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Bd. 1: Der deutsche Landkrieg, Erster Teil:
Vom Kriegsbeginn bis zum Frühjahr 1915

Kapitel 7: Der Krieg im Herbst und Winter im Osten   (Forts.)
Oberst Friedrich Immanuel

2. Der erste Feldzug in Polen im Herbst (Oktober) 1914.

Der Plan zum Vormarsch gegen die Weichselfront Iwangorod - Warschau.

Österreich-Ungarn hatte eine sehr schwere Niederlage erlitten. Mitte September 1914 waren seine Armeen weit hinter dem San und vom Karpathen-Kamme östlich des Dukla-Passes zurückgenommen worden. Die Festung Przemysl wurde von den Russen belagert, die Zugänge nach Ungarn östlich des genannten Passes standen dem Feinde offen. Aus Serbien, wo sich die Lage gleichfalls zuungunsten der k. u. k. Waffen gewendet hatte, konnten größere Truppenabteilungen zur Stützung der Front am Dunajec und auf den Karpathen nicht mehr herangezogen werden. Auch die Verstärkung des Heeres durch Neuaufstellungen im Doppelreiche erforderte Zeit und stieß im Hinblick auf den Mangel an Ersatz wie an Kriegsgerät auf große Schwierigkeiten. Mitte September 1914 wurde die Stärke der k. u. k. Kampftruppen in Galizien und Nordostungarn auf nur noch 367 000 Mann angegeben, wozu 16 000 Mann des deutschen Korps Woyrsch traten, zusammen nicht mehr als 383 000 Mann. Ihnen gegenüber standen 652 000 Mann russische Fronttruppen, deren Zahl sich im Laufe der allernächsten Zeit durch bedeutende Verstärkungen aus dem Inneren des Reiches, das jetzt erst auf die Höhe seiner Leistungsmöglichkeit zu kommen begann, um mehr als das Doppelte erhöhen konnte. Seitens der Mittelmächte mußte mit [457] Sicherheit darauf gerechnet werden, daß die russische Heeresleitung nicht mehr lange zögern würde, die große Entlastungsunternehmung für die Entente in die Tat umzusetzen und Österreich-Ungarn durch die Wucht der Massen zu erdrücken. Der Marsch über die Karpathen auf Budapest schien unter der Wirkung dieses Stärkeverhältnisses kaum noch aufzuhalten. Ebenso war ein Vormarsch des russischen rechten Flügels von der galizischen Front auf Wien möglich. Die Überflutung Mährens, Böhmens und der Slowakei durch die Russen hätte voraussichtlich die Erhebung der slawischen Stämme dieser Länder zur Folge gehabt und nicht allein das k. u. k. Heer, sondern auch den Gesamtstaat zersetzt. Die großen Verluste des österreichisch-ungarischen Heeres an Gefangenen und Überläufern aus den Reihen der slawischen Mannschaften während der ersten Kriegswochen, nachdem sich die Lage zum Nachteil der k. u. k. Waffen gestaltet hatte, gab zu sehr ernsten Bedenken Anlaß. Wollte das Deutsche Reich auf die weitere Widerstandsfähigkeit Österreich-Ungarns zählen, so mußte das stark erschütterte k. u. k. Heer durch unmittelbare deutsche Hilfe gestützt und in jedem Sinne wieder gehoben werden. Auch die Rücksicht auf die allgemeine Lage forderte ein starkes Eingreifen Deutschlands zugunsten Österreich-Ungarns; denn Italien wartete anscheinend nur auf einen günstigen Augenblick für seine Kriegserklärung gegen den ehemaligen Verbündeten, während die Haltung Rumäniens zweifelhaft war.

Deutschland war aber auch unmittelbar bedroht, wenn Österreich-Ungarn weiterhin wich und in Kraftlosigkeit versank. Oberschlesien war auf das schwerste gefährdet. Deutschland konnte aber die Eisen- und Kohlenschätze sowie die industriellen Anlagen dieser Provinz nicht entbehren, denn es bedurfte ihrer zum Durchhalten auf wirtschaftlichem Gebiete.

"Um Mitte September 1914", beurteilte der neue Chef der Obersten Heeresleitung General v. Falkenhayn die Lage,4 "gewann man im Deutschen Großen Hauptquartier die Überzeugung, daß die Entscheidung darüber, ob und wo die Rückzugsbewegung enden würde, angesichts der Schwäche und des Zustandes der verbündeten Truppen lediglich von den Entschließungen des Feindes abhing. Aus solchen Erwägungen ergab sich die Notwendigkeit einer unmittelbaren, baldigen und ausgiebigen Unterstützung der Verbündeten von selbst. Die Frage, wie sie erfolgen sollte, war freilich nicht leicht zu beantworten."

Das Westheer ließ sich nach den Erfahrungen der Marne-Schlacht vorerst nicht weiter durch wesentliche Abgaben nach dem Osten schwächen. Die im Inneren des Deutschen Reiches in der Aufstellung und Ausbildung begriffenen Armeekorps waren noch nicht soweit fertig, um mit Aussicht auf Sieg im Osten verwendet werden zu können; auch bestand bei der Obersten Heeresleitung die Absicht, die jungen Truppen auf dem flandrischen Kriegsschauplatz bei dem zu erwartenden Entscheidungskampf um die Yser- und Ypern-Front einzusetzen. [458] So entstand der Entschluß, die deutsche 8. Armee in Ostpreußen, welche soeben den Sieg über das russische Niemen-Heer an den Masurischen Seen davongetragen und die deutschen Ostmarken vom Feinde freigefegt hatte, zur Unterstützung der Verbündeten zu verwenden. "Der k. u. k. Armee mußte geholfen werden", erkannte Ludendorff,5 "wenn sie nicht vernichtet werden sollte". Hierzu erschien der alte, von der österreichisch-ungarischen Heeresleitung vorher so oft geforderte Vormarsch der 8. Armee mit den Hauptkräften über den Narew bei der nunmehrigen Lage gegenstandslos, denn er wäre ein Luftstoß gewesen. Die Unterstützung des geschlagenen k. u. k. Heeres mußte nach Hindenburgs und Ludendorffs Meinung eine unmittelbare sein und konnte gar nicht stark genug bemessen werden.

Zunächst war es die Absicht der deutschen Obersten Heeresleitung, die in diesen Tagen aus den Händen Moltkes in diejenigen Falkenhayns überging, aus zwei Armeekorps der 8. Armee eine deutsche "Südarmee" in Oberschlesien zu bilden, bei welcher Ludendorff Chef des Generalstabes hätte werden sollen. Tatsächlich traf Ludendorff bereits am 16. September in Breslau ein. Bei dem Gedankenaustausch über diese Frage erkannte er aber, daß eine so schwache Armee nur eine Abwehr und eine Schutzmaßnahme darstellen konnte, jedenfalls aber nicht genügen würde, um die Lage in Galizien auch nur einigermaßen zugunsten des Zweibundes herzustellen. Mit Hilfe durfte aber auch nicht gewartet, es mußte vielmehr sofort durch Zufassen und Angreifen gehandelt werden, wollte man in der Lage im Osten eine schnelle Wendung erreichen. Daher machte er der Obersten Heeresleitung den fertigen Vorschlag, nicht Teile, sondern die Masse der 8. Armee unter dem Oberbefehl Hindenburgs nach Oberschlesien und Posen zu senden. Dabei mußte freilich die Gefahr in Kauf genommen werden, daß die Russen früher oder später noch einmal nach Ostpreußen einbrechen und das schwer geprüfte Land von neuem heimsuchen würden. Allein selbst dieser beklagenswerte Umstand durfte nicht ins Gewicht fallen, sobald es sich um Kriegshandlungen von ausschlaggebender, entscheidender Wirkung drehte. Ludendorff schlug vor, daß die Angerapp- und Seen-Linie stark befestigt werden sollten, damit auch schwache deutsche Kräfte in der Lage waren, sie gegen russische Übermachten zu halten und auf diese Weise die Überschwemmung Ostpreußens durch die Russen wenigstens auf ein Mindestmaß zu beschränken.

