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Bd. 1: Der deutsche Landkrieg, Erster Teil:
Vom Kriegsbeginn bis zum Frühjahr 1915

[277] Kapitel 5: Der Sommerfeldzug in Ostpreußen 1914
Oberst Rudolf Frantz

1. Mobilmachung - Grenzschutz - Aufmarsch.

Die deutschen Streitkräfte im Osten.

Während die Masse des deutschen Heeres an der Westgrenze aufmarschierte, um zunächst dort die Entscheidung herbeizuführen, verblieben im Osten verhältnismäßig schwache Kräfte. Es war in erster Linie die 8. Armee, bestehend aus dem I., XVII., XX. Armeekorps, dem I. Reservekorps, der 3. Reserve-Division, der 1. Kavallerie-Division sowie der 2., 6. und 70. Landwehr-Brigade. Dazu kamen zwei posensche Landwehr-Brigaden und zwei schlesische, die später unter einem Generalkommando, das in Breslau aufgestellt wurde, zu einem Landwehrkorps zusammengefaßt werden sollten.

Alle diese Truppen waren dem Oberbefehlshaber der 8. Armee, Generalobersten v. Prittwitz und Gaffron unterstellt, dessen Stab in Posen mobil gemacht wurde. Diesen deutschen Oststreitkräften war in erster Linie als Aufgabe zugedacht, die östlichen Provinzen gegen einen Einfall des Feindes zu schützen, bis mehr Kräfte zum Kampfe gegen Rußland verfügbar gemacht werden konnten; ferner sollten sie die von Österreich beabsichtigte Offensive unterstützen. Zu diesem Zweck hatten Teile des Ostheeres, nämlich die als Landwehrkorps zusammengefaßten vier Landwehr-Brigaden im Anschluß an den linken Flügel der Österreicher vorzugehen, die in Galizien aufmarschierten, um von dort die Offensive nach Rußland hineinzutragen. So kam es, daß das schlesisch-posensche Landwehrkorps völlig getrennt von der 8. Armee operierte.

Ehe die 8. Armee an die Lösung ihrer eigentlichen Aufgabe herangehen konnte, hatten ihre einzelnen Teile naturgemäß auch den unmittelbaren Grenz-, Bahn- und Küstenschutz zu übernehmen. Die aktiven Armeekorps versahen diesen Dienst vom ersten Tage ab während der in ihren Korpsbezirken erfolgenden Mobilmachung. Die Landwehr-Brigaden, von denen die 2. beim I., die 6. beim II., die 70. beim XVII. Armeekorps aufgestellt wurden, rückten je nach Fertigwerden ihrer Truppenteile bei den aufstellenden Armeekorps in den Grenzschutz ein. Vom I. Reservekorps trat die 1. Reserve-Division im Bereich des I. Armeekorps aus Ostpreußen zusammen, die 36. Reserve-Division im Bereich des XVII. Armeekorps aus Westpreußen. Die 3. Reserve-Division bildete sich im [278] Bereich des II. Armeekorps zum größeren Teil aus Söhnen Pommerns, zum kleineren aus Westpreußen.

Für den Aufmarsch der 8. Armee waren die Rücksichten maßgebend gewesen, welche die Sicherung Ostdeutschlands gegen einen russischen Einbruch forderte. Einem solchen Einbruch waren in erster Linie die östlich der Weichsel gelegenen Landstriche Preußens ausgesetzt. Gegen sie mußte sich aller Wahrscheinlichkeit nach eine russische Offensive zunächst richten, während die übrigen an Rußland grenzenden Gebiete weniger bedroht waren. Um den Schutz Ost- und Westpreußens östlich der Weichsel zu gewährleisten, war zunächst ein weitläufiger Aufmarsch längs der Grenze vorgesehen. Während die drei aktiven Armeekorps sich in ihren Korpsbezirken zu versammeln hatten, sollten nach den im Frieden getroffenen Anordnungen planmäßig nach vollendeter Mobilmachung vorgeführt werden: das I. Reservekorps zwischen das I. und XX. Armeekorps in die Gegend von Angerburg - Nordenburg, die 3. Reserve-Division auf den rechten Flügel des XVII. Armeekorps in die Gegend von Hohensalza, so daß nach beendetem Aufmarsch die 8. Armee zwischen Gnesen und Tilsit stand mit 4½ Armeekorps, einer Kavallerie-Division und drei gemischten Landwehr-Brigaden in einer Stärke von 218 000 Mann, 76 000 Pferden, 636 Geschützen, darunter 48 schweren Kalibers.

Die Aufgabe, die dem Generalobersten v. Prittwitz mit diesen verhältnismäßig schwachen Kräften gegenüber dem gewaltigen russischen Koloß zufiel, war keineswegs leicht. Sie bedingte eine weitgehende Freiheit des Handelns. So besagte auch seine Anweisung, "der Oberbefehlshaber der 8. Armee hat die Operationen im Osten nach eigenem Ermessen zu leiten". Das war ein grundlegender Unterschied in der Friedensvorbereitung dieser Operationen gegenüber denen auf dem westlichen Kriegsschauplatz. Hatte man hier die Machtmittel zur Verfügung, um dem Gegner sofort das Gesetz des Handelns vorzuschreiben, so daß man auch Richtlinien und Plan im Frieden bereits festlegen konnte, so war man im Osten vom Feinde abhängig und hatte nur allgemeine Gesichtspunkte aufstellen können, die aber betonten, daß auch hinsichtlich der Hauptkräfte ein übereinstimmendes Handeln mit dem österreichisch-ungarischen Heere anzustreben sei. Im Sinne der weitgehenden Vollmachten, die dem Oberbefehlshaber übertragen waren, lag es, daß ihm außer seiner eigentlichen Armee auch alle Hilfsmittel der Grenzkorpsbezirke zur Verfügung standen. Dazu gehörten auch die Besatzungen der Festungen. Nennenswerte bewegliche Kräfte befanden sich in Posen, Thorn und Königsberg. Dann war klar, daß die Eisenbahnen eine bedeutsame Rolle zu spielen hatten, da die 8. Armee aus ihrer weiten Aufstellung für die eigentlichen Operationen enger versammelt werden mußte. Der Möglichkeit schneller Eisenbahnverschiebungen hatte der erste Aufmarsch Rechnung getragen. Vorbereitungen waren durch die Eisenbahnabteilung des Großen Generalstabes im Frieden bereits getroffen, wobei man die Bahn Thorn - Allenstein - Insterburg [279] als die am weitesten gegen die Grenze vorgeschobene Linie angesehen hatte, die wahrscheinlich bis zum Beginn der Operationen betriebsfähig erhalten werden konnte. Zu ihrem Schutze war die Sperrung der Masurischen Seenkette von Ortelsburg bis Lötzen vorbereitet.


