Bd. 2: Der deutsche Landkrieg, Zweiter Teil:
Vom Frühjahr 1915 bis zum Winter 1916/1917
[319]
Kapitel 6: Der Feldzug in Serbien1
Oberst Theodor Joachim
1. Vorgeschichte.
"Deutsche und österreichisch-ungarische Truppen haben die Drina,
Save und Donau überschritten und auf dem östlichen
Drina- und südlichen Save- und Donau-Ufer festen Fuß
gefaßt." So verkündete am 7. Oktober 1915 der deutsche
Heeresbericht unvermittelt der aufhorchenden Welt. Es war die Einleitung zu
einem neuen, ruhmvollen Waffengange des deutschen Heeres und seines
Bundesgenossen, denen sich diesmal ein neuer
Verbündeter - Bulgarien - zugesellt hatte.
Mußte auch die endgültige Entscheidung auf der Westfront fallen, so
war sie unmöglich, solange die russischen Massen den Rücken der
Mittelmächte bedrohten. Immer wieder war die Oberste Heeresleitung
genötigt, aus der schwer ringenden Westfront Truppen herauszuziehen, um
die wankende österreichisch-ungarische Front zu stärken. Wollte
man aber Rußland ausschalten, so mußte man ihm jeden neuen
Zuschuß an Kraft, d. h. die letzte brauchbare Verbindung mit der
Entente - die Dardanellen -, unterbinden. Gewann umgekehrt die
Entente die Dardanellen, so traten voraussichtlich auch Rumänien und
Bulgarien zu ihr über, ein Kraftzuwachs, der den Mittelmächten
verderblich werden konnte. Von größter Bedeutung war daher der im
Oktober 1914 erfolgte Anschluß der Türkei an Deutschland gewesen,
worauf die Entente auf Gallipoli landete, um die Dardanellen mit Gewalt zu
nehmen. Die Oberste Heeresleitung suchte die militärisch schwache
Türkei zu stützen, doch machte die zweideutige Haltung
Rumäniens die Verbindung mit ihr so unsicher, daß man sich mit
Hilfe der Bulgaren einen anderen, sicheren Weg durch Serbien über
Belgrad und Sofia nach Konstantinopel bahnen mußte. Auch glimmte,
solange sich die Serben frei betätigen konnten, die südslawische
Gefahr für die Donaumonarchie heimlich weiter, besonders als sich das
Verhältnis zwischen Italien und
Österreich-Ungarn zuspitzte. Die gespannte Lage an der
West- und Ostfront, sowie die von Italien drohende Gefahr verlangten schnellsten
Erfolg über die Serben. Da deren unwegsames, gebirgiges Land aber zur
zähesten Verteidigung wie geschaffen war, konnte er nur durch
gleichzeitigen Angriff gegen ihre Front, Flanke und Rücken errungen
werden. Dies war in wirksamer Weise nur von Norden und von [320] Bulgarien her
ausführbar. Dann freilich winkte ein vernichtender Erfolg, wenn es gelang,
das serbische Heer einzukreisen, ehe es sich nach Süden auf griechisches
Gebiet oder durch das Hochgebirge nach Montenegro und Albanien retten
konnte.
Bulgarien hatte nach dem ungünstigen Verlauf des zweiten Balkankrieges
1913 alles darangesetzt, wieder auf seine frühere wirtschaftliche
Höhe zu kommen und sein Heer von neuem zu einer schlagfertigen Waffe
zu gestalten. Das Ziel der Bulgaren blieb die Rückgewinnung der national
zu ihnen gehörigen Gebiete, vor allem in Mazedonien, die sie im letzten
Balkankriege bereits sicher errungen zu haben glaubten, die ihnen aber durch ihre
Bundesgenossen 1913 wieder entrissen und Serbien und Griechenland
zugesprochen worden waren. Die bulgarische Politik mußte angesichts der
von allen Seiten drohenden Gefahren sehr vorsichtig sein. So war es
natürlich, daß sich König Ferdinand den Mittelmächten
gegenüber nach den für diese recht empfindlichen
Rückschlägen des Herbstes 1914 sehr zurückhaltend verhielt.
Auf der anderen Seite hatte er aber bisher auch den eifrigen Lockungen der
Entente widerstanden, die alles daransetzte, einen Balkanblock gegen
Deutschland, Österreich-Ungarn und die Türkei ins Leben zu rufen,
der in Kürze die heißersehnten Dardanellen der Entente in die
Hände gespielt hätte.
Am 23. Mai erfolgte die Kriegserklärung Italiens an
Österreich-Ungarn. Ein tatkräftiges Vorgehen der Italiener konnte
unter Umständen zur Einstellung der mit so großem Erfolg gegen die
Russen begonnenen Durchbruchsoffensive von
Gorlice-Tarnow zwingen. Die italienische Gefahr erwies sich jedoch bald als nicht
sehr bedrohlich, Serbien blieb ruhig, und Rumänien verhielt sich nach wie
vor abwartend. So konnten die Operationen gegen die Russen fortgesetzt werden,
bis die deutsche Oberste Heeresleitung annehmen zu können glaubte,
daß ihre Kraft auf längere Zeit gelähmt sei. Das
Mißgeschick der Russen hatte aber auch zur unmittelbaren Folge, daß
Rumänien nicht wagte, sich offen gegen die Mittelmächte zu
entscheiden. Diese ließen es nicht an eifrigsten Bemühungen fehlen,
Rumänien auf ihre Seite zu ziehen, allein vergeblich, da der Einfluß
der Entente in diesem Lande zu mächtig war. Dagegen schritten die seit Juli
1915 wieder in Gang gekommenen Verhandlungen mit Bulgarien rüstig
vorwärts. Aber die Zeit drängte auch, denn seit Anfang Juli hatte die
Entente bedeutende Verstärkungen nach Gallipoli geführt. Dort
entspannen sich im August heftige Kämpfe, welche die Lage der
Türkei immer bedrohlicher erscheinen ließen. Gleichzeitig setzten die
Ententemächte ihre Bestrebungen in Sofia eifrigst fort, Bulgarien durch
Versprechungen auf Kosten Griechenlands und Serbiens aus seiner neutralen
Haltung zum Anschluß an sie zu bewegen. König Ferdinand erkante
aber den geringen Wert dieser großmütigen Angebote und ließ
sich auch nicht durch Drohungen und sonstige skrupellos angewandte Mittel
beirren. Die Mißerfolge der Entente im Westen, Osten und in Italien
bestärkten ihn darin. Natürlich wollte er auch den
Mittelmächten seine wertvolle Hilfe nicht ohne greifbare,
sofor- [321] tige Gegenleistung
leihen und verlangte Gebietsabtretungen an der Maritza von der Türkei, die
ihm den Zugang zum Hafen von Dedeagač erleichtern sollte. Dem General
v. Falkenhayn gelang es, auch diese Schwierigkeit zu beseitigen. Die
türkischen Staatsmänner willigten im Interesse der gemeinsamen
Sache in die Forderung Bulgariens ein, und so kam am 6. September 1915 in
Pleß eine Militärkonvention zwischen Deutschland,
Österreich-Ungarn und Bulgarien zustande. Die Ententemächte
überreichten darauf der bulgarischen Regierung am 14. September eine
dringende Note und auf die ausweichende Antwort am 4. Oktober ein
russisch-französisch-englisches Ultimatum, das zum Abbruch der
diplomatischen Beziehungen führte. Eine Kriegserklärung
Bulgariens an Serbien erfolgte aber vorläufig noch nicht.