Schon am 16. September erhielt in Breslau Ludendorff die Nachricht, daß die Obersten Heeresleitung auf seinen Vorschlag eingegangen war, und daß aus der Masse der 8. Armee eine 9. Armee unter Hindenburg gebildet wurde, bei welcher er die Stelle als Chef des Generalstabes übernehmen würde.

Die neue deutsche 9. Armee setzte sich aus folgenden Verbänden zusammen:

        dem XI., XVII., XX. Armeekorps,
        dem Garde-Reservekorps,
[459]   der 35. Reserve-Division,
        der Landwehr-Division Graf Bredow,
        der 8. Kavallerie-Division,

im ganzen rund 125 Bataillonen mit einer Gefechtsstärke von etwa 95 000 Gewehren. Diese Kampfkraft war an sich sehr gering bemessen für die schwere Aufgabe, die ihrer wartete, allein es ließen sich nicht mehr Kräfte freimachen. Der Wert der Armee lag weniger in ihrer Zahl als in der Güte und Kampferprobtheit der Truppen unter einer entschlußfrohen, hochbewährten Führung.

Das k. u. k. Heer, zu dessen Unterstützung die deutsche 9. Armee eingesetzt werden sollte, stand mit mehr als 40 Divisionen auf dem Westufer der Wisloka in dem engen Raum zwischen den Karpathen und der Weichsel. Am 20. September waren die Stellungen im wesentlichen erreicht, der Rückzug abgeschlossen, die Gefahr der beiderseitigen Umfassung behoben. Namentlich hatte sich bis zuletzt das deutsche Landwehrkorps Woyrsch hervorgetan und war als letzter Verband über die Wisloka gegangen, den linken Flügel der k. u. k. Armee Dankl gegen Umklammerung schützend. Das brave Korps stand am linken Flügel dieser Armee, Front nach Norden, einen Tagemarsch östlich Krakau, südwärts der Weichsel, rechts neben ihm im Raum zwischen der Weichsel und dem unteren Dunajec, westlich des letzteren, das Korps Dankl, dann, nach Süden im rechten Winkel umbiegend, mit Front nach Osten die übrigen k. u. k. Armeen, rechter Flügel in der Nähe des Dukla-Passes. "Die Armee war ungeheuer mitgenommen", war der Eindruck, den Ludendorff gewann, als er sie durchfuhr, um sich in das k. u. k. Hauptquartier nach Neu-Sandec zur Aussprache zu begeben.

Die Russen ließen sehr bald im Eifer der Verfolgung nach, den sie nach ihren Siegen bei Lemberg anfangs bewiesen hatten, und gaben dem Feinde somit Frist, sich hinter der Wisloka aufzubauen und die Ankunft der deutschen 9. Armee zu erwarten. Am linken Weichsel-Ufer gingen drei russische Kavalleriekorps vor, um sich schließlich mit der Erreichung der Nida-Linie zu begnügen, anstatt in einem Zuge an der Weichsel aufwärts unverweilt in das oberschlesische Bergwerksgebiet einzufallen. Der Geist eines Suworow, Kutusow und jüngeren Skobelew lebte nicht mehr in den russischen Reiterscharen. Am rechten Flügel verspürte die Armee Ewert durch den tapferen Widerstand des Korps Woyrsch, daß die Gegner durchaus noch nicht vernichtet waren, und machte östlich der Wisloka Halt, während sich die übrigen Armeen westlich Przemysl und vor den Karpathen festlegten. Zweifellos war es ein großer, für den gesamten Krieg im Osten entscheidender Fehler, daß die russische Heeresleitung den Sieg über das österreichisch-ungarische Heer nicht durch eine rücksichtslose Verfolgung ausnutzte, um es zu zertrümmern, bevor deutsche Hilfe zur Stelle sein konnte. Um diese, für deutsche Begriffe nicht verständliche Unterlassung zu verstehen, muß in Erwägung gezogen werden, daß auch die Russen in den galizischen Schlachten schwere Verluste erlitten hatten und sich zunächst ergänzen wollten, bevor sie zum entscheidenden [460] Angriff auf Krakau und über die Karpathen schritten. Sie maßen den Gegner nach ihren eigenen Zuständen und vergaßen, daß er die Stunde ausnützen und dem Schlag unverweilt den Gegenschlag geben würde. Sie konnten auch wohl kaum vermuten, daß ein Hindenburg und Ludendorff zur Stelle sein würden, um die verbündete Armee zu stützen, und ihr durch wuchtigen Gegenstoß frische Kräfte, frisches Blut, frisches Vertrauen einzuflößen.

Im Bogen der Weichsel westlich der Festungslinie Nowogeorgiewsk - Warschau - Iwangorod befanden sich auf russischer Seite auch jetzt nur einige Kavallerie- und Kosaken-Divisionen, hinter denen Schützen-Brigaden und die Festungs-Reserven den Rückhalt bildeten. Diese Truppen verhielten sich durchaus abwartend und störten die deutsche Landsturm- und Besatzungsaufgebote nicht, die auf polnischem Boden über Czenstochowa - Sieradz - Kolo - Wloclawek den tatenlustig auftretenden Grenzschutz bildeten. Die Russen verstanden es glücklicherweise nicht, von ihrer geradezu erdrückenden Überlegenheit Gebrauch zu machen.

Aus den Besprechungen zwischen Ludendorff und Conrad zu Neu-Sandec ergab sich der Entschluß, daß die deutsche 9. Armee aus der Linie Krakau - Kalisz gegen die Weichsel bei und oberhalb Iwangorod zum Angriff schreiten sollte. Links war die Deckung der offenen Flanke durch die vorwärts zu schiebenden Grenzschutztruppen gedacht. Rechts der 9. Armee sollte die k. u. k. Armee Dankl am nördlichen Weichsel-Ufer flußabwärts vorgehen, auf ihrem linken Flügel wiederum das Landwehrkorps Woyrsch. Die übrigen österreichisch-ungarischen Armeen hatten gleichzeitig den Hauptangriff zu führen, der über den San gehen, Przemysl befreien und den Feind vom Karpathen-Kamme vertreiben wollte. Ein gemeinsamer Oberbefehl über die deutschen und österreichisch-ungarischen Streitkräfte wurde nicht geschaffen. Es verbot sich aus persönlichen und politischen Rücksichten. "Generaloberst v. Hindenburg und ich", meinte Ludendorff, "zogen es vor, selbständig zu bleiben."6 Der Verlauf des Herbstfeldzuges 1914 in Polen hat gezeigt, daß es doch wohl besser gewesen wäre, einzelne österreichisch-ungarische Heeresteile, vor allem die Armee Dankl, dem Oberbefehle Hindenburgs zu unterstellen. Gefährliche Spannungen wären dadurch vermieden worden, selbst wenn die k. u. k. Truppen in ihrer Leistungsfähigkeit nicht immer den deutschen Ansprüchen hätten gerecht werden können.


Der Vormarsch der 9. Armee an die Weichsel.

Am 27. September 1914 stand die deutsche 9. Armee in ihrem Aufmarschgebiet bereit:

        Armeehauptquartier: Beuthen,
        XI. Armeekorps um Krakau,
[461]   Garde-Reservekorps bei Kattowitz - Beuthen,
        XX. Armeekorps bei Tarnowitz,
        XVII. Armeekorps bei Lublinitz,
        35. Reserve-Division bei Kreuzburg,
        8. Kavallerie-Division bei Kempen,
        Landwehr-Division Graf Bredow bei Kalisz.

Die drei letztgenannten Verbände traten einstweilen zu einem Korps unter dem bayerischen General v. Frommel zusammen. Längs der Warthe von Warta bis Kolo stand der Grenzschutz des V., von dort bis an die Weichsel unterhalb Wloclawek des II. Armeekorps. Diese Verbände wurden in gemischte [462] Brigaden zusammengefaßt, durch Artillerie der Festungen verstärkt und damit zur Teilnahme am Bewegungskrieg befähigt.

Der Vormarsch der 9. Armee begann am 28. September mit folgenden Marschzielen.

  • XI. Armeekorps Miechow - Jendrzejow - Lagow auf Opatow,
  • Garde-Reservekorps Chenziny - Kielce auf Ostrowiec,
  • XX. Armeekorps Wloszczowa - Bzin auf Ilza,
  • XVII. Armeekorps Nowo-Radomsk - Konskie auf Radom,
  • 35. Reserve-Division über Piotrkow auf Tomaszow,
  • Landwehr-Division Graf Bredow und 8. Kavallerie-Division in die Gegend östlich Lodz.

Die Russen leisteten dem deutschen Vormarsch zunächst keinen Widerstand und zogen sich überall gegen die Weichsel hin zurück. Die deutschen Truppen hatten gleichwohl mit außerordentlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Das Wetter war regnerisch und sehr rauh, die Wege - namentlich im Berglande der Lysa Gora - überaus schlecht, die Unterkunftsverhältnisse meist sehr dürftig. Die Tagesleistungen mußten trotzdem auf 30 Kilometer und darüber bemessen werden, denn es galt, die Weichsel bei Iwangorod zu erreichen, bevor die Russen dort ihre Massen versammelt hatten. Das erstrebte Ziel dieses Feldzugsabschnittes lag darin, die Russen in Polen durch Angriff zu binden, damit das österreichisch-ungarische Heer in Galizien Luft bekam und den entscheidenden Angriffsstoß führen konnte.

Das k. u. k. Heer trat, diesem Gedankengang gemäß, den Vormarsch am 4. Oktober an. Während die südlich der Weichsel und in den Karpathen befindlichen Armeen am 5. über die Wisloka gingen, am 9. den San erreichten, Przemysl befreiten und überall auf einen weichenden Feind stießen, hatten die Armeen Dankl und das Landwehrkorps Woyrsch nördlich der Weichsel die Vorbewegung zugleich mit der deutschen 9. Armee begonnen. Am 4. Oktober stießen die Armee Dankl bei Klimontow, das Korps Woyrsch bei Opatow auf starke russische Nachhuten, Schützen-Brigaden und Reiterei, die sich nach lebhaftem Gefecht gegen die Weichsel hin zurückzogen. Armee Dankl setzte den Marsch auf Sandomir, Korps Woyrsch gegen die Weichsel unterhalb dieses Ortes fort. Der Entwicklungsraum der Armee und des Korps war ein sehr begrenzter, da auch der rechte Flügel der 9. Armee die Richtung auf Opatow, nur 25 Kilometer nordwestlich Sandomir nahm.

Am 4. Oktober erreichte die 9. Armee:

  • XI. Armeekorps Opatow,
  • Garde-Reservekorps Ostrowiec,
  • XX. Armeekorps Ilza,
  • XVII. Armeekorps Gegend westlich Radom,
  • Korps Frommel Linie Opoczno - Rawa.

[463] Großfürst Nikolai Nikolajewitsch hatte nach dem russischen Rückzuge aus der Masuren-Schlacht als erstes Ziel die Wiederaufstellung und bedeutende Verstärkung der ehemaligen (10.) Niemen-Armee angeordnet und sie angewiesen, aus der Festungsfront Kowno - Grodno gegen die Deutschen vorzustoßen, wobei der Nachdruck auf die Umfassung der feindlichen Flügel bei Schirwindt im Norden, bei Suwalki im Süden gelegt werden sollte. Da die Deutschen dem Drucke nachgaben, erkannten die Russen schnell, daß eine starke Verminderung der deutschen Truppen in der genannten Front stattgefunden haben mußte.

Die fünf Kavallerie- und Kosaken-Divisionen, die, durch Schützen-Brigaden und Festungstruppen aus Warschau - Iwangorod verstärkt, westlich der Weichsel bis in die Linie Lodz - Kielce vorgeschoben waren, meldeten sehr bald den Vormarsch der deutschen 9. Armee. Der Großfürst, der sein Hauptquartier von Wilna nach Brest Litowsk verlegt hatte, empfand richtig, daß nunmehr der Schwerpunkt der Kriegshandlung weder auf der Linie Kowno - Grodno, noch auch in Galizien oder in den Karpathen lag, sondern daß es vor allem darauf ankomme, das Vordringen der Deutschen auf Iwangorod aufzuhalten, da mit der Gewinnung dieses Punktes durch den Feind die russische Front durchbrochen und die Stellung Rußlands in Galizien gefährdet war. Daher stellte er bei Warschau die durch sibirische Korps, somit die besten Truppen des Heeres, verstärkte 1. Armee auf und ließ zwischen Lublin und Iwangorod aus Abgaben der galizischen Armeen und durch Zuzug aus Innerrußland die sehr starke 9. Armee bilden. Mit den Vorhuten der 9. Armee und Teilen der aus Galizien herübergezogenen 4. Armee wollte er zunächst die Deutschen in der Linie Radom - Opatow stellen, um dann westlich oder südwestlich Iwangorod die entscheidende Schlacht zu schlagen.

Da aber der Widerstand bei Radom - Opatow nicht ausreichte, um die deutsche 9. Armee aufzuhalten, entschloß sich der Großfürst, auf der Weichsel-Front von der San-Mündung bis halbwegs zwischen Iwangorod und Warschau unter Festhaltung der linksufrigen Brückenköpfe eine mit örtlichen Angriffsstößen gemischte Verteidigung zu führen, die Hauptmasse aber, die 1. Armee und den rechten Flügel der 9., aus der Gegend von Warschau zum umfassenden Angriff gegen den schwachen und ungedeckten deutschen Nordflügel vorzuführen. Die allgemeine Linie Radom - Lodz galt als das erste Ziel des groß angelegten Russenangriffes, der, mit bedeutenden Kräften geführt, die Deutschen in eine sehr gefährliche Lage bringen konnte. In Galizien sollte der russische Angriff inzwischen ruhen, selbst die Belagerung der Festung Przemysl aufgegeben und vor dem zu erwartenden Druck des österreichisch-ungarischen Heeres der Rückzug hinter den San angetreten werden.

Bei dieser Lage war es einer der schwersten Entschlüsse des ganzen Krieges, vor den sich Hindenburg und Ludendorff gestellt sahen, als sie im Hauptquartier zu Radom erkannten, daß nicht allein sehr starke, den eigenen deutschen und [464] österreichisch-ungarischen Truppen überlegene russische Kräfte sich an der Weichsel zwischen den Mündungen der Pilica und des San bereitstellten, sondern daß auch eine noch zahlreichere feindliche Gruppe bei Warschau sich zur Umfassung des linken deutschen Flügels zusammenschob. In der Tat hatten die Russen bereits acht Armeekorps vor der Front der deutschen 9. und der k. u. k. 1. Armee Dankl mit Korps Woyrsch, während Rußki mit 10 meist frischen Korps, 2 Reiterkorps, mehreren Schützen-Brigaden und Reserve-Divisionen von Warschau her drohte, den rechten Flügel bis Nowogeorgiewsk ausdehnte und sich zum Vormarsch gegen die deutsche Flanke anschickte. Die russische Überlegenheit war, wenn die Kräfte richtig eingesetzt wurden, eine mindestens dreifache. Die Entschlußfähigkeit der obersten Führung, die taktische und moralische Kraft der Truppen, die Anpassungsfähigkeit aller Beteiligten an die Lage sollten die Entscheidung geben.

Das Oberkommando der deutschen 9. Armee faßte den Entschluß, die Weichsel-Linie bei Iwangorod zu gewinnen und zu halten, während die k. u. k. Armeen in Galizien über den San gingen, die Russen angriffen und schlugen. Im besonderen erstrebte sie, die Weichsel zwischen der San-Mündung und Iwangorod zu gewinnen, den Russen den Übergang vom rechten zum linken Ufer zu sperren, womöglich den linksufrigen Brückenkopf von Iwangorod zu nehmen. Weiter abwärts war die Weichsel-Front zwischen Iwangorod und Warschau zu beobachten, während die Korps des linken Flügels nach links entwickelt werden sollten, um die russischen Kräfte, welche sich am linken Weichsel-Ufer südlich Warschau sammelten, unverweilt anzugreifen, zu schlagen, dann Warschau abzuschließen, wenn möglich zu nehmen. Man wird zugeben müssen, daß hierin eine Überfülle höchster und kühnster Entschlußkraft lag, die sich aus dem Vertrauen erklärte und rechtfertigte, welches Hindenburg und Ludendorff aus den Siegen von Tannenberg und an den Masurischen Seen zu sich selbst und zu der Leistungsfähigkeit der Truppen gewonnen hatten. Sie glaubten auch diesmal mit der Schwerfälligkeit der Russen rechnen zu dürfen, die sie bis jetzt durchaus richtig eingeschätzt hatten. Gleichwohl war es klar, daß die geringen Kräfte der deutschen 9. Armee, selbst bei der alleräußersten Anspannung und unter der Ausnützung der glücklichsten Verhältnisse, nicht ausreichen konnten, um alle diese Aufgaben zugleich zu lösen. Zunächst war die deutsche 9. Armee um ein bedeutendes Stück nach Norden zu ziehen und nach ihrem linken Flügel zusammenzuschieben. Dementsprechend mußte auch die k. u. k. Armee Dankl erheblich nach Norden verlegt und mit aller Kraft zur Unterstützung der Deutschen und zur Mitwirkung bei der Lösung der gestellten Aufgaben herangezogen werden.

Im Sinne dieser Absichten lauteten die Weisungen des Oberkommandos der deutschen 9. Armee am 8. Oktober:

        Gruppe Mackensen (XVII. Armeekorps und Korps Frommel) geht auf Warschau vor;
[465]  Gruppe Gallwitz (XX. Armeekorps und Garde-Reservekorps) schließt die Weichsel beiderseits Iwangorod ab;
        Korps Woyrsch verteidigt im Anschluß hieran die Weichsel südwärts und hält die Fühlung mit der Armee Dankl;
        XI. Armeekorps wird der Armee Dankl unterstellt, um ihr einen größeren Halt zu verleihen.

Die Armee Dankl wollte die Weichsel-Front vom rechten Flügel des Garde-Reservekorps bis gegenüber Annopol halten, dann bei diesem Orte selbst über den Strom gehen, sobald südlich der Weichsel der Übergang des Hauptteiles des k. u. k. Heeres über den San begann. Die österreichisch-ungarische Heeresleitung stellte der 9. Armee die 3. und 7. Kavallerie-Division zur Verfügung, um ihr einen Zuschuß an Reiterei gegenüber den außerordentlich überlegenen russischen Reitermassen zu geben. Die 3. Division wurde dem XX. Armeekorps, die 7. dem Korps Frommel zugeteilt.

Vom 9. Oktober ab kam es in Ausführung dieser Befehle zu sehr ernsten Kämpfen auf der ganzen Front von Warschau bis Annopol, einer - in der Luftlinie gemessen - 160 Kilometer breiten Front.

Das XVII. Armeekorps rückte aus der Gegend von Radom scharf nach links hin ab, überschritt die Pilica bei Bialobrzegi und stieß bei Grojec auf die Sibirier, die noch im Sammeln begriffen waren. Mackensen zog das Korps Frommel dicht an den linken Flügel des XVII. Armeekorps heran, während die 8. Kavallerie-Division aus der Gegend von Skierniewice auf Blonie westlich Warschau vorging. Dem Druck der unter Mackensen versammelten deutschen Truppen gelang es, die Russen trotz ihrer beträchtlichen zahlenmäßigen Überlegenheit von Stellung zu Stellung zu werfen: bereits am 12. Oktober stand die Gruppe Mackensen vor der Süd- und Südwestfront von Warschau, nur noch 17 Kilometer vom Mittelpunkt der Stadt, gerade an der Grenze der Schußweite der Außenwerke, zu deren Bezwingung die Deutschen allerdings keine genügenden artilleristischen Mittel zur Verfügung hatten.

Das XX. Armeekorps ging mit einer verstärkten Brigade von Radom auf Iwangorod vor, traf aber bei Kosienice, etwa 2 Kilometer nordwestlich der Festung, auf so starke russische Kräfte, daß der Widerstand nicht gebrochen werden konnte. Die Masse des Armeekorps nahm beiderseits der Pilica eine Beobachtungsstellung längs der Weichsel ein.

Das Garde-Reservekorps, rechts ihm zur Seite das Landwehrkorps Woyrsch, griffen russische Kräfte an, die oberhalb Iwangorod bei Nowo Aleksandrja und Kasimierz über die Weichsel gegangen waren und sich in den Brückenköpfen am linken Ufer einzunisten suchten. Nach äußerst erbitterten und sehr blutigen Kämpfen warfen die Deutschen den Feind an den Fluß zurück, nahmen ihm auch erhebliche Beute an Gefangenen ab, konnten aber nicht verhindern, [466] daß er im wesentlichen ungefährdet das rechte Stromufer erreichte, wo er durch eine starke Artillerieentfaltung aufgenommen wurde.

Armee Dankl stand beobachtend längs der Weichsel, das deutsche XI. Armeekorps hinter ihr in Reserve bereit. Die Russen versuchten auf dieser Strecke keinen Übergang über die Weichsel. Aber auch die Armee Dankl konnte keinen Übergang ausführen, da sich auf dem galizischen Ufer der Angriff des k. u. k. Heeres über den San noch nicht entwickelt hatte. Die Weichsel führte infolge der Regengüsse starkes Wasser. Die Auen beiderseits des Stromes waren überschwemmt und versumpft. Einem Stromübergang angesichts des Feindes boten sich große Schwierigkeiten.

Auf dem Gefechtsfeld des XVII. Armeekorps bei Grojec war am 9. Oktober ein russischer Befehl gefunden worden, welcher die Absichten der russischen Heerführung klarstellte. "Der Plan des Großfürsten war großzügig und für uns gefahrvoll", sagte Ludendorff.7 "Weit über 30 russische Armeekorps, stark nach rechts zusammengeballt, sollten zwischen Warschau und der San-Mündung die Weichsel, andere Kräfte weiter südlich den San überschreiten. 14 Divisionen allein hatten die fünf der Gruppe Mackensen zu schlagen. Der Großfürst wollte die 9. Armee stark von Norden umfassen und sie wie auch die k. u. k. Armeen frontal angreifen, während er mit dem linken Flügel die Höhen östlich Przemysl hielt. Gelang der Plan, so war der Sieg Rußlands, auf den die Entente in ihren strategischen Erwägungen rechnete, sicher."

Die Auswirkungen dieser Pläne machte sich vom 15. Oktober an auf der ganzen Front der deutschen 9. Armee geltend. Der Angriff russischer Massen aus dem Festungsnetz Warschau - Nowogeorgiewsk heraus gegen Front und linke Flanke der Gruppe Mackensen wurde von Stunde zu Stunde hartnäckiger. Hindenburg versuchte der Gefahr dadurch Herr zu werden, daß er der Armee Dankl den Kampf bei und oberhalb Iwangorod überließ und alle deutschen Truppen in die Gegend südlich und westlich Warschau verschob, um sich dort so lange zu behaupten, sei es in der Abwehr, sei es im Gegenstoß, bis in Galizien die Waffenentscheidung zugunsten des k. u. k. Heeres gefallen war.

In der Nacht zum 15. Oktober wurde der linke Flügel der Gruppe Mackensen, das Korps Frommel, bei Blonie von großer Übermacht angegriffen und nach Süden hinter den Abschnitt der Utrata zurückgedrängt. Die Lage wurde bald dadurch wiederhergestellt, daß der deutsche linke Flügel von Sochaczew an der unteren Bzura aus gegen die über Nowogeorgiewsk kommenden russischen Umfassungstruppen selbst umfassend vorging, wobei der linke Flügel des Korps Frommel durch die 36. Infanterie-Division des XVII. Korps, die k. u. k. 7. Kavallerie-Division und die aus Grenzschutztruppen gebildete gemischte Brigade Wrochem sehr wirksam unterstützt wurde. Nachdem [467] die 37. Infanterie-Division des XX. Armeekorps in die durch die Fortnahme der 36. Infanterie-Division gebildete Lücke im XVII. Armeekorps eingeschoben war, konnte Mackensen zum Gegenangriff schreiten und am 16. Oktober den Abschnitt der Utrata beiderseits Blonie wieder in Besitz nehmen. Die 37. Infanterie-Division warf mit großem Erfolge ein russisches Korps, das bei Kalwarja oberhalb Warschau mit erheblichen Teilen die Weichsel überschritten hatte, über den Strom zurück und deckte dadurch die rechte Flanke der Gruppe Mackensen.

Rechts der 37. hielt die 41. Infanterie-Division, bei ihr die k. u. k. 3. Kavallerie-Division, das linke Weichsel-Ufer beiderseits der Pilica-Mündung bis Kozienice aufwärts und schlug alle Übergangsversuche der Russen zurück.

Vor Iwangorod hielten sich die Russen in einem großen Halbkreis, der sich mit dem rechten Flügel bei Kozienice auf die sumpfigen Weichsel-Auen unterhalb der Festungslinie stützte, dann die Eisenbahn und Straße nach Radom überquerte, um sich oberhalb Iwangorod gegenüber Nowo-Aleksandrja wiederum an die Weichsel zu lehnen. Das deutsche Garde-Reservekorps versuchte, den rechten Russenflügel von der Weichsel und damit auch von Iwangorod abzudrängen, indem es seine Front von rechts her aufrollte. Diese Absicht gelang nicht. Vielmehr sah sich das Garde-Reservekorps durch russische Gegenstöße, welche über die östlich Kozienice geschlagene Weichsel-Brücke kamen, ernstlich gefährdet, so daß eine Brigade des XI. Armeekorps zur Verfügung gestellt werden mußte. Das Ringen vor der Festung in tief aufgeweichtem Gelände stellte gewaltige Anforderungen an die deutschen Truppen, denen es trotzdem gelang, die sehr überlegenen russischen Streitkräfte zu binden und ihr Heraustreten aus dem Festungsbereich von Iwangorod zu verhindern.

Weiter stromaufwärts hielten das Landwehrkorps Woyrsch und die Armee Dankl die Russen fest. Alle Versuche des Gegners, über die Weichsel zu kommen, scheiterten. Der Kampf ging in Artilleriegefechte über.

Die Lage am linken deutschen Flügel wurde immer gespannter und auf die Dauer unhaltbar, da die Russen gleichsam lawinenartig neue Massen bei Warschau und namentlich bei Nowogeorgiewsk auf das linke Weichsel-Ufer zogen und Anstalten machten, die deutsche Westflanke beiderseits der Bzura und Rawka in Richtung auf Lowicz - Skierniewice zu umklammern. Daher erschien es dem Oberkommando der deutschen 9. Armee notwendig, das XI. Armeekorps, das Garde-Reservekorps und das Landwehrkorps Woyrsch bei und oberhalb Iwangorod abzulösen und hinter der Front des XX. und XVII. Armeekorps entlang auf den linken Flügel des Korps Frommel zu ziehen, um hierdurch den deutschen Westflügel so zu verlängern, daß sich die Umfassung durch die Russen als wirkungslos erwies, vielleicht sogar selbst zum Angriff gegen die russische Westflanke zu schreiten. In diesem Falle hätte das k. u. k. Heer die Ablösung der beiderseits von Iwangorod frei zu machenden deutschen Truppen vornehmen müssen, wozu erhebliche österreichisch-ungarische Kräfte heranzuziehen [468] waren. Zwischen dem Oberkommando der deutschen 9. Armee und der k. u. k. Heeresleitung kam es hierüber zu scharfen Gegensätzen: General Conrad war nicht geneigt, abgesehen von den beiden abgezweigten Kavallerie-Divisionen, weitere Kräfte der 9. Armee zur Verfügung zu stellen. Vermittlungsvorschläge seitens der Obersten Heeresleitung, sogar eine persönliche Bitte des Deutschen Kaisers an Kaiser Franz Joseph, der, wie Ludendorff mitteilte, wohlwollend antwortete, konnten die Auffassungen der k. und k. Heeresleitung nicht beeinflussen. Sie erklärte sich aber dazu bereit, nach dem Abmarsch der deutschen Truppen, der sich in der Nacht zum 21. Oktober vollziehen sollte, den Schutz der Weichsel oberhalb Iwangorod zu übernehmen. Vor Iwangorod selbst beabsichtigte sie sich aber im Verhältnis zu den deutschen Kampflinien weiter vom Feinde abzusetzen mit der Absicht, die Russen, wenn sie aus der Festung vorbrachen, anzugreifen und sie in die Weichsel zu werfen - eine Aufgabe, welcher sich die k. u. k. Truppen, von ihren inneren Eigenschaften abgesehen, angesichts der großen Überlegenheit des Gegners nicht als gewachsen erwiesen.