Der Aufmarsch der Russen gegen Ostpreußen.

Vom Feinde nahm der deutsche Generalstab an, daß man zunächst mit zwei russischen Armeen zu rechnen hatte, von denen jede etwa fünf Armeekorps stark sein werde: einer, die an der ostpreußischen Ostgrenze aufmarschieren werde, und einer zweiten an der ostpreußischen Südgrenze, und daß der Aufmarsch dieser beiden Armeen durch eine große Zahl von Kavallerie-Divisionen und Grenzwach-Brigaden gedeckt sein werde. Man rechnete auch damit, daß die starke russische Kavallerie bestrebt sein werde, frühzeitig die deutsche Grenze zu überschreiten, um Mobilmachung und Aufmarsch zu stören, und daß die beiden russischen Armeen später durch einen konzentrischen Vormarsch versuchen würden, Ostpreußen auf schnellstem Wege in russischen Besitz zu bringen.

Diese Auffassung des deutschen Generalstabes über die Lage traf im wesentlichen zu. Auf russischer Seite marschierte die 1. oder Niemen-Armee unter dem Befehl des Generals Rennenkampf, dem im russisch-japanischen Kriege bewährten Reiterführer, in der Stärke von vier Armeekorps am mittleren Niemen von Kowno bis nördlich Grodno auf. Eine Nebengruppe in Stärke eines Armeekorps versammelte sich bei Schaulen (Szawle) in Litauen, fünf Kavallerie-Divisionen, in zwei Gruppen geteilt, und eine Grenzwach-Brigade sicherten den Aufmarsch an den Flügeln. Die 2. oder Narew-Armee unter General Ssamsonow, versammelte sich in Stärke von sechs Armeekorps an der Bobr - Narew-Linie von Osowiec bis Warschau. Ihr gehörten weitere vier Kavallerie-Divisionen und eine Schützen-Brigade an. Zwischen beiden Armeen wurde, etwas später fertig werdend, bei Grodno noch eine Reservearmee zusammengezogen. Beiden Armeen folgte in zweiter Linie eine größere Zahl von Reserve-Divisionen, so daß sich insgesamt 750 000 Mann, 225 000 Pferde und 1.900 Geschütze gegen das unglückliche Ostpreußen heranwälzten.

Die Absichten der Russen gingen dahin, zunächst mit ihrer gewaltigen Heereskavallerie in Ostpreußen einzubrechen, das Land zu überfluten, die Mobilmachung so nachhaltig zu stören, daß sie zurückverlegt werden müßte, Bahnen, Straßen, Depots und Magazine zu zerstören und Pferde beizutreiben. Dieser ersten Maßnahme sollte dann der zangenartige Einbruch folgen, wobei die 1. Armee die Masurische Seenkette nördlich, die 2. Armee sie westlich zu umgehen hatte. So sollte der Krieg nach Deutschland hineingetragen werden. Der gewaltige Vorsprung, den die russischen Streitkräfte in ihrer Mobilmachung gegenüber Deutschland hatten, sollte neben der ungeheuren Überlegenheit diesem Plane zugute kommen.


[280] Der Aufmarsch der deutschen 8. Armee. Grenzschutzkämpfe.

Bis zum 10. August waren die Verbände der deutschen 8. Armee in der Hauptsache in ihren planmäßigen Aufmarschräumen versammelt. Im Posenschen stand die 6. Landwehr-Brigade bei Gnesen, die 3. Reserve-Division bei Hohensalza. Rechts der Weichsel befand sich die 70. Landwehr-Brigade bei Goßlershausen, das XVII. Armeekorps um Deutsch-Eylau - Neumarkt - Gilgenburg; das XX. Armeekorps sammelte sich bei Allenstein - Wartenburg; das I. Reservekorps stand um Angerburg - Nordenburg, das I. Armeekorps um Gumbinnen - Goldap, die 2. Landwehr-Brigade bei Tilsit. Vorwärts vom I. Armeekorps sicherte die 1. Kavallerie-Division in der Gegend von Stallupönen - Pillkallen. Das Armeeoberkommando hatte am 8. August sein Hauptquartier von Posen nach Marienburg verlegt.

In den Ostfestungen Breslau, Posen, Thorn, Graudenz und Königsberg war man eifrig beschäftigt, bewegliche Kräfte zur Verwendung außerhalb des Festungsbereichs aufzustellen und auszurücken.

So waren Mobilmachung und erster Aufmarsch, wie es beim Westheer der Fall war, auch im Osten planmäßig und glatt verlaufen, obwohl erhebliche Teile der hier verbleibenden Kräfte seit dem ersten Mobilmachungstage im Grenz- und Bahnschutz hatten verwendet werden müssen. An verschiedenen Stellen der langen deutschen Ostgrenze hatten auch die Grenzschutzabteilungen inzwischen bereits Gelegenheit gehabt, die Klingen mit dem Gegner zu kreuzen.

Bereits am 2. August, dem ersten Mobilmachungstage, war der Grenzschutz des VI. Armeekorps zur Erhöhung des Schutzes des oberschlesischen Kohlenreviers bis in die Gegend von Bendzin auf russisches Gebiet vorgeschoben worden. Am folgenden Tage setzten sich Teile des VI. Armeekorps in den Besitz von Czenstochowa, Teile des V. Armeekorps nahmen Kalisz. An beiden Stellen kam es zu Gefechten mit russischen Beobachtungsabteilungen, die nach kurzem Widerstand abzogen.

In Ostpreußen hatten vom ersten Mobilmachungstage an Kämpfe mit russischen Aufklärungs-Abteilungen stattgefunden. Überall wurde die russische Kavallerie, die bereits am 2. August, entsprechend den Absichten der russischen Heeresleitung, bei Johannisburg und Bialla in der Stärke von Regimentern auftrat, vom deutschen Grenzschutz abgewiesen. Am 4. August warfen die Vorposten der Grenzschutzabteilung Memel russische Grenzwachabteilungen bei Deutsch-Krottingen zurück. An diesem Tage überschritt die preußische 1. Kavallerie-Division unter Generalleutnant Brecht ihrerseits die Grenze und griff, unterstützt durch schwache Abteilungen des Füsilier-Regiments 33 und des Ulanen-Regiments 8, Kibarty an, nahm den Ort, zerstörte gründlich den Bahnhof, aus dem im letzten Augenblick noch vier Züge nach Osten abdampften. Vor überlegenen russischen Kräften wurde die Stadt wieder aufgegeben.

[281] Auch bei Soldau war es in diesen Tagen zu ernsteren Zusammenstößen gekommen. Die dort stehende Grenzschutzabteilung, bestehend aus einigen Kompagnien des Infanterie-Regiments 148 und Teilen des Kürassier-Regiments 5 und des Feldartillerie-Regiments 35, wies am 4. August den Vorstoß der russischen 6. Kavallerie-Division ab. Am nächsten Tage erneuerte der Feind zweimal den Angriff. Beide Male wurde sein Durchbruchsversuch von den tapferen Westpreußen vereitelt, eine seiner Brigaden schwer zusammengeschossen.

Am 9. August warf ostpreußische Landwehr bei Schmalleningken an der Memel einige Infanterie-Kompagnien, die über die Grenze vorzukommen versuchten. Einen schönen Erfolg hatten die deutschen Waffen am gleichen Tage bei Bialla zu verzeichnen. Die russische 4. Kavallerie-Division überschritt bei Schwiddern die Grenze. Die Abteilung Bialla, bestehend aus dem II. Bataillon Infanterie-Regiments 147, der 4. Batterie Feldartillerie-Regiments 82 und einigen Dragonern unter Major Beerbohm, griff den Feind an, schlug ihn, brachte ihm schwere Verluste bei, verfolgte ihn bis zur Grenze und nahm ihm sechs Geschütze ab. Ebensowenig hatten am folgenden Tage Teile der russischen 3. Kavallerie-Division Glück, die bei Romeyken südlich Eydtkuhnen ins deutsche Gebiet eingedrungen waren. Hier warfen sich einzelne Kompagnien des Füsilier-Regiments 33 und des Infanterie-Regiments 41, unterstützt von einer Batterie des Feldartillerie-Regiments 1, dem Feinde entgegen.

So waren alle Versuche der starken russischen Kavallerie, die Mobilmachung zu stören, gescheitert. Der schwache deutsche Grenzschutz hatte überall gehalten. Nirgends war es dem Feinde gelungen, Zerstörungen an Bahnen oder militärischen

Von den Russen in Brand gestecktes ostpreußisches Dorf.
Von den Russen in Brand gestecktes ostpreußisches Dorf.
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Aus: Der Weltkrieg in seiner rauhen Wirklichkeit, S. 372.
Einrichtungen in nennenswertem Umfange vorzunehmen. Dafür hatte die russische Kavallerie ihre Erfolge in der Verwüstung des Landes gesucht, soweit es von den deutschen Truppen aufgegeben war. Kosakenpatrouillen mit Zündmitteln planmäßig ausgestattet, hatten diese Aufgabe besorgt. Dörfer, Güter, Gehöfte waren allenthalben in Flammen aufgegangen. Einwohner wurden als Geiseln verschleppt, friedliche Zivilpersonen, unter ihnen Frauen und Kinder, waren erschossen worden, wehrfähige Männer verstümmelt, um sie dienstuntauglich zu machen. Der blühende Grenzort Prostken südlich Lyck, war schon in den ersten Tagen völlig zerstört worden.

Die Erfolge bei all diesen Zusammenstößen hatten anderseits Mut und Stimmung der deutschen Truppen belebt. Sie hatten überall das Gefühl der Überlegenheit über den Feind gewonnen, dessen Reiterei auch in der Überzahl den Kampf mit der blanken Waffe scheute. Die Erbitterung über den wüst hausenden und brandschatzenden Feind war groß. So kam es, daß in dem Bestreben, das Land vor neuen Verheerungen zu schützen, der Grenzschutz allmählich aus der planmäßig im Frieden festgelegten Aufstellung, die einen schmalen Landstrich preisgab, sich näher an die Grenze heranschob. Truppen, wie höhere Führer handelten hierin übereinstimmend; insbesondere war dies beim I. Armeekorps [282] der Fall, das die Brandfackel in seine Heimatprovinz hineingetragen sah, und das daher mit seiner Masse erheblich weiter vorrückte, als es sowohl den Friedensvorbereitungen, wie den Absichten des Armeeoberkommandos entsprach.


2. Die ersten Kämpfe der 8. Armee gegen die Armee Rennenkampfs.

Die ersten Absichten und Maßnahmen des Oberkommandos der 8. Armee.

Als das Oberkommando der 8. Armee am Nachmittag des 8. August in Marienburg eintraf, war die Lage noch keineswegs geklärt. Man war einstweilen noch auf die auf Friedensnachrichten sich gründenden Mutmaßungen über den feindlichen Aufmarsch angewiesen. Eines hatte die Aufklärung allerdings festgestellt: Polen westlich der Weichsel war vom Feinde fast völlig geräumt. Dagegen herrschte noch Dunkel darüber, wie es jenseits der Grenze Ostpreußens von Memel bis Augustow und am unteren Narew aussah. Jedenfalls aber brauchte man mit einem Vormarsch des Feindes südlich der Weichsel gegen Posen nicht mehr zu rechnen, und so befahl der Oberbefehlshaber noch am 8. das Heranführen der in der Provinz Posen stehenden Teile der Armee, der 3. Reserve-Division und der 6. Landwehr-Brigade, mittels Eisenbahn nach Ostpreußen.

Die in den nächsten Tagen eingehenden Nachrichten brachten das Armeeoberkommando weiter zu der Anschauung, daß auch am unteren Narew kein stärkerer Feind stehe, daß sich vielmehr die beiden Armeen, mit denen man rechnete, östlich der Linie Wirballen - Lomza versammelten, und daß ihr Einbruch aus dieser Linie nach Ostpreußen hinein zu erwarten war. Generaloberst v. Prittwitz kam daher zu dem Entschluß, seine ganze Armee im östlichen Ostpreußen zusammenschließen zu lassen, um alsdann den vormarschierenden Gegner anzugreifen, wobei er sich noch vorbehielt, ob er seinen Hauptstoß gegen den rechten oder linken Flügel des Feindes richten werde.

Bis zum 14. August war das Bild klarer geworden. Ein Vorstoß der 36. Infanterie-Division auf Mlawa hatte nur ausweichende russische Kavallerie getroffen, Infanterie hatte sich nirgends gezeigt. Mit einem Vormarsch des Feindes westlich Lomza glaubte das Armeeoberkommando einstweilen nicht rechnen zu brauchen. Dagegen hatte anscheinend der Feind seine Versammlung von Wirballen bis Lomza vollendet und alle Anzeichen deuteten auf baldiges Vorgehen. Der Führer der nördlichen Armee, General Rennenkampf, war von Wilna in Kalwarja eingetroffen; am 13. August hatte der Gegner nordöstlich Marggrabowa die Grenze mit starken Abteilungen bereits überschritten. Die Gesamtstärke der beiden feindlichen Armeen berechnete das Armeeoberkommando auf acht bis zehn Armeekorps und sieben Kavallerie-Divisionen. Als nun am Morgen des 14. August neue Nachrichten einliefen, nach denen die Gegend am unteren Narew vom Feinde frei war, und gleichzeitig das Generalkommando des [283] I. Armeekorps meldete, daß stärkere feindliche Kräfte beiderseits Marggrabowa vorgingen, während an der Front Wystyniec - Wladyslawow alles ruhig bliebe, daß auch die von Kalwarja und Marjampol heranführenden Straßen von Infanterie frei seien, und Verschiebungen feindlicher Kavallerie von Wirballen nach Süden erkannt seien, faßte der Oberbefehlshaber den entscheidenden Entschluß. Er rechnete nunmehr mit einem Vorgehen des Feindes südlich der Romintenschen Heide, so daß sich Gelegenheit zu bieten schien, seine Nordflanke zu fassen. Zu diesem Zweck sollte die Armee nach dem linken Flügel zusammengezogen werden. Es wurde der Herantransport des XVII. Armeekorps in die Gegend von Darkehmen befohlen, der sofort zu beginnen hatte. Bis zum Eintreffen des Korps sollte das I. Reservekorps die Angerapp-Linie von Angerburg bis Darkehmen halten, während das I. Armeekorps bei Gumbinnen - Insterburg zu verbleiben hatte. Die 3. Reserve-Division und die 6. Landwehr-Brigade waren bereits in die Linie Nikolaiken - Lötzen eingerückt und unter dem Befehl des Generals v. Morgen mit der Verstärkung dieser Linie beschäftigt. Dem XX. Armeekorps wurde die Aufgabe zugewiesen, aus der Gegend von Ortelsburg die rechte Flanke der Armee zu decken. Die 70. Landwehr-Brigade wurde von Goßlershausen nach Strasburg - Lautenburg herangezogen; westlich von ihr rückten gemischte Abteilungen aus Graudenz und Thorn an die Grenze; in den Raum östlich der Brigade sollten einige Bataillone aus Danzig herangeführt werden. Alle diese von Thorn bis Neidenburg verteilten Landwehr- und Ersatztruppen wurden dem einheitlichen Befehl des Generals v. Unger unterstellt und angewiesen, an das XX. Armeekorps heranzuschließen. In Königsberg wurde unter dem Befehl des Generals Brodrück aus Landwehr- und Ersatztruppen eine mobile Division gebildet, die nach Insterburg herangeführt werden sollte.

Wenn auch am 14. August abends und im Laufe des 15. neue Nachrichten eingingen, die erkennen ließen, daß es sich beim Überschreiten der Grenze in der Gegend von Marggrabowa noch nicht um den Beginn eines allgemeinen Angriffs, sondern vielmehr um eine gewaltsame Erkundung gehandelt hatte, so blieb doch das Armeeoberkommando bei seiner Ansicht, daß die russische Offensive südlich der Romintenschen Heide zu erwarten sei. Bis zum 18. August konnten die geplanten Bewegungen und Transporte ausgeführt sein, so daß an diesem Tage nachmittags die ganze 8. Armee operationsfähig war. So sah man mit Zuversicht den kommenden Dingen entgegen.

Um den Ereignissen näher zu sein, begab sich das Armeeoberkommando nach Bartenstein, wo es am 16. August eintraf. Hier stellte sich heraus, daß der Gegner nach Süden und nach Norden weiter reichte, als man bisher angenommen hatte. Zwischen Lomza und Ostrolenka hatten Flieger stärkeren Feind festgestellt. Der Nordflügel der Armee des Generals Rennenkampf war nicht in der Gegend von Filipowo, südlich der Romintenschen Heide, sondern mit Sicherheit bei [284] Wirballen anzunehmen, starke Kavallerie noch weiter nördlich in der Gegend von Schirwindt und Schillehnen. An der Bahn Kowno - Wirballen waren Truppenausladungen gemeldet. Bei dieser Ausdehnung des Feindes wurde es fraglich, ob noch eine Umfassung seines Nordflügels gelingen werde.

Am Morgen des 17. August erfuhr man aber ferner, daß das I. Armeekorps nicht mehr mit seiner Masse bei Gumbinnen bereit stand, sondern erheblich weiter vorwärts mit seinen Divisionen auseinandergezogen bei Goldap - Mehlkehmen und bei Stallupönen; das war um so erstaunlicher, als General v. Prittwitz noch von Posen aus seine Unterführer darauf hingewiesen hatte, daß der Aufmarsch zunächst planmäßig durchzuführen sei. Der jetzt erlassene Befehl, das Armeekorps noch am heutigen Tage zurückzunehmen und es nördlich Gumbinnen zu vereinigen, war nicht mehr ausführbar. Das Armeekorps stand im Gefecht. Der erste größere Kampf im Osten hatte begonnen.


Das Gefecht des I. Armeekorps bei Stallupönen am 17. August.

Der Kommandierende General des I. Armeekorps, General v. François, hatte sich nicht entschließen können, das ganze Land östlich Gumbinnen der Verwüstung durch die Russen preiszugeben. Auch schien es ihm erforderlich, die schwache deutsche Kavallerie in ihrer Aufklärungstätigkeit durch stärkere Truppen aller Waffen zu unterstützen. So war es gekommen, daß die 2. Infanterie-Division am Morgen des 17. August mit Teilen bei Goldap, mit dem Rest bei Tollmingkehmen stand, die 1. im Bogen um Stallupönen herum von Göritten bis Bilderweitschen, als stärkerer Feind zunächst gegen den rechten Flügel der 1. Infanterie-Division bei Göritten vorging. Der Gegner verstärkte sich mehr und mehr, so daß allmählich die ganze Division im Kampfe stand. Um 10 Uhr vormittags kam die Meldung, daß eine lange Kolonne von Wisztyniec auf Groß-Sodehnen im Anmarsch sei. Die 2. Infanterie-Division wurde benachrichtigt. Ihr Führer, General v. Falk, entschloß sich selbständig, mit den bei Tollmingkehmen stehenden Kräften seinerseits diesen Feind in der Flanke anzugreifen. Inzwischen war auch General v. François auf dem Gefechtsfeld eingetroffen und hatte die Leitung übernommen. Das Eingreifen der 2. Infanterie-Division brachte auf dem rechten Flügel die Entscheidung. Der Feind wurde hier völlig geschlagen, er ließ 2.000 Gefangene und 4 Maschinengewehre in deutscher Hand. Nicht so günstig stand das Gefecht auf dem linken Flügel. Hier hatten die Russen mit überlegenen Kräften die 1. Infanterie-Division umfaßt; trotz größter Tapferkeit der braven Ostpreußen gingen einige Geschütze verloren. Die Division mußte am Abend ihren linken Flügel zurückbiegen und sich eingraben.

Gefecht des I. Armeekorps bei Stallupönen 
am 17. August 1914

[285]
  Skizze 9: Gefecht des I. Armeekorps bei Stallupönen
am 17. August 1914
Immerhin hatte aber das Armeekorps bei Einbruch der Dunkelheit das Bewußtsein, einen vollen Sieg über das III. russische Korps davongetragen zu haben. Die Beute hatte sich auf 3.000 Gefangene und 6 Maschinengewehre gesteigert. Man beabsichtigte, auf dem Schlachtfelde zu biwakieren und am frühen [285] Morgen den Erfolg weiter auszunützen. Eine erneute Weisung des Armeeoberkommandos, auch im Falle eines Waffenerfolges nach Gumbinnen zurückzugehen, veranlaßte jedoch das Armeekorps, noch in der Nacht den Marsch nach Westen anzutreten. Er erfolgte völlig unbelästigt vom Gegner.


Die Kämpfe der 8. Armee am 19. und 20. August.

Die Ereignisse beim I. Armeekorps hatten den bündigsten Beweis geliefert, daß sich der rechte Flügel der Russen über die Bahn Kowno - Stallupönen nach Norden erstreckte. Andere Nachrichten gaben dem Armeeoberkommando die Gewißheit, daß der Feind beiderseits der Romintenschen Heide in der Vorbewegung war. Sein Aufmarsch war also beendet, der allgemeine Vormarsch im [286] Gange. Aus der Linie Wirballen - Augustow erwartete man fünf Armeekorps. Auch von Ostrolenka her schien der Feind angetreten zu sein. Wenn auch der Vormarsch weiter nördlich erfolgte, als dem Oberbefehlshaber ursprünglich vorgeschwebt hatte, verzichtete er doch keineswegs auf den Angriffsentschluß. Um zunächst das I. Armeekorps einer Teilniederlage zu entziehen, wurde es angewiesen, trotz des Waffenerfolges zurückzugehen. Die übrigen für den Kampf in Frage kommenden Verbände erhielten noch am 17. nachmittags den Befehl zur Bereitstellung zum Angriff, und zwar sollten stehen: die 3. Reserve-Division, deren Verteidigungsabschnitt die 6. Landwehr-Brigade allein zu übernehmen hatte, bei Lötzen, das I. Reservekorps bei Angerburg und nördlich, das XVII. Armeekorps bei Darkehmen, die Division Brodrück an der Angerapp südwestlich Gumbinnen.

Am 18. nachmittags standen die Truppen bereit. Die Russen setzten ihren Vormarsch nur langsam und tastend fort. Sowohl beim Armeeoberkommando als auch beim Generalkommando I. Armeekorps rechnete man mit der Absicht der Russen, den linken Flügel des Armeekorps, von dem die 2. Infanterie-Division im Bogen um Gumbinnen herumstand, die 1. sich links anschloß, zu umfassen. Das Armeeoberkommando stellte die Division Brodrück dem General v. François zur Verfügung, der sie an Stelle der 2. Infanterie-Division einsetzte und diese hinter dem linken Flügel des Armeekorps als seine Reserve bereitstellte.

Am 19. August begab sich das Armeeoberkommando nach Nordenburg. Zur Schlacht kam es an diesem Tage noch nicht. Nur auf dem äußersten linken deutschen Flügel bei Mallwischken hatte sich starke russische Kavallerie, es waren die beiden Garde-Divisionen, gegen Teile der 2. Landwehr-Brigade gewandt. Der deutschen 1. Kavallerie-Division glückte es, die russische Kavallerie im Rücken zu fassen und ihr schwere Verluste beizubringen. Im Schutze der Dunkelheit räumten die Russen das Schlachtfeld, sieben Geschütze zurücklassend.

Bis zum Abend gewann der Oberbefehlshaber den Eindruck, daß der Feind in der Linie Ostrolenka - Lomza sich zwar verstärkt hatte, aber noch nicht erheblich vorgerückt war; das russische II. Korps hatte mit dem Anfang Lyck erreicht, in der Gegend Goldap - Filipowo standen zwei bis drei Divisionen; der nördlich der Romintenschen Heide vorgehende Feind schien sich nach der Chaussee Stallupönen - Gumbinnen zusammenzuziehen. Gegen das I. Armeekorps hatte er nur vorgefühlt. In Übereinstimmung mit General v. François kam General v. Prittwitz zu der Ansicht, daß sich die Möglichkeit bot, mit dem I. und XVII. Armeekorps in schnellem Handeln durch beiderseitige Umfassung des Feindes bei Gumbinnen einen größeren Erfolg zu erzielen, während man den bei Goldap stehenden Feind mit dem I. Reservekorps und der 3. Reserve-Division in Schach hielt. In Ausführung dieses Gedankens wurde zwischen 4 und 5 Uhr nachmittags befohlen, daß noch am Abend antreten sollten: das XVII. Armeekorps auf Walterkehmen und nördlich, das I. Reservekorps gegen die Chaussee [287] Darkehmen - Kleszowen, während die 3. Reserve-Division noch die Gegend von Possessern erreichen sollte. Da man tagsüber des Vormarschbefehls gewärtig gewesen war, konnte der Marsch ungesäumt angetreten werden; nur beim I. Reservekorps, das noch an der Angerapp-Stellung gearbeitet hatte, mußten die Truppen erst zusammengezogen werden. So befanden sich die Verbände der Mitte und des linken Flügels der Armee in der Nacht vom 19. zum 20. August unterwegs. Auf dem rechten Flügel hatte General v. Scholtz die Divisionen des XX. Armeekorps nach vorn aufschließen lassen; die 37. stand abwehrbereit bei Ortelsburg, die 41. südwestlich Jedwabno. Die Abteilungen des General v. Unger waren nach links herangezogen; die 70. Landwehr-Brigade stand bei Neidenburg.

Mit Tagesanbruch des 20. August begann der Artilleriekampf bei der Division Brodrück und der 1. Infanterie-Division. Die 2. Infanterie-Division war während der Nacht durch die Waldungen nordwestlich Gumbinnen marschiert und trat 4 Uhr morgens überraschend zum umfassenden Abgriff auf Mallwischken an. Der Erfolg war groß. Die Division war bereits um 9 Uhr morgens bis zur Straße Gumbinnen - Kussen durchgedrungen und hatte 4.000 Gefangene gemacht. Die 1. Infanterie-Division schloß sich mit starkem linken Flügel dem Angriff an, und auch hier drangen die wackeren ostpreußischen Regimenter bis in gleiche Höhe vor, wo der Angriff zunächst einmal zum Stehen kam. Die Division Brodrück gewann in frontalem Kampf nur wenig Gelände.

Nicht so glücklich verliefen die Ereignisse südlich der Eisenbahn Gumbinnen - Stallupönen beim XVII. Armeekorps. Mit der 35. Infanterie-Division links, mit der 36. rechts, rechter Flügel über Walterkehmen trat das Armeekorps um 5 Uhr morgens zum Angriff an, der zunächst flott vorwärts ging. Der Feind schien in nordöstlicher Richtung zu weichen. Schon begannen Teile des Armeekorps gegen die Chaussee Gumbinnen - Stallupönen einzuschwenken, um dem gegen das I. Armeekorps kämpfenden Feinde in die Flanke zu fallen, als sich herausstellte, daß man zunächst nur vorgeschobene Kräfte geworfen hatte, und daß nun erst der eigentliche Angriff auf die starke Stellung der Russen zu beginnen hatte. Zu einer Umfassung gelangte man trotz mehrfacher Versuche nicht mehr; immer stieß man wieder auf eine neue starke Front. Trotzdem wurde in mühseligem Ringen noch weiter Gelände gewonnen, bis schließlich der Angriff seine Kraft verlor. Die Verluste, namentlich an Offizieren, waren ungeheuer. General v. Mackensen mußte sich entschließen, sein Armeekorps mit Einbruch der Dunkelheit hinter die Rominte zurückzunehmen.

Das I. Reservekorps war die ganze Nacht auf ungemein schlechten Wegen durchmarschiert; als Ziel hatte General v. Below der 1. Reserve-Division Kleszowen, der 36. Königsfelde zugewiesen. Der Kanonendonner aus nordöstlicher Richtung, wo man das XVII. Armeekorps im Kampfe wußte, schallte immer lebhafter herüber. Da noch keine Meldungen über feindliche Bewegungen von [288] Goldap her vorlagen, war der Kommandierende General entschlossen, auf das Gefechtsfeld weiterzumarschieren, eine Absicht, die jedoch durch einen Befehl des Armeeoberkommandos verhindert wurde, nach dem die Divisionen unbedingt zu halten hätten da nach sicheren Nachrichten bei Goldap zwei feindliche Armeekorps ständen. Die stark ermüdeten Divisionen rasteten noch, als plötzlich gegen 11 Uhr vormittags der Feind erschien und gegen die Linie Kleszowen - Gawaiten zum Angriff schritt. Beide Divisionen traten dem Feinde gewandt entgegen und gingen bald ihrerseits zum Angriff über. Trotz mehrfacher Versuche der Russen, den linken Flügel der 36. Reserve-Division nördlich Gawaiten zu umfassen, ging der Angriff der tapferen ost- und westpreußischen Reservisten und Landwehrmänner, denen man nicht ansah, daß sie über 24 Stunden auf den Beinen waren, vorwärts und bis zum Abend war er weit über die Linie Kleszowen - Gawaiten auf Goldap vorgeschritten. Gegen 5 Uhr nachmittags teilte das Armeeoberkommando mit, die 3. Reserve-Division sei im Vorgehen von Benkheim gegen den Rücken des Feindes, freilich sei es fraglich, ob sie heute noch zum Eingreifen komme. General v. Below entschloß sich, die Fortsetzung des Angriffs auf den 21. August zu verschieben.

Die Russen waren vom I. Reservekorps überall zurückgedrängt, zur Entscheidung war es aber nicht gekommen. Diese am nächsten Tage zu bringen, dazu schien die 3. Reserve-Division berufen. Sie war am Morgen des 20. befehlsgemäß nach Benkheim marschiert, wo sie vom Armeeoberkommando als Flankenschutz festgehalten wurde, trotz Einspruchs des Divisionskommandeurs. Erst 4 Uhr nachmittags ordnete der Oberbefehlshaber den Weitermarsch in Richtung Kleszowen an, wo das I. Reservekorps im Kampf stände. Kurz vor Einbruch der Dämmerung erreichte die Division die Gegend nordöstlich Rogahlen. Die Brigaden wurden noch zum Angriff in östlicher Richtung entfaltet, der Angriff selbst sollte mit Tagesgrauen in den Rücken des Feindes erfolgen. Bis dahin konnte auch über die Lage beim I. Reservekorps Klarheit gewonnen sein.

So waren auf dem rechten Schlachtflügel am Abend des 20. August die Vorbedingungen für einen bedeutenden Erfolg geschaffen. Auch auf dem linken Flügel beim I. Armeekorps war die Lage günstig geblieben. Die 2. Infanterie-Division war am Nachmittage über die Chaussee Gumbinnen - Kussen noch weiter vorgedrungen, der Feind allmählich auf Kattenau und die Höhen nördlich des Ortes zurückgewichen. Die Truppen waren aber nach den Leistungen der letzten Tage am Rande ihrer Kräfte, zudem war eine neue befestigte Stellung der Russen bei Kattenau erkannt, die man an diesem Tage nicht mehr angreifen wollte. Das Generalkommando plante für die Nacht eine neue Verschiebung der Kräfte nach Norden, um so am folgenden Tage zu einer wirksamen Umfassung zu kommen. 6.000 Gefangene, eine große Zahl von Maschinengewehren und einige Geschütze waren die Beute des Tages.

Nördlich vom I. Armeekorps hatte die 1. Kavallerie-Division einen Sieges- [289] zug vollführt. Sobald rückgängige Bewegungen beim Feinde erkannt wurden, hatte General Brecht die Verfolgung aufgenommen. Über Kussen auf Pillkallen vorgehend, griff seine Division mehrfach mit Artillerie- und Maschinengewehrfeuer in den Kampf ein. Südlich Pillkallen bot sich ihr Gelegenheit, eine zurückgehende feindliche Kolonne zu attackieren. Über 600 Gefangene, dabei zwei geschlossene Kompagnien, und viel Kriegsmaterial blieben in der Hand der deutschen Reiter. Die Gefangenen in der Mitte, nächtigte die Division an den Forsten nördlich Pillkallen.

So hatten am 20. August 1914 zum ersten Male seit anderthalb Jahrhunderten Preußen und Russen in einer großen Schlacht sich gegenübergestanden. Der Russe hatte sich als ein sehr achtungswerter Gegner erwiesen. Von Natur ein guter Soldat, war er wohldiszipliniert, kriegserfahren, gut ausgerüstet. Er war tapfer, verschlagen, geschickt im Ausnutzen des Geländes, ein Meister in gedeckter Verwendung von Artillerie und Maschinengewehren. Ganz besonders geschickt erwies er sich in der Anlage von Feldbefestigungen, die wie mit Zauberschlag in mehreren Linien hintereinander entstanden. Diesen trefflichen Eigenschaften des Soldaten stand die Unsicherheit der russischen Führung gegenüber. Sie fühlte sich der deutschen von vornherein unterlegen; sie war daher vorsichtig und zeigte besonders große Sorge um ihre Flanken. Wie weit die Vorsicht ging, dafür ist besonders kennzeichnend, daß die Russen täglich nach dem Marsche schanzten, selbst wenn sie sich noch Hunderte von Kilometern vom Feinde befanden. Um ihre Bewegungen zu verschleiern, machten sie reichlich Gebrauch von Nachtmärschen; bei Bewegungen am Tage nützten sie vielfach durch Marsch in den Chausseegräben die Deckung der Bäume gegen Fliegerbeobachtung aus, so daß auf den Straßen nur Fuhrwerk zu erkennen war. Beides, die Art der Bewegung, wie das tägliche Schanzen, erschwerten die deutsche Aufklärung und gaben ihr Anlaß zu falschen Schlüssen.


Der Rückzug der 8. Armee.

Beim Armeeoberkommando hatte am Nachmittag des 20. August der Eindruck geherrscht, daß die Aussichten auf einen Erfolg nicht schlecht seien. Die Narew-Armee rückte anscheinend nur langsam vor, so daß Zeit blieb, die Entscheidung gegen Rennenkampf durchzuführen, um so mehr, als das Generalkommando XX. Armeekorps sich voller Zuversicht dahin aussprach, das Armeekorps werde im Süden schon halten, bis im Norden der Sieg errungen sei. Da kamen am Abend Meldungen, die einen entscheidenden Umschwung herbeiführten. Hatte man bisher den linken Flügel der Narew-Armee im Marsch auf Chorzele angenommen, so war nunmehr von Fliegern festgestellt, daß auch von Warschau und Pultusk starker Feind im Anmarsch auf Mlawa bereits so nahe gerückt war, daß er am 21. August früh die Grenze überschreiten konnte. Gleichzeitig ging [290] die Nachricht ein, daß auch noch weiter westlich starker Feind aufgetreten war. Im ganzen bestand nach sicheren Nachrichten die Narew-Armee aus fünf Korps.

Unter diesen veränderten Umständen glaubte General v. Prittwitz den Kampf gegen Rennenkampf nicht mehr durchführen zu können. Mit einer schnellen Entscheidung, die schon in den nächsten Tagen volle Bewegungsfreiheit gegen die Narew-Armee gegeben hätte, rechnete man nicht; gelangte diese aber in den Rücken der noch kämpfenden 8. Armee, so schien eine Katastrophe unvermeidlich. Der Oberbefehlshaber entschloß sich, seine Armee hinter die Weichsel zurückzuführen. Das war ein Entschluß, den nur strategische Erwägungen eingegeben hatten; die Rücksichten auf das Schicksal des preisgegebenen Landes glaubte der Oberbefehlshaber jenen unterordnen zu müssen. Auch dieser Rückzug war nicht ungefährdet, wenn nicht der Narew-Armee hinreichender Aufenthalt bereitet wurde. Diese Aufgabe sollte dem XX. Armeekorps zufallen, sowie der 3. Reserve-Division, die mittels Eisenbahn nach Allenstein, und dem I. Armeekorps, das an den rechten Flügel des XX. herangeführt werden sollte.

Die entsprechenden Anordnungen wurden sofort erlassen. Es sollten zurückgehen: die 3. Reserve-Division nach Lötzen oder Angerburg, um dort verladen zu werden, das I. Reservekorps auf Nordenburg, das XVII. Armeekorps auf Allenburg, das I. Armeekorps nebst Division Brodrück in der Richtung auf Königsberg. Die 1. Kavallerie-Division sollte Anschluß an das XVII. Armeekorps suchen. Trotz der Schwierigkeiten, welche die Übermittlung dieses den Truppen völlig unerwartet kommenden Befehls machte, glückte das Loslösen vom Feinde überall. Bis zum Nachmittage des 21. August hatte die Masse der Armee die Abschnitte der Angerapp und Inster zwischen sich und den Feind gebracht. Noch am Abend dieses Tages begann der Abtransport der 3. Reserve-Division von Angerburg. Die 1. Kavallerie-Division ruhte halbwegs Gumbinnen - Insterburg, nachdem sie in drei Tagen unter erfolgreichen Kämpfen 190 Kilometer zurückgelegt hatte. Die 2. Landwehr-Brigade marschierte nördlich des Pregel auf Königsberg ab.

Das Armeeoberkommando hatte sich am Morgen des 21. nach Bartenstein zurückbegeben. Vom Generalkommando des XX. Armeekorps erfuhr man, daß der Feind anscheinend mit starken Kräften in der Linie Mlawa - Friedrichshof aufschloß. General v. Scholtz hatte schon tags zuvor eine Verschiebung seiner Divisionen nach Westen angeordnet und plante nunmehr, sein Armeekorps noch weiter rechts rückwärts zu ziehen, um in der Gegend von Gilgenburg das Herankommen der 3. Reserve-Division und des I. Armeekorps anzuwarten, falls sich nicht vorher Gelegenheit zu einem überraschenden Schlage gegen den von Mlawa anrückenden Feind bieten sollte. Diese Absichten wurden vom Oberbefehlshaber gebilligt. Bis zum Nachmittage gewann man ferner die Gewißheit, daß die Armee Rennenkampfs den zurückgehenden Korps nur sehr vorsichtig folgte; auf seinem rechten Flügel schienen neue Ausladungen stattzufinden.

[291] Inzwischen hatte die Oberste Heeresleitung, der gegenüber General v. Prittwitz seinen Entschluß eingehend begründet hatte, in die Führung auf dem östlichen Kriegsschauplatz eingegriffen. Im Laufe des Tages wies der Chef des Generalstabes des Feldheeres, General v. Moltke, mehrfach darauf hin, daß die Trennung der feindlichen Armeen die Gelegenheit zu einem Angriff auf die Narew-Armee biete, wozu erforderlich sei, die Kräfte der Armee zusammenzufassen. Es erscheine angezeigt, das XVII. Armeekorps und das I. Reservekorps hinter der Seenlinie gedeckt an das XX. heranmarschieren zu lassen.

Dieser gewagte Plan schien dem General v. Prittwitz nicht ausführbar. Wenn auch der Feind den zurückgehenden Korps bisher nicht gefolgt war, so meinte er doch in kürzester Frist mit einem solchen Handeln des Gegners rechnen zu sollen, dessen Bestreben doch sein mußte, im Verein mit der Narew-Armee den Deutschen den Rückzug zu verlegen. Er glaubt um so weniger dem Vorschlage der Obersten Heeresleitung entsprechen zu können, als er einmal auch starke Kräfte im Anmarsch gegen die Linie Arys - Johannisburg annahm, und anderseits das Generalkommando des XX. Armeekorps noch meldete, Ortelsburg und Willenberg seien bereits von feindlicher Kavallerie besetzt.

Der General entschloß sich allerdings nunmehr, die gesamte 8. Armee nach dem rechten Flügel zum Angriff auf die Narew-Armee zusammenzuziehen, jedoch sollte das I. Reservekorps und das XVII. Armeekorps westwärts weitermarschierend dorthin gelangen. Die erforderlichen Anordnungen wurden gegen 8 Uhr abends erlassen, die Angriffsabsicht den Armeekorps bekanntgegeben. Der Transport des I. Armeekorps blieb, wie bisher beabsichtigt, bestehen, die Ausladungen der 3. Reserve-Division wurden nach Deutsch-Eylau verlegt, wohin auch die 6. Landwehr-Brigade folgen sollte.

Das Armeeoberkommando begab sich in der Nacht zum 22. August nach Mühlhausen. Die Bewegungen der Armee vollzogen sich planmäßig, Rennenkampf folgte anscheinend nicht, nur einzelne Eskadrons fühlten gegen die Angerapp vor. Als Ausladepunkt für das I. Armeekorps wurden Goßlershausen - Strasburg und Bischofswerder - Neumarkt für je eine Division bestimmt. Die 1. Kavallerie-Division sollte den Abmarsch der Armee verschleiern und die Fühlung am Feinde halten. So hoffte General v. Prittwitz bis zum 26. August die Armee zwischen Thorn und Allenstein versammelt zu haben. Bis dahin blieb dem XX. Armeekorps die Aufgabe, den Feind aufzuhalten. Auf Antrag des Generalkommandos genehmigte der Oberbefehlshaber die Rückverlegung der Ausladungen der 3. Reserve-Division nach Allenstein, wo sie die Flanke des Armeekorps decken sollte. Alle übrigen Kräfte der Armee sollten aber rechts vom XX. Armeekorps eingesetzt werden.

Dieses Armeekorps war inzwischen, wie beabsichtigt, in die Linie Gilgenburg - Orlau eingerückt, hatte die 70. Landwehr-Brigade zwischen seine beiden Divisionen eingeschoben und die übrigen Abteilungen des Generals v. Unger an [292] seinen rechten Flügel herangezogen. Den linken Flügel des Feindes nahm das Generalkommando bei Mlawa an; weiter östlich hatte er die Chaussee Neidenburg - Willenberg erreicht und war bis südlich Ortelsburg gelangt. Auch Johannisburg sollte besetzt sein. Die ersten über Allenstein herausrollenden Transporte der 3. Reserve-Division hielt das Generalkommando an und ließ sie nach Allenstein zurückführen, wo die Division ausgeladen und unter Sicherung in südöstlicher Richtung, untergebracht wurde.

Angesichts dessen, daß der linke Flügel der Russen nicht über Mlawa hinausreichte und immer neue Meldungen vom Anmarsch starker Kräfte aus südöstlicher Richtung sprachen, war General v. Scholtz der Auffassung, daß die Ausladungen des I. Armeekorps zu weit entfernt gewählt seien. Der entstehende Zeitaufenthalt konnte verhängnisvoll werden. Er beabsichtigte, ihre Verlegung nach Deutsch-Eylau zu beantragen. Indessen kam die Nachricht, daß Seine Majestät der Kaiser den im Ruhestand lebenden General der Infanterie v. Beneckendorff und v. Hindenburg zum Oberbefehlshaber der 8. Armee ernannt und ihm den General Ludendorff als Chef des Generalstabes zur Seite gestellt habe.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte