SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor


 
Dreizehntes Kapitel
Belgischer Kongo. Im Herzen Afrikas • Ein "Spaziergang" am Quellfluß des Kongo, Krokodile nehmen Reißaus • Der Besuch der giftigen Mamba im Zimmer • Wilde Elefanten.

"Ich spreche nicht französisch", so sagte ich an der Grenze des Belgischen Kongo zu dem Zoll- und Einwanderungsbeamten.

Angeblich sprach er weder englisch noch deutsch. Und das kann nicht stimmen. Hier an der großen Transkontinentalbahn muß er zumindest englisch sprechen. Ich bin darüber verärgert und bemühe mich nun auch [158] gar nicht, meine paar Brocken französisch zusammenzusuchen und zu kauderwelschen, sondern erkläre kategorisch: "Ich spreche nicht französisch!"

Der Koch des Zuges in seiner weißen Haube kam in das Büro. Der Beamte frug ihn, ob er nicht deutsch spreche. Er verneinte, und eine große Empörung über diese Zumutung überhaupt lag in dem aufbrausenden Tonfall seiner Worte. Doch er konnte angeblich auch nicht Englisch. Haß und feindselige Stimmung schlug mir hier ganz offen entgegen, an der Kongogrenze. Ein Flame ließ sich endlich herbei, mir in gutem Deutsch zu Hilfe zu kommen, und er bestätigte mir, was ich vermutet hatte, daß es ganz unmöglich wäre, daß keiner dieser Menschen hier deutsch oder englisch spreche.

Ich hatte eine deutschfeindliche Einstellung schon in der Küstenstadt Angola gespürt. In großen Lettern machte ein Reisebüro für Touren in den Belgischen Kongo Propaganda. Doch der Herr belgische Konsul, dessen Hauptbeschäftigung das Tennisspiel war, mußte es sich erst noch überlegen, ob er mir überhaupt auch nur ein Transitvisum geben könnte. Ich traf ihn, nachdem ich am Vormittag vergeblich versuchte, ihn zu erreichen, am Nachmittag bereit, zum Tennisplatz zu gehen, und deswegen war er sehr ungnädig und erklärte, mir das Visum vorerst nicht geben zu können, da er erst alle Paragraphen durchsehen müsse, ob es überhaupt möglich sei. Ich hatte den Eindruck, als müßte er über diesen Fall große Bände wälzen.

Ich mußte dem Herrn aber leider das Ultimatum stellen, mir allerspätestens bis zum nächsten Abend Bescheid zu geben, da ich bei Nichtausstellung eines Visums den morgen ankommenden Dampfer um das Kap herum benutzen müßte. Dieses Drängen ärgerte den gnädigen Herrn wieder gewaltig, und er meinte, wenn ich keine Zeit hätte zu warten... Es fiel diesem Ichmenschen gar nicht ein, sich nur ein bißchen in meine Lage zu versetzen. Versäumte ich den morgen fahrenden Dampfer und bekam das Visum nicht, dann mußte ich sechs Wochen in Lobito sitzen, während es sich bei ihm um einen Federstrich oder um eine klare Entscheidung, ja oder nein, handelte. Ich bekam das Transit, aber nur durch Verwendung Deutscher. Er wollte mir seine Größe und Macht zeigen. Er hat mir aber im Gegenteil den Beweis seiner Kleinheit gegeben, die es nötig hat, durch Wichtigkeit verdeckt zu werden. Wirkliche Größe ist bescheiden und liebenswürdig, nicht prahlerisch aufdringlich und schikanös.

[159] Ich saß allein in meinem Abteil. In gemächlichem Tempo zog die Bahn hinein in ursprüngliches Afrika, durch endlosen, undurchdringlichen Urwald, entlang an Flüssen und tiefen Schluchten, über Berge mit Aussicht auf unendlich bewaldete Höhen - ungenütztes Land, zum großen Teil noch unerforscht. Der Zug hielt in langen Zwischenräumen, schwarze Menschen stiegen ein und aus. Aus dem kleinen Stationsgebäude trat der schwarze Vorstand und gab das Zeichen zur Abfahrt. Ich stand auf der Plattform. Der Glutregen aus dem Kamin fiel über mich her wie ein sprühendes Feuerwerk. Plötzlich entlockte es mir einen leichten Schrei. Ein Glutstückchen hatte mir ein Loch in den Arm gebrannt. Ich mußte mich wieder ins Innere des Wagens zurückziehen. Man riskierte draußen in Brand gesetzt zu werden. Ich mußte mich wundern, daß nicht mehr Brände durch die Speisung der Maschinen mit Holz entstanden. Ein grandioses Feuerwerk genoß ich bei einbrechender Nacht. In hohem Bogen flammte der Glutregen empor und stäubte auseinander und zog neben uns her wie Millionen kleiner Leuchtkäferchen.

Bukama! Ich war im tiefsten Afrika, im Belgischen Kongo. Von hier führt keine Straße, keine Eisenbahn mehr weiter nach dem Norden. Und nun mußte ich in dem Ort zehn Tage auf den Kongodampfer warten, der mich forttragen sollte am Lualaba, einem Quellfluß des Kongo, nach dem Norden. Bukama ist der Sitz eines Bezirksamtes, ist Dorf - aber ein europäisches Dorf, spießbürgerlich, provinzlerisch, eine Profanierung der Urnatur rund herum.

Ich wohne im Hotel, was sich hier so Hotel nennt. Das Zimmer hat einen aus Benzinkisten verfertigten Tisch, ein Bett und ist sonst nackt und kahl. Dafür aber kostet es mit Verpflegung 12 Mark pro Tag. Das ist Innerafrika! Es war Mittag. Stechende, unerträgliche Sonne war draußen und brütende Hitze im Zimmer. Ich hatte mich zur Mittagsrast hingelegt. Mein Blick war zur Türe gewandt, an deren unterem Ende ein handbreiter Raum klaffte, und ich war starr vor Staunen. Ein schwarzer glänzender Schlangenleib wand sich durch den Spalt herein ins Zimmer, langsam und wie selbstverständlich. Eine schwarze Mamba, ein sehr giftiges Biest. Sie kam näher heran. Ich war gebannt vor Überraschung. Sie hatte mich noch nicht gesehen und nahm ihren Weg weiter. Ich liege noch ruhig, doch das Herz beginnt zu hämmern. Nichts, gar nichts hatte ich zur Hand, mit dem ich dem Tiere zu Leibe rücken und mich wehren konnte. Keine Waffe, nicht den mindesten Stock oder ein Kamerastativ, wie auf meiner [160] Reise um den Erdball. Die modernen Kleinkameras machen sie überflüssig.

Und sie ist sehr gefährlich, die niedliche Kleine, die sich ausgerechnet mein Zimmer zu einem Ausflug auserkoren hat. Es stirbt beinahe jeder von ihr gebissene Mensch, selbst bei schnellster Hilfe. Mein Puls hämmert, mein Gehirn arbeitet gespannt und zwingt sich zu klarem Überlegen:

Sie hat dich noch nicht bemerkt, ruhig liegenbleiben, dann wird sie nicht gereizt. Doch die Schlange kriecht weiter, dem Bett zu, immer näher. Das hielten meine Nerven nicht mehr aus, und auch der Verstand erklärte nun deutlich und kategorisch: Laß sie nicht zu nahe kommen, noch kannst du vielleicht flüchten, ihr auskommen!

Ich richtete mich mit einem Ruck empor, da schnellte auch die Schlange hoch mit Kopf und Vorderleib, einen halben Meter, kerzengerade. Ihr Kopf schwankte hinüber und herüber, und sie züngelte gegen mich, und ihre Augen funkelten tückisch. Und ich blickte in ihre Pupillen, die mir grausam und boshaft erschienen, sekundenlang, und dann funkelten sie triumphierend. Eine Bewegung und sie wird sich mir entgegenschnellen. Und blitzschnell, ich weiß es, sind die Bewegungen der Schlange.

Soll das das Ende bedeuten, so unerwartet, so plötzlich?

Mein Herz hämmert, und es zucken die Finger, die krampfhaft die Decke halten und doch arbeitet das Gehirn fieberhaft und scharf. Wenn ich ihr die Decke entgegenschleudere und zur Türe springe, wer ist in diesem Moment der Entscheidung schneller, ich oder die Schlange? Ich war zum Wurf bereit, da brach sich erst noch meine Wut gegen das Tier, empört und unvermittelt Bahn in meiner Ursprache: "Du verdammtes Luder, schaust, daß du nauskommst!"

Die Schlange sank zu meiner nicht geringen Überraschung entsetzt zusammen bei diesen derben urbayerischen Worten, machte kehrt und schlich in eiliger Flucht zur Türe hinaus. Ich sprang auf und ihr nach. Doch sie war schon irgendwo im Gras vor meiner Türe verschwunden. Die menschliche Stimme, vor der alle wilden Tiere eine große Scheu haben, hatte sie verjagt. Doch der unangenehme Gedanke blieb, daß sie zu jeder Stunde wiederkommen und mich dann weniger wachsam finden könnte.

Ich erzählte den beiden gelblichbraunen Menschen, denen das Hotel gehörte, von dem Schlangenerlebnis. Sie hörten amüsiert zu und lächelten nur, als wenn so ein Schlangenbesuch im Zimmer etwas Alltägliches wäre. Sie machten auch gar keine Anstalten, irgend etwas zur Verhinde- [161] rung einer weiteren Belästigung zu tun. Aber sie interessierten sich für meine Reise und wollten wissen, welche Route ich genommen hätte. An Hand einer Karte erklärte ich: Von Hamburg über Madeira und Teneriffa nach Liberia...

"Was, Sie sind Deutsche?"

"Ja, gewiß!"

"Sind Sie auch Hitlerianerin?"

"Aber natürlich. Fünfundneunzig Prozent des deutschen Volkes sind es heute."

"Wir sind Italiener!"

Ich wollte ihnen etwas Schönes sagen: "Oh, Mussolini und Hitler molto grande!"

Da fuhr der zweite, der bis jetzt nur schweigend zugehört hatte, dazwischen: "Hitler Barbar!"

Ich war zunächst vor Überraschung sprachlos, dann aber glaubte ich, es spreche nur die Verhetzung der Zeitungen aus ihm und ich könnte durch Aufklärung vielleicht dem Manne die Wahrheit näherbringen.

"Was die Zeitungen schreiben, das ist doch alles erlogen."

Aber er hörte gar nicht auf mich und steigerte sich unter den immerzu hervorgestoßenen Worten: "Hitler ist ein Barbar!" in eine furchtbare Wut hinein. Da begriff ich endlich. Er ist ein Jude, natürlich! Es ist so schwer, unter all diesen südländischen Typen, wie Arabern, Syriern usw., die Juden zu unterscheiden.

Nun auch bebend vor Empörung, fuhr ich ihn an:

"Bitte geben Sie mir meine Rechnung, sofort!"

Ich glaubte nebenan noch so etwas wie ein Hotel entdeckt zu haben. Es war so. Es gehörte einem Griechen und war noch primitiver wie das erste, und gleich bei meinem Eintritt flüchtete eine häßliche Tarantel, so groß wie eine Hand, mit widerlichen Klauen bewaffnet, in eine Ecke. Aber ich wäre unter diesen Umständen in jedem Loch untergekrochen.

Der Grieche, in drastischem Gegensatz zu den anderen "Hoteliers", konnte sich in seinen Versicherungen der Deutschfreundlichkeit nicht genug tun und erklärte sich selbst viel deutscher gesinnt als die deutschesten Deutschen. Die Extreme in jeder Hinsicht berühren sich in Afrika noch mehr als in Europa.

Ich spazierte in das Dorf hinein, und links und rechts von der Straße, da klang es wie leises Knistern und Knirschen, und es bewegte sich der [162] ganze Rasen neben der Straße in sonderbarster Art, und plötzlich war die rote Erde vor meinen Füßen schwarz, und bei jedem Schritt hob sich dieser merkwürdige dunkle Belag wie ein Tuch und wich zurück vor meinem Schritt. So plötzlich trat diese Erscheinung vor meine Augen und sie wirkte so unheimlich, daß mein Fuß stockte. Ich bückte mich nieder, und dieser dunkle 5 - 6 Meter breite Streifen, der sich über die Straße zog, setzte sich zusammen aus Millionen und Millionen kleiner Heuschrecken, die, eben ausgeschlüpft, sich auf der Wanderschaft befanden. So eng aneinandergedrückt verstanden sie es trotzdem, sich durch einen Sprung seitwärts vor der Gefahr meines Schrittes zu retten, was in der geschlossenen Masse aussah, als hebe sich der Zipfel eines Tuches durch Geisterhand empor. Das ist also die Brut dieser gefräßigen Biester, die durch ihre Massen ganze Länderstrecken kahlfressen und den Eingeborenen Hungerperioden bringen.

Und ich ging weiter und sah drei weiße Frauen die Köpfe zusammenstecken, und ich wußte, der Buschklatsch hatte sich meiner bemächtigt. Ich war eine Fremde hier, das allein schon war interessant für die erlebnisarmen Menschen. Aber ich war auch Deutsche und hatte das jüdische Hotel verlassen. Was mochten die Juden zu ihrer Entlastung Grauenhaftes gegen mich ausgesagt haben! Ich hätte mich gar nicht gewundert, wenn die Frauen Hals über Kopf vor mir die Flucht ergriffen hätten. Auf Schritt und Tritt fühlte ich eine feindselige Einstellung gegen mich. Nur der Administrator selbst, bei dem ich einer Paßangelegenheit wegen vorsprach, war ein netter, liebenswürdiger Mensch. Und er liebte die Juden nicht. Von den Nilpferden erzählte er mir, die er zusammen mit dem italienischen Doktor nur eine halbe Stunde aufwärts am Lualaba gesehen hätte. Ich wollte sie auch sehen und suchte mir einen Weg zum Ufer. Da traf ich auf der Straße den Doktor, den ich schon kannte. Er hockte am Boden und brach einer soeben getöteten Kobra die Giftzähne aus. Er wollte sich erheben.

"Bitte, bleiben Sie noch eine Sekunde so, ich möchte Sie so photographieren." Ich knipste!

"Wo gehen Sie hin?"

"Hier unten, ein bißchen am Lualaba aufwärts, um auch die Nilpferde zu sehen."

"Aber nicht allein, da müssen Sie doch einen Mann mithaben!"

"Wo schnell hernehmen und nicht stehlen?"

[163] "Sehen Sie hier diese Schlange; wenn Ihnen so ein Biest begegnet und Sie beißt, so sterben Sie ganz allein, irgendwo draußen, kein Mensch weiß, wo Sie geblieben sind. Aber es sind nicht die Schlangen allein, da sind noch allerlei Gefahren, man kann hier nicht so einfach spazierengehen."

"Ich werde einen Stock mitnehmen."

Ich bückte mich und ergriff einen am Boden liegenden Holzstecken. Er lächelte, ich trottete weiter und fand am Fluß keinen Pfad. Ein schwarzer Junge zeigte mir einen vollkommen überwucherten Weg, den ich mit meinen Europäeraugen nicht als solchen erkannt hätte. Ich ging hinein, und das hohe Gras schlug mitunter über mir zusammen. Dann wieder war es zum Teil abgebrannt und ganz niedrig. Ich ging den Pfad, der oft gar keiner mehr war, und da kam mir die Kobra in Erinnerung und die schwarze Mamba, die mir einen Tag vorher ihren Besuch abgestattet hatte.

Wie sonderbar wurde mir da plötzlich. Ich habe doch Furcht im Leben nicht gekannt, aber das war entschieden Angst, nackte, bloße Angst, die mir über den Rücken hinabfloß, denn es raschelte nun seitwärts. Ich begann zu laufen und das Geräusch lief mit, hinter mir her, ganz nah. Da wollte mein Herz stocken. Ich begann zu rennen, aber das Geraschel ging hinter mir her in gleichem Tempo. Da zwang ich mich stehenzubleiben. Ich sah mich um und entdeckte den schleifenden Gürtel meines Kleppermantels, den ich hinter mir herzog. Ich war entschieden nervös, das kannte ich doch früher nicht. Ich ärgerte mich. Wenn ich nur einen Menschen mit hätte, einen schwarzen Jungen nur - allein war es unheimlich.

Am Ufer des Flusses entdeckte ich einen gestürzten Poribaum. Ich setzte mich auf seinen Stamm. Breit und schön, mit vielerlei Schattierungen und blendenden Lichtern auf seinen ruhigen Gewässern, zog der Zwillingsbruder des Kongo, der sich erst später mit ihm vereint und seinen Namen erhält, zwischen zwei bewaldeten Bergen hindurch und verschwand in einer scharfen Biegung. Und im Wasser plätscherte es immerzu. Große und kleine Fische sprangen in hohem Bogen aus ihrem Element und fielen mit lautem Plätschern zurück. Wie unendlich fischreich muß doch dieser Fluß sein. Ich ging weiter am Ufer, Schatten zogen über die Landschaft, wie im Schneesturm wirbelten braune Flocken heran und verdunkelten die Sonne, ein Heuschreckenschwarm. Er fiel nicht ein, sondern ging über die Landschaft hinweg. Und ich stapfte nun tapfer weiter im hohen Gras, über Gräben, die vollkommen überwuchert waren.

[164] Plötzlich krachte und splitterte es neben mir. Ich stand erstarrt - ein Löwe - ein Leopard? Ich war wehrlos, mußte mich einfach auffressen lassen. Instinktiv Schutz suchend sprang ich hinter den Stamm eines Kameldornbaumes, der mich nur halb verdeckte. Und das Krachen hielt an, und meine vor Angst geschärften Augen sahen plötzlich einen dicken, rauhschaligen Baumstamm sich langsam vorwärtsschleichen, Äste und Zweige zerknickend.

Ein Krokodil! Ich machte vor Entsetzen eine Bewegung, und das Untier, aufgescheucht, sauste mit einem Satz und mit Getöse ins Wasser. Es war ein großes Exemplar dieser Gattung, die jährlich ihren reichlichen Tribut an Menschenleben im schwarzen Erdteil fordert.

Trotz zittrigen Knien zwang ich mich weiter, die Ohren gespannt nach jedem Geräusch. Konnten nicht weitere dieser ungemütlichen Tiere vor, hinter und neben mir marschieren? Und die giftigen Schlangen - bei jedem Schritt konnte ich auf eine treten, und Leoparden konnten herumstreifen. Es wurde unheimlich, ich fühlte mich unsicher und wollte mir die Angst, die mit mir ging, doch nicht eingestehen. Aber ich fühlte, man müßte jemanden mithaben, nicht so ganz allein sein und nur mit einem irgendwo aufgelesenen, lächerlichen Stock in der Hand. Hier, wo auch Löwen und Elefanten aus dem Busch bis nahe an die Häuser treten, da läßt sich doch nicht so einfach spazierengehen, wie etwa zu Hause in den Isarauen.

Wieder raschelte es neben mir und plätscherte verdächtig im Wasser. Aber nun ging auch der Weg nicht mehr weiter. Er hatte vollkommen aufgehört, und durch das Gebüsch konnte ich ohne Buschmesser nicht dringen. Ich mußte umkehren. Und ich dankte dem Schicksal, das mir dieses Hindernis in den Weg geschickt hatte, denn der bayerische Dickschädel hätte aus freien Stücken niemals das Feld geräumt und damit das Eingeständnis der Angst gemacht. So aber war er nun befriedigt, denn er wich nur der höheren Gewalt, nicht etwa der Gefahr.

Sie haben mich, die Deutsche, aus Bukama vertrieben, die neugierigen und feindseligen Blicke, die mich auf Schritt und Tritt verfolgten. Vielleicht war noch keine Deutsche in Bukama; nach dem Kriege bestimmt nicht. Was mochte sie also vorhaben, die Hunnin, in Zentralafrika? Ging sie einem nicht vielleicht ans Leben? Mußte man nicht seine Kinder vor ihr in acht nehmen? Ich war auf der Flucht vor diesen zurückgebliebenen Menschen, diesem mittelalterlichen Geist.

Am Ufer des Lualaba hielt ein Motorboot, und ich stand und wartete. [165] Aber immer und immer noch wollte es nicht abfahren. Längst war die vereinbarte Zeit hinter uns, aber es fehlte immer wieder dies und jenes, und weder der Besitzer des Bootes, ein Grieche, noch seine schwarzen Jungens schienen von Eile oder von Zeit einen Begriff zu haben. Aber endlich surrte doch der Motor, das Boot drehte sich herum und glitt hinein in die Mitte des Stromes. Herr Hermanson, ein Schwede, der mir das Boot vermittelt hatte und mich in die Wildnis, in die Verbannung bringen wollte, nahm mit seinem Gewehr am Arm neben mir Platz. Wir ließen sie hinter uns, halbzivilisierte Negerdörfer, winkende schwarze Arme und spießbürgerliche, mißgünstige Weiße.

Breit und ruhig lag das "Kongobaby" vor uns, so geheimnisvoll still, trotz seiner ungemütlichen Lebewesen, die es barg. Als hätte Herr Hermanson meine Gedanken erraten, sprach er:

"Gefährlich sind die Nilpferde nicht, doch sehr neugierig. Das Geräusch unserer kleinen Schraube könnte sie wohl veranlassen, aufzutauchen und sich umzugucken. Dabei könnte allerdings aus Unvorsichtigkeit der kleinen Tierchen unser Boot umkippen."

"Und dann?"

"Ja, dann sind weniger die Nilpferde als die Krokodile gefährlich. Wenn wir ins Wasser fielen, wären wir wahrscheinlich sofort ihr Opfer. Die Neger nicht so unbedingt. Ihre dunkle Farbe fällt nicht so auf. Das gleiche ist es bei den Löwen, sie sehen einen Weißen viel schneller als den Schwarzen."

"Also ist die schwarze Farbe eine Schutzfärbung?"

"Sicherlich, aber vor allem gegen die fürchterliche Sonne."

"Glauben Sie demnach nicht auch, daß es gar nicht ausgeschlossen ist, daß die Neger ursprünglich gar nicht schwarz waren, sondern erst im Verlaufe von Jahrtausenden von der Natur mit der Schutzfarbe ausgestattet wurden? Ein Beweis dafür scheint mir die Tatsache zu sein, daß die Negerkinder weiß zur Welt kommen und erst in ein paar Tagen sich bräunen."

"Das halte ich absolut nicht für ausgeschlossen, denn ein Europäer dunkelt ja auch bereits nach einigen Generationen. Man muß selbstverständlich bei diesem Prozeß mit Jahrtausenden rechnen."

"Krokodile! Krokodile!" brüllte der Grieche. Ich sah gerade noch, wie zwei dicke Ungetüme wie rauhschalige Baumstämme unter Wasser schossen. Herr Hermanson hatte sein Gewehr an die Backe gerissen.

"Zu spät", knurrte er. "Mit seinem Geschrei hat er sie verscheucht. Diese [166] Biester hasse ich, ich schieße sie ab, wo ich kann, ob klein ob groß. Viele Menschenleben fordern diese Tiere in Afrika, besonders schwarze Frauen beim Waschen, wenn sie im Wasser stehen. Plötzlich werden sie von einem dieser Scheusale am Bein gepackt und ins Wasser gezogen. Sie sind verloren."

Ruhig zog unser kleines Boot seine Bahn. Papyrus und Busch faßten den Lualaba ein, und auf Poribäumen saßen Hunderte von großen Vögeln. Vor uns im Wasser schoß es plötzlich empor, schlank und lang, wie eine Schlange.

"Was ist denn das hier Sonderbares?"

"Der Hals eines Tauchers; er schwimmt mit seinem ganzen Körper unter Wasser, nur Kopf und Hals streckt er heraus."

"Sonderbar. Ich hätte geschworen, daß es eine sich hochbäumende Schlange ist."

Am sonnenbeschienenen, lehmigen Steilufer sah ich plötzlich auf vier Beinen ein Tier schleichen.

"Ein Krokodil!"

"Nein, es ist nur ein Leguan, er ist harmlos und soll meinetwegen leben. Aber dort ist ein Krokodil!"

Wir waren schon vorübergesaust. Ganz langsam und möglichst geräuschlos machte das Boot kehrt, und das Krokodilskind saß noch an der Sonne, arglos. Herr Hermanson zielte; das Tier zuckte nur und blieb dann ruhig liegen. Ein Neger stieg aus, um es zu greifen.

"Vorsichtig noch", brüllte ihn Herr Hermanson an. Mit schußbereitem Gewehr näherte er sich ihm. Aber es war tot. Ein Meisterschuß ins Gehirn.

"Die Haut nehmen Sie bitte als Andenken an den Belgischen Kongo mit."

Darüber war meine Freude groß.

Und noch ein Krokodil erlegte der Schwede. Fischerdörfer zogen an uns vorüber, und die schwarzen nackten Kinder grüßten uns schreiend und winkend. Wir stiegen einmal aus und gingen in eine Steppe hinein, und da standen Hunderte von Antilopen, und der Grieche folgte einem Trupp und kam nach einer halben Stunde wieder. Ein Schwarzer keuchte unter dem Gewicht einer erlegten Antilope.

"Unser Abendessen", sagte der Grieche lächelnd.

Es war später Nachmittag, als wir in Maka ankamen.

"Es ist wirklich Wildnis, wo ich Sie jetzt hinbringe. Vier oder fünf Europäer sind wohl dort, aber keine Frau. Es gibt dort keine Straße irgend- [167] wohin. Die Verbindung mit der anderen Welt kann nur durch Boote aufrechterhalten werden. In zehn Tagen kommt erst Ihr Dampfer, da haben Sie also Zeit, den Kongo, so wie er ist, kennenzulernen. Ich werde Sie schon unterbringen; vielleicht bei dem Belgier, der auch deutsch spricht, oder bei einem Griechen. Ansprüche dürfen Sie hier keine stellen, Sie sind im Busch." So hatte mir Herr Hermanson gesagt. Am linken Ufer breitete sich ein größeres Negerdorf aus. Rechts standen vier bis fünf kleine Backsteinhäuschen, jeweils ein paar hundert Meter voneinander entfernt. Wir legten an. Drei Europäer in gelblicher Hautfarbe begrüßten uns.

"Kommen Sie!" Sie zogen mich sofort mit, hinter ein Haus. "Gleich sehen Sie etwas, was Sie in Europa nie und in Afrika auch nicht alle Tage zu sehen bekommen: wilde Elefanten!"

Ich sah sie in weiter Ferne, ziemlich klein und ganz langsam ihres Weges ziehen.

"Der Belgier ist drüben!"

"Ich laufe auch hin!" Ich wollte abpürschen, da faßte mich Herr Hermanson am Schlafittchen und hielt mich fest.

"Hier geblieben! Was fällt Ihnen ein? Das sind doch wilde Tiere, und sie sind unberechenbar!"

Ich schielte nach seinem Gewehr und dem des Griechen.

"Mit diesen Gewehren können wir nichts gegen Elefanten ausrichten."

"Aber ich will, ich muß sie näher sehen!" Doch Herr Hermanson umspannte fest meinen Arm und sprach ungeduldig: "Ich habe Sie hierhergebracht, ich bin für Sie verantwortlich."

Diese Worte entzogen mir den Boden zu weiterem, selbständigem Handeln. Mit einem bitteren Geschmack im Munde sah ich die Elefanten in der Ferne verschwinden.

Ein Grieche und ein Italiener zeigten mir stolz ihre Besitzungen. Direkt am Ufer hatten mir bei meiner Ankunft von einer Mauer drei blendendweiße Knochenköpfe von Alligatoren und Krokodilen mit ihrem scheußlichen Gebiß entgegengegrinst. Ich habe ihnen ob der Elefanten nicht die nötige Aufmerksamkeit schenken können.

"Täglich bringen uns die Neger ihre Krokodile, die sie mit ihren Speeren erlegen. Für ein paar Franken kann man sie kaufen. Ich habe über fünfzig Stück von diesen Häuten hier."

Am Boden saß ein Schwarzer, der mit großer Geschicklichkeit Bastkörbe anfertigte.

[168] "Was tun Sie damit?"

"Wir alle beschäftigen uns hier in der Hauptsache mit Fischräucherei. In diesen Körben versenden wir die Fische. Der Lualaba ist so fischreich wie selten ein Fluß, unerschöpflich."

Sie führten mich hinein in ihre Räucherkammern, in denen viele Zentner von Fischen auf Eisenrosten über kleinem Feuer räucherten. Die stickige Luft trieb mich bald wieder hinaus.

"Die Neger bringen uns die Fische, jeden Tag kommen sie mit Booten, schwer beladen an. Der Fischfang hier macht keine Schwierigkeiten."

Nein, er macht keine Schwierigkeiten. Ich stand einige Minuten später allein am Ufer und sah, wie ein Neger spielerisch seinen Speer ins Wasser stieß, einen durchbohrten Fisch herauszog und wieder ins Wasser warf.

Es war Abend. Die Antilope war zerlegt, und die besten Stücke schmorten in der Pfanne auf einem Feuer im Freien. Da kam der Belgier zurück und er meinte zu mir:

"Sie hätten ruhig zu den Elefanten laufen können. So nah bin ich an sie herangekommen, daß ich zu ihnen aufschauen mußte. Sie sahen mich ruhig an, ohne sich von mir irgendwie irritieren zu lassen. Alle sind sie freilich nicht so friedlich. Ich wollte sie nur betrachten, mich an ihnen erfreuen, aber immer wieder geht der Jäger in mir durch, meine Hand zuckte, ich schoß. Einer von ihnen stürzte. Aber auch dann kehrten sich die Tiere nicht gegen mich. Was nun folgte, das war so wundervoll und interessant, daß ich wirklich bedaure, daß es Ihnen entgangen ist. Die Elefanten bildeten einen Kreis um den Gefallenen, um ihn gegen weitere Gefahren zu schützen. Schließlich hoben sie ihn mit ihren Rüsseln hoch, schoben ihn, der schwach auf den Beinen war, vor sich her und trotteten langsam mit ihm ab."

Mich würgte es; der Antilopenbraten wollte nicht mehr schmecken. Ich war zornig auf den Belgier, der immer so nutz- und fruchtlos drauflosknallen mußte, und ich grollte auch Herrn Hermanson, der mich an diesem Erleben verhindert hatte, und schalt mich doch undankbar, denn er hatte sich sehr nett meiner angenommen. Den ganzen Abend und hinein in den Schlaf nagte in mir die Trauer über das entgangene Schauspiel.








Wann kommen die Deutschen endlich wieder?
Eine Reise durch unsere Kolonien in Afrika

Senta Dinglreiter