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Zwölftes Kapitel
Abschied von Südwest • Portugiesisch-Angola, Raum ohne Volk • Quer durch Angola • Per Esel von Farm zu Farm.

Ich stand am Kai von Walfischbai und ich konnte kaum mit meinen Armen die Blumen fassen, die mir die lieben Südwester zum Abschied mitgegeben hatten. Es war schön in dieser Kolonie. Die Gastfreundschaft ist sehr groß und die Menschen waren so lieb zu mir. Und doch bin ich so müde wie nie zuvor. Südwest war sehr anstrengend. Ich war im äußersten Norden und Osten und ein Stück im Süden und jeden Tag machte ich Touren, abends dann Gesellschaft, da war man so begierig etwas zu hören - über die Heimat, über unseren Führer, und ich erzählte und es wurde spät beinahe jeden Abend. —

Ich kam nach Swakopmund zurück und mußte in aller Eile die Berichte fertigschreiben, da war nicht ein Tag zur Erholung. Nun war ich am Dampfer, ich mußte zurück nach Angola, denn ich wollte nicht den allgemein üblichen Weg um das Kap herum und die ausgetretenen Pfade der Touristen nach Ostafrika benützen und wählte deshalb den Weg quer durch den Kontinent über Angola und belgischen Kongo, durch tiefstes Afrika. Auf der Fahrt am 12. November kam das Ergebnis der Wahl an Bord geflogen, das Ergebnis, das die Welt aufhorchen ließ. 95 Prozent Ja-Stimmen, das ganze Volk hinter dem Führer, die Welt schien den Atem anzuhalten. Und es zog mich mit tausend Fäden zurück zu dem geeinten Volk. Ich wollte streiken und mit dem Schiffe schnurstracks nach Hause fahren. Jedoch der Verstand schalt mich fahnenflüchtig. Alle unsere geraubten afrikanischen Kolonien wollte ich besuchen, ich mußte auch Ostafrika noch sehen. Ich verließ das Schiff in Lobito.

Meisterhaft verstehen es die Portugiesen, ohne Arbeit aus ihren Kolonien Geld zu schlagen, aber nicht nur von den schwarzen Eingeborenen durch hohe Kopfsteuern, sondern auch von weißen Besuchern. Für jedes Land, das ich bis jetzt bereiste, galt das Visum zugleich für Einreise und Aufenthalt. Nicht so in Portugiesisch-Angola. Ich mußte für die paar [146] Wochen Durchreise ein "Titulo", eine besondere Aufenthaltsbewilligung haben, die, der Kern der Sache, neben dem Visum noch einige englische Pfunde kostete. Und ihre Beschaffung wurde eine große, sehr wichtige Angelegenheit. Photographieren lassen, natürlich, der Photograph will auch leben (ich hatte doch meinen Paß), von einem Beamten zum anderen laufen - Wartezeit - warum etwas einfach machen, wenn es kompliziert auch geht.

Aber endlich war doch mein Titulo mit einem meterlangen Papierstreifen als Anhängsel zur Eintragung der Postenchefs fertig. Der Weg war frei, doch nicht ohne Hemmungen, denn in jedem Ort sollte ich mich melden. Der Wagen surrte entlang an dem herrlichen Hafen von Lobito, der eben von einer deutschen Firma ausgebaut wurde, hinauf in vielen Windungen, durch eigenartige Kakteenwälder und üppigste Tropenvegetation in das Hochland von Angola. Stunde um Stunde sauste der Wagen hindurch, durch herrliche Vegetation, durch Baumbestände, grüne Almenwiesen, mit Blumen übersät, und kein Mensch, weder schwarz noch weiß, begegnete uns, kein Dorf, keine Ansiedlung, kein bebautes Feld unterbrach das paradiesische Grün, das kommt und geht, ungenützt! Raum ohne Volk!

Und das Land ist so schön mit seinen Bergen, ansteigend bis zu 2400 Meter Höhe. Sein Hochplateau, zwei Drittel der Längsausdehnung, hat ein herrliches Klima, Europäern zuträglich. In manchen Teilen gedeihen sogar neben subtropischen Früchten auch Birnen, Äpfel, Wein und europäisches Getreide. Ebenso ist das Land auch für Viehzucht geeignet.

 
Schön war der Tag! Die Sonne brannte hernieder vom westafrikanischen Tropenhimmel. Drückende Atmosphäre ließ meine Pulse höher schlagen und mich keuchend stillstehen auf dem steilen, steinigen Pfad aufwärts. Ich bin erstaunt und ein bißchen verärgert über mich selbst. Ich bin doch viel in den bayerischen Bergen herumgestiegen; diese Schlappheit kannte ich doch sonst nicht. Als Antwort sandte mir die senkrecht über mir stehende Sonne ihre Strahlen mit verdoppelter Macht auf meinen mit dem Tropenhelm bewehrten Kopf: "Du bist aber auch nicht 50 Grad nördlicher Breite, sondern beinahe am Äquator, und hier in diesen Regionen herrsche ich."

In diesen Regionen herrschst du, ich fühle es und ich beuge mich. Aber [147] ich stelle fest, daß diese ob ihres gesunden Klimas so sehr gepriesenen Hochländer den Europäer immerhin noch mehr anstrengen als das heimatliche Klima.

Mein Blick schweifte hinauf zu dem deutschen Pflanzerhaus, das von oben wie eine Burg hineinschaut in das Tal. Rote Rosen und leuchtende Blüten lachten mir am oberen Pfad, am Eingang zum Hofe, entgegen. Es ist prächtiger Besitz, den ich betrete.

"Hier das Gästehaus, früheres Wohnhaus, habe ich zuerst erbaut. Es trägt aber auch das Merkmal des Erstlingswerkes an sich. Später, fußend auf den Erfahrungen, ging es schon besser. Sie wissen doch, daß hier jeder Siedler sein eigener Architekt, sein Maurer, Zimmermann, sein Schmied ist; daß er sein Haus, vom Ziegelmachen angefangen bis zu den Möbeln selbst baut und einrichtet, den größten Teil seiner Werkzeuge selbst verfertigt?"

Ich weiß es und es ist dasjenige, was mich immer wieder von neuem in Erstaunen setzt. Wie würde mich zu Hause ein Mensch empört mustern, dem ich zumuten würde, sich sein Haus selbst zu bauen? "Wie kann ich das, ich habe es nicht gelernt", so würde er fragen.

Sie alle hier haben es nicht gelernt und sie zimmern sich ihre Möbel und bauen sich ihre Häuser und mitunter schöne und prächtige. Ich trat hinaus auf den söllerartigen Anbau, der beinahe über dem Abgrund hing. Und ich hatte eine herrliche Aussicht hinunter in das Tal, auf die geraden Reihen des Sisals, die den Hanf für Taue und Seile ergeben und auf die grünbewaldeten ansteigenden Berge im Hintergrund.

"Hier war Busch und Urwald, ich habe ihn gerodet und das Land urbar gemacht."

Man fühlte den berechtigten Stolz über seine Pionierarbeit aus diesen Worten klingen.

"Doch das war nicht immer leicht. Aber es war nicht die Arbeit, die mir Kummer und Sorge und schlaflose Nächte bereitete, es war das Geld, um das sich alles dreht. Ich bin natürlich tief in Schulden und einige Male schien es, als könnte ich nicht mehr weiter, müßte das mühsam Aufgebaute verlassen. Heute glaube ich über dem Berg zu sein. Der Sisalschnitt beginnt in allernächster Zeit, eben baue ich meine Fabrik zur Aufbereitung, sie kostet noch viel Geld, aber die Ernte beginnt ja jetzt. Es ist kaum daran zu denken, eine Sisalpflanzung unter 200 000 Mark aufzuziehen. Zu ihr benötigt man ja auch mindestens 3000 Hektar Boden."

[148] Wir machten einen Gang durch die Pflanzung, durch die weiten Fluren, vom jüngsten kleinen Sisal bis zum üppigsten schnittreifen. Schwarze Arbeiter säuberten mit ihren Hacken die Kulturen, legten neue Pflanzungen an oder gingen hinter dem mit 10 Ochsen bespannten Pflug einher. Mich bewegte schon lang eine Frage:

"Ich sah in Ihrem Hause ein Bild des Führers, ich hörte aus Ihrem Mund die Begeisterung für das neue Reich, für das Vaterland überhaupt. Was trieb Sie fort von zu Hause, hinaus in die Fremde, ins Ausland?"

"Ich kämpfte im Kriege auf feindlichem Boden und später noch in Schlesien um das Vaterland. Was aber dann in Deutschland folgte, erfüllte mich mit Ekel. Das Nachkriegsregime vertrieb mich aus der Heimat. Und noch etwas. Meine Vorfahren waren Landwirte und in mir, obwohl ich Städter bin, kreiste das Blut des Landwirtes, die Sehnsucht nach eigenem Grund und Boden. Zu Hause blieb er mir versagt, hier habe ich ihn." Liebevoll umfaßte sein Blick seine Felder.

"Gut, Herr M., Sie sind ehrlicher, begeisterter Deutscher. Doch was denken Sie, was aus Ihren Kindern und Kindeskindern hier wird, so losgelöst von der Heimat? Können sie, die keinen Kontakt mehr mit Deutschland haben, in so ganz andere Verhältnisse versetzt sind, wirklich Deutsche bleiben, deutsch fühlen und denken?"

"Selbstverständlich werden meine Kinder zur Erziehung nach Hause geschickt. Noch mehr! Als letztes Ziel schwebt es mir vor, durch meine Arbeit hier mir den Grundstock zu verschaffen, meine Kinder wieder in Deutschland ansiedeln zu können, deutsche Bauern sollen meine Kinder werden."

Neben der Freude über diese Worte schlich doch ein leises Bangen mit einher. Die Lage der Siedler ist heute nicht gerade rosig. Manch deutscher Siedler hatte schon ähnliche ideale Ziele, sie aber zum Schlusse nicht verwirklichen können. Viel deutsches, wertvolles Blut verrinnt in aller Welt und geht dem Vaterlande verloren. Wie viele Deutsche haben sich doch nach dem Kriege auf unserem Erdball zerstreut. Gerade deswegen müssen wir unsere eigenen Kolonien haben, um das schäumende deutsche und oft beste Blut, das hinausdrängt in alle Welt, nicht versickern und aufgehen zu lassen in allen möglichen Völkern. Sammelbecken für dieses wertvolle Blut sollen unsere Kolonien werden, es auffangen und zusammenschließen zu einer kompakten, widerstandsfähigen, rein deutschen Gemeinschaft, die in ständiger Verbindung, in stetem Austausch geistiger und materieller [149] Güter mit der Heimat steht. So nur kann dieses Blut dem Deutschtum erhalten bleiben.

 
Licht ist der Busch! Schirmakazien breiten ihre leichten Schatten über uns, und riesige Farngräser zittern am Rande des steinigen Weges, auf dem unsere Esel dahinstolpern.

"Es ist mir sehr unangenehm, Ihrer Frau so unerwartet ins Haus geschneit zu kommen, Herr S."

"Keine Sorge, fast alle Besucher kommen hier unerwartet. Infolge der weiten Entfernungen, der Lage inmitten des Busches und des Fehlens des modernen Nachrichteninstrumentes, des Telephons, ist eine Anmeldung hier sehr zeitraubend und umständlich und Besuche sind überhaupt selten. Daher freuen wir uns doppelt über jeden unerwarteten Gast, der in unsere Einsamkeit und Abgeschnittenheit hineingeschneit kommt und etwas Abwechselung in das eintönige Alltagsleben bringt."

Aufjaulte plötzlich Krischan, der mir mit seinem Herrn vorantänzelte, in melancholischen, herzbrechenden Tönen, und Lotte, die Faule, die ich nur mit Mühe vorwärts bringen konnte, stimmte kräftig mit ein, so daß es ihren Körper erschütterte. Zum Heulen reizt dieses Eselskonzert. Und dabei blieb Lotte stehen, stocksteif und bockbeinig. Ich versetzte ihr ein paar Hiebe. Da drängte sie hinein in den Busch, in der offenbaren Absicht, mich abzustreifen. Nein, meine Liebe! Ich lasse mich nicht durch Dornbusch schleifen, oder meine Beine festklemmen. Du mußt! —

"Einundeinehalbe Stunde reiten wir nun von meinem nächsten Nachbar bereits. Aber da unten ist nun auch mein Haus. Es ist freilich keine Burg wie bei Herrn M. Sie werden sich hier bescheiden müssen. Mein Haus ist nur klein, aus Lehm gestampft und mit Gras gedeckt."

"Aber es sieht entzückend aus unter den Akazien und paßt so gut in die Landschaft; es ist einfach romantisch."

"Romantisch? Für einen Besucher mag unser Leben hier romantisch erscheinen. Für uns selbst bedeutet es härtesten Kampf, Anspannen aller Kräfte und zähes Durchhalten. Es kommen Rückschläge, Zeiten der Gefahren, der Verzweiflung und Depression. Wir führen denselben Kampf um unsere Existenz wie die Menschen zu Hause auch, nur daß hier noch verschärfende Umstände hinzukommen. Der nervenzerstörende ständige Ärger mit den unzuverlässigen Schwarzen und das zermürbende Tropenklima."

"Aber als Entschädigung dafür fühlen Sie sich hier als unumschränkte [150] Herrscher, als kleine Könige, die die Enge und die Gebundenheit der Heimat nicht mehr ertragen könnten."

"Das ist so, wenn man erst so weit ist, daß man sorgenlos in die Zukunft sehen kann. Ich habe Gott sei Dank heuer auch meine erste ergiebige Ernte von meiner Kaffeepflanzung."

"Welche Kultur ist denn ertragreicher, Sisal oder Kaffee?"

"Jeder Pflanzer schwört natürlich auf sein Produkt, aber maßgebend zur Wahl derselben ist doch die finanzielle Seite. Eine Kaffeepflanzung kann immerhin mit dreißigtausend Mark angelegt werden, während zur Anlage einer Sisalpflanzung Hunderttausende gehören. Nicht jedermann ist in der Lage, dieses Kapital aufzutreiben. Ich meinesteils bin ganz zufrieden mit meinem Kaffee. Sehen Sie, wie er blüht und Früchte trägt."

Weite Felder mit schnurgeraden Reihen von Kaffeebäumchen lagen vor mir. Mit weißen Blüten waren einige besät, wie mit Schnee bedeckt. Andere trugen grüne oder auch schon rote, reife Kirschen. Man konnte sich eine ungefähre Vorstellung machen, welche Arbeit, Mühe und Plage es kostete, aus dem wilden Busch diese ausgedehnten, mustergültigen Kulturen hervorzubringen.

Wieder ritt ich hinein in den Busch. Hinter mir trottete ein schwarzer Junge mit meinem Köfferchen. Still war die Welt um mich her in der tropischen Nachmittagssonne. Kein Vogel, kein Tierchen ließ sich im Dickicht blicken und selbst die Poribäume schienen in tiefem Schlaf zu liegen, kein Säuseln in ihrem Laub, kein Lispeln. Vor mir am Firmament aber zog es auf wie eine schwarze Mauer, drohend, unheimlich. Der Busch ist tot und langweilig; ich beginne leise zu summen und schließlich schmettere ich das Deutschlandlied hinein in die afrikanische Wildnis. Und dann stieg es wieder auf in meiner Brust, das leise Weh, die Sehnsucht, die mich in letzter Zeit so oft gepackt hatte. Heimat, wie bist du so weit!!

Du neues, großes, heiliges Deutschland, Deutschland des herrlichen Opfermutes und Aufbaues, du Deutschland des grandiosen 12. November. Wie leises Plätschern nur erreichen mich die Wellen all dieser Geschehnisse durch die Entfernung und ich sehne mich doch nach ihrem unmittelbaren Pulsschlag, nach diesen brausenden, rauschenden, mitreißenden Akkorden. Du neues Deutschland, wie bist du so weit?!

Ich komme auf eine Lichtung. Eingeborenenmaisfelder grünen und schwarze Frauen arbeiten. Eine Schar schwarzer kleiner Dickwänste balgt sich am Boden. Ich komme ihnen näher. Da stieben sie kreischend ausein- [151] ander, flüchten über Stock und Stein, überpurzeln sich und heulen auf, während sie sich mit entsetzten Augen umsehen in gräßlicher Angst vor dem weißen Gespenst.

Der Busch hüllt mich neuerdings ein. Es wird schwarz wie anbrechende Nacht, und die Stille wird unheimlich. Plötzlich flammt der Himmel vor mir auf, ein Feuerstrahl zerreißt die dunkle Mauer in zwei Teile und nun brüllt und tobt es. Der Himmel lodert, die Luft erzittert und bebt, und auf die Erde prasselt der Wolkenbruch.

Der leuchtende Schein der Blitze reißt aus der grauen Dämmerung, gespenstisch grell und unwirklich, hier die steile Säule eines Termitenbaues wie einen drohend erhobenen riesigen Zeigefinger, dort die verdrehten Arme eines verkrüppelten Poribaumes, wie ein grauenerregendes Ungeheuer in den Vordergrund. Und nun brennt der ganze Himmel, und inmitten des Feuers sinkt unter Splittern, Donnern und Krachen die Krone eines Baumes zu Boden. Krischan steht steif, mit entsetzten Augen, und mich hat es etwas im Sattel emporgehoben. Es ist die Hölle los! Es ist schauerlich schön, aber es wird ungemütlich. Vor einigen Tagen erst wurde in diesem Gebiet eine Frau vom Blitz erschlagen und jedes Jahr fordert hier der tötende Strahl einige Menschenopfer. Der schwarze Junge geht gebückt, nicht von der Last, sondern vor Angst, neben mir den Weg. Aber er geht freier mit jedem Schritt. Das Gewitter verzieht sich, der Regen läßt nach, es wird etwas heller.

Ich komme auf eine Farm, der adelige Besitzer ist nach Hause gereist, der Assistent lädt mich zum Kaffee ein und zeigt mir dann seine Arbeiten, die er nach der Abreise seines Herrn in Angriff genommen hat, ein halbfertiges Wirtschaftsgebäude und eine Mühle, die er, alles in allem, den Mühlstein miteingeschlossen, selbst erdacht und hergestellt hat.

Ich mußte weiter. Der Assistent ritt mit mir. Die beiden Esel gingen unwillig über eine große halbfertige Brücke, unter der tief unten ein breites Gewässer toste und schwarze Arbeiter hämmerten.

"Die Brücke schafft mir viel Arbeit, aber nun ist sie bald fertig."

"Auch die Brücke noch? Muten Sie sich nicht zuviel zu? Neben der Pflanzung, dem Bau der Wirtschaftsgebäude, der Mühle, auch noch die Brücke."

"Das macht Spaß! Doch zu etwas anderem. Wissen Sie von dem Unglück des Farmers, zu dem Sie jetzt reiten?"

"Ich habe schon etwas gehört, doch erzählen Sie!"

[152] "Alle Kaffeebäume sind ihm erfroren. Auf den Rat anderer Menschen hin und seinem eigenen Glauben nach, daß ein außergewöhnlich kaltes Jahr, das so schnell nicht wiederkehren würde, schuld daran sei, pflanzte er neuerdings seine Bäumchen und sie sind ihm ein zweites Mal erfroren."

"Und nun ist er am Ruin?"

"Es geht der Familie sehr schlecht, sie hat oft kaum das Notwendigste zum Essen. Aber wenn andere am Ruin wären, Herr F. ist es noch nicht. Er hat sich nach diesen zweimaligen Schicksalsschlägen wieder aufgerafft und ohne Mittel noch einmal den Kampf begonnen. Er hat sofort seine gesamten vernichteten Kulturen unter den Pflug genommen und Mais gesät. Wenn das Schicksal ihm nicht noch einen Streich spielt und ihm Heuschrecken schickt, die nicht an Kaffee, wohl aber an Mais herangehen, so kann er sich, da hier zweimalige Ernten möglich sind, vorerst über Wasser halten und nebenbei seine Kaffeepflanzung in frostfreiem Gelände, das er noch zur Verfügung hat, langsam wieder anlegen. Jedenfalls ist er um viele Jahre zurückgeschlagen und zur Zeit geht es ihm sehr schlecht. Und dabei sind sie prächtige Menschen, beide, die Frau ein Kamerad, wie man ihn sich nur wünschen kann. Um etwas Bargeld hereinzubringen, setzte sie sich hin, schaffte Entwürfe für Kronleuchter, Möbel, Spielzeug, Puppenzimmer und -küchen, die sie in ihrer kleinen Schreinerei mit Hilfe eines Schwarzen ausführt und die von den Deutschen gerne gekauft werden. Und zwei reizende Kinder haben sie, Sie werden ja sehen."

Wir saßen um den Abendtisch und ich freute mich über das heitere Wesen der so schwer geprüften Menschen. Sie trugen ihr Schicksal tapfer.

"Es ist nicht üppig, was wir Ihnen vorsetzen können. Mais ist unsere Hauptnahrung, Mais, der auf den eigenen Feldern wächst."

Eine große Schüssel voll von jungen gekochten Kolben kam auf den Tisch. Ich habe Maiskolben, mit Butter bestrichen und mit Salz bestreut, in Amerika zum erstenmal versucht und sie ganz gerne gegessen - aber jeden Tag Maiskolben - tapfere, zähe Menschen.

"Wollen wir heute zur Feier des Tages nicht einmal schwarzen Tee trinken?"

"Bitte nicht meinetwegen!"

Sie trinken sonst also Buschtee. Nach Tisch zog mich Frau F. in eine Ecke.

"Sie wissen um unser Unglück? Aber gerade unsere Not hat uns den Glauben an das Gute im Menschen, den Glauben an den deutschen Menschen wiedergegeben. Es wäre für uns unmöglich gewesen, ganz allein [153] und aus eigener Kraft uns noch einmal emporzuarbeiten. Aber es wurde uns die Hilfe unserer benachbarten Landsleute in einem Maße zuteil, die überwältigend und ergreifend ist. Wir erhielten Pflüge und Ochsen zu unserer Arbeit und sogar die Maissaat von ihnen. Der und jener schickte uns Lebensmittel. Und meine Arbeiten verkaufe ich an Deutsche in der ganzen Umgebung. Ich habe Bestellungen sogar aus Lobito. Alle haben sie nun Bedarf an Möbeln, die sie doch sonst selber machen, an Kronleuchtern, Spielzeugen für die Kinder - sie kennen unsere Not - und deswegen können wir nicht verzagen und werden wir nicht untergehen."

Da wurde es auch in meinem Innern warm. Das versöhnte etwas mit dem sonst im allgemeinen in den Kolonien üblichen Zwiespalt, dem Neid und der Mißgunst. Wenn es darauf ankommt, dann stehen sie doch zusammen in Treue, in Not und in Tod, das bewiesen die Kolonialkriege und beweist mir neuerdings der Fall F. in Angola.

—— Nova Lissaboa! Neu-Lissabon! Ein stolzer Name! Es rührt und regt sich in dem Ort, inmitten Angolas. Seit der Eröffnung der Transkontinentalbahn, von Lobito, der Westküste, durch Angola, Belgischen Kongo und Rhodesien zur Ostküste Afrikas, nahm Neu-Lissabon einen gewaltigen Aufschwung. Daran aber hat Portugal nur ein geringen Teil Verdienst, denn die Bahn ist von einer englischen Gesellschaft erbaut. Ohne Bahn würde heute die Welt von Nova Lissaboa kaum etwas wissen, ja, es würde wahrscheinlich nicht einmal existieren, sondern als Huambo, als Negerdorf, weiter im Busch träumen.

Ich war mit einem Farmer zusammen Gast bei einem deutschen Geschäftsmann. Er kennt das Land von seinen Autofahrten so gut wie seine Heimat.

"Es gibt noch Menschenfresser im Norden des Landes. Ich kenne diese Stämme sogar", so erzählte er.

"Harmlos sind die Neger hier gewiß nicht, das habe auch ich erfahren", so meinte der Pflanzer, Herr v. H. "Auf meinem Landgebiet lebte ein Zauber- und Medizinmann, und unerklärliche Todesfälle häuften sich. Unzweifelhaft Vergiftungsfälle. Meine Arbeiter wurden nervös und ängstlich und sie traten mehrmals an mich heran, bezichtigten den Medizinmann als Täter und baten mich, sie von ihm zu befreien. Nach einem neuerlichen Todesfall sah ich mich dann wirklich gezwungen, ihn aus meinem Gebiet auszuweisen. Aber er wich nur der Gewalt. Vor meinem drohenden Revolver suchte er schließlich das Weite. Alles begann auf- [154] zuatmen, alles schien in schönster Ordnung. Einige Zeit war verstrichen, da verspürte ich eine sonderbare Müdigkeit in meinen Gliedern, sie wollten nicht mehr recht gehorchen. Der sonderbare Anfall ging vorüber; ich dachte an irgendeine Krankheit. Doch nach einigen Tagen stellte sich derselbe Zustand, verstärkt und mit Lähmungserscheinungen wieder ein. Da kam mir plötzlich der Gedanke: Die Rache des Medizinmannes, Vergiftung! Ich frug meinen schwarzen Boy, ob es möglich wäre? Gelassen gab er mir zur Antwort: 'Das kann schon sein.'

'Was kann ich da tun?'

'Ihm zuvorkommen, bevor er dich tötet, ihn unschädlich machen.'

'Auf welche Weise?'

'Zu einem anderen Zauberer gehen.'

'Und das kostet?'

'Einen Ochsen oder zweihundert Angolares.'

Sie haben also feste Tarife. - Wir sind in Afrika, manchmal vergißt man es in seinem Heim. Plötzlich wird es einem wieder unangenehm zum Bewußtsein gebracht."

Warum die Abschweifung jetzt? Ich frage ein bißchen atemlos:

"Na und - - - -"

Er lächelt: "Sie sehen, ich lebe noch. Übrigens, darf ich Sie auf meine Farm einladen?"

"Schön, ja, ich danke!"

Der Wagen sauste auf der schnurgeraden roten Straße, die in wunderschöner Farbenharmonie mit dem satten Grün des Urgrases an ihren Rändern stand, weiter nach dem Osten, tiefer hinein in den afrikanischen Kontinent. Und Land zog vorüber, Hügelland mit lichtem Busch, Meile um Meile, ohne daß auch nur eine Negerhütte zum Vorschein kam.

Abgelegen, einsam liegt die Farm im Busch. Zwei kleine Hündchen begrüßten uns stürmisch bei unserer Ankunft, und die bronzenen Gesichter der Boys strahlten wirkliche Freude aus über die Rückkunft ihres Herrn. Aber auch ein Weißer stand zum Willkommengruß am Hause. Als der etwas schüchterne Mann weggegangen war, erklärte mir Herr H.: "Dieser Deutsche hier hat mit zweihundert Angolares (ca. 24 Mark) angefangen, sich erst ein Schanzihaus (Eingeborenenhütte) gebaut und langsam, Stück für Stück des Bodens gerodet und bebaut. Heute hat er bereits ein nettes Steinhäuschen und einige Tausende von Kaffeebäumchen. Andere Menschen dagegen sind mit fünfzigtausend Mark herausgekommen und mit [155] nichts wieder nach Hause gegangen. Man kann gewiß Pech hier haben, aber im Grunde genommen hängt das Vorwärtskommen eines Menschen doch meist von seiner Tüchtigkeit und Fähigkeit ab, hier sowohl als in der Heimat."

Durch einen Läufer schickte mein Gastgeber meinen Titulo 20 Kilometer weit zu dem nächsten Postenchef zur Unterschrift. Doch der braune Bursche kam wieder mit einem Schreiben des hochwohlgeborenen Herrn Chef, er könnte mir seine Unterschrift und seinen Stempel nicht geben, da ich in Lubito falsche Angaben über meine Route gemacht hätte, durch die ich mich sogar strafbar gemacht hätte. Bumbs!

Ich wußte zwar nicht, inwiefern ich falsche Angaben gemacht hätte, denn ich befand mich in gerader Linie von Lobito nach dem Belgischen Kongo, aber der Herr Postenchef hatte es festgestellt, da muß es schon so sein. Na, dann muß ich eben auf die Ehre verzichten, dann hat zu meinem Leidwesen der portugiesische Staat den ellenlangen Streifen für die Unterschriften umsonst angehängt, mir kann's egal sein.

Herr v. H. hat Sorge durch seine Pflanzung, ein Teil seiner Kaffeebäume ist ihm erfroren und ein anderer Teil ist von der Läusekrankheit befallen. Ein Rundgang durch die Pflanzung zeigte mir die von Reif verbrannten und von Läusen zerfressenen Bäumchen. Etwas abseits im lichten Busch stieg leichter Rauch empor. Vier kleine schwarze Knirpse saßen malerisch um ein Feuer. Ein blutiges Messer hielt einer von ihnen in Händen und ein ganz dürres Tierkörperchen schmorte in der Glut. Bei unserem Näherkommen sprangen die nackten Kleinen auf und schienen Willens, die Flucht zu ergreifen. Wir beruhigten sie durch Zurufe und traten näher. Da hatten die kleinen Übeltäter irgendwo im Dorf einen mageren ausgehungerten Köter geklaut, ihn getötet und saßen nun mit begeisterten Gesichtern um ihren Hundebraten am Feuer. Über ihnen, auf einem hohen Poribaum, schaukelte ganz leise ein zwei Meter langer Baumstamm, ein Bienenkorb oder -kasten, von Negern angebracht, wie man sie überall in Angola irgendwo im Busch hängen sieht.

"Vor ein paar Jahren noch war das Wachs aus diesen ausgehöhlten Stämmen einer der Hauptausfuhrartikel Angolas, den Honig bekam man geschenkt. Ich selber habe in den ersten Jahren meiner Ansiedlung Wachs von den Eingeborenen aufgekauft und Tausende dadurch umgesetzt. Heute sind die Preise für diesen Artikel derart niedrig, daß nichts mehr damit anzufangen ist", sagte der Pflanzer.

Früh geht der Farmer zu Bett. Ich saß noch lange wach in meinem [156] Zimmer. Leise rauschten die Blätter der Mangobäume vor meinem Fenster. Der Vollmond schickte mir einen feinen silbernen Strahl durch eine Ritze des Vorhanges, er zitterte über meine Hand, spielerisch, zärtlich - das sollst du nicht, du lieber Geselle - die Sehnsucht wecken - die Sehnsucht nach der Heimat. Rhythmischer Trommelschlag und Negergesang drang dumpf und stumpf über Busch und Urwald in die Tropennacht. Du alter Zauberer, auch die Neger bestrickst du mit deiner magischen Gewalt. So oft du wiederkehrst im vollen, hellen Schein, huldigen dir die Schwarzen mit Gesang und Tanz die ganze Nacht.

Am nächsten Morgen bestieg ich den Zug zur Weiterfahrt. Langsam fährt er, und auf jeder Station hält er eine halbe Stunde oder noch länger. Das Brennholz für die Lokomotive muß eingenommen werden. Auf hohen Gestellen ist das Scheitholz aufgestapelt und wird von Schwarzen in den Tender geworfen. Und im Wagen sind durch diese Heizungsart die Bänke und das Gepäck von einer dicken Aschenschicht bedeckt. Lebhaft geht es auf manchen Stationen zu. Ankommende Neger werden von ihren wartenden Angehörigen oft mit großem Freudengeheul begrüßt. Die meisten Passagiere sind Neger. Daher ist der Verkehr auf den Stationen echt afrikanisch. Nur wenige Weiße mischen sich mitunter ins Getriebe. Ein Deutscher stieg auf einer der Stationen ein, ein Ingenieur, ich kannte ihn bereits. Vier Wochen war er erst im Lande, da hatte er sich schon die Schlafkrankheit geholt, jene furchtbare Seuche, die ganze Länderstriche Afrikas entvölkert hat.

"Kommen Sie vom Arzt?"

"Ja, eine zweimonatige Spritzkur muß ich durchmachen, jedes Jahr, fünf Jahre lang, dann erst sind die Schlafkrankheitsbazillen wirklich abgetötet."

Das ist ja abscheulich, denke ich, und nun will ich selbst durch ein ganz schlimmes Schlafkrankheitsgebiet im Belgischen Kongo. Außerdem war ich in letzter Zeit immer so sehr müde. Ich werde doch nicht —

"Wie macht sich die Schlafkrankheit im ersten Stadium bemerkbar?"

"Durch leichtes Fieber, durch Schlaflosigkeit und durch Melancholie."

"Wie, durch Schlaflosigkeit?"

"Im ersten Stadium, ja. Wenn der Kranke dann einmal die Neigung hat zu schlafen immerzu, dann ist die Krankheit schon weit vorgeschritten und unheilbar."

Eine Fliege summt im Wagen, sie setzt sich auf das Glas des Fensters. Eifrig zeigt der Ingenieur mit dem Zeigefinger nach ihr.

[157] "Das hier ist eine Schlafkrankheitsfliege, die Überträgerin der schrecklichen Krankheit."

Ich kann sie gut betrachten, sie ist nur wenig größer als unsere gewöhnliche Stubenfliege, etwas länger, aber schlanker, und in der Farbe etwas heller, ins Grau gehend. Der Ingenieur hat sie, als sie in den Wagen fliegen will, voller Wut mit seiner Zeitung niedergeschlagen.

"Ja, Afrika läßt nicht mit sich spaßen! Ich kannte eine deutsche Farmersfamilie, Eltern, zwei Söhne und eine Tochter. Der Vater ist durch einen Hundebiß an Tollwut gestorben, die Tochter an Schwarzwasserfieber, und vor ein paar Wochen wurde einer der Söhne auf der Büffeljagd von einem wütenden Tier getötet. Und das alles ereignete sich innerhalb weniger Monate. Die Mutter und ein Sohn blieben übrig, aber auch letzterer schwebte infolge eines Schlangenbisses bereits einmal in Lebensgefahr. Das ist Afrika!"

"Sind Sie in Ihrem Unmut über Ihr eigenes Unglück nicht doch etwas ungerecht diesem Lande gegenüber? Ist das wirklich gerade Afrika? Ich denke dieses furchtbare Schicksal der Familie ist eine Häufung von Unglücksfällen, wie sie hin und wieder auch zu Hause auftreten. Es gibt doch viele Familien, die schon jahrzehntelang hier sind, in denen sich nichts ereignet hat und die wirklich gesund sind."

"Sie haben recht. In Deutschland gibt es wieder andere Krankheiten und Unfälle, die hier nicht oder kaum vorkommen. Was fordert allein der Verkehr in den Großstädten für Opfer!"

Der Herr stieg aus, allein saß ich in meinem Abteil und blieb es die Nacht durch und bis an die Grenze des Kongo.








Wann kommen die Deutschen endlich wieder?
Eine Reise durch unsere Kolonien in Afrika

Senta Dinglreiter