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Unser Kampf in Polen. Die 
Vorgeschichte - Strategische Einführung - Politische und kriegerische
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Die polnische Wirtschaft

von Leonhard Miksch

Die Eigentümlichkeiten der polnischen Geschichte haben auch der Wirtschaftsstruktur des Landes ihren Stempel aufgedrückt. Gerade in der Periode, in der Industrialisierung und technischer Fortschritt den wirtschaftlichen Faktoren im Völkerleben eine wachsende und früher unbekannte Bedeutung gaben und überall Staatsgebiete sich zu einheitlichen Wirtschaftsgebieten zu entwickeln begannen, existierte kein polnischer Staat. Die Territorien, die nach dem Weltkriege gewaltsam zusammengefügt wurden, waren vorher jahrzehntelang Randgebiete Deutschlands, Österreichs und Rußlands gewesen. Ihre wirtschaftlichen Kräfte waren daher in sehr verschiedenem Maße erschlossen worden und hatten vom Standpunkt des polnischen Siedlungsraumes aus eine zentrifugale Richtung angenommen. Das Verkehrsnetz in den früheren preußischen Landesteilen fügte sich dem deutschen Gesamtnetz ein. Die verhältnismäßig gut entwickelte Landwirtschaft dieser Gebiete war ebenso wie die Spiritusbrennerei, die Zuckerindustrie und Baconerzeugung auf den Absatz in Deutschland angewiesen. In noch höherem Grade galt dasselbe für die ost-oberschlesische Industrie. Für schwerindustrielle Kapazitäten dieses Umfanges bot ein Industriestaat wie Deutschland Raum. In einem Agrarlande wie Polen glichen sie einem Wolkenkratzer in einem Bauerndorf und mußten verkümmern. In den ehemals österreichischen und russischen Gebieten gab es ein ausreichendes Verkehrsnetz überhaupt nicht. Vor allem fehlte es an Verbindungslinien. Die Absatzbeziehungen waren hier viel weniger intensiv als im Westen, aber soweit sie vorhanden waren, wiesen auch sie aus dem neuen Staate hinaus. Die galizische Viehzucht hatte für den Wiener Markt gearbeitet. Rußland hatte überhaupt kaum Bahnen errichtet und bei den wenigen Linien mehr auf strategische als auf wirtschaftliche Bedürfnisse Rücksicht genommen. Die einzelnen Eisenbahnsysteme, die Polen übernahm, waren also gegeneinander gerichtet und bildeten alles andere als eine harmonische Einheit. Die Verkehrsdichte wies abnorme Unterschiede auf. Streckenlänge und Verkehrsintensität waren in Westpolen vier- bis fünfmal so hoch wie in den östlichen Woiwodschaften. Noch größer war der Unterschied bei den Straßen. Auf hundert Quadratkilometer entfielen in Westpolen 34,5, in Galizien 21,1, in Mittelpolen 15,5 und in Ostpolen 5,2 Kilometer befestigte Straßen. Wie weiterhin noch zu zeigen sein wird, beschränkten sich aber die regionalen Verschiedenheiten keineswegs auf den Verkehr. Dem neuen Staatsgebilde fehlte es in jeder Hinsicht an einem natürlichen Mittelpunkt. In dieser Beziehung nahm das Nachkriegspolen nicht nur unter den Erzeugnissen des Versailler Vertrags, sondern unter den modernen Staatenbildungen überhaupt eine einmalige Sonderstellung ein. Die Aufgabe, aus so heterogenen Bestandteilen ein einheitliches Wirtschaftsgebiet zu machen, wäre selbst für einen Nationalstaat außerordentlich schwierig gewesen. Polen war aber zu alledem ein Nationalitätenstaat. Die wirtschaftlichen Kräfte, über die es verfügte, verdankte es zum weitaus größten Teil nicht eigener Arbeit. Die Neigung der Slawen zu einer extremen sozialen Differenzierung, die für die ganze osteuropäische Geschichte kennzeichnend ist, hat sich in der polnischen Geschichte besonders stark auswirken können. Die Bildung einer breiten gewerblichen Mittelschicht ist dadurch sehr verzögert worden und mußte in großen Teilen des Landes erst in den letzten Jahrzehnten nachgeholt werden. Auch diese historisch bedingte Besonderheit des Volkscharakters und des sozialen Aufbaus mußte für die wirtschaftliche Hebung des Landes eine Hemmung bedeuten. Hier beginnt freilich auch die Schuld des polnischen Staates und des Polentums überhaupt. Polen konnte seiner Aufgabe nur gerecht werden, wenn es auf das engste mit dem Deutschtum innerhalb und außerhalb seiner Grenzen zusammenarbeitete. Es ist bekannt, daß das Gegenteil geschah. Statt alle Kräfte auf die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Hebung Mittelpolens, Ostpolens und Galiziens zu verwenden und sich dabei an das deutsche Wirtschaftsgebiet anzulehnen, zu dem der Westen bereits einen natürlichen Übergang bildete, bezog Polen sofort eine Frontstellung gegen Deutschland, die schließlich seinen Untergang herbeigeführt hat.

Die Unterschiede zwischen dem vom deutschen Kulturkreis beeinflußten Westen und den östlichen Gebieten traten selbst für den flüchtigen Besucher deutlich zutage. Der Kohlenverbrauch betrug im Westen das Dreißigfache, der Eisenverbrauch das mehr als Fünffache des Verbrauchs in den östlichen Woiwodschaften. Polen A, wie das westlich des Warschauer Längengrads liegende Gebiet seit einigen Jahren genannt wurde, verbrauchte 93 Prozent der Elektrizität, 80 Prozent des Kunstdüngers, 95 Prozent des Kaffees. Diese Ziffern zeigen zur Genüge, auf was für einem außerordentlich tiefen wirtschaftlichen und kulturellen Stande Polen B und damit der größere Teil des Landes verharrte. Es ist offensichtlich, daß eine natürliche Entwicklung aller Kräfte von dieser Tatsache ausgehen mußte. Das wurde in Polen auch nicht völlig verkannt. Es ist zweifellos manches getan worden, was einen Fortschritt in dieser Richtung bedeutete. Es ist aber ebenso sicher, daß die Bekämpfung des Deutschtums im Inneren und damit des einzigen Elements, das echte wirtschaftliche Leistungen aufzuweisen hatte und weitere für die Zukunft erwarten ließ, die absichtliche Benachteiligung der westlichen Provinzen wegen ihrer deutschen Mehr- und Minderheiten, der überflüssige Ausbau strategischer Positionen gegen Deutschland und die damit zusammenhängenden Umstände Polen gehindert haben, seine Probleme mit der an sich möglichen Schnelligkeit zu lösen.

Infolge der großen regionalen Unterschiede läßt sich ein zuverlässiger Überblick über die ganze polnische Wirtschaft schwer gewinnen. Durchschnittsziffern besagen naturgemäß wenig. Mit einer Gesamtfläche von 389.536 Quadratkilometern und einer Bevölkerung von nicht ganz 35 Millionen stand Polen unter den europäischen Staaten an sechster Stelle. Dabei muß man berücksichtigen, daß Strecken, die einer wirtschaftlichen Hebung überhaupt nicht zugänglich sind, in Polen kaum vorkamen. Die Bevölkerungsdichte lag mit 89 Personen auf dem Quadratkilometer höher als in den meisten Agrarländern. Den Grund dafür bildete aber nicht nur das Vorhandensein größerer Industriegebiete. Wie in den meisten Ländern mit unentwickelter und vor allem verkehrsmäßig wenig erschlossener Wirtschaft bestand in Polen eine ausgesprochene Überbevölkerung auf dem Lande, eine unsichtbare Arbeitslosigkeit, deren Umfang auf mehrere Millionen Köpfe geschätzt worden ist. Besonders in Galizien hatte die Realteilung des Bodens zur Proletarisierung der Landwirtschaft geführt. Auf 100 Hektar kommen dort bis zu 150 in der Landwirtschaft berufstätige Personen, was ungefähr die dreifache Bodenbesetzung gegenüber den Woiwodschaften Posen und Pommerellen ausmacht. Auch im südlichen Kongreßpolen und in den früher russischen Gebieten wurde die Überbevölkerung als ein schwerwiegendes Problem empfunden. Die Agrarreform, die besonders im Osten hätte Raum schaffen können, wurde aus minderheitspolitischen Gründen vorwiegend auf die westlichen Grenzgebiete konzentriert, obwohl hier eine ganz gute Mischung der Betriebsgrößen vorhanden war. Allerdings ist auf dem Gebiete der Melioration, der Flurbereinigung, der Rationalisierung der Landwirtschaft einiges geschehen, von einer Lösung der Frage war man aber noch weit entfernt. Die polnische Landwirtschaft arbeitete verhältnismäßig extensiv. Die Hektarerträge beliefen sich beispielsweise bei Roggen im Durchschnitt der Jahre 1931 bis 1935 auf 11,2 Doppelzentner gegen 17,2 in Deutschland. In den östlichen Woiwodschaften waren sie nur wenig höher als in Südosteuropa. Diese Gebiete waren vor dem Kriege der Konkurrenz des innerrussischen Getreides ausgesetzt und durch die schlechten Verkehrsverhältnisse noch besonders benachteiligt. Auch die industrielle Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse konzentrierte sich vorwiegend auf die früher preußischen Gebiete. Das ehemalige Galizien konnte sich in dieser Hinsicht innerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie weniger entwickeln, da es insbesondere mit der älteren und besser ausgestatteten Zuckerindustrie Böhmens nicht zu konkurrieren vermochte. In den ersten Nachkriegsjahren betrieb Polen seine Industrialisierungspolitik auf Kosten der Landwirtschaft. Nach der Agrarkrise von 1930 ging man allerdings dazu über, durch entsprechende preispolitische Maßnahmen die Kaufkraft der Landwirtschaft zu heben, um für die weitere Förderung der Industrie zunächst einen aufnahmefähigen Binnenmarkt zu schaffen.

Es ist für die polnische Wirtschaft charakteristisch, daß der Außenhandel je Kopf der Bevölkerung niedriger war als in irgendeinem anderen vergleichbaren europäischen Lande. Nur Rußland, Albanien und die Türkei hatten noch niedrigere Kopfquoten. In Polen wurde dieser Umstand vielfach als ein Beweis für die Ausgeglichenheit zwischen Landwirtschaft und Industrie aufgefaßt und als Argument für die auf Stärkung des Binnenmarktes gerichteten Bestrebungen verwendet. Die geringe Intensität des Außenhandels dürfte aber auch mit der unnatürlichen Frontstellung gegen Deutschland im Zusammenhang gestanden haben. Die Schäden eines langen Handelskrieges ließen sich später nicht mehr ausgleichen. Polen war daher auch nicht imstande, den von Deutschland abgetrennten Industriegebieten neue Absatzmärkte zu erschließen. Das beweist die Entwicklung der ostoberschlesischen Industrie. Sowohl der Bergbau wie auch die Hüttenindustrie gingen im Vergleich zur Vorkriegszeit und noch mehr im Vergleich zu der Entwicklung in dem deutsch gebliebenen Teil zurück. Die ostoberschlesische Industrie bildete zusammen mit dem benachbarten Dambrovaer Gebiet und dem 1938 an Polen gekommenen Olsagebiet weitaus die größte industrielle Zusammenballung Polens. Abgesehen von der landwirtschaftlichen Veredlungsindustrie in Westpolen bestand daneben noch die verarbeitende Industrie um Warschau, die Textilindustrie in Lodz, deren Anfänge noch in die Zeit der kongreßpolnischen Autonomie zurückreichen und die einen Ableger in Bialystok erzeugt hat, ferner die durch die Lage der früher ertragreichen, aber wie es scheint bereits stark ausgeschöpften Ölquellen bedingte Erdölindustrie von Boryslav-Drohobycz, Jaslo und Stanislau. In den letzten Jahren hat man in Mittelpolen ein zentrales Industriegebiet, Polen C, zu errichten begonnen. Neben dem durchaus berechtigten Wunsch, auf diese Weise einen Übergang zwischen Ost- und Westpolen zu schaffen und den Menschenreichtum dieser Gegenden einer industriellen Verwendung zuzuführen, spielten dabei auch strategische Gesichtspunkte eine große Rolle. Die Rüstungsindustrie, um die es sich fast ausschließlich handelte, konnte übrigens an die ältere Metallindustrie in der Gegend von Radom anknüpfen und an die Erzlager der Lysa Gora. Obwohl durchaus nicht alles, was geplant wurde, wirklich vollendet worden ist, hat der Ausbau des zentralen Industriegebietes bis Sandomir die Industrialisierung nicht unerheblich gefördert. Die natürlichen Bodenschätze kamen diesen Bestrebungen zugute. Polen verfügte über große Kohlenlager. Der Zink- und Salzbergbau war beträchtlich. Die Eisenerzförderung spielte eine geringere Rolle. 1937 wurden 780.000 Tonnen mit 247.000 Tonnen Eisengehalt produziert. Neben einer Erdölförderung von ungefähr einer halben Million Tonnen wurden 531 Millionen Kubikmeter Erdgas gewonnen. Man darf sich aber von der Bedeutung der polnischen Industrie keine übertriebenen Vorstellungen machen. Die Zementherstellung betrug etwa zehn Prozent der deutschen, die Roheisenherstellung rund fünf Prozent. Die Elektrizitätserzeugung lieferte 3,3 Milliarden Kilowattstunden gegen fast 50 in Deutschland und rund 15 in Italien. Im wesentlichen war also Polen doch ein Agrarstaat, der das den Deutschen vorübergehend entrissene industrielle Erbe nicht voll zu nützen verstand und in Verkennung seiner eigentlichen Aufgaben Riesensummen in Gdingen, in der vorwiegend strategisch gedachten "Kohlenmagistrale", der nord-südlichen Bahnverbindung durch Westpolen und in Rüstungsbetrieben aller Art investierte. Die Versailler Friedensmacher haben mit voller Absicht ihren zweifelhaften Staatsgründungen eine Spitze gegen Deutschland gegeben. Das Wirtschaftsleben Europas hat unter dieser Torheit zwei Jahrzehnte gelitten. Eine politische Neuordnung wird auch in wirtschaftlicher Hinsicht für alle Beteiligten von Vorteil sein.


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