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Vierzehntes Kapitel
Im Tierparadies • Tausende von Antilopen • Auf dem Kongodampfer • Nilpferde.

Bei einem Belgier wollte mich Herr Hermanson, mein Reisemarschall für einen Tag, in Maka unterbringen. Aber der Herr lehnte ab. Platzmangel! War es wirklich das oder der Haß gegen das Deutsche, der mir hier im Kongo überall entgegentrat?

Der Grieche und der Italiener, die mich zuerst begrüßt hatten, nahmen mich sehr nett auf. Ich schlief in dem Hause des Italieners, in einem leeren Raum, der einmal ein Laden werden sollte, und aß mit beiden zusammen, die einen gemeinsamen Haushalt führten. Ich merkte, daß der Besuch ihnen Freude machte. Eine weiße Frau, hier in ihrer Wildnis, es war wohl noch nie eine hier. Ich fühlte ihr Bestreben, mir nach bestem Können den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen.

Jeden Tag wird ein Hühnchen gebraten, die von den Eingeborenen, das Stück für einen Franken - 11 Pfennige - zu haben sind, oder es gibt Antilopenfleisch frisch aus der Vorratskammer vor dem Haus; von der Steppe. Das ist wohl die tägliche Nahrung der beiden, denn einen Fleischer gibt es nicht, der sie nach ihren Wünschen fragen würde. Dafür freilich hat ihnen die Natur den Tisch reichlich gedeckt, wenn auch nicht sehr abwechslungsreich.

Die beiden sind liebenswürdig, ich möchte beinahe sagen, zart in ihrem Benehmen, doch der Belgier, der einst Deutsch wie seine Muttersprache sprach, ist nicht nur unhöflich, sondern schon verletzend unfreundlich. Ist er in den 27 Jahren Kolonialzeit, während denen er sich immer in der tiefsten Wildnis herumtrieb, nur so verniggert? Er hat eine schwarze Frau, ein braunes Kind und hat sonst auch Negermanieren angenommen - oder ist es nur der Deutschenhaß? Die anderen Halbweißen, Syrier oder was sie sind, drücken sich scheu und verlegen um mich herum. Meine beiden Gastgeber haben auch ihre schwarzen Frauen, sie versuchen sie aber vor mir zu verbergen.

"Heute fahren wir ins Tierparadies", so überraschte mich eines Tages der Grieche. Ich wunderte mich. Das Tierparadies, war es nicht schon hier? Herden von Antilopen trieben sich ständig auf der Steppe, vor den Eingeborenenhäusern herum, und ich ging schon einige Male mit auf die Jagd, und da wurde immer lustig darauflosgeknallt, diese und jene [170] Antilope verwundet, die sich aber noch weiterschleppte, in den Busch hinein. "Ein Breakfast für einen Löwen", hieß es dann. Löwen gibt es in Mengen hier. 20 Stück hat ein Missionar abgeschossen. Für den Schwarzen ist ein Löwe etwas Alltägliches, er guckt kaum auf, wenn er auf der Steppe einen Löwen Antilopen jagen sieht. Nachts schleichen sie oft brüllend um die Häuser der Europäer, und der Belgier behauptet gar, während sein Haus noch im Bau war und keine Türe hatte, da sei nachts ein Löwe durch dasselbe gegangen und so nah an ihm vorbeigestrichen, daß ihn sein heißer Atem traf. Da hier die Natur für den Löwen den Tisch so reichlich gedeckt hat, ist er dem Menschen kaum gefährlich.

"Warum", so fragte ich die Freunde einmal spaßeshalber, "sind Sie nicht geschäftstüchtiger und inserieren in einer amerikanischen Zeitung etwa folgendermaßen:

Tierparadies am Lualaba! Die Elefanten grasen vor den Häusern, die Antilopen stehen herdenweise auf den Feldern und warten nur darauf, abgeschossen zu werden. Die Nilpferde steigen aus ihrem nassen Grund und gehen zwischen den Häusern hindurch aufs Feld zum Äsen. Die Krokodile fordern mit freundlichem Grinsen zu einem Bade auf, und die Löwen promenieren abends vor den Fenstern auf und ab und bringen den Damen ein Ständchen dar!

Bald hätten Sie den schönsten Badebetrieb, vorausgesetzt, daß Ihnen die Krokodile nicht den Platz streitig machen würden."

"Eine glänzende Idee", meinte der Italiener, "den Krokodilen könnte man ja die Zähne etwas zufeilen, wenn sie sich vielleicht zu sehr für die schönen Beine der Amerikanerinnen interessieren würden."

Diesen Vorschlag machte ich also, und nun sollte das hier gar nicht das Tierparadies sein. Ich sollte es erst sehen.

Sanft schaukelte das schmale Negerkanu auf dem Lualaba, wie wir aber einstiegen, schwankte es hinüber und herüber und schien nicht übel Lust zu haben, uns auf gewaltsame Weise wieder auszubooten. Und wir saßen still und steif, als der Einbaum abwärts im Flusse glitt und bei der geringsten Bewegung schon zu schwanken begann. Doch die Neger beherrschen ihr Fahrzeug und Ruder vorzüglich. Aber wenn so ein niedliches Tierchen da unten die Neugierde plagte und es Ausschau halten wollte nach dem leisen Plätschern an der Oberfläche und es ganz unerwartet mit seinem Mäulchen unserem Kanu zu nahe kam, so schadete das jenem bestimmt nicht, wir aber konnten gewärtig sein, kopfheister in die [171] Luft und dann ins Wasser zu fliegen. Ich wollte nur, der Italiener hätte den anderen lieblichen Tierchen da unten schon die Zähne zugefeilt.

Wir stiegen in einem Negerdorf aus, Berge von frischgefangenen Fischen lagen am Ufer. Die schwarze Kinderschar folgte uns neugierig auf Schritt und Tritt, und Frauen schleppten ihre Krokodilshäute herbei und breiteten sie vor dem Griechen aus. Aber er kaufte sie nicht, er fand sie zu teuer. Der Sanitäter im Ort, ein schwarzer Bursche, zeigte uns eine schlafkranke Frau, und das erinnerte mich wieder unangenehm an diese furchtbare Seuche, die hier herrschte, und an das unangenehme Insekt, das mich gerade auf der Fahrt hierher so sehr geplagt hatte. Ich habe Angst vor dieser scheußlichen Krankheit.

Wir fuhren weiter im Kanu, hinein in einen schmalen Nebenfluß, und stiegen aus. Eine große breite Steppenebene lag vor uns, und Tausende von Antilopen bevölkerten das Feld. Wir versuchten, uns hinter kleinen Büschen anzupirschen. Die Antilopen hoben die Köpfe, äugten nach uns, und die vordersten brausten plötzlich los und rissen die anderen mit sich. Das ganze Feld war in Bewegung. Und wieder knallte der Grieche los, und mir tat es leid. Ich hatte meine Freude am Schauen, am Beobachten der Tiere. Eines blieb zurück und schlug sich seitwärts, es war getroffen. Und wie ein Schweißhund, so setzte ein schwarzer Junge hinter ihm her; wir sahen ihn, im Zickzack, in der Ferne verschwinden. Nun setzten wir uns auf den Boden, seine Rückkehr abzuwarten. Aber er wollte und wollte nicht kommen. Die Antilopenherde war wieder zum Stillstand gekommen, und da nun auch der Grieche stillsaß, kamen die Tiere etwas näher, ästen und äugten sichernd hin und wieder nur nach uns. Endlich keuchte der Junge an. Er kam etwas hinkend und müde näher. "Simba!" war sein erstes Wort. Auf ein ganzes Rudel Löwen wäre er auf seiner Verfolgung gestoßen, so berichtete er. Aber weder der Junge war sonderlich aufgeregt darüber, noch machte der Jäger ein Wesen davon, so daß auch ich meine Überraschung, Freude oder Angst, was es war, hinter einer gleichgültigen Miene verbarg. Was kann so einer Weltenbummlerin schon imponieren. Und doch imponierte es mir gewaltig, und als wir wieder aufbrachen und der Grieche erklärte: "Bleiben Sie immer hübsch hinter mir, es könnte schon sein, daß plötzlich ein Löwe vor uns auftaucht", da bat ich Simba innerlich, er möchte sich doch zeigen. Aber der ungalante Herr tat mir den Gefallen nicht.

Wir gingen noch ein Stück am Flusse aufwärts und, noch halb von [172] Papyrus versteckt, blinkten plötzlich einige Seen auf. An ihren Ufern, in den seichten Gewässern und auf den kleinen Landzungen wimmelte es von Vögeln, groß und klein. Als ein Schuß hineindonnerte, schwärmte es auf wie eine Wolke. Drei kleine Hühnchen nahmen die schwarzen Jungens mit.

"Das wird ein delikates Abendessen", sagte der Grieche, "nun aber wird es Zeit, an die Rückkehr zu denken, die Dämmerung ist kurz, die Nacht kommt schnell."

Wir gingen dem kleinen Flüßchen zu, auf dem wir gekommen waren, da gab der Grieche einen Schuß ab. Das folgende aufregende Geschehen ereignete sich in Sekundenschnelle.

Eine Antilope wankte vor uns, sie schweißte stark und stob mit letzter Kraft davon, dem Flusse zu. Sie rannte in das Wasser in dem instinktmäßigen Gefühl, über dem Fluß sich leichter in Sicherheit bringen zu können.

Der schwarze Junge mit dem Speer setzte hinterher, und mit Feuereifer planschte er ins Wasser, das ihm bis zur Brust reichte. Die Antilope hatte beinahe das andere Ufer erreicht, da begann sie plötzlich zu zappeln und sich zu wehren, aber sie wurde mit Gewalt in die Tiefe gezogen. Krokodile!

Entsetzt brüllte der schwarze Junge auf; er machte kehrt, aber er taumelte. Da wurde das Wasser lebendig, es wurde hin und her gepeitscht wie ein kochender Sprudel. Der Junge richtete sich auf und versuchte zu laufen, unter entsetzlichem Gebrüll, das seine Todesängste kundgab. Ich lief hinzu, um ihm die Hand zu reichen. Da feuerte der Grieche zwei Kugeln in den Hexenkessel. Einen Moment Atempause der Bestien, doch der Junge hatte sie benutzt und hatte mit einem letzten übermenschlichen Satz das rettende Ufer erreicht. Wie ein Torpedo, so scharf, schoß es hinter ihm her.

Reglos lag der Junge am Ufer, aschgrau war sein schwarzes Gesicht geworden. Das Wasser im Fluß war noch einige Zeit in mächtigen Wellenbewegungen, dann wurde es still, und leise schaukelte der Speer des Jungen flußabwärts.

Wie ein Traum mutete das Erlebnis an, als wir im Einbaum ruhig im Flusse plätscherten, so harmlos und still lag er da. Aber ich spürte noch zu deutlich die vibrierenden Nerven in meinem Körper, das leise Zittern, um mich von dem friedlichen Schein täuschen lassen zu können.

Die ersten Sterne blinkten vom Himmel und spiegelten sich im Wasser [173] wider. Palmen am Ufer säuselten leise, und göttliche Ruhe lag über dem afrikanischen Abend.

Die starre lächelnde Maske der afrikanischen Sphinx, die sich mit einem Schlage, jäh und unvermittelt, zu einer furchtbaren Grimasse verwandelt und Tod und Verderben ausspeit. Ich habe sie kennengelernt.

 
Sonntag war's! Drüben über den glitzernden Gewässern des Kongoquellflusses sangen in der Mission die Schwarzen ihre christlichen Lieder, die mit eigenartigem Tonfall zu mir herüberdrangen. Menschenfresser vielleicht einmal - nun sind sie Christen - und doch und doch - sind sie nun wirklich bessere Menschen? Oder hat ihnen unsere Zivilisation sonstwie irgendwo Gewinn gebracht? Viele Menschen neigen dazu, diese Fragen zu verneinen, und ich glaube ihnen beipflichten zu müssen. Bedürfnislos lebte der Schwarze in Afrika. Das Klima spendete schon bei wenig Arbeit die notwendigen Nahrungsmittel, und als Kleidung diente ein Grasröckchen oder Tierfell. Eine Lehm- oder Grashütte genügte in diesen Breitengraden als Unterschlupf. Einen Winter mit seiner Kälte kennt man hier ja nicht. Es war fürwahr ein schönes unbeschwertes Leben, und sie waren zufrieden, denn sie kannten nichts anderes. Die Europäer kamen in schönen Kleidern und bauten sich prunkende Häuser und fuhren im Auto - und weckten die Lust nach gleichen Dingen im Schwarzen. Er aber konnte sie nicht so leicht erringen, und da kam die Unzufriedenheit und in ihrer Gefolgschaft Lüge und Verschlagenheit. Die Moral der Schwarzen hat sich durch den Einbruch der Weißen nicht nur nicht gehoben, sondern verschlechtert. Der ungeheure Materialismus und Egoismus des europäischen Einzelwesens hat auch in Afrika das ideale Gemeinschaftsleben schon zum Teil untergraben.

Einiges Gute ging freilich auch bei der Invasion der Weißen mit einher: Die Unterbindung des Sklavenhandels, der ganze Stämme vernichtete, die Eindämmung vieler Krankheiten, vor allem der furchtbaren Schlafkrankheit, die ganze Länderstrecken entvölkerte - ausschließliches Verdienst deutscher medizinischer Wissenschaft - die Ausrottung des Kannibalismus, die vielleicht heute noch nicht vollkommen ist.

Eine Glocke bimmelte - vielmehr, ein Schwarzer schlug mit einem Metallstück an ein aufgehängtes Stück Eisenschiene und rief die gläubigen Neger zum Gottesdienst.

[174] Der Grieche trat zu mir: "Sehen Sie, das ist der Unfug hier. Dort unten in dem Lehmhaus sind die Protestanten versammelt, hundert Meter weiter oben ruft die katholische Mission zur Kirche. Und die Missionare beider Konfessionen bekämpfen sich und versuchen sich gegenseitig die Schüler abspenstig zu machen.

Und die Negerschüler der beiden Missionen stehen sich absolut feindlich gegenüber, und jeder von ihnen behauptet: Meine Religion ist die beste - und darüber hat es schon blutige Köpfe gegeben. Wie soll der Neger daraus klug werden. Die Eifrigsten und Fanatischsten und daher wohl Besten, zerschlagen sich gegenseitig die Köpfe, und die Klügsten und Verschlagensten verstehen daraus ihren Nutzen zu ziehen. Sie lassen sich heute von den Baptisten, morgen von den Adventisten und so durch, im Verlaufe von Jahren immer wieder von einer anderen Sekte belehren und taufen und stecken mit vergnügtem Grinsen jedesmal ihr Taufgeschenk ein, das sie noch kritisieren und entweder als nobel oder aber auch als schofel bezeichnen.

Hier im Kongo wird ihnen auch noch ein ungeheurer belgischer Nationalstolz eingedrillt. In den Augen der Schwarzen ist Belgien Europa und Brüssel die Hauptstadt dieses Erdteiles.

Und dieser wichtige und tüchtige Staat hat hier vollkommen heruntergewirtschaftet. Alles steht still. Wir können unsere geräucherten Fische nicht mehr losbringen, die wir erst nicht genug herbeischaffen konnten. Die Welt ist ein Chaos, Handel und Wandel stockt. Arbeitslose in aller Welt hungern, wahrend man zu gleicher Zeit Weizen und Kaffee verbrennt. Die Welt ist ein Tollhaus geworden unter der Herrschaft der Alliierten. Die 'Siegernationen' haben nun endlich zur Genüge bewiesen, daß sie nichts können. Nun sollen sie endlich einmal Deutschland wieder in den Vordergrund treten und ihm zeigen lassen, was es kann. Ich bin überzeugt, daß es dann bald anders aussehen würde in der Welt. Die Deutschen haben ein ungeheures Organisationstalent."

Der Grieche hatte sich ordentlich in Feuer gesprochen. Ich konnte ihm nur stumm die Hand drücken.

 
Ein sonderbares Fahrzeug ist der Kongodampfer, zweistöckig, hoch und schmal. Im unteren, offenen Stockwerk hausen die schwarzen Passagiere, hocken wie Heringe aufeinander, mit Kind und Kegel, mit Hab und Gut, kunterbunt, interessant. Und um sie herum, wie eine Wand, baut sich das [175] Brennholz für die Maschinen auf. Die Dampfer werden im Kongo, genau so wie die Lokomotiven, mit Holzfeuer in Betrieb gesetzt, denn an Holz ist hier kein Mangel. Im oberen Stockwerk sind die Kabinen für die weißen Passagiere. Der untere Stock ist rußig, schwarz und schmuddelig, der obere fein weiß und sauber gestrichen. Das Unding wird von einem großen Schaufelrad von rückwärts getrieben.

Der Grieche und der Italiener, die mich noch mit Krokodilshäuten beschenkt und mit Lebensmitteln versorgt hatten, winkten mir wehmütig nach, die Schwarzen des Dorfes winkten, nur der Belgier tat es nicht.

Die dreitägige Fahrt kommt hoch, jedoch ist der Dampfer für afrikanische Verhältnisse sehr sauber. Reisen ist teuer und das Geld schon knapp, deswegen nehme ich die Mahlzeiten, die wieder besonders, wie auch die Kabine, hoch bezahlt werden müssen, nicht ein. Und das ist nicht etwa aus dem Grunde unangenehm, weil ich mich nun mit einfachem selbstmitgebrachten Essen begnügen muß, als vielmehr darum, weil einen die anderen Passagiere deswegen über die Achsel herab ansehen. Sei es drum! Auch das muß mit in Kauf genommen werden.

Von dem hohen Aufbau des Schiffes sieht man über die mit Papyrus bewachsenen Ufer weit ins Land hinein. Tausende von Antilopen ästen in den Steppen, und unzählige Vögel, Störche, Pelikane usw. bevölkerten die kleinen Binnenseen. Wenn sie aufflogen, verdunkelten sie den Himmel. Als die Sonne mit ihren letzten Strahlen ins Wasser sank, hielt das Schiff an. Nachts fährt es nicht, denn es ist schon einmal eines aufgelaufen. Die Negerpassagiere, etwa hundert Personen, verlassen den Dampfer, lagern malerisch am Ufer und kochen ab. Am Morgen geht die Fahrt weiter. In Kurven zog der Fluß und drängte sich derart zusammen, daß das Schiff sich kaum durchzuzwängen vermochte und mit der Nase hinein in Schilf und Papyrus fuhr. Wir kamen aber los. Wieder verdunkelte sich die Sonne, aber nicht wie am vorhergehenden Tag durch Vogelschwärme, sondern von einer braunen dichten Wolke von Heuschrecken. Vor einem Negerdorf legten wir an. Eine Menge von Kanus standen am Ufer und mußten schnell an Land gezogen werden, sollten sie nicht von unserem Koloß zerdrückt werden. Von weither mußten wohl die Neger zusammengeströmt sein mit ihren Lebensmitteln: geräuchertes Antilopenfleisch, frische und geräucherte Fische, etwas Obst, ein paar Eier u. a., die sie nun unseren schwarzen Passagieren anboten. Es war ein reger Marktbetrieb. Beinahe alle Lebensmittel wurden im unteren Stockwert des [176] Schiffes verkauft. Nur ein kleines Mädchen mit einem Körbchen gebratener Heuschrecken wurde ihre Ware nicht los. Da aber Heuschrecken bei vielen Negern als Leckerbissen gelten, so habe ich unsere Deckpassagiere sehr in Verdacht, daß sie nur angesichts der Weißen sich den Zwang auferlegten, um ihren vorgeschrittenen Kulturstand zu beweisen.

Ob ich nun Austern, Frösche oder Heuschrecken esse, wo ist hier der Unterschied? Das ist es ja eben, daß der Neger solche Äußerlichkeiten allein für europäische Kultur hält. Doch was ereifere ich mich, tut das nicht ein sehr hoher Prozentsatz der Europäer sogar?

Im übrigen hat der Neger recht, wenn er denkt und danach handelt: Fressen die Heuschrecken unsere Nahrung, so fressen wir dafür sie selbst. Drei weiße Passagiere wollten an Schiff gehen. Das Verbindungsbrett war aber durch die nackten Füße der Schwarzen derart mit klitschigem Lehm beschmiert, daß der erste von ihnen mit beiden Beinen zugleich den Boden verlor, sich unsanft auf seinen Allerwertesten setzte und wie auf einer Rutschbahn hineinsauste, mitten in das Lagerleben der Schwarzen an Deck, empfangen von dem brüllenden Gelächter der trotz aller zur Schau getragenen Zivilisation noch naiven und ursprünglichen Menschen. Der zweite kam mit Hilfe zweier Schwarzer, die ihm vom Wasser aus die Hand reichten, durch zentimenterweises Fortschieben seiner Beine glücklich an Bord. Der dritte, der die anderen beobachtet hatte, entledigte sich der Einfachheit halber seiner Schuhe, und auf Socken und Händen, also auf allen Vieren, schaffte er den Weg.

Naß und klitschig war auch der ganze Lehmabhang vor uns, auf dem die nackte Negerjugend stand und schreiend kleine Geldmünzen von den Passagieren forderte. Und wie sie uns ihre Hände bettelnd entgegenstreckten, da glitten auch manchen von ihnen die Beine unter dem Körper weg und sie sausten hinab in das Wasser. Ein Geldstück flog hinein in die Meute und sie stürzte sich kreischend darauf, und der ganze sich balgende Knäuel glitt zusammen in das aufplätschernde Wasser. Sie krochen triefend wieder hoch und dadurch wurde die steile Wand so glatt, daß die Burschen sich nur halten konnten, indem sie ihre große Zehe in den Lehm bohrten. Wieder flog eine Münze in die lärmende Kinderschar und sie fiel auf- und übereinander und wälzte sich am Boden im Lehm, bis sie alle hellgrau waren, drückten die Münze mit ihren abrutschenden Körpern in den Dreck, gruben mit ihren Fingern nach derselben, krallten einen Klumpen Lehm heraus, bis in einer Hand schließlich das Geldstück hängen- [177] blieb. Mit der Zunge leckte es der Knirps dann rein und verwahrte es in der Mundhöhle, um für weitere Taten die Hände frei zu halten. Die Kleidermode der Neger kennt keine Taschen. Ein Stück Brot flog in die Menge. Zwanzig Hände von gleitenden, zappelnden Körpern griffen darnach, tauchten es tief in den Lehm, zerrissen es dann in Stücke und steckten diese, wie sie waren, in den Mund und verschluckten sie. Und sie purzelten und taumelten wie Seiltänzer und rutschten einzeln und in Knäueln jedesmal ins Wasser. Sie fanden es selbst sehr ulkig und lärmten und lachten, und die einzelnen Phasen waren derart komisch, daß mir zum Schluß, bei Abfahrt des Dampfers, vor Lachen der Kopf schmerzte.

In der letzten Nacht am Schiff war ein einjähriges Negerkind gestorben. Das Klagegeheul drang von unten mahnend und drohend zu uns herauf. In der nächsten Anlegestelle mußte das Kind zurückgelassen werden. Die schwarzen Eltern heulten verzweifelt. Der Dampfer gab das Zeichen zur Abfahrt. Der Mann brüllte und fuchtelte mit den geballten Fäusten, verfehlte das Laufbrett und watete direkt in den Fluß hinein. Zwei Schwarze faßten ihn und trugen ihn zum Dampfer zurück. Die Frau, nun still geworden, schritt mit beinahe erschütternd aufrechter Haltung über das Brett hinweg. Dann aber hörte man sie wieder wimmern, Stunde um Stunde.

Es war am dritten und letzten Tag der Fahrt. Eine breite Sandbank glühte in der Tropensonne, und ein dunkles Etwas lag auf ihr, unbeweglich.

"Ein Krokodil!" sprach der englische Konsul, der einzige, mit dem ich mich bis jetzt eingehender unterhalten hatte.

"Ach nein", sprach mit spöttischem und überheblichem Lachen ein junger Belgier, der offenbar zum ersten Male hier herauskam, "es ist doch nur ein Baumstamm."

Gläser flogen an die Augen, und die Meinungen zwischen den etwa zwanzig weißen Herren und Damen waren geteilt.

"Und es ist doch ein Krokodil, man sieht den Kopf ganz genau, ein großes Biest ist es."

"Ach lächerlich, das soll ein - " - ein scharfer Knall von der Kommandobrücke schnitt die Rede ab, drüben spritzte der Sand hoch, und der mächtige "Baumstamm" sauste wellenaufwirbelnd ins Wasser. Droben auf der Kommandobrücke bleicht bereits das Skelett eines Löwen, vom Kapitän vom Schiffe aus erlegt.

Die letzten rosaroten Farben des Sonnenuntergangs verblaßten in der [178] Wasserspiegelung des Kongo, die ersten Lichter von Kabalo, unserem Ziele blinkten. Da tauchte plötzlich ein Wasserstrudel vor dem Bug des Schiffes auf.

"Ein Nilpferd!"

Der Strudel kam näher, schwamm seitwärts nahe an uns vorüber und hin und wieder glaubte man, ein graues Haupt erkennen zu können.

"Dort! Dort!"

Wahrhaftig, der mächtige Kopf eines Nilpferdes tauchte auf, dann begann das kleine Mäulchen zu gähnen, derart, daß ich dachte, käme ich nun auf einem Kanu, so könnte ich vielleicht in dieser Höhlung damit verschwinden. Und neben ihm kam ein anderer Kopf und noch einer hoch. Sechs Nilpferde stiegen abwechselnd hoch, stierten zu uns herüber und sanken wieder zurück in ihr nasses Element. Der Schwede hat doch recht. Es scheint ein neugieriges Pack zu sein.

Am feingedeckten, reichen Abendtisch saßen die Passagiere zum Abschiedsessen. Ich aber hockte in meiner engen Kabine und brockte das letzte hartgedörrte Brot in meine Tasse Kaffee. Mein Proviant war zu knapp bemessen. Die Frau des Kapitäns, eine rundliche Flamin, hatte aus mitleidvollem Herzen mir angeboten, doch die Mahlzeiten einzunehmen, sie würde mir nichts weiter dafür berechnen. Ich will aber nicht dieses Mitleid, fühle mich gar nicht so bemitleidenswert, ich brauche nicht zu hungern.

Ich hatte also das freundliche Anerbieten abgelehnt. Ich wollte keine Extravergünstigung, noch dazu im "feindlichen" Ausland. Und doch war ich der Frau so dankbar für ihre Menschenfreundlichkeit und Güte. Man müßte am Menschengeschlecht verzweifeln, wenn nicht hin und wieder einer nur beweisen würde, daß man doch den Glauben, zumindest an einen Teil der Menschheit, trotz des furchtbaren Egoismus der heutigen Zeit, nicht ganz zu verlieren braucht. Dieser seelenguten Frau verdankt es der belgische Kongo, daß der Gesamt- und endgültige Eindruck von ihm nicht so verheerend ist, als es erst schien. Die Frau hat vieles wieder gutgemacht.

Ein Zug brachte mich von Kabalo in einer Tagesfahrt nach Albertville, am Tanganjikasee. Handgroße Schmetterlinge schwärmten in herrlich leuchtenden Farben gaukelnd neben uns her. Im Hotel Du Lace, in Albertville, zeichnete ich mich als Deutsche in das Fremdenbuch ein und konnte feststellen, daß ich bis jetzt die einzige Deutsche in dem dicken Buche war. Es gab sonst kein Hotel im Ort. Ich war also seit vielen Jahren die [179] erste, die hier durchkam. Und darüber freute ich mich und ich möchte nach meinen Erfahrungen auch keinem Deutschen raten, durch den Kongo zu gehen und sich Unfreundlichkeiten auszusetzen.

Von der Terrasse des Hotels sah ich zwischen Kokospalmen die schäumende Brandung des Tanganjikasees. Drüben über dem gewaltigen Binnenmeer liegt unser geraubtes Ostafrika. Und hier schon, auf belgischem Kongo noch, zeigen sich die Spuren des heldenmütigen Ringens unserer Kolonialtruppen. Auf dem Friedhof in Albertville sind drei deutsche Kriegergräber. Leutnant Schwarz, Leutnant Jung, Unteroffizier Pennig, gefallen in der Schlacht am Tanganjika Moer am 26. 12. 1915, so steht auf dem Stein geschrieben.








Wann kommen die Deutschen endlich wieder?
Eine Reise durch unsere Kolonien in Afrika

Senta Dinglreiter