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B. Die polnische Volkstumsfront und der Einsatz der polnischen Presse gegen die deutsche Volksgruppe in Posen und Westpreußen     (Forts.)

II. Der Einsatz der polnischen Presse gegen die deutsche Volksgruppe seit 1918     (Forts.)

d) Die Angriffspunkte     (Forts.)

3. Die deutschen kulturellen Einrichtungen und deutschen Kulturwerte

Weder den kulturellen Bereich noch die Fragen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Absonderung des Deutschtums hat die polnische Presse als unwichtige Nebenkriegsschauplätze angesehen. Sie hat sie nur später in Angriff genommen. Nachdem gegenüber dem deutschen Besitzstand so außerordentliche Erfolge für Polen erzielt worden waren, konnte die Presse ihre freigewordenen Kräfte gegen die kulturellen Einrichtungen der Deutschen wenden. Die Spalten der Zeitungen zeigten in wachsendem Maße neben der niemals vernachlässigten Überwachung des deutschen Besitzes Artikel und Nachrichten über das deutsche Schulwesen, die Kirche u. a. An die Seite der politischen und wirtschaftlichen Entrechtung des Deutschtums trat der Kampf gegen die deutschen Kulturgüter.

Ebenfalls ist das späte Eingreifen der Presse auf dem neuen Felde nicht so zu deuten, daß sie sich bis dahin völlig passiv verhalten hätte. Bei der Beseitigung der Merkmale deutschen Kultureinflusses hat die Presse besonders im Stadium des staatlichen Hoheitswechsels einen entscheidenden Einfluß ausgeübt. In einer Zeit, in der noch um die Befestigung der polnischen Macht gerungen wurde, machte die Presse bereits auf die Ausschaltung deutscher Kulturkräfte aufmerksam. Ihr Blick fiel dabei auf die Kulturinstitute, deren deutsches Wesen im kulturellen Leben am deutlichsten sichtbar war: die Theater. So schreibt der Dzien. Pozn.126 am 15. 3. 1919: Die Stadt Posen müsse den Vertrag mit dem gegenwärtigen Direktor lösen, das Gebäude müsse gründlich renoviert werden, indem man die Aufschriften und Malereien beseitige und sie durch eigene ersetze, um mit Beginn der kommenden Spielzeit, also im Herbst, mit regulären polnischen Vorstellungen beginnen zu können. Gleichzeitig schlägt die Zeitung einen neuen polnischen Theaterdirektor vor, der anschließend in breiter Darstellung seine künftigen Theaterpläne bekannt gibt. Die sich innerhalb des Polentums regenden Stimmen, die zur Mäßigung rieten, weist die Gazeta Narodowa127 zurecht: die Polen sollten sich lieber um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Die Polen seien die Herren im eigenen Lande und könnten das freie Dasein anderer Nationalitäten gestatten, aber sie hätten keine Pflicht, zu deren Gunsten auf etwas zu verzichten. Niemand werde die Deutschen daran hindern, ein Theatergebäude für sich zu errichten, aber niemand werde zulassen, daß im Posener Stadttheater das deutsche Wort erklinge.

Diese rücksichtslose Verkündung des polnischen Herrenstandpunktes deutet darauf hin, daß es der Presse um diese Zeit in erster Linie mehr um die kulturelle Einfluß- und Machtposition geht, daß sie dabei noch nicht direkt auf die Zerstörung des deutschen Kulturlebens zielt. Die [65] Deutschen sollen aus ihren tonangebenden Stellungen verschwinden, also auch aus der kulturellen Zone, und Polen sollen an ihre Stelle treten. Gleichfalls von diesem Willen zeugt ein Artikel des Dziennik Bydgoski,128 in dem gefordert wird, daß bei der Besetzung der Oberleitung der Schulabteilung des Bromberger Magistrats darauf Bedacht genommen werde, "daß die Schulabteilung im polnischen Bromberg nicht zu einer Expositur des deutschen Schulvereins werde". Daneben sollte überhaupt im Bild der Stadt alles ausgelöscht werden, was an die deutsche Oberhoheit erinnerte. Das betraf auch die deutschen Denkmäler. Der Dziennik Bydgoski berichtet in diesem Zusammenhang über die Entfernung der deutschen Embleme von dem Bromberger Gefallenendenkmal:

"So ist geschehen, was die städtischen Behörden schon längst hätten ausführen sollen. Es hat sich wohl eine Anzahl junger Leute gefunden, die diese letzten Spuren des junkerlichen Hochmuts unserer einstigen Bedrücker in dem polnischen Bromberg nicht zu ertragen vermochten."129

Allmählich nahm der Kampf gegen deutsche Kulturwerte festere Formen an. Nach Aufgaben brauchte die Presse wahrlich nicht zu suchen. Vor ihr standen als gewaltige Gebäude deutschen Kulturwillens das deutsche Schulwesen und die deutsche Kirchenorganisation. Ihre Bedeutung ist schon allein daraus ersichtlich, daß die lebende und die kommende Generation der deutschen Volksgruppe ihnen starke geistige und moralische Kräfte verdankte. Beide Institutionen waren in größtem Umfange an der Volksgruppenführung beteiligt. Nicht zuletzt seien sie genannt als Hort des kostbaren Schatzes der deutschen Muttersprache.

Die Machtverlagerung im Volkstumskampf mußte sich auf dem Gebiet des deutschen Schulwesens in einem ganz anderen Umfange auswirken als z. B. innerhalb der Wirtschaft; denn das deutsche Schulwesen war dem Eingriff des polnischen Staates unmittelbar ausgesetzt. Dieser nahm den Kampf in der Weise auf, daß er durch Zerreißen von Schulgemeinden die Aufbringung der erforderlichen Anzahl deutscher Schulkinder für eine Schule mit deutscher Unterrichtssprache unmöglich machte und dies dann zum Anlaß nahm, die Schule zu schließen. Mit solchen Maßnahmen war es den polnischen Behörden ein Leichtes, die Bestimmungen für den Minderheitenschutz zu umgehen. Von anderen Maßnahmen sei hier nur noch die häufige Versetzung deutscher Lehrer an polnische Schulen oder die Kündigung ihrer Stellung hervorgehoben. Näher unterrichtet darüber die erwähnte Schrift von Mornik.130

Gegenüber einer solchen Umstellung konnte die Presse mit ihren Erfahrungen aus der Vorkriegszeit zunächst wenig anfangen. Ihre damaligen Anklagen gegen die deutschen Behörden, die darin gegipfelt hatten, daß [66] polnische Kinder in deutschen Schulen germanisiert würden, konnten mangels jeder tatsächlichen Grundlage nicht ohne weiteres fortgesetzt werden. Daher beschränkte sich die Presse in den ersten Jahren darauf, das Vorgehen der Behörden als rechtmäßig und den schulischen Bedürfnissen des Deutschtums entsprechend hinzustellen. Sie bediente sich dabei folgender Taktik:

Sie behauptete, das deutsche Schulwesen in Polen sei glänzend ausgebaut. Seine Behandlung durch die polnischen Behörden zeuge von einer vorbildlichen Toleranz. Es bestehe in dieser Hinsicht ein vollkommener Gegensatz zu der Lage der in Deutschland lebenden Polen, deren Wünsche nach Schulen mit polnischer Unterrichtssprache nicht berücksichtigt würden. Die Gegenüberstellung des deutschen Schulwesens in Polen und des polnischen im Deutschen Reich ist also der Angelpunkt für die Presse. Perdelwitz nennt es eines der beliebtesten Mittel der polnischen Presse, immer wieder darauf hinzuweisen, welche Zahl von Schulen den deutschen Minderheiten in Polen zur Verfügung stehe und wie gering im Vergleich dazu die Zahl der polnischen Minderheitsschulen in Deutschland sei.131

Im Anschluß an eine polnische Lehrertagung, die Mitte 1927 in Danzig stattfand und über die eingehend in den Zeitungen berichtet wurde, polemisierte die Presse heftig gegen die Schrift des volksdeutschen Schulfachmannes Paul Dobermann über "Die deutsche Schule im ehemals preußischen Teilgebiet Polens". Die Artikel, die teilweise als Serien in der Presse erschienen, machten sich die Gedanken einer Veröffentlichung des ehemaligen Schulrats und Organisators des polnischen Volksschulwesens Johann Suchowiak zu eigen. Einen großen Raum nahmen die Zusammenstellungen aller sogen. "fürsorglichen Maßnahmen" ein, die von polnischer Seite zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Minderheitenvertrag für die Deutschen getroffen worden waren. Gazeta Gdanska132 fügt daran die Bemerkung:

"Wir meinen, daß diese Skizze... ein ausgesprochener Beweis der polnischen Loyalität und Gerechtigkeit gegenüber ihrer deutschen nationalen Minderheit ist. Polen zahlt also den Deutschen nicht mit gleicher Münze... und es wendet menschliche Methoden an, die den früheren und auch zum Teil den heutigen Methoden des preußischen Regimes gegenüber der polnischen Minderheit in Deutschland in keiner Weise ähnlich sind."

Häufig greift die Presse zu einem zahlenmäßigen Vergleich, wie ihn der Kurj. Pozn.133 im Juli 1930 anstellt. Die deutsche Minderheit in Polen mit 1 100 000 Köpfen habe 932 Schulen, die 100 000 Kinder be- [67] suchten, während die polnische Minderheit in Deutschland, die mindestens auf 1 200 000 Personen zu schätzen sei, nur über 73 Schulen verfüge, die nicht ganz 2000 Kinder besuchten. Die Forderungen der Deutschen nach Aufhebung oder Erleichterung der Schulbeschränkungen werden also als unbillig hingestellt. Mehr noch, die Presse behauptet: Die Deutschen möchten ein bevorrechtetes Volk sein. Auf einen Artikel im Posener Tageblatt134 über "Die Lage des deutschen öffentlichen Volksschulwesens in Pommerellen" aus der Feder des genannten Paul Dobermann, entgegnet der Kurj. Pozn.:135

"Herr Dobermann möchte, daß jedes deutsche Kind in Pommerellen nur deutsche Schulen besucht. Einverstanden..., wenn aber die Deutschen in der Diaspora wohnen, wenn die geringe Zahl der Kinder nicht genügt, daß der Staat für sie einen besonderen Lehrer unterhält, so mögen sie doch für sich kein Vorrecht verlangen."

Ebenso weitreichend wie grundsätzlicher Natur war die Frage einer deutschen Kulturautonomie, die u. a. den Einbau deutscher Kontrollorgane in das deutsche Schulwesen vorsah. Sie war Gegenstand verschiedener Besprechungen zwischen Deutschland und Polen gewesen, wobei die Polen die deutschen Vorschläge stets als unannehmbar bezeichnet hatten. In der Schrift von Dobermann waren sie wieder vorgebracht worden. Der Dzien. Pozn.136 antwortet darauf: Für die Privatschulen hätten die Deutschen die Autonomie schon erlangt. Bei den öffentlichen Schulen könne der polnische Staat eine Autonomie nicht einräumen. Der demokratische Grundsatz des Tragens der gemeinsamen Lasten würde dadurch erschüttert werden; eine Kulturautonomie sei unannehmbar und undurchführbar.

Diese unter sachlichen Gründen verborgene Ablehnung kann aber wohl kaum die wahre Meinung des Dzien. Pozn. gewesen sein; denn einige Tage zuvor hatte er eine wesentlich andere Stellung zu diesem Thema eingenommen:137

"Die Deutschen betrachten ihre deutschen Minderheiten in diesen Landesteilen als ihre Vorposten. Die deutschen Minderheiten sollen in diesen Ländern sein:
heute - die Verbreiter der deutschen Kultur und des deutschen Geistes,
später - der deutschen wirtschaftlichen Interessen,
schließlich - des deutschen politischen Einflusses."

Die Kulturautonomie der Deutschen sei das Kennwort für das getarnte Streben der Deutschen nach Errichtung eines "Großdeutschland" in Mitteleuropa.

[68] In diesen Sätzen zeigt sich aber bereits eine andere Art des Vorgehens der Presse gegen das deutsche Schulwesen, nämlich das Bestreben, den deutschen Schulen staatsgefährliche Zwecke anzudichten und sie bei der polnischen Bevölkerung in Verruf zu bringen. Durch diesen Vorwand sollten die Handlungen des Staates gedeckt werden. Im Mittelpunkt der Pressekampagne stand die deutsche Lehrerschaft. In ihr verkörperte sich ja auch die wichtigste Stütze des deutschen Schulwesens, das mit der Haltung seiner Lehrer und ihrer unverrückt nationalen Gesinnung stand und fiel.

Umgekehrt mußte aber gerade ein so hingebend tätiges Bekenntnis für das Deutschtum die polnische Presse auf den Plan rufen. Es war ihr nicht schwer, Verdächtigungen gegen diejenigen deutschen Lehrer zu finden, die noch von der preußischen Verwaltung übernommen worden waren. Ihnen wurde der Vorwurf eines "alldeutschen Geistes" gemacht und von ihnen aus diese Bezichtigung auf die ganze deutsche Lehrerschaft ausgedehnt. Der Dzien. Pozn.138 berichtete in diesem Sinne von einer Versammlung der deutschen Lehrer, die am 29. 12. 1920 in Posen stattgefunden hatte. "Die Vorkämpfer der germanischen Idee," heißt es dort, "legten offen das Bekenntnis ab, daß sie nur der moralische Zwang, d. h. das Wohl der deutschen Kinder bewogen habe, ein so schweres Opfer, wie die Ablegung des Staatseides, zu bringen." Diese Behauptung, schreibt die Zeitung weiter, beweise nur zu sehr den feindseligen Geist, von dem sich die deutsche Lehrerschaft leiten lasse.

Bei dieser allgemein gehaltenen Feststellung bleibt aber die Presse nicht stehen. Die Einführung der deutschen Schulkinder in das deutsche Kulturgut, eine Arbeit, die doch nur der natürlichen Bestimmung der deutschen Schule entspricht, deutet die Presse als eine "polenfeindliche Aktion" um, die auf dem völligen Ignorieren alles Polnischen beruhe. Polnische Sprache und Literaturunterricht wird nach Ansicht der Presse der deutschen Jugend nur erteilt, wenn es die polnischen Behörden fordern. Die Presse hält das für ein Vergehen gegen den Geist der Loyalität, denn ihrer Anschauung nach besteht "die loyale Pflicht der in den Grenzen des polnischen Staates lebenden Angehörigen fremden Volkstums" darin, "im Polentum aufzugehen".139

Neben den moralischen Beschwörungen der Presse an die Adresse der Deutschen kannte der Volkstumskampf die Methode des unmittelbaren Druckes auf die Eltern schulpflichtiger Kinder. Diese wurden durch die polnischen Behörden oder durch die verschiedenen polnischen Verbände - an ihrer Spitze der Westverband - aufgefordert, ihre Kinder in polnischen Schulen anzumelden. Weigerten sie sich, dies zu tun, so wurden denen unter ihnen, die bei einer Behörde oder einer polnischen Firma im Arbeitsverhältnis standen, die Stellung gekündigt und sie der Arbeits- [69] losigkeit preisgegeben. Die Vermittlung eines neuen Arbeitsplatzes kam aber nur in Betracht, wenn sie sich doch zu einer polnischen Beschulung ihrer Kinder entschlossen. So wurde der Kampf um die Erziehung des deutschen Kindes und damit um die deutsche Schule oft genug auf dem Arbeitsamt entschieden.

Die polnische Presse bemühte sich, diese offenkundigen Polonisierungsversuche im Schulwesen nach Möglichkeit zu decken. Sie griff dabei nach der gleichen Methode, das eigene polnische Tun den Deutschen anzudichten, die schon wiederholt festzustellen war. So schreibt der Dziennik Poranny:140

"...denn die deutschen wirtschaftlichen Organisationen üben oft auf das polnische Element, das wirtschaftlich von ihnen abhängig ist, einen Druck aus, indem sie polnische Kinder dazu zwingen, eine deutsche Schule zu besuchen. Ohne diesen Druck der deutschen Kreise würden die Zahlen der deutschen Schulkinder... noch niedriger sein."

Weit mehr im Vordergrund stehen aber die Anklagen und Verdächtigungen, die in den deutschen Schulen die Zellen einer vom Deutschen Reich aus geleiteten antipolnischen Arbeit sehen wollen. Der Ansatz dafür ist die Fragestellung: Wer gibt das Geld für die deutschen Schulen? Der Kurj. Pozn.141 antwortet mit dem Hinweis auf die "fördernden Organisationen in der Fremde". Er erweitert seine bisherigen Aufklärungsversuche um einige Angaben, die er der deutschen Zeitschrift Ostland entnommen hat, in denen von verbandsmäßigen deutschen Schulpatenschaften die Rede ist. Obgleich hierdurch die Frage nach dem Geld geklärt erscheint, verschwindet sie damit noch nicht aus den Spalten der polnischen Presse. Ausgerechnet der Kurj. Pozn.142 wiederholt sie bei dem Bau des deutschen Gymnasiums in Graudenz, dessen Bauherr der "Deutsche Schulverein" ist. Die Zeitung schreibt, daß es ein "Geheimnis" sei, woher der Schulverein die Mittel schöpfe. "Es fällt auch auf, daß der Schulverein ganz im Stillen und geräuschlos zur Ausführung eines so beachtlichen Werkes herangeht, über das sich auch die deutsche Presse ausschweigt." Kurze Zeit darauf übernimmt fast die ganze polnische Presse einen Artikel der in Deutschland erscheinenden pazifistischen Zeitschrift Das andere Deutschland, in dem Angaben über das deutsche Schulwesen in Polen gemacht werden.143 Es wird darin ausgeführt, daß in den Oberklassen der deutschen Schulen Organisationen beständen, die sich die Wiederherstellung der Monarchie in Deutschland zum Ziel gesetzt hätten. Zum Inspirator dieser Strömungen wird der Bromberger Oberstudienrat Dr. Schönbeck gestempelt, der zudem, um eine einheitliche nationale Gesinnung unter seiner Lehrerschaft zu erhalten, besondere schwarze Listen [70] geschaffen habe, auf Grund deren er unzuverlässige Lehrer von ihren Posten entferne. Im übrigen habe sich Schönbeck ins Ausland begeben.

Die große Aufmachung dieses Artikels in der polnischen Presse deutet darauf hin, daß damit die Kampagne ihren Höhepunkt erreicht hatte und man sich als Folge einen besonders scharfen Zugriff der polnischen Behörden gegen das deutsche Schulwesen versprach. "Wenig später aber mußte der Kurj. Pozn.144 die Nachricht bringen, daß Dr. Schönbeck seine Arbeit in Bromberg wieder aufgenommen hatte. Mehr noch, er habe in einer Ansprache vor dem Deutschen Schulverein die "Hilfe der Deutschen aus dem Mutterlande" für das deutsche Schulwesen in Polen erwähnt. Das Blatt entrüstet sich zwar sehr über diese Erklärung und meint, daß also alle Enthüllungen über die großen Beihilfen aus dem Reich wahr gewesen seien, es verlangt "kategorisch nähere Aufklärung in der Angelegenheit des Herrn Schönbeck", - aber dies alles kann nicht mehr darüber hinwegtäuschen, daß die klare deutsche Stellungnahme die ganze Aktion durchkreuzt hatte.

Es war weder der einzige noch der letzte Versuch der Presse, der deutschen Schule auf diese Art beizukommen. Die Presse rechnete mit dem kurzen Gedächtnis der Leserschaft, sodaß sie, sobald eine Verleumdung von der deutschen Volksgruppe aus dem Wege geräumt war, die alte Behauptung neu hergerichtet nicht lange danach wieder ins Treffen führte.

Die besondere Aufmerksamkeit der Presse bekamen die deutschen Wanderlehrer zu spüren. Das Wesen ihres Berufes, der sie zu einem ständigen Wechsel ihrer Arbeitsstelle anhält, legte es polnischen Kreisen nahe, sie mit einer Spionagetätigkeit für Deutschland in Verbindung zu bringen. Die Presse nahm sich daher mit Eifer aller Fälle an, in denen deutsche Wanderlehrer aus diesen oder ähnlichen Gründen verhaftet worden waren. Sie verstand, den Polen einen Zusammenhang zwischen der Reisetätigkeit der Lehrer und unbestimmten Spionage-Indizien dahingehend klar zu machen, daß der Beruf des Wanderlehrers nur als Tarnung für geheimnisvolle Aufträge reichsdeutscher Stellen erschien. Der Dzien. Pozn.145 berichtet z. B. von der Verhaftung des deutschen Wanderlehrers Emil Neumann, der unter dieser Eigenschaft Spionage für Deutschland getrieben hätte. Bezeichnend ist, wie die weitere Schilderung es vermeidet, den N. nach Arbeit und Kenntnissen in den Beruf eines Wanderlehrers einzuordnen, sondern darauf hinausgeht, ein unbestimmtes Zwielicht um ihn zu schaffen. N. hätte hinreichende Kenntnisse der wirtschaftlichen Lage, der konfessionellen Verhältnisse usw. Er hätte interessante Instruktionen mit Bezug auf die Umschulung der Kinder gehabt, um die Mindestzahl von Schulkindern zur Erhaltung der Minderheitsschulen zu [71] erzielen. Über die Wanderlehrer insgesamt wird anschließend u. a. ausgeführt, daß zu ihrer Unterstützung ein ganzes Netz von verschiedenen Nachrichtenagenturen, Vertrauensmännern in den Dörfern usw. bestehe.

Mit diesen Mitteln machte die Presse aus einigen beschlagnahmten harmlosen Aufzeichnungen, Amateuraufnahmen und dergl. gewichtige Spionagefälle, besser gesagt: sie weckte auf diese Weise für die handelnde polnische Polizei die nötige öffentliche Resonanz, - die schließlich alles behördliche Tun deckte.

Wenn die polnische Presse auch stets bei der Behauptung blieb, daß das deutsche Schulwesen mit der "sprichwörtlichen polnischen Toleranz" behandelt werde, so mußte sie andererseits doch einen Rückgang darin zugeben. Allerdings hatte sie dafür ganz andere, nur nicht die wahren Gründe zur Hand. Im Jahre 1922 schrieb der Dzien. Pozn.:146 Die Mehrheit der deutschen Lehrer wolle sich nicht an den neuen politischen Organismus anpassen. Es sei also keineswegs die Schuld der polnischen Schulleitung, wenn ein gewisser Teil der Dienststellen in den deutschen Schulen ohne Lehrer geblieben sei. Suchte die Presse für die Behinderung im Unterricht die deutschen Lehrer selbst verantwortlich zu machen, so gab sie für den Rückgang der Zahl der deutschen Schulen den durch die deutsche Abwanderung geschaffenen Verhältnissen die Schuld. Wenn in Polen in letzter Zeit eine Anzahl deutscher Schulen geschlossen worden sei, schrieb der Kurj. Pozn.,147 so sei dies deshalb geschehen, "weil die Zahl dieser Schulen im Verhältnis zu dem Hundertsatz der deutschen Bevölkerung zu groß war". Es galt als "eine normale evolutionäre Folge der Verhältnisse im Lande, nicht aber, wie es mit dem Schulwesen in Preußen geschieht, als eine Folge politischer Gewalttaten".148 Daß dabei die Dinge in doppelter Hinsicht - für die Volkstumspolitik sowohl Deutschlands wie Polens - auf den Kopf gestellt werden, stört die Presse nicht. Entscheidend ist für sie, daß dem volkspolitischen Ergebnis ein - wenn auch oft sehr dürftiges - Mäntelchen der Rechtfertigung umgehangen wird.

Auf der gleichen volkspolitischen Ebene behandelte die Presse die kirchlichen Fragen der deutschen Volksgruppe. Nicht nach religiös- konfessionellen oder spezifisch kirchlichen Gesichtspunkten richtete die Presse ihren Einsatz aus, sondern allein nach dem Maßstab, welchen Wert die kirchlichen Einrichtungen für die nationale Existenz der deutschen Volksgruppe bildeten.

Zuvor ein kurzer Blick auf die kirchlichen Verhältnisse des Deutschtums in Posen und Westpreußen. Das kirchliche Leben der Deutschen gliedert sich in das evangelische und römisch-katholische Bekenntnis. Die evangelischen Gemeinden waren zur Zeit des staatlichen Hoheitswechsels an die Preußische Landeskirche angeschlossen. Ihr gehört der Großteil [72] des deutschen Volkstums an. Daneben besteht eine starke katholische Gruppe, die ungefähr 1/6 des Deutschtums umfaßt.

"Polen verlangte 1920 die vollständige Loslösung der uniierten Gemeinden von der deutschen Mutterkirche in geistiger wie wirtschaftlicher Beziehung."149 Damit ist einer der Kardinalpunkte zur Entdeutschung der evangelisch-uniierten Kirche genannt. Durch eine Verfügung des polnischen Staates vom 3. Juli 1920 wurde diese Forderung in die Tat umgesetzt. Dabei blieb es aber nicht. Vielmehr wurden rigorose Maßnahmen angewandt, das kirchliche Leben in seinem Kern zu treffen. Kirchliches Eigentum wurde beschlagnahmt, zahlreiche kirchliche Institutionen aufgelöst, Veranstaltungen verboten u. a. m. Alle Bemühungen der Kirchenleitung, den deutschen Charakter der Kirche zu bewahren, hatten nur eine allgemeine Terrorisierung der deutschen Geistlichen zur Folge.

In der gleichen Weise wurde auch gegen die deutschen Katholiken vorgegangen. Es ist schon im ersten Teil der Arbeit darauf hingewiesen worden, daß die Formel polnisch gleich katholisch heute wie früher ihre Gültigkeit hat. Das Vorhandensein deutscher Katholiken ist daher stets von dem polnischen Chauvinismus als überaus lästig empfunden worden, was seinen Ausdruck auch in einer besonders scharfen Gegenpropaganda fand. Fügt man hinzu, welche Führerstellung der polnische Klerus in der polnischen Volkstumsfront einnimmt, so ergibt sich ein Bild der schweren Lage der deutschen Katholiken. Es erübrigt sich fast festzustellen, daß sie unter den gleichen Beschränkungen und Eingriffen in ihr kirchliches Leben zu leiden hatten wie die evangelischen Deutschen.

Die Presse leistet den Unterdrückungsmaßnahmen in allen Fällen eifrig Hilfestellung. Ob evangelisch oder katholisch ist für sie in gar keiner Weise bestimmend. Beide Bekenntnisse werden mit der gleichen Heftigkeit und nach den gleichen Methoden angegriffen. Sie arbeitet fast nach demselben System wie gegen das deutsche Schulwesen. Sie wendet sich einmal gegen den deutschen Einfluß auf kirchlichem Gebiet überhaupt und zum andern betreibt sie eine üble Verfolgung der deutschen Geistlichen. Wieder unterschiebt die Presse ihren Opfern Absichten, die in ihrem eigenen Lager als selbstverständlich gelten und praktisch täglich durchgeführt werden. Auf polnischer Seite strebt man offen oder versteckt nach der Polonisierung der Kirchen - unverzüglich bezichtigt die Presse die deutsche Geistlichkeit "germanisatorischer Absichten". Daß die Presse hier unmittelbar an die Tradition der Vorkriegszeit anknüpfen konnte, kam ihrem Auftreten durch festgeprägte Arbeitsformen sowie durch eine wesentliche Hellhörigkeit der polnischen Bevölkerung zugute. Ein treffendes Beispiel dafür gibt eine Mitteilung der Gazeta Gdanska150 vom 2. 9. 1919, die sich für die Belebung der Erinnerungen an die Vergangenheit von einem polnischen "älteren Geistlichen" folgendes schreiben läßt: [73] "Geistliche Germanisatoren betrieben ihr scheußliches Handwerk und vernichteten in den Herzen ihrer Schäflein die teuersten Schätze des Glaubens". Die Pelpliner bischöfliche Behörde habe stets nach Berlin und Danzig mehr geschaut als nach Gott und Rom. In Westpreußen sei in der Kirche stets politisiert worden. Man habe ein preußisches Regime gehabt, kein katholisches und habe es noch.

An dieser Einstellung gegenüber deutschen Geistlichen hielt die Presse fest, wobei, wie schon festgestellt wurde, die Konfession unwesentlich blieb. Eine Pressestimme aus dem Jahre 1925, die sich gegen evangelische Geistliche erhebt, soll ein Licht darauf werfen und zugleich zeigen, in welchem Maße das Wirken deutscher Geistlicher der Beobachtung durch die Presse unterlag. Die Mitarbeit an Aufgaben, die mit seelsorgerischen Pflichten zusammenfallen, wird den Geistlichen als Betätigung im Sinne der deutschen Volkstumsarbeit und damit als Zeugnis des Willens, die Kirchen in den Dienst politischer Bestrebungen zu stellen, ausgelegt. Der Angriff richtet sich gegen die deutschen Pastoren Lorenz Berthau in Wollstein und Hermann Löffler in Rackwitz. Beide sind Reichsdeutsche und durch die polnischen Behörden als lästige Ausländer ausgewiesen worden. "Berthau ist," so schreibt der Kurj. Pozn.,151 "trotz seines französischen Namens Preuße und ein erbitterter Feind alles Polnischen. Er verhielt sich herausfordernd, war der Organisator und die Seele aller deutschen Organisationen und stand an der Spitze des Jungfrauenvereins, während seine Ehefrau in der Frauenhilfe den Vorsitz führte. Anstatt Gottes Liebe predigte er Haß und mißbrauchte die Kanzel zu politischen Zwecken. Den polnischen Behörden gegenüber benahm er sich geradezu frech, indem er es z. B. ablehnte, dem Starostenamt eine Nachweisung seiner evangelischen Parochianen vorzulegen". Er habe sich so betragen, um als aus Polen ausgewiesenes "Opfer" eine entsprechend gute Stelle im "Vaterlande" zu erhalten. Gegen Pastor Löffler wird dieselbe Liste von Anschuldigungen vorgelegt und schließlich zusammenfassend der Ausweisungsbefehl damit begründet, daß beide Pastoren ihr Kirchenamt zu politischen Zwecken mißbraucht und die polnischen Staatsbürger deutscher Zunge zur Illoyalität gegen den polnischen Staat angesport hätten und daher als "lästige Ausländer" ausgewiesen werden mußten. Den Gipfel der Heuchelei erklimmt aber der Kurj. Pozn. mit einer abschließenden Bemerkung, die den Gedanken der staatlichen Fürsorge unterstreicht, als ob dieser der alleinige Antrieb für die rücksichtslosen Maßnahmen gewesen wäre: Im Kreise Wollstein gäbe es noch mehrere andere Pastoren, und die Behörden hätten alle Schritte unternommen, "um der Bevölkerung evangelischen Bekenntnisses die ihr zustehende Seelsorge sicherzustellen". Der wahre Grund war von "staatlicher Fürsorge" weit entfernt. Die Ausweisung deutscher Pastoren war bei dem Mangel an Nachwuchs deutscher Theologen darauf berechnet, die deutschen Gemeinden ihrer geistlichen [74] Führung zu berauben,152 eine Zielsetzung, die auch dem Kurj. Pozn. bekannt sein mußte. Für das Deutschtum war es dabei gleich, ob das Schicksal Geistliche mit reichsdeutscher oder polnischer Staatszugehörigkeit traf.

Welche Entrüstung aber zeigt die Presse, wenn einmal auf die schweren Übergriffe polnisch-katholischer Geistlicher zum Zwecke einer Polonisierung der ihnen anvertrauten deutschen Katholiken aufmerksam gemacht wird. Auf die Feststellungen der Zeitung Der Deutsche, die katholische Kirche sei nationalistisch und mißbrauche ihre Macht dazu, die katholischen Minderheiten zu vergewaltigen und zu entnationalisieren, empört sich der Dzien. Pozn.153 "Eine unerhörte Verleumdung! Ist es doch bekannt, daß die polnische Geistlichkeit mit demselben Eifer den polnischen wie den deutschen Katholiken dient."

Trotzdem die Trennung der evangelisch-uniierten Kirche von der deutschen Zentralkirche mit der einseitigen Verfügung der polnischen Regierung Tatsache geworden war, ließ die Leitung des abgesplitterten Kirchenteiles nichts unversucht, um Verständnis für das ihr zustehende Recht zu gewinnen. Auf einer Tagung der evangelischen Kirchen in Upsala im Jahre 1921, auf der auch Polen vertreten war, betonte der Posener Generalsuperintendent Blau für die evangelisch-uniierte Kirche des ehemals preußischen Gebietes die Notwendigkeit des völligen geistigen Zusammenschlusses mit der protestantischen Mutterbehörde in Deutschland und mit der Generalsynode in Berlin. Dieses mutige Auftreten ruft unverzüglich die polnische Presse auf den Plan. Der Kurj. Pozn.154 nennt es eine unerhörte Stellungnahme. Seiner Meinung nach handelt es sich allein um die Aufrechterhaltung der Verbindung mit Berlin. Die Interessen der Kirche seien dafür ein Vorwand. Die aufgestellten Forderungen aber seien wieder ein charakteristisches Zeichen der angeblichen "deutschen Loyalität".

Wie die Knebelung der kirchlichen Unabhängigkeit hält die Presse auch die Beschränkungen des deutschen Gottesdienstes für gerechtfertigt. Hier deckt die Presse ein Vorgehen der amtlichen polnischen Stellen, das sich nunmehr sogar gegen den Gebrauch der deutschen Muttersprache im gemeinsamen Gebet richtet. Die Klagen gegen die Einführung des polnischen Gottesdienstes in der Jesuitenkirche in Bromberg fertigt der Dzien. Pozn.155 mit der Erklärung ab, daß sich die konfessionelle und nationale Struktur in Bromberg gründlich verändert habe und infolge des Kirchenmangels eine Vermehrung der gottesdienstlichen Handlungen für die polnischen Katholiken notwendig geworden sei.

Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß die Presse sich auch nicht gescheut hat, die deutsche Geistlichkeit einer geheimen Verbindung zu [75] reichsdeutschen Stellen zu verdächtigen. Es ist bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen worden (S. 57), wie die Presse das Gerücht von einer angeblichen Zusammenarbeit der deutschen Geistlichen mit den deutschen Konsulaten verbreitete. Bei Betrachtungen über die seelsorgerische Tätigkeit der Geistlichen greift es die Presse ebenfalls auf. Die deutschen Pastoren erhielten geheime Weisungen, schreibt das Słowo Pomorskie,156 nach denen sie vor allem die ländliche Bevölkerung zu Unterhaltungen an sich locken sollten, um das Deutschtum betreffende Fragen zu besprechen und auf diese Weise nicht nur der Entnationalisierung entgegenzuwirken, sondern auch zur Förderung der deutschen Kultur unter der polnischen Bevölkerung anzuregen. Der deutsche Konsul in Thorn gehe in dieser Kulturarbeit mit gutem Beispiel voran. Die Vorträge, die er halte, seien zwar belehrenden Inhalts, hätten aber durchsichtige Ziele.

In das Kapitel des Presseeinsatzes gegen das deutsche Kulturleben gehört auch das Thema "deutsche Presse", und zwar ist darunter nicht nur die volksdeutsche Presse in Posen und Westpreußen gefaßt, sondern auch die in diesen Gebieten sehr stark gelesene reichsdeutsche Presse.

Es ist nicht verwunderlich, daß die polnische Presse auf diesem Felde eine Leidenschaft bewies, die oft jedes Maß verlor; wurden doch hier ihre ureigensten Interessen berührt. Daß ein Gefühl fachlicher Kollegialität nicht aufkommen konnte, ist durch die Kluft des nationalen Gegensatzes, der in der Presse zum gesteigerten Ausdruck kam, hinreichend begründet. Wie weit rein geschäftliche Erwägungen bei einzelnen Angriffsserien eine Rolle gespielt haben, läßt sich nicht darstellen und ist für die vorliegende Untersuchung auch ohne wesentliche Bedeutung.

Der Schlachtruf, mit dem die polnische Presse gegen die reichsdeutschen Zeitungen zu Felde zog, lautete: "Überflutung Polens durch die reichsdeutsche Presse". "Polenfeindliche Propaganda in den Straßen Posens", schrieben die polnischen Zeitungen. Vor allen anderen reichsdeutschen Zeitungen und Zeitschriften war in erster Linie damit die Berliner Illustrierte Zeitung, die mit einem Ostpreußenroman eine Zeitlang in Polen großes Aufsehen erregte, gemeint. Die polnischen Blätter polemisierten heftig gegen den Vertrieb der Zeitungen, verlangten die Entziehung des Postdebits oder überhaupt, wie im Falle der Berliner Illustrierten ein glattes Verbot. Den Artikeln und Nachrichten in reichsdeutschen Zeitungen über die Lage des Deutschtums in Polen setzten sie zumeist ein Dementi entgegen oder brachten als Erwiderung die Gegenüberstellung der "toleranten polnischen" und der "gewalttätigen deutschen" Volksgruppenpolitik.

War ihre Tonart bei dieser Gegnerschaft schon nicht mehr sachlich zu nennen, so verzichtete die Presse im Angesicht der publizistischen Vertretung der deutschen Volksgruppe von vornherein auf jeden Anspruch von Objektivität. Die deutschen Organe wurden bei Vertretung der [76] deutschen Sache eines "unerhört provokatorischen Tones"157 beschuldigt. Je nach der kämpferischen Haltung wurden die einzelnen deutschen Zeitungen als "loyal" oder "illoyal" beurteilt. Die Polemik, die die polnische Presse in der Sache des "Offenen Briefes" mit den beiden führenden Posener deutschen Organen, Posener Tageblatt und Posener Neueste Nachrichten anstellte, gibt ein gutes Beispiel dafür. Das letztere Blatt erhielt für seine zustimmende Erklärung eine gute Note. Es sei eine verständige Antwort, schreibt der Kurj. Pozn.158 Der Dzien. Pozn.159 vertritt die gleiche Anschauung. Ganz anders aber ist die Beurteilung des Posener Tageblatts, dessen Antwort auf den "Offenen Brief" eine sachliche, aber feste Zurückweisung enthielt. Der Kurj. Pozn. nennt sie "ein typisches Beispiel des kreuzritterlichen Hochmuts und Hasses gegen die Polen - eines Hasses, der selbst im Angesicht der Majestät des Todes mit zynischer Provokation auftritt," während der Dzien. Pozn. es bei der Kennzeichnung "hakatistisch" bewenden läßt.

Von den in Westpreußen erscheinenden deutschen Zeitungen zog die Pucker Zeitung in Putzig die besondere Aufmerksamkeit der polnischen Presse auf sich. Das Blatt wurde auch in Kreisen der Kaschuben gern gelesen, ein Umstand, der den Polen im Lichte ihrer ethnographischen Ansprüche auf diesen Volksstamm als besonders gefährlich erschien. Die Tätigkeit der Zeitung, ihr Umfang, ihre Verbreitung, ihr Redaktionsstab u. a. m. wurden von der polnischen Presse beobachtet und auch kleine Veränderungen der Öffentlichkeit mitgeteilt. Vor allem aber wurde die positive Aufbauarbeit der Zeitung an dem deutschen Volkstum in seinen Absichten umgedeutet. Die umstürzlerische Arbeit der Pucker Zeitung, läßt sich das Słowo Pomorskie160 vernehmen, beginne den Geist der hiesigen Bevölkerung, der die deutsche Tünche abstreife, zu verzerren, indem sie ihn an den Fundamenten unterminiere. Die Wahrheit war gerade umgekehrt. Die polnische Presse wünschte vielmehr für die ungestörte Polonisierung der Bevölkerung die unbequeme Wachsamkeit der deutschen Zeitung loszuwerden und erhoffte auf Grund ihres Auftretens gegen die Zeitung ein Eingreifen der Behörden.

Die Wachsamkeit und der nationale Kämpfergeist der volksdeutschen Zeitungen waren es, die die polnische Presse zu immer neuen Attacken veranlaßten. Ganze Serien von Beschimpfungen hagelten auf diese deutschen Blätter herab, jede nur mögliche Verletzung journalistischer Pflichten wurde von ihnen behauptet, Charakterlosigkeit und Lügenhaftigkeit ihnen unzählige Male vorgeworfen, und schließlich landete die polnische Presse wieder bei dem immer gleichen Schluß: die deutschen Zeitungen stehen im Dienste der Politik Deutschlands. Sie könnten sich allein nicht halten und würden daher aus Deutschland gestützt, "besonders dort, wohin die [77] deutschen Vergeltungswünsche nicht aufgehört haben sich hinzurichten".161 Die nationale Haltung der Zeitungen äußere sich in einem passiven Widerstand gegen den polnischen Staat, dies aber finde die vollste Anerkennung durch das Deutsche Reich, schreibt das Słowo Pomorskie,162 das durch seine Agenten darüber wache, daß die Fühlung mit der deutschen Volksgruppe bewahrt und die deutschen Expansionsbestrebungen nach dem Osten ungeschwächt erhalten blieben. Offenbar meint die polnische Zeitung, daß nur die deutschbewußten Organe der Volksgruppe von Berlin aus geleitet würden. Denn es gäbe auch eine Gruppe "loyal gesinnter Deutscher", die sich durch andere deutsche Zeitungen vertreten ließen, denen dafür von Deutschland jegliche Subventionen und jegliches Nachrichtenmaterial gesperrt würden. Der überaus aufschlußreiche Artikel des Słowo Pomorskie enthält im weiteren Verlauf den Vorschlag, eine "versöhnliche" deutsche Presse zu schaffen, die die "loyalen Deutschen" stärken und ihre Zahl vermehren würde. Der Plan enthüllt sich auf den ersten Blick als ein Versuch, die deutsche Volksgruppe zu sprengen, bei dem deutsche Elemente das Mittel zum Zweck sein sollten. Er hätte die Mobilisierung von publizistischen Kräften unter deutschem Namen gegen die kämpferische volksdeutsche Presse und damit gegen die Volksgruppe selbst gebracht. Jedoch ist der Plan im Laufe der Auseinandersetzung zur Erfolglosigkeit verurteilt gewesen.

Am Rande dieser zentralen Gebiete des kulturellen Lebens der Deutschen griff die polnische Presse zahlreiche andere deutsche Kulturwerte an; darunter den öffentlichen Gebrauch der deutschen Sprache. Die Stimmung des Polentums kam der Presse dazu lebhaft entgegen. Es darf daran erinnert werden, daß in dem ersten Jahrzehnt nach dem Weltkriege in deutscher Sprache geführte Unterhaltungen in den Straßen oder Lokalen westpolnischer Städte nicht selten auf den Protest polnischer Bürger stießen. Die Presse nahm sich des Themas an und bemühte sich, die sprachliche Unduldsamkeit in der polnischen Bevölkerung zu steigern oder aufrecht zu erhalten. Da ein Hinweis auf eine Verfolgung der polnischen Sprache unter der einstigen preußischen Verwaltung nicht möglich war - der Gebrauch der polnischen Sprache im Alltag hatte zu dieser Zeit nie einer Beschränkung unterlegen - so zog die Presse die angebliche Unterdrückung der polnischen Muttersprache bei den Polen in Deutschland heran. Der in Posen erscheinende Postęp163 gibt im Jahre 1921 die Schilderung einer Polin wieder, die sich darüber entrüstet, daß eine deutsche Lehrerin mit deutschen Kindern im Posener Botanischen Garten "laute deutsche Gesänge aufführe". Der Postęp fügt hinzu, daß die Erbitterung der in Deutschland noch verfolgten und nach Polen heimkehrenden Polen so gestiegen sei, daß sie nicht noch mehr gereizt werden dürften. "Mögen die Deutschen bei uns damit rechnen und mögen sie nicht den [78] Teufel an die Wand malen," schließt der Kommentar, der nicht den allgemein gültigen Begriffen von Ruhe und Ordnung dienen konnte, sondern nur geeignet war, Öl ins Feuer zu gießen. Auch in den späteren Jahren finden sich Mahnungen an die Polen, die deutsche Sprache als Umgangssprache nicht anzuerkennen. Der Kurj. Pozn.164 hält sich 1927 darüber auf, daß sich die Deutschen "in den Landesteilen, auf die sie Anspruch erheben", nur der deutschen Sprache bedienten und verlangten, daß man ihnen deutsch antworte. "Es wird höchste Zeit, daß man polnischerseits auf dieses herausfordernde Verhalten gebührend antworte," ist die Folgerung. Da das Blatt an der Tatsache nicht vorübergehen kann, daß die Zeit der gröbsten Auswüchse vorbei ist, appelliert es in den folgenden Worten an das Selbstgefühl der Polen: "Mehr Gefühl für die eigene Würde,... mehr Achtung für unsere Sprache und unsere Sitten im eigenen Lande..."

Es ist dies einer der wenigen Versuche der Presse, neben die Negierung der kulturellen Eigenständigkeit des Deutschtums eine eigene positive nationale Erziehungsarbeit am Polentum zu setzen. Wir finden sie wohl auf anderen Gebieten, so im Wirtschaftsleben, jedoch im Kulturbereich hat die Presse nicht die Tradition der vorkriegszeitlichen Erziehungsarbeit fortgesetzt. Das mußte umso schwerer ins Gewicht fallen als die Verdrängung und Zerstörung der schöpferischen deutschen Kräfte ein kulturelles Absinken des Landes zur Folge hatte. Schon die Angliederung der ehemals deutschen hochkultivierten Länder an die primitiven Gebiete des übrigen Polen brachte es mit sich, daß eine Angleichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Struktur vor sich gehen mußte. Dieser Prozeß hat auf Kosten der deutschen Gebiete stattgefunden. Die Entdeutschung des westlichen Polens hat die Nivellierung verstärkt. Im polnischen Lager ist bewußt an der Herbeiführung dieses Zustandes gearbeitet worden, den man mit der Notwendigkeit, "die Spuren der Teilungen" auslöschen zu müssen, begründete. Die Fortführung dieser Politik brachte das Gesetz vom 1. 2. 1937 über die Änderung der Wojewodschaftsgrenzen, durch das Posen und Westpreußen um größere kongreßpolnische Bezirke erweitert wurden und damit eine weitere Verschlechterung ihrer Lage erlitten. Die Presse hat daraus nicht die Anregung zu einer positiven Arbeit am Polentum geschöpft, sondern ihren Blick starr auf die Niederwälzung des deutschen Kulturstandes gerichtet. Das der Regierung nahestehende Blatt Głos Prawdy165 hatte in besonderer Berücksichtigung der westpreußischen Verhältnisse die Grenzverschiebung schon 1928 gefordert. Die Deutschen befänden sich dort sozial und kulturell in privilegierter Stellung. Dieser Zustand ließe sich zu Gunsten des Polentums nur verbessern durch Einbeziehung der benachbarten Posener und kongreßpolnischen Kreise, "die einen höheren Prozentsatz rein polnischer Bevölkerung... besitzen".

[79] Die polnischen Stimmen, die dem Gedanken Raum gaben, welche kulturellen Nachteile ein solches Verfahren für Polen selbst im Gefolge haben mußte, waren zu spärlich und einflußlos, als daß sie sich Beachtung hätten verschaffen können. Die Oberhand behielten jene Presse und ihre Hintermänner, die - auch um der Schädigung des eigenen Landes willen - die Vernichtung des Deutschtums wollten.




126Nr. 62. ...zurück...

127Gazeta Narodowa vom 14. 3. 1919. ...zurück...

128Dziennik Bydgoski Nr. 21 vom 27. 1. 1921. ...zurück...

129Dziennik Bydgoski Nr. 94 vom 24. 4.1921. ...zurück...

130s. S. 59 ff. Vgl. ebenso Rauschning: l. c., S. 308 ff. ...zurück...

131Perdelwitz, R.: Die Polen in Deutschland, im Spiegel der polnischen Presse, S. 15. ...zurück...

132Gazeta Gdanska Nr. 147 vom 2. 7. 1927. Die Zeitung erschien in Thorn als Kopfblatt des Dzien. Pomorskie. Sie beschäftigt sich zwar viel mit Danziger Fragen, ist aber nicht als ein Danziger Blatt anzusehen. ...zurück...

133Kurj. Pozn. Nr. 302 vom 4. 7. 1930. ...zurück...

134Posener Tageblatt Nr. 40, 1925. ...zurück...

135Kurj. Pozn. Nr. 66 vom 20. 3. 1925. ...zurück...

136Dzien. Pozn. Nr. 157 vom 13. 7. 1927. ...zurück...

137Dzien. Pozn. Nr. 155 vom 10. 7. 1927. ...zurück...

138Dzien. Pozn. Nr. 11 vom 6. 2. 1921. ...zurück...

139Ostland Jg. 17, Heft 7 vom 15. 4. 1936. ...zurück...

140Dziennik Poranny vom 14. 8. 1935. ...zurück...

141Kurj. Pozn. Nr. 306 vom 9. 7. 1927. ...zurück...

142Kurj. Pozn. Nr. 136 vom 22. 3. 1930. ...zurück...

143Der Abdruck volksverräterischer Aufsätze aus deutschen pazifistischen Zeitungen wurde von der polnischen Presse überhaupt gern geübt. Der Hinweis, daß die Äußerungen aus deutscher Feder kamen, machte daraus eine volkspolitisch gefährliche Waffe. ...zurück...

144Kurj. Pozn. Nr. 312 vom 10. 7. 1930. ...zurück...

145Dzien. Pozn. Nr. 226 vom 30. 9. 1928. ...zurück...

146Dzien. Pozn. Nr. 156 vom 13. 7. 1922. ...zurück...

147Kurj. Pozn. Nr. 312 vom 10. 7. 1930. ...zurück...

148Kurj. Pozn. vom 1. 9. 1931. ...zurück...

149Rauschning, H.: l. c., S. 295 ff. ...zurück...

150Nr. 161. ...zurück...

151Kurj. Pozn. Nr. 36 vom 13. 2. 1925. ...zurück...

152Vgl. Rauschning, H., l. c., S. 299. ...zurück...

153Dzien. Pozn. Nr. 65 vom 19. 3. 1930. ...zurück...

154Kurj. Pozn. Nr. 63 vom 18. 3. 1921. ...zurück...

155Dzien. Pozn. Nr. 65 vom 19. 3. 1930. ...zurück...

156Słowo Pomorskie Nr. 103 vom 6. 5. 1927. ...zurück...

157Kurj. Pozn. Nr. 116 vom 21. 5. 1922. ...zurück...

158Kurj. Pozn. Nr. 105 vom 7. 5. 1922. ...zurück...

159Dzien. Pozn. vom 8. 5. 1922. ...zurück...

160Słowo Pomorskie Nr. 71 vom 27. 3. 1927. ...zurück...

161Kurj. Pozn. Nr. 588 vom 19. 12. 1936. ...zurück...

162Słowo Pomorskie Nr. 296 vom 25. 12. 1927. ...zurück...

163Postęp Nr. 76 vom 24. 4. 1921. ...zurück...

164Kurj. Pozn. Nr. 446 vom 30. 9. 1927. ...zurück...

165Głos Prawdy vom 29. 7. 1928. ...zurück...





Die polnische Presse im Kampf gegen die deutsche Volksgruppe
in Posen und Westpreußen

Fritz Prause