Griechenland hatte gleich Bulgarien und Rumänien im Herbst 1914 seine
Neutralität erklärt. Sehr bald aber setzten die Lockungen der Entente
auch bei ihm ein, um es zu einem bewaffneten Eingreifen für Serbien zu
veranlassen. Auch hier wurden alle der englischen Diplomatie so
geläufigen Mittel angewandt. Der eitle und ehrgeizige griechische
Ministerpräsident Benizelos stand zwar ganz auf der Seite der Entente, fand
aber zunächst bei dem König und weiten Kreisen des Landes, die
unbeirrt an der einmal ausgesprochenen Neutralität festhielten, ein
genügendes Gegengewicht.
Nach dem Scheitern der österreichisch-ungarischen Offensive gegen
Serbien 1914 war es auf diesem Kriegsschauplatz ruhig geworden. Die Serben
nutzten die gewonnene Zeit eifrigst zur Ergänzung ihrer starken Verluste an
Menschen und Gerät aus, wobei ihnen die Entente nach Kräften half.
Das serbische Heer hatte sich in den ersten Waffengängen vortrefflich
geschlagen. Das Soldatenmaterial war recht gut, wenn auch noch roh. Die
Kriegserfahrungen der letzten Jahren machten das serbische Heer zu einem
beachtenswerten Gegner, besonders, da es sich durch Unerschrockenheit,
zähe Tapferkeit und große Vaterlandsliebe auszeichnete. Die
Festungen des Landes waren veraltet, die einzige bedeutendere, Nisch, bildete den
Hauptstützpunkt der Ostfront. Die übrigen Befestigungen an der
bulgarischen Grenze (Egri Palanka, Vranje, Pirot, Knjaževac und
Zaječar) waren mehr oder weniger behelfsmäßig. Die
Befestigungen an der Donau und Save (Požarevac, Semendria und Belgrad)
hatten gleichfalls nur geringen Wert, wenn auch die Zitadelle von Belgrad die
Donau und Save weithin beherrschte.
Solange sich Bulgarien nicht an die Mittelmächte anschloß, war die
Lage Serbiens nicht schwierig. Griff aber Bulgarien auf deren Seite in den Krieg
ein, so wurde Serbien nicht nur von der
Drina-, Save- und Donau-Front, sondern auch von seiner langgestreckten Ostfront
her bedroht. Gerade der bulgarische Stoß konnte, wenn er weit genug nach
Süden ausholte, außerordentlich gefährlich werden, denn er
traf die Verbindung mit Saloniki, dem eigentlichen Zufuhrhafen Serbiens, und
damit auch die Verbindung mit der Entente und Griechenland, und [322] ließ nur den Weg
über Montenegro und Albanien über öde, verkehrsarme und
hohe Gebirgszüge hinweg ohne jede Schienenverbindung zum Adriatischen
Meere offen. Das Mißliche dieser Lage wurde allerdings dadurch etwas
gemildert, daß sich das Gelände östlich der Drina, namentlich
in dem südlichen Teil, welcher der operativ wichtigste war, wegen seiner
gebirgigen Beschaffenheit, seiner Wegelosigkeit und dünnen Ansiedlung
für größere Angriffsoperationen des Feindes wenig eignete.
Auch die Ostfront begünstigte mit ihren hohen, unwegsamen und mehrfach
hintereinander gelagerten Gebirgszügen eine nachhaltige Verteidigung im
hohen Maße, setzte aber eine vortreffliche Organisation der
Nachrichtenmittel voraus, die nicht bestand. Überdies bargen auch die
weite Ausdehnung des zu sichernden Raumes und das mangelhafte Verkehrsnetz
die große Gefahr der Zersplitterung der Kräfte in sich.
Den Serben standen im ganzen etwa 250 000 Mann zur Verfügung, die in
15 Divisionen ersten und zweiten Aufgebots eingeteilt waren. Außerdem
gab es noch eine Anzahl Regimenter dritten Aufgebots, die eine Art von
Landsturm darstellten.2 Die
Regimenter - wenigstens die des ersten und zweiten
Aufgebots - waren bis zum Herbst 1915 wieder zu Kriegsstärke
aufgefüllt. Das erste und zweite Aufgebot verfügte über eine
gute Bewaffnung, wenn auch die Ausrüstung mit Maschinengewehren recht
zu wünschen übrig ließ. Das dritte Aufgebot führte nur
veraltete Gewehre, zum Teil sogar nur Schrotflinten. Allgemein mangelte es an
Bajonetten. Munition war reichlich vorhanden, dagegen bestand großer
Mangel an Handgranaten. Mit Ausnahme nur weniger Regimenter war die
Ausrüstung und Bekleidung recht mangelhaft. Sie versagte bei dem im
Oktober 1915 einsetzenden schlechten Wetter völlig. Das dritte Aufgebot
trug sogar zum großen Teil nur Zivilkleidung. Die Verpflegung war
reichlich, sie wurde durch die große Genügsamkeit des serbischen
Soldaten außerordentlich erleichtert. Die sanitären Einrichtungen
entsprachen durchaus den zu stellenden Anforderungen; doch trat bald ein Mangel
an Verbandstoffen ein.
In ihrer durch den Übertritt Bulgariens zu den Mittelmächten
schwierig gewordenen Lage konnten die Serben vorderhand nur bei den
Montenegrinern auf unmittelbare Unterstützung rechnen;3 denn die rumänische Regierung
verblieb trotz der sofort in verstärktem Maße einsetzenden Hetze der
sehr einflußreichen Ententefreunde Filipescu und Take Ionescu in ihrer
bisherigen abwartenden Haltung. Sie erklärte sogar am 22. September und
13. Oktober von [323] neuem ihre
Neutralität und wies auch das durch England unterstützte Verlangen
des russischen Gesandten, der freien Durchmarsch für russische Truppen
durch die Dobrudscha gegen Bulgarien forderte, zurück.
In Griechenland hatte König Konstantin auf die Nachricht von der
Mobilisierung des bulgarischen Heeres am 23. September die Mobilmachung der
griechischen Armee befohlen und den Belagerungszustand über die
griechisch-mazedonischen Grenzgebiete verhängt, um die Neutralität
seines Landes nötigenfalls mit der Waffe zu behaupten. Die Beunruhigung
im griechischen Volke legte sich jedoch wieder, als die durchaus friedlichen
Erklärungen König Ferdinands von Bulgarien an den griechischen
König bekannt wurden. Auch der deutsche Kaiser gab seinem Schwager die
bindende Versicherung, daß die bulgarischen Truppen die
griechisch-mazedonische Grenze nicht überschreiten würden.
Schwierig aber wurde die Lage Griechenlands, als der französische
Gesandte in Athen die Landung einer französischen Abteilung in Saloniki
ankündigte, um Serbien, dem Verbündeten der Entente, zu helfen.
Die griechische Regierung erhob sofort Einspruch gegen diese schreiende
Neutralitätsverletzung, die Frankreich und England aber als durch das seit
1913 zwischen Griechenland und Serbien bestehende Bündnis, das
Griechenland ohne weiteres zur bewaffneten Hilfe für Serbien verpflichte,
als gerechtfertigt hinzustellen suchten. Ministerpräsident Venizelos trat
wiederum für den unbedingten Anschluß Griechenlands an die
Entente ein, was aber nach wie vor auf den Widerspruch weiter Kreise im Lande
stieß und zum Sturze Venizelos' führte. Die griechische Regierung
erklärte von neuem ausdrücklich ihre Neutralität, denn das
Bündnis mit Serbien sei nur für den Fall von Streitigkeiten der
Balkanvölker untereinander, nicht aber für einen Weltkrieg, in dem
mehrere Großmächte handelnd auf dem Balkan aufträten,
geschlossen worden. Die Entente erkannte diese Auffassung nicht an, doch blieb
die griechische Regierung standhaft, wenn sie auch nichts Ernstliches gegen die
nun folgenden Vergewaltigungen durch die Entente tun konnte, da es England, als
Beherrscherin der Meere, ganz in der Hand hatte, dem Lande sofort alle
Lebensbedingungen abzuschneiden.
|