[197] Siebzehntes Kapitel Ein Arbeitstag auf einer Sisalpflanzung Der Löw ist los Der SA-Sportflieger am Oldeani. Der Sisal grünt in schnurgeraden Reihen, durch deutsche Hände Arbeit, deutschen Fleiß, es rauscht ein Wasserfall in tausend Bächlein nieder - und träumend ruht der Usambaraberge Haupt in weißen weichen Wolken in der Ferne - einst deutsches Land, verlorenes Land!
Es flattert flammend hell und siegverheißend die Flagge mit dem Runenzeichen, verkündend Freiheit und Gerechtigkeit! Vom Iringahochland, von Dodoma hatte mich der gemächliche Zug zur Meeresküste nach Daressalam gebracht. Beendet war die Durchquerung des Kontinents. Die herrliche Hauptstadt des Landes und der schöne Hafen hatten es mir bald angetan, doch ich mußte weiter nach dem Norden, mußte noch den höchsten Berg Afrikas, die weiße Kuppe des Kilimandscharo und die deutschen Pflanzungen in seiner Umgebung sehen. Kein Schiff ging in den nächsten Tagen nach Tanga, und die Straßen waren so schlecht, daß man mit dem Auto irgendwo liegen bleiben konnte, wochenlang. Und dieses Risiko vertrug meine Zeit nicht mehr. Deshalb setzte ich mich in das modernste Verkehrsmittel, in das Flugzeug, das mich in zwei Stunden von Daressalam, entlang der Meeresküste, nach Tanga trug. Und nun saß ich auf der Veranda eines deutschen Kolonialhauses im Norden des Landes und schrieb obige Zeilen in das Gästebuch, denn groß ist die Gastfreundschaft in den Kolonien. Die frühe, warme Morgenluft ließ die Alleen der Kasuarinenbäume erzittern und leise aufrauschen. Zu meinen Füßen zogen die geraden Reihen der Sisalagave, über welliges Gelände unabsehbar, und wie aus weiter Ferne klang das gedämpfte Stampfen der Fabrik, der Rhythmus der Arbeit, an mein Ohr; das Werk, die Lebensarbeit eines Mannes, eines Deutschen, der aus kleinen Anfängen sich emporgearbeitet hat. Einst war hier Busch und Urwald, weit und breit, brach lag das Land. Da kamen die Deutschen, sie rodeten den Buden und bepflanzten ihn. Und die Anlage wuchs, Maschinen wurden nötig und sie schafften der [198] Heimatindustrie Arbeit und dem Arbeiter das Brot. Und die schwarzen Helfer in den Plantagen trugen ihren Lohn wieder in die deutschen Dukas (Läden) für Kleider und andere ihnen nun zum Bedürfnis gewordene europäische Dinge und gaben wieder der Heimat Arbeit und Brot. Die gewonnenen Produkte aber gingen nach Deutschland, und die Aufwendungen für benötigte Rohprodukte mußten nicht dem gemeinsamen Volksvermögen an Devisen für das Ausland entzogen werden, sondern kamen wieder in deutsche Hände. Und so ging das Volksvermögen seinen ewigen Kreislauf innerhalb des Deutschtums, Arbeit und Handel schaffend. Deutschlands Wohlstand vor dem Kriege beruhte zu einem nicht unwesentlichem Teil auf seinen Kolonien. Millionenwerte hatte mancher von den Ansiedlern geschaffen. Der Neid, der Haß rief sie hinweg in den Krieg, und sie wehrten sich wie die Löwen, und sie mußten zum Schluß unbesiegt die Waffen strecken. Und sie kamen nach Hause, beraubt ihres Besitzes. Deutsche Arbeit war geschändet und ihre Früchte in den Schoß gelber und brauner Menschen geschüttet. Die Heimat hatte ihnen Entschädigung versprochen und sie gab sie ihnen auch - die Novemberrepublik - in Inflationsmark. Bestohlen von den Alliierten, betrogen von der Heimat und angewidert von dem Deutschland der Nachkriegszeit kehrte mancher von ihnen in die Kolonie zurück, um wieder von neuem anzufangen. Aber die einsetzende Weltkrise, das Sinken der Preise für alle Produkte, versetzte sie in eine Lage, mit der sie vorher nicht rechnen konnten, und viele von ihnen haben schwer um ihre Existenz zu ringen und einige auch gerieten in wirkliche Not. Sie haben das Land aufgebaut, andere aber lassen es sich auf ihren alten Plätzen wohlergehen. Wie oft schon sind Deutsche in dieser Art betrogen und ausgebeutet worden. Doch Mut und Hoffnung und Vertrauen — Der Hausherr trat an mich heran: "Haben Sie Lust, mich auf meiner Fahrt durch die Pflanzung zu begleiten?" "Mit Vergnügen!" Im Ford, der auch in deutschen Kreisen als der allein mögliche Wagen für afrikanische Verhältnisse gilt - die deutschen Autoindustrien müßten endlich beweisen, daß ihre Erzeugnisse ebenso stabil und für Afrika geeignet sind - schüttelten wir dahin auf unebenen Feldwegen, durch verwilderte und verbuschte Kautschukanlagen. Der katastrophale Niedergang der Gummipreise hat diese ausgedehnten ostafrikanischen Kulturen un- [199] rentabel gemacht und die ungeheuren Werte, die hier angelegt waren, vernichtet. Nun sind sie wieder ein Paradies für Tiere. "Ein Hundsaffe!" Groß und breit saß er im Geäste eines Baumes, äugte herüber zu uns, stieß ein zorniges Knurren aus und schüttelte verärgert den Baum. Ich glaubte seine Sprache zu verstehen: "Diese aufgeblasenen Vettern sollen uns gefälligst mit ihrem Besuch verschonen, Vettern schätze ich im allgemeinen und diese, die keine Beine haben und nicht einmal nach richtigem Affenbrauch auf Bäume klettern können, insbesondere nicht. Wenn ihr schon so aufdringlich seid, so muß wohl ich das Feld räumen —" so knurrte oder dachte der Affe, sprang vom Baume und huschte über die Straße. Da wurde es hinter ihm lebendig. Aus dem Busch und vom hohen Gras tauchten braungraue Körper auf und folgten in eiligen Sprüngen dem Führer über den Weg. Einem ganz alten, kahlen Knaben konnte der Wagen gar nicht imponieren. Mitten auf den Weg setzte er sich hin, pochend auf die Unantastbarkeit seines ehrwürdigen grauen Hauptes. Bedrohlich rückte ihm der Wagen auf den Leib. Da schüttelte er verständnislos und unwillig den Kopf: "Nicht einmal das Alter ehren sie." Er trollte weg. Mit flüchtigen Sätzen setzten noch einige an dem Wagen vorbei und dann schimpften und belferten sie hinter uns her: "Kinderräuber, Diebe, Mörder, nie und nirgends ist man vor dieser Gesellschaft sicher!" — Wir haben uns ja ein nettes Ansehen bei unseren Vettern erworben! Vorbei jagten wir an den großen ausgewachsenen Sisalagaven, die in ihrem hohen Schaft, auf merkwürdig symmetrisch gewachsenen Zweigen ihre Jungen trugen. "Dort legen wir neue Kulturen an, und hier wird das Arbeitsdorf dazu erbaut." Mit wehenden zerfetzten Hemdsärmeln stürzte der schwarze Vorarbeiter herbei: "Jambo, Bwana Kuba." In Kisuaheli erstattete der Schwarze seinen Bericht, und der Weiße gab seine Befehle in gleicher Sprache. Alle Deutschen hier erlernen die Eingeborenensprache. Da ich noch absolut nicht in den Sprachschatz der Wollköpfe eingedrungen war, wurde die Unterhaltung für mich langweilig, erschien ich mir reichlich dumm und wandte mich, um meine Mangel zu verdecken, den Arbeitern zu. Da schleppten einige lange Holzpfähle herbei; andere rammten sie in einer Reihe in die Erde als Hauswände. Daneben kneteten einige schwarze Ge- [200] sellen das Erdreich und füllten mit dem Lehm die Zwischenräume der Pfähle und schafften so eine glatte Hauswand. Mit Schilf und Gras deckten andere die Dächer. Das Arbeiterdorf im Bau. Bald ist es fertig. Weiter geht die Fahrt, dort wurde Busch geschlagen, Neuland gewonnen. Hier das geschlagene Holz verbrannt. Hinter dem Feuer folgten Reihen von Schwarzen, rodeten die übrig gebliebenen Holzstöcke und hackten die Erde. Das Land war fertig zur Aufnahme von Kulturen. Auf Saatfeldern wurden die kleinen Sisalkinder aufgepäppelt und nun werden sie in Reihen, die auch in schräger Richtung schnurgerade verlaufen, in das große Feld verpflanzt. So ein Sisalfeld ist ein Wunderding. Von welcher Seite man den Blick darauf werfen mag, immer hat man schnurgerade Reihen vor sich. "Nun in die alten Bestände!" Feldbahngeleise, die wir zwischen die Räder des Wagens nehmen, liegen auf dem Weg. Hoch und breitausladend ist hier die Agave, schnittreif! Wir halten. Wieder stürzt ein Schwarzer auf uns zu, steht stramm und salutiert militärisch. Er steckt in einem dicken blauen Wollsweater, hier, beinahe am Äquator. "Den will er um die Welt nicht ausziehen. Das ist das Zeichen seiner Aufseherwürde." Vor uns stehen Rollwagen, zum Teil geladen mit den Blättern der Agave, und dicht neben uns schneiden Neger einige von den Strunken rund herum und nur ein Büschel des Herzens bleibt stehen. Der übriggebliebene Teil der Agave, der zugeschnittene rundliche Strunk, erweckt den Eindruck einer großen Ananas. Sisalernte! Ein Zug, gefüllt mit den dicken fleischigen Blättern, rollt ab. Wir folgen zur Fabrik. Der Rhythmus der Arbeit tönt uns entgegen. Es rauscht das Wasser in dem Werkkanal. Maschinen und Riesenräder in der Fabrik surren, Rollwagen knarren. Die Presse stampft, eine Feile raspelt in der Werkstätte und Hammerschläge bringen den Takt in die Melodie der Arbeit. Schwarze Hände zerren den Sisal von den Wagen, legen ihn auf den Maschinentisch, ein laufendes Band zieht ihn hinein in das große Rad, welches das Fleisch von den Fasern quetscht und letztere grünlich und triefend wieder ausspeit. Neger schleppen den nassen Sisal hinaus ins Freie und hängen ihn auf Stangen - wie man das mit Wäsche tut - zum Trocknen und Bleichen. Wieder kommt der trockene und etwas steife Sisal zurück in die Fabrikhalle. An sechs großen Maschinen, von Staub umhüllt, [201] stehen zwölf Neger, die kleine Bündel von Fasern in dieselben stecken und dann, von riesigen Bürsten gereinigt, weich und glänzend, wie cremefarbene Seide, wieder herausziehen. Der fertige Sisal wird in Ballen gepreßt; mit Sackleinen umhüllt und signiert, ist er nun versandbereit und fertig zur Fabrikation von Schiffstauen, Seilen usw. Fünf Tonnen Sisal schafft die Fabrik täglich.
Es ist Leben und Betrieb im ganzen Werk. Im Büro sitzen in luftigen Räumen einige Schwarze und einer von ihnen beugt sich über das große Hauptbuch mit wichtiger Miene. "Ein Trunk gefällig?" "Sehr gerne, denn heiß war der Tag selbst im Auto!" "Ja, heiß sind hier die Tage, und deswegen werden bei uns selbst die Neger auf dem Felde nur von sieben bis zwölf Uhr beschäftigt. Über die Mittagszeit ertragen auch sie die Arbeit im Freien schlecht. Sie sind ja nun auch nicht gerade übermäßig bezahlt, ein Mann erhält pro Monat sieben bis neun Schillinge. Aber dafür hat jeder von ihnen noch ein kleines bebautes Ländchen und damit kommen die Schwarzen bei ihren bescheidenen Ansprüchen gut durch. Wir beschäftigen so im Durchschnitt 800 bis 1000 Arbeiter." Ein aufgeregtes Kreischen vom nahen Assistentenhaus schreckte uns auf. Wir liefen hinaus. Ein schwarzer Boy hieb mit einem Eisenstück wütend auf den Kopf einer dunkelgraugrünen Schlange ein. Das Tier befand sich in den letzten Zuckungen. "Das ist ein ganz ekelhaftes Biest, eine Spuckschlange. Sie verspritzt ein sehr scharfes Sekret mit beinahe unfehlbarer Sicherheit in die Augen und blendet dadurch ihre Opfer oder läßt sie sogar erblinden." "Wo kam das Tier denn her?" Der Junge erzählte lebhaft gestikulierend, und mein Gastgeber übersetzte: Während er die Fensterläden des Hauses strich, spürte er plötzlich die Schlange auf seinem Rücken, die schon an Hals und Kopf hinaufkroch. Er schüttelte entsetzt die Schlange ab, geschehen ist ihm weiter nichts. "Na, Junge, da hast du aber Glück gehabt!" Am Nachmittag, nach Büroschluß, ließ Herr W. noch mal seinen Wagen rattern. Sein Töchterchen, zur Zeit "Stift" im Büro, und ein anderes junges Fräulein stiegen mit in den Wagen. Wir fuhren auf schlecht aus- [202] getretenen Eingeborenenwegen durch Schilf und Gras und Urland, entlang am Panganyfluß. Und wir stiegen aus und lauerten an seinem Ufer auf die Nilpferde, die es hier gibt. Aber nur an einem plötzlichen Aufplätschern des Wassers konnten wir ein solches vermuten. Sehen ließ sich keines. Weiter schaukelte uns der Wagen, und dann brauste es herab mit Donnergetöse: die Panganyfälle. Über hundert Meter tief stürzt der Fluß in vielen großen und kleinen Armen hinab in die Schlucht. — Am Abend waren wir alle zusammen von dem Assistenten zum Radio eingeladen. Und wir fieberten vor Ungeduld und Erwartung. Die Heimat sollten wir hören, unmittelbar. Ich freute mich nicht weniger als die Ostafrikaner, hatte ich doch schon ein Jahr lang kein Radio mehr gehört. Wir saßen gespannt. Da klang es wie Donnergrollen aus dem Apparat, wie Trommelfeuer, Splittern und Krachen. Ist Revolution, Krieg in der Heimat? "Und ich habe den Führer vor ein paar Tagen so gut gehört", entschuldigte sich der Besitzer, während er verlegen am Radio schraubte und probierte, aber es blieb bei Trommelfeuer und Krieg. Und ich begab mich zu Bett, müde, todmüde! Ich mußte mich die letzten Tage zu allem zwingen, schon zu den kleinsten Aktionen, und wenn ich abends als weitgereister Gast erzählen sollte und mußte, dann konnte ich nur mehr mühsam meine Augen offenhalten. Ich möchte schlafen - schlafen. Ist es doch die Schlafkrankheit? Wie sagte der Ingenieur in Angola? Die Schlafkrankheit äußert sich im ersten Stadium durch Schlaflosigkeit, wenn der Kranke dann die Neigung zu immerwährendem Schlafe hat, dann ist sie schon weit vorgeschritten und unheilbar. Ist es so weit mit mir? Die letzten vierzehn Tage in Afrika muß ich noch durchhalten! Nicht weit von der Sisalpflanzung werkt eine Frau einsam auf ihrem Besitz. Ihr Mann ist vor ein paar Jahren gestorben. Ich saß mit ihr und einem Deutschen aus Tanga auf einer kleinen Anhöhe vor dem Haus. "Wollen Sie nicht unserem Gast aus Deutschland Ihr Löwenerlebnis erzählen?" "Gewiß! Eines Abends, als ich mich zu Bett begeben wollte, hörte ich ein sonderbares, leises, tiefes Knurren und durch das offene Fenster sah ich zwei dunkle Schatten zwischen den Kapokbäumen hindurchschleichen. Vor Angst gebannt verhielt ich mich erst ganz ruhig und schlug dann das Fenster zu. Nun aber ging ein furchtbares Gebrüll vor der Türe los. Herr und Frau Simba brachten mir ein Abendständchen dar. Plötzlich [203] heulte und jaulte mein Foxterrierhündchen draußen gottesjämmerlich auf. Da öffnete ich die Türe nur einen kleinen Spalt weit und rief meinen Hund, der zitternd und blutend hereinschlich, von einem Prankenhieb scheinbar nur leicht gestreift. Das Gebrüll umschlich noch einige Zeit das Haus, ebbte ab in ein eigenartiges Gepolter und dann war es still. Den Schauplatz des folgenden muß ich Ihnen nun zeigen." Frau M. erhob sich und ging um das Haus herum: "Hier in dieser Kammer schlief mein Boy. Er hatte das Gebrüll der Löwen gehört, dann aber war es stiller geworden und er eingedöst. Plötzlich schreckte ihn ein furchtbares Gepolter auf, das von ganz nahe kam. Der Boy rieb sich die Augen und griff nach seiner Lampe, um nachzusehen. Der unerhörte Radau kam von dem mit einem hohen Drahtzaun umgebenen Hühnerhof. Er trat durch die offene Türe des Geheges, da funkelten ihm die vier rötlichgelben Lichter der zwei Löwen aus nächster Nähe entgegen. Das neugierige Ehepaar Simba hatte seine Nase durch das Tor gesteckt, war eingetreten und konnte dann den Ausgang nicht mehr finden. In seiner Wut über die Gefangenschaft hatte es sich mehrmals gegen das Gitter geworfen, das aber hatte standgehalten. Dem Boy brachen die Knie. Die Lampe entfiel seiner Hand, aufkreischend stürzte er in sein Zimmer zurück und verrammelte die Tür. Am Morgen noch, als die Arbeitsjungen kamen, befanden sich die Tiere hinter der Umzäunung, um etwas später, da es ihnen doch zu ungemütlich wurde, mit aller Kraftanstrengung auszubrechen und zu entfliehen."
In dieser Siedlung habe ich einige Frauen getroffen, die ihre Männer im Kolonialkrieg verloren haben und die sich nun allein ihre Pflanzungen aufbauen, den Kampf mit allen Widerwärtigkeiten des Busches aufnehmen. Tapfere, deutsche Frauen! Sie müssen auch mit dem Gewehr umzugehen verstehen, denn dieses Gebiet ist absolutes Neuland, dem Busch und den wilden Tieren abgezwungen. Letztere haben sich zurückgezogen, knurrend und unwillig. Und sie wollen es noch immer nicht glauben, daß dieses Land für sie verloren ist und versuchen hin und wieder, dem Menschen den Platz streitig zu machen. Nachts grollt und brüllt noch häufig [204] der Löwe ungehalten um die Siedlung herum. Der Leopard holt sich seinen Tribut und bricht sogar frech in Hühnerställe ein. Am Tage kommt es vor, daß ein Nashorn, wuchtig und gewaltig wie eine Lokomotive, in die Pflanzung gerannt kommt. Hier kann nur eiligste Flucht Rettung bringen. Sie wohnen im ursprünglichsten Afrika, inmitten erhabener vulkanischer Bergwelt, diese Deutschen. Vom Rande des Hochlandes aus gesehen, liegt die Ebene mit Kegeln und Kratern wie eine Mondlandschaft romantisch vor unseren Augen. Das Land ist schön, doch das Ringen um die Existenz ist hart, auch liegt Oldeani weit ab von anderen Siedlungen. Eine Tagestour mit dem Wagen auf halsbrecherischen Wegen führt nach Aruscha, dem nächsten Ort. Zur Regenzeit haben die Menschen oft wochenlang keine Verbindung mit der anderen Umwelt. Und deswegen fühlen sie sich manchmal ein wenig einsam, so weit ab von der Heimat - und doch - heute gibt es keine Entfernungen mehr. - Die Sonne brannte hernieder auf die Kaffeebäumchen in Oldeani, die Pflanzer waren auf dem Feld und freuten sich der weißen Blüten und der roten Kirschen, die ihre Bäumchen trugen. Still und ruhig schafften die Mütter, die Frauen im Haus. Ein Mädel stand an der Duka (Laden) und plauschte. Geruhsam geht das Leben vor sich am Oldeani. Das pulsierende, geräuschvolle Tempo der modernen Zeit findet nicht den Weg in den Busch. So ferne sind sie der Heimat und so für sich abgeschlossen. Die Sonne flutet und die Menschen arbeiten. Und im Busch und Urwald dicht daneben, da schüttelt erstaunt ein Ungetüm von 60 Zentnern, ein Nashorn, seinen Kopf, spitzt die lächerlich kleinen Öhrchen und trippelt unruhig hin und her. Ein Löwe grollt empört und scheue Antilopen flüchten hierhin und dorthin und im Kreise und sie wissen nicht, woher das sonderbare Geräusch kommt und wohin sie sich retten sollen. Und das weiße Mädel an der Duka horcht und schüttelt den Kopf - es kann nicht sein - und sie guckt in den blauen afrikanischen Himmel und sieht den glitzernden, weißen Vogel und am roten Steuer auf weißem Feld prangt ernst das schwarze Hakenkreuz. Das Mädchen schreit auf: "Ein Flieger, ein deutscher Flieger!" und es stürzt fort, erst unschlüssig hin und her, und dann in gerader Richtung nach Hause. Die nächsten Siedler eilen zusammen auf Wegen und Stegen, zu Fuß und zu Pferd. Sie haben keinen Flugplatz. Durch Strohfeuer versuchen sie dem Flieger verständlich zu machen, wo eventuell eine Landung mög- [205] lich wäre. Und nun stehen sie mit klopfendem Herzen, aufgeregt und aufgewühlt. Und der Flieger stürzt beinahe senkrecht herab, fängt den Apparat auf, surrt ganz nahe am Boden dahin, steigt wieder hoch, macht seine Saltos und trudelt, daß den Deutschen das Herz stockt und die guten Schwarzen mit aufgerissenen Mäulern außer Rand und Band aufkreischen: "Eh, eh, eh, Sassa no Anguka." (Jetzt fällt er aber.) Aber er fiel nicht, vorsichtig setzte er die Maschine auf den unebenen Boden und stieg frisch und lustig und lachend aus dem Apparat, der SA.-Sportflieger Gotthold aus Breslau. Und die Deutschen wußten nicht, was sie ihm Liebes tun und sagen sollten, dem Boten aus der Heimat, und mancher von ihnen konnte ihm nur stumm die Hände drücken. Läufer wurden nach allen Richtungen geschickt, um auch die entferntesten Siedler zu dem kleinen Versammlungshaus am Kamp heranzuholen. Ein Lastauto brachte auf holprigen Wegen die Schulkinder mit begeistertem Gesang und wehender Hakenkreuzflagge herbei. Und Herr Gotthold erzählte von der Heimat und daß er gerade die so weit abliegenden einsamen Deutschen besuchen wollte. Und da hatten die Deutschen das Gefühl, nicht mehr so sehr auf verlorenem Posten zu stehen, sondern vielmehr die engste Verbindung mit der Heimat wiedergefunden zu haben.
"Na, Kleines, es drückt dich wohl schon wieder, wer da gekommen ist", sagte Herr Schulz. Ich stand auf und faßte das Tierchen, das es sich gefallen ließ und bald, durch mein Streicheln befriedigt, vergnügt schnurrte oder vielmehr brummte. "Es ist ein Klippdachs!" Herr Göde, ein Mitarbeiter im Hause Schulz, kam ins Zimmer. Auf seinem Arm stelzte, wie mit gichtischen, ungelenken Gliedern, ein grünes Chamäleon. "Wenn ich es jetzt ärgere, wird es schwarz", sagte Herr Schulz. Und er berührte und neckte das kleine Ding, das einen Ansatz machte zu fauchen und zu schnappen. Aber es wirkte nur ulkig. Das Tierchen ist gar zu hilflos. Es kann sich nicht zur Wehr setzen und nicht in eiliger Flucht davonstürmen. Seine langstieligen, furchtsamen Augen drehte es hierhin und dorthin, das eine nach links und das andere nach rechts, oder auch nach unten und oben, während es langsam, wie halbgelähmt, ein Beinchen vor das andere setzte und sich allmählich dunkel färbte. Dieses unbeholfene eidechsenartige Wesen wäre draußen im grausamen Kampf aller gegen alles verloren, hätte nicht die Natur es auch mit einem eigenartigen Schutz ausgestattet. Es hat die Fähigkeit und Möglichkeit, seine Farbe der Umgebung anzupassen. Die Natur hat in ihrer Sorge um die Lebewesen auch die kleinste und unscheinbarste Kreatur nicht vergessen. Herr Schulz führte mich in seiner Farm herum, und alle nur erdenklichen Tiere waren in Käfigen oder hinter Umzäunungen vertreten. Nicht weniger als 70 Affen, Herden von Zebras, Gnus, Antilopen, Giraffen, eine Unmenge von Vögeln in schillernden Farben, vom kleinsten angefangen bis zum großen Pelikan, Schildkröten, giftige Schlangen und einige Gepards, die vergnügt schnurrten, wenn man ihnen das Fell kraulte. Ein kleiner Elefant kam angewackelt und nahm seine Flasche, und ein Nashornbaby folgte anhänglich einem Negerjungen auf Schritt und [207] Tritt nach. So ähnlich muß es im Paradies gewesen sein, als die Tiere den Menschen noch nicht als ihren Feind betrachten mußten und keine Scheu vor ihm hatten. Ich glaube es Herrn Schulz gerne, daß die größte Kunst des Tierfängers nicht der Fang selber, sondern die folgende Pflege der Tiere ist. Das Geheimnis des von anderen vergeblich angestrebten Erfolges des Hauses Schulz liegt hauptsächlich in der Behandlung und Pflege der gefangenen Tiere. Sie muß mit einer Liebe und Einfühlung geschehen, wie man sie beispielsweise einem kleinen Kinde angedeihen läßt. Eine unendliche Geduld und Aufopferung ist hierzu nötig. Der Lohn hierfür ist allerdings ein beinahe hundertprozentiger Erfolg, während weniger Vorsichtige nach allen Gefahren und Strapazen des Fanges durch ungeeignete Behandlung der Tiere sich selbst um einen Teil der Früchte ihrer Arbeit bringen. Der Name Christof Schulz hat Klang in weiter Welt, und es gibt kaum einen Tiergarten in Europa, Amerika oder Asien, der nicht einen großen Teil seiner mannigfachen Bewohner von dem deutschen Tierfänger in Afrika bezogen hätte. Vor dem Kriege schon hatte er sich einen Namen gemacht und neben seiner Tierfängerei und einer Straußenfarm auch eine Kaffeepflanzung aufgebaut. Sein Besitz repräsentierte etwa den Wert von ¼ Million und wurde ihm nach dem Kriege enteignet und für nur 150 Pfund versteigert. Und wieder hat Schulz aufgebaut, und es gibt keinen Tierfänger, der erfolgreicher wäre als er oder der es ihm nur annähernd gleichtun könnte. Schulz selbst - und seit einiger Zeit auch sein Sohn - ist es, der die großen Tiere auf schnellen Pferden in der Steppe jagt und sie mit dem Lasso einfängt. "Wenn ich jetzt den Auftrag erhalten würde, sofort ein Zebra zu liefern, in fünfundzwanzig Minuten wäre es eingefangen", so sagte Schulz jun. Eine derartige Geschicklichkeit haben Schulz und Sohn bereits in ihrem Beruf. Mit ihren Transportwagen fahren sie hinein in die Steppe, die sie kennen wie ihre Tasche. Es möchte sich nun beileibe keiner unter Tierfängerei ein Kinderspiel vorstellen. Es geht auf Hals- und Beinbruch, schon beim Fang der noch etwas harmloseren Tiere, wie Zebras, Gnus und Giraffen. Dramatisch und gefährlich aber wird der Kampf mit Elefanten und Nashörnern, deren Jungen sich die Tierfänger aneignen wollen. Einen erwachsenen Elefanten oder gar ein Nashorn mit dem Lasso [208] fangen zu wollen, wäre lächerlich. Am gefährlichsten ist letzteres. Es bleibt gegen dieses Untier, das wie eine Lokomotive angebraust kommt, nichts zu tun übrig als einen wohlgezielten Schuß darauf abzugeben. Um ein kleines Nashorn fangen zu können, muß immer das alte abgeschossen werden. Auf Leben und Tod ging dieser Kampf schon einige Male und Vater Schulz' Narben zeugen von der Gefährlichkeit seines Berufes. Einmal mußte er im Kampfe seinen besten Freund verbluten sehen. Daß man in Afrika nicht so ganz sorgenlos auf Tierfang oder auf Pirsche gehen kann wie vielleicht in Europa, das zeigt folgendes schreckliche Jagderlebnis eines anderen Deutschen in Afrika, zugleich ein beispielloser Fall von Negertreue, Selbstaufopferung und Heldentum. Sonntag war's. Herr K. ging mit acht seiner Boys und mit Kassifa, seinem Vorarbeiter auf der Pflanzung und getreuem Begleiter auf allen Jagdzügen, in den Busch. Lange pirschten sie herum ohne Wild zu Gesicht zu bekommen und verwunderten sich, denn das Gebiet war sonst nicht so arm an Wild. Endlich galoppierten fünf Zebras ins Schußfeld. Eines von ihnen brach im Feuer zusammen. Weiter ging die Pirsche, durch hohes, unübersichtliches Gras. Plötzlich ein fürchterliches Gebrüll. Eine Löwin ging mit einem Satze hoch und erhielt den Schuß in etwa 15 Meter Entfernung. Sie blutete stark und verzog sich ins Gras. Gerade wollte Herr K. ihr den zweiten Schuß geben, als das Löwenmännchen aus dem Grase aufschnellte. So erhielt es den Schuß, überschlug sich und folgte dem Weibchen. Vorsichtigerweise hätten nun die Jäger mit der Verfolgung einige Zeit warten müssen, um die Tiere durch Blutverlust zu schwächen. Aber das Jagdfieber brannte in ihnen und deshalb setzten sie sofort der breiten Schweißfährte nach. Nach einiger Zeit teilten sich die Blutstreifen. Ein Tier war abgeschwenkt in einen Wald. Es hatte sich Wohl zum Verenden in das Dickicht verkrochen - das war ihnen demnach sicher. Die beiden Männer folgten der anderen Spur, die acht schwarzen Boys immer in sicherem Abstand hinterher. Mit schußbereitem Gewehr ging Herr K. und hatte plötzlich die Löwin vor sich, die nach richtiger Katzenart, an den Boden geschmiegt, sich anschlich. Dann ein Anspannen aller Kräfte, - ein Satz - sie schnellte sich in die Luft - ein Schuß krachte - der Körper schien einen Augenblick zu schwanken und warf sich doch noch mit einer halben Drehung in letztem ungebändigten Willen und Haß auf den Deutschen, riß ihn zu Boden, ein Prankenhieb traf seine linke Hand und das schreckliche Gebiß wühlte [209] in seinem rechten Oberschenkel. Er brüllte vor Schmerz, vor seine Augen senkten sich graue Schleier - das war der Tod. Da sah er, wie durch blutig rote Nebel hindurch, die Gestalt seines getreuen Schwarzen über dem Löwen auftauchen, der seine einzige lächerliche Waffe, den Spazierstock seines Herrn mit einem gewaltigen Hieb mit dem Griff auf den Kopf der Bestie niedersausen ließ. Wutbrüllend warf das Tier sich herum und auf Kassifa, und sie wälzte sich mit ihm herum und dann lag sie über ihm und verbiß sich in seine linke Schulter. Sein Schmerzgebrüll und Hilferuf drang Mark und Bein durchdringend zu seinem Herrn. Und mühsam, auf allen vieren kroch dieser nach dem Gewehr, das im Bogen nebst Hut und Glas von ihm geflogen war beim Anprall der Bestie. Herr K. vermochte kaum mit seiner rechten Hand die Waffe zu bedienen, die linke war ja schwerverletzt - und neben ihm brüllte sein treuer schwarzer Gehilfe in Todesnot. Er durfte nicht zögern mit dem Schuß und war sich seiner doch nicht sicher. Würde er mit zittriger, kraftloser Hand den Boy vielleicht noch treffen? Es muß doch sein. Es knallt der Schuß und rotes Blut verspritzt. Das Gewehr entsinkt der Hand und wieder faucht das Tier und fällt den Weißen an und beißt und wühlt und zerfleischt ihm nun den linken Oberschenkel. Und rot färbt sich der Boden, von Menschen- und von Löwenblut. Doch plötzlich läßt das Untier los und setzt sich steif und aufrecht hin, sein Gebiß und seine Augen blinken drohend über dem Gesicht. "O mach es kurz und quäle mich nicht länger", so fleht der Weiße. Und wieder kommt Kassifa angewankt, sich mühsam auf den Beinen haltend, schlug er nun auf die Löwin ein. Sie gibt den weißen Menschen frei, um wieder den Schwarzen anzunehmen. In halber Drehung setzte sie sich hin und konnte dann nicht mehr und klagte mit ersterbend brechendem Gelichter vorwurfsvoll die Menschen an. Mit letzter Kraft hob noch der Weiße sein Gewehr und gab den Gnadenschuß der armen Kreatur, die, ihr Leben verteidigend, ihr Herzblut mit dem Menschenblut vermischte. Das Drama war zu Ende. In ihrem Blute, von Fieber und Schmerzensschauer geschüttelt lagen die zwei Menschen. "Sind wir nicht tapfere Kerle?" sprach Kassifa zu Herrn K. Noch zagend und bebend kamen endlich die anderen Boys, die sich auf die Bäume geflüchtet hatten, langsam näher und trugen die Schwerver- [210] letzten zu der Straße, auf der des Weißen Wagen hielt. Und beide kamen entgegen den Befürchtungen der Ärzte mit dem Leben davon. Die Brust des "Bwana Schamba Kassifa" schmückt heute die deutsche Rettungsmedaille, und er ist der gefeierte Held der schwarzen Frauen.
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