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Bd. 1: Der deutsche Landkrieg, Erster Teil:
Vom Kriegsbeginn bis zum Frühjahr 1915

Kapitel 4: Der Feldzug im Westen
bis Mitte September 1914
  (Forts.)

Oberstleutnant Paul Krall

6. Der Rückzug an die Aisne.

Skizze 8: Rückzug der 1. Armee an die Aisne.

[263]
  Skizze 8: Rückzug der 1. Armee an die Aisne.
1. Armee.

Nachdem sich das Armee- Oberkommando 1 am 9. September mittags zu dem schweren Entschluß, den Rückzug anzutreten, durchgerungen hatte, wurde auch ungesäumt zur Durchführung geschritten. Nach kurzer Zeit schon ergingen die ersten Befehle; sie wiesen - ergänzt durch weitere Anordnungen im Laufe des [263] Nachmittags - den linken Armeeflügel unter General v. Linsingen einschließlich der Gruppe Lochow an, zunächst bis hinter den Abschnitt Montigny l'Allier - Brumetz zurückzugehen. Die Gruppe Sixt von Armin sollte sich dieser Bewegung nach Maßgabe der Gefechtslage bis zur Linie Antilly - Mareuil anschließen. Gruppe Quast [264] sollte die Angriffsbewegung nicht weiter durchführen, als dies zur Loslösung vom Feinde erforderlich sei, derart, daß der Anschluß an die Bewegung der übrigen Gruppen möglich sei (Skizze 8).

Am Abend folgte dann der zusammenfassende Armeebefehl, der zugleich die Bewegungen für den 10. September regelte. Generaloberst v. Kluck ließ seinen Untergebenen nur Recht widerfahren, wenn er als Einleitung des Befehl das siegreiche Vordringen des rechten Armeeflügels in Richtung Nanteuil le Haudouin, die trefflichen Abwehrmaßnahmen des Höheren Kavalleriekommandeurs 2, verstärkt durch Brigade Kräwel und 5. Infanterie-Division, nördlich der Marne erwähnt und ausdrücklich darauf hinweist, daß die 1. Armee auf Befehl der Obersten Heeresleitung in Richtung Soissons und westlich hinter die Aisne zurückgenommen werde, um die Heeresflanke zu decken, nachdem die 2. Armee in Richtung beiderseits Epernay hinter die Marne habe zurückgezogen werden müssen; wenn er weiter den Truppen der Armee seine höchste Anerkennung für die Hingabe und die ungewöhnlichen Leistungen bei der bisherigen Offensive ausspricht. "Die Armee setzt die befohlene Bewegung aus den erreichten Linien heute noch fort mit dem Gros bis in und nördlich der Linie Gondreville (südöstlich Crépy en Valois) - La Ferté Milon und Ourcq-Linie oberhalb davon. - Linker Flügel der Armee unter General v. Linsingen einschließlich Gruppe Lochow marschiert östlich des Ourcq, unterhalb La Ferté Milon und demnächst mit dem rechten Flügel auf der Straße La Ferté Milon - Villes Cotterets - Amblény, Gruppe Sixt v. Armin mit rechtem Flügel auf Straße Antilly - Vauciennes - Taillefontaine - Attichy; Gruppe Quast westlich davon. - Der Höhere Kavalleriekommandeur 2 mit Brigade Kräwel deckt den Abmarsch in der linken Flanke. 4. Kavallerie-Division hat Auftrag erhalten, an die Aisne vorausgehend, die Brücken von Compiègne bis Soissons in Besitz zu nehmen. Reserve-Brigade v. Lepel und gemischte 11. Landwehr-Brigade marschieren über Compiègne auf Vic mit gleichem Auftrage. - Dem Gegner ist durch Zerstören der Wege und Übergänge über den oberen Ourcq außer durch Nachhuten Aufenthalt zu bereiten."

Die Loslösung vom Gegner gelang ohne Schwierigkeit, ein Beweis dafür, in welch zerschlagenem Zustand sich die Armee Maunoury befunden haben muß.

Im Laufe des 10. September tauchten die Gros der Marschtruppen in das Waldgelände nördlich von Villers Cotterets unter und entzogen sich somit auch der feindlichen Lufterkundung; Nachhuten hielten die Linie östlich Crépy en Valois - Vauciennes - südlich Villers Cotterets - Grumilly. Die rechte Flanke wurde durch Brigade v. Lepel und die 11. Landwehr-Brigade in Gegend Compiègne, die linke Flanke durch den Höheren Kavalleriekommandeur 2 und Brigade Kräwel nördlich des oberen Crisebaches (südöstlich Soissons) geschützt. Die 4. Kavallerie-Division besetzte die Aisne-Brücken von Attichy bis Soissons. Nur [265] die linke Seitendeckung (2. Kavalleriekorps) mußte zeitweise feindliche (englische) Kavallerie abwehren; auf den übrigen Frontabschnitten machte sich auch an diesem Tage ein feindliches Vordringen nicht fühlbar.

Im neuen Armee-Hauptquartier Coeuvres et Valfery konnten dann am 10. September abends die Befehle für die Überschreitung der Aisne und Wiederherstellung der durch die Marschbewegungen und Gefechte der letzten Woche völlig durcheinander gekommenen alten Korpsverbände erlassen werden. Unter dem Schutz der noch südlich der Aisne in Nachhutstellung verbleibenden Divisionen (7., 8., 3., 5. von West nach Ost) wurden die anderen Divisionen derart auf das nördliche Aisneufer geleitet, daß sie hinter ihrer zum Korpsverband gehörenden Division zu stehen kamen: 6. Infanterie-Division bis in Gegend Crouy (nordöstlich Soissons), also nördlich der bei Billy stehenden 5. Infanterie-Division, 4. Infanterie-Division bis nach Pasly (nordwestlich Soissons), also nördlich der bei Saconin stehenden 3. Infanterie-Division. Dem IX. Armeekorps, auf dem äußersten Westflügel, wurde aufgegeben, mit einer Division bei Berneuil über die Aisne zu gehen, die andere Division zunächst in Gegend Cuise - Lamotte, südlich des Flusses, zu belassen. Nach Durchführung dieser Bewegungen waren die Korpsverbände wiederhergestellt. Es standen dann völlig neu geordnet vom rechten zum linken Flügel: IX. Armeekorps beiderseits der Aisne, IV. Armeekorps geschlossen südlich des Flusses, II. und III. Armeekorps mit je einer Division nördlich und südlich, IV. Reservekorps geschlossen nördlich der Aisne. Der Höhere Kavalleriekommandeur 2 deckte bei Acy - Serches die linke, 4. Kavallerie-Division vorwärts des IX. Armeekorps am Walde von Compiègne die rechte Armeeflanke.

Es war klar, daß an eine Wiederaufnahme der Offensive vor Abschluß dieser Bewegungen und Neuordnungen der Verbände nicht gedacht werden konnte. Der Oberbefehlshaber lehnte daher auch alle Aufforderungen in dieser Hinsicht, die am 10. September nachmittags an ihn herantraten, ab. Durch Befehl der Obersten Heeresleitung war die 1. Armee wieder bis auf weiteres dem Oberbefehlshaber der 2. Armee unterstellt worden. Mehrfach wurde von der Obersten Heeresleitung darauf hingewiesen, daß eine Umfassung des rechten Flügels der 2. Armee, der am 10. September noch bei Dormans an der Marne stand, durch Angriff der rückwärts gestaffelt aufzustellenden 1. Armee verhindert werden müsse. Auf eine Anfrage des Armeeoberkommandos 2 vom 10. September nachmittags, wann die 1. Armee zu neuer Offensive bereit sei, wurde als frühester Termin der 12. September angegeben.

Die für den Übergang über die Aisne und die Neuordnung der Verbände erlassenen Befehle kamen im Laufe des 11. September zur Durchführung, ohne daß der Gegner sie zu stören vermochte. Der Abschub der Munitionskolonnen und Trains ging geordnet vonstatten; die Armeeflanken waren gesichert, das Armeeoberkommando - in Fontenay inmitten der Armee - hielt die Zügel straff [266] in der Hand; wieder war eine äußerst schwierige Bewegung, dank der peinlichen Generalstabsarbeit, der Hingabe und Unermüdlichkeit der Truppe der Vollendung nahe. Erst am Abend traten die zaghaft und zögernd vorfühlenden feindlichen Vorhuten mit den deutschen Nachhuten in Linie Cuise Lamotte - Laversine - Saconin - Billy - Acy - Serches in Gefechtsberührung.

Für den 12. und 13. September ordnete das Armeeoberkommando 2 das Heranziehen der 1. Armee nördlich der Aisne an den rechten Flügel der 2. Armee an. Sie selbst wollte am 12. September den Vesle-Abschnitt beiderseits Reims - mit Westflügel bei Châlons sur Vesle - erreichen. Zur Sperrung der wichtigsten Übergänge des Vesle-Baches in der noch immer bestehenden großen Lücke zwischen 1. und 2. Armee sollte vom 11. September früh ab die 13. Infanterie-Division des VII. Armeekorps mit je einer gemischten Brigade Braisne und Fismes besetzt halten. Der Höhere Kavalleriekommandeur 1 würde weiter südlich den Feind aufhalten, der dem Westflügel der 2. Armee bis Ville en Tardenois gefolgt war. Das vorderste Korps der sich bei St. Quentin sammelnden Reserve- (7.) Armee - das XV. Armeekorps - würde mit den letzten fechtenden Truppen am 13. September seine Ausladung beendet haben.

Daraufhin befahl das Armeeoberkommando 1 für den 12. September die Bereitstellung der gesamten Armee nördlich der Aisne. Unter dem Schutz der bereits nördlich des Flusses stehenden Divisionen sollten am 12. September, in frühester Morgenstunde aufbrechend, die noch südlich des Abschnitts verbliebenen Armeeteile das nördliche Ufer gewinnen, und zwar mit leichter Verschiebung in nordöstlicher Richtung: vom III. Armeekorps die 5. Infanterie-Division (zunächst noch mit Brigade Kräwel des IX. Armeekorps) die Höhen von Condé, 6. Infanterie-Division dahinter die Gegend Nanteuil la Fosse; vom II. Armeekorps die 3. Infanterie-Division, unter Freihaltung von Soissons, die Höhen von Crouy und Bucy le Long, die 4. Infanterie-Division westlich davon die Höhen von Pasly; das IV. Armeekorps sollte mit der 8. Infanterie-Division bis in die Gegend nördlich Juvigny, die 7. Infanterie-Division bis Gegend südlich Tartiers gelangen. Das IV. Reservekorps blieb bei Nouvron. Das IX. Armeekorps auf dem Westflügel stellte sich mit der 17. Infanterie-Division auf den Höhen von Attichy - Bitry, der 18. Infanterie-Division in Gegend Autrêches und nördlich bereit. Die Brigade v. Lepel des IV. Reservekorps hatte, von Compiègne kommend, Nampcel zu erreichen. Der Auftrag an den Höheren Kavalleriekommandeur 2 und die 4. Kavallerie-Division zur Deckung der Armeeflanken blieb weiter aufrechterhalten. Die Aisne-Brücken sollten zunächst noch besetzt gehalten, im Falle feindlichen Nachdrängens aber zerstört werden. Das Armeeoberkommando 1 wurde nach Juvigny verlegt.

Auch diese Bewegungen der 1. Armee vollzogen sich am 12. September ohne Reibungen. Vom Feinde waren am Vormittag stärkere Kolonnen aus Gegend Hartennes und Fère en Tardenois (offenbar Engländer), weiter westlich [267] schwächere Kräfte der Armee Maunoury bei Mortfontaine, Coeuvres et Valfery und aus Gegend Villers Cotterets im Vormarsch nach Norden. Die rechte Armeeflanke auf dem Westufer der Oise im Gelände Roye - Montdidier - Noyon war vom Feinde frei; dagegen entwickelte die verfolgende Armee Maunoury auf ihrem linken Flügel gegen das IX. Armeekorps im Laufe des Mittags starke Kräfte; auch auf den übrigen Frontteilen stellte sich der Feind zum Angriff bereit. Ihm mußte selbstverständlich daran gelegen sein, die Deutschen nicht wieder zur Ruhe kommen zu lassen, sondern sie zu schlagen, bevor die im Antransport gemeldeten Verstärkungen eingetroffen sein würden. Für die deutsche 1. Armee kam bei dieser Lage ein Abmarsch nach Osten nicht mehr in Frage; das Armeeoberkommando befahl daher am 12. September mittags, daß die Korps sich im Falle eines Angriffes in ihren Stellungen zu behaupten hätten. Dem IX. Armeekorps war aufgegeben, aus dem Gelände von Nampcel - Audignicourt - Autrêches die rechte Armeeflanke zu decken; im übrigen sollten halten: IV. Reservekorps die Höhen bei Nouvron, IV. Armeekorps den Abschnitt Cuisy en Almont - Pasly, das II. Armeekorps von Cuffies bis zum Chivres-Abschnitt, III. Armeekorps die Höhen nördlich Condé, eine Division (6.) zurückgehalten; 2. Kavalleriekorps Vailly.

Das Armeeoberkommando 1 konnte auf Grund der Stärke der Stellungen, der getroffenen Maßnahmen für den Schutz der Flanken und bei dem Zustand der Truppe dem Angriff des Feindes mit Zuversicht entgegensehen. Infolge der Zerrissenheit des Geländes, der steilen Abfälle der Ufer, der zahlreichen Waldungen wurde zwar von einzelnen Armeekorps auf eine unmittelbare Sperrung der Flußübergänge verzichtet, die Verteidigung hatte hier auf die Hochflächen weiter nördlich verlegt werden müssen. Trotzdem behielt die Aisne-Stellung ihre große Stärke; mit Rücksicht auf die Unübersichtlichkeit des Geländes war es für den Gegner äußerst schwer festzustellen, in welcher Stärke die Deutschen sich dort befanden, sowie nach welchen Gesichtspunkten sie den Übergang über den Fluß zu vereiteln suchen würden.

Auf dem Ostflügel stand dem Armeeoberkommando 1 noch eine Infanterie-Division und die Heereskavallerie zur Verfügung, um sich weiter nach Osten auszudehnen und mit dem nach dem Fall von Maubeuge in Gewaltmärschen über Laon in Anmarsch befindlichen VII. Reservekorps Verbindung aufzunehmen.

Infolge des unübersichtlichen Geländes und der von einzelnen Korps angewandten Art der Flußverteidigung überschritten am 12. September nachmittags Engländer und Franzosen mit Infanterie die Aisne in Linie Attichy - Soissons. Bald war die 1. Armee auf der ganzen Front in einen ernsthaften Kampf verwickelt. Daher war auch der am Nachmittag eintreffende Befehl des Armeeoberkommandos 2, nach dem die 1. Armee zu ihrer Entlastung noch am selben Tage mit möglichst starken Kräften in Richtung St. Thierry (nordwestlich Reims) vorzustoßen habe, nicht ausführbar. Die Lage bei der 2. Armee schien [268] nicht günstig. Der Feind hatte ihren Westflügel zurückgedrängt, die Vesle überschritten und die Höhen von St. Thierry gewonnen. Wieder klaffte die Lücke zwischen den Armeen; auch die 13. Infanterie-Division hatte vor starkem Feind mit rechtem Flügel auf Bourg et Comin (an der Aisne) ausweichen müssen. Ein Angriff der 1. Armee mit starken Teilen in Richtung Reims erschien zwar erwünscht, war aber ausgeschlossen; die Armee konnte entweder den Kampf in der zur Zeit besetzten Stellung aufnehmen oder sie mußte in nördlicher oder nordöstlicher Richtung weiter zurückgehen. Das Armeeoberkommando 1 entschloß sich zu ersterem; die Schließung der Lücke mußte den in Anmarsch befindlichen Teilen der 7. Armee überlassen bleiben. In diesem Sinne meldete Armeeoberkommando 1 zurück: "1. Armee auf Linie Attichy - Soissons stark angegriffen; sie erwartet morgen Schlacht, hält nördliches Aisne-Ufer Attichy - Condé, kann linken Flügel noch verlängern. Vorgehen Richtung St. Thierry aber unmöglich."

Für den 13. September ordnete Generaloberst v. Kluck erneut das Halten des Aisne-Abschnittes mit allen Kräften und Mitteln an; die Stellungen sollten verstärkt, der Feind, wo er das Nordufer erreicht, wieder in den Grund zurückgeworfen werden; ferner wurden alle Maßnahmen getroffen, um den rechten Armeeflügel zu stärken und seine Umfassung zu verhindern.


2. Armee.

Die 2. Armee sollte ihren Rückzug am 9. September 1 Uhr nachmittags mit ihrem linken Flügelkorps (dem Gardekorps), beginnen, dem hierzu die Straße Fère Champenoise - Vertus - Wegekreuz östlich Avize - Athis - Tours sur Marne zugewiesen wurde. Die westlich anschließenden Truppen (14. Infanterie-Division und X. Armeekorps) durften erst von 2 Uhr nachmittags ab folgen. X. Reservekorps und 13. Infanterie-Division hatten zunächst ihre Stellungen in Gegend Champaubert bis Mareuil zu halten. Nachhuten mit starker Artillerie verblieben bis zum Eintritt der Dunkelheit am Feinde. Armeeoberkommando 2 - an diesem Tage noch in Montmort - ging später nach Epernay.

Auch bei der 2. Armee gelang die Loslösung vom Gegner ohne Schwierigkeiten; auch hier waren die in frontalem Kampf mit der 2. Armee stehenden französischen Divisionen derart erschüttert, daß sie mit ihrer Infanterie sich dem deutschen Feuer bereits entzogen hatten. Dagegen hatten sich die Fortschritte des linken Flügels der Armee Franchet und der Engländer in der Lücke zwischen 1. und 2. Armee naturgemäß stärker fühlbar gemacht; sie allein lassen den Entschluß des Generals v. Bülow zum Rückgang erklärlich erscheinen.

Am Abend des 9. September erreichten die zunächst angetretenen Truppen die Linie Mareuil en Brie - Vertus; die Kolonnen und Trains überschritten an diesem Tage bereits die Marne.

[269] Auch am 10. September wurde der Rückzug ohne Störung durch den Gegner fortgesetzt. Am Abend stand die Armee mit Nachhuten in Linie Boursault - Moussy - Avize - südöstlich Flavigny, während die Anfänge des X. Reservekorps Pourcy, des X. Armeekorps Sermiers, der 14. Infanterie-Division Germaine, des Gardekorps Tauxières - Mitry erreichten. Das VII. Armeekorps (ohne 14. Infanterie-Division) sperrte die Marne-Übergänge zwischen Port à Binson bis Jaulgonne und deckte somit die rechte Flanke der Armee. An diesem Tage überschritten die Kolonnen und Trains die Vesle. Die Sorge um die von ihr getrennte 1. Armee beherrschte auch jetzt noch die Entschlüsse der 2. Armee. Ihre Beurteilung der Lage faßte sie in einer Meldung an die Oberste Heeresleitung zusammen, daß es nunmehr darauf ankommen müsse, "mit der 2. Armee die zum Rückzug gezwungene 1. Armee nördlich der Marne zu stützen; sonst werde der rechte Heeresflügel eingedrückt und eingerollt". Diese Anschauung war mitbestimmend für den Befehl, daß die 1. Armee bis auf weiteres dem Oberbefehlshaber der 2. Armee unterstellt werde. Später folgte dann die für die nächste Zeit grundlegende Weisung der Obersten Heeresleitung: "2. Armee geht hinter die Vesle zurück, linker Flügel Thuizy; 1. Armee erhält Weisung von 2. Armee; 3. Armee hält im Anschluß an 2. Armee Mourmelon le Petit - Francheville (südöstlich Châlons sur Marne); 4. Armee im Anschluß an 3. Armee nördlich des Rhein - Marne-Kanals bis Gegend Revigny; 5. Armee bleibt in den erreichten Stellungen. V. Armeekorps und Hauptreserve Metz sind zum Angriff gegen die Forts Troyon, Paroches und Camp de Romains angesetzt. - Die von den Armeen erreichten Stellungen sind zu befestigen und zu behaupten. Die ersten Teile der 7. Armee - XV. Armeekorps und VII. Reservekorps - erreichen etwa am 12. September mittags die Gegend St. Quentin - Sissy."

Auf Grund der erfolgten Unterstellung erging dann am 10. September abends an 1. Armee der Funkspruch, nach Erreichen des Nordufers der Aisne sich an den rechten Flügel der 2. Armee heranzuziehen; vom 11. September früh ab würden die Vesle-Übergänge bei Braisne und Fismes durch je eine gemischte Brigade der 13. Infanterie-Division gesperrt werden.

Allmählich schien der Gegner die rückwärtige Bewegung des deutschen Heeres in seinem vollen Umfange erkannt zu haben. Er setzte zur Verfolgung an. Am Abend des 10. September meldeten Flieger eine lange feindliche Kolonne im Marsch von Champaubert nach Bergères, also nach Osten zu; am 11. September weitere Bewegungen des Feindes in Richtung auf den linken Armeeflügel der 2. Armee und auf die 3. Armee. Generaloberst v. Bülow deutete dies als einen Versuch des Gegners, nunmehr gegenüber der 3. Armee einen Durchbruch zu versuchen. Der am Nachmittag in Reims eintreffende Chef des Generalstabes des Feldheeres schloß sich dieser Auffassung an; er ordnete dementsprechend an: "Sichere Nachrichten lassen darauf schließen, daß der Gegner einen Angriff mit sehr starken Kräften gegen den linken Flügel der 2. und 3. Armee beabsichtigt. [270] Seine Majestät befehlen daher: Es haben zu erreichen: 3. Armee Linie Thuizy (ausschließlich) - Suippes (ausschließlich); 4. Armee: Suippes (einschließlich) - St. Menehould (ausschließlich); 5. Armee: St. Menehould (einschließlich) und östlich. - Die erreichten Linien sind auszubauen und zu halten."

Um der auch jetzt noch drohenden Umfassung ihres rechten Flügels zu entgehen, mußte auch am 11. September der Rückmarsch der 2. Armee mit stark vorgenommenem Westflügel fortgesetzt werden. Die Gros wurden bis östlich der Linie Jonchéry - Treslon - Bligny - Pourcy - St. Imoges - Avenay - Tours zurückgeführt. Die Nachhuten waren schon mit Tagesanbruch auf das Nordufer der Marne gewichen, sollten aber nach Zerstörung der Brücken das nördliche Ufer noch besetzt halten. Die Kolonnen und Trains überschritten an diesem Tage den Suippes-Bach. - Die zur Verbindung mit der 1. Armee bestimmte 13. Infanterie-Division hielt den Vesle-Abschnitt zwischen Braisne und Fismes besetzt; dem Höheren Kavalleriekommandeur 1 wurde der Schutz der rechten Flanke und des Rückens der Armee übertragen. Der Feind ereichte am Abend dieses Tages vor der Front der Armee die Linie Fère en Tardenois - Verneuil - Epernay - Mareuil.

Auch die neue 7. Armee wurde an diesem Tage dem Oberbefehlshaber der 2. Armee unterstellt.

Generaloberst v. Bülow glaubte, jetzt den weiteren Vormarsch des Gegners aufhalten zu können; 2. Armee sollte dazu am 12. September den Vesle-Abschnitt besetzt halten: X. Reservekorps auf südlichem Vesle-Ufer, vorwärts Reims, von Thillois bis Cormontreuil; X. Armeekorps auf dem nördlichen Vesle-Ufer von Cormontreuil bis Prunay, Gardekorps (ohne 1. Garde-Infanterie-Division) anschließend bis südwestlich Prosnes mit Anschluß an 3. Armee. Zu seiner Verfügung stellte das Armeeoberkommando 2 die 14. Infanterie-Division östlich Cernay les Reims, die 1. Garde-Infanterie-Division südwestlich Beine bereit. Vom Höheren Kavalleriekommandeur 1 wurde die 5. Kavallerie-Division zur 3. Armee in Marsch gesetzt. Auf dem rechten Armeeflügel sollte die inzwischen eingetroffene 25. Landwehr-Brigade die Brigaden der 13. Infanterie-Division bei Fismes und Braisne ablösen, damit diese die Vesle-Übergänge von Breuil über Prouilly - Muizon bis Tinqueux besetzen konnte. Wenn diese Verschiebung sowie der Abmarsch der 1. Armee in östlicher Richtung gelang, so schien die Fühlung zwischen 1. und 2. Armee endlich wieder hergestellt.

Leider erfüllte sich diese Hoffnung nicht. Am frühen Nachmittag des 12. September wurde die 1. Armee in Linie Berneuil - Condé - Vailly von starken französischen und englischen Kräften angegriffen; von einer Verschiebung nach Osten konnte daher keine Rede sein. Gleichzeitig erzwang der Feind unter Zurückwerfung der 25. Landwehr-Brigade und der 13. Infanterie-Division den Übergang über die Vesle und drohte erneut den rechten Armeeflügel bei Muizon zu umfassen. Deshalb beschloß Generaloberst v. Bülow, das den rechten Flügel [271] bildende X. Reservekorps zurückzunehmen, solange dies noch vor Eintreten engerer Kampfberührung sich ermöglichen ließ. Die 14. Infanterie-Division wurde gleichzeitig in Richtung seines rechten Flügels auf Betheny angesetzt; unter ihrem Schutz ging das X. Reservekorps durch Reims auf Cernay les Reims zurück und nahm dort Anschluß an den rechten Flügel des X. Armeekorps. Die 13. Infanterie-Division erreichte durch Nachtmarsch die Gegend des Brimont und nördlich. Hierdurch war auch das VII. Armeekorps auf dem rechten Flügel der Armee wieder vereinigt.

Durch die Geschehnisse dieses Tages drohte die Lücke zwischen 1. und 2. Armee wieder verhängnisvoll zu werden. Nur durch schleunigsten Einsatz der 7. Armee konnte dem begegnet werden. Noch in der Nacht vom 12. zum 13. September wurden daher die vordersten Teile des VII. Reservekorps aus Gegend südöstlich Laon auf die Höhen des Chemin des Dames vorgezogen. Hier opferte sich gegen heftige Angriffe überlegener feindlicher Kräfte die verstärkte 28. Infanterie-Brigade des VII. Reservekorps am 13. September in erbittertem Ringen in der Stellung von Hurtebise - Craonne, bis rechts von ihr die übrigen Teile des VII. Reservekorps, links von ihr die ersten Teile des XV. Armeekorps in den Kampf geworfen werden konnten und dem weiteren Vordringen des Gegners Halt geboten.


3. Armee.

Der Armeebefehl für den 10. September, nach dem das linke Flügelkorps (XIX.) im Anschluß an den rechten Flügel der 4. Armee westlich Vitry le François stehenbleiben sollte, das XII. Armeekorps dagegen bis Soudron - Vatry - Bussy - Lettrée, das XII. Reservekorps bei Trécon - Chaintrix - Thibie zurückzuziehen seien, wurde ohne wesentliche Störungen durch den Feind ausgeführt. Nur die östliche Division des XII. Armeekorps, die 23. Infanterie-Division, war genötigt, im Laufe des 10. September noch einmal in Richtung Soudé vorzustoßen, um feindliche Kräfte, die den rechten Flügel des XIX. Armeekorps zu umfassen drohten, zurückzuwerfen. Die Lage vor der Front des XIX. Armeekorps wurde dadurch nicht nur wiederhergestellt, sondern sogar derart gestaltet, daß der Kommandierende General dieses Korps beschloß, nach Einbruch der Dunkelheit seinerseits anzugreifen. Die bei Soudé stehenden Teile der 23. Infanterie-Division wurden ihm hierzu zur Verfügung gestellt.

Auch die Bewegungen der westlichen Armeehälfte vollzogen sich ohne Störungen. Das auf dem rechten Armeeflügel wieder vereinigte XII. Reservekorps hatte mit dem linken Flügel der 2. Armee bei Flavigny Verbindung. Es bestand also durchaus die Möglichkeit, am 11. September die Offensive wieder aufzunehmen, die nach dem bisherigen Verhalten des Gegners erfolgversprechend schien. Da traf am Abend der Funkspruch der 2. Armee ein, daß diese beabsichtige, ihre Nachhuten hinter die Marne zurückzunehmen und ihre Gros ebenfalls einen [272] kurzen Marsch in nordöstlicher Richtung ausführen zu lassen. Es sei erwünscht, daß die 3. Armee sich dieser Bewegung anschlösse.

Die Ausführung dieser Weisung bedeutete für das Armeeoberkommando 3 den Verzicht auf jede angriffsweise Betätigung südlich der Marne; sie stand aber auch im Widerspruch mit der letzten Weisung der Obersten Heeresleitung, mit den eigenen Anschauungen und dem Angriffswillen der Truppe, zumal auf dem linken Flügel. Das Armeeoberkommando 3 teilte daher der 2. Armee seine Absicht mit, zunächst südlich der Marne zu bleiben und bat, die Nachhut des Gardekorps bei Flavigny zu belassen, um die rechte Flanke der Armee nicht ganz zu entblößen. Diesem Wunsche wurde zwar vom Armeeoberkommando 2 entsprochen, zugleich aber von ihm mitgeteilt, daß feindliche Kräfte im Marsch auf den linken Flügel der 2. und rechten Flügel der 3. Armee beobachtet seien. Auf Grund der Anschauung der Lage beim Armeeoberkommando 2 erging dann am Abend der Befehl der Obersten Heeresleitung, daß auch die 3. Armee auf das nördliche Marne-Ufer zurückzunehmen sei; der 2. Armee sei der Rückzug hinter die Vesle, linker Flügel Thuizy, befohlen; die 3. Armee sollte anschließend daran die Linie Mourmelon le Petit (südöstlich Reims) - Francheville am Moivre (13 Kilometer südöstlich Châlons sur Marne) erreichen und halten.

Wiederum um eine Hoffnung ärmer, befahl das Armeeoberkommando 3 zunächst das Einstellen aller Angriffsvorbereitungen beim XIX. Armeekorps und regelte darauf die rückgängigen Bewegungen für den 11. September. Unter Zurücklassung starker Nachhuten sollten die Gros am Morgen dieses Tages die Linie Chaintrix - Vatry - Maisons en Champagne überschreiten und bis zum Abend auf das Nordufer der Marne zurückgehen. Da aber am Abend des 10. September das auf dem rechten Armeeflügel stehende XII. Reservekorps aus südlicher und vor allem westlicher Richtung heftig vom Feinde angegriffen und stark bedrängt wurde, genehmigte das Armeeoberkommando 3 den sofortigen Abmarsch dieses Korps in der Richtung Thibie - Matougues.

Der Rückmarsch am 11. September hinter die Marne verlief reibungslos; das XIX. Armeekorps brach, völlig unbelästigt vom Feinde, auf. Die 23. Infanterie-Division, die durch ihren Vorstoß am 10. September von Soudé auf Sompuis den Gegner zurückgeworfen hatte, verdankte dieser Abschüttelung des Feindes ebenfalls ihren völlig ruhigen Abmarsch. Auch die 32. Infanterie-Division gelangte an die ihr zum Zweck der Neugruppierung gegebenen Ziele und trat damit wieder in Anlehnung an die 23. Infanterie-Division unter den Befehl des Kommandierenden Generals XII. Armeekorps. Ebenso überschritt das XII. Reservekorps, unter dem Schutz von Nachhuten der 23. Infanterie-Division, ungestört bei Condé und Vraux die Marne. Beim Eintreffen im neuen Hauptquartier Suippes erhielt dann aber die 3. Armee vom Chef des Generalstabes des Feldheeres unmittelbar den Befehl, bis zur Linie Thuizy - Suippes zurückzugehen und sich hier einzugraben. Die neue Zurücknahme der Front war auf [273] Grund der bei der 2. Armee herrschenden Auffassung der Lage und von Nachrichten der 4. Armee erfolgt, nach denen der Feind mit starken Kräften auf Vitry le François vorgehe. Die 4. Armee sollte in Linie Suippes - St. Menehould ausweichen.

Wenn auch der neu zugewiesene Abschnitt in seiner Ausdehnung von nur 25 Kilometern mehr der geringen Stärke der 3. Armee entsprach als die zuerst befohlene 40 Kilometer lange Front Mourmelon - Francheville, so bedeutete der neue Rückmarsch für die 3. Armee eine abermalige Enttäuschung und ein Einstellen des bereits eingeleiteten Stellungsbaues. Dem XII. Reservekorps wurde in der neuen Front der Abschnitt Thuizy - Prosnes, dem XII. Armeekorps anschließend bis Fort St. Hilaire - Butte d'Infant, dem XIX. Armeekorps von dort bis Suippes zugewiesen. Im Laufe des Vormittags des 12. September trafen die Armeekorps, wenn auch stark ermüdet, in ihren neuen Abschnitten ein und begannen sofort den Ausbau. Das Armeeoberkommando begab sich nach Bétheniville.

Doch es sollte die 3. Armee noch immer nicht zur Ruhe kommen. Am Nachmittag des 12. September meldete der Kommandierende General des XII. Reservekorps, daß der linke Flügel der 2. Armee aus Geländerücksichten erheblich zurückverlegt worden sei; dies bedinge auch für das XII. Reservekorps und voraussichtlich auch für das XII. Armeekorps eine neue Rückwärtsbewegung. Der Oberbefehlshaber der 3. Armee weigerte sich zunächst hartnäckig, mit Rücksicht auf die Truppe, die die erneute Unterbrechung ihrer Befestigungsarbeiten nicht verstehen werde, diesem Ansuchen nachzugeben. Als dann aber am Abend ein Abgesandter der Obersten Heeresleitung mitteilte, daß wegen des ungünstigen Geländes im Argonner Wald die 5. Armee noch weiter zurückgenommen und dadurch auch die 4. Armee nach Norden geschoben werden müsse, und zwar rechter Flügel von Suippes nach Souain, mußte sich das Armeeoberkommando 3 dieser beiderseitigen Rückverlegung anschließen. Es befahl daher für den folgenden Tag, die Korps in die Linie Prosnes - Souain zurückzunehmen.

Gegen Mittag des 13. September erreichte die Armee die neue Verteidigungslinie und begann mit dem Ausbau. Der Feind folgte während der ganzen Tage nur zögernd, immer wieder ein Zeichen, daß die Franzosen einen Sieg nicht erfochten haben konnten.


4. Armee.

Die 4. Armee leitete am Morgen des 10. September den geplanten Angriff ihres rechten Flügels ein. Nach anfänglichen Erfolgen setzten französische Gegenstöße ein, die überall abgewiesen wurden. Ein entscheidender Erfolg wurde aber an diesem Tage nicht erreicht. Da traf am Abend die Weisung der Obersten Heeresleitung ein, daß die 4. Armee im Anschluß an die auf das Nordufer der [274] Marne zurückzunehmende 3. Armee nördlich des Rhein - Marne-Kanals die Linie Francheville - Revigny zu halten habe. Der Marsch dorthin wurde am Morgen des 11. September, ohne vom Gegner gestört zu werden, durchgeführt. Nur hinter dem rechten Flügelkorps trat der Feind am Nachmittag den Vormarsch auf Vitry le François an. Als die Lage bei der 2. und 3. Armee am 11. September ein weiteres Zurücknehmen der Fronten erforderlich machte, mußte auch die 4. Armee sich der Rückbewegung anschließen; ihr wurde durch Befehl der Obersten Heeresleitung vom 11. September der Abschnitt Suippes - St. Menehould zugewiesen, der am 12. September erreicht wurde. Am 13. September wurde dann aus den gleichen Gründen eine nochmalige Rückverlegung der Armeefront in die Linie: Souain - Binarville vorgenommen. Vom Gegner lag stärkerer Druck nur auf dem rechten Armeeflügel; sonst vollzogen sich die Bewegungen auch bei der 4. Armee in voller Ruhe.


5. Armee.

Da der von der 5. Armee in der Nacht vom 9. zum 10. September beabsichtigte Angriff nicht durchgeführt werden sollte, beschränkte sich die Kampftätigkeit der Armee am 10. September auf Teilvorstöße; sie nutzte gleichzeitig den Tag zur Ordnung der Verbände und rückwärtigen Verbindungen aus. Der Angriff des V. Armeekorps und der Hauptreserve Metz auf die Höhen östlich der Maas und die Forts de Troyon, des Paroches und du Camp des Romains schritt gut vorwärts.

Der am 10. September eingehende Befehl der Obersten Heeresleitung, nach dem die 3. Armee auf das Nordufer der Marne, die 4. Armee bis Linie Francheville - Revigny zurückzugehen hatten, wies die 5. Armee an, in den erreichten Stellungen zu verbleiben; der Angriff gegen die Maas-Forts sollte weitergeführt werden. Immerhin sah das Armeeoberkommando 5 voraus, daß es über kurz oder lang ebenfalls seine Kampffront nach rückwärts verlegen müsse. Die Anregung eines Abgesandten der Obersten Heeresleitung, am Südrand der Argonnen zu verbleiben, lehnte das Armeeoberkommando entschieden ab. Jetzt, wo die 6. und 7. Armee keinen Erfolg gehabt hätten, sei es dem Feinde unbenommen, Kräfte nach Norden zu schieben und dem V. Armeekorps, das noch im Angriff gegen die Sperrforts lag, in die Flanke zu fallen. Mit dem Freiwerden von Kräften werde es dem Gegner ferner ermöglicht, die Lagerfestung Verdun auszunutzen und aus ihr nach Norden oder Westen vorzustoßen. Gelänge ein derartiger Durchbruch der rückwärtigen Verbindungen der 5. Armee, so sei auch die Lage der übrigen, westlich davon stehenden deutschen Armeen aufs äußerste gefährdet. Das V. Reservekorps müsse daher ganz für das Ostufer der Maas verbleiben. Die noch verbleibenden vier Korps der 5. Armee seien aber zu schwach, um Verdun auf dem Westufer der Maas wirksam abzuschließen und zugleich den Südrand der Argonnen zu halten.

[275] Durch die Weisung der Obersten Heeresleitung vom 11. September nachmittags wurde der 5. Armee dann ein Ausweichen bis in die Linie St. Menehould - Clermont im Anschluß an die in den Abschnitt Suippes - St. Menehould zurückgehende 4. Armee befohlen. Aber auch diese Aufstellung ließ sich nach Ansicht der 5. Armee auf die Dauer nicht durchführen. Die Oberste Heeresleitung schloß sich dem an und genehmigte am 12. September - unter Einstellung des Angriffs auf die Maas-Forts - den weiteren Rückzug der Armee in Linie Binarville - Varennes, eine Maßnahme, die dann allerdings auch wieder ein Zurücknehmen der 4. und 3. Armee zur Folge hatte. Für die 5. Armee war aber durch die neue Aufstellung jede Flankenbedrohung aus Verdun ausgeschaltet, die Armeefront erheblich verkürzt und für die Verteidigung günstigere Bedingungen geschaffen. Sie gaben aber die Vorbedingung für einen baldigen günstigen Angriff auf Verdun und damit große Aussichten auf die Zukunft preis.


6. und 7. Armee.

Die 6. und 7. Armee waren nach Abtransport namhafter Teile, in Richtung auf die deutsche Grenze zurückgewichen. In Anlehnung an die Werke der Südfront von Metz wurde die Frontlinie in Richtung des Donon festgelegt, der Grenzkamm der Vogesen besetzt, weiter südlich der Anschluß an die Armeeabteilung Gaede genommen. Die Reste der französischen 1. und 2. Armee folgten nur zögernd. -

Damit war die große Rückzugsbewegung der deutschen Armeen beendet; gegen die eingenommene Front brandeten die Vorstöße der vorgehenden französischen Armeen an, ohne sie aber weiter nach rückwärts werfen zu können.

Auch während dieses Zeitabschnitts sind die Anordnungen der Obersten Heeresleitung Anlaß zu schwankenden und immer wieder sich ändernden Maßnahmen bis zur Wahl der endgültig einzunehmenden Abwehrstellung gewesen. In derartigen Lagen kann aber zunächst immer nur von Tag zu Tag disponiert werden. Auch werden sich bei Nachprüfung im Gelände stets Abänderungen in der nach der Karte gewählten Linienführung als notwendig erweisen; auch wird das Verhalten des Gegners ausschlaggebenden Einfluß ausüben. -

Unbesiegt und sogar aus erfolgversprechenden taktischen Siegen heraus, nicht unter dem Druck des Gegners, sondern aus freier Auffassung und Entschließung, verließ das deutsche Heer das Schlachtfeld an der Marne; mit verhältnismäßig geringer Einbuße an Gefangenen und Material führten die deutschen Armeen, in vollster Ordnung, den Rückzug durch; überall war der Feind nur zögernd gefolgt. Die damalige französische Auffassung kommt in den Worten klar zum Ausdruck: "Das Wort Sieg wagte bei uns niemand auszusprechen; es wurde erst Monate später für die Schlacht an der Marne erfunden."

[276] Die Wirkung der Schlacht auf die Verbündeten, und vor allem auf die Franzosen, war natürlich groß; sie wurde für diese zum Hoffnungszeichen; das Vertrauen in die eigene Kraft erwachte wieder, das Ansehen der nach Bordeaux geflohenen Regierung hob sich.

Das aber darf niemals vergessen werden, daß es ein von Kriegsbeginn an in starker Minderheit befindliches, durch blutige Schlachten und außerordentliche Marschanstrengungen ermüdetes Heer war, das gegen starke Überlegenheit mit bester Aussicht auf den Sieg gekämpft hatte. Vierzig durch Marsch- und Gefechtsverluste geschwächte deutsche Infanterie-Divisionen kämpften gegen mehr als 58 feindliche, die wenigstens zum Teil aufgefüllt waren; auch die artilleristische Bewaffnung des französisch-englischen Heeres war in der Marne-Schlacht fast doppelt so stark, wie auf deutscher Seite. Und trotzdem hatte das tapfere deutsche Heer den Sieg in Reichweite!

Voll höchster Achtung steht das Volk vor solchen Leistungen und in Ehrfurcht neigt es das Haupt im Gedenken an seine Toten.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte