[25] Einmarsch und Führerparade in Warschau Am 1. 10. 1939 traten die deutschen Truppen morgens in aller Frühe feldmarschmässig an, um in Warschau einzurücken.1 Dieser historische Tag, an dem das Schicksal Polens sich vollendete, ist unendlich eindrucksvoll gewesen. Das erste große Erlebnis des Tages war die Begegnung mit den letzten Resten der aus der Stadt ausrückenden polnischen Armee, die bereits seit zwei Tagen begonnen hatte, den Marsch in die Gefangenschaft anzutreten. In den deutschen Wochenschauen und in den illustrierten Zeitungen ist dieser Vorgang häufig dargestellt worden, der sich im Laufe des Krieges auch auf anderen Kriegsschauplätzen wiederholt hat, der aber damals in der Hauptstadt der früheren Republik Polen zum erstenmal sich ereignete. Es war ein unvergeßliches Bild: Auf der einen Seite die feldmarschmäßig ausgerüsteten Regimenter der deutschen Wehrmacht und der SS- und Polizeiformationen, denen die Strapazen des vorausgegangenen Feldzuges nicht mehr anzumerken waren, und auf der anderen Seite die entwaffneten Reste des geschlagenen polnischen Heeres, die müde und matt der Gefangenschaft entgegensahen. Dieser ungeheure Kontrast spiegelte sich am besten wieder in den Gesichtern der aneinander vorbeimarschierenden Heeressäulen: Bei den deutschen Soldaten strahlende Freude über den errungenen Sieg, bei den Polen tiefe Niedergeschlagenheit über die erlittene Niederlage. Es hätte nahegelegen, daß die deutschen Truppen mit Marschmusik und frohen Gesängen den Einmarsch vollzogen hätten. Aber das Gegenteil war der Fall. Solange die geschlagene polnische Armee an uns vorüberzog, ertönte keine Marschmusik, kein lautes Singen; schweigend vollzog sich der Vorbeimarsch und gerade deshalb so besonders eindrucksvoll. Erst als die letzten polnischen Truppen die Demarkationslinie überschritten hatten, erklangen zum [26] ersten Male die deutschen Armeemärsche, und da hallten Warschaus Straßen nicht nur wieder von den dröhnenden Schritten der deutschen Kolonnen, sondern auch von dem Gesang der deutschen Soldatenlieder, wie es Warschau seit dem ersten Weltkrieg nicht mehr erlebt hatte.
Wir hatten die Tage vor der Kapitulation in der Nähe Warschaus erlebt und die gewaltigen Feuersäulen und Brandwolken gesehen, die über der Stadt gestanden hatten, aber wir hatten nicht geglaubt, daß in diesen wenigen Tagen eine Millionenstadt derartig zerstört werden könnte. Auf einer der großen Kunstausstellungen in München ist später ein Bild ausgestellt worden, das den Titel trug: "Einmarsch in Warschau". Es zeigte eine deutsche Kompanie, die an Ruinen und zerstörten Häuserzeilen entlang in die brennende Stadt einrückte. Was hier ein Künstler im Bild dargestellt hat, entsprach der rauhen Wirklichkeit: Der Einmarsch der deutschen Truppen vollzog sich tatsächlich an Ruinen entlang. Ganze Stadtteile waren damals ein einziges Trümmerfeld. Überall glommen noch die Brände in den Häusern. Der Schutt der eingestürzten Häuser lag oft bis auf die Mitte der Fahrdämme, auf denen teilweise noch die Straßenbahnwagen standen, die von den Polen in ihrer sinnlosen Verteidigungswut zu Barrikaden ausgebaut waren. Überall lagen auch noch Pferdeleichen herum, aus
Alles in allem: Warschau bot damals den Anblick einer vollkommen zerstörten Stadt, die dem Tode geweiht erschien.
Zwischen diesen Ruinen aber - und das war das dritte große Erlebnis des Tages - standen entlang den Einmarschstraßen Tausende von Juden, die neugierig und teilweise sogar mit lächelnden Gesichtern dem Einmarsch zusahen. Wir hatten schon vorher im Polenfeldzug in kleinen Städten die Beobachtung gemacht, wie stark gerade in Polen der jüdische Bevölkerungsteil gewesen ist, aber wir hatten niemals derartig viel Juden auf einmal gesehen wie damals in Warschau. Dabei gehörte der größte Teil zu den Juden jener Art, die die meisten von ins nur in Bildern und Karrikaturen kennengelernt hatten: Typische Ostjuden mit langen wallenden Bärten und mit Kaftan und Käppi. Damals ging uns zum erstenmal eine Ahnung auf, welch schweres Problem hier einer Lösung harrte; denn es war uns von vornherein klar, daß diese Tausende von Juden - Warschau hatte damals über ½ Millionen Juden in seinen Mauern und war die judenreichste Stadt Europas - von der übrigen Bevölkerung, insbesondere von uns Deutschen, getrennt werden mußten. Als wir abends am Krasinskiplatz im Gebäude des früheren Obersten Gerichtshofes Quartier bezogen, schauten wir aus den zertrümmerten Fenstern dieses Gebäudes, dessen Giebelfries kein Geringerer als Andreas Schlüter geschaffen hat, auf die gegenüberliegenden Häuser, die restlos zerstört waren und aus deren Ruinen noch hin und wieder der Feuerschein aufleuchtete. An einer Ecke des Platzes hob sich deutlich von den brennenden Häusern die Silhouette eines Denkmals ab, das einen Mann darstellte, der mit erhobenem Arm gegen den Feind anstürmt, wobei seine Faust einen geschwungenen Säbel umklammert. Dieses Denkmal sollte die Erinnerung an den polnischen Schuhmacher Kilinski wachhalten, der im vergangenen Jahrhundert gegen die Russen als polnischer Freiheitskämpfer [32] aufgetreten war. Nachdenklich haben wir uns dieses Revolutionsdenkmal angesehen und es als eine Mahnung betrachtet, dass mit dem errungenen militärischen Sieg der Kampf noch nicht beendet sei. Wer heute auf diesem Krasinskiplatz steht, sieht von den Spuren der Verwüstung nichts mehr. Die vernichteten Häuser sind bis zum letzten Stein beseitigt, so dass nunmehr ein viel größerer Platz als früher entstanden ist, auf dem das schöne Gebäude des Krasinskipalais besonders zur Geltung kommt. Das Kilinski-Denkmal ist ebenfalls verschwunden. Es wurde abgetragen als Vergeltungsmaßnahme dafür, dass sich polnische Bubenhände an dem Thorwaldsen-Denkmal vergriffen haben, das zu Ehren des großen deutschen Astronomen Nikolaus Kopernikus errichtet worden ist.
Umringt von seinen Generalen und den führenden Männern der Partei hielt Adolf Hitler am 6. Oktober 1939 seinen Einzug in Polens einstige Hauptstadt. Er fuhr vorbei am Poniatowski-Denkmal auf dem damaligen Pilsudskiplatz, wo das einstige Generalstabsgebäude stand, in dem der Marschall Polens, Rydz-Smigli, bis zu seiner unwürdigen Flucht residiert hatte. Dann nahm der Führer auf der al. Ujazdowski die Parade ab.
Und dann zieht über zwei Stunden das feldgraue Heer an seinem Führer und Obersten Befehlshaber vorbei. Jubelnd klingen die deutschen Militärmärsche, fest ist der Schritt der Soldaten, deren junge Gesichter im Kampf hart geworden sind. Freude und Stolz leuchten aus ihren Augen. Immer wieder grüsst der Führer die vorbeiziehenden Truppen, unter denen mancher zu sehen ist, der das Eiserne Kreuz als Zeichen der Tapferkeit trägt. Einige tragen auch erstmalig die Spange zum Eisernen Kreuz als Zeichen dafür, dass sie in diesem Weltkrieg ihre Pflicht als Soldaten ebenso tapfer erfüllt haben, wie in dem ersten grossen Weltkrieg von 1914-1918. [33] Nach dem Vorbeimarsch besuchte der Führer noch das Schloss Belvedere, in dem Pilsudski gelebt hatte. Dann begab er sich zum Flugplatz, um am anderen Tage im Reichstag den grossen Rechenschaftsbericht über den Polenfeldzug zu geben. Wer Zeuge dieser Parade sein durfte, hat damals die unerschütterliche Überzeugung gewonnen, dass eine Wehrmacht, die wenige Tage nach den härtesten blutigen Kämpfen eine Parade vorführt, wie sie im tiefsten Frieden nicht exakter hätte ausgeführt werden können, unüberwindlich ist. Die Taten der deutschen Wehrmacht im weiteren Verlauf des Krieges haben dieses Gefühl voll gerechtfertigt.
1Der Verfasser des Buches
gehörte zu einer Einheit, die auf der Chaussee zwischen Okecie und
Warschau angetreten war und von dort aus am Einmarsch teilnahm. ...zurück...
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