Bd. 2: Der deutsche Landkrieg, Zweiter Teil:
Vom Frühjahr 1915 bis zum Winter 1916/1917
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Kapitel 7: Der Krieg auf der deutschen Ostfront
1916
Oberst Friedrich Immanuel
1. Die allgemeine Lage vor Beginn der großen
Kämpfe.
Beim Jahresanfang 1916 erstreckte sich die deutsche Ostfront vom Rigaischen
Meerbusen bei Tukkum bis an den unteren Stochod südwestlich Pinsk. Den
linken (nördlichen) Flügel bildete die Heeresgruppe Hindenburg. Sie
umfaßte:
- die 8. Armee, Otto von Below, von der Ostsee bis Illuxt vor
Dünaburg;
- die Armee-Abteilung v. Scholtz, von Illuxt bis Widsy;
- die 10. Armee, v. Eichhorn, von Widsy bis Krewo;
- die 12. Armee, v. Fabeck, von Krewo bis zum Zusammenfluß der
Beresina mit dem Niemen.
Südwärts schloß sich die Heeresgruppe Prinz Leopold von
Bayern an. Zu ihr gehörten:
- die 9. Armee unter dem Prinzen selbst vom Niemen bis
nördlich Baranowitschi;
- die Armee-Abteilung v. Woyrsch, von nördlich Baranowitschi längs des Serwetsch, der Schtschara und Jasiolda;
- die Armee-Abteilung Gronau, von der Jasiolda über Pinsk bis an den
unteren Stochad.
Vom unteren Stochad bis an die rumänische Grenze hatte die
k. u. k. Heeresleitung den Oberbefehl über ihre eigenen, wie
über die dazwischengeschobenen deutschen Streitkräfte. Unter ihr
standen:
- die Heeresgruppe Linsingen mit
- der Armee-Abteilung v. Linsingen, vom unteren Stochod bis
Rafalowka am Styr,
- der k. u. k. 4. Armee Erzherzog Josef Ferdinand, vom Styr bei Rafalowka
bis südöstlich Luck;
- die Heeresgruppe v. Boehm-Ermolli, mit
- der k. u. k. 1. Armee, v. Puhallo, bei Dubno,
- der k. u. k. 2. Armee unter dem Heeresgruppenführer selbst
östlich Brody,
- der deutschen Südarmee, Graf v. Bothmer, an der Strypa bis
Buczacz;
- die k. u. k. 7. Armee, v. Pflanzer-Baltin, von Buczacz bis zur
Südgrenze des Kriegsschauplatzes.
[420] Ein gemeinsamer
Oberbefehl für die gesamte Ostfront der Mittelmächte bestand nicht.
Die deutsche Oberste Heeresleitung zu Pleß und das k. u. k.
Armee-Oberkommando zu Teschen verständigten sich von Fall zu Fall
über Entschlüsse und Maßnahmen. Ebenso unterstanden die
beiden Heeresgruppen Hindenburg und Prinz Leopold, jede für sich, der
deutschen Obersten Heeresleitung.
Das Einvernehmen zwischen der deutschen und
österreichisch-ungarischen Oberleitung vollzog sich nicht ohne Reibungen.
Zu dem seit Mitte Dezember 1915 vom k. u. k.
Armee-Oberkommando geplanten entscheidenden Angriff auf die italienische
Front, der aus politischen und wirtschaftlichen Gründen nach dieser Seite
hin freie Hand schaffen sollte, bedurfte
Österreich-Ungarn der Entnahme erheblicher k. u. k.
Verbände aus dem Südabschnitt der Ostfront. Damit wären die
dort zwischen die österreichisch-ungarischen Truppen eingeschobenen
deutschen Einheiten gebunden gewesen und hätten sogar verstärkt
werden müssen, um die nötige Sicherheit gegen die zu erwartenden
russischen Angriffe im Frühjahr 1916 zu bieten.
General v. Falkenhayn
widerrief diesen Plänen, weil der Einsatz aller
verfügbaren deutschen Kräfte für den beabsichtigten Angriff
gegen Verdun erforderlich war; auch dürfe die Gefahr des bevorstehenden
Russenangriffs nicht unterschätzt werden. "Nach diesen Feststellungen",
teilte die deutsche Oberste Heeresleitung dem k. u. k.
Armee-Oberkommando mit, "werden Euer Exzellenz sich nicht wundern, wenn
ich empfehle, daß das k. u. k.
Armee-Oberkommando alle jene Kräfte, die es nach unbedingter Sicherung
seiner Stellungen gegen jeden Angriff an der italienischen Grenze und in Galizien
verfügbar machen kann, als Ausgleich für die bei der Heeresgruppe
südlich des Pripjet eingesetzten deutschen Truppen der deutschen Obersten
Heeresleitung überweist. Es liegt nicht in der Absicht, einen derartigen
Kräftezuwachs offensiv einzusetzen. Wohl aber könnte er zur
Ablösung deutscher Teile aus der Front, die dann ihrerseits für aktive
Unternehmungen zur Hand wären, sehr zweckmäßige
Verwendung finden. Darüber, wo diese Operationen geführt werden
sollen, sind meine Erwägungen noch nicht abgeschlossen."1 Die deutsche Oberste Heeresleitung
machte aus Rücksichten der Geheimhaltung über die Absicht, die
Operationen im Maas-Gebiet zu führen, dem k. u. k.
Armee-Oberkommando erst Ende Januar 1916 Mitteilung.
Das k. u. k. Armee-Oberkommando ließ daraufhin seinen Vorschlag fallen,
so daß es einstweilen bei der derzeitigen Kräfteverteilung blieb. Es
wies aber darauf hin, daß es an seiner Ansicht, gegen Italien sei ein
kriegsentscheidender Erfolg möglich,
festhalte - ein Plan, der in der Tat im Mai [421] 1916 zur
Ausführung gelangte und unheilvoll auf die Lage der Ostfront wirken
sollte.
Auf den deutschen Abschnitten der Ostfront wurde im Winter 1915/16 mit
großem Eifer an der Verstärkung der Stellungen, an der Anlage von
Unterkünften für die Truppen gegen die Unbilden der Kälte,
am Bau von Verbindungslinien, an der Hebung der Landeskultur gearbeitet und
Bedeutendes auf allen diesen Gebieten ereicht. Auch während der
Wintermonate ruhten die Kämpfe nicht.
"Nicht einmal den Winter sollten
wir in einiger Ruhe verbringen können," schreibt Hindenburg, "zeigte sich
doch bald, daß der Russe an alles eher dachte, als sich stille zu verhalten.
Auf unserer ganzen Front, ja weit darüber hinaus nach Süden, war es
in und hinter den gegnerischen Linien unruhig, ohne daß man zuerst die
Absichten der russischen Führung irgendwie erkennen konnte. Ich hielt die
Gegenden von Smorgon, Dünaburg und Riga für besondere
Gefahrpunkte aller unserer Stellungen. In diese Gebiete führten die
leistungsfähigsten russischen Bahnen. Aber ausgesprochene Anzeichen
für einen feindlichen Angriff an den genannten drei Punkten ergaben sich
lange Zeit nicht. Die Tätigkeit im Rückengebiet des Feindes blieb
ungemein emsig. Überläufer klagten über die harte Zucht, der
die zurückgezogenen Divisionen unterworfen wurden, denn mit eiserner
Strenge wurden die Truppen gedrillt. Das Stärkeverhältnis in den
einzelnen Abschnitten war schon in den Zeiten der Ruhe für uns
außerordentlich ungünstig. Wir mußten damit rechnen,
daß durchschnittlich jedem einzelnen unserer Divisionsabschnitte (9
Bataillone) etwa 2 bis 3 russische Divisionen (32 bis 48 Bataillone)
gegenüberstanden."2
Vor der dünnen deutschen und
österreichisch-ungarischen Front standen zu Ausgang des Winters 60
russische Armeekorps, hinter ihnen weitere bedeutende Kräfte an
Reserve- und Ersatztruppen. Der Zar befand sich vollständig unter der
Herrschaft der Kriegspartei, welche fest am Bündnis mit der Entente hielt
und jetzt erst die Riesenkraft der russischen
Menschen- und Soldatenmasse zur Entscheidungsschlacht einsetzen wollte, um den
Widerstand der Mittelmächte niederzustampfen. Der Winter 1915/16 wurde
dazu benutzt, die Truppen gründlich auszubilden, Bewaffnung,
Ausrüstung, Munition mit Hilfe des in großer Fülle über
die Eismeerhäfen und die sibirische Eisenbahn heranströmenden
englischen, amerikanischen, japanischen Kriegsgeräts zu ergänzen.
Der Zar - neben ihm Alexejew als Generalstabschef und Rußki als
Generaladjutant - führte selbst den Oberbefehl.
Drei Heeresgruppen wurden gebildet:
- Nordgruppe Kuropatkin an der Düna,
- Mittelgruppe Ewert zwischen Düna und
Pripjet,
- Südgruppe Iwanow südlich des Pripjet.
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