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Anlage 8
Brief von R. R. Stokes vom Oktober 1945 an den Manchester Guardian
über die tschechischen Konzentrationslager
(Übersetzt aus dem Englischen)
Vor Monaten erfuhr ich von den tschechischen Praktiken, junge Männer, die auf Grund
ihrer Volkszugehörigkeit gemäß den Potsdamer Beschlüssen
ausgesiedelt werden sollen, zusammenzufassen und
sie in Arbeits-Konzentrationslager zu verschicken. In der Tat wurden viele sudetendeutsche
Sozialdemokraten, die wegen ihrer antinazistischen Gesinnung in KZs gebracht worden waren,
jetzt in tschechische Arbeitslager eingewiesen, aus dem einzigen Grunde, weil sie Deutsche
waren. Ich versuchte daher einige dieser sogenannten politischen Internierungslager ausfindig zu
machen und hatte das Glück, eines in Hagibor, in der Nähe Prags zu finden. Das
Lager bestand in der Hauptsache aus zehn großen Baracken, in denen je 70 bis 80
Personen
untergebracht waren. Bei meinem ersten Besuch um 9 Uhr früh am 12. 9. waren die
meisten Insassen auswärts auf Arbeit. Die Baracken
sind typische KZ-Lager-Baracken mit Drei-Stock-Betten, ohne primitivste Annehmlichkeiten
und
mit den schrecklichsten sanitären Einrichtungen. Ich fand alle Arten von Menschen im
Lager vor; einige von ihnen waren erst einige Tage dort, andere bereits Monate und keiner, mit
dem ich sprach, hatte die geringste Ahnung, aus welchem Grunde er festgehalten wurde. Eine
Dame im Alter von 72 Jahren war zwei Wochen im Lager, und kein anderer Grund konnte
für ihre Inhaftierung angeführt werden, als daß sie Österreicherin war.
Sie hatte in der Nähe Prags 55 Jahre lang gewohnt und ihr verstorbener Mann war ein
reicher Zuckerfabrikant. Ich fand sie in einer Ecke des Lazaretts, gerade als sie Cronins Buch
"Die
Sterne blicken herab" las.
Dann war ein Professor der dramatischen Kunst aus Belgrad im Alter von 70 Jahren mit seiner
Frau da. Der alte Herr war auf beiden Augen fast erblindet. Er hatte im Jahre 1911
Rußland
verlassen und seitdem in Jugoslawien gelebt. Als er aber in Wien einen Spezialisten wegen
seines
Augenleidens aufsuchte, wurde er von den Nazis eingesperrt, weil er Jugoslawe war. Am Tage
der Befreiung wurde er von den Tschechen eingekerkert, wahrscheinlich weil er
Weißrusse
war.
Dann sah ich eine 75jährige alte Dame, die Witwe eines russischen Admirals aus dem
letzten Kriege, deren einziger Wunsch es war, zu ihrer Tochter nach Tirol zu gelangen. Sie war
bereits einige Monate hier und wurde mit Brot und Wasser verpflegt.
Was diese Menschen, die typische Beispiele von vielen sind, die ich sah, getan haben, um so
eine
Behandlung zu verdienen, möchte ich sehr gern wissen, ich konnte es jedoch nicht
feststellen.
Als ich diese Angelegenheit im Innenministerium vortrug, versprach man eine
Untersuchung.
In der CSR befinden sich 51 derartiger Lager, in denen Tausende von Menschen schmachten und
hungern; wenn ich hungern sage, dann meine ich es wörtlich! Vor mir liegt das
wöchentliche Menü dieses Lagers, jeden Tag gibt es dasselbe:
Frühstück - schwarzer Kaffee und Brot
Mittagessen - Gemüsesuppe
Abendessen - schwarzer Kaffee und Brot.
Die Brotration wird jeden Morgen verteilt und beträgt 250 g pro Person und Tag und was
beim Nachtmahl übrigbleibt, darf den nächsten Morgen gegessen werden. Die
Lagerküche besteht aus einem kleinen Raum von 3x3 m im Keller des Gebäudes.
Zwei Wasserkübel und zwei alte Frauen, die Karotten für die Mittagssuppe
schälten, bildeten die gesamte Ausrüstung.
Am 3. 9. waren 912 Menschen im Lager und an Nahrungsmittel wurden insgesamt für
diesen Tag ausgegeben:
550 Pfund Brot
750 Pfund Kartoffeln
80 Pfund Zucker
30 Pfund Kaffee
18 Pfund Butter und Margarine gemischt
70 Pfund Gemüse.
Wenn man die Kartoffeln und das Brot zusammenzählt, ergeben sich 1,5 Pfund pro
Person,
25 g Zucker und Gemüse und 5 g Butter oder Margarine. Es ist deshalb kein Wunder,
wenn
sich die Lagerinsassen zur Sklavenarbeit hergeben, da außerhalb des Lagers der
Arbeitgeber
Nahrung liefern muß, um überhaupt Arbeiter zu bekommen. Das erklärt
auch,
weshalb das Lager bei meinem ersten Besuch fast leer war. Alle, außer den alten Leuten
und den sogenannten "Gefährlichen Personen", die in einem besonderen Teil des Lagers
untergebracht waren, weilten draußen auf Arbeit.
Die Methoden, wie die Sklaven ausgewählt wurden, konnte ich beobachten, als ich zum
Erstaunen der Lagerleitung zwei Tage später um 5.30 Uhr in der Früh im Lager
auftauchte. Um 6 Uhr kamen die ersten Arbeitgeber mit Autos und Lastautos in das Lager, um
die
Sklaven auszusuchen und sie abzutransportieren. Sie wurden in den Vorraum einer der
größten Baracken geführt, die, wie ich an den Tagen vorher feststellen
konnte,
ganz
leer war. 3-400 Sklaven wurden dann von der Lagerseite hereingelassen und die Besucher trafen
ihre Auswahl und gaben für die Menschen, die sie mitnahmen und am Ende des Tagen
wieder zurückbrachten, schriftliche Bestätigungen. Ich bewegte mich frei zwischen
Arbeitgebern und Sklaven und mir wurde gesagt, daß jene, die nur irgendein Zeichen des
Unwillens, auf Arbeit zu gehen, zeigten, eine außerordentliche Tracht Prügel
bekämen. Diese Praxis wurde zu Ehren meines Besuches an diesem Morgen nicht
beibehalten. Die Sklaven erhalten keinerlei Bezahlung.
Ich hatte schon bei meinem vorherigen Besuch den besonderen Teil des Lagers, den ich bereits
erwähnt habe, beobachtet und sah, daß nur sehr wenige Menschen wärend
meines dreistündigen Besuches an einem schönen sonnigen Tag sich
außerhalb
der Baracke aufhielten. Diesmal verlangte ich die Baracke zu sehen und fand sie fast voll. Alle
Insassen, mit wenigen Ausnahmen, lagen zusammengerollt auf ihren Bettstellen. Dies sind die
"gefährlichen" Männer. Als solche durften sie nicht auswärts zur Arbeit
gehen
und wenn sie nicht auf Arbeit gehen, erhalten sie nur Lagerverpflegung. Ein halbes Pfund Brot
und schwarzer Kaffee pro Tag können Körper und Seele aber nicht mehr
zusammenhalten oder gar Bewegung erlauben. Nach meiner Schätzung betrugen ihre
Rationen 750 Kalorien täglich, also unter denen in Belsen. Die einzigen Männer,
die
sich außerhalb der Baracke aufhielten, waren ein Dutzend junger Juden und Polen, die vor
zwei Tagen hierhergebracht wurden, weil sie nicht den von ihnen vorgeschriebenen Weg von
Rußland und Polen zum Mittelmeer beibehalten hatten.
Ich kann nur annehmen, daß die Verhältnisse in allen anderen Lagern ähnlich
sind.
Die Beamten, die mir die Informationen über die Anzahl gaben, taten dies ohne Scham
und
es würde mich interessieren zu wissen, ob es Dr. Benesch bekannt ist, daß diese
furchtbaren Dinge geschehen. Da er von Prag abwesend war, konnte ich ihn leider nicht sehen,
aber ich habe
Berichte beim Außen- und Innenministerium zurückgelassen.
R. R. Stokes, m.p.
Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen
Überlebende kommen zu Wort
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