder den Fluß doch gleichzeitig mit ihm zu überschreiten und ihm
nicht die Zeit zu lassen, sich auf dem jenseitigen Ufer zu neuem Widerstand zu
setzen. Die Marschziele wurden bereits über den Fluß hinaus
angewiesen. So hatte es das Oberkommando jederzeit in der Hand, die
Marschkolonnen der Armee abzudrehen, wohin es die Verhältnisse
erforderten.
Ganz im Sinne des Armeeführers und in richtiger Erkenntnis der Lage zog
General v. Berrer die beiden Divisionen seiner Gruppe trotz der
ungeheueren Anstrengungen des Tages noch in der Nacht durch Cividale durch
und drang mit der 26. Division weiter auf der Straße
Cividale - Udine vor, während die 200. Division
nördlich der Straße über Ziracco angesetzt wurde. Nur das
Reserve-Jäger-Bataillon 6 dieser Division folgte der 26. Division
unmittelbar auf der großen Straße. Etwa halbwegs nach Udine bog die
26. Division in südwestlicher Richtung nach Selvis ab, das
Jäger-Bataillon allein blieb auf der großen Straße im
Vormarsch. Bald stieß es bei Remanzacco auf Feind, der aber nach wenigen
Schüssen wich. Nach einigen Stunden der Ruhe trat das Bataillon wieder
an. Die nur teilweise [250] zerstörte
Brücke über den Torrento Torre konnte das Bataillon nicht aufhalten.
Es erreichte in der Frühe des 28. Oktober die Vorstadt S. Gottardo
von Udine, erhielt nun aber heftiges
Gewehr- und Maschinengewehrfeuer aus den Häusern. Die italienischen
Führer versuchten noch einmal mit den ihnen zur Hand befindlichen
Truppen, einen einheitlichen Widerstand am breiten Lauf des Torrento Torre von
Tarcento im Norden bis südöstlich Udine zu leisten, denn bedrohlich
hatten sich die zurückflutenden Marschkolonnen an den
Übergängen bei Pinzano und Codroipo gestaut und versperrten
bereits mit Geschützen aller Kaliber, mit Kraftwagen und Troß aller
Art die von Osten heranführenden Straßen.
Die mit zahlreichen Maschinengewehren besetzten Häuser von S. Gottardo
mußten einzeln genommen werden, was aber unter geschickter Ausnutzung
des Geländes nach und nach ohne große Verluste gelang. Gegen
Mittag näherte sich der Kampf dem Osttore von Udine, wo der zähe
Widerstand aufhörte. Das Jäger-Bataillon drang in die Stadt ein und
besetzte den Bahnhof, wo es noch zwei unter Dampf stehende
Verpflegungszüge erbeutete. Den ins Innere der Stadt entsandten
Jagdkommandos, die noch durch ein von Norden eindringendes Jagdkommando
des Reserve-Jäger-Bataillons 23 verstärkt wurden, bot sich ein
unbeschreibliches Bild der Verwirrung dar. Haufenweise ergaben sich
plündernde italienische Soldaten. Artillerie- und Trainkolonnen wurden, im
Abmarsch begriffen, ereilt und genommen. Auf Lastkraftwagen
herbeigeführte Reserven ergaben sich auf die ersten
Maschinengewehrschüsse. Der Trubel wurde immer größer,
die Zahl der Gefangenen wuchs ins Beängstigende. Sie erhielten einfach die
Weisung, nach Osten abzumarschieren, ohne daß ihnen Begleitung
mitgegeben werden konnte. Willig folgten sie dem Befehl, froh, dem Kriege
entronnen zu sein. Der größte Teil der Einwohner hatte fluchtartig die
Stadt verlassen, zurückgeblieben waren fast nur die untersten
Bevölkerungsschichten, die sich sogleich mit den versprengten und
hungernden italienischen Soldaten ans Plündern gemacht hatten. Auf den
Straßen lag fußhoch aller möglicher Hausrat, mit
Bekleidungs- und Ausrüstungsstücken, Waffen und Munition aller
Art untermischt. Tage dauerte es, bis endlich wieder einigermaßen Ordnung
geschaffen war.
Nordöstlich Udine warf die über Ziracco - Grions vorgehende 200.
Division den Feind nach heißem Kampfe vom Torrento Torre zurück.
Jetzt aber schwoll der an sich nicht tiefe Wasserlauf infolge starker
Regengüsse, die seit kurzem wieder eingesetzt hatten, plötzlich so
hoch und wild an, daß die noch nicht übergegangenen Truppen zu
einem zeitraubenden Umwege über Salt und Godia gezwungen wurden. Die
dort neu erbaute, nur mit grobem Schotter bedeckte Steinbrücke war durch
den kühnen Handstreich einer Offizierpatrouille des 4. Bayerischen
Chevauleger-Regiments dem Feinde noch rechtzeitig entrissen worden, ehe er sie
sprengen konnte. Die Division erreichte am Abend des 28. mit den
Anfängen Colugna und Rizzi dicht nordwestlich Udine. Massenweise
[251] wurden Kraftwagen,
Kolonnen, Radfahrer und Befehlsüberbringer, die hinter der
Verteidigungsfront des Torrento Torre von und nach
Udine - Gemona verkehrten, abgefangen.