Das Oberkommando der 9. deutschen Armee beschloß, durch eine Verkürzung der Front der drohenden Gefahr einer Umfassung des linken Flügels auszuweichen und die Armee in eine bessere Stellung zurückzuziehen. Die Gruppe Mackensen erhielt den Befehl, in der Nacht zum 19. Oktober die solange behaupteten Stellungen vor Warschau zu räumen und in die Front Rawa - Skierniewice - Lowicz zurückzugehen, die fast überall durch sumpfige Bachabschnitte gedeckt war und eine aussichtsreiche Verteidigungsstellung auch gegen erhebliche Übermacht bot. Die linke Flanke freilich war schlecht geschützt, da der Widerstand der Brigade Wrochem und der beiden Kavallerie-Divisionen an der Bzura gegen das Herumgreifen der russischen Umfassungskolonnen ein zeitlich nur begrenzter sein konnte. Dagegen bot sich die Aussicht, mit der Gruppe Gallwitz - die nunmehr aus dem XX. und XI. Armeekorps sowie dem Garde-Reservekorps und der k. u. k. 3. Kavallerie-Division zusammengesetzt werden konnte - aus der Linie Bialobrzegi - Nowe Miasto über den Pilica-Abschnitt gegen die große Straße Warschau - Skierniewice zum Angriff zu schreiten. Je mehr sich die Russen vor der Front Rawa - Skierniewice - Lowicz festbissen, desto aussichtsreicher wurde dieser Flankenstoß der Gruppe Gallwitz. Der Gedanke konnte nur zum Ziele führen, wenn ihm die Zeit für die beabsichtigten Verschiebungen blieb, aber auch nur dann Erfolg haben, wenn das Korps Dankl bei Iwangorod die Russen nicht über die Weichsel ließ. Kamen sie doch herüber, so waren rechte Flanke und Rücken der 9. Armee in hohem Grade gefährdet. Sie sah sich dann einer doppelten Umfassung ausgesetzt - eine strategische Lage von höchster Spannung und Gefahr.

Gruppe Mackensen führte die befohlene Loslösung vom Feind und die Rückwärtsbewegung in die Linie Rawa - Skierniewice - Lowicz in aller Ruhe und mit vollendeter Ordnung aus, verschleiert durch geschickt auftretende Nach- [469] huten und ausgiebige Artillerieverwendung. Keine Verwundeten und Gefangenen fielen dem Feinde zu, kein Gerät brauchte zurückgelassen zu werden. Die Truppen der Gruppe Gallwitz vollzogen die recht umständliche und zum Teil mit beträchtlichem Zeitverlust verbundene Ablösung aus den bisherigen Kampfstellungen ebenfalls mit großer Gewandtheit und legten die weiten Märsche in die neuen Gefechtsräume sehr schnell zurück, obwohl die Verschiebung der Verbindungen und das Herumschwenken der Munitionskolonnen und Trains sehr schwere Aufgaben stellten. Das Landwehrkorps nahm den Abschnitt Nowe Miasto - Rawa, das XX. Armeekorps den Pilica-Abschnitt Bialobrzegi - Nowe Miasto ein. Das Garde-Reservekorps mit der k. u. k. 3. Kavallerie-Division stand südlich Warka zwischen der Pilica und Radomka so bereit, daß es nach Bedarf die Armee Dankl unterstützen oder die Gruppe Gallwitz angreifen konnte. Über das XI. Armeekorps bei Radom behielt sich das Oberkommando einstweilen die Verfügung vor.

Die Russen fanden sich nur allmählich in die veränderte Lage, zogen dann aber kräftige Folgerungen. Der Großfürst setzte die 1. Armee über Plock und Nowogeorgiewsk gegen Flanke und Rücken, die 2. und 5. gegen die Front der Deutschen, die 4. und 9. gegen die Armee Dankl an, während die 3., 8., 7. in Galizien standhielten - eine Übermacht, welcher nach menschlichem Ermessen der Erfolg allein schon durch den Druck der Massen nicht versagt sein konnte.

Am 22. Oktober begann der Kampf um die Entscheidung, die bei Iwangorod lag. Wenn die Russen hier durchbrachen, war die Verbindung zwischen der deutschen 9. Armee und der Armee Dankl gelöst und jede konnte einzeln geschlagen werden. Zugleich drohte der 9. Armee die Umfassung ihres linken Flügels durch den Vorstoß der Russen in Richtung auf Lodz, und damit die Abschnürung der rückwärtigen Verbindungen auf Posen und Breslau. Dieser Lage konnte Hindenburg nur dann Herr werden, wenn er den kühnen Entschluß in die Tat umzusetzen vermochte, aus der Linie der unteren Pilica in südnördlicher Richtung auf Warschau hin durchzubrechen.

General Dankl griff am 23. Oktober mit seinen sechs Divisionen des V. Armeekorps auf dem rechten, des I. Armeekorps auf dem linken Flügel beiderseits der Straße Radom - Iwangorod die nahe südwestlich dieser Festung stehenden Russen an. Sein X. Armeekorps und die 11. Kavallerie-Division hatten sich aus den Kämpfen am San nicht rechtzeitig loslösen können und sahen sich weiterhin auf ihrem Eilmarsch nach Norden längs des linken Weichsel-Ufers durch Schwierigkeiten beim Übergang über die Brücke bei Sandomir aufgehalten. Daher rang Dankl gegen eine geradezu erdrückende Zahlenüberlegenheit der Russen. Während sich unter den sechs Divisionen Dankls zwei Honved-Divisionen befanden, führte die russische 4. Armee bei und unterhalb Iwangorod in ihren Massen, nämlich dem XVI. und XVII. Armeekorps, dem III. kaukasischen Armeekorps, dem Moskauer Grenadierkorps lauter Kerntruppen, oberhalb [470] Iwangorod die russische 9. Armee, das XIV., XV., XVIII. Armeekorps und das Gardekorps, zum Angriff vor. Bis zum 27. Oktober wurde mit höchster Erbitterung gerungen. Nach vielversprechenden Anfangserfolgen sah sich die Armee Dankl durch die oberhalb Iwangorod unaufhaltsam über die Weichsel drängenden russischen Massen auf dem rechten Flügel so bedroht, daß er allmählich auf Swolen zurückgenommen werden mußte.

Der linke Flügel der Armee Dankl fand dagegen an dem deutschen Garde-Reservekorps unter General v. Gallwitz eine unerschütterliche Stütze. Die Russen wandten sich in der Front Warka - Kozienice mit der 5. Armee von Warschau, mit der 4. von Iwangorod her sowohl gegen die Front wie gegen die beiden Flanken des Garde-Reservekorps, um es zu durchbrechen und hiermit die Trennung des deutschen Heeres vom österreichisch-ungarischen zu erzwingen. Die Gardereserve schlug sich mit hervorragender Tapferkeit und unbeugsamer Zähigkeit gleichzeitig mit der Front nach Norden und Osten im Raume zwischen Glowaczow - Warka - Bialobrzegi und verhinderte durch fortwährende Gegenstöße, daß sich die inneren Flügel der beiden russischen Armeen vereinigen und den beabsichtigten Durchbruch ausführen konnten. Dem Garde-Reservekorps standen die k. u. k. 3. Kavallerie-Division und eine Brigade des XX. Armeekorps zur Verfügung, die aus der Pilica-Front losgelöst werden konnten. So gelang es dem General v. Gallwitz, die Nordflanke der Armee Dankl zu decken und das seitens der Russen geplante Aufrollen der deutschen Front südlich der Pilica zu verhindern. Der Kampf des Korps Gallwitz und der ihm zugeteilten Verbände war eine Glanzleistung allerersten Ranges, ein vollgültiger Beweis der taktischen und moralischen Überlegenheit des deutschen Soldaten über den russischen, getragen vom eisernen Führerwillen auf deutscher Seite.

