Bd. 2: Der deutsche Landkrieg, Zweiter Teil:
Vom Frühjahr 1915 bis zum Winter 1916/1917
Kapitel 7: Der Krieg auf der deutschen Ostfront
1916 (Forts.)
Oberst Friedrich Immanuel
[422] 2. Der russische Frühjahrsangriff
1916.
Die Schlacht am Narocz-See.
Die russische Heeresleitung beschloß, im März, kurz vor Einbruch
des Tauwetters, einen Massenstoß in Richtung auf Wilna zu führen,
um bei diesem Mittelpunkt der Straßen und Eisenbahnen die deutsche Front
zu brechen. Als erster Schritt dieses Unternehmens ging in der bitterkalten,
tiefdunklen Nacht zum 28. Februar eine aus zwei Offizieren und 32 Amurkosaken
bestehende Reiterpatrouille, als Landleute verkleidet, unter Führung eines
als Wegweiser und Vertrauensmann bewährten Bauern, über das Eis
des Narocz-Sees vor, um hinter der deutschen Front unter der Bevölkerung zu
verschwinden und später im gegebenen Augenblick mit dem
mitgeführten Sprengstoff die in Wilna zusammenlaufenden Straßen
und Eisenbahnen durch Brückenzerstörungen für die
Deutschen unbenutzbar zu machen. Das überaus kühne Unternehmen
scheiterte an der Wachsamkeit eines deutschen Postens. Die russische Patrouille
kam zwar zu Fuß durch die Sicherungslinie, wurde aber jenseits derselben
in ihrem Waldversteck aufgehoben und unschädlich gemacht. Die bald
darauf einsetzende äußerst lebhafte russische
Aufklärungstätigkeit, das Auftreten zahlreicher schwerer Batterien,
die Anhäufung großer Truppenmassen in der Linie
Wilejka - östlich Narocz-See - Postawy, die
Anlage eines reichen Förderbahnnetzes in diesem Abschnitt machten es
wahrscheinlich, daß die Russen diese Front zum Angriff gewählt
hatten.
Bis zum 15. März wurden unter General Ragosa aus der Heeresgruppe
[423] Ewert die zum
Einbruch bestimmten russischen Streitkräfte von Norden nach Süden
bereitgestellt:
Gruppe |
Plaschkow XXVII. Armeekorps (45. und 76.
Infanterie-Division), |
|
TD>
| I. Armeekorps (22., 24., 59. Infanterie-Division), |
|
|
I. sibirisches Armeekorps (1. und 2. sibirische
Infanterie-Division), |
|
|
7. Kavallerie-Division (6. und 8. Kavallerie-Division) |
|
gegen den Abschnitt Wileity -
Moscheiki; |
|
|
XXXIV. Armeekorps (56. und 104.
Infanterie-Division), |
|
|
IV. sibirisches Armeekorps (9. und 10. sibirische
Infanterie-Division) |
|
zur Beschäftigung der Deutschen an der Eisenbahn
Glubokoje - Lynrupy und dem Miastra-See; |
Gruppe |
Balujew in erster Linie V. Armeekorps (7. und 10.
Infanterie-Division), |
|
|
Ural-Kosaken-Division, |
|
|
XXXVI. Armeekorps (25. und 68. Infanterie-Division), |
|
|
als Reserve: XXXV. Armeekorps (55. und 67. Infanterie-Division), |
|
|
III. sibirisches Armeekorps (7. und 8. sibirische Division) |
|
gegen die Engen zwischen Miastra-,
Narocz-, Wiszniew-See. |
Somit kamen auf eine Front von etwa 65 km Breite 368 Bataillone, dazu 800
schwere Geschütze, deren Leitung französische Lehroffiziere
übernommen hatten. Die russische Infanterie war mit Schneemänteln
ausgerüstet, alle Vorbereitungen zur Beseitigung der deutschen
Hindernislinie durch technische Mittel waren getroffen. Die russischen
Nachbarfronten rechts und links waren angewiesen, durch Beschießung und
Angriff die deutschen Nebenabschnitte zu beschäftigen und über die
Richtung des Hauptangriffes irre zu führen.
Auf deutscher Seite standen am Morgen des Kampftages, am 18. März,
dem russischen Stoß folgende Verbände gegenüber:
Generalkommando XXI, Generalleutnant v. Hutier (Stab
Kobylnik), |
Verstärkte 9. Kavallerie-Division |
|
zwischen Wiszniew- und Narocz-See, |
75. Reserve-Division |
31. und 115. Infanterie-Division zwischen Narocz
und Spory-See, |
42. Infanterie-Division |
|
zwischen Spory-See und Komaika-Bach. |
Teile der 107. Infanterie-Division |
Dem XXI. Armeekorps fiel die Besetzung einer 100 km breiten
Grabenfront - alle Windungen mitgerechnet - zu, so daß eine
Kompagnie mehr als 1000 m im Durchschnitt zu verteidigen hatte. Diese
Kräfte mußten dem gewaltigen russischen Angriffsdruck
gegenüber so lange standhalten, bis das Oberkommando der
Armee-Abteilung Eichhorn aus den nicht entscheidend
ange-[424] griffenen Nebenfronten
Truppen freigemacht, auch die eigenen Reserven herangeführt hatte, und
bis die Heeresgruppenleitung einige Verstärkungen zur Verfügung
stellen konnte.
[422]
Skizze 19: Schlacht am Narocz-See.
|
Solange der scharfe Frost herrschte, Seen, Wasserläufe, Sümpfe fest
gefroren waren, wurde der russische Angriff wesentlich erleichtert. Diese Lage
verschob sich jedoch zuungunsten der Russen, als, für die russische
Berechnung unerwartet früh, am 15. März Tauwetter eintrat. Hiermit
entfiel den Russen der Vorteil, über das Eis hinweg ihre Massen in breiter
Front zur Entfaltung zu bringen. Nach dem Hereinbrechen des Tauwetters waren
sie darauf angewiesen, sich in die Lücken zwischen den Seen eng
zusammenzuschieben. Die Enge zwischen
Wiszniew- und Narocz-See ist 14 km breit, wovon etwa ein Drittel auf
Sumpf- und Bruchgelände kommt. Das ganze Kampfgebiet nördlich
des Narocz-Sees bis Mosheiki ist eine ununterbrochene Kette größerer
und kleinerer Seen mit ganz schmalen Engen dazwischen, eine vortreffliche, auch
mit unterlegenen Kräften gegen Übermacht nicht schwer zu haltende
Verteidigungslinie. Weniger günstig war die nach Westen
zurückspringende, offene, 6 km breite Strecke
Mosheiki - Wileity. Während der südliche Abschnitt
zwischen Wiszniew- und Narocz-See von den Deutschen zu sehr starker Verteidigung
eingerichtet werden konnte und ihnen große Vorteile, den Russen aber
erhebliche Schwierigkeiten beim Durchschreiten der sumpfigen Strecken bot,
während das Mittelstück der deutschen Abwehr ebenfalls
günstig war, litt der deutsche Nordflügel unter hohem Grundwasser,
so daß die deutschen Gräben, Unterstände,
Verbindungsgänge durch das Tauwetter unter Wasser gerieten.
Der russischen Heerführung waren diese Geländeverhältnisse
sehr genau bekannt. Daher beschloß sie, den "zangenartigen" Durchbruch
anzusetzen: im Süden als frontalen Angriff zwischen
Wiszniew- und Narocz-See, im Norden als umfassenden Stoß zwischen
Mosheiki und Wileity. Der in diesem Sinne aufgebaute Angriffsbefehl Ragosas
atmete den alten Russengeist des rücksichtslosen Draufgehens,
ergänzt durch das Trommelfeuer stärkster artilleristischer
Vorbereitung. Bezeichnend waren drei Punkte: "Den Truppen ist
einzuschärfen, daß Reserven und Artillerie ihr Feuer sofort auf
diejenigen Teile richten werden, die im Angriff stutzen oder gar versuchen sollten,
sich gefangen zu
geben. - Alle an den Fingern Verwundeten und Selbstverstümmelten
werden in die Schlacht zurückgeführt. Die Heerespolizei bewacht
alle Wege, so daß kein gesunder Mann durch ihre Postenkette
durchkommt. - Wenn Blut fließt, muß man die
Tintenfässer schließen. Außer Meldungen und Befehlen
keinerlei Schreibwerk!"
In der Nacht zum 18. März stießen starke Kräfte der russischen
56. Infanterie-Division, rein frontal und ohne Artillerievorbereitung, durch Wald und
Sumpf, sowie über das noch tragfähige, aber bereits unter Wasser
stehende Eis der kleinen Seen vorgehend, gegen die von der deutschen 115.
Infanterie-Division gehaltenen Lotwa-, Woronez- und
Dolscha-Engen vor. Vom Scheinwerferlicht [425] gefaßt, geriet der
Überfall in ein Gewehrfeuer des
Reserve-Regiments 40 und brach unter schwerem Verlust zusammen. Das
Generalkommando XXI ließ sich nicht
täuschen - es war klar, daß es sich hier nur um einen
Scheinangriff gehandelt hatte, während die Anstrengungen der Russen sich
auf die deutschen Flügel richten würden.
Am 18. März, 6 Uhr morgens, setzte das russische Massenartilleriefeuer
gegen die Enge zwischen
Wiszniew- und Narocz-See, eine Stunde später auch gegen den
Nordflügel vom
Sadewe-See bis zur Komaika ein. Das zweistündige Trommelfeuer konnte
zwar viele Gräben abkämmen, einzelne Unterstände
eindrücken, Verbindungen durch Sperrfeuer schwierig gestalten, selbst
Hindernisse niederlegen, aber den Geist und die Kampfbereitschaft der deutschen
Truppen nicht erschüttern. Die deutsche Artillerie, an Zahl unterlegen, aber
vortrefflich eingebaut und gegen neu auftretende feindliche Batterien sehr schnell
eingeschossen, war auch der Überlegenheit gewachsen, ja sie brachte
verschiedene russische Batteriegruppen zum Schweigen.
Gegen 10½ Uhr vormittags begann der russische Infanterieangriff auf dem
Süd-, eine Stunde später auch auf dem Nordflügel.
Gegen die Stellungen der Infanterie-Regimenter 250 und 251 der 75.
Reserve-Division auf den Höhen bei Blizniki und Mokrzyce unmittelbar
am Südufer des
Narocz-Sees ging das russische V. Armeekorps auf der nur 6000 m breiten
Front festen Bodens dicht am Südufer des
Narocz-Sees vor: die 10. Division von Dorf und Vorwerk Stachowce aus, die 7.
Division beiderseits Zanarocze bis an den
See - 12 Bataillone gegen 6 deutsche! Dichte Schützenlinien in
mehreren Wellen hintereinander, die Mannschaften mit Stahlschilden und
Sandsäcken bepackt, dahinter Reserven in kleinen geschlossenen Formen,
so wälzte sich der russische Sturmangriff vor, empfangen vom Massenfeuer
der deutschen Infanterie und Maschinengewehre, zugedeckt vom deutschen
Artilleriegeschoßhagel, der sich, ungeachtet des russischen
Geschützfeuers, jetzt die entscheidenden Ziele zur Bekämpfung
suchte. Der Angriff brach völlig zusammen, einige hundert Meter vor der
deutschen Stellung lag er fest, obwohl die Russen von Stunde zu Stunde zu
neuen Stößen ansetzten - alles vergebens!
Westlich des Kampffeldes der Regimenter 250 und 251 hielt Regiment 249 den
Höhenrand, hatte aber keinen ernstlichen Infanterieangriff abzuwehren, da
durch die Wasserflächen des
Ostupi- und Ladschiki-Bruches größere Abteilungen nicht vorgehen
konnten. Dagegen griff gegen die Mittagsstunde die russische 25. Division auf
dem trockenen Hügelgelände die verstärkte 9.
Kavallerie-Division im Raum zwischen Spiagla und dem
Wiszniew-See sehr heftig an und wiederholte die Vorstöße mehrmals
bis zum Einbruch der Dunkelheit. Die der 9.
Kavallerie-Division zugeteilten Landwehr-Regimenter 24 und 48 hielten ihre
Stellungen mit gleichem Erfolge wie die 75.
Reserve-Division fest. Die Russen kamen nirgends näher als 200 m
an die deutschen Schützengräben heran. Das seitlich bestreichende
Artilleriefeuer des deutschen III. Reservekorps, das die Front [426] südlich des XXI.
Armeekorps hielt, schlug quer über den
Wiszniew-See in die linke Flanke der Russen. Als sich die Nacht herabsenkte, war
der Russenangriff zwischen
Narocz- und Wiszniew-See gebrochen. Gruppe Belujew hatte 4000 bis 5000 Tote
liegen lassen. Der deutsche Verlust war gering. Die "Schlupflöcher und
Fuchsgruben", unregelmäßig in die Schützengräben
eingebaut, hatten sich vortrefflich bewährt.
Weit ernster und gefährlicher für die deutsche Abwehr war der
Kampf bei der deutschen 42. Division auf dem Nordflügel des XXI.
Armeekorps. "Das Artilleriefeuer", schilderte ein Mitkämpfer des
Regiments 131,3 "schuf hier nicht wie anderswo ein
verteidigungsfähiges Trichterfeld, da sich die Geschoßkrater sofort
sickernd bis an den Rand mit eisigem Sumpfwasser füllten. Auch in den
Gräben standen die Leute jetzt schon bis zur Mitte der Oberschenkel im
Schneewasser." Hier gingen die russische 22. und 59. Division, aus den
versumpften Wäldern, in dicken Massen vorbrechend, von der
Mittagsstunde ab zum Einbruch vor, die Stöße unter Einsatz frischer
Truppen immer erneuernd. Die
Hauptangriffspunkte - von Norden nach
Süden - waren: Wileity und die
Hindenburg-Schneise, wo Husaren-Regiment 14 des linken Nachbarabschnittes
(Höherer Kavalleriekommandeur 6) zusammen mit Landsturm focht; die
Muli-Schneise und die Kowali-Enge, wo Regiment 131 und
Landsturm-Bataillon Allenstein kämpften; die
Duki-Enge, die von Teilen des Regiments 138 und des
Landsturm-Bataillons Schlawe erfolgreich gehalten wurde. Die beiden russischen
Divisionen erlitten furchtbare Verluste; vor der
Hindenburg-Schneise wurde Regiment 85 "Wiborg", dessen Chef in
Friedenszeiten der Deutsche Kaiser gewesen war, eine Kerntruppe des russischen
Heeres, so zusammengeschossen, daß aus den Trümmern der vier
Bataillone nur noch eine einzige Kompagnie gebildet werden konnte.
Der erste Schlachttag schloß für die Russen mit einem vollen
Mißerfolg. Nirgends waren sie zum Zerschneiden der deutschen
Hindernisse herangekommen, überall stand die Front des Verteidigers
unangetastet fest. Zehntausende von russischen Verwundeten lagen hilflos im
Sumpfwasser, das sich über Nacht mit Eiskrusten bedeckte. Die
Angriffstruppen mußten von Grund auf ergänzt und neu gegliedert
werden. Zwei Mißgriffe hatte Ragosa begangen und hiermit die furchtbaren,
vergebens gebrachten Blutopfer verschuldet: die Überschätzung des
russischen Trommelfeuers und die Unterschätzung der sittlichen Spannkraft
der unverwüstlichen deutschen Grabenbesatzungen und weiter die
Verlegung der Angriffsstöße auf verschiedene Zeiten gegen die
einzelnen Abschnitte, wodurch es der deutschen Artillerie ermöglicht
wurde, ihr Feuer gegen die jeweils entscheidende Frontstelle zu vereinigen.
Die Nacht zum 19. März verlief unter gelegentlichen
Feuerüberfällen, Patrouillenunternehmungen, Sprengversuchen
gegen die deutschen Hindernisse. [427] Erfolge wurden von
den Russen nirgends erzielt. Die deutsche Front litt durch Nässe und
Kälte, stellenweise auch unter Mangel an warmer Verpflegung, denn die
Feldküchen konnten durch die versumpften Gräben nicht mehr
vorgezogen werden. Gleichwohl erwarteten die Deutschen in zuversichtlicher
Haltung den nächsten Schlachttag.
Der 19. März zeigte genau das gleiche Bild wie der erste Schlachttag. Auf
der ganzen Front erhoben sich, bald hier, bald dort, russische Sturmwellen zu
immer wieder sich erneuernden Angriffen, ohne daß es trotz schwerster
Verluste gelang, an die deutschen Hindernisse heranzukommen. Nicht einmal die
vordersten Teile der Leichenfelder wurden erreicht, die vom ersten Kampftage her
das Gelände vor den deutschen Linien bedeckten. Schon fehlten den Russen
Angriffsgeist und Angriffslust: die Verluste am 18. März und die Unbilden
des Aufenthalts in Sumpf und Eis hatten zerrüttend gewirkt. Indessen
machte sich eine erheblich verstärkte Feuerkraft der russischen schweren
Artillerie empfindlich fühlbar. Zahlreiche neue Batterien traten auf und
begannen, die deutschen Hindernisse planmäßig zu zerstören
und die Unterkunftsorte in Trümmer zu legen. Namentlich hatten die 75.
Reserve-Division bei Mokrzyce und Regiment 138 bei Dworotschany zu
leiden.
Während am 19. März entscheidende Kämpfe auf der Front
des deutschen XXI. Armeekorps infolge des sichtlichen Ermattens der Russen
nicht stattfanden, unternahmen diese in dem nördlich anschließenden
Nebenabschnitt Entlastungsstöße. Hier stand im Raume zwischen
der Komaika und der Birwita die Abschnittsgruppe des Höheren
Kavallerie-Kommandeurs 6, Generals v. Garnier, zu welcher die 3. und die
bayerische Kavallerie-Division sowie die 10. Landwehr-Division gehörten. Diese
Front wurde von der russischen 24. und starken Teilen der 89. Division
angegriffen. Überall scheiterten die russischen Stöße am Feuer
der deutschen Schützen. Die Artillerie des Abschnittes konnte mit allen
Batterien in das Gefecht der rechts neben ihr kämpfenden 42. Division
eingreifen.
Nördlich des Abschnittes Garnier hielt die Gruppe des Höheren
Kavallerie-Kommandeurs 1 den Abschnitt zwischen der Birwita und dem
Dryswjaty-See besetzt, von Süd nach Nord 9.
Infanterie-, 2. Kavallerie-, 87. Infanterie-Division, zur
Armee-Abteilung Scholtz gehörig. Gegen diesen Abschnitt ging die
russische 24. Division bei Albrechtshof und der Tartarenschanze südlich
Widsy, bei Sonnenburg nördlich dieses Städtchens vor, um vom
Landwehr-Regiment 4 und vom Füsilier-Regiment 34 blutig abgewiesen zu
werden. Im Raum der 2. Kavallerie-Division schlugen bei Meschkele
Kürassier-Regiment 7 und Husaren-Regiment 12 Angriffe der russischen
18. und 70. Reserve-Division ab.
Es gelang der russischen Heerführung nicht, durch diese Nebenangriffe die
Aufmerksamkeit der deutschen Leitung von der Entscheidungsstelle abzulenken.
Sie hielt daran fest, daß die mit Sicherheit zu erwartenden großen
Russenangriffe auch weiterhin dem XXI. Armeekorps gelten würden.
[428] Was am 18. und 19.
März am hellen Tage nicht gelungen war, wollte General Ragosa in der
Nacht erzwingen, indem er nach einem Trommelfeuer, von einer Wucht und
Dauer, die auf der Russenfront bisher noch nicht erlebt worden waren, in der
Nacht zum 20. einen großzügig angelegten Angriff gegen den
Abschnitt der deutschen 42.
Infanterie-Division zwischen den Bächen Olsiza und Komaika ansetzte.
Der Hauptangriff richtete sich gegen den Raum
Muli-Schneise - Buzilischki, der vom
Infanterie-Regiment 131 und Abteilungen des
Pionier-Bataillons 27 verteidigt wurde. Die Russen brachten nur frische Truppen
in den Kampf: Regimenter des I. Armeekorps und des I. sibirischen Armeekorps.
An der Muli-Schneise drangen die Sibirier in das deutsche Grabennetz ein und
gefährdeten die dort eingebaute
10-cm-Batterie; allein es gelang, die vom Feinde genommene Stelle abzuriegeln.
Nach stundenlangem Ringen Mann an Mann raffte Major Fischer, Kommandeur
des Regiments 131, die noch vorhandenen Reserven (zwei Kompagnien des
Regiments 227 der 107. Division, Abteilungen des Regiments 70,
Feld-Ersatz-Bataillon der 42. Division) zusammen und nahm um 3 Uhr morgens
nach blutigem Kampf das verlorene Grabenstück zurück. Bei
Tagesgrauen war die deutsche Front wiederhergestellt.
Am dritten Schlachttage, dem 20. März, setzten die Russen Artilleriefeuer
und Infanterieangriff sowohl gegen den Nordflügel des XXI. Armeekorps
zwischen der Olsiza und der Komaika wie auch gegen den Südflügel
zwischen Wiszniew- und Narocz-See fort, ohne irgendwelchen Raum gewinnen zu
können; auch Entlastungsangriffe gegen die Seenengen des
Mittelabschnittes scheiterten.
Im deutschen Nordabschnitt zwischen der Olsiza und Buzilischki standen jetzt
sechs Bataillone unter Major Fischel, Kommandeur des Regiments 227, zwischen
Buzilischki und der Komaika 4 Bataillone unter Major Fischer, Kommandeur des
Regiments 131, in vorderer Linie. Hinter den Südabschnitt zwischen
Wiszniew- und Narocz-See wurden die Hauptreserven der 10. Armee
herangeführt. Nach bedeutenden Marschleistungen auf den tief
aufgeweichten Straßen trafen ein: 86.
Infanterie-Division am Nordufer des
Swir-Sees, 170. Landwehr-Brigade und 80.
Reserve-Division am Westufer des Narocz-Sees.
Wiederum verlegte die russische Heeresleitung den Angriff auf die Nacht.
Gleichzeitig sollte in der Nacht zum 21. März die Zange gegen die beiden
Flügelabschnitte des deutschen XXI. Armeekorps angesetzt werden. Man
rechnete auf die Erschöpfung der Deutschen durch das nunmehr seit drei
Tagen anhaltende Artilleriefeuer und hoffte, daß durch den Nachtfrost
von -6 bis 7° das Gelände unmittelbar vor den Einbruchsstellen
gangbar werden würde.
Um Mitternacht steigerte sich auf beiden Flügeln das Artilleriefeuer zum
Trommelfeuer. Gasgranaten wurden an allen Stellen ausgiebig verwendet.
Gegen 1 Uhr 30 Minuten morgens gingen die russische 7. Division bei Zanarocze am
Narocz-See und die 10. Division, dazu eine Brigade des III. sibirischen
Armeekorps, bei Stachowce in acht dicken Angriffswellen gegen die Regimenter
250 [429] und 251 der 75.
Reserve-Division vor. Die ersten Wellen wurden geworfen, dann aber drangen die
russischen Massen in die Gräben ein und zwangen die erschöpften
Bataillone, die erste und zweite Stellung zu räumen und in die dritte
Stellung bei Mokrzyce - Friemel-Höhe - Seeufer nordwestlich
Blizniki zurückzugehen, aufgenommen durch die
Brigade-Reserven, 2 Kompagnien des
Landwehr-Regiments 21 und eine Kompagnie des Reserve-Regiments 264.
Im Abschnitt der 9. Kavallerie-Division schlug der Nachtangriff der russischen
25. und 28. Division vor den Gräben der
Landwehr-Regimenter 24 und 28 fehl.
Der Hauptstoß erfolgte auf dem Nordabschnitt. Dichter Nebel, dazwischen
Schneetreiben, hatten zusammen mit den Rauchgasen des russischen
Artilleriefeuers einen so dichten Schleier gezogen, daß die deutschen
Scheinwerfer, soweit sie im Trommelfeuer noch gebrauchsfähig geblieben
waren, die Massenansammlungen der Russen in der Line
Mularshe - Mikulischki (gegenüber Buzilischki) nicht
wahrnehmen konnten. Hier wurden 5 Divisionen (22., 59., 76. sowie 1. und 2.
sibirische) zum Stoß gegen die dünne deutsche Linie angesetzt. Sie
wurde von Teilen der Regimenter 17, 70, 131 sowie der
Landsturm-Bataillone Allenstein und Schlawe gehalten. Der Russenstoß,
der um 5 Uhr morgens begann, konnte sich eines etwa 1000 m breiten
Grabenstückes bemächtigen, das zunächst im Besitz des
Feindes blieb. Der aufgegebene Abschnitt wurde beiderseits abgeriegelt, ein
weiteres Nachstoßen der Russen scheiterte am Morgen des 21. März
am zusammengefaßten deutschen Artilleriefeuer.
Für den vierten Schlachttag, den 21. März, mußte sich das
Generalkommando des XXI. Armeekorps darüber schlüssig werden,
wie die noch voll verfügbare Reserve, die 80.
Reserve-Division, zur Wiederherstellung der alten Front verwendet werden sollte.
Es entschloß sich, diese Division auf dem Südflügel
einzusetzen. Generalmajor v. Redern, Kommandeur der 80.
Reserve-Division, erhielt den Oberbefehl über alle zwischen
Wiszniew- und Narocz-See versammelten Truppen (75. und 80.
Reserve- und 86. Infanterie-Division sowie 70.
Landwehr-Brigade und der Landwehr-Brigade der 9.
Kavallerie-Division) mit dem Auftrag, die aufgegebenen Grabenabschnitte
zurückzunehmen. An diesem Tage aber blieb es noch dabei, die
augenblicklich gehaltene Stellung gegen sehr heftige Vorstöße der
Russen zu verteidigen, die sich der
Friemel-Höhe zu bemächtigen suchten. Alle Versuche des Feindes
mißlangen.
Auf dem Nordflügel eroberte Major Fischer bis zum Abend die in der
vorherigen Nacht verlorenen Grabenstücke vollständig zurück
und stellte die alte Front wieder her. Zwei Kompagnien des
Reserve-Regiments 52 taten sich in diesem Kampf besonders hervor.
Die Befehlsverhältnisse wurden dahin neugegliedert, daß
Generalleutnant v. Moser, Kommandeur der 107.
Infanterie-Division, die weitere Behauptung der "Sumpfstellung" zwischen der
Olsiza und der Komaika übernahm. Der [430] Abschnitt zwischen
Wiszniew- und Narocz-See ging aus dem Bereich des XXI. Armeekorps in den des
III. Reservekorps, Generalleutnant v. Carlowitz, über.
Mit dem Kampf am 21. März war die Angriffskraft der Russen gebrochen,
die Schlacht zugunsten der Deutschen entschieden. Zwar dauerten die russischen
Angriffe noch tagelang um den Sumpfabschnitt fort, wo die
Abschnitts-Gruppe Moser mit den Reserve-Regimentern 52, 227, 232 die
wiederhergestellen Gräben in tapferer Gegenwehr hielt, namentlich als am
26. März harter Frost eintrat. Im Frühmorgen dieses Tages drang eine
russische Abteilung von 150 Mann bis Intoka durch, nahm die dort stehende
Batterie, wurde aber durch Gegenstoß von Teilen des
Infanterie-Regiments 232 nach wildem Handgemenge teils niedergemacht, teils
gefangen.
Lebhafter noch wurde bei der Gruppe Redern zwischen
Wiszniew- und Narocz-See gefochten, wo die Russen mit der frischen 55.
Division, der aufgefüllten 7. und 8. sibirischen, den Resten der 10. und 68.
Division immer wieder versuchten, den am 21. errungenen Geländegewinn
zu erweitern. Der Kampf erreichte am 26. seinen Höhepunkt um den Besitz
der Trümmer des Ortes Mokrzyce und der
Friemel-Höhe. Die Reserve-Regimenter 264, 266, 341, 344 und die 70.
Landwehr-Brigade kamen zum Einsatz, die als Rückhalt herangeholte 119.
Infanterie-Division brauchte nicht mehr einzugreifen. Am 27. März nahm
die 86. Infanterie-Division, besonders die Regimenter 343 und 344, den
"Granathügel", eine als Beobachtungsstelle besonders wichtige Höhe
südlich Mokrzyce, zurück. Das Geländestück am
Narocz-See bei Blizniki ließ man den Russen, da sich die vielleicht
verlustreiche Wiedereroberung des in taktischer Hinsicht wertlosen Raumes nicht
gelohnt hätte.
Endlich, am 28. März, stellten die Russen Artilleriefeuer und Angriff ein.
Die Schlachtgruppe Ragosa hatte mehr als 100 000 Mann verloren, dazu
4500 Gefangene. 15 Divisionen, denen die Hauptlast des Kampfes zugefallen war,
erlitten eine Einbuße von mindestens der Hälfte ihrer
Kampfstärke. Erschöpft und stumpf lagen die Russen in den
Waldungen vor der deutschen Front. "Erst nach Wochen und aber Wochen, als
deutsche Sanitätskompagnien schon Hunderte von gefallenen Russen
beerdigt hatten, dachten die Russen daran, die toten Bataillone vor ihren
Hindernissen zu bestatten. Ein Waffenstillstand wurde vereinbart. Russische
Popen im Ornat zogen zwischen den Drahtverhauen um. Im Sumpfe zwischen
Freund und Feind wurden die Massengräber geschaufelt. Noch nach
Monaten stießen Spaten und Hacke der Schanzkommandos auf versunkene
Unterstände voll toter russischer Eindringlinge, über die der
zähflüssige Schlamm wie ein Lavastrom hinweggegangen war."4 Über die deutschen Verluste
liegen Berichte nicht vor. Jedenfalls betrugen sie nicht ein Fünftel der
russischen. Die [431] 107. Division verlor 50
Offiziere, 2000 Mann, dazu noch etwa 500 leichter Erfrorene.5
Die Schlacht am Narocz-See war die "Sumpfschlacht" des Weltkrieges. Die
Russen hatten, so sehr sie sich auch bemühten, das völlige
Mißlingen des großen Sturmlaufes der Heeresgruppe Ragosa zu
beschönigen und die Schuld dem Tauwetter zuzuschieben, eine blutige
Niederlage erlitten. Die deutschen Stellungen, gehalten von einer Minderzahl,
hatten sich als undurchbrechbar erwiesen, wobei die vorläufige Preisgabe
des kleinen Geländestreifens bei Blizniki wertlos war. Im Vergleich zu den
russischen Riesenopfern kam die verhältnismäßig geringe
Einbuße auf deutscher Seite kaum in Frage. Die Ursachen des
russischen Mißerfolges, der in Sumpf und Blut ausklang, erklärte sich
durchaus nicht allein aus den Überschwemmungen und Versumpfungen des
Angriffsgeländes. Vielmehr war es den Russen unmöglich, selbst
unter dem größten Munitionsaufwand die deutschen Besatzungen zu
erschüttern und sie im Sturmlauf mit Riesenmassen zu überrennen.
Es war eine harte Enttäuschung für Rußland und seine
Verbündeten, daß das neu aufgestellte russische Heer zwar an die
deutsche Linie mit Wucht heranprallte, aber trotz aller Opfer keinen Erfolg
erzielte. Der Trost, daß der Angriff am
Narocz-See die französische Verdun-Verteidigung entlastet habe, ist
hinfällig, denn die Deutschen haben deshalb keine Truppenverschiebungen
von Westen nach Osten vorgenommen oder in umgekehrter Richtung
unterlassen.
Die Kämpfe im Düna-Abschnitt.
Zur Zeit, als die russische Heeresgruppe Ewert am
Narocz-See und auf der Sumpffront
Mosheiki - Wileity durch die dem Angriffskeil Ragosa unterstellten
Massen vom 18. März ab immer wieder vergebens stürmen
ließ, setzte die russische Nordgruppe Kuropatkin an der unteren Düna
lebhafte Vorstöße gegen die deutsche 8. Armee an. Der russischen
Leitung schwebte hierbei ein doppeltes Ziel vor: die Festhaltung deutscher
Reserven vor der
Düna-Front zur Entlastung des
Ragosa-Angriffes und der weitere Ausbau der Brückenkopfstellungen auf
dem linken (südlichen)
Düna-Ufer.
Kuropatkins 12. Armee wählte hierzu zwei Angriffsabschnitte: von Riga
aus gegen die Front
Mitau - Groß-Ekau, von
Jakobstadt - Friedrichstadt her gegen das Höhengelände
am linken Düna-Ufer. Auch die ganze übrige Front von Mitau bis Illuxt geriet
in Bewegung, da die Russen den allgemeinen Artilleriekampf eröffneten
und an vielen Stellen zu größeren oder kleineren Nebenangriffen
schritten.
Die deutsche 8. Armee befand sich demgegenüber in einer besonders
schwierigen Lage, denn sie hatte als Schutz der linken Flanke der gesamten
Ostfront und zur Deckung des Kulturgebietes Kurland nur eine sehr dünne
Linie ohne starke [432] Reserven bilden
können. Während der Märzkämpfe konnten ihr nur zwei
einzelne Regimenter
(Reserve-Regiment 59 und Infanterie-Regiment 137) als Unterstützungen
aus der Armee-Abteilung Scholtz zugeführt werden. Die 8. Armee hatte eine Breite
von 220 km zu halten.
Vor Riga gingen nach Trommel- und Gasfeuer am Frühmorgen des 4.
März beiderseits der Straße
Kekkau - Groß-Ekau im Raum zwischen dem
Tirul-Sumpf zur Rechten und der Rigaer Staatsforst zur Linken starke Teile der
13. sibirischen und 120. Division, des I. und II. Bataillons lettischer Freiwilliger,
3. Marine-Jagdkommandos zum Angriff vor. Als Rückhalt folgten die 118.
Division, das V. lettische Bataillon, eine
Reiter-Brigade zu 9 Schwadronen: ein starker, von ausgewählten Truppen
geführter Stoß mit bedeutender Tiefengliederung.
Deutscherseits stand die 6. Reserve-Division diesem Angriff gegenüber. Der
Graben des Reserve-Regiments 35 ging durch Überfall verloren und wurde in
schwankenden Nahkämpfen von den Russen behauptet, bis das deutsche
Trommelfeuer den Gegner erschütterte und der Angriff des tapferen
brandenburgischen Regiments das Grabenstück in seinen Besitz
zurückbrachte. Bis zum Einbruch der Dunkelheit wurden die Russen durch
den Gegenstoß der ganzen 6.
Reserve-Division in ihre Ausgangsstellungen zurückgeworfen: ein
glänzender Sieg der Minderheit über eine weit überlegene
Masse.
Vor Jakobstadt begann am 19. März das russische
Trommel- und Gasfeuer gegen die deutsche 41. und 109.
Infanterie-Division. Am 21. März griffen die 4. und 5. sibirische, sowie die
78. und 79. Division aus der Front
Alt-Selburg - Janopol (15 km unterhalb, bzw. 5 km
oberhalb Jakobstadt), über das Eis der Düna vorbrechend, an. Die
vorderste deutsche Linie auf den Höhen beim Bahnhof Selburg (Strecke
Jakobstadt - Mitau) mußte geräumt, mehrere
Dörfer und Gehöfte den Russen gelassen werden. Allein es gelang
den beiden deutschen Divisionen, zu deren Unterstützung nur
Heeresreiterei und einige Batterien herangeführt werden konnten, die
Hauptstellungen festzuhalten und die Nordränder der großen
Sumpfwaldungen südlich der Linie
Jakobstadt - Friedrichstadt zu verteidigen. Den Russen wurden in
wechselnden Kämpfen bis zum 26. März die meisten gewonnenen
Punkte durch Gegenstöße wieder abgerungen. Nur unbedeutender
Geländegewinn verblieb ihnen zur geringfügigen Erweiterung des
Jakobstadter Brückenkopfes. Am 27. gaben die Russen den Angriff auf, der
ihnen - zusammen mit den Opfern der Kämpfe vor Riga und
Dünaburg - 20 000 Mann gekostet hatte. Auch hier waren die
Deutschen siegreich geblieben.
Die Armee-Abteilung Scholtz wurde am 21. und 22. März vor
Dünaburg, am
Dryswjaty-See und bei Widsy lebhaft angegriffen. Vor Dünaburg wies das
XXXIX. Armeekorps, am
Dryswjaty-See die 87. Infanterie-Division, bei Widsy die 2.
Kavallerie- und die 9. Infanterie-Division die Vorstöße unter
erheblichen Feindesverlusten ab.
|