Südöstlich Udine war die 26. Division gleichfalls am Torrento Torre
aufgehalten worden. Aber auch ihr gelang es, den Feind zu werfen und gegen
Abend Udine zu erreichen. Dicht hinter ihr folgte die Gruppe Scotti. So war ein
Tag nach der Einnahme von Cividale auch die Hauptstadt Friauls, der bisherige
Sitz des Hauptquartiers Cadornas, in den Händen der Deutschen und die
neue italienische Verteidigungslinie am Torrento Torre bereits wieder
durchstoßen. Aber auch einen schweren Verlust hatte dieser Tag gebracht.
General v. Berrer, der tatkräftige Führer der gleichnamigen
Gruppe, war gefallen. Wie immer stets vorn, war er auf die unrichtige Meldung,
die 26. Division sei bereits in Udine eingedrungen, am frühen Morgen des
28. Oktober dorthin vorgefahren. Die Warnung des Führers des
Reserve-Jäger-Bataillons 6, daß sich vor ihm weitere deutsche
Truppen nicht befänden, glaubte er als Irrtum auslegen zu müssen
und fuhr nach S. Gottardo hinein. - Die nachfolgenden Jäger
fanden ihn tot auf der Straße wieder.
Auch bei den weiter nördlich vordringenden Gruppen vermochten weder
das schlechte Wetter noch die zahlreichen Bäche und Wasseradern, die in
den breiten Kiesbetten der Flußläufe bei starkem Regen im
Handumdrehen reißende Ströme entstehen ließen, die
vorwärtsdrängende Truppe aufzuhalten. Hatten auch die Fahrzeuge
und Tragtiere nicht so schnell aus dem schwierigen Gebirgsgelände folgen
können, mußten daher die Truppen die Maschinengewehre und
Munition teilweise selbst schleppen, - das hielt sie nicht zurück, und
Verpflegung gab's ja genug in den reichen Dörfern der Ebene. Die 12.
Division hatte am Torrento Torre bei Savorgnano und Primulacco mit
zähem Widerstande der Italiener zu kämpfen, den sie an diesem Tage
nicht zu brechen vermochte. Dagegen erreichte das Alpenkorps unangefochten
Godia, wo der Feind bereits vor der 200. Division zurückgewichen war.
Bei der Gruppe Krauß kämpfte auch am 28. die deutsche
Jäger-Division noch im Resia-Tale bei Resiutta um den Austritt ins
Fella-Tal. Die Edelweiß-Division drang durch das Gebirge
nordöstlich Gemona gegen das Tagliamento-Tal vor. Daran
anschließend erstürmte die k. u. k. 22.
Schützen-Division den befestigten Mt. la Bernadia unweit
nordöstlich Tarcento.
An diesem Tage war auch die k. u. k. 10. Armee auf der ganzen Linie vom
Mt. Paralba (westlich vom Plöcken-Paß) bis Tarvis zum
Angriff geschritten. Auch hier geriet durch das gleichzeitige Vordringen der
Gruppe Krauß in den Rücken der italienischen "Zona carnia"
die feindliche Front ins Wanken. Und strebte die Armee Capello (2. Armee) schon
vollends in zunehmender Auflösung dem Tagliamento zu, so trat nunmehr
auch die italienische 3. Armee in Besorgnis um ihren Rücken den
Rückzug dorthin an.
[252] Der am 27. Oktober
erlassene Befehl des k. u. k. Oberkommandos der Südwestfront wies den
linken Flügel der 14. Armee über Udine nach Codroipo. Für
das Vorgehen der südlich daran anschließenden, aber
zurückgebliebenen Heeresgruppe Boroëvić (2. und 1.
Isonzo-Armee) über die Linie Udine - Cervignano sollten
noch Befehle auf Grund der sich bis dahin ergebenden Lage erfolgen.
Der anbrechende 29. Oktober sah wiederum die ganze 14. Armee im eiligen
Vorwärtsstreben nach dem Tagliamento. Während sich die deutsche
Jäger-Division auf dem rechten Flügel der Gruppe Krauß den
Eintritt ins Fella-Tal bei Resiutta erkämpfte, die
Edelweiß-Division weiter auf Gemona vordrang, erreichte die 22.
Schützen-Division bei Tarcento den hochangeschwollenen Torrento Torre,
dessen Brücke die Italiener gesprengt hatten. Weiter südlich warf die
12. Division der Gruppe Stein den Feind bei Savignano und Primulacco
zurück, stieß aber schon bei Farla und S. Daniele wiederum
auf zähen Widerstand, denn dort mußte der Gegner seinen Kolonnen,
die von allen Seiten der steilen Zugangsstraße zur Brücke bei Pinzano
zustrebten, Zeit zum Abfließen verschaffen. Das Alpenkorps erreichte ohne
weiteren Widerstand mit der Vorhut Silvella.
General v. Hofacker, der nunmehrige Führer der bisherigen Gruppe Berrer,
hatte die 200. und 26. Division gegen die Brücken von Bonzicco und
Codroipo angesetzt. Das schlechte Wetter war wieder lachendem Sonnenschein
gewichen. Siegesfroh eilten die Truppen dem Tagliamento zu. Die
Bevölkerung erkannte, daß sie von den Deutschen nichts zu
fürchten hatte und zeigte sich überall freundlich. Die Truppen hatten
sich Kraftwagen, Fahrzeuge und Zugtiere für den noch
zurückgebliebenen Troß verschafft, auf denen das Gepäck, die
Maschinengewehre und Munition verladen wurden. So ging es rüstig
vorwärts. Die 200. Division erreichte unter leichten Kämpfen
über Plasencis gegen 9 Uhr abends den Tagliamento bei Bonzicco,
S. Odorico und Redenzicco. Bonzicco war besetzt. Man entschloß
sich daher, diesen Ort mit der dahinter liegenden Brücke erst am anderen
Morgen um 5 Uhr nach kurzer Artillerievorbereitung zu stürmen. Die 26.
Division hatte am 29. gleichfalls den Tagliamento bei Turrida und Rivis erreicht.
Weiter östlich fand sie Anschluß an die 5. Division der Gruppe
Scotti, die nordöstlich Codroipo über
Basagliapenta - Orgnano bis südlich Campoformido sicherte.
Etwa 6 bis 7 km südlich von Udine bis zum Torrento Torre stand die
k. u. k. 1. Division der genannten Gruppe, von dort schallte starkes
Feuer nach Udine herüber. Die Flieger hatten aber bisher nur kleine
italienische Abteilungen auf der Straße
Palmanova - Codroipo festgestellt; allerdings wurde ihre
Tätigkeit durch die Witterung erheblich erschwert.
Die Lage der Truppen der 14. Armee südwestlich Udine war recht
gespannt, denn während der ganzen Nacht platzten dauernd abgeschnittene
italienische Abteilungen bis zur Brigadestärke, die über die Lage
vollkommen im [253] unklaren waren, in die
deutschen Stellungen hinein. Fortwährend kam es zu unerwarteten
Zusammenstößen, namentlich bei der 5. Division an der Straße
Campoformido - Codropio, doch ereignete sich nirgends ein
Rückschlag für die Verbündeten.
Das Oberkommando der 14. Armee hatte schon am 28. einen Teil seines Stabes
von Krainburg nach Kneža (nordöstlich St. Luzia)
vorgeschoben, um den Ereignissen möglichst nahe zu sein. Am 29. Oktober
eilte es nach Cividale vor, vielfach durch vorwärtsstrebende Kolonnen in
der Enge von St. Luzia9 aufgehalten. Dadurch ging sehr viel
Zeit verloren, obwohl die Strecke an sich für Personenkraftwagen nicht
allzu weit war. Währenddessen fehlte die Verbindung mit dem
Oberkommando, denn auch die ihm nachgesandten Meldungen blieben gleichfalls
stecken. General v. Hofacker hatte während des Tages durch eigenen
Augenschein festgestellt, daß sich starke Truppenmassen der italienischen
2. Armee vor Codropio dicht zusammendrängten. Die vollständig
versperrte Straße Udine - Campoformido mit ihren
ineinandergefahrenen italienischen Geschützen, Kraftwagen und
Fahrzeugen bot ein beredtes Zeugnis von der Verwirrung des fluchtartigen
Rückzuges der Italiener. Nach der ganzen Lage zu urteilen, mußte
dagegen die italienische 3. Armee noch weiter zurück sein und konnte
höchstens mit den vordersten Teilen den Tagliamento erreicht haben. Ihr
stand als einziger größerer Übergang nur die Brücke von
Latisana offen. Stieß man gegen diesen vor und verlegte man dem Gros der
Armee den Rückzug, drängten dann gleichzeitig die 1. und 2.
Isonzo-Armee von Osten und Nordosten her gegen den sich zusammenballenden
Knäuel vor, dann war auch das Schicksal der italienischen 3. Armee
besiegelt. Hier winkte ein Erfolg von ungeheurerer Tragweite, wenn es gelang,
sich mit kühnem Griff der Brücke bei Latisana zu
bemächtigen. Gewiß konnte dies Gefahren für die dorthin
entsandten Divisionen in sich bergen, sie wogen aber nichts gegen den für
den italienischen Kriegsschauplatz wahrscheinlich ausschlaggebenden und in
greifbarer Nähe winkenden Erfolg. Erschien es doch mehr als fraglich, ob
Italien nach dem Verluste von fast zwei Drittel seiner gesamten Streitkräfte
mit all ihrem Kriegsmaterial noch imstande war, an einem
rückwärtigen Flußabschnitte wieder eine neue Front
aufzurichten. Konnte doch auch eine so schwere Niederlage die
gefährlichsten innerpolitischen Folgen zeitigen. Jetzt mußte also die
deutsche Führung handeln, sei es, daß sie mit dem linken
Armeeflügel unmittelbar nach Süden, also noch auf dem
östlichen Tagliamento-Ufer, vorstieß, oder daß sie erst die
Flußübergänge bei Codroipo und nördlich nahm, um
dann auf dem westlichen Ufer zur überholenden Verfolgung anzusetzen.
General v. Hofacker war der Ansicht, daß, wenn es den deutschen,
zum Tagliamento vorgeeilten Truppen nicht sofort gelänge, die
Übergänge in die [254] Hand zu bekommen,
die Überwindung des Tagliamento-Hindernisses zu viel Zeit erfordern
würde, währenddessen der Feind bei Latisana entwischen
könnte. Da es fraglich war, ob die Wegnahme der Brücken am 30.
glücken werde, entschloß er sich, da die Verbindung mit dem
Armee-Oberkommando noch nicht bestand, auf eigene Verantwortung, nur die
200. Division gegen Codroipo anzusetzen, mit der 26. und 5. Division aber,
welche die Verbindung mit dem Generalkommando Scotti verloren hatte und sich
der Gruppe Hofacker anschließen wollte, nach Süden auf Latisana
vorzustoßen.
Am Abend des 29. traf das Armee-Oberkommando 14 in Cividale ein und nahm
sofort durch den voreilenden Generalstabschef die Fühlung mit dem in
Udine weilenden General v. Hofacker auf. Eine Verbindung mit dem
Oberkommando der Südwestfront, das sich noch immer jenseits der Alpen
in Marburg an der Drau befand, und mit dem Oberkommando der benachbarten 2.
Isonzo-Armee, das gleichfalls immer noch in
Ober-Loitsch bei Laibach auf der Ostseite des Gebirges weilte, bestand nicht, da
die Funkentelegraphie infolge der herrschenden Gewitterstimmung versagte. Nun
stand das Oberkommando der 14. Armee vor dem folgenschweren
Entschluß, ob es den Vorschlägen Hofackers folgen, d. h.
entgegen dem Befehle des weit zurückgebliebenen und über die
wahre Lage an der Front nicht unterrichteten Oberkommandos der
Südwestfront quer vor der Front der 2. und 1.
Isonzo-Armee vorbei nach Latisana vorgehen oder ob es geradeaus bleiben wollte.
Zum Überschreiten des Tagliamento war das
Armee-Oberkommando 14 zwar weder vom Oberkommando der
Südwestfront noch von der deutschen Obersten Heeresleitung
ausdrücklich ermächtigt worden, doch konnte es unter den
obwaltenden Verhältnissen der Zustimmung beider sicher sein. Wie es aber
am Tagliamento tatsächlich aussah, wußte das
Armee-Oberkommando nicht, besonders da infolge der ungünstigen
Witterung Fliegermeldungen fehlten. So erfuhr man auch nicht, daß der
Fluß noch sehr hoch ging und jeden Übergangsversuch
außerhalb der Brücken verhinderte. War doch auch der Torrento
Torre inzwischen wieder so schnell gefallen, daß er kein wesentliches
Hindernis mehr bildete. Nach Ansicht des Oberkommandos 14 konnte es
durchaus noch nicht als feststehend gelten, daß die Brücken nicht
doch durch schnelles Zugreifen zu nehmen waren. Bildete doch gerade die
schnelle Wegnahme der Tagliamento-Übergänge bei und
nördlich Codroipo, um dann je nach der Lage handeln zu können,
den Hauptgedanken der ganzen bisherigen Operation. Gelang sie freilich nicht
sofort, dann sollten sich die Divisionen des linken Armeeflügels nicht
weiter damit aufhalten, sondern nach Süden auf Latisana abgedreht werden.
Dorthin mußte man aber auf alle Fälle auch schon am 30. Oktober
wenigstens Teile der Truppen ansetzen, um die italienische 3. Armee aufzuhalten
und in Verwirrung zu bringen, zumal da die k. u. k. 2. und 1.
Isonzo-Armee noch weit zurück zu sein schienen. Das
Armee-Oberkommando 14 glaubte, hierzu aber nur die Gruppe Scotti (5. Division,
[255] k. u. k. 1.
Division und die bis Salt vorgezogene, bisher in zweiter Linie gefolgte 117.
Division) ansetzen zu dürfen. Über die Tragweite des
möglichen Erfolges bei Latisana war es sich keineswegs im unklaren, wohl
aber darüber, ob die italienische 3. Armee nicht doch schon mit starken
Teilen vorgekommen und in der Nähe des Tagliamento stand. Wie bereits
erwähnt, fehlten sichere Nachrichten darüber. Traf dies aber zu, dann
erschien es doch fraglich, ob die deutsch-österreichischen Kräfte
tatsächlich bis Latisana durchdrangen, besonders da sie nur wenige
Gebirgsgeschütze mit sich führten, weil ihre Feldartillerie sie infolge
der weiten Umwege im Gebirge noch nicht hatte einholen können und erst
allmählich einzutreffen begann. Drang man aber nicht durch und hatte man
mehr als nur die Gruppe Scotti eingesetzt, dann lag nach Ansicht des
Armee-Oberkommandos die Gefahr vor, einen zu großen Teil seiner
Divisionen im Süden zusammengeballt zu haben und mit zu wenig Truppen
die Brücken bei Codroipo und Bonzicco anzugreifen, denn ein Erfolg war
dort nur durch das schnelle und feste Zufassen genügend starker
Kräfte im ersten Anlauf zu erwarten. Das bisherige große Ziel der
Operation - schnell über den Tagliamento zu
kommen - wäre zugunsten eines immerhin unsicheren Unternehmens
aufgegeben worden und mit ihm die überholende Verfolgung jenseits des
Tagliamento, welche nach Ansicht des Armee-Oberkommandos die
größte Ausbeute des bisherigen Sieges versprach. Dann gewann
vielleicht der Feind wieder genügend Zeit, sich bereits am Tagliamento zu
neuem, zähem Widerstand zu setzen.
Auf Grund dieser Erwägungen entschied das
Armee-Oberkommando der 14. Armee um 10 Uhr abends:
- Der Tagliamento ist auch ohne höheren Befehl
unverzüglich zu überschreiten.
- Der linke Flügel der Armee dreht, unbekümmert um den
befohlenen Vormarschraum, gegen Latisana ab. Dieser Stoß wird dem
General Scotti - XV. österreichisches Korps, 5., 117.
Infanterie-Division, 1. österreichische
Infanterie-Truppen-Division - übertragen. Das Korps
v. Hofacker soll bei Codroipo und nördlich den Übergang
erkämpfen und auf dem Westufer des Stromes die überholende
Verfolgung durchführen, ebenso die Korps
v. Stein - III. bayerisches - und
Krauß - I. österreichisches - die Bewegung nach Westen
über den Tagliamento fortsetzen.
Die hierzu nötigen Befehle ergingen sogleich.10
Der Morgen des 30. Oktober brach an. Jäger der 200. Division11 stürmten gegen 5 Uhr
Bonzicco, die Brücke über den Tagliamento lag vor
ihnen; - doch [256] der Feind hatte Zeit
gefunden, die letzten 20 m der Brückenbahn am Westufer des etwa
1 km breiten Flußbettes fortzusprengen. Er hielt das jenseitige Ufer
mit Geschützen und vielen Maschinengewehren stark besetzt und
verhinderte mit Leichtigkeit jeden Übergangsversuch über den
reißenden Strom. Jetzt wandte sich gegen 9 Uhr vormittags das
Jäger-Bataillon 11 im Verein mit einem Bataillon des
württembergischen Infanterie-Regiments 121 der 26. Division
flußabwärts gegen die Brücke von Codroipo. Die 26. Division
selbst griff gleichzeitig die feindliche Stellung
Gradisca - Pozzo - Codroipo an. Den Jägern und dem
württembergischen Bataillon gelang es, längs des Tagliamento
überraschend drei Gräben der Brückenkopfstellung zu
überrennen und die Reserven vor ihrem Eingreifen unschädlich zu
machen. Ein unvergeßlicher Anblick bot sich jetzt dem Sieger dar: dicht vor
ihm schoben und drängten sich in mehreren Kolonnen nebeneinander in
dichtem Knäuel Reiter, Fahrzeuge, Kraftwagen, Geschütze,
Troß und zwischendurch Tausende von Mannschaften in wilder Hast den
rettenden Brücken zu.12 Da schlägt unerwartet in diesen
Wirrwarr das deutsche Maschinengewehrfeuer verheerend ein. Eine furchtbare
Panik ist die Folge. Die Jäger der 4. Kompagnie benutzen sie, um die
große Straßenbrücke Pte. della Delizia in die Hand zu
bekommen. Ihnen voran bahnen sich die Zugführer, persönlich
leichte Maschinengewehre tragend, den Weg.13 Die wackeren Jäger
stürmen ihnen gleichzeitig mit den fliehenden Italienern über die
1000 m lange Brückenbahn nach. Da fegt vom Westufer schlagartig
Maschinengewehrfeuer über die Brücke, fahle Blitze zucken auf,
schwarze Rauchwolken schießen empor, gefolgt
von furchtbaren Detonationen, - die Italiener haben die drei Brücken
gesprengt. Mit ihren Trümmern sinken Freund und Feind in die Fluten des
hochgehenden Stromes. Damit war aber auch allem, was noch auf dem
östlichen Ufer an italienischen Truppen und Kriegsgerät stand, der
Rückzug abgeschnitten. Rasch besetzten die Deutschen die
Brückenköpfe. Gradisca, vor allem Pozzo, Goricizza und Codroipo
fallen nach hartnäckigem Kampf, und ob auch Teile der Italiener an
Widerstand dachten und in mit großem Schneid geführten
Gegenstößen immer wieder gegen die schwachen deutschen
Kampfgruppen anrannten, an dem zähen Willen der Deutschen zerschellte
schließlich alles Mühen und Ringen, selbst die Heldenhaftigkeit der
Verzweiflung. So brach endlich alles zusammen, - das Schicksal der
italienischen 2. Armee war besiegelt. 20 000 Gefangene ergaben sich bei
Codroipo, unübersehbar war die Beute. Die Straße von Codroipo bis
zur Brücke glich einer undurchdringlichen Mauer aus allem
möglichen Heeresgerät, untermischt mit lebenden und gefallenen
Pferden und Maultieren, mit Toten, Sterbenden und Verwundeten. Der sich unter
den Augen der Deutschen vollziehende Zusammenbruch einer ganzen Armee
[257] war unbeschreiblich.
Tage dauerte es in angestrengter Arbeit, um die Straße endlich wieder frei
zu machen. Und doch - der eigene Übergang über den
Tagliamento war nicht geglückt und glückte auch trotz mancherlei
Versuche bei Codroipo und Bonzicco infolge der Wachsamkeit des Feindes, der
Verstärkungen erhalten hatte, nicht mehr, obwohl der Wasserstand des
Stromes fiel.
Auch weiter nördlich tobte der Kampf um die nächste
größere Übergangsstelle, die Brücke bei Pinzano. Zu
ihrem Schutz warfen sich bei S. Daniele frische italienische Kräfte
der 12. Division entgegen, um den Abfluß der Massen von Truppen und
Trains über den Tagliamento zu ermöglichen. Das Alpenkorps greift
mit Teilen von Süden her ein, der Feind wird geworfen und muß den
größten Teil seiner bei S. Daniele völlig verfahrenen
Trains und Kolonnen preisgeben. Aber weiter geht es nicht, denn jetzt leistet der
Gegner unmittelbar am Flusse auf dem das Vorgelände weithin
beherrschenden und befestigten Rücken des Mt. Ragogna (dicht
nördlich des gleichnamigen Ortes), der die tiefer liegende
Übergangsstelle verdeckt, zähesten Widerstand.
Weiter nördlich hatten am 30. Oktober die k. u. k. 22.
Schützen-Division bei Tarcento und, an sie südlich
anschließend, die k. u. k. 55. und 50. Division den Torrento
Torre überwunden. Die Schützen-Division wandte sich darauf gegen
die Befestigungen von Gemona, während die beiden anderen Divisionen im
Vorgehen gegen den Tagliamento blieben und die Nachhuten des Feindes auf die
Brücken von Cornino und Pinzano zurückwarfen. Gleichzeitig
drangen die deutsche Jäger-Division im Verein mit einer von Norden
kommenden k. u. k. Gebirgs-Brigade der 10. Armee durch das
Fella-Tal und die Edelweiß-Division durch das Gebirge in das
Tagliamento-Tal nördlich Gemona ein. Die Folge dieses von drei Seiten
gleichzeitig erfolgenden Druckes war, daß auch die von Norden und
Nordosten nach Süden zurückweichende italienische "Zona
carnia" der gleichen Auflösung zu verfallen begann wie die italienische
2. Armee und wie sie auch der italienischen 3. Armee im Süden von Udine
im bedenklichen Maße drohte.
Am Morgen dieses Tages war gegen 8 Uhr ein Generalstabsoffizier des an die 14.
Armee im Süden anschließenden k. u. k. II. Korps im
Armee-Hauptquartier der 14. Armee in Cividale erschienen und hatte mitgeteilt,
daß die 2. Isonzo-Armee mit den vier Divisionen des k. u. k.
II. Korps am Abend des 29. Oktober die Linie
Pradamano - Cormons und mit dem k. u. k. XXIV.
Korps die Gegend südlich Cormons erreicht habe. Der Feind hätte
ihnen nirgends ernsteren Widerstand geleistet, auch ständen ihnen
stärkere Kräfte nicht gegenüber. Das II. Korps habe am
Morgen des 30. Oktober den nur noch wenig Wasser führenden
Torrento Torre überschritten, sei dann aber auf die k. u. k. 1.
Division der Gruppe Scotti gestoßen und bitte, den Weg für das
Korps frei zu machen. Das Armee-Oberkommando 14 ersah hieraus, daß
die Korps der 2. Isonzo-Armee doch schon näher standen, als man
angenommen hatte. Damit [258] lag der Schluß
nahe, daß die italienische 3. Armee auch schon einen größeren
Vorsprung zum Tagliamento habe. Es war ferner aus jener Meldung anzunehmen,
daß die Isonzo-Armee dem Feinde scharf auf den Fersen bleiben werde.
Das Armee-Oberkommando 14 wies daher zwischen 8 und 9 Uhr morgens die
Gruppe Scotti an, die 117. und k. u. k. 1. Division anzuhalten, um
dem k. u. k. II. Korps Raum zum Vormarsch zu gewähren.
Nur die 5. Division sollte im Marsch auf Latisana bleiben.
Als das Armee-Oberkommando mittags in Udine eintraf, erfuhr es, daß die
117. Division im scharfen Kampf gegen starken Widerstand bei Pozzuolo stand.
Im Laufe des Nachmittags meldete ferner die 5. Division, daß sie an der
Straße Palmanova - Codroipo von der Gruppe Scotti
angehalten worden sei. Augenscheinlich lag hier bereits ein
Mißverständnis seitens der Gruppe Scotti vor, denn gerade diese
Division sollte doch im Marsch bleiben. Über die Lage bei Bonzicco und
Codroipo und namentlich auch über den Wasserstand des Tagliamento
herrschte am Abend des 30. im Armee-Hauptquartier, aber auch bei der Gruppe
Hofacker, noch immer nicht völlige Klarheit. General v. Hofacker
hoffte, den Übergang dort noch erzwingen zu können. Starker
Verkehr auf dem westlichen Tagliamento-Ufer wurde als Bewegungen zum
weiteren Rückzug gedeutet. Das Armee-Oberkommando glaubte daher, den
Übergangsversuch Hofackers nicht durch Wegziehen der 26. Division auf
Latisana stören zu dürfen. Von der Gruppe Scotti wußte man
zu dieser Zeit, daß die 5. Division am Nachmittag bei
Rivolto - Galleriano - Sclaunicco, die 117. und
k. u. k. 1. Division auch weiterhin bei Pozzuolo heftige
Kämpfe mit gegen sie anrennenden italienischen starken Kräften
gehabt hatten. Die Zahl von 60 000 Geangenen erweckte den Eindruck,
daß südöstlich Codroipo noch beträchtliche
Teile des Feindes ständen. Gleichzeitig aber wurde bekannt, daß sich
das k. u. k. II. Korps in den Raum zwischen Pozzuole und Udine
eingeschoben hatte und sein Generalkommando sich noch in Ipplis südlich
Cividale befand. Das sah allerdings nicht nach dem von den Deutschen
angenommenen scharfen Nachstoß der 2. und 1.
Isonzo-Armee auf Latisana aus, und so entschloß sich das
Armee-Oberkommando 14, seinerseits die Verfolgung dorthin außer mit der
5. Division auch wieder mit der 117. und der k. u. k. 1. Division
aufzunehmen. Im übrigen wollte man die noch immer als aussichtsreich
angesehene Erzwingung des Tagliamento mit den Gruppen Krauß, Stein
und Hofacker durchführen, um westlich des Flusses schnell zur
überholenden Verfolgung voreilen zu können. Die 5. Division wurde
der Gruppe Hofacker unterstellt und auf die Brücke von Madrisio halbwegs
Codroipo - Latisana angesetzt.
Das Oberkommando der 2. Isonzo-Armee lag noch immer in
Ober-Loitsch, 80 km hinter der Front und von ihr durch ein breites Gebirge
getrennt, obwohl die sich am Tagliamento zuspitzenden Dinge schnelle und
folgenschwerste Entschließungen erheischten. Das Oberkommando der
Südwestfront lag gleichfalls immer noch in Marburg, sogar fast
200 km zurück. Noch hätten wenigstens [259] beträchtliche
Teile der italienischen 3. Armee bei Latisana abgefangen werden können,
denn dort herrschten sehr erhebliche Stauungen und Verwirrung; aber immer
wieder griffen die k. u. k. Oberkommandos der beiden
Isonzo-Armeen und der Heeresgruppe Boroëvić, obwohl ihnen jede
nähere Kenntnis und Übersicht über die vorn sich
abspielenden Vorgänge fehlten, eigensinnig und nachteilig in die zu einem
großen Schlage sich immerhin noch glücklich gestaltende Lage ein,
indem sie starr an den seit langem, aber unter ganz anderen Voraussetzungen
befohlenen Vormarschräumen festhielten, ohne die gänzlich
veränderte Lage zu berücksichtigen. Noch lief die italienische Linie
von südlich Codroipo nach Mortegliano und von dort über
S. Giorgio zum Meere. Dafür aber blieb das Oberkommando der 14.
Armee fest.
[259]
Skizze 12: Lage am Tagliamento Ende Oktober.
|
Die Lage der deutschen Truppen südöstlich Codroipo war am 30.
recht schwierig gewesen. In die italienischen Verbände hinein schoben sich
die Kolonnen der 5. und der übrigen Divisionen. Fortwährend traten
Überraschungen auf, und nur der Geistesgegenwart der Führer und
der Verstörtheit des Feindes war es zu danken, daß alles zum Guten
auslief. Die Zahl der Gefangenen wuchs dauernd geradezu beängstigend,
als großer Ballast für die Truppen. Die Straßen waren, je mehr
man sich dem Tagliamento näherte, um so stärker mit Fuhrwerk aller
Art verfahren; man mußte neben ihnen marschieren, was in den Reisfeldern
mit den vielen Hecken und Gräben überaus anstrengend wurde. Dazu
hatten die Italiener auch hier bereits alle größeren Brücken
gesprengt. Trotz allem erreichte die 5. Division am 31. Oktober abends die
Brücke von Madrisio; aber auch sie war zerstört und der am
jenseitigen Ufer eingenistete Gegner verhinderte durch sein Feuer alle
Übergangsversuche. Hinter der 5. Division stand nordwestlich Rivignano
die 117. Division, dahinter bei Bertiliolo die k. u. k. 60. Division
unter Feldmarschalleutnant Goiginger (k. u. k. II. Korps), die
k. u. k. 1. Division, durch das k. u. k. II. Korps
aufgehalten, noch bei Pozzuolo, die k. u. k. 35. Division
(II. Korps) bei Ariis (12 km nordöstlich Latisana!). So
hätte auch noch am 1. November ein Erfolg errungen werden
können. Man brauchte nur zuzufassen. Freilich, der bei weitem
größte Teil der italienischen 3. Armee war nun bereits über die
Brücke bei Latisana entkommen; immerhin hätte man noch die
Nachhuten vernichten können.
[260] Dem
Armee-Oberkommando der 14. Armee war es am Abend des 31. Oktober endlich
gelungen, Drahtverbindung mit dem Oberkommando der Südwestfront zu
gewinnen, ihr die gespannte Lage am Tagliamento zu melden und um Abhilfe in
dem Befehlswirrwarr und den unsachgemäßen Anordnungen zu
bitten. Aber die hierzu nötigen Weisungen blieben aus. Dafür
ergingen am 1. November wiederholt Befehle der beiden
Isonzo-Armeen und der Heeresgruppe Boroëvić an die in richtiger
Erkenntnis der Lage nach vorn auf Latisana geeilten k. u. k.
Divisionen, in die früher angewiesenen Vormarschräume
zurückzukehren und den Befehl über die dort angetroffenen
deutschen Divisionen zu übernehmen. Dadurch wurde der letzte
entscheidende Stoß nach Latisana endgültig vereitelt. Die 14. Armee
zog, um den aus diesen Befehlen sich unvermeidlich ergebenden bedenklichen
Reibungen vorzubeugen, ihre Divisionen
zurück - die italienische 3. Armee entwischte, wenn auch unter
Einbuße zahlreicher Gefangener und des größten Teiles ihres
Kriegsgeräts. - An der Piave traf man sie wieder.
Am nördlichen Tagliamento-Abschnitt hatte inzwischen der linke
Flügel der Gruppe Krauß (k. u. k. 50. Division) und die
12. Division der Gruppe Stein das östliche
Tagliamento-Ufer zwischen Gemona und Ragogna vom Feinde gesäubert
und den Mt. Ragogna gegen Mittag des 1. November genommen. Aber die
Brücken bei Pinzano hatten die Italiener wiederum rechtzeitig sprengen
können.14 Man stand vor den noch immer
reißenden Flußarmen des breiten Strombettes, das hier tief
eingeschnitten war; auf der anderen Seite der überaus wachsame Feind mit
zahlreichen Maschinengewehren und Geschützen, zum Teil schweren
Kalibers.
Von der k. u. k. 10. Armee war die 94. Division von Norden bis Tolmezzo
vorgedrungen. Im Anschluß daran hatten die deutsche
Jäger-Division und die k. u. k.
Edelweiß-Division im Verein mit der k. u. k. 59.
Gebirgs-Brigade (10. Armee) das östliche
Tagliamento-Ufer bis Gemona gesäubert. So stand am Abend des 1.
November vom Gebirge bis zum Meere kein einziger geschlossener italienischer
Truppenverband mehr auf dem östlichen
Tagliamento-Ufer. Vom Beginn der Offensive bis zum 2. November
waren - gering gerechnet - wenigstens 200 000 Mann zu
Gefangenen gemacht und etwa 2000 Geschütze erbeutet worden, ganz
abgesehen von Minenwerfern und Maschinengewehren und der sonstigen
unabsehbaren Beute an Fahrzeugen, Kraftwagen, Pferden und Maultieren, an
Munition, Verpflegung und Bekleidung.
Aber über den Tagliamento waren die Verbündeten bisher noch nicht
hinübergekommen; alles Ringen, alle heißen Bemühungen
darum waren bisher gescheitert. Da endlich gelang es dem General Krauß
am Abend des 2. November, mit einem bosniakischen Bataillon der
k. u. k. 55. Division über die gesprengte
Eisenbahnbrücke von Cornino hinweg auf dem westlichen
Tagliamento-Ufer festen [261] Fuß zu fassen. Im
Laufe der Nacht und des 3. November folgten die übrigen Truppen der
Division. In der gleichen Nacht aber glückte es auch der 12. Division, den
Tagliamento zu überwinden, sich bei Pinzano festzusetzen und dort
auszubreiten. Eifrigst arbeiteten die Pioniere aller nur erreichbarer Divisionen an
der Wiederherstellung der etwa 400 m langen Pfahljochbrücke von
Pinzano. Am 4. November mittags war sie wieder für alle Truppen
benutzbar. Auch die Eisenbahnbrücke von Cornino konnte an diesem
Tage zeitweise schon von Fahrzeugen benutzt werden. Am 5. wurde sie
endgültig fertig.
|