Gleichwohl war das Geschick der Schlacht vor Iwangorod zuungunsten des Korps Dankl entschieden, als die russische Mitte nach lange schwankendem Ringen auf der geraden Verbindung Iwangorod - Radom durchbrach und zugleich der linke russische Flügel die Österreicher endgültig von der Weichsel abdrängte.

Am 27. Oktober trat Dankl den Rückzug an, der auf Radom - Ostrowiec ging. Hierdurch wurde die rechte Flanke des Garde-Reservekorps sehr empfindlich entblößt, so daß sein Verbleiben in der Gegend von Glowaczow ausgeschlossen war. In fester Haltung, immer wieder in Gegenstößen sich gegen die nachfolgenden Russen Luft machend, wich das brave Korps am 27. Oktober in die Linie Jedlinsk - Bialobrzegi aus. Wenn hierdurch die Ostflanke der deutschen 9. Armee zwar gedeckt blieb, so war doch die Möglichkeit ausgeschlossen, jetzt noch den von Hindenburg und Ludendoff beabsichtigten Stoß von der unteren Pilica auf Warschau zu führen. Der Vereinigung der inneren Flügel der russischen 5. und 4. Armee vor dem Feinde stand kein Hindernis mehr entgegen. Gewiß haben die Zustände der Armee Dankl, die vor Iwangorod eine nicht zu be- [471] streitende Niederlage erlitten hat, zu dieser Wendung beigetragen. Allein man muß zu ihrer Entlastung den außerordentlichen Stärkeunterschied in Erwägung ziehen, der auf der Seite der Russen lag. Sie war für die Erfüllung ihrer Aufgabe - unbedingte Abdichtung der Front vor Iwangorod - viel zu schwach. Daß sie nicht rechtzeitig aus Galizien verstärkt werden konnte, weil dort die k. u. k. Waffen unglücklich fochten, war der Grund ihres Erliegens, das auf die Entschlüsse Hindenburgs natürlich von entscheidendem Einfluß sein mußte.

Inzwischen war auf der ganzen Front der 9. Armee heftig gekämpft worden. Das nur aus drei Brigaden bestehende XX. Armeekorps - eine Brigade war an das Garde-Reservekorps abgegeben worden - hielt mit vollem Erfolge die mehr als 30 Kilometer breite Pilica-Linie Bialobrzegi - Nowe Miasto einschließlich der linksufrigen Brückenköpfe gegen alle russischen Durchbruchsversuche. Links neben dem XX. Armeekorps verteidigte das Landwehrkorps Woyrsch die ebenfalls 30 Kilometer breite Front Nowe Miasto - Rawa. Die Gruppe Mackensen mußte am 26. fechtend aus der Linie Rawa - Lowicz zurückgebogen werden, da der linke Flügel durch große Kolonnen der russischen 1. Armee, die sich in dichten Wellen von Nowogeorgiewsk auf Lowicz vorschoben, auf das schwerste bedroht war. Hindenburg zog das XI. Armeekorps, das bisher bei der Armee Dankl gewesen war, in Eilmärschen hinter der ganzen Front der 9. Armee entlang auf deren linken Flügel, wo es nach Zurücklegung von mehr als 150 Kilometern auf den allerschlechtesten Wegen rechtzeitig in der Gegend nordöstlich Lodz eintraf, um zusammen mit der deutschen 8., und der k. u. k. 7. Kavallerie-Division die Flanke zu decken. Die deutschen Grenzschutztruppen stellten weiter nördlich im Raume Kutno - Gostynin die Sicherung her.

Die Russen hatten durch die Überwältigung der Armee Dankl und durch ihre Erfolge in Galizien ihren Zweck erreicht, denn der Verbleib der deutschen 9. Armee vor Warschau war jetzt unmöglich geworden, wollte sie sich nicht der sicheren Umklammerung von beiden Seiten her und der Niederlage durch eine vielfache Übermacht aussetzen. Blieb sie in der Linie Bialobrzegi - Lodz stehen, so wurde sie in der linken Flanke durch die russische 1. Armee umgangen, in der Front durch die 5. gebunden, in der rechten Flanke durch die 4., im Rücken durch die 9. bedroht. Ludendorff8 hat diese Lage mit folgenden Worten gekennzeichnet:

      "Durch das Zurückgehen der k. u. k. Armee von Iwangorod nach Radom hatte sich die Lage völlig geändert. Jetzt war ein starkes Nachdrücken des Feindes auf der ganzen Weichsel-Front zu erwarten. Wir mußten bezweifeln, daß die k. u. k. Truppen dem widerstehen würden. Auch südlich der Weichsel war ihre Lage immer kritischer geworden. Jede Hoffnung auf eine günstige Waffenentscheidung war endgültig geschwunden. Blieb die 9. Armee in dieser [472] Gesamtlage stehen, so wurde sie mit der Zeit umgangen und geschlagen. Das Schicksal der k. u. k. Armee ergab sich dann von selbst. Die 9. Armee mußte, um wieder operieren zu können, zurückgenommen werden. Es war klar, daß sich diese Bewegung auf die k. u. k. Truppen übertragen würde. Die russischen Angriffe hätten sie indessen ohnehin zum Zurückgehen gezwungen. Wenn österreichisch-ungarischerseits später gesagt wurde, ihre Armee wäre zurückgegangen, weil die 9. Armee zurückgenommen wurde, so ist das richtig und unrichtig. Es wird verschwiegen, daß der Grund für diese Zurücknahme der 9. Armee lediglich in dem Versagen der zu Beginn des Krieges so tapferen k. u. k. Armee zu finden ist, die die Nachwirkungen der Schlachten bei Lemberg nicht überwinden konnte."

Daher entschloß sich Hindenburg, den Rückzug anzutreten und das Unternehmen gegen Warschau aufzugeben, bevor die Russen aus der für sie sehr günstigen Lage Nutzen ziehen konnten. Der Soldatenmund und die Legende haben diesen Rückzug einen "strategischen" genannt. Er war der Ausklang eines kühnen Unternehmens, das sich nicht mehr verwirklichen ließ, als die unerläßliche Voraussetzung, d. h. der erwartete Angriffsstoß des verbündeten Heeres in Galizien, versagte. Da war es Zeit, den Feldzug abzubrechen. Diesen Zeitpunkt richtig erkannt zu haben, um unverweilt die Folgerungen zu ziehen, ist das unvergängliche Verdienst Hindenburgs und Ludendorffs.


Der Rückzug der 9. Armee aus Polen.

Hindenburg und Ludendorff waren durch die Notwendigkeit des Rückzuges durchaus nicht überrascht, sondern hatten schon seit Tagen mit diesem Ausgang gerechnet. Es war Zeit gewonnen und Klarheit über die Lage erlangt worden, wenn auch die Operation an sich infolge der Überlegenheit der Russen und des Versagens der Verbündeten nicht geglückt war. Der Einmarsch der russischen Massen nach Posen, Schlesien, Mähren, Böhmen trat jetzt in den Bereich der Möglichkeit. Er mußte unter allen Umständen verhindert werden. Daher galt es für die deutsche Heerführung im Osten, die volle Bewegungsfreiheit wiederzugewinnen und sich vor allem der drohenden Umklammerung zu entziehen. Hierzu war ein schneller, im allgemeinen nach Westen gehender Rückmarsch notwendig, während die bisherige Front fast nach Norden sah, und, wie geschildert, gleichzeitig einer beiderseitigen Umfassung ausgesetzt war.

In Voraussicht eines Abbruchs der Unternehmung gegen Warschau hatte das Oberkommando vorbereitende Anordnungen getroffen. Die Truppen waren angewiesen worden, rechtzeitig alle unnötigen Belastungen durch Fahrzeuge abzuschieben, die Straßen wurden freigemacht, Lazarette und Vorräte abbefördert. Die Eisenbahnen und Brücken wurden zur Zerstörung vorbereitet, um den Russen die Verfolgung möglichst zu erschweren.

Die k. u. k. Armee Dankl ging, von den Russen anfangs scharf gedrängt, in südwestlicher Richtung über Kielce - Opatow in die Gegend nördlich Krakau [473] zurück, so daß ihr linker Flügel etwa bei Czenstochowa zu stehen kam. Sie leistete an den Abschnitten bei Opatowka und der Nida kurzen Widerstand. Die Russen folgten im wesentlichen bis auf das westliche Ufer des Nida-Abschnittes. In Galizien wichen die k. u. k. Armeen in das Land dicht westlich Krakau und in die Karpathen südwestlich Przemysl aus.

Die deutsche 9. Armee erhielt für die einzelnen Gruppen folgende Marschziele für den Rückzug:

  • Garde-Reservekorps, XX. Armeekorps, Landwehrkorps Woyrsch Gegend um Czenstochowa,
  • XVII. Armeekorps und Korps Frommel auf Wielun,
  • XI. Armeekorps südwestlich Sieradz,
  • Grenzschutz- und Landwehrsturmtruppen Linie Kalisz - Wreschen - Gnesen - Hohensalza - Thorn.

Nördlich der Warthe im Raume zwischen Kalisz - Peisern - Kolo wurde unter General v. Frommel, der nunmehr den Befehl über das seitherige nach ihm benannte Korps abgab, ein Kavalleriekorps vereinigt, das neben der deutschen 8. Kavallerie-Division auch die soeben vom westlichen Kriegsschauplatz eintreffende deutsche 5. Kavallerie-Division sowie die k. u. k. 7. Kavallerie-Division umfaßte. Die Stellungen längs der Warthe von Czenstochowa über Wielun bis Sieradz wurden durch Feldbefestigungen zur Verteidigung eingerichtet.

Die Russen folgten den Deutschen auf der ganzen Front und hielten mit großen Reitermassen, denen Schützen-Brigaden beigegeben waren, enge Fühlung. Gleichwohl vollzog sich der deutsche Rückzug in bester Ordnung und ohne Störung. Die Zerstörung der Eisenbahnen und Straßenbrücken legte dem eng gedrängt vorgehenden russischen Heere den Zwang auf, seine Vorwärtsbewegung zu verlangsamen. So konnten sich die Deutschen ohne weitere Kämpfe aus der Zange lösen, die der Großfürst bereits mit sicherem Erfolge angesetzt zu haben glaubte. Am 1. November hatten die Deutschen die obengenannten Räume erreicht. Den Truppen konnte Gelegenheit zur Ruhe und Neuordnung gewährt werden, während man Zeit zur Fassung neuer schwerwiegender Entschlüsse fand.

Der deutsche Rückzug war ein glänzender Beweis der Marschleistung, Ruhe, Selbstbeherrschung und des Vertrauens der Truppen auf ihren Führer, der sie bei Tannenberg in der Schlacht an den Masurischen Seen, vor Iwangorod und Warschau von Sieg zu Sieg geführt hatte. Diesmal handelte es sich nicht darum, einen Tagemarsch zurückzugehen, um die abgebrochene Schlacht unter günstigeren Bedingungen wieder aufzunehmen, sondern um einen ins Weite gehenden Rückmarsch, der auf den ersten Blick einer Niederlage nicht unähnlich sehen mochte. Allein die Truppen der deutschen 9. Armee und hinter ihr die Bevölkerung Schlesiens und Posens, im weiteren Sinne des ganzen deutschen Vaterlandes, erkannten, daß dieser Rückzug eine durch höhere Einsicht gebotene Bewegung war, die den Zweck in sich trug, eine neue Lage zu schaffen und mit frischen Kräften [474] zum erneuten Gegenstoß zu schreiten, der das Geschick des Krieges im Osten zugunsten der verbündeten Waffen wenden sollte. Deutschland hat sich im Vertrauen auf Hindenburgs und Ludendorffs scharfen und klaren strategischen Blick nicht getäuscht. Aus dem Rückzug entstand bald eine Kriegslage, welche den Waffen der Mittelmächte eine glänzende Gelegenheit gab, den Russen einen entscheidenden Schlag zu versetzen und ihnen ihr Siegesgefühl, das sie etwa aus dem Ausweichen der Deutschen vor Iwangorod und Warschau schöpfen mochten, zu entreißen. Damals führte der Großfürst auf dem europäischen Kriegsschauplatz nicht weniger als neun Armeen mit mehr als 2 Millionen Mann und 7000 Geschützen zum Entscheidungsschlage heran, denen die Verbündeten knapp die Hälfte an Kämpfern entgegenzusetzen hatten, darunter das k. u. k. Heer, welches stark erschüttert war und dringend der Erholung bedurfte. So war es begreiflich, daß die Entente auf den weiteren Vormarsch der Russen die weitestgehenden Hoffnungen setzte und schon damit rechnete, sie binnen kurzer Zeit in Posen, Breslau, Krakau, weiterhin auf dem unaufhaltsamen Vormarsch nach Berlin, Wien, Krakau zu sehen, um so mehr, als neue russische Millionen an Streitern nachgeschoben werden konnten. Um diese Zeit erfand die Londoner Times das allbekannte Schlagwort von der alles zermalmenden russischen "Dampfwalze", die, wie bei unseren Feinden allgemein angenommen wurde, bis zum Weihnachtsfeste 1914 den Gegner niederstampfen und zur Unterwerfung zwingen würde.

"Die Lage war sehr ernst", urteilte Ludendorff9 über diese Zeit. Allein es fanden sich deutsche Führer, die imstande waren, sie zu meistern und ihr eine Wendung zu geben, welche alle Berechnungen der Feinde über den Haufen warf, die russischen Pläne zum Scheitern zu bringen und den Sieg auf die Seite der Mittelmächte zu reißen vermochte.


4 [1/457]Falkenhayn, Oberste Heeresleitung 1914 bis 1916, Seite 16/17. ...zurück...

5 [1/458]Ludendorff, Kriegserinnerungen, Seite 55. ...zurück...

6 [1/460]Ludendorff, Kriegserinnerungen, Seite 61. ...zurück...

7 [1/466]Ludendorff, Kriegserinnerungen, Seite 67. ...zurück...

8 [1/471]Ludendorff, Kriegserinnerungen, Seite 72. ...zurück...

9 [1/474]Ludendorff, Kriegserinnerungen, Seite 73. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte