Danzig und Gdingen (Teil 3) Kurt Peiser
Wenn auch dieses Sachverständigen-Gutachten bei weitem nicht dem entsprach, was die Danziger Regierung und mit ihr die Danziger Wirtschaft erwarten zu können geglaubt hatte, so bedeutete es insofern doch einen Fortschritt, als erstmalig durch Beauftragte des Völkerbundes praktische Vorschläge zur Lösung eines Problems gemacht worden waren, das für Danzig zur Lebensfrage geworden war. Dieses dem Hohen Kommissar des Völkerbundes erstattete Gutachten kommt nach Danzig, da ringt der Hohe Kommissar, Graf Gravina, mit dem Tode, um wenige Tage später seine Augen für immer zu schließen. [274] Ein Vakuum tritt ein. Polen stellt neue Millionen für den Ausbau [Gdingens] zur Verfügung, immer stärker wird die Bedrohung Danzigs durch den polnischen Staatshafen, den die polnische Presse in jenen Jahren leidenschaftlichen Ringens das "Schwert von Gdingen" nennt. Verhandlungen, die als Nachfolger des Grafens Gravina der Däne Rosting zwischen Danzig und Polen in der Hafenfrage anzubahnen versucht, scheitern. Erst die Machtübernahme durch die NSDAP. in Danzig schafft eine neue Lage. Die nationalsozialistische Regierung der Freien Stadt Danzig unternimmt den Versuch, an die Stelle der endlosen und nur zu oft ergebnislosen Verfahren vor allen möglichen Instanzen des Volkerbundes die direkte Verständigung mit dem Nachbarstaate Polen treten zu lassen. Das erste Problem, das auf dieser Grundlage zur Erörterung gestellt wird, ist die Ausnutzung des Danziger Hafens durch Polen. Soll der Ruin des Danziger Hafens vermieden werden, muß der Wettbewerb zwischen Gdingen und Danzig normalisiert werden. Am 5. August 1933 bereits wird das erste Danzig-polnische Hafen-Übereinkommen unterzeichnet. Die Danziger Regierung erklärt sich bereit, für die Dauer dieses Übereinkommens das vor dem Völkerbund schwebende Verfahren in der Frage der Ausnutzung des Danziger Hafens einzustellen. Demgegenüber übernimmt die polnische Regierung die Verpflichtung, unverzüglich alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Rückgang des über den Danziger Hafen gehenden Verkehrs zu verhindern. "Die polnische Regierung wird in Zukunft dem Hafen von Danzig, soweit dies in ihrer Macht liegt, eine gleiche Beteiligung an dem seewärtigen Warenverkehr (Einfuhr, Ausfuhr und Durchfuhr) unter Berücksichtigung der Quantität und der Qualität der Ware sichern." Dieses Übereinkommen ist der Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen zwischen der Danziger und der polnischen Regierung, die mit der Unterzeichnung eines Protokolls in Warschau am 18. September 1933 beendet wurden. Eine Reihe von Einzelbestimmungen dieses Warschauer Protokolls beziehen sich auf die Herstellung gesünderer Wettbewerbsbedingungen zwischen den beiden Nachbarhäfen, darüber hinaus ist dem Protokoll als Anlage eine Liste beigegeben worden, die 44 einzeln aufgezählte Warenarten enthält, von denen die polnische Regierung jährliche Mindestmengen über den Danziger Hafen zu schicken sich verpflichtet hat. Für den Danziger Hafen ist diese Warenliste besonders wichtig, weil sie zur Aufrechterhaltung der Struktur des Danziger seewärtigen Warenverkehrs neben einigen Massengütern eine Reihe von wertvollen Stückgutwaren aufweist, Waren, die nicht nur den Hafen sondern auch den Handel Danzigs interessieren. Gegen Ende 1933 sind diese Vereinbarungen in Kraft getreten. Zweimal sind sie um je ein Jahr verlängert worden, um schließlich nach langwierigen Verhandlungen, die auf Wunsch der Danziger Regierung aufgenommen worden waren, durch eine am 5. Januar 1937 unterzeichnete Vereinbarung ergänzt zu werden. Auch dieses bis zum 31. Dezember 1939 gültige "Interpretationsabkommen" läßt den Wunsch Danzigs nach Ausschaltung aller Maßnahmen der polnischen Regierung erkennen, die zu einer Benachteiligung des Danziger Hafens gegenüber Gdingen führen können.
Im Zeichen der Danzig-polnischen Hafenverständigung hat der
seewärtige Warenverkehr über Danzig im Vergleich zu demjenigen
des Hafens von Gdingen in dem Jahrfünft von 1934 bis 1938 eine
Entwicklung genommen, wie sie aus nachstehender Zusammenstellung
hervorgeht: Es betrug in Tonnen:
Aus obiger Übersicht geht hervor, daß mengenmäßig der Gesamtumschlag im Hafen von Gdingen seit dem Jahre 1934 ununterbrochen erheblich größer gewesen ist als derjenige im Hafen von Danzig, daß er im Jahre 1938 den seewärtigen Warenverkehr über Danzig um nicht weniger als 2.041.686 Tonnen, das heißt um 28,6 v.H. übertroffen hat. Was nicht weniger bedeutsam ist, ist die Feststellung, daß die Struktur des seewärtigen Warenverkehrs über Danzig gerade auch im Laufe der letzten Jahre namentlich in der Einfuhr eine weitere, außerordentlich bedrohliche Verschlechterung erfahren hat. Trotz der Warenliste vom 18. September 1933 ist Danzig immer weiter aus dem Umschlag zahlreicher Einfuhrgüter, an denen nicht nur Danzigs Spedition sondern auch Danzigs Handel stärkstens interessiert ist, ausgeschaltet worden, wie dies aus folgender Gegenüberstellung ersichtlich ist:
Es bedarf keines besonderen Hinweises darauf, daß die gesteigerte Einfuhr eines geringwertigen Massengutes, wie es die Erze und Schwefelkies darstellen, die mit 1,07 Millionen Tonnen nicht weniger als 70 v.H. der Gesamteinfuhr über den Danziger Hafen im Jahre 1938 darstellten, keinerlei vollwertigen Ersatz für die Ablenkung wertvoller Speditions- und Handelsgüter zu bedeuten vermag. Angesichts dieser Entwicklung kann es nicht überraschen, daß auch der Anteil des Danziger Hafens am Werte des polnischen Außenhandels eine starke Herabsetzung gegenüber Gdingen erfahren hat. Am Wert des polnischen Außenhandels waren im Jahre 1938 beteiligt:
[276] Daraus, daß im Jahre 1938 der Anteil der Stückgüter am Einfuhrverkehr über Danzig nur noch 21,2 v.H., über Gdingen jedoch 47,7 v.H. betrug, erklärt es sich, daß sich der Durchschnittswert der im Danziger Hafen umgeschlagenen Waren pro Tonne auf 62,8 Zl., im Hafen von Gdingen dagegen auf 135,8 Zl. belief.
So ernst die sich aus dieser Entwicklung zwangsläufig für die Danziger Wirtschaft ergebenden Sorgen sind, sie haben eine Steigerung dadurch erfahren, daß das polnische Element im Betriebe der Danziger Hafenwirtschaft eine von Jahr zu Jahr wachsende Ausdehnung aufzuweisen hat. Während die polnische Presse immer wieder in bewegten Tönen über Hindernisse und Erschwerungen klagt, die angeblich der polnischen Wirtschaft in Danzig bereitet werden und die polnischen Wirtschaftskreise an einer stärkeren Ausnutzung des Danziger Hafens hindern, hat der "Rat der polnischen Hafeninteressenten in Danzig" in seinem Geschäftsbericht für das Jahr 1938 Angaben veröffentlicht, die eine erhebliche Weitung des Beschäftigungsgrades polnischer Firmen erkennen lassen und ein Schlaglicht auf die der deutsch-Danziger Hafenwirtschaft hierdurch drohenden Gefahren werfen. So ist im Jahre 1938 von der in den Danziger Hafen eingelaufenen Tonnage bereits mehr als die Hälfte durch polnische Schiffsmakler abgefertigt worden. An der Spedition über Danzig waren im gleichen Jahre polnische Firmen mit nicht weniger als 42,6 v.H. beteiligt. Der Atemraum der deutschen Hafenwirtschaft Danzigs wird damit immer kleiner.
Seit jenem 16. Juni 1919, an dem die alliierten und assoziierten Mächte einem vom Deutschen Reich losgelösten und in enge wirtschaftliche Beziehungen zu Polen gesetzten Danzig eine neue "große Handelsblüte" in Aussicht stellten, sind zwei Jahrzehnte vergangen, die Handelsblüte Danzigs ist ausgeblieben. Zwanzig Jahre hindurch hat die Danziger Wirtschaft um ihre Existenz ringen müssen. Die Weichsel, Polens "Hauptwasserweg", ist immer stärker versandet und daher in ihrer Bedeutung als Binnenwasserstraße immer weiter gesunken. Der Danziger Hafen, "Polens einziger freier und sicherer Zugang zum Meere", ist aus dem ihm durch das Diktat von Versailles übertragenen Aufgabenkreis von Jahr zu Jahr stärker durch den Hafen verdrängt worden, den der polnische Staat vor den Toren Danzigs unter Einsatz der ihm zur Verfügung stehenden wirtschafts- und finanzpolitischen Machtmittel errichtete, um ihm - unbeschadet aller Verpflichtungen dem Danziger Hafen gegenüber - den ersten Platz im polnischen seewärtigen Warenverkehr einzuräumen, ihn zu dem Exponenten der polnischen Seeküstenpolitik zu machen.
Die von den alliierten und assoziierten Mächten vor zwanzig Jahren
für die Loslösung Danzigs vom Deutschen Reich genannten
Gründe sind gegenstandslos geworden. Das Problem, dem man in
Versailles, befangen von politischen Irrtümern und wirtschaftlichen
Trugschlüssen, den Namen "Freie Stadt Danzig" gab, ist reif für eine
Lösung, die Danzig als
Hafen- und Wirtschaftsplatz die Möglichkeit zur Erfüllung einer
Mission gibt, die so alt ist wie das Deutschtum dieser Stadt an der
Mündung des Weichselstromes.
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