[212] Teil III: Die Durchführung der Hungerblockade bis zum Herbst 1915 (Forts.) B. Die britische März-Order in Council a) Die Streitigkeiten Englands mit den Neutralen über den Flaggenmißbrauch "Im Februar 1915 dachte kein Mensch in verantwortlicher Stellung daran, daß die deutsche Ankündigung der Beginn eines Feldzuges war, der schließlich der gefährlichste wurde, den die britische Marine jemals geführt hat. Die Marinebehörden waren überzeugt, daß die deutschen U-Boote nur geringen Schaden tun könnten und die britischen Diplomaten konnten nicht glauben, daß die deutsche Regierung hinlänglich Appetit auf leichtsinnige Abenteuer habe, um ohne angemessene Entschuldigungen oder diplomatische Vorbereitung solche Neuerungen in die Praxis der Seekriegführung einzuführen. Die amtliche Besprechung der ersten Ankündigung lautete deshalb dahin, daß die Deutschen mehr androhten, als sie auszuführen wagen würden."35 Es zeigte sich aber bald, daß man "den Geist der europäischen Neutralen überschätzte, denn innerhalb weniger Tage wurde es gewiß, daß die Ankündigung die Neutralen nicht gegen Deutschland aufbringen würde, und daß diese zu vorsichtigem Handeln entschlossen waren. Sehr zu unserer Überraschung36 führte jede neutrale Regierung das, was damals die Flaggenfrage genannt wurde, in den Streit ein. Wir mußten voller Verblüffung feststellen, daß das, was wir für eine unschuldige gewohnheitsrechtlich anerkannte Kriegslist hielten, von den neutralen Regierungen als ein ernster Eingriff in ihre Rechte angesehen wurde. [Betonung vom Scriptorium hinzugefügt.] Es lohnt sich zu erklären, warum die Neutralen die Sache so ernst ansahen."37 Als Ende Januar schon vor Erlaß der deutschen Ankündigung die ersten U-Bootangriffe auf Handelsschiffe erfolgten, erließ die Admiralität durch den Generalkonsul in Rotterdam eine besondere Instruktion an die Handelsschiffskapitäne auf der holländischen Route, in der sie diesen anriet, in Gebieten, in denen mit der Anwesenheit von U-Booten zu rechnen sei, neutrale Flaggen zu hissen. "Dieser Befehl über den Gebrauch neutraler Flaggen war keine Neuerung, denn das Hissen fremder Flaggen ist Jahrhunderte hindurch als gewöhnliche Kriegslist der Seekriegführung angesehen worden. Der Kunst- [213] griff ist jedoch mehr von Kampf- als von Handelsschiffen geübt worden, so daß die darauf bezügliche Regel mehr eine Regel der militärischen Ehre als des Völkerrechtes ist. Der Kapitän eines Kriegsschiffes darf versuchen, einen Feind durch die fremde Flagge zu täuschen. Es darf aber nur unter den eigenen Farben kämpfen. Diese alte Vorschrift findet sich in zahlreichen Gesetzen über den Seekrieg von der im 17. Jahrhundert zusammen gestellten Ordonnance de la Marine bis zu der im 20. Jahrhundert verfaßten deutschen Prisenordnung... Es ist offensichtlich völlig rechtmäßig für ein Handelsschiff, der Wegnahme durch Anwendung eines Kunstgriffes zu entgehen, der allgemein als rechtmäßige Einleitung einer Kriegshandlung gilt. In der Tat erkennt die britische Merchant Shipping Act ausdrücklich das Recht eines fremden Seemanns an, bei Gefahr der Wegnahme die britische Flagge zu benutzen. Gleichwohl war es natürlich, daß die Neutralen wegen der Admiralitätsinstruktion für britische Handelsschiffe besorgt waren und es ist sonderbar, daß die Seeleute, die diese Instruktion entwarfen, nicht den Ärger vorhersahen, den sie erregen würde. Wie viele andere Bräuche des Seekrieges war der Brauch, neutrale Flaggen zu hissen, am meisten im 17. und 18. Jahrhundert verbreitet, als der Handelsverkehr sich in Blöcken oder Flotten zu bestimmten Jahreszeiten bewegte. Die Monate, in welchen die baltische, die Levante- und die westindische Flotte ihre Reisen begannen, und ihre Sammelpunkte waren durch Beratung zwischen den Citykaufleuten und Whitehall festgelegt. Darauf wurden die Begleitstreitkräfte versammelt und die nötigen Weisungen erteilt. Sogar wenn kein Geleit gestellt wurde - und den Franzosen fiel das oft schwer - sammelte sich der koloniale Schiffsverkehr und segelte in Gruppen, die allerdings gegen Ende der Reise sich sehr auseinanderzogen. Ernste Angriffe wurden deshalb durch Schiffe oder Geschwader gemacht, die sich auf der Route, von deren Benutzung durch eine Handelsflotte man Kenntnis erhalten hatte, zu einer Zeit versammelten, in der die Flotte erwartet wurde. Kriegslisten, zur Täuschung38 der angreifenden oder verteidigenden Partei, waren infolgedessen Kriegslisten, die nur das Geschick einer einzelnen Operation und einer einzelnen Gruppe von Schiffen beeinflußten... Aber der Handelsverkehr bewegt sich heutzutage in einem beständigen ununterbrochenen Strom und nicht in Blöcken. Infolgedessen führt der Kapitän eines Handelszerstörers sein Schiff an einem Punkt dichten Handelsverkehrs, fährt auf dem Handelsweg auf und ab und versenkt und greift Handelsschiffe solange an, bis er durch feindliche Schiffe gestört wird. Der deutsche Plan für den U-Bootkrieg war ein Beispiel der neuen Methode. Die deutsche Ankündigung erklärte nur, daß die Schiffahrt rund um die britischen Inseln unterschiedslos angegriffen werden würde. Aber jeder Seemann in Europa mußte voraussehen, daß die deutschen U-Boote auf den Handelswegen, die auf Liverpool, London und den Bristolkanal zusammenliefen, Stellung beziehen würden. Unter diesen Umständen war der Gebrauch neutraler Flaggen ein Kunstgriff, der jedes sich auf oder nahe den großen Verkehrswegen befindliche Schiff betraf, denn es war [214] klar, daß der U-Bootangriff unbarmherziger vorgetragen würde, wenn die U-Bootkommandanten auch nur argwöhnten, daß die Kriegslist erfolgreich benutzt würde. Ihre lange Anerkennung während des 17. und 18. Jahrhunderts versöhnte die neutralen Staatsmänner oder neutralen Seeleute nicht mit ihrer Anwendung im 20sten. Die deutsche Deklaration, die mit dem britischen Befehl über den Gebrauch neutraler Flaggen zusammenfiel, erregte deshalb nicht die Entrüstung, die unsere Behörden vorausgesehen hatten. Aus Christiania berichtete Mr. Findlay, die norwegische Presse sei sehr vorsichtig, und die Öffentlichkeit scheine im Ganzen ebenso gegen Großbritannien wie gegen Deutschland aufgebracht zu sein. Aus Stockholm berichtete Mr. Howard eine Unterredung mit Herrn Wallenberg, der sagte, der britische Befehl habe einen äußerst schlechten Eindruck gemacht. Gewisse Organe der schwedischen Presse spannen das durch die wirkungsvolle Kritik weiter, wenn die britische Regierung zu solchen Kriegslisten ihre Zuflucht nähme, so sei das ein Beweis, daß ihre Flotte nicht länger die Seewege verteidigen könne. Sir Henry Crofton Lowther berichtete genau das gleiche aus Kopenhagen, wo ein großer Reeder ihm kurz gesagt habe, die rechtliche Rechtfertigung der Kriegslist ändere die klare Tatsache nicht, daß sie dänische Seeleute in Gefahr bringe. Die Holländer waren ebenso fest: Herr van Aalst äußerte sich gegenüber Sir Alan Johnstone scharf über den britischen Befehl und der Generalkonsul in Rotterdam berichtete, die seefahrende Bevölkerung sei äußerst zurückhaltend. Das Verhalten der amerikanischen Regierung wurde durch viele verwickelte Einflüsse bestimmt und wird später geprüft werden. Das unmittelbare Ergebnis war deshalb, daß die skandinavischen Mächte gleichzeitig Noten an Deutschland und Großbritannien sandten. In den in Whitehall überreichten Noten erörterten die Regierungen des Nordens nicht die Rechtsfrage, sondern erklärten, daß ein alter Brauch billigerweise nicht verteidigt werden könne, wenn er neutrales Leben und Eigentum gefährde: La tolérance qui, dans les temps passés, a pu être prouvé vis à vis d'incidents isolés, n'est plus possible dans les circonstances actuelles de la guerre et lorsqu'il s'agirait d'un abus systématique et prémédité. Die niederländische Regierung protestierte selbständig und in noch schärferer Sprache; denn sie behauptete,39 keine fremde Regierung könne entscheiden, wie oder wann die niederländische Flagge benutzt werden solle. Hinsichtlich des Arguments, daß Schiffe, die nicht in das britische Register eingetragen seien, nach britischem Recht in besonderen Fällen die britische Flagge führen dürften, antwortete die niederländische Regierung, das sei nicht ihre Sache. Es scheint, daß die niederländischen Minister sehr entschlossen waren. Sie erließen eine Verordnung, die die Hafenbehörden anwies, jedes fremde Schiff, das nachweislich die holländische Flagge ohne Erlaubnis geführt habe, zu beschlagnahmen und festzuhalten. Die List hatte keinen Einfluß auf das Schicksal des U-Bootfeldzuges, denn die neutralen Reeder ergriffen Maßnahmen, die die Fahne zu einem zweitrangigen Identitätsmerkmal machten. Die Nationalfarben wurden auf [215] das Schanzkleid jedes Schiffes, die Nationalflagge und der Schiffsname mitschiffs gemalt. Nach Einbruch der Dunkelheit bestrahlte ein Licht diese Identitätszeichen. Innerhalb weniger Wochen war die Streitigkeit tatsächlich vergessen. Ihre Erwähnung ist nur deshalb für notwendig gehalten worden, um an die Umstände zu erinnern, unter denen die britischen Vergeltungsmaßnahmen vorbereitet und durchgeführt wurden. Die britische Regierung hatte keine Zusicherungen neutraler Sympathie oder Duldung, als sie sich entschloß, besondere Vergeltungsmaßnahmen gegen den Unterseebootkrieg zu ersinnen. Ganz im Gegenteil, die Berichte aller unserer Gesandten bewiesen, daß wir unsere Entrüstung nicht auf die neutralen Völker Nordeuropas oder ihre Regierungen übertragen hatten. Diese waren geneigt, den Seekrieg als eine Art Konkurrenz der Kriegführenden in der Begehung von Ausschreitungen anzusehen, für die beide Teile gleich verantwortlich seien."40
Nach der deutschen Ankündigung war die die britische Regierung am meisten interessierende Frage die, welche Haltung die Vereinigten Staaten zu dem U-Bootkrieg und den englischerseits dagegen in Aussicht genommenen Repressalien einnehmen würden. Sie kann nur durch einen Überblick über die amerikanische Politik zu Beginn des Jahres 1915 beantwortet werden. Zwei verschiedene vom Präsidenten eingeleitete Verhandlungen waren für diese bestimmend. Die wichtigere war die des Obersten House, der die Kriegführenden auf die amerikanische Vermittlung vorbereiten sollte. Herr House, der einen Tag nach der deutschen Ankündigung in England landete, und während des Februars auch keine zusätzlichen Instruktionen erhielt, war über die Ansichten des Präsidenten über den U-Bootkrieg nicht orientiert. Zu den von ihm angeschnittenen Problemen gehörten zwar auch seekriegsrechtliche, denn er regte am 10. Februar in einem Privatgespräch mit Sir Edward Grey an, daß ein nach dem Kriege zusammentretender Kongreß der Neutralen die Freiheit der Meere durch die Schaffung von Sicherheitsstraßen auf hoher See garantieren solle, auf denen weder kriegführende noch neutrale Handelsschiffe angegriffen werden dürften. Aber diese Erörterungen bewegten sich auf theoretischem Gebiet. In allen Fragen, die die Fortführung des Krieges betrafen, zeigte er sich sehr verschwiegen. In die zweite Verhandlung waren die Vereinigten Staaten im Anschluß an den Streit um die Lebensmittelladung der Wilhelmina durch Deutschland verstrickt worden. Sie betraf einen deutschen Vorschlag, die freie Einfuhr amerikanischer Lebensmittel nach Deutschland zu sichern. Deutschland übersandte am 7. Februar eine amtliche Erklärung, daß alle eingeführten amerikanischen Nahrungsmittel nur von der Zivilbevölkerung verbraucht werden würden. Diese wurde durch den Vorschlag ergänzt, die amerikanische Regierung solle eine Organisation zur Verteilung der Lebensmittel ins Leben rufen und sie der Kontrolle ihrer Konsuln unter- [216] stellen. Herr Gerard berichtete, er sei davon überzeugt, daß die deutsche U-Bootserklärung zurückgezogen würde, wenn die britische Regierung den Vorschlägen zustimme. "Es scheint heute sicher, daß der Präsident niemals beabsichtigte, diese Vorschläge aufzudrängen, denn Graf Bernstorff deutet, ohne es ausdrücklich zu sagen, an, daß der Präsident und der Staatssekretär sich sehr lau verhielten. Das blieb uns jedoch Anfang Februar verborgen, als nur bekannt war, die amerikanische Regierung hätte eingewilligt, die deutschen Vorschläge in Erwägung zu ziehen und an uns weiterzuleiten. Es war deshalb von großer Wichtigkeit, zu erfahren, ob die amerikanische Regierung diese Vorschläge erörtern würde."41 "Aus der Freundlichkeit des Sondergesandten Wilsons hätte man vielleicht schließen können, daß der Präsident keine aktive Behinderung des alliierten Verfahrens auf See ermutigen würde. Das war jedoch unsicher, denn während Oberst House in diesen friedlichen Unterhaltungen begriffen war, gab die amerikanische Regierung eine andere Stimmung zu erkennen. Die erste amtliche Mitteilung unterschied sich nicht wesentlich von der der skandinavischen Regierungen. Als Mr. Lansing, der Berater des Staatsdepartements, zuerst die deutsche Erklärung mit Sir Cecil Spring-Rice besprach, sagte er ihm, daß gleichzeitig Proteste in London wegen der Flaggenverwendung und in Berlin wegen der Erklärung eingelegt werden würden. Dieser Mitteilung folgte eine weitere, die herausfordernder war. Am 24. Februar teilte der Staatssekretär unserem Botschafter mit, die Regierung sei geneigt, die Waffenausfuhr, die britischen Beschränkungen der deutschen Lebensmittelversorgung und den deutschen U-Bootsfeldzug gegen den Handel als eine einzige Angelegenheit zu behandeln:
Der Staatssekretär bat mich zu sich... schrieb Sir Cecil, und gab mir eine freundliche Warnung in der Frage der britischen Haltung gegenüber den Lebensmitteleinfuhren für die Zivilbevölkerung Deutschlands. Er sagte, es würde hier ein wenig angenehmer Eindruck entstehen, wenn die britische Regierung zwar für ihren eigenen Gebrauch große Mengen Kriegsmaterial einführe, hingegen die Zivilbevölkerung eines feindlichen Landes an der Erlangung von Nahrungsmitteln verhindere. Das amerikanische Volk werde Einwendungen gegen ein System erheben, das von ihm verlange, dem einen Kriegführenden bei der Versorgung mit Mitteln zur Zerstörung des menschlichen Lebens behilflich zu sein, und sie davon abhalte, den anderen mit Mitteln zu seiner Erhaltung zu versehen.42 Infolge der von uns gegen Deutschland gerichteten Drohung, es durch Aushungerung zur Unterwerfung zu zwingen, habe Deutschland zu einer neuen Methode der Kriegführung seine Zuflucht genommen, die für die Neutralen höchst gefährlich sei und die schon zu schweren Verlusten an amerikanischem Leben und Eigentum geführt habe. Die deutsche Regierung habe gewisse Vorschläge gemacht, deren Mitteilung er nicht amtlich veranlaßt habe. Er wünsche, mir den Standpunkt der amerikanischen Regierung klar zu verstehen zu geben. Dieser sei, daß die [217] Regierung der Vereinigten Staaten zwar an dem traditionellen Recht eines Neutralen, beiden Kriegführenden Kriegsmaterial zu liefern, festhielte, aber auch verpflichtet sei, darauf zu bestehen, daß die Kriegführenden nicht von den anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts abwichen... Großbritannien habe immer behauptet, daß Nahrungsmittel für die Zivilbevölkerung eines Feindes nicht zum Banngut erklärt werden könnten. Es sei deshalb verpflichtet, diesen Grundsatz auch anderen Nationen gegenüber zu beachten. Wenn diese Warnung wirklich bezeichnend für die Politik der amerikanischen Regierung gewesen wäre, so würde das eine Andeutung dafür gewesen sein, daß der amerikanische Präsident, wie Sir Cecil sich ausdrückte, den Standpunkt der deutschen Regierung angenommen hatte, und es würde im höchsten Grade unklug gewesen sein, unsere Vergeltungsmaßnahmen, über die damals im wesentlichen Einverständnis erzielt worden war, zu überstürzen, oder die amerikanischen Kompromißvorschläge, die damals in Whitehall übergeben wurden, zurückzuweisen. Sir Cecil Spring-Rice hatte jedoch große Mühe aufgewendet, um zu entdecken, ob der amerikanische Präsident und der Staatssekretär wirklich die britischen Handelsbeschränkungen und den deutschen Unterseebootfeldzug als zwei gleich schwere Exzesse betrachteten, und die von ihm gesammelten Beweise zeigten zur Genüge, daß die amtlichen Mitteilungen der Regierung der Vereinigten Staaten keineswegs ihre endgültige Meinung darstellten. In erster Linie war Sir Cecil überzeugt, das im Lande und in der Verwaltung vorherrschende Gefühl sei die Angst, das Land könne gegen seinen Willen in den wilden Kampf verwickelt werden, in dem die Flotten Deutschlands und Großbritanniens begriffen waren, die Furcht, die diplomatische Krise könne so plötzlich und warnungslos eintreten wie in Europa, und der Schrecken, daß der schnelle Übergang vom Frieden zum Krieg, statt die Nation zu einigen, eine die Kräfte der Ordnung überwältigende Parteiwut hervorrufen würde. Das waren die Befürchtungen des Senators Root. Sir Cecils längste Würdigung der Regierungshaltung wurde erst nach langer Beratschlagung mit ihm, Mr. Roosevelt und Senator Lodge abgegeben. Sie war wenige Tage nach der deutschen Erklärung geschrieben, als die Gefühle des amerikanischen Volkes am natürlichsten und leicht zu beobachten waren:
Die meisten Leute, die hierher kommen, schrieb er, sind von der Atmosphäre der Furcht beeindruckt, die den Kongreß und die Ministerien erfüllt. Der Präsident sprach einmal mit mir über die Gefahr bürgerlicher Unruhen und der Übertragung der nationalen Antipathien Europas nach Amerika. Es gibt hier auch eine Atmosphäre des Hasses... So hat der in Europa stattfindende Kampf hier sein Gegenstück und man fühlt zuweilen deutlich, zuweilen dunkel, daß die Niederlagen der Alliierten den Triumph des deutschen Gedankens in Amerika ebenso wie in Europa bedeuten würde. Das Ergebnis ist, daß hier der Konflikt in Europa von vielen Leuten mit einer schrecklichen Art persönlichen Interesses und von vielen mit dem heftigen Wunsch, nicht in ihn verwickelt zu werden, betrachtet wird. Was [218] geschehen würde, wenn ein Amerika berührender Konflikt eintreten würde, ist wenig angenehm auszudenken. Es besteht eine starke Wahrscheinlichkeit dafür, daß es hier etwas Ähnliches wie einen Bürgerkrieg geben würde, wenn das Land in einen Krieg gegen Deutschland einträte... Sie werden einsehen, daß die Regierung alles fürchten muß, was einen Zusammenstoß mit Deutschland näher bringt..." Dieser Bericht, den Sir Cecil im Laufe des Monats durch weitere ausarbeitete, war eine wertvolle Erklärung des amtlichen Verhaltens der amerikanischen Regierung. Es ist vielleicht noch wichtiger, daß Sir Cecil sich davon überzeugte, daß des Präsidenten persönliche Sympathien, die er so unzweideutig bei Kriegsbeginn ausdrückte, sich nicht geändert hatten. Er berichtete später, ein führender demokratischer Senator mit einer starken Neigung für Deutschland habe einem persönlichen Freund erzählt: Der Präsident ist im Herzen so proenglisch wie du. Sir Cecil legte dem große Bedeutung bei, denn er wiederholte es in einem privaten und geheimen Telegramm an Sir Edward Grey, was beweist, daß er es nicht bloß als ein Gerede, sondern als ein Indiz für die wahrscheinliche Politik des Präsidenten ansah. Die britische Regierung konnte deshalb mit gutem Grund glauben, daß des Präsidenten ziemlich auf die Nerven fallenden Mitteilungen seine Sympathien verbargen. Für die scharfsinnigen Diplomaten des Außenamts war es offensichtlich,43 daß die von uns und von den deutschen Behörden empfangenen Mitteilungen keine gleichen und einander gegenüberstehenden, durch gleiche Entrüstung gegen beide Seiten eingegebenen Proteste waren. In der ersten Unterredung zwischen Lansing und Sir Cecil Spring-Rice warnte Mr. Lansing - allerdings in ziemlich zurückhaltender und zweideutiger Weise - vor dem überhasteten Schluß, daß die Regierung der Vereinigten Staaten das englische und das deutsche Verfahren für gleich unangenehm halte. Abgesehen davon war die erste amerikanische Note an Deutschland, die der Presse mitgeteilt wurde, und die unsere Behörden mit den von ihnen über verwandte Fragen erhaltenen vergleichen konnten, nicht in derselben Sprache wie die an Whitehall gerichteten Noten abgefaßt. Sie war viel schärfer und die Deutschen hielten sie für ein ernstes Dokument, in der Tat für so ernst, daß der Kaiser sogleich seine hauptsächlichen Berater aus Marine, Heer und Diplomatie versammelte, um es gemeinsam zu erörtern."44 "Aber alle diese tröstenden Anzeichen verbargen nicht die nackte Tatsache, daß die amerikanische Öffentlichkeit eine strikt neutrale Haltung von dem Präsidenten verlangte, und daß dieses Verlangen jederzeit die Regierung zwingen konnte, die Ausfuhr von Munition zu verbieten."45 "Es ist also kein Wunder, daß Sir Edward Grey, als Sir Cecil Spring-Rice des Staatssekretärs Unheil verkündende Bemerkungen über Lebensmittellieferungen nach Deutschland und Munitionslieferungen nach Großbritannien berichtete, das Schreiben eigenhändig mit der Instruktion ver- [219] sah, Sir Cecil möge erkunden, ob es überhaupt wahrscheinlich sei, daß der Präsident die Ausfuhr von Waffen aus eigener Machtvollkommenheit während der Kongreßferien verbieten werde. Sir Cecil Spring-Rice erwiderte, er sei überzeugt, daß der dem Kongreß vorliegende Gesetzentwurf nicht angenommen werden und daß der Präsident niemals ohne die Sanktion des Kongresses handeln würde. Über die allgemeine Lage berichtete er jedoch, nachdem er alle Kennzeichen für die amerikanische Stimmung im Monat Februar beobachtet hatte, die britische Regierung würde gut daran tun, keine Vergeltungsmaßnahmen gegen den U-Bootkrieg zu ergreifen und sich zurückzuhalten, da die diplomatischen Reibungen zwischen Deutschland und Amerika mit dem Fortschreiten des Feldzugs sich sicherlich verschärfen würden."46 "Der Monat Februar, in dem die Repressalienverordnung vom Kabinett gebilligt wurde, war so die zweite Gelegenheit, während des Krieges, bei der jedes Anzeichen für die amerikanische Politik und ihre Absichten von der Regierung als ganzer erwogen wurden. Bei der ersten Gelegenheit im Oktober 1914 war die amerikanische Haltung so unsicher erschienen, daß die Regierung es für klug gehalten hatte, ein Zugeständnis zu machen. Die nochmalige Prüfung im Februar zeigte, daß immer noch dieselben unbeständigen Einflüsse wirkten, aber unsere Beobachtungen, die sich nunmehr über einen längeren Zeitraum erstreckten, befähigten uns, ihre Stärke besser abzuschätzen. Erstens war nun mehr über den Wunsch des Präsidenten, zu vermitteln, bekannt. Im Oktober war sie als eine mögliche Gefahr erschienen, insofern als der Präsident eine Vermittlung alten Stils vorhaben konnte, die darin bestand, den Kriegführenden eine bestimmte Regelung aufzunötigen und starken Druck auf die der Annahme widerstrebende Partei auszuüben. Oberst Houses Erklärungen müssen gezeigt haben, daß nicht die geringste Gefahr hierfür vorhanden war. Zweitens bestand eine wachsende Überzeugung in Regierungskreisen, daß Zugeständnisse an die amerikanische öffentliche Meinung von zweifelhaftem Wert seien, denn es gab keinerlei Anzeichen dafür, daß die durch die Oktober-Order konzedierten Punkte in den Kreisen gewürdigt wurden, von denen der Lärm ausging. Nach der Order waren ebenso wie vorher derselbe ärgerliche Tadel und dieselben halbdrohenden Bemerkungen über das britische Vorgehen auf See zu hören gewesen. Die Zeit hatte also die Richtigkeit der Würdigung Sir Eyre Crowes bewiesen, daß wir niemals den Kongreß oder die amerikanische Presse als Ganzes versöhnlich stimmen sollten, und daß die beste Politik sei, fest zu bleiben und uns bei dem Nachweis, daß unsere Maßnahmen vernünftig seien, keine Mühe verdrießen zu lassen. Die Zeit hatte ferner bewiesen, daß der Kongreß sich durch diese aufeinanderfolgenden Ausbrüche öffentlicher Erregung weniger beeinflussen ließ, als man vorhergesehen hatte. Andererseits hatte die deutsche Erklärung des U-Bootkrieges die amerikanische öffentliche Meinung unbeständiger als je gemacht und die Regierung zu einer Führung der öffentlichen Angelegenheiten gezwungen, deren schließliche Folgen unvorhersehbar waren."47
[220] Trotz der Ratschläge des Botschafters in Washington und obwohl die Öffentlichkeit, die die Gefahren des U-Bootkrieges gering einschätzte, keinen starken Druck auf die Regierung ausübte, beschloß das Kabinett schon zu Beginn des Februar, Repressalien zu ergreifen. "Der erste Entwurf einer Vergeltungsorder wurde ihm am 9. Februar vorgelegt und enthielt alle wesentlichen Teile der schließlich erlassenen Deklaration. Kein anderer Vergeltungsgrundsatz wurde in einem der später vorbereiteten Entwürfe bekanntgegeben. Man darf also sagen, daß das Kabinett ungefähr eine Woche nach der ersten deutschen Erklärung die Anordnung besonderer Repressalien entschieden hatte."48 Nach der Billigung wurde der Kronanwalt mit der Revision des Entwurfes betraut. Er besprach ihn auch mit Admiral Moreau und M. Fromageot, die einen ganz anderen Plan vorlegten. "Sie wünschten in erster Linie eine Ankündigung der Alliierten über die Bildung eines Fonds aus dem Erlös an Bord neutraler Schiffe gefundenen deutschen Eigentums, aus dem denjenigen Neutralen, die durch den deutschen U-Bootfeldzug geschädigt wären, Entschädigungen gezahlt würden. Die Franzosen wünschten ferner, daß nach dieser Bekanntmachung die alliierten Regierungen jeden nördlichen Neutralen einladen sollten, mit ihnen Maßnahmen zur Unterbindung des gesamten Handels mit Deutschland zu verabreden."49 Das Außenamt bezeichnete diesen Vorschlag zwar als ein geschicktes Manöver, um den Neutralen den Bruch der Pariser Deklaration schmackhafter zu machen, konnte sich aber gleichwohl nicht damit befreunden. Sir Eyre Crowe erklärte, "das Kabinett könne nicht einwilligen, die Vergeltung gegen Deutschland von Verhandlungen mit Neutralen abhängig zu machen. Die Verhandlungen würden notwendigerweise lange dauern, die Öffentlichkeit werde unruhig werden, auf jeden Fall würden die Neutralen durch unsere Einladung wahrscheinlich versucht sein, einen gemeinsamen Widerstand gegen unsere Vorschläge zu leisten. Die französische Regierung zog ihre Vorschläge zurück".50 "Die Franzosen regten jedoch einen zusätzlichen Abschnitt an, der die Neutralen einlud, den alliierten Regierungen bei der Unterbindung des deutschen Überseehandels Beistand zu leisten. Die britische Regierung konnte dem nicht zustimmen, denn sie war damals entschlossen, daß die Ankündigung keine Anregung zum Aushandeln, Verhandeln oder Kompromiß enthalten solle."51 "Hiernach wird es klar sein, daß man, falls die britischen Archive die einzigen Informationsquellen wären, zu dem Schluß berechtigt sein würde, das Kabinett habe Anfang Februar über besondere Repressalien entschieden und habe, nachdem es einmal so entschieden hatte, niemals wieder geschwankt oder gezögert. Nichtsdestoweniger ist es tatsächlich sicher, daß das Kabinett zögerte und daß Sir Edward Grey Oberst House bat, den Präsidenten darüber zu unterrichten, daß wir ein Kompromiß erwägen würden. Das Angebot wurde so behutsam gemacht, daß es unmöglich ist, genau zu sagen, was angeregt wurde. Die bekannten Tatsachen sind folgende":52 [221] Am 16. Februar erhielt Herr Page ein Telegramm von Herrn Bryan, in dem er angewiesen wurde, einen Druck auf die britische Regierung auszuüben, Lebensmittel nach Deutschland hineinzulassen und dabei anzudeuten, daß die U-Booterklärung wahrscheinlich zurückgezogen werde. Herr Page führte diese Weisung am folgenden Tage bei einem dem Premierminister, Sir Edward Grey und Oberst House gegebenen Frühstück aus. Auch Oberst House riet Sir Edward Grey und Asquith, die Vorschläge aus Amerika zu prüfen und berichtete darüber: "Mit der üblichen britischen Langsamkeit verschoben sie es bis Donnerstag. Ganz offensichtlich schloß sich also Oberst House den Vorschlägen an, die Mr. Page nach der Weisung vom vorigen Tag nachdrücklich vertreten sollte. Die Unterredung hinterließ aber bei den amerikanischen Diplomaten einen verschiedenen Eindruck. Oberst House schien es, als ob die britischen Minister lediglich die Diskussion vertagt hätten, Mr. Page glaubte, daß sie bestimmter gewesen seien.
Eine vollständige und freimütige Erörterung der ganzen Lage zwischen dem Premierminister, Sir Edward Grey, und mir bei dem heutigen Nachmittagsfrühstück, schrieb er, ließ die Möglichkeit erkennen, daß die britische Regierung als Antwort auf Bernstorffs Note, der deutschen Regierung vorschlagen könne, sie werde keine Lebensmittel auf die Liste für unbedingtes Banngut setzen, falls Deutschland keine Minen mehr legen und keine Handelsschiffe mehr durch U-Boote angreifen würde. Das Kabinett billigte die Verkündung von Repressalien ungefähr eine Woche bevor der Premierminister und Sir Edward Grey diese Unterredung mit dem amerikanischen Botschafter hatten. Das ist wahrscheinlich der Grund dafür, daß Mr. Page hinzufügte, die Neigung der britischen Minister zu einem Kompromiß müsse als streng geheim angesehen werden. Am folgenden Tag (17. Februar) billigte das Kabinett einen revidierten Entwurf der Repressaliendeklaration und am 20. Februar erhielt Mr. Page von Mr. Bryan ausführliche Weisungen über das von ihm zustande zu bringende Geschäft: Unsere Beschränkungen der Lebensmittelzufuhr sollten gegen den U-Boothandelskrieg ausgetauscht werden. Er legte diese zusätzlichen Vorschläge in einem amtlichen Schreiben vom 22. Februar vor und erörterte sie mit Sir Edward am folgenden Tag. Sir Edward hat keine Aufzeichnung über diese Unterredung hinterlassen, von der Mr. Page berichtete:
Er ist unverbindlich, aber ich entnahm aus seinen Ausführungen, daß er Ihre Vorschläge unterstützt, wenigstens grundsätzlich. Aber er teilte mir mit, die Erteilung einer Antwort würde einige Zeit erfordern, da sie zuerst dem Kabinett und dann den Verbündeten vorgelegt worden müsse. Sir Edward Grey bestätigte so den Eindruck, den er bei dem Frühstück am 17. auf den amerikanischen Botschafter gemacht hatte: daß kein Hindernis für ein Kompromiß bestehe und daß er persönlich dazu geneigt sei. [222] Aus diesen Anzeichen kann man mit Sicherheit folgern, daß Sir Edward Grey sich für verpflichtet hielt, die amerikanischen Vorschläge zu untersuchen, obwohl die Regierung die Ankündigung des unbeschränkten Wirtschaftskrieges vorbereitete. Diese Anfangsunterhandlung wurde jedoch so geführt, daß keine englische Aufzeichnung darüber vorhanden ist. Das macht es besonders schwierig, Sir Edwards Motive zu würdigen und zu entscheiden, ob er den Wirtschaftsfeldzug nicht liebte, weil er seine Folgen als gefährlich ansah oder weil er ihn für unpraktisch hielt oder weil es ihm zuwiderlief, Frauen, Kinder, alte Leute und Kranke aus keinem besseren Grunde als ihre Zugehörigkeit zu einem Staat, mit dem wir uns im Krieg befanden, Hunger leiden zu lassen. Es ist auch unmöglich, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob Sir Edwards Zweifel sich auf seine Person beschränkten oder ob er der Vertreter einer Richtung im Kabinett war oder ob seine Kabinettskollegen von dem von ihm unterstützten Unternehmen unterrichtet waren. Es findet sich indessen keine Spur dieses Zögerns in den erhaltenen Kabinettsakten, denn am 24. Februar billigte und ergänzte das Kabinett einen neuen Entwurf der Vergeltungsverordnung und es ist wahrscheinlich, daß die amtliche amerikanische Note gemeinsam erwogen wurde. An diesem Tage wurde jedoch nichts Bestimmtes entschieden, denn am 28. Februar setzte Sir Maurice Hankey ein Memorandum in Umlauf, in dem er das Kabinett drängte, kein Kompromiß zu unterstützen, da die einzige Schwäche, die Deutschland bisher gezeigt habe, seine Lebensmittelversorgung sei. Dies zeigt, daß die Frage an diesem und dem folgenden Tag noch offen war. Am 1. März war jedoch die Verordnung ausgearbeitet. Während der drei dazwischenliegenden Tage muß sich also die Regierung entschlossen haben,53 die deutsche Herausforderung anzunehmen und jedes Kompromiß zu verweigern. Nichtsdestoweniger ist es sicher, daß Sir Edward noch darauf bedacht war, daß die angeordneten Repressalien nicht jedes Kompromiß unmöglich machten und daß er Oberst House bat, dies dem Präsidenten bekanntzugeben. Ein Beweis dafür kann in einem Schriftstück aus späterer Zeit gefunden werden. Hier muß die Feststellung genügen, daß Monate nachher, als Sir Edward Grey offen daran zweifelte, ob man auf der Blockade beharren könnte, Lord Crewe die Angelegenheit dem Kabinett vorlegte und ihm mitteilte: Sir Edward hätte schon dem Präsidenten der Vereinigten Staaten durch einen heimlichen und indirekten Kanal mitgeteilt, daß Seiner Majestät Regierung sich nicht weigern würde, einen solchen Vorschlag zu erwägen. Der Rest des Schriftstückes stellte klar, daß der Vorschlag das in den Unterhaltungen vom 17. und 23. Februar und in der Note vom 22. Februar angeregte Unternehmen war."54
Am 1. März 1915 überreichten die Alliierten den Neutralen die declaration of reprisals, welche eingehend darlegte, daß die Erklärung einer Kriegszone, in welcher jedes Schiff zerstört werden könne, eine Verletzung [223] der anerkannten völkerrechtlichen Regeln über das Anhaltungs- und Durchsuchungsrecht sei, und daß Deutschland diese Methoden in der Absicht anwende:
"Waren aller Art (einschließlich Lebensmittel für die Zivilbevölkerung) am Erreichen und Verlassen der britischen Inseln oder Nordfrankreich zu verhindern... Seine Gegner sind deshalb ihrerseits dazu gezwungen, Waren jeder Art am Erreichen und Verlassen Deutschlands zu verhindern... Die britische und französische Regierung werden sich für frei erachten, mit Gütern vermuteter feindlicher Bestimmung, feindlichen Eigentums und feindlichen Ursprungs beladene Schiffe aufzuhalten und sie in den Hafen einzubringen. Es ist nicht beabsichtigt, solche Schiffe und Ladungen einzuziehen, wenn sie nicht anderweitig der Einziehung unterliegen würden." Die Reprisals Order in Council vom 11. März 1915 setzte die am 1. März verkündete Absicht, alle deutschen Ein- und Ausfuhren zu unterbinden, in die Tat um. Ihre beiden ersten Artikel dienten zur Verhinderung jeden direkten Handelsverkehrs mit Deutschland. Kein Schiff, das nach dem 1. März nach einem deutschen Hafen fuhr oder aus ihm auslief, durfte seine Reise beenden. Nach Deutschland bestimmte Güter, die kein Banngut waren, sollten requiriert oder unter den vom Prisengericht festgesetzten Bedingungen dem Eigentümer zurückgegeben werden. In einem deutschen Hafen geladene Güter sollten in Verwahrung genommen und requiriert oder verkauft werden. Der indirekte Handel mit Deutschland über neutrale Häfen wurde durch die beiden folgenden Artikel verhindert. Die nach neutralen Häfen fahrenden oder aus solchen auslaufenden Schiffe durften ihre Reise nicht beenden, wenn sie für den Feind bestimmte Güter oder Güter im feindlichen Eigentum oder feindlichen Ursprungs an Bord hatten. Diese Güter sollten in derselben Art behandelt werden wie die in den beiden ersten Artikeln erwähnten Güter. "Offensichtlich hätte hiernach diese berühmte Order nicht erlassen werden können, wenn nicht außergewöhnliche Umstände bestanden hätten. Die vor mehr als einem halben Jahrhundert erlassene Pariser Deklaration sah vor, daß die neutrale Flagge Güter an Bord eines zur Führung dieser Flagge berechtigten Schiffes schützen solle, abgesehen vom Banngut. Mit gewissen sorgfältigst abgewogenen Milderungen fegte die Repressalien-Verordnung diese Regel beiseite. Um die Worte eines Beamten der Vertragsabteilung zu gebrauchen: Wir behaupten nicht, daß unsere Repressalienpolitik mit den gewöhnlichen Regeln des Völkerrechts vereinbar sei. Sie ist unsere Antwort auf die gegen uns seitens Deutschlands begangenen Rechtswidrigkeiten. Die Vergeltungsverordnung war jedoch sehr geschickt erdacht, insofern als der ernsteste Widerstand dagegen sicherlich der amerikanische war. Es stand aber der amerikanischen Verwaltung nicht frei, die Einwendung zu erheben, die Order in Council verletze die Pariser Deklaration, da ihre Regierung dieser nicht beigetreten war. Die einzige Einwendung, welche der amerikanischen Regierung zu erheben freistand - und welche sie in der Tat erhob - war, daß die Order die Rechte einer Blockadestreitmacht [224] auf Geschwader übertrug, die keine Küste blockierten und die infolgedessen nur berechtigt waren, Banngut mit einer feindlichen Bestimmung anzuhalten. Es wird deshalb angebracht sein, diese Behauptung zu prüfen. Es war sicherlich ein richtiger Kern in diesem Einwand. Admiral de Chairs Geschwader patrouillierte auf einer Linie zwischen Island und den Färöer, auch die Enterflottille in den Downs befand sich viele hundert Seemeilen von der deutschen Küste. Und doch sollten diese Streitkräfte fortan alle Güter feindlicher Bestimmung oder feindlichen Ursprungs anhalten, also den Dienst einer Blockadestreitmacht versehen. Die zur Debatte stehende Frage besteht aber darin, ob dieses Verfahren wirklich eine so auffallende Neuerung war, wie es die Amerikaner vorgaben. Nur durch einen Rückblick auf die von den Amerikanern selbst ausgeübten Handelsbeschränkungen kann dies entschieden werden."55 Die Blockade der konföderierten Staaten im Sezessionskrieg wurde durch Kreuzerabteilungen vor den Haupthäfen der blockierten Küsten durchgeführt, die durch Fluß- und Küstenflottillen verstärkt waren. Es war hier also eine Blockadestreitmacht im alten strengen Sinne vorhanden. "Wenn das Marineministerium keine anderen Maßnahmen als diese ergriffen hätte, so wäre die amerikanische Regierung zu der Erklärung berechtigt gewesen, sie habe das Blockaderecht immer in einem orthodoxen konservativen Sinne ausgelegt, aber tatsächlich setzte das Marineministerium die Blockade der Südstaaten noch durch andere Mittel durch."56 Nachdem die Bermuden, Nassau und Habana allmählich zu Basen einer Blockadebrecherflotte geworden waren, sandte das Marineministerium als Ergänzung der Blockadestreitkräfte vor den Küsten der Konföderierten ein Geschwader unter Commodore Wilkes nach Westindien. "Obgleich dieses Geschwader vor neutralen Häfen stationiert war und nach strengem und buchstäblichem Völkerrecht nicht berechtigt war, neutrale Schiffe, die keine Banngutladung direkt zum Feinde beförderten,57 aufzubringen, befahl die amerikanische Regierung dem Commodore Wilkes, weit mehr als das zu tun:
Das Hauptziel des Westindiengeschwaders, schrieb Sekretär Welles, ist der Schutz unseres Handels... Daneben steht die Unterbindung und das Abfangen des unerlaubten Handelsverkehrs sowie das Einbringen auf hoher See ertappter Schiffe, die offensichtlich damit befaßt sind. In dieser Instruktion fand sich kein Wort über die Unterscheidung zwischen Banngut und Nichtbanngut und kein Wort der Erklärung dessen, was Sekretär Welles unter unerlaubtem Handel verstand. Commodore Wilkes wurden außerdem alle Instruktionen der Blockadestreitkräfte über Anhaltung und Durchsuchung gegeben und er wurde in die Meinung versetzt, daß er jedes Schiff bei dem geringsten Verdacht des Blockadebruches anhalten solle. Des Schiffes Position, Fahrtrichtung oder Ladung waren gleichgültig. Es sollte durchsucht werden. Ohne Rücksicht auf Klarierung und Bestimmung."58 [225] "Diese Befehle und Instruktionen für Commodore Wilkes gaben ihm weit größere Befugnisse als irgendeine, die dem 10. Kreuzergeschwader durch die März-Order in Council übertragen wurde, und die amerikanischen Gerichtshöfe prüften sie und erklärten sie für rechtmäßig. Am 2. April 1862 wurde das britische Schiff Bermuda auf seinem Wege nach Nassau an einem Punkt in der Nähe der Ostküste von der Great Abaco-Insel angehalten. Das Schiff wurde dann nach New York zur prisenrechtlichen Aburteilung eingebracht. Durch ein langes und genau ausgearbeitetes Urteil wurde die Ladung mit der Begründung eingezogen, sie sei Banngut mit einer ferneren und feindlichen Bestimmung, das Schiff wurde ebenfalls als Banngutträger und als feindliches Eigentum eingezogen. Aber um keinen Zweifel darüber zu lassen, daß das Fahrzeug unter der umfassenderen Beschuldigung des Blockadebruchs einziehbar wäre, erklärte der Gerichtshof: nachdem wir so die mit dem Eigentum, der Kontrolle und der Verwendung der Bermuda und dem Charakter ihrer Ladung verbundenen Fragen erledigt haben, bleibt uns über die Frage der Verantwortlichkeit wegen Blockadebruchs wenig zu sagen übrig... Nach Aufzählung aller verfügbaren Beweise über die wahren Absichten des Kapitäns und die letzte Bestimmung des Schiffes schloß der Gerichtshof:
Durch eine Fahrt mit einem solchen Zweck wurde die Einziehbarkeit des Schiffes wegen versuchten Blockadebruchs ebenso fest begründet, wie sie es durch den Beweis der Absicht geworden wäre, die Ladung durch die Bermuda selbst nach einem blockierten Hafen oder so nahe, wie es ohne Zusammentreffen mit den Blockadestreitkräften möglich war, zu befördern."59 "Die amerikanische Behandlung von Ladungen mit feindlicher Bestimmung ist jedoch die angemessene Analogie. Unsere Orders in Council verkündeten, daß wir alle dem Feind durch irgendeinen Kanal zugeführten Bannwaren einziehen und daß wir andere Waren ankaufen oder zurücksenden würden.60 Obwohl es nicht in der Order gesagt war, vertrauten wir darauf, daß unsere Kenntnis neutraler Firmen und ihrer Geschäfte uns mit den Beweisen für feindliche Bestimmung und feindliches Eigentum versehen würden. Die amerikanischen Gerichtshöfe hatten erklärt, daß weit schärfere Maßregeln als diese gerechtfertigte Anwendungen von Rechtsgrundsätzen seien. Am 3. Februar 1863 wurde die Springbok von einem amerikanischen Kreuzer aufgebracht, als sie auf einer Reise von London nach Nassau begriffen war. Man fand, daß sie eine allgemeine Ladung von Nahrungsmitteln und wenige Kisten Banngut beförderte. Es wurde von dem Gerichtshof zugegeben, daß ihre Schiffspapiere in Ordnung waren und daß die Reise, auf welcher sie aufgebracht wurde, von London nach Nassau ging. Die Ladungspapiere zeigten, daß die Eigentümer des Schiffes kein Interesse an der Ladung hatten. Die mit der Ladung sich befassenden Personen waren als am Handel mit den Südstaaten beteiligte Personen bekannt. Der Fall war deshalb genau analog den fast täglich vom Banngutausschuß ge- [226] prüften Fällen gelagert. Dieser hatte ebenso wie der amerikanische Gerichtshof zu erwägen, was mit Ladungen geschehen sollte, die nach Ländern adressiert waren, die Basen des Feindhandels darstellten. Er wie der amerikanische Gerichtshof mußte erkennen, daß die Schiffspapiere und die Ladungsdeklaration nur eine neutrale Bestimmung für Schiff und Ladung auswiesen und er besaß wie der amerikanische Gerichtshof viele Informationen über das Geschäft der Adressaten. Die Analogie endet jedoch, wenn die Entscheidung des amerikanischen Gerichtshofes mit der Entscheidung verglichen wird, die ergangen wäre, wenn die britische Order in Council auf den Fall angewendet worden wäre. Es ist denkbar, daß unsere Gerichtshöfe erwogen hätten, daß eine sehr starke Vermutung für die Feindbestimmung des Bannguts bestehe und in diesem Fall hätten sie es eingezogen. Das von der Springbok beförderte Banngut war jedoch nur ein kleiner Teil ihrer Ladung und mit Bezug auf den übrigen Teil der Ladung würden unsere Gerichtshöfe höchstens angeordnet haben, daß er angekauft werden solle. Das würde außerdem auch nur als eine durch außergewöhnliche Umstände gebotene Vergeltungshandlung getan worden sein. Der amerikanische Gerichtshof zog die ganze Ladung ein und behauptete, daß er das gewöhnliche Völkerrecht anwende. Die amerikanischen Gerichtshöfe fällten ein etwas milderes Urteil im Fall der Ladung der Peterhoff, denn sie gaben eine große Anzahl von Partien frei, die kein Banngut waren. In mancher Hinsicht jedoch war die Entscheidung noch härter. Die Peterhoff beförderte ihre Ladung nach der mexikanischen Stadt Matamoros, die von der texanischen, damals Rebellenstadt Brownsville durch den Rio Grande getrennt ist, der mit einem Ruderboot überquert werden kann. Nichts Belastendes oder Verdächtiges war über die Adressaten der Ladung bekannt, und die bloße Tatsache, daß Banngut nach Matamoros befördert wurde, das als neutrales Depot für Brownsville bekannt war, wurde als die Einziehung rechtfertigend erachtet. Unsere Gerichtshöfe legten niemals solches Gewicht auf allgemeine Annahmen der weiteren Bestimmung, so daß gesagt werden darf, daß so wohl die Grundsätze, nach denen wir handelten als auch unsere Methode, ihnen Wirksamkeit zu verleihen, dem neutralen Handel gegenüber rücksichtsvoller war als die amerikanische Praxis."61
"Nach ihrem Entschluß, Vergeltung zu üben, konnte die Regierung den amerikanischen Kompromißvorschlägen nur eine Antwort geben. Diese Vorschläge waren folgende: 1. Beide Regierungen sollten sich einverstanden erklären, nur Minen zu Verteidigungszwecken und Minen, die bei dem Losreißen von der Verankerung unschädlich werden, zu legen. 2. U-Boote sollten Handelsschiffe nur angreifen, um das Anhaltungs- und Durchsuchungsrecht auszuüben. 3. Handelsschiffe sollten ihre Identität nicht durch das Zeigen neutraler Flaggen verbergen. [227] Ferner sollte die deutsche Regierung sich damit einverstanden erklären, daß alle aus den Vereinigten Staaten eingeführten Lebensmittel von den Vereinigten Staaten ernannten Vertretungen übersandt würden und daß diese Vertretungen für ihre Verteilung an die Zivilbevölkerung allein verantwortlich seien, die deutsche Regierung sollte keinerlei Kontrolle über sie ausüben. Die britische Regierung sollte sich damit einverstanden erklären, die Übersendung von Lebensmitteln an diese Vertretungen nicht zu stören. Es ist schon gezeigt worden, daß diese Vorschläge dem Kabinett am 24. Februar vorgelegt wurden und daß das Kabinett sich durch Billigung und Veröffentlichung der Vergeltungsverordnung eigentlich weigerte, das amerikanische Angebot anzunehmen. Dies ließ den Fachleuten des Außenamts die Freiheit, die Note so zu beantworten, wie sie es für am besten hielten. Als das Schreiben zuerst vorgelegt wurde, waren sie über die passendste Antwort ziemlich geteilter Meinung. Da der erste Lord im Parlament erklärt hatte, die U-Bootoperationen gegen den Handel würden wahrscheinlich nicht gefährlich sein, und dies allgemein als die erwogene Meinung der Admiralität bekannt war - die durch die geringen Ergebnisse der ersten Wochen des Feldzugs bestätigt wurde -, erschien es offensichtlich, daß die deutsche Regierung durch die vollständige Annahme der Vorschläge sich sehr große Vorteile sichern würde. Nach Mr. Hursts Worten würde der Vorteil Großbritanniens in der Nichtversenkung von ein paar Trampern bestehen, für Deutschland aber in der Sicherung seiner Lebensmittelzufuhren für die Kriegsdauer. Der andere Rechtsberater des Außenamts Mr. Malkin zweifelte daran, daß die deutsche Regierung diesen Vorschlägen beitreten würde und zeigte, daß es den Deutschen, obgleich das Geschäft ausschließlich zu ihrem Vorteil sei, widerstreben würde, einen Feldzug aufzugeben, von dem sie sich soviel erhofften. Aus diesem Grunde bestand Mr. Malkin darauf, keine Antwort zu geben, bevor die Deutschen erwidert hätten. Es ist deshalb von gewissem Interesse, die Meinung der Spitzen der Behörden in Deutschland festzustellen."62 "...es scheint ziemlich sicher, daß diese Vorschläge für die deutschen Behörden weniger anziehend waren, als sie es einige Wochen früher gewesen sein würden. Im Laufe des Februar kam es zu einer Erholung in der deutschen Industrie, und die ersten Verordnungen über die Verteilung von Lebensmitteln schafften solche Erleichterungen, daß Dr. Delbrück im preußischen Landtag erklären konnte, die Nation würde bis zur nächsten Ernte an den Hauptnahrungsmitteln keinen Mangel leiden. Das war eine amtliche Äußerung eines Ministers, der die einschlägigen Statistiken zur Verfügung hatte. Dies wird durch die Information des amerikanischen Botschafters Mr. Gerard an seine Regierung vom 17. Februar, daß die deutschen Vorräte an Lebensmitteln und Rohstoffen im Laufe des Jahres nicht ausgehen würden, bestätigt. Er war angewiesen worden, über die wirtschaftliche Lage in Deutschland zu berichten und war vermutlich in einiger Verlegenheit, die Tatsachen zu ermitteln. Die deutschen Minister sahen deshalb die amerikanischen Vorschläge nicht als eine Rückzugslinie [228] aus einer gefährlichen wirtschaftlichen Lage an,63 was sie wahrscheinlich getan haben würden, wenn die Vorschläge zwei Monate früher gemacht worden wären, als die wirtschaftliche Verwirrung des Landes ernster war. Im Gegensatz hierzu wurde der U-Bootfeldzug gegen den Handel noch immer für die Eröffnungsbewegung eines sich als entscheidend erweisenden Manövers gehalten. Admiral Tirpitz und Admiral Bachmann bedauerten zwar beide, daß die Erklärung so frühzeitig erlassen war, aber sie wichen niemals von ihrer Meinung ab, daß, falls genügend U-Boote vorhanden wären und die U-Bootsangriffe auf Frachtschiffe durch Verminung der Eingänge der britischen Häfen ergänzt werden könnten, Großbritannien so gefährdet sein würde, daß seine Regierung um Frieden bitten müsse."64 Hierzu kamen die Einwendungen des Marinestabs, der die praktische Durchführbarkeit der amerikanischen Lebensmitteleinfuhren angesichts des Mangels an neutraler Tonnage bezweifelte und diese nur dann für gesichert hielt, wenn die in den neutralen Häfen liegenden deutschen Schiffe dafür eingesetzt würden, was eine Verpflichtung Englands zur Anerkennung des Flaggenwechsels voraussetzte. Selbst bei diesen Zugeständnissen sahen Bachmann und Tirpitz die Vorschläge als günstiger für England an. Der Kanzler, der angesichts der bevorstehenden Ankunft des Obersten House in Berlin eine vollständige Verwerfung der amerikanischen Vorschläge für bedenklich hielt, wandte sich entschieden gegen diese Bedingungen. Er erklärte, Bachmann verlange eine amerikanische Garantie dafür, daß Großbritannien auf die Anwendung seines durch das Völkerrecht anerkannten Rechts zur Wegnahme der an Neutrale verkauften deutschen Handelsschiffe verzichten solle. Er wies ferner darauf hin, daß die maßgebenden Kreise der Handelsschiffahrt glaubten, die zur Verfügung stehende neutrale Tonnage sei ausreichend. "Da diese Meinungen nicht durch einen Austausch von Memoranden versöhnt werden konnten, berief der Kaiser eine Konferenz nach Bellevue, in der die Marinefachleute in offenen Streit mit dem Kanzler gerieten. Selbst die kalte amtliche Aufzeichnung erwähnt den ärgerlichen Ton in der Stimme des Admirals von Tirpitz und Bethmann-Hollwegs Gestikulationen. Am Ende der Zusammenkunft schloß sich Admiral von Müller dem Kanzler an und zeigte, daß man der amerikanischen Note ohne Aufgabe des U-Bootkrieges zustimmen könne. Dieser könne immer noch ruhig weitergehen. Der Kaiser hieß den Standpunkt des Kanzlers gut. Aber die als Ergebnis dieser Konferenz entworfene Note war keineswegs eine Bekräftigung der amerikanischen Vorschläge. Es bestand Einverständnis zwischen allen Anwesenden darüber, daß die amerikanische Note kein angemessenes Äquivalent für die Aufgabe des U-Bootkrieges bot, und die schließlich entworfene Note enthielt deshalb wenig mehr als die plumpe Anregung, Amerika solle sich erbieten, Deutschland größere Vorteile zu verschaffen, und die deutsche Regierung wolle weniger übernehmen als das, wozu der amerikanische Präsident sie aufgefordert hatte. Die Deutschen bedangen sich aus, daß ihnen, außer den in der amerikanischen Note er- [229] wähnten Nahrungsmitteln, die Zufuhr aller auf der Freiliste der Londoner Deklaration stehenden Rohstoffe zugesichert werden sollte. Wenn dieses zugestanden würde, erklärte sich die deutsche Regierung bereit, die U-Bootkriegführung zu mäßigen. Aber ihre Versprechungen waren sehr behutsam und sie weigerte sich, das Minenlegen aufzugeben.65 Dieses schlecht verfaßte Dokument ersetzte ein anderes, von dem keine Urschrift veröffentlicht worden ist. Es scheint deshalb, als ob Admiral von Müllers Politik, den amerikanischen Vorschlägen zuzustimmen und den U-Bootkrieg ruhig weiterzuführen, einen tiefen Eindruck hinterlassen hatte. Wie von Mr. Malkin vorausgesehen worden war, zeigte die deutsche Antwort auf die amerikanischen Vorschläge, wie unsere Ablehnung abgefaßt werden mußte. Das Außenamt antwortete also, da die Deutschen es nicht übernommen hätten, U-Boot- und Minenoperationen gegen den friedlichen Handel aufzugeben, hätten sie tatsächlich das amerikanische Angebot abgelehnt. Es ist in der Tat ziemlich eigenartig, daß Bethmann-Hollweg und Jagow jemals angenommen haben sollten, ihre Note würde das Odium der Zurückweisung auf England abwälzen. Sie hatten tatsächlich die amerikanische Regierung aufgefordert, Großbritannien und Frankreich zu zwingen, ihre Banngutlisten zurückzuziehen und hatten keinerlei Zusicherungen von irgendwelchem Wert in der Frage gegeben, auf die Mr. Lansing und Mr. Bryan in so ernsten Worten bestanden: daß amerikanisches Leben und Eigentum nicht durch die deutsche U-Bootflotte in Gefahr gebracht werden sollten. Bethmann-Hollweg und Jagow müssen die Stimmung der amerikanischen Regierung sehr falsch eingeschätzt haben, wenn sie glaubten, die Verwaltung in Washington würde ihre Beziehungen mit Großbritannien und Frankreich als Gegenleistung für so vage und dürftige Versprechungen, wie sie die deutsche Regierung anbot, erschweren."66
"Die Politik der nördlichen Neutralen unterlag keinem Zweifel. Ihre Bürger litten unter dem deutschen U-Bootfeldzug, lange bevor sie unter unseren Vergeltungsmaßnahmen litten. Die holländischen und norwegischen Außenminister teilten unseren diplomatischen Vertretern im wesentlichen mit, sie würden nicht vergelten. Sie waren so verpflichtet, sich gegenüber der Repressalienverordnung ebenso ruhig zu verhalten, und ihre Proteste waren mild und formell. Die drei skandinavischen Regierungen überreichten Noten, in denen jede einen ausdrücklichen Vorbehalt bezüglich ihres Handels machte. Die niederländische Regierung erklärte, sie sei an dem, was Kriegführende zu ihrer gegenseitigen Schädigung täten, nicht interessiert, aber sie könne gegenüber der Aufhebung der Pariser Deklaration nicht gleichgültig bleiben. Das Außenamt war überzeugt, daß die nördlichen Regierungen diesen Noten keine Bedeutung beimaßen und daß auf sie keine Antwort erteilt zu werden brauchte. Die wichtigste Angelegenheit, der Prüfstein für unsere lange diplomatische Vorbereitung, war die Aufnahme unserer Ankündigung in Ame- [230] rika. Dem amerikanischen Botschafter wurde unsere erste Ankündigung am 1. März übergeben. Er sagte gleich, daß sie keinen Anlaß zu Unannehmlichkeiten mit der amerikanischen Regierung geben würde und daß er diese selbst darauf vorbereitet habe. Mr. Pages Erklärung war wertvoll, insofern als Oberst House noch in London war und sich in enger Beratschlagung mit ihm befand. Sir Cecil Spring-Rice konnte jedoch über keinen so guten Empfang berichten wie ihn Mr. Page versprochen hatte. Er warnte wieder das Außenamt, der Präsident sei so entschlossen wie je, nichts zu tun, was seiner Vermittlung schädlich sein könne und werde es höchstwahrscheinlich für nötig halten, zum Beweise seiner Unparteilichkeit einen kräftigen Protest zu erheben. Andererseits berichtete unser Botschafter, der Rechtsberater des Staatsdepartements riete zu freundschaftlichen Verhandlungen über praktische Einzelfragen, wie die Behandlung von Baumwolladungen. Als die erste Note der amerikanischen Regierung (8. März) überreicht wurde, bestanden deshalb starke Anzeichen dafür, daß sie einwilligen werde. Diese Note war weit weniger scharf als Sir Cecil Spring-Rice vorausgesehen hatte, und war tatsächlich eine lange Einrede gegen die Verwendung der modifizierten Blockade, die wir angekündigt hatten. Die Note endete jedoch mit dem bezeichnenden Zugeständnis, die moderne Kriegführung habe die altmodischen orthodoxen Blockaden unmöglich gemacht.67 Eine weitere, eher schärfere Note wurde jedoch am 2. April überreicht. Die amerikanische Regierung übte darin eine sorgfältig ausgearbeitete Kritik an der Order in Council und zeigte, was nach den Umständen nicht sehr schwierig war, daß wir Deutschland durch Zwangsmaßnahmen zu isolieren versuchten, für die keine Präzedenzfälle beständen. Aber die Note war trotz aller Kritik freundlich und enthielt einige bemerkenswerte Feststellungen. Die amerikanische Regierung gab zu, daß das Völkerrecht einer organischen Entwicklung unterworfen wäre und daß es nicht aufhörte, Recht zu sein, weil es den veränderten Umständen angepaßt würde. Sie gab ferner zu, daß die Blockadelinien in beträchtlicher Entfernung von den blockierten Küsten gezogen werden und daß Blockadestreitkräfte sogar auf den Zufahrtslinien zu neutralen Häfen stationiert werden dürften. Noch bemerkenswerter war es, daß die amerikanische Regierung dem Wesen nach unserer Forderung, wir hätten ein Recht darauf, alle Güter am Erreichen Deutschlands zu verhindern, zustimmte, denn sie bat uns um die Zusicherung, daß amerikanische Handelsschiffe mit neutraler Bestimmung oder Abfahrtshafen nicht behelligt werden sollten: wenn es bekannt sei, daß sie keine Güter beförderten, die Bannware seien oder Güter, die nach Häfen im Feindgebiet bestimmt seien bzw. von dort kämen. Das war im Wesentlichen eine Erklärung, die amerikanische Regierung werde keine Einwendungen erheben, falls die Order in Council ad litteram angewendet würde und sie wünsche nur eine Sicherheit dafür, daß keine zusätzlichen Beschränkungen beabsichtigt seien. Aber während sie das alles zugab, protestierte die amerikanische Regierung gegen jede Einmischung in den neutralen Handel mit Nichtbanngutwaren, welche letzte Bestim- [231] mung sie auch immer haben mochten. Sir Eyre Crowe fand diese Note kaum verständlich. Sie schien ihm:
ein Kompromiß verschiedener Gesichtspunkte zu sein und es der Regierung der Vereinigten Staaten offen zu lassen, sich nach verschiedenen Richtungen zu wenden, je nachdem wozu sie später unter dem Druck von Politikern, Händlern oder Theoretikern gezwungen werden oder geneigt sein könnte. Jeder, der Sir Cecil Spring-Rices Berichte über den Wunsch des Präsidenten, jede Gruppe der amerikanischen Gesellschaft um seine Politik zu vereinigen, über seine Schwierigkeiten und die leidenschaftlichen Anklagen, denen er ausgesetzt war, studiert hat, wird Sir Eyre Crowes Würdigung für richtig halten. Die in der auf die Übergabe der Note folgenden Woche von unserem Botschafter in Washington gesammelten Informationen zeigten jedoch, daß die Washingtoner Verwaltung ihren Zugeständnissen weit größere Wichtigkeit beimaß als ihren Kritiken. Am 7. April veröffentlichte die Times einen Artikel, den ihr Vertreter nach Beratschlagung mit dem Rechtsberater des Staatsdepartements geschrieben hatte. Der Artikel erklärte, die amerikanische Regierung erkenne das Recht der britischen Regierung, eine Blockade mit etwas unorthodoxen Methoden durchzuführen, an. Wichtiger jedoch als das waren Sir Cecil Spring-Rices Berichte über die Haltung der großen Schiffahrts- und Ausfuhrmagnaten, die alle auf eine Regelung der praktischen Einzelheiten drangen und um Anleitung für die Behandlung einzelner Ladungen baten. Sir Cecil konnte sogar berichten, daß eine große Anzahl einflußreicher Personen aus dem Wunsche nach einer klaren und bestimmten Regel es sehr gern sehen würden, wenn unsere Banngutlisten alle Waren enthielten, die wir am Erreichen Deutschlands zu verhindern wünschten. Die erwogene Meinung des Außenamts ging deshalb dahin, daß die Note eine Art Einladung zu einer Rechtskontroverse sei und man beschloß, Professor Oppenheim zu bitten, bei der Abfassung der Antwort behilflich zu sein. Die Erwiderung arbeitete in der Tat höchst geschickt die Folgerungen der amerikanischen Zugeständnisse durch einen Überblick über die organische Entwicklung des Blockade- und Banngutrechts und durch die Darstellung, wie das amerikanische Verhalten alte Regeln ohne Verletzung der Grundprinzipien verändert habe, heraus. Die britische Note ist später fast wörtlich in mehr als einem amerikanischen Werk über öffentliches Recht wiedergegeben worden. Es kann hiernach als die große Leistung des Außenamts bezeichnet werden, daß es die wirkliche Zustimmung zu der Maßnahme sicherte, welche die Isolierung Deutschlands möglich machte."68
"Um den April 1915 herum hatten die deutsche und in einem geringeren Grade die österreichisch-ungarische Regierung ihre Völker zu militärischen Gesellschaften organisiert, die Hilfstruppen der im Felde stehen- [232] den Streitkräfte darstellten. Die sich daraus ergebende Lage war ungefähr folgende: alle Getreidevorräte wurden durch die Regierung oder durch von ihr ernannte Agenten verteilt und Bestimmungen über die Bevorratung von Fleisch wurden in beiden Kaiserreichen durchgeführt. Es bestand kein Zweifel mehr, daß die ergriffenen Maßnahmen bis zur Einbringung der Ernte einen genügenden Vorrat an Nahrungsmitteln für die Heere und die Zivilbevölkerung sichern würden. Dr. Delbrück gab im Reichstag mehrere zuversichtliche Erklärungen ab und unsere Sachverständigen gaben zu, daß seine Zuversicht berechtigt sei. Das bedeutete jedoch nur, daß ein einleitendes Gefecht befriedigend für den Feind geendet hatte. Jede Vorhersage über die letzten Folgen wurde durch Unsicherheit und Vermutungen so entwertet, daß eine Berechnung im eigentlichen Sinne des Wortes unmöglich war. Wenn der Feind die ihm nutzbaren Nahrungsmittelvorräte allein aus seinem eigenen Boden gezogen hätte, hätte vielleicht eine wissenschaftliche Schätzung des nationalen Verbrauches und der verfügbaren Bestände gemacht werden können. Es war jedoch klar genug, daß alle Randneutralen ihre Lieferungen heimischer Erzeugnisse an Deutschland stark erhöhen und so die deutsche Widerstandskraft stärken konnten. Holland sandte im ersten Viertel des Jahres ungefähr 12 000 Stück Vieh und 19 000 Tonnen Fleisch nach Deutschland,69 Dänemark ungefähr 50 000 Tonnen heimischen Fleisches. In beiden Fällen lagen die Mengen weit über dem Normalen. In derselben Zeit verschiffte Schweden 80 000 Stück Vieh nach Deutschland. Die übliche Zahl betrug ungefähr 42 000. Im Osten ereignete sich trotz großer Hindernisse dasselbe. Anfang des Jahres legte die rumänische Regierung einen Ausfuhrzoll auf Getreide und Mais, mit dem erklärten Zweck, Vorräte im Lande zu behalten. Gleichwohl zwangen die österreichisch-ungarischen Behörden die Rumänen zu einem Abkommen über die tägliche Lieferung von 3500 Tonnen Getreide nach Einbringung der Ernte. Aus all diesem konnte nichts Sicheres vorhergesagt werden. Statistiker hätten zwar schätzen können, welcher Teil des deutschen Fehlbetrages durch diese zusätzlichen Lieferungen ausgeglichen würde, aber diese Berechnung hätte keinen Fingerzeig für die Zukunft gegeben. Denn niemand konnte sagen, ob die Randneutralen fortfahren würden, Nahrungsmittel in diesen Mengen zu liefern, und niemand konnte die Höhe des deutschen Verbrauches schätzen. Sicher war nur, daß die hohen Preise für Fleisch und Mehl und die geregelte Zuteilung von Brot den Verbrauch verringern und daß die ungeheuren Heere im Feld ihn in unbekannten Mengen erhöhen würden. Die Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung kann am besten durch das Nebeneinanderstellen von Schätzungen der beiden größten Sachverständigen in Großbritannien beleuchtet werden. Sir James Wilson, der Präsident des internationalen Ackerbauinstituts, berechnete, daß die deutsche Erholung nur zeitweilig sei und daß der Mangel und die Verknappungen im Verlauf des Herbstes 1916 wirklich drückend werden würden. Nach Prüfung aller von Sir James Wilson untersuchten Tatsachen und Möglichkeiten: der sicheren Fehlbeträge, der Vergeudungen an der Front, [233] der Wahrscheinlichkeit, daß die Ernte infolge des Arbeiter- und Zugpferdemangels geringer als normal sein würde, kam Mr. Rew, der Unterstaatssekretär des Landwirtschaftsministeriums, zu dem Schluß, das deutsche Volk habe Nachfrage und Angebot einander angepaßt und seine Nahrung sei zwar anormal aber ausreichend. Kurz Mr. Rew schloß: Ich setze keinen Glauben in den Wirtschaftsdruck als Mittel zum Siege unserer Waffen..."70 Die Unsicherheit der Berechnungen und Vorhersagen wurde noch dadurch erhöht, daß unmittelbar nach dem Erlaß der Order in Council der Feind im Osten die Offensive ergriff und große landwirtschaftlich ertragreiche Gebiete in Polen, Galizien und Rußland besetzte, über deren Erzeugung Statistiken entweder nicht bestanden oder nicht erreichbar waren. "Sachverständige waren sich nicht einig über die Folgen: einige sagten voraus, daß schlecht organisierte Länder wie Polen und Südrußland, die von Millionen von Soldaten besetzt seien, nur einen geringen oder gar keinen Ertrag, abgesehen von einigen Lieferungen für die Okkupationstruppen, geben würden, andere sahen das Gegenteil voraus und glaubten, daß die deutschen Eroberungen im Osten die Mangellage in Deutschland erleichtern würden. Doch ungeachtet dieser Unsicherheit und dieser entmutigenden Tatsachen war es so sicher wie irgend etwas, daß der Feldzug verheißungsvoll genug war, um darauf zu beharren. Weder der deutsche noch der österreichische Zensor konnte verheimlichen, daß die Zivilbevölkerung in beiden Ländern notleidend und besorgt war und daß die Erholung in Österreich weit langsamer gewesen war als die Erholung in Deutschland. In beiden Ländern waren Vorräte gesichert worden, aber die Preise hatten nicht aufgehört zu steigen und beide feindlichen Regierungen waren nicht fähig gewesen, sie zu regeln. Ferner war ein wichtiger schwacher Punkt schon damals offenkundig: aus Gründen, denen wir nicht bis zu ihren Quellen nachspüren konnten, waren Fette, Öle und Fettstoffe ungewöhnlich schwer erhältlich. In Anbetracht des Fehlschlags aller unserer ersten Maßnahmen, des Feindes ungeheuere Käufe von Speck und Fett anzuhalten oder gar zu hemmen, und in Anbetracht der vom Feinde vorgenommenen Schlachtungen einer erstaunlichen Menge von Schweinen, um einen größeren Teil der Kartoffelernte der Bevölkerung zur Verfügung stellen zu können, hatte man dies am letzten erwartet.71 Die angemessene Folgerung war eine Ermutigung für die, die bestrebt waren, die feindlichen Zufuhren zu sperren und eine weitere Warnung, falls solche noch nötig war, gegen Prophezeiungen und Voraussagen. Diese überraschende Mangellage, das augenfälligste aller während des Sommers 1915 bemerkbaren Ergebnisse, war nur erklärbar, wenn man zugab, daß Zwangsmaßnahmen gegen den Handel des Feindes trotz ihrer Unvollkommenheit unvorhersehbare Ergebnisse zeitigten, daß eine Knappheit automatisch eine andere verursachte und daß wir ungeachtet der Unvollkommenheit ihres Mechanismus und ihrer Planungen eine Maschine von ungeheurer Kraft handhabten."72 [234] "Wenn es unsicher war, ob wir die feindliche Bevölkerung durch Hunger und Not zur Unterwerfung zwingen konnten, so war es noch unsicherer, ob wir ihre Zufuhren an Metallen, Textilien und Treibstoffen so beschränken konnten, daß wir ihre Heere im Felde schwächten. Militärische Sachverständige waren davon überzeugt, daß eine wirklich ernste Verknappung in den wichtigsten Metallen von großer militärischer Bedeutung sein würde. Lag es aber in unserer Macht, sie herbeizuführen? Deutschlands Stellung bezüglich dieser Metalle war fast analog seiner Stellung bezüglich der Lebensmittel. Die heimischen Vorräte waren nicht ausreichend. Aber die Industrien des Landes waren in ein großes Arsenal verwandelt worden, das beträchtliche Zufuhren aus Quellen bezog, die wir nicht zu kontrollieren hoffen konnten."73 Schweden war Deutschlands wichtigster Metallversorger. Über 100 000 Tonnen Eisenerz gingen monatlich von Narvik nach Westdeutschland, die durch wöchentliche Ladungen verschiedener Eisenarten, Schrott und Zinn ergänzt wurden. Schweden steigerte ferner seine Metallerzeugung ebenso sehr wie seine landwirtschaftliche Erzeugung. Die Überschüsse gingen nach Deutschland. So stieg die Ausfuhr von unbearbeitetem Kupfer von 526 Tonnen im August/Dezember 1913 auf 2071 Tonnen im August/Dezember 1914. Die entsprechenden Zahlen waren für Metallschrott 729 und 2310 Tonnen und für unbearbeitetes Aluminium 0 und 5511 Tonnen, Norwegen wurde nach Schweden bald der wichtigste Metallversorger. Zwar sanken zunächst die Ausfuhren einzelner Artikel wie Kupfer und Aluminium. Aber mittels ihres Austauschsystems gelang es den Deutschen, sich regelmäßige Metallzufuhren auch aus Norwegen zu sichern. So wurde uns bekannt, daß die schwedischen Kupfermagnaten sich zur Lieferung von 100 000 Tonnen Kupfer als Gegenleistung für Maschinen verpflichtet hätten. Eine Schätzung darüber, ob diese zusätzlichen Metallzufuhren den deutschen Bedarf deckten, war nicht möglich. Fest stand jedoch, daß keine Anzeichen für eine Mangellage oder für ein Nachlassen der Beschäftigung innerhalb der Metallindustrie sichtbar wurden. Auch die Textilindustrien waren mit wertmäßig ihren früheren Privataufträgen gleichkommenden Staatsaufträgen versehen. "Das schließliche Ergebnis des Feldzuges war so eine Sache der reinsten Spekulation. Aber auf dem Schauplatz, auf dem er auszufechten war, wurden wenigstens einige strategische Punkte sichtbar, und es gab Anzeichen für die Maßnahmen, die ergriffen werden mußten, wenn der Kampf zu einer Entscheidung gebracht werden sollte. Erstens und vielleicht am wichtigsten: es war offenbar, daß die Kontrolle der Baumwolle ein mit aller uns zu Gebote stehenden Energie zu verfolgendes Ziel sein mußte. Es war nicht mehr länger möglich, das Urteil der militärischen Sachverständigen als endgültig hinzunehmen. Sie hatten berichtet, daß kein militärischer Vorteil von der Anhaltung der Baumwolle zu erwarten wäre. Es war nun offenkundig, daß zwar die feindlichen Sprengstoffabriken nicht abhängig von überseeischer Baumwolle waren, die feindliche Bevölkerung dagegen sehr daran interessiert war und daß die [235] Anhaltung der Baumwolle mit allen ihren begleitenden Schwierigkeiten und politischen Gefahren die erste Aufgabe war, der das Außenamt gegenüberstand. Diese Aufgabe war um so schwieriger zu lösen, als man sie noch nicht einmal begonnen hatte. Jeder neutrale Staat in Europa wurde schnell zu einer Basis für Baumwollzufuhren. Zweitens war es offenkundig, daß Schweden nun Deutschlands wichtigster Zuflußkanal geworden war und daß das Abkommen unbrauchbar wurde. Unsere Beziehungen mit den schwedischen Regierungsstellen verschlechterten sich ständig und es war nicht zu verhehlen, daß die schwedische Politik eine Regelung verhinderte. Die Streitigkeit über die Zurückhaltung von Kupferladungen in den ersten Monaten des Jahres mag als eine Unstimmigkeit über technische Fragen behandelt werden, die durch einen sich der politischen Folgen seiner Maßregeln nicht bewußten Verwaltungsausschuß hervorgerufen war. Im April war es offenbar, daß die schwedische Politik und die Sympathien der schwedischen Regierung den Streit verbitterten, denn nunmehr hatten wir Beweise vor uns, daß die schwedischen Behörden verstohlen unfreundlich gewesen waren, als die skandinavischen Mächte ihre Noten über den U-Bootkrieg und den Gebrauch neutraler Flaggen übergaben. Jeder Satz der uns übergebenen Note, gegen den wir Einwendungen erhoben, war vom schwedischen Außenamt entworfen worden. Wichtiger noch als dies war jedoch der wachsende Umfang der Beweise dafür, daß ein großer Teil des schwedischen Handels mit Deutschland den Ausfuhrvorschriften zum Trotz getrieben wurde und daß die Behörden ein Auge zudrückten."74 Unser Handelsattachégehilfe in Stockholm, Mr. Phillpots, brachte es dank seines erstaunlichen Fleißes fertig, wöchentlich genaue Berichte über die Schiffsladungen von Malmö, Trelleborg und Stockholm nach Deutschland einzusenden, aus denen der Umfang der Umgehung der Ausfuhrverbote klar hervorging. "Wenn nach dem Studium dieser Berichte irgendeine Person von Autorität sich noch unschlüssig darüber gewesen wäre, ob die schwedischen Regierungsstellen überlegt und aus Politik bei dem schwedischen Bannguttransithandel ein Auge zudrückten, so hätten seine Zweifel durch die Behandlung der Speckeinfuhren seitens der schwedischen Regierung zerstreut werden müssen. Während der ersten Monate des Jahres änderte diese Ware, die bis dahin ihren Weg über Dänemark genommen hatte, ihre Richtung und ging nach Schweden. Mr. Phillpots berichtete, daß ungeheuere Verschiffungen nach Deutschland vorgenommen würden, obwohl Speck auf Verlangen unseres Gesandten auf die Liste der Ausfuhrverbote gesetzt worden war. Um eine Erklärung gebeten, antwortete Herr Wallenberg, er hätte immer beabsichtigt, Befreiungen für den zur Zeit der Einführung der Verbote schwimmenden Speck zu gewähren. Auf die Frage, ob das die einzigen bewilligten Befreiungen seien, verweigerte Herr Wallenberg die Antwort. Sogar Mr. Howard, dem die Annahme, die schwedische Regierung sei überlegt betrügerisch, so widerstrebte und der so oft [236] vor der Zurückhaltung schwedischer Schiffe gewarnt hatte, war nun überzeugt, die schwedische Regierung spiele ein doppeltes Spiel und strenge Zurückhaltungen schwedischer Schiffe seien das einzige Heilmittel."75 Ein weiterer strategischer Punkt, der nur durch ganz besonders geartete Kontrollmaßnahmen gesichert werden konnte, war die schweizer Industrie. Hier war die Lage besonders schwierig. Einmal hatte Deutschland hier besonders erfolgreiche Wirtschaftsverhandlungen geführt und ferner konnte die wirtschaftliche Verbindung mit Deutschland nicht gelöst werden, da die Schweiz von der deutschen Kohle abhängig war, die durch englische nicht ersetzt werden konnte. Die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit zeigte sich insbesondere in einer Arbeitsteilung zwischen der schweizer Metallindustrie und der deutschen Großindustrie in dem sogenannten commerce de perfectionnement, d. h. in der Herstellung bestimmter Spezialteile vieler Artikel der deutschen Großindustrie durch schweizer Firmen. Die schweizer Regierung war fest entschlossen, diesen Handelszweig, für den Deutschland den größten Teil der Rohstoffe lieferte, nicht durch Abmachungen mit den Alliierten zu gefährden. "Das war die Gesamtheit der Schwierigkeiten und Hindernisse, die zu überwinden waren, wenn die Order in Council mehr als eine leere Drohung oder eine großsprecherische Ankündigung sein sollte und die spätere Geschichte der Blockade ist in starkem Maße die Geschichte parallel laufender Bemühungen, die sich auf die damals auf dem Kriegsschauplatz sichtbaren wirtschaftlichen Ziele richteten. Diese Bemühungen können in folgende Gruppen eingeteilt werden: 1. die der Erklärung der Baumwolle zum Banngut vorausgehenden Verhandlungen; 2. das Ersinnen eines Systems zur Hemmung des aufgeblähten Handels zwischen den nördlichen Neutralen und Deutschland, welches schließlich das Rationierungssystem wurde; 3. Maßnahmen, um den Zufluß von Banngut an der Quelle in Amerika zu hemmen, woraus sich schließlich das Navicertsystem entwickelte;76 4. Verhandlungen mit Schweden, die sich von den übrigen Verhandlungen durch die politischen Einflüsse unterschieden, die sie behinderten, und 5. Maßnahmen zur Kontrolle der wirtschaftlichen Hilfsquellen des britischen Reiches."77 Zum letzten Punkt muß noch folgendes bemerkt werden. Trotzdem die Lizenzerteilung durch die neu gegründete War Trade-Division neu geordnet war, strömten im ersten Vierteljahr des Jahres 1915 britische Waren in unverminderter Menge über die Randneutralen nach Deutschland und füllten dort viele durch die Banngutkontrolle entstandene Versorgungslücken aus. Während der Wiederausfuhrhandel nach fremden Ländern im allgemeinen rückgängig war, hatte er sich nach den Randneutralen im März 1915 im Vergleich zum März 1914 in folgendem Verhältnis erhöht: nach Schweden von 194 720 auf £ 1 224 914, nach Norwegen von 149 606 auf £ 688 027, nach Dänemark von 118 743 auf £ 1 156 795, nach den Niederlanden von 1 314 319 auf £ 3 529 449.
"Als diese Gesamtzahlen zusammen mit den von unseren Agenten [237] und Beobachtern
eingesandten Berichten und den Statistiken über einzelne Waren
geprüft wurden, konnten sie nur den Schluß zulassen, daß
Großbritannien im Begriffe war, nicht so sehr zu einem Rohr oder Kanal,
sondern zu einem offenen Schleusentor für soviel britisches Zinn, soviel
ägyptische und indische Baumwolle, soviel australische Wolle, Fleisch und
Getreide, soviel Öl und Leinsaat, soviel Flachs, Tee und Kakao zu werden,
wie man in das feindliche Gebiet hineinpumpen konnte. Der damit dem Feinde
geleistete Beistand war weniger ernst wie der unserem Ruf für ehrliches
Verhalten zugefügte Schaden. Unsere Mahnungen an die Neutralen und vor
allem unser guter Name in Amerika, der so wichtig für uns war, da die
amerikanische Politik und öffentliche Meinung schwankten, wurden beide
dem schädigenden Einwand und der wirkungsvollen Anklage ausgesetzt,
wir selbst hätten keine sauberen Hände und unsere Entrüstung
sei Heuchelei. Zu diesem Schaden kam noch ein weiterer: das Mißtrauen
und der Argwohn eines hart bedrängten und verwundeten Bundesgenossen,
dessen Regierung jede Handelsverbindung mit dem Feinde gelöst hatte."